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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature American Hollow Wie Amerikas ärmste Gemeinde ums Überleben kämpft Autor: Tom Noga Regie: Martin Heindel Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: BR/Dlf 2019 Erstsendung: Dienstag, 15.10.2019, 19.15 Uhr Es sprachen: Philipp Moog, Oliver Nägele, Marlen Reichert, Aurel Manthei, Diana Gaul, Peter Weiß, Marina Marosch, Roland Schreglmann und Jakob Geßner Ton und Technik: Adele Kurdziel Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - Die Personen in der Reihenfolge ihres Auftretens

Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur...Regie Musik „Arrival“ von Johann Jóhannsson Erzähler McDowell County ist unten. Ganz unten. Immer schon gewesen. Bis auf eine kurze

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Page 1: Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur...Regie Musik „Arrival“ von Johann Jóhannsson Erzähler McDowell County ist unten. Ganz unten. Immer schon gewesen. Bis auf eine kurze

Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

Das Feature American Hollow Wie Amerikas ärmste Gemeinde ums Überleben kämpft Autor: Tom Noga Regie: Martin Heindel

Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: BR/Dlf 2019 Erstsendung: Dienstag, 15.10.2019, 19.15 Uhr Es sprachen: Philipp Moog, Oliver Nägele, Marlen Reichert, Aurel Manthei, Diana Gaul, Peter Weiß, Marina Marosch, Roland Schreglmann und Jakob Geßner

Ton und Technik: Adele Kurdziel

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

© - unkorrigiertes Exemplar -

Die Personen in der Reihenfolge ihres Auftretens

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Regie Atmo 1 (Wache) + Polizei-Funk

Erzähler Martin West erhebt sich hinter seinem ausladenden Schreitisch. Er

wuchtet seinen massigen Körper in die Höhe, legt den Halfter mit

seiner Dienstwaffe an, setzt den Sheriff-Hut auf. Und stapft durch

die Polizeiwache von Welch in West Virgina, einen Flachbau mit

niedriger Decke und abgenutztem Linoleum-Boden.

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West (über Atmo 3 bei 0:55)

„Ich fahre jetzt Streife. Cecil. Kannst Du bis zur Mittagspause auf

der Wache bleiben?“

Regie Atmo Wintertag

Erzähler Ein Vormittag im Winter. Es ist kalt und feucht. Dicke Nebelbänke

lasten auf der Innenstadt. Schemenhaft sind die Gebäude im

Zentrum zu erkennen: die Fassaden brüchig, die Schaufenster

blind. Autos? Ab und zu fährt eins vorbei. Menschen? Sieht man

kaum.

Regie Atmo 2 (Autofahrt)

O-Ton 1 Sheriff Martin West, 0:22min

„We had 100.000… … we don’t have anything.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„In McDowell haben mal 100.000 Menschen gelebt. Dann ging’s

runt er auf 50.000 ... Jetzt sind’s noch knapp 18.000. Wir haben

keine Fabriken, noch nicht mal ein Kaufhaus. Hier gibt’s nichts

mehr.“

Erzähler Welch ist die Kreisstadt in McDowell County, einer der ärmsten

Gemeinden der USA. Das Pro-Kopf-Einkommen in McDowell liegt

mit 10.000 Dollar im Jahr nur knapp über dem in Russland. Die

durchschnittliche Lebenserwartung entspricht mit weniger als 64

Jahren der eines Äthiopiers.

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Erzähler Bei den letzten Präsidentschaftswahlen hat Donald Trump hier

knapp 75 Prozent der Stimmen bekommen.

O-Ton 3 Sheriff Martin West, 0:34min

„This is the main 2-lane road… … it’s called a hollow.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Da ist die wichtigste Straße in McDowell, die US 52. Die

Seitenstraßen führen hoch oder runter in die Hollows. Wer dort

lebt, ist richtig arm.“

Regie Musik 1 („Country Roads“ von Apalachee Falls).

Ansage über Intro.

Ansage American Hollow

Wie Amerikas ärmste Gemeinde ums Überleben kämpft

Ein Feature von Tom Noga

Regie Musik 1 mit Gesang hoch.

„Country roads, take me home

To a backwoods creek down a long dirt road

If it means an old headstone

At least I'll be, I'll be where I belong.“

SFX-Metall-Impact&Scratch-hollow

Erzähler Hollow. Als Adjektiv: hohl, leer, wertlos. Als Substantiv: Niederung,

Senke, Talkessel.

Regie Musik „Arrival“ von Johann Jóhannsson

Erzähler McDowell County ist unten. Ganz unten. Immer schon gewesen.

Bis auf eine kurze Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Das

Wohlstandsversprechen des Kapitalismus war hier immer nur

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bloße Hülle. Eben: Hollow. Die Menschen hier werden abwertend

als White Trash bezeichnet, als „weißer Abfall.“

Regie Musikende „Arrival“ von Johann Jóhannsson

O-Ton 7 Nancy Isenberg, 0:16min

„The word White Trash… … back to British ideas.“

Sprecherin 6 Voice Over Nancy Isenberg

„Der Begriff White Trash kam, soweit wir herausgefunden haben,

in den 1820ern auf. White Trash bezeichnet die arme weiße

Landbevölkerung und geht zurück auf Vorstellungen der britischen

Kolonialmacht.“

Erzähler Nancy Isenberg, Historikern und Autorin des Buchs „White Trash -

The 400-Year Untold History of Class in America.“ Als erste

Wissenschaftlerin überhaupt in den USA hat sie die weiße Armut

im Land erforscht.

O-Ton 8 Nancy Isenberg, 0:31min

„You find each generation … …on the British economy.“

Sprecherin 6 Voice Over Nancy Isenberg

„Jede Genration hat andere Begriffe verwendet. Ursprünglich

sagte man waste poeple, menschlicher Aussatz. Diesen Begriff

hat der britische Geograf Richard Hakluyt geprägt. Von ihm

stammt das erste Konzept, mit dem Queen Elisabeth I von der

Kolonialisierung der Neuen Welt überzeugt werden sollte. Seine

Idee war, die Armen buchstäblich in den Kolonien zu entsorgen.

Sie waren eine Last für die britische Wirtschaft.“

Regie Musik “Buried” von Shlohmo

Erzähler Wie lebt es sich ganz unten im reichsten Land der Welt? Was

macht es mit Menschen, wenn sie über Generationen als White

Trash abstempelt werden? Und was erzählt uns McDowell County

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über eine Welt, in der in vielen Ländern ganze Regionen

vernachlässigt werden und verarmen? Und sich die Menschen

dort abgehängt fühlen und Populisten zuwenden?

Regie Musik “Buried” von Shlohmo geht über in

Musik 1 („Country Roads“ von Apalachee Falls)

“It’s all good, we all fine,

Big Marcus brought the moonshine

Kid Rock in the dashboard

Peaches shakin’ in the moonlight

Somethin' bout them backroads stretchin’ out across the county

line

It takes me back to my days of young when my grandma was my

sunshine“

… blendet über zu ...

O-Ton 9 Donald Trump, Wahlauftritt zu den Midterms, 0:05min

„Hello West Virginia, hello.“

O-Ton 10 Donald Trump, Wahlauftritt zu den Midterms, 0:23min

„I am thrilled to be back…. … American patriots, thank you.“

O-Ton 12 Donald Trump, 0:39min

„And this is a truly amazing time… .. back to work.“

Sprecher 5 Voice Over Donald Trump

„Ich bin begeistert, wieder in diesem unglaublichen Staat zu sein,

mit Tausenden hart arbeitenden amerikanischen Patrioten.“

„Unser Land erlebt tolle Zeiten. Unsere Wirtschaft boomt wie nie

zuvor. Hatte ich euch das nicht versprochen? (Jubel)

Die Armut geht stark zurück. Der Aktienmarkt verzeichnet

Rekorde. Was für mich heißt: ... (Jubel)

Und eure großartigen Bergleute haben wieder Arbeit.“

O-Ton 11 Sheriff Martin West, 0:10min

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„President Trump… … I did vote for him.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Präsident Trump packt die Dinge anders an. Nicht alles davon

finde ich gut, aber er kriegt mehr hin. Ich habe für ihn gestimmt.“

Regie Atmo 2 (Autofahrt)

Erzähler Auf seiner Streife biegt Sheriff Martin West auf eine Nebenstraße

ab. Vorbei an Tälern, die eher Furchen sind.

Die Straße windet sich einen Berg hinauf. An den Hängen

verlassene Abraumhalden. Von großartigen Bergleuten, die

wieder Arbeit haben, ist hier nichts zu sehen.

O-Ton 13 Sheriff Martin West, 0:07min

„This used to be pretty area before the mine shut down“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Das war mal eine schöne Gegend. Bevor die Minen dicht

gemacht haben.“

O-Ton 14 Sheriff Martin West, 0:39min

„See, this is number 6… … fallen on hard times.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Die Siedlung heißt Nummer sechs. Allein in diesem Holler geht’s

hoch bis Nummer acht. Und im nächsten weiter mit Nummer neun.

Die Siedlungen wurden nach Minen benannt. Hier haben die

Arbeiter mit ihren Familien gewohnt. Die Häuser sahen nicht

immer so runterkommen aus, früher waren sie gepflegt, auch die

Gärten. Alles ordentlich und sauber. Wirklich.“

Regie Atmo 3 (Haus Jonathan) + illustrierende Geräusche

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Erzähler Jonathan Cox öffnet einen Verschlag und holt eine Axt und eine

Kettensäge heraus.

Regie Atmo 4 (Schritte Treppe),

Erzähler Er schultert die Werkzeuge, geht ums Haus herum und steigt eine

bemooste Holztreppe hinauf. Das Haus ist windschief und modrig,

geborstene Fensterscheiben sind mit Sperrholzplatten geflickt. Es

gehört Jonathans Großmutter. Jonathan lebt dort, zusammen mit

seiner Freundin Felicia Blevins. Er ist 29 Jahre alt, sie 27. Eine

eigene Bleibe hatten sie noch nie.

Regie Atmo 4

Erzähler Hinterm Haus führen Plastikrohre in den Wald.

Regie Atmo 5 (Schritte Wald)

Erzähler An einem umgestürzten Baum bleibt Jonathan stehen. Er will

Brennholz schlagen.

O-Ton 16 Jonathan, 0:22min

„If it’s already fallen… …take the fallen timber.“

Sprecher 7 Voice Over Jonathan

„Unterholz und gefallene Bäumen können wir verwenden, aber wir

dürfen keine Bäume fällen. Der Wald gehört einer

Minengesellschaft. Um alles zu säubern, müsste sie mit großen

Maschinen anrücken, da ist es günstiger, wenn sie uns das Holz

überlässt.“

Regie Atmo 6 (Schlagen)

Erzähler Jonathan schlägt die Äste des Baumes ab, einen nach dem

anderen.

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Regie Atmo 6

O-Ton 17 Jonathan, 0:22min

„My grandmother burns wood… …as a primary money source.“

Sprecher 7 Voice Over Jonathan

„Meine Oma heizt mit Holz, mein Onkel auch, er wohnt dort

drüben. Auch meine Mutter. Viele Leute mache das so, es ist

billiger. Ich verkaufe auch Holz. Früher habe ich davon gelebt.“

Erzähler Jonathan wirft die Säge an.

Regie Atmo 7 (Sägen)

Erzähler Und zerteilt den Stamm in Blöcke von 30 Zentimetern Länge.

Regie Atmo 7

Erzähler Nach vier Stunden Arbeit liegen 40 Holzblöcke vor ihm - eine

Wagenladung.

O-Ton 18 Jonathan, 0:214min

„You get anywhere… …It does pay pretty good money..“

Sprecher 7 Voice Over Jonathan

„Dafür kriege ich zwischen 75 und 100 Dollar. Wenn ich Hilfe

habe, schaffe ich die Wagenladung in zweieinhalb Stunden:

schlagen, zerkleinern, laden. Das bringt echt gutes Geld.“

O-Ton 19 Funk, 0:12min

Regie Atmo 2 (Autofahrt)

Erzähler Sheriff Martin West fährt durch Iaeger. Die kleine Stadt wurde

nach ihrem Gründer benannt, wie die meisten Orte in McDowell.

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William Iaeger war ein deutschstämmiger Oberst der Südstaaten-

Armee im Amerikanischen Bürgerkrieg.

Regie Atmo 2

Erzähler Iaeger ist menschenleer. Sheriff West passiert die Filiale einer

Fast-Food-Kette. Seit ein paar Jahre geschlossen, sagt er.

Und die Tankstelle nebenan - sie ist bereits von Unkraut

überwuchert.

Regie Atmo 2

Erzähler Am Ortsausgang ein Minenkomplex, der sich über mehrere Hügel

erstreckt.

O-Ton 20 Sheriff Martin West, 0:32min

„This used to be a part … … that’s how big it was.“

O-Ton 21 Sheriff Martin West, 0:02min

„We were the billion dollar coal field at one time.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Früher gehörte das alles zu US Steal. Überall auf den Hügeln

waren Minen. Unten im Tal Halden, auf denen die Kohle bis zum

Abtransport zu den Stahlwerken gelagert wurde. Sieben oder acht

Bahntrassen führten hier raus. Und das war nur eins von vielen

Unternehmen. So groß war das hier. Das Milliarden-Dollar-

Kohlerevier.“

Regie Atmo 8 (McDonalds)

Erzähler Jonathan Cox tunkte den Pinsel in ein Farbeimerchen und

zeichnet die Konturen eines Weihnachtsmanns auf das

Schaufenster. Er ist zurück vom Holzschlagen im Wald und

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verdient sich jetzt noch etwas dazu, in dem er die Scheiben der

McDonalds-Filiale in Welch festlich bemalt.

Seine Freundin Felicia Blevins malt die Figur aus. Es folgen Engel,

Sterne, Geschenkpakete, dazwischen jede Menge Tannenbäume

- und Kohleneimer.

O-Ton 22 Jonathan, 0:08min

„It triggers a memory… … in one of these buckets“

Sprecher 7 Voice Over Jonathan

„Die wecken Erinnerungen. Wer je mit Kohle zu tun hatte, hat sie

mal in so einem Eimer geschleppt.“

O-Ton 23 Jonathan Cox, 0:06min

„Well, we started doing seasons paintings here over a year ago.“

O-Ton 24 Jonathan Cox, 0:18min

„We came up with this idea… …try to approach a business.“

Sprecher 7 Voice Over Joanthan Cox

„Wir haben das zum ersten mal vor einem Jahr gemacht. Es war

unsere Idee. Meine Mutter arbeitet seit mehr als 20 Jahre hier im

McDonalds, sie schmeißt den Laden. Ich habe immer gern gemalt

und dachte: Vielleicht lässt sich damit Geld verdienen.“

Erzähler Jonathans Klamotten sind zerschlissen. Er trägt eine Pelzmütze

auf dem Kopf und ist tätowiert – an den Armen und im Gesicht.

Felicia trägt Jeans und Bluse, ihre langen brünetten Haare hat sie

adrett zusammengebunden. Beide hatten eine chaotische

Kindheit.

O-Ton 26 Felicia, 0:26min

„My mother and my father… … been back and forth, okay.“

Sprecherin 4 Voice Over Felicia

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„Meine Eltern haben sich in Florida kennengelernt. Dort habe ich

gelebt, bis ich drei war. Dann sind meine Eltern nach McDowell

gezogen, näher zur Familie meiner Mutter. Nach einem Jahr

wurde es ein bisschen rau zwischen ihnen und sie haben sich

getrennt. Danach habe ich mal hier, mal da gelebt.“

Erzähler Dieser McDonalds ist ein Treffpunkt. Der einzige in Welch,

abgesehen von zwei Absturzkneipen. An einem der Tische

frühstückt eine Familie: Vater, Mutter, fünf Kinder. Sie essen

Sandwiches mit Ei und kross gebratenem Speck, dazu Muffins.

Und trinken Morning Dew aus XL-Bechern, eine klebrig süße

Limonade.

An einem Stehtisch eine Frau.

Sie hält sich seit einer Stunde an einem Kaffee fest. Und gleicht

einer Bedienung bis aufs Haar.

O-Ton 29 Jonathan Cox, 0:23min

„Misty and Christy .… …that we lost locally.“

Sprecher 7 Voice Over Joanthan Cox

„Das sind Misty und Christy, die Zwillinge. Misty arbeitet hier.

Christy war Filialleiterin bei Long John Silver, einem anderen Fast-

Food-Laden. Der hat vor kurzem dichtgemacht. Sie war noch

länger dort als meine Mutter hier. Einer der vielen Arbeitgeber, die

wir verloren haben.“

Regie Musiktrenner „Buried“ von Shlohmo

O-Ton 30 Nancy Isenberg, 0:10min

„We wanna say… … social mobility and equality.“

Sprecherin 6 Voice Over Nancy Isenberg

„Wir sehen uns als Land der Freien und Heimat der Tapferen. Wir

glauben, dass Amerika seit seiner Gründung soziale Mobilität und

Gleichheit fördert.“

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Erzähler Nancy Isenberg, die Expertin für die Geschichte des White Trash,

meint, dass der amerikanische Traum von Aufstieg und Wohlstand

schon immer ein leeres Versprechen war – zumindest für die

Armen und Abgehängten.

O-Ton 31 Nancy Isenberg, 0:24min

„When in fact we’re not as comfortable… … landless tennant

farmers.“

Sprecherin 6 Voice Over Nancy Isenberg

„In Wirklichkeit ging es Amerika nie um Gleichheit. Als Thomas

Jefferson das in die Unabhängigkeitserklärung schrieb, waren in

Virginia 40 Prozent der weißen Bevölkerung arme abhängige

Landpächter. Nicht einmal in dem Staat, den Jefferson

repräsentierte, existierte Gleichheit. Bis in die 1930er Jahre hat

sich das nicht geändert.“

O-Ton 36 Nancy Isenberg, 0:39min

„Clearly you can find examples… …not upward mobility.“

Sprecherin 6 Voice Over Nancy Isenberg

„Natürlich gibt es Beispiele für Menschen, die den sozialen

Aufstieg geschafft haben. Das Problem ist: Wir übertreiben, wenn

wir sagen, dass wir mit der Amerikanischen Revolution eine

klassenlose Gesellschaft geschaffen haben. Tatsächlich hatten

schon unser Gründerväter, Franklin und Jefferson, etwas

ähnliches im Sinn wie die Briten: Die Armen sollten westwärts

ziehen, in den Nordwesten oder in die entlegenen Gebiete im

Süden. Was sie in Wirklichkeit versprachen, war räumliche

Mobilität, keine Aufstiegsmobilität.“

Erzähler Heute gibt es kein unerschlossenes Land mehr, in das die Armen

weiterziehen können. Viele stecken fest. In Tälern und Hollows

wie in McDowell County.

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Regie Atmo 8 (McDonalds)

Erzähler Die letzten Pinselstriche, dann ist die Weihnachtsdekoration fertig.

Jonathan und Felicia treten einen Schritt zurück und betrachten ihr

Werk.

O-Ton 34 Jonathan Cox, 0:14min

„We don’t ask a lot… …t’s a labor of love.“

Sprecher 7 Voice Over Joanthan Cox

„Wir verlangen nicht viel. Irgendwas zwischen zehn und 15 Dollar

die Stunde. Für uns beide zusammen. Das ist nicht viel, aber wir

machen das gerne.“

O-Ton 35 Jonathan, 0:05min

„We could probably survive of 500 dollars to cover our bills.“

Sprecher 7 Voice Over Jonathan

„Wir brauchen nicht viel, mit 500 Dollar im Monat kommen wir

hin.“

Regie Atmo 9 (Coal Camp Creations)

O-Ton 37 Jean Battlo, 0:26min

„Eventually the companies… ….like a feudal system.“

Sprecherin 8 Voice Over Jean Battlo

„Den Zechen gehörte alles um sie herum, wie in einem

Feudalsystem.

Erzähler Jean Battlo, Tochter italienischer Einwanderer. Sie hat zahlreiche

Theaterstücke und Sachbücher über McDowell verfasst.

Jean Battlo sitzt in ihrer Werkstatt in Kimball, in der sie

Kunsthandwerk aus Kohlestaub fertigen lässt. Die alte Dame ist

das Gedächtnis von McDowell.

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O-Ton 35 Jean Battlo script

„They paid in script… ….80 cents back for it..“

Sprecherin 8 Voice Over Jean Battlo

„Anfangs wurden die Arbeiter in Anrechtsscheinen bezahlt. Der

Trick dabei war, dass dass man im Lebensmittelladen nur mit den

Anrechtsscheinen der jeweiligen Zechen einkaufen konnte. Ich

erinnere mich, dass ich als Kind selbst im Kino damit zahlen

musste. Wenn man Geld brauchte, konnte man sie in einem

Laden der Zeche wechseln lassen. Wir machten das immer in der

Drogerie. Für einen Dollar in Scheinen bekamen wir, wenn ich

mich richtig erinnere, 80 Cent gewechselt.“

O-Ton 40 Jean Battlo, 0:27min

„They did not make enough… …horrible conditions.“

O-Ton 41 Jean Battlo, 0:04min

„By the 1930’s more and more it became unionized.“

O-Ton 42 Jean Battlo, 0:15min

„When the coal… … in the world.“

Sprecherin 8 Voice Over Jean Battlo

„Lange haben die Kumpel nicht genug verdient, um, ihre Familien

zu ernähren, es hat nur für sie selbst gereicht. Als Folge davon,

mussten schon kleine Kinder in den Minen arbeiten. Sie waren

buchstäblich Sklaven und arbeiteten unter schrecklichen

Bedingungen. Erst in den 1930er gelang es Gewerkschaften, hier

Fuß zu fassen. Und mit der zunehmenden Industrialisierung des

Bergbaus wurde McDowell zu einer der reichten Gemeinden der

USA. Im Jahr 1947 wurde hier mehr Kohle abgebaut als sonst wo

auf der Welt.“

Regie Schnitt. Wir sind beim Sheriff. Atmo 2 (Autofahrt)

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Erzähler Zurück bei Sheriff Martin West. Er ist immer noch auf Streife.

Regie Atmo 2

Erzähler Der Sheriff fährt nach Gary, eine von 20 Kleinstädten und

Siedlungsgebieten, aus denen McDowell besteht. Hinzu kommen

die Hollows. Die zu zählen, hat sich niemand die Mühe gemacht.

Regie Atmo 2

Erzähler Gary wird von einer weißen Kirche auf einem Hügel dominiert.

Ansonsten: verfallene Häuser, vermüllte Vorgärten, verlassene

Geschäfte. Sheriff West lebt in Gary. Er war früher Pastor einer

evangelikalen Kirche, davor LKW-Fahrer. Und ursprünglich

Bergmann.

O-Ton 43 Sheriff Martin West, 0:19min

„I thought I’d retire… … loved that they were doing.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Ich dachte, dass ich bis zur Rente bei US Steal bleibe. Gary

besteht aus 14 Hollows, in jedem war damals ein Bergwerk, jedes

hatte drei Schichten. Und dann: einfach dichtgemacht. Die Leute

waren verzweifelt: Was sollten sie tun?“

Erzähler Im Jahr 1982 war das. Zwei Jahrzehnte hat McDowell um die

Bergwerke gekämpft. Hat Umweltgesetze gelockert und das so

genannte Mountain Top Removal erlaubt. Dabei wird die

Bergkuppe weg gesprengt, um die Kohle-Flöze freizulegen. So

kann man sie mit großen Schaufelbaggern abtragen. Das ist

billiger als Stollen zu graben. Genützt hat das alles nichts: 40

meist kleine Minen sind noch in Betrieb. Sie beschäftigen alle

zusammen gerade mal 1.000 Bergleute. Vor lauter Verzweiflung

hat McDowell Gefängnissee angesiedelt.

O-Ton 44 Sheriff Martin West, 0:05min

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„Prisons are the biggest… … this it’s a shame.“

O-Ton 45 Sheriff Martin West, 0:16min

„People, they can’t get it… … they don’t want you.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Die Gefängnisse sind die größten Arbeitgeber in McDowell - eine

Schande ist das. Aber die Leute von hier kriegen die Jobs nicht.

Weil man einen Drogentest bestehen muss und keine Vorstrafen

haben darf. Sonst wollen sie einen nicht.“

Regie Schnitt. Atmo 10 (Welch News1). Eine Frau kommt rein:

Schwingtür öffnen aus Archiv. Darüber Atmo 11 (Straße)

O-Ton 46 Derek Tyson, 0:20min (Wortende)

„Hi., how’s a goin’… … You too.“

Erzähler Derek Tyson nimmt eine Anzeige auf. Eine Frau möchte ihren

alten Kinderwagen verkaufen. Gegen Höchstgebot.

O-Ton 46 Derek Tyson

„… You too.“

Erzähler Derek Tyson ist Mitte Zwanzig. Füllig, mit Dreitagebart und

Baseballkappe auf dem Kopf, um die beginnende Halbglatze zu

verdecken. Derek ist Redakteur bei den „Welch News“, der

Zeitung in McDowell. Der einzige Redakteur. Er sitzt an einem

uralten Schreibtisch, einen betagten Computer vor sich. An den

Schreibtischen dahinter Dereks Jugendfreund Tyler und seine

Cousine Rebecca, zuständig für Layout und Anzeigen. Das Blatt

gehört Melissa Nester, die alle nur Missy nennen.

O-Ton 47 Melissa, 0:05min

„Born and raised in Eckman Holler about 10 minutes from here.“

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Sprecherin 2 Voice Over Missy

„Geboren und aufgewachsen in Eckman Holler, zehn Minuten von

hier.“

Erzähler Missy ist Mitte 50 und Dereks Lebensgefährtin.

Regie Atmo 12 (Welch News2)

O-Ton 49 Derek Tyson, 0:20min (Wortende)

„Hey Charles… … let me get the receipt, buddy.“

Erzähler Die Welch News sind eine altmodische Zeitung. Druckvorlagen

werden per Fotolithografie hergestellt - mit einer Kamera aus den

späten 50er Jahren. Die Druckerpresse im Keller ist noch älter.

Und die Verlagsräume sind mit gut 600 Quadratmetern auf zwei

Etagen zu groß, um das Unternehmen profitabel zu betreiben. Das

hat sich auch der frühere Verleger gedacht, ein Unternehmer aus

dem Nachbarstaat Virginia. Vor einem guten Jahr wollte er die

Zeitung einstellen.

O-Ton 50 Missy, 0:33min

„The amount of phone calls… …an bought this place.“

Sprecherin 2 Voice Over Missy

„Wir haben damals viele Anrufe von Lesern bekommen, vor allem

von älteren Menschen. Für sie waren die Welch News die einzige

Informationsquelle. Schließlich haben sich Derek, Tyler, Rebecca

und ich entschlossen, das Blatt zu übernehmen. Ich habe einen

Kredit aufgenommen und Blatt und Verlagshaus gekauft.

Erzähler Derek schlägt die aktuelle Ausgabe auf. Sie besteht aus acht

Seiten, enthält ein paar wenige Anzeigen und ausschließlich

Lokalnachrichten. Aufmacher ist ein Artikel über einen Mord.

O-Ton 51 Derek Tyson, 0:26min

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„The state police…… violent crimes spike in our area.“

Sprecher 9 Voice Over Derek Tyson

„Die Staatspolizei hat uns gestern eine Pressemitteilung geschickt.

Unten in Raysal hat ein junger Typ einen anderen erschossen.

Alkohol soll im Spiel gewesen sein, vielleicht auch Meth. Aber das

ist nicht offiziell. Um diese Jahreszeit erreichen Gewaltverbrechen

hier immer einen Höchststand.

O-Ton 52 Derek Tyson, 0:43min

„I don’t know, living in these mountains… multiple building in town

as well…“

Sprecher 9 Voice Over Derek Tyson

„Wenn du in den Bergen lebst, macht es dir zu schaffen, wenn die

Tage kürzer werden. Ich leide selbst an Depressionen. Das ist

normal hier. Mein Vater hat Selbstmord begangen als ich 16 war.

Er war Jahrgang 1939 und bereits 52 als er mich bekam. Er

kannte ein anderes Welch als jenes, in das ich geboren wurde.

Und er hat den Niedergang nicht ertragen.

Ich habe seine Immobilienfirma geerbt. Mir gehören etliche

Gebäude in der Stadt. Ich bin wohl der größte private

Grundbesitzer in McDowell. Aber der Immobilienmarkt ist

zusammengebrochen, viel ist das nicht wert. Ich arbeite bei den

Welch News, für den Mindestlohn.“

Regie Musiktrenner „Buried“ von Shlohmo

O-Ton 55 Nancy Isenberg, 0:24min

„And there begins to be… … more of a middle class society.“

Sprecherin 6 Voice Over Nancy Isenberg

„Nach dem 2.Weltkrieg kam ein weiteres Phänomen auf: so

genannten Hillbilly-Havens, schlechtes Land am Rande von

Städten und Regionen. Mit dem Wachsen der Vorstädte hat sich

auch die von Klassenzonen geprägte Gesellschaft

ausdifferenziert. Trailer Trash ist zum Symbol von weißer Armut

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geworden - zu einem Zeitpunkt als Amerika eine

Mittelklassegesellschaft zu werden schien.“

Regie Musik 3 („White Trash Beautiful“ von Everlast.):

„White Trash Beautiful, Trailor Park Queen

She slings hash at the diner from 11 to 5

She married a boy from school, thought he was oh so cool

But all he can do for money is drive

Out late haulin' freight on Interstate 5, prayin' he'll see

home before his baby arrives.

White Trash Beautiful, There`s something you should know ...“

Runter blenden

O-Ton 57 Jean Battlo, 0:27min

„Machinery first of …. …that’s what we had.“

Sprecherin 8 Voice Over Jean Battlo

„In den 1950ern begann die Mechanisierung der Zechen. Öl und

Gas lösten Kohle als Energiequelle ab, sowohl im

Privathaushalten als auch in der Fertigung.

Und wir haben den Preis dafür gezahlt, dass wir unsere Wirtschaft

auf Basis von nur einer Industrie aufgebaut haben.“

Erzähler Jean Battlo, die Chronistin von McDowell, kann sehr genau sagen,

wann es mit ihrer Heimat bergab ging.

O-Ton 56 Jean Battlo, 0:24min

„Mines began to fail …. …first try-out in the war.“

Sprecherin 8 Voice Over Jean Battlo

„Die ersten Zechen schlossen und wir wurden binnen weniger

Jahre wieder arm. Als John F Kennedy McDowell im Wahlkampf

1960 besuchte, erkannte er die Notwendigkeit von

Sozialprogrammen. Lyndon B Johnson, sein Nachfolger setzte sie

unter dem Schlagwort „Krieg gegen die Armut“ um. Hier hat er

damit angefangen.“

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Regie Musik 3 mit Refrain bei 2:00 hoch

„White Trash Beautiful, There's something you should know

My heart belongs to you

I know you coulda found a better guy

I'll love you till the day I die

I swear to God it's true

I'm comin' home to you girl.

I´m coming home to you.”

Regie Atmo 2

Erzähler Mit seinem Streifenwagen rumpelt Sheriff Martin West einen Hügel

hinauf. Die Straße ist einspurig und voller Schlaglöcher.

O-Ton 58 Sheriff Martin West, 0:23min

„My wife’s family… … getting out of poverty

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Mein Frau hatte 15 Geschwister. Ihre Familie war damals in Not,

wie so viele andere. Die Bergwerke hatten Leute entlassen, es

gab Streiks. Das war die Situation, als JFK her kam. Die Familie

meiner Frau war die erste im ganzen Land, die Sozialhilfe gekriegt

hat. Aus der Armut geholfen hat’s ihnen nicht.“

Regie Atmo 2

O-Ton 59 Sheriff Martin West, 0:12min

„This is another part of the area… … people’s left.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Das ist eine üble Gegend hier. Fünf, sechs Häuser, alle

ausgebrannt. Und die Leute sind weg.“

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Erzähler Ein paar Meter weiter zwei Häuser mit notdürftig geflickten

Dächern und vernagelten Fenstern. Sie sind noch bewohnt, sagt

Sheriff West.

O-Ton 60 Sheriff Martin West, 0:26min

„People that wanted to work… … here a lot in this county.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Wer arbeiten wollte, ist weggezogen. Andere sind geblieben, weil

das ihre Heimat ist. Aber was machst du, wenn’s nichts gibt, was

du tun kannst? Du hängst mit Leuten ab, die nehmen Drogen, um

besser drauf zu kommen. Und du machst mit. Damit haben wir es

in dieser Gegend immer wieder zu tun.“

Erzähler Drogensucht ist eine Epidemie in den USA, ausgelöst durch

Schmerzmittel wie Oxycodon.

Sie enthalten Opiate, machen süchtig. Skrupellose Ärzte haben

Abhängigen gegen Geld Rezepte ausgestellt, kriminelle

Apotheken, so genannte pill mills, Schmerztabletten an die

Süchtigen verschoben.

Allein nach McDowell wurden zwischen 2007 und 2012 fast 10

Millionen Opioid-Tabletten geliefert. Bei damals gerade mal

20.000 Einwohnern

O-Ton 61 Sheriff Martin West, 0:13min

„We always have a higher rate… … just tragic incidents.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Wir haben immer zu viel von Dingen, die wir nicht brauchen:

Häusliche Gewalt, Morde, Drogentote. Diese ganzen tragischen

Vorfälle.“

Erzähler Die meisten pill mills sind mittlerweile zwar geschlossen worden.

Doch die Abhängigen blieben. Weil ihnen der Stoff für ihre Sucht

fehlte, sind sie auf Heroin umgestiegen, mit dem die

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mexikanischen Drogenkartelle den amerikanischen Markt billig

fluten. Oder auf Crystal Meth.

O-Ton 62 Sheriff Martin West, 0:39min

„We’re having an increase of meth labs… … in a confined area.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Letztes Jahr haben wir sieben Laboratorien hoch genommen, in

denen Meth hergestellt wurde. Davon zwei mobile: eins im

Kofferraum eines Autos, das andere im Rucksack eines

Radfahrers. Die Methode nennt sich Shake’n’Bake: Die

Chemikalien kommen in eine Plastikflasche, werden geschüttelt

und anschließend erhitzt. Oben ist ein Filter drauf, damit Luft

entweichen kann und das Ganze nicht in die Luft geht. Wenn es

explodiert, kann es alle in der näheren Umgebung töten.“

Erzähler Sheriff West bleibt vor einem Schild stehen: Sackgasse. Rechts

zweigt ein Feldweg ab.

O-Ton 63 Sheriff Martin West, 0:13min

„There’s another part… …devastated by drugs and ransom.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Da geht’s nach War. Der Ort wurde in den letzten Jahren

geradezu von Drogen verwüstet.“

Regie düsterer SFX-Drone

Erzähler In War ist kaum ein Haus unbeschädigt: Mal fehlt ein Fenster, mal

eine Tür, mal hängen lose Sparren herab, mal klafft ein Loch in

der Außenwand. Überall liegen Müll und Schutt herum. Und es

riecht faulig, irgendwo kocht wohl jemand Meth auf.

Erzähler Die Menschen in War könnten einem Film von David Lynch

entsprungen sein: Fettleibige und Spindeldürre, Zahnlose und

Amputierte, Mütter, die kaum dem Kindesalter entwachsen sind,

und greisenhafte Mittvierziger. Die einen mit flackernden Augen,

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die anderen den Blick starr auf den Boden gerichtet.

Regie Atmo 13 (War Fest) + Atmo 14 (Clinch)

Erzähler In War ist heute Straßenfest. Auf einer improvisierten Bühne eine

Bluegrass-Band. Sie spielt „My Clinch Mountain home“ von der

Carter Family, den Pionieren der Countrymusik.

Das Lied handelt von Liebe zu einer Bergregion drüben in Virginia,

auch so eine arme Gegend. Auf einem Klappstuhl sitzt James

Richards: unrasiert und bis zum Hals tätowiert, die Baseballkappe

tief ins Gesicht gezogen, Eigentlich will er gar nicht hier sein.

O-Ton 64 James, 0:25min

„It might be 75%… … or whatever.“

Sprecher 10 Voice Over James

„In War sind drei von vier Leuten auf Drogen, in ganz McDowell

vielleicht die Hälfte. Deshalb wirst du da immer wieder rein

gesogen. Ständig läufst du in alte Freunde rein. Und wenn du

Geld hast, heißt es: Lass uns ne Kiste Bier kaufen oder andere

Sachen.“

O-Ton 65 James, 0:26min

„I was in a lotta stuff… … I have a son on the way.“

Sprecher 10 Voice Over James

„Ich stecke in `ner Menge Mist. Ich war schon im Knast. Schwerer

Diebstahl. Ein Jahr und ein Jahr Bewährung. Auch mein Vater war

mal drin, mal draußen. Jetzt sitzt er lebenslänglich. Ich hatte keine

gute Erziehung. Aber jetzt will ich mein Leben ändern. Ich werde

bald Vater.“

Erzähler James Richards lächelt. Ein seltsames Lächeln ist das, mit fast

unmerklich hochgezogenen Mundwinkeln und unbeteiligten

Augen. Statt Zuversicht drückt es Resignation aus.

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Regie Atmo 15 (Welch News 3)

Erzähler Abends bei den Welch News. Missy und Derek sitzen beisammen.

Rauchend.

O-Ton 75 Missy, 0:19min

„Why they voted for Trump…. …to support your family.“

Sprecherin 2 Voice Over Missy

„Warum die Leute hier Trump gewählt haben? Das ist ein

Kohlerevier. Die Leute wollen Jobs.

Und die Jobs im Bergbau sind die bestbezahlten hier. Du kannst

direkt nach der Highschool anfangen, auch ohne Abschluss, und

machst genug Geld, um eine Familie zu ernähren.“

Regie Atmo 16 (Zug Signal) + Atmo 17 (Zug)

O-Ton 77 Derek Tyson, 0:06min

„If Trump said..… have voted for him as well, you know..“

Sprecher 9 Voice Over Derek Tyson

„Wenn Trump gesagt hätte, er würde Zeitungen fördern, hätte ich

auch für ihn gestimmt.“

Erzähler Draußen fährt ein Güterzug vorbei. Voll beladen mit Kohle.

O-Ton 78 Missy 0:18min

„It’s hard for me to say…. …not sure who.“

Sprecherin 2 Voice Over Missy

„Schwer zu sagen, ob Trump geliefert hat, weil der Bergbau immer

ein Auf und Ab ist. Außerdem gibt’s so viele kleine Bergwerke.

Das eine stellt 200 Leute ein, ein anderes feuert 400, eine drittes

schafft 25 Jobs. Es gibt bestimmt einen, der den Überblick hat.

Aber keine Ahnung wer das ist.“

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Erzähler Weil das so ist, lässt sich leicht behaupten, die Bergleute hätten

wieder Arbeit. Es ist noch nicht einmal gelogen. Aber wenn man

sich die Entwicklung über einen längeren Zeitraum ansieht, dann

werden es immer weniger.

O-Ton 79 Derek Tyson, 0:09min

„All the coal companies… … every once in a while.“

Sprecher 9 Voice Over Derek Tyson

„Die Bergwerke rücken die Zahlen einfach nicht raus. Aber schön,

ab und an mal wieder einen Zug oder einen Laster mit Kohle zu

sehen.“

Regie Atmo 18 (Tankstelle)

Erzähler Aaron Coulthart legt eine Tüte auf dem Dach seines Wagen ab.

Sein Abendessen: ein Sandwich, footlong, 30 Zentimeter lang.

Jetzt noch tanken.

Erzähler Aaron ist groß und schlank, das Haar millimeterkurz rasiert.

Gesicht und Haare sind schwarz - wie bei allen, die hier tanken,

Zigaretten, Bier oder Sandwiches kaufen. Es ist halb fünf

nachmittags: Schichtende in den Zechen in McDowell - die

Kohlekumpel sind auf dem Heimweg.

Regie Atmo Autofahrt

O-Ton 80 Aaron, 0:13 min

„I got at the mine… … whatever they want I get.“

Sprecher 3 Voice Over Aaron

„Gegen fünf Uhr morgens war ich an der Zeche, um sechs bin ich

eingefahren. Normalerweise arbeiten wir nur neun Stunden, aber

was soll’s, ich mach’, was sie wollen.“

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O-Ton 81 Aaron, 0:15 min

„I work 2 weeks day… … I function better on evening shift.“

Sprecher 3 Voice Over Aaron

„Ich hab’ im Wechsel zwei Wochen Früh- und zwei Wochen

Spätschicht, Tage die Woche. Frühschicht finde ich besser, weil

ich meine Tochter wenigstens kurz sehe, aber auf der Spätschicht

funktioniere ich besser.“

Erzähler Aaron lebt bei seiner Mutter. Er hat vor Gericht das Sorgerecht für

seine Tochter erstritten. Deren Mutter? Ist irgendwie abhanden

gekommen. Mehr will er dazu nicht sagen.

Regie Auto fährt hupend vorbei mit Doppler-Effekt

O-Ton 82 Aaron, 0:03 min

„God, buddy, turn your fucking lights on!“"

Erzähler Beinahe ein Unfall. Beim Abbiegen ist Aaron ein Waagen

entgegen gekommen – ohne Licht. Aaron reibt sich die Augen. Er

ist müde.

O-Ton 83 Aaron, 0:46 min

„I love doin’… … I’ have to pay for through that company.“

Sprecher 3 Voice Over Aaron

„Ich liebe meinen Job. Aber ich habe kaum Zeit für meine Familie.

Wenn ich nach Hause komme, bin ich todmüde. Um sieben gehe

ich ins Bett, um vier stehe ich auf und fahre wieder zur Arbeit.

Andererseits verdiene ich dieses Jahr inklusive Überstunden

knapp 90.000 Dollar. Plus Sozialleistungen: Krankenversicherung,

Zahnbehandlungen, Lebensversicherung. Alles gratis. Bei

anderen Jobs müsste ich dafür zahlen.“

Erzähler Natürlich weiß Aaron, das die Tage des Kohlebergbaus gezählt

sind. Die Zukunft gehört erneuerbaren Energien. Aber er braucht

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den Job. Für seine Familie: Mutter, Tochter, zwei minderjährige

Geschwister. Einen Teil des Geldes legt er zur Seite.

O-Ton 84 Aaron, 0:09min

„Rainy days… … Something always happens“

Sprecher 3 Voice Over Aaron

„Für schlechte Zeiten. Irgendwas passiert doch immer.“

Regie Atmo 20 (Subway)

Erzähler Der nächste Tag. Ein letztes Mal Mittagessen mit Sheriff Martin

West. Nicht im McDonalds, nicht im Sterling Diner, dem einzigen

richtigen Restaurant in McDowell. Sondern im Subway. Ist

leichtere Kost, sagt er.

Regie Atmo 20

O-Ton 85 Sheriff Martin West, 0:34min

„We need basic infrastructure… … Any means a lot right now.“

Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Was wir brauchen, ist grundlegende Infrastruktur. Wir haben die

meisten oder zweitmeisten Drogentoten im ganzen Land, aber

keine darauf spezialisierten Praxen. Wir haben keine

Hochschulen, auf denen die Leute eine bessere Ausbildung

bekommen. Wir haben noch nicht einmal einen richtigen Highway.

Wir brauchen Infrastruktur, um Firmen anzusiedeln. Damit es

andere Jobs gibt als bei McDonalds oder in den Gefängnissen.

Jeder Job zählt.“

O-Ton 89 Sheriff Martin West, 0:23min

„I recently went to Charleston… …. … Help us to help ourselves.“

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Sprecher 1 Voice Over Sheriff Martin West

„Ich bin neulich von Charleston mit einer Gruppe nach

Washington. Wir haben mit Abgeordneten und Senatoren

gesprochen. Und mit Kellyanne Conway, der Beraterin von

Präsident Trump. Über die Drogenepidemie und die anderen

Probleme. „Machen Sie McDowell zum Pilotprojekt“, habe ich

gesagt. „Helfen Sie uns, damit wir uns selbst helfen können.“

Erzähler Sheriff West schiebt sein Sandwich zur Seite, der Appetit ist ihm

vergangen. Seit zehn Jahren kämpft er für McDowell. Erfolglos.

Regie Musik „Buried“ von Shlohmo

Erzähler Ein Pilotprojekt?

Im Grunde ist McDowell das bereits, nur anders als der Sheriff es

sich wünscht. Für die vernachlässigten Gegenden dieser Welt.

Fürs Ruhrgebiet und die Lausitz, für den Mezzogiorno in Italien

und den Norden Frankreichs, für Podlachien und das

Karpatenvorland in Polen. Aber auch für die Favelas und die

Vorstädte in Brasilien. McDowell zeigt, wohin es führt, wenn Politik

nicht für die Menschen gemacht wird.

Regie „Hydraulic Lift“ von Johann Jóhannsson

O-Ton 90 Derek Tyson, 0:16min

„We fell in love with this place… … easier to see the progress.“

Sprecher 9 Voice Over Derek Tyson

„Wir lieben McDowell wie es is, nicht wie es war. Wenn man es

aus diesem Blickwinkel sieht, ist es nicht so frustrierend, man sieht

auch Fortschritte.“

O-Ton 91 Jonathan, 0:24min

„A lot of people see decay… big part in this area..“

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Sprecher 7 Voice Over Jonathan

„Die meisten sehen hier nur Niedergang. Aber ich seh

Veränderung, wie den Wechsel der Jahreszeiten. Vielleicht ist

Tourismus unsere Zukunft. Wir haben so viel schöne Natur zu

bieten. Tourismus könnte ein Faktor für uns sein.“

O-Ton 92 Felicia, 0:15min

„My dream?… … It’s just a broken system“

Sprecherin 4 Voice Over Felicia

„Mein Traum?… Echt schwere Frage…. Ich möchte mich

ausklinken. In einer Holzhütte in den Bergen leben. Auf das

System vertraue ich nicht mehr. Es ist kaputt.“

Absage American Hollow

Wie Amerikas ärmste Gemeinde ums Überleben kämpft

Ein Feature von Tom Noga

Es sprachen: Philipp Moog, Oliver Nägele, Marlen Reichert, Aurel

Manthei, Diana Gaul, Peter Weiß, Marina Marosch, Roland

Schreglmann und Jakob Geßner.

Regie: Martin Heindel

Ton & Technik: Adele Kurdziel

Redaktion: Till Ottlitz

Die Recherchen für dieses Feature wurden durch ein Stipendium

der Filmstiftung NRW gefördert.

Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks mit dem

Deutschlandfunk 2019.