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Feldwebel Meister ihres Fachs

Feldwebel-Buch 2011 Web

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Feldwebel

Meister ihres Fachs

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Impressum

Herausgegeben 20102. Auflage 2011im Auftrag des Inspekteurs des HeeresdurchBundesministerium der Verteidigung,Führungsstab des Heeres, Bonnin Zusammenarbeit mitHeeresamt undHeeresführungskommando

Verantwortlich für den Inhalt:Brigadegeneral Ernst-Peter Horn

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Inhaltsverzeichnis SeiteEinführung: „Ein Spieß erzählt“ 10

Grußwort Inspekteur des Heeres 13

Was zeichnet den Feldwebel besonders aus? 18

Feldwebel – jeder Buchstabe eine Tugend 27

➢ FührungswilleAbgeschnitten 28

➢ EigenverantwortlichkeitDer Tag, den ich nie vergessen werde 34

➢ LeistungsbereitschaftIch will! 41

➢ DisziplinHeute schon kontrolliert? 49

➢ WissenAuftrag erfüllt! 52

➢ EntschlossenheitPlötzlich Führer 57

➢ BelastbarkeitSprengfalle 61

➢ EinfühlungsvermögenFürsorge im Einsatz 65

➢ LoyalitätDas geht ja gut los! 70

Die fünf „H“s 74

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Erfahrungen und LehrenWir als militärische Führer

➢ Frisch vom Lehrgang 78

➢ Vorbereitung ist die halbe Übung 81

➢ Angriffsbeginn 94

➢ Feldwebel in der AllgemeinenGrundausbildung 106

➢ Beschuss bei der Schiffsentladung 122

➢ Gefährliche Routine 147

➢ Kontrolle! 154

➢ Lehrgang Überleben im Einsatz 165

➢ Die Bergtour 180

➢ Der Brückenunfall 195

➢ Das Ende einer Übung 202

➢ Hubschrauberinstandsetzung im Einsatz 227

➢ Team HOTEL 236

➢ Vermisst 241

➢ Noch mal gut gegangen 247

➢ Konvoi 262

➢ Vertrauen Sie mir einfach! 280

➢ Bei einer verletzten Seele hilft keinDruckverband 289

➢ Warum hat der Truppenpsychologekeine Couch? 294

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Mit Ausbildung und Erziehung zum Erfolg➢ Leben in der Lage – der Förster 86

➢ In English, please! 113

➢ Wir hatten doch keine Bilder im Kopf! 136

➢ Denken – Drücken – Sprechen 150

➢ Drillausbildung 162

➢ Der Logistiker als Missionar 183

➢ Individuelle Grundfertigkeiten 192

➢ Jeder an seinem Platz 210

➢ Tactics, Techniques and Procedures –der Running Pass 231

➢ Ein Tag auf der Konstanzbahn 238

➢ Ausbildung im Einsatz für den Einsatz 243

➢ Das DAB – ein guter Brauch 251

➢ Ausbildungsende – wenn Sie es nocheinmal machen könnten 271

Wir können alles➢ Der Brigadewaldlauf 97

➢ Elbehochwasser 2002 101

➢ Internationale Küche 133

➢ Der Bergeeinsatz 142

➢ Der gelernte Seemann 169

➢ Instandsetzung einer Beinprothese 174

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➢ Aufbau der Bundeswehr in den neuenBundesländern 176

➢ Potenzialfeststellung 198

➢ Welcome to NATO 213

➢ Improvisation ist alles 217

➢ Der Conficker 255

➢ Integrierte Verwendung 278

➢ Afrika – ein Tag auf der heißenBaustelle 285

➢ Die Oderflut 298

Schicksalsschläge➢ Tote und Verletzte beim

Eisenbahntransport 89

➢ Sportunfall mit Folgen 117

➢ Tod auf dem Heimweg 126

➢ Und die Erinnerung bleibt 224

➢ Wenn es auf das „Warum?“ keineAntwort gibt 265

Mehr als nur Dienst➢ Zum Zapfenstreich Heroin 110

➢ Der Vorgesetzte als Bezugsperson 152

➢ Perspektivwechsel 186

➢ Private Probleme 259

➢ Das Unteroffizierheim 304

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Du bist Feldwebel 308

Der Feldwebel im Wandel der Zeit 317

Ehrenmal des Deutschen Heeres 321

Unseren toten Kameraden 324

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Draußen schieben sich langsam die Wolken vor dieSonne, Wind kommt auf, es wird sicherlich gleich nochmal regnen, bevor der Abend anbricht. Der Kompanie-feldwebel schaut durch das Fenster des Einheitszeltsund wundert sich einmal wieder, dass es schon eine ko-mische Stimmung ist, wenn es eigentlich kalt sein sollte,so mit Schnee und mindestens ein paar Grad Minus.Aber dieser Winter ist ganz anders. Aus den Augenwin-keln sieht er den verschwommenen Glanz einer Lichter-kette, viele kleine Sterne, schön bunt und blinkend. AmWeihnachtsbaum hängen kleine Zettel, jeder mit einerSchleife. Er setzt sich wieder an den Biertisch, nimmtseinen Fineliner und schreibt seinen Wunsch zu Ende:„... und nächstes Jahr bitte keinen Einsatz. Mehr Zeit fürdie Familie.“Er geht zur Theke und holt sich ein Stück Schnur, daspricht ihn von hinten einer an, „Na, Herr Oberstabs-feldwebel, mit den Gedanken auf dem Sonnendeck?“Oberfeldwebel Krüger steht vor ihm. Am Sonntag ist erbefördert worden, wieder einer von den „Neuen“. Eskommt ihm vor, als wäre es erst gestern gewesen, dassder junge Soldat von seinem Feldwebellehrgang kom-mend, sich bei ihm zurückgemeldet hat. Mensch, wie dieZeit vergeht. Er denkt an seinen eigenen Werdegang, derihn bis an diesen Ort geführt hat. Das Wetter war auchähnlich wie jetzt. Die Feuchtigkeit kroch langsam in dieKnochen, als er die Halle des Koblenzer Bahnhofs ver-ließ, den Einberufungsbescheid gefaltet in der Tasche… da reißt Oberfeldwebel Krüger ihn schon wieder ausseinen Gedanken. „Spieß, ich muss mal mit Ihnen reden,haben Sie noch Zeit für’n Kaffee?“ Der Kompaniefeld-

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webel kommt fast gar nicht zu Wort, „Ja, klar, aber derKaffee geht auf mich.“ Von draußen strömen jetzt immermehr Soldaten in das Betreuungszelt, schütteln dieRegentropfen ab und grüßen den „Spieß“. Gemeinsammit Krüger setzt er sich hin und der Oberfeldwebel legtlos; „Ich brauch’ da ’mal ’n Tipp, Sie wissen doch, ichwill doch den Antrag auf BS abgeben und jetzt überlegeich, ob das die richtige Entscheidung ist.“Der Kompaniefeldwebel schaut ihn lächelnd an. Jaja,das mit dem Soldatenberuf, darüber hatte auch er sichviele Nächte den Kopf zerbrochen – im Kameradenkreis,alleine, mit der Freundin (seiner jetzigen Frau). „Ja,Oberfeldwebel Krüger, erzählen Sie doch mal.“ Dastockt der Oberfeldwebel plötzlich, so forsch, wie ereben noch erschien, ist er jetzt nicht mehr. Der Kompa-niefeldwebel nickt ihm auffordernd zu. „Also“, fängtOberfeldwebel Krüger an, steht aber plötzlich auf undnimmt sein G 36, „äh, Spieß, tut mir leid, ich melde michmorgen noch mal bei ihnen.“ Und schon ist er ver-schwunden. Der Kompaniefeldwebel nimmt nachdenk-lich seine Kaffeetasse. So ein richtig offenes Gesprächist schon schwer, denkt er sich. Er kann sich nur nochverschwommen daran erinnern, wie er solche Gesprä-che mit seinen Vorgesetzten gesucht hat. Manchmal wares einfacher mit einem älteren Kameraden zu reden.Auf dem Weg zum Gefechtsstand denkt er noch mal überden Oberfeldwebel nach: Morgen wird er versuchen, mitihm ins Gespräch zu kommen. Vor dem Gefechtsstandsteht der Chef und winkt ihn zu sich: „Mensch, Spieß,wo waren Sie denn so lange?“ „Herr Hauptmann, ichhabe im Betreuungszelt mit Oberfeldwebel Krüger ge-

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sprochen. Ich schnappe mir mal unsere Unteroffiziereund erzähle etwas zum Berufsverständnis. Ich glaube,ich werde mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plau-dern, ich hab’ da so eine Idee …“

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Das Heer befindet sich im Einsatz – schon seit vielenJahren. Dabei erleben unsere Soldaten täglich neue Si-tuationen und Herausforderungen.Ob im Einsatz oder im täglichen Dienstbetrieb, in Aus-bildung und Übungen, ich blicke auf unsere Soldatenund auf ihre Führer. Insbesondere die Feldwebel fallenmir dabei ins Auge. Sie machen das Heer zu dem, wases ist. Sie sind die Träger der Kontinuität – dort wo dasHerz des Heeres schlägt: In den Einheiten und Verbän-den des Heeres.

Mit Ihrer Entscheidung für die Feldwebellaufbahn ha-ben Sie sich bereit erklärt, deutlich mehr an Verantwor-tung und damit auch an Strapazen und Entbehrungen zuübernehmen. Feldwebel sind und bleiben das Rückgratunseres Heeres.Niemand sonst ist so nah an der Basis, hat so lange Steh-zeiten und damit auch soviel Erfahrung auf den Dienst-posten wie Sie. Wer sonst spürt die Umsetzung von Be-fehlen so direkt in der Durchführung als das Bindegliedzwischen Offizieren und den Mannschaften. Von Pro-blemen und Stimmungen erfahren Portepeeunteroffizie-re mit als Erstes.

Grußwort des Inspekteursdes Heeres,

Generalleutnant Werner Freers

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Wie viele bin auch ich zunächst von einem Feldwebelausgebildet worden, meine ersten Ansprechpartner invielen Fragen waren erfahrene, gestandene Feldwebel.Einer von ihnen ragte besonders heraus: der „Spieß“.Als lebensälterer Kamerad hatte er immer ein offenesOhr für die Anliegen seiner Untergebenen und einen Lö-sungsansatz parat, meistens untermauert mit einer Ge-schichte, die er selbst erlebt hat. Und er war mehr alsdas: Er war und ist der Führer des Unteroffizierkorpsseiner Einheit.Feldwebel haben seit jeher vielfältige Aufgaben. Vomjungen Feldwebel bis zum Oberstabsfeldwebel beklei-den sie verantwortungsvolle Dienstposten und arbeitenhäufig mit Gerät im Wert von Millionen Euro. Dashöchste ihnen anvertraute Gut aber ist der Mensch, sinddie Soldaten, die der Staat in ihre Obhut gibt.Diese Soldaten sind bereit, unserem Land zu dienen: un-ter Inkaufnahme von Belastungen und Gefahren, ja so-gar unter Einsatz des Lebens, wenn es darauf ankommt –so wie wir es in unserem Eid geschworen haben.Unsere Soldaten verdienen es, für ihre Einsätze und diedortigen Aufgaben bestmöglich ausgerüstet und ausge-bildet zu werden.Die Ausrüstung und die Rahmenbedingungen für dieAusbildung stellt der Dienstherr, für Durchführung undQualität der Ausbildung ist an erster Stelle der Feldwe-bel verantwortlich. Er lebt mit seinen Untergebenen, ge-rade im Einsatz, von früh bis spät, stets aufmerksam undhelfend – aber auch mit klarem Führungsanspruch undmit eindeutigen Befehlen, wenn es die Situation erfor-dert.

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Gute Führer werden selten als solche geboren, sie wer-den geformt. Geformt durch Vorbilder, die richtigesFührungsverhalten vorleben und durch eigene Erlebnis-se gerade in herausfordernden Situationen. Einen gutenFührer zeichnen besondere Tugenden aus. Diese Tugen-den werden im weiteren Verlauf des Buches beschriebenund anhand von Beispielen wiedergegeben. Gemeinsa-me Tugenden, gemeinsame Wertvorstellungen und einenger kameradschaftlicher Zusammenhalt sind die Fun-damente, auf denen unser Heer ruht.Im Laufe der nächsten Jahre werden auch Sie solche Er-fahrungen sammeln. Und Sie werden zusätzliche Aufga-ben übernehmen – auch Führungsaufgaben. Sie werdenbefördert und gefordert werden, zunehmend mehr Ver-antwortung bekommen und zum Meister ihres Fachs he-ranreifen. Dann werden andere auch zu Ihnen aufbli-cken, sich an Ihnen orientieren – gerade wenn es darumgeht, unter Belastungen und Gefahren gemeinsam zu be-stehen.Es gibt nur wenige Berufe, die so verantwortungsvoll,fordernd und abwechslungsreich sind wie der des mili-tärischen Führers. Genauso einmalig sind aber auch dieMöglichkeiten, die er bietet: von der Ausbildung übergemeinsame Erlebnisse bis hin zum wechselseitigenVertrauen und zur gelebten Kameradschaft.Dabei werden Sie erleben, dass Verantwortung auch im-mer einhergeht mit Gestaltungsfreiräumen.Wir wollen Sie auf Ihre Zukunft als Träger von Verant-wortung, als Führer und Gestalter im Heer vorbereiten –durch gute und fordernde Ausbildung und auch durchdieses Buch.

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Dazu wurde eine Gruppe älterer, erfahrener Feldwebelbeauftragt, ein Buch von Feldwebeln für Feldwebel zuerstellen. Sie haben aus ihren Reihen Beiträge von Ka-meraden gesammelt und eine Rahmenhandlung ge-schaffen. Viele persönliche Erlebnisse, viel Erfahrungmit den Aufgaben und Herausforderungen des Feldwe-bels sind hierbei eingeflossen: Erfahrungen und Erleb-nisse aus Einsatz, Übung und Ausbildung bis hin zu Er-lebnissen aus dem täglichen Dienst. Viele Überlegungenzu richtigem Verhalten, zu den Tugenden des Feldwe-bels als Führer, Ausbilder und Erzieher – als Meister sei-nes Fachs.Zum soldatischen Selbstverständnis gehört auch das Ge-schichtsbewusstsein. Nur wer weiß, woher er kommt,entwickelt ein Verständnis davon, wohin die Reise geht.Deshalb finden Sie beispielsweise einen Beitrag zurEntwicklung des Unteroffizier- und Feldwebeldienst-grades in deutschen Streitkräften. Daher finden Sie aucheinen weiteren Beitrag zum Ehrenmal des DeutschenHeeres – einem besonderen Ort der Erinnerung und desNachdenkens über die Wertegrundlagen und Anforde-rungen unseres Berufes.Folgen wir nun dem „Spieß“. Er führt uns durch diesesBuch und Sie erfahren mehr über die besonderen Merk-male Ihres Berufs. Dieser „Spieß“, Ihre älteren Feldwe-belkameraden des Heeres – und ich: Wir wollen Sie er-muntern, gemeinsam über die Grundlagen Ihres Berufesnachzudenken.

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Viel Vergnügen bei der Lektüre „Ihres Buches“.

Im September 2010

FreersGeneralleutnantInspekteur des Heeres

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Was zeichnet den Feldwebel besonders aus?

Da sitzen sie nun, der Kompaniefeldwebel schaut indie Runde und versucht mit Blickkontakt das Eis zu bre-chen. Einige lächeln zurück, andere haben ihren panzer-brechenden Blick aufgesetzt, teilweise düster: Was willdenn der Spieß jetzt schon wieder von mir?

„Ich habe Anfang der 80er Jahre auf meinem Feldwe-bellehrgang das Rüstzeug zum Feldwebel beigebrachtbekommen. Um im Alltag zu bestehen, musste ich nocheiniges an Erfahrung sammeln. Aber durch aufmerksa-mes Beobachten lernte ich sehr viel von den Erfahrun-gen meiner älteren Kameraden …“Der Feldwebel ist der Führer, Ausbilder und Erzieherseiner Soldaten – damit ist alles gesagt und nichts kon-kret ausgedrückt. Was bedeutet das, nicht nur für denjungen Feldwebel? Gibt es eine Taschenkarte, dieStrichaufzählungen liefert? Was beinhalten die Grund-sätze zeitgemäßer Menschenführung, was sind dieGrundsätze der Inneren Führung? Es gibt Vorschriften,Ausbildungshilfen, Schriftenreihen, Schnellbriefe, Wei-sungen und Erlasse, die sich mit diesen Themen beschäf-tigen. Schwierig, alle zu lesen und noch schwieriger, al-le zu beachten.Als Soldat im 31. Dienstjahr, Oberstabsfeldwebel undKompaniefeldwebel möchte ich versuchen, einige kurzgefasste Hinweise zu geben. Genauer: Drei allgemeingefasste Grundprinzipien, die eigentlich Binsenweishei-ten sind, oder es zumindest in der Bundeswehr sein soll-

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ten, die mich bei der Erziehung und Führung meinerSoldaten leiten.

Zunächst: Vorbild sein. Na ist doch klar, das weiß dochjeder! Wirklich? Was heißt das denn eigentlich konkret?Das heißt zunächst einmal, dass ich mein Handwerkverstehe. Dass ich mir auch bei der hundertsten Wieder-holung einer Ausbildung nicht zu schade bin, noch ein-mal in die Vorschrift zu schauen. Das heißt zum Beispiel,jeden Morgen korrekt rasiert, mit sauberem Anzug undsauberem Stiefelputz, vor seine Soldaten zu treten. Wirk-lich jeden Morgen, auch dann, wenn man unausgeschla-fen, gestresst oder in Eile ist. Der Ausbilder, der cooleSprüche bei der Spindkontrolle seiner Soldaten klopft,muss jederzeit seinen Soldaten erlauben können, einenBlick in seinen Spind zu werfen. Das wiederum heißt,nach einer Ausbildung oder Übung den Spind sofortwieder aufzuräumen – nicht erst morgen, wenn ich wie-der ausgeruht bin.Das, was ich von meinen Soldaten verlange, muss immerjeweils Maßstab meines eigenen Handelns sein. So trivi-al dieser Grundsatz klingt, so schwierig ist er durchzu-halten, denn ich bin in allem was ich tue oder unterlas-se immer ein gutes oder schlechtes Vorbild.Da dieser Grundsatz nicht so einfach durchzuhalten ist,heißt das im Umkehrschluss, dass ich meinen Unterge-benen die menschlichen Fehler und Unzulänglichkeitenzugestehen muss, die ich mir selber als normaler undfehlerbehafteter Mensch auch erlaube, ja erlaubenmuss. Das heißt, ich führe mich als Vorgesetzter nichtauf, als bräche die Welt zusammen, wenn ich einen Feh-ler bei meinen Untergebenen bemerkt habe.

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Ein weiterer Grundsatz ist, dass ich in der Lage seinmuss, meine Anweisungen oder Befehle erklären und be-gründen zu können, wenn es Zeit und Lage erlauben. Esist schlechter Führungs- und Erziehungsstil einfach zusagen: Das ist so, weil ich es so will oder es so befohlenhabe! Denn erst in der Begründung meines Befehls liegtdie Möglichkeit für den Untergebenen zum Verständnisder Zusammenhänge und eventuell zur Gegendarstel-lung und damit die Gelegenheit, den von mir zu verant-wortenden Auftrag unter Umständen mit noch besseremErgebnis auszuführen. Zudem verschwenden Sie als Vor-gesetzter Ressourcen, wenn Sie auf die Mitarbeit IhrerUntergebenen verzichten. Gleichzeitig gibt mir dasDurchdenken einer Begründung die Möglichkeit zur Re-flexion meiner Absichten. Muss es wirklich so durchge-führt werden, oder geht es auch anders? Der Grundsatzder Erklärung und Begründung gilt noch mehr, wenn icheine „Erzieherische Maßnahme“ aussprechen will. Istdie Maßnahme einmal vorschnell ausgesprochen undsuche ich anschließend mühsam eine Begründung, ver-spiele ich Autorität und, was fast noch schlimmer ist, ichverspiele Vertrauen.

Zu guter Letzt haben meine Untergebenen das Recht,von mir als Persönlichkeiten respektiert zu werden. Dasheißt, der Untergebene hat ein Recht auf seine Persön-lichkeit. Er hat zum Beispiel ein Recht, sensibel zu seinund es steht mir nicht zu, ihn dafür zu kritisieren. EinGrundwehrdienstleistender dient aufgrund seiner Ein-berufung und ein Zeit- oder Berufssoldat wurde von dendafür zuständigen Stellen beziehungsweise Vorgesetzten

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für fähig erachtet, den Dienst in der jeweiligen Lauf-bahn bei der Bundeswehr zu leisten. Daraus folgt fürmich als Vorgesetzter, dass ich meine mir unterstelltenSoldaten als solche zu akzeptieren habe, ob mir ihr We-sen nun gefällt oder nicht. Dies heißt freilich nicht, dassich jedes Verhalten, welches aus dem jeweiligen Weseneiner Persönlichkeit resultiert, akzeptieren muss.Und wie respektiere ich nun eine Persönlichkeit? Indemich ihr die Wertschätzung entgegen bringe, die ich auchselbst von meinen Vorgesetzten für mich erwarte. DerTon macht die Musik oder wie man in den Wald ruft, soschallt es heraus, sagt der Volksmund so treffend. Ge-wöhnen Sie sich beispielsweise an die richtige Anrede:Es heißt nicht, Meier oder Müller, auch nicht, Herr Mei-er oder Herr Müller, sondern zum Beispiel, Herr Haupt-gefreiter Meier, oder Herr Stabsunteroffizier Müller.Auch Ihre Untergebenen haben sich ihren jeweiligenDienstgrad erdient. Lassen Sie auch das unreflektierte,allgemeine Duzen. Diese Art des Duzens schafft keinVertrauen, sondern zerstört gegenseitigen Respekt. Esist zudem nur zu wahr, dass es sich leichter sagt, DuIdiot, als, Sie Idiot!Weiter: Spott und Ironie sind im Umgang mit Unterge-benen genauso fehl am Platze wie der unachtsame Um-gang mit dem Erlass Erzieherische Maßnahmen.Die Vorgesetzten, die die Abwesenheit von Tadel als Lobverstehen, machen es falsch. Der Tadel kommt erstdurch die Anwesenheit von Lob richtig zur Geltung undumgekehrt. Fragen Sie sich, wann Sie das letzte Malpersönlich oder vor der Front gelobt worden sind. Wenndas schon lange nicht mehr vorgekommen ist, Sie aber

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dennoch befördert oder gefördert wurden, zum Beispieldurch die Feldwebelausbildung, dann kann das ein Indizdafür sein, dass Ihre Vorgesetzten den Erlass „Erziehe-rische Maßnahmen“ nicht korrekt anwenden. Folgen Sieals Feldwebel nicht diesem Beispiel. Lassen Sie sich beider Führung Ihrer Untergebenen immer von demGrundsatz leiten: Was ich nicht will, das man mir tu’,das füg’ ich keinem anderen zu!

Und wenn Sie mal gegen einen der drei hier beschriebe-nen Grundsätze verstoßen haben, dann ist das nicht tra-gisch, sondern zeigt, dass auch Feldwebel nur Menschensind. Wenn Sie sich dann bei einem Untergebenen ent-schuldigen, zeugt das nicht von Schwäche, sondern vonCharakter und stärkt das Vertrauen in Sie und Ihre Au-torität.

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Der Spieß erzählt weiter. „Im Laufe der Zeit habe ichmir ein kleines Modell zurecht gelegt, mit dem ich mirimmer wieder vor Augen führe, worauf es im Kern an-kommt.Als Feldwebel sind Sie Vorgesetzte von Unteroffizierenund Mannschaften und als solche Führer, Ausbilder undErzieher.Stellen Sie sich die Eckpunkte ihres Feldwebelwinkelsals die drei Kernbereiche Ihrer Tätigkeit vor.Auf diese Weise haben Sie die Eckpunkte ihres Berufsstets vor Augen.

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Wer führen, ausbilden und erziehen darf und will, mussauf seinem Gebiet mehr wissen, mehr können und mehrleisten als seine Untergebenen.

Feldwebel sind militärische Meister, Fachleute und Spe-zialisten.

Der Feldwebel des Truppendienstes und der Feldwebeldes Allgemeinen Fachdienstes stehen gleichberechtigtnebeneinander und haben ein gemeinsames Berufsbild.Sie prägen die Leistung Ihres Teams oder der kleinenKampfgemeinschaft, indem Sie unmittelbar am Soldatenarbeiten und wirken.

Im Zentrum stehen das Führen und das Führen wollen.

Als Ausbilder geben Sie Ihre Kenntnisse und Fertigkei-ten weiter.

Als Erzieher vermitteln Sie Werte und Normen. Alleindurch Ihr Vorbild haben Sie schon den entscheidendenSchritt getan, die Einstellung und Haltung Ihrer Unter-gebenen in die richtige Bahn zu lenken.

Mit zunehmender Praxis und Erfahrung fällt Ihnen dasimmer leichter.

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Dies alles zeichnet Sie als Feldwebel besonders aus!

Das war nun sehr theoretisch. Was genau aber erwartenSie von einem guten Feldwebel? Welche Eigenschaftensollte er besitzen?Herr Feldwebel Meyer, teilen Sie die Karten aus! Jederschreibt nun mindestens ein Schlagwort auf eine Karte.Diese tragen wir dann zusammen ...

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... da sind ja eine ganze Menge Schlagwörter zusammengekommen. Das alles sind Eigenschaften, die die Quali-tät eines Feldwebels ausmachen.

Ihre Stichworte finden sich in folgenden Eigenschaftenund Tugenden wieder. Keine davon steht für sich alleine!Anhand der Buchstaben des Wortes Feldwebel möchteich sie beispielhaft verdeutlichen ...“

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Feldwebel – jeder Buchstabe eine Tugend

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FührungswilleVerantwortungsbewusste Feldwebel kennzeichnet, dasssie die ihnen unterstellten Soldaten kennen, sie fürsorg-lich behandeln und ihr eigenes Handeln an soldatischenWerten und Normen ausrichten.Feldwebel leben beispielgebend vor, was sie von ihrenUntergebenen verlangen.Führung ist das richtungweisende Einwirken auf dasVerhalten anderer, um eine Zielvorstellung gemeinsamzu verwirklichen.Feldwebel übernehmen die Verantwortung für die da-raus resultierenden Folgen.

Abgeschnitten!

Das 17. (DEU) Einsatzkontingent ISAF im ProvincialReconstruction Team (PRT) Kunduz hatte im ZeitraumJuli bis November 2008 den Auftrag, die Sicherheit inNordafghanistan zu stabilisieren, um so ein sicheresUmfeld für den Wiederaufbau des Landes zu schaffen.Kern des PRT Kunduz war die Schutzkompanie mit ih-ren 220 Soldaten. Diese Kompanie bestand mit Masseaus Artilleristen, die neben der Kompanieführung vierZüge stellten. Ihnen angegliedert waren bis zu vier Zü-ge Fallschirmjäger. Während die vier „roten“ Züge ihrenHauptauftrag im Transport der CIMIC-Teams (Civil-Military-Cooperation), dem Stellen der EingreifreserveIRF (Immediate Reaction Force), der Flugfeldsicherung,

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der Lagerwache des Außenlagers Taloqan und der Teil-nahme an Operationen hatten, war es unter anderemAufgabe der Fallschirmjäger, den Nahbereich des La-gers durch auf- und abgesessene Patrouillen zu sichern.Dazu kam die Durchführung von weiteren Operationen.Die enge Zusammenarbeit zwischen Artilleristen undFallschirmjägern im Bereich der Feldwebeldienstgradewar geprägt von guter Kameradschaft und gegenseitigerUnterstützung, wo immer es ging.

Oberfeldwebel F., Angehöriger der Artillerietruppe,führt auf dem Potsdamer Platz im Feldlager Kunduz sei-ne x-te Befehlsausgabe durch. Als Patrouillenführer derSchutzkompanie eingesetzt, hat er, wie so oft, den Auf-

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trag, die CIMIC-Teams zu transportieren und diese wäh-rend ihrer Aufklärungsarbeit zu schützen. Dass dieserEinsatz gefährlich ist, wissen er und seine aus zwei Zü-gen zusammengesetzte Patrouille nicht erst seit dem Todeiniger der zur Kompanie gehörenden Fallschirmjäger.Die Soldaten sind angespannt. Einige erzählen später,dass sie schon vor dem Abmarsch ein ungutes Gefühlhatten.Unmittelbar vor der Befehlsausgabe verschafft sich derPatrouillenführer ein aktuelles Lagebild in der JOC(Joint Operation Center) und bei der J 2-Abteilung:„... die üblichen Verdächtigen ...“Obwohl sich die Meldungen über vermeintliche Hinter-halte und Selbstmordattentäter in Fahrzeugen wiederho-len und nie konkret zu sein scheinen, vertrauen alle aufdie Arbeit der J 2-Abteilung. Einem Hinweis oder einerWarnung nicht Rechnung zu tragen, kommt aufgrundder hohen Anschlagsdichte nicht in Frage.Alle Soldaten der heutigen Patrouille stehen im Halb-kreis um die am Kühler des DINGOS befestigte Karte.Das Ende des Kontingentes ist bereits deutlich in Sichtund nach ein bis zwei Patrouillen täglich wissen die Sol-daten der Schutzkompanie genau, was jetzt folgt. Unddennoch, Oberfeldwebel F. führt seine Befehlsausgabenach dem bewährten Schema vollständig und detailliertdurch. Feindlage ..., Eigene Lage ..., sauber ausformulierteAbsicht und die Durchführung mit dem Schwerpunkt:Verhalten bei IED (Improvised Explosive Device), Hin-terhalt, Ausfall. Eben alles wie immer. Und die Solda-ten? Sie hören immer noch zu. Jeder kann die Absichtwiedergeben. Nicht auswendig gelernt, sondern verin-

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nerlicht. So sind sie erzogen worden. So haben sie sichentwickelt.„Fragen?“ Niemand hat Fragen. Also fragt der Oberfeld-webel noch mal gezielt einige Punkte nach, bevor er auf-sitzen lässt. Die Patrouille besteht aus drei DINGOS,einem Transportpanzer (TPz) „Störsender“, einemTPz BAT (beweglicher Arzttrupp) und dem WOLF derCIMIC, welcher sich als viertes Fahrzeug zwischen Störerund BAT „versteckt“. Alle Fahrzeuge, bis auf denWOLF, werden durch Feldwebeldienstgrade geführt.Die Oberfeldwebel der DINGOS sind selbst Patrouillen-führer.Nach Verlassen des Feldlagers geht es zunächst dieBaumallee runter. Jetzt Richtung Norden nach Kunduz-City. Nachdem alle Fahrzeuge auf der Hauptstraße wiebefohlen eng aufgefahren sind, kommt die Meldungvom Schließenden: „Alles dran!“Die gut ausgebaute und zu dieser Uhrzeit stark befahre-ne Straße zeigt keine Auffälligkeiten.Fußgänger mit Esel, Motorräder, Toyotas (überwiegendweiße!), die nervigen Dreiräder und ein Kind machender bulligen Patrouille über den Seitenstreifen Platz.Zu diesem Zeitpunkt war niemandem der schwarz ge-kleidete afghanische Mann mit dem Mobiltelefon amOhr im Zuge der Allee aufgefallen. Wie auch, hier hatjeder ein Handy und immer Empfang. Heute geht mandavon aus, dass es sich um einen sogenannten „Spotter“gehandelt haben muss, der die Richtung der Patrouillean einen entgegenkommenden, blauen Toyota weiterge-geben hat.

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Die Patrouille verläuft planmäßig, ohne Besonderheiten –bis ein ohrenbetäubender, dumpfer Knall die Männeraufschrecken lässt.Die Explosion ist heftig. Sie ereignet sich zwischenStörsender und WOLF und zerreißt den blauen Toyotavöllig. Der Patrouillenführer erfasst die Situation undfordert sofort eine Meldung aller Fahrzeuge ab. DerWOLF ist am stärksten beschädigt, kann jedoch weiter-fahren.Nachdem Oberfeldwebel F. die Gewissheit hat, dass sei-ne Patrouille noch rollen kann, befiehlt er: „Durchsto-ßen!“. Der BAT schleift den Motorblock des Toyota mit,es können jedoch alle Fahrzeuge dem Befehl nachkom-men. Als die Patrouille ausreichend Abstand zum An-schlagsort gewonnen hat, entschließt sich Oberfeldwe-bel F. zum Roadblock (Straßensperre), befiehlt die Si-cherung und bereitet die Aufnahme der IRF vor. Erstjetzt zeigen sich die Auswirkungen der verheerendenExplosion. Die Reifen des WOLFS sind platt und zerris-sen, der Tank völlig ausgelaufen und alle Scheiben ge-sprungen. Auch die anderen Fahrzeuge sind zum Teilstark beschädigt. Der Schock sitzt tief, doch alle Solda-ten haben den Anschlag körperlich unverletzt überstan-den und beobachten in die befohlenen Richtungen. Diegeringe Absitzstärke der DINGOS und das unübersicht-liche Gelände rundherum zwingen die Unterführer derSchutzkompanie dazu, auch die Liaison and MonitoringTeams (LMT) sowie den Hauptbootsmann der Sanitätmit in die Sicherung einzubinden. Für die Kameradeneine Selbstverständlichkeit.

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Von einem Feldweg aus westlicher Richtung nähert sichein weiterer Toyota der Patrouille. Die Handzeichen derSicherungssoldaten, deren Zurufe und letztlich dieWarnschüsse, veranlassen den Fahrer nicht, die Ge-schwindigkeit zu verringern. Oberfeldwebel F. führt mitseinem Trupp zu dem jetzt auch der Sanitäter gehört,den Feuerkampf gegen das Fahrzeug. Treffer in Scheibeund Motorblock bringen den Toyota zum Stehen. DerFahrer kann zunächst entkommen, wurde aber später ge-stellt. Die anschließende Aufnahme der IRF verlief rei-bungslos.

Befehlsausgaben mögen sich wiederholen, Zeit bean-spruchen und Vorbereitung kosten, sie sind jedoch un-ser tägliches, unentbehrliches Handwerk und duldenkeine Schlamperei. Rasches Erfassen einer komplexenSituation und sofortiges Handeln sind keine „Hexerei“,sondern Resultat intensiver Ausbildung. Führen vonvorn stärkt das Vertrauen im Team und erzieht unsereSoldaten zu tapferen und selbstständigen Kameraden.Jeder Uniformträger muss im Einsatz seine Waffe be-herrschen und einsetzen können.

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EigenverantwortlichkeitFeldwebel handeln bei Erfüllung ihres Auftrags stets imSinne der Absicht der übergeordneten Führung.Sind sie auf sich gestellt, handeln sie dem Auftrag undder Lage entsprechend und treffen Entscheidungenselbstständig und eigenverantwortlich.Diese Eigenverantwortlichkeit ist Ausdruck des Grund-prinzips „Führen mit Auftrag“.

Der Tag, den ich nie vergessen werde

Wir waren erst einige Wochen in Afghanistan. Wir ge-hörten zur Verstärkungsreserve, die in der Heimat bereit-gehalten wurde. Der Kontingentführer im Einsatz hatteuns direkt nach dem tödlichen IED-Anschlag (Improvi-sed Explosive Device) auf meinen Freund als zusätz-liche infanteristische Komponente angefordert. DieseTruppe war aus verschiedenen Einheiten des Bataillonszusammengewürfelt. Unsere Truppen vor Ort schicktenregelmäßig Einsatzberichte. Uns war klar, dass wir in ei-ne sehr schwierige Lage hineinkommen würden. InKunduz gab es damals schon regelmäßig Angriffe aufunsere Truppen, IED-Anschläge und Selbstmordatten-tate.Die Nacht begann mit einem Frühstück. Es war viel-leicht halb drei. Wir wussten, dass wir in eine großeOperation mit mehr als 200 deutschen und afghanischenKräften eingebunden sein würden. Wir machten unsere

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Fahrzeuge und Waffen klar, legten unsere Ausrüstungan. Der Befehl lautete, mit der Morgendämmerung inder Ausgangsstellung am Rand der Ortschaft Haji Ama-nulla im Distrikt Chahar Darreh zu liegen. Als „Blo-cking Position Nord“ sollten wir dabei sämtliche Perso-nen, die in den Ort hinein wollten, kontrollieren und je-des Fahrzeug zu einem nahegelegenen Checkpoint süd-lich des Dorfes umleiten. Dort würden Feldjäger und af-ghanische Polizisten die Untersuchung der Fahrzeugeübernehmen. Bevor der erste Bauer auf dem Feld ist,sollten wir dort sein. Worum ging es bei dieser Operati-on? Es sollte in dem Ort ein Lehrer dingfest gemachtwerden, der vermutlich zu den radikal-islamistischenTaliban gehörte. Außerdem gab es Hinweise auf eineversteckte Sprengladung in dem Raum, die gegen unsgerichtet war. Wir wollten sie unbedingt finden.Bereits vor Einbruch der Morgendämmerung lagen wirin Stellung. Allmählich offenbarte sich das Ausmaß un-seres Auftrags. Menschenmassen strömten auf unsereSperre zu und wollten in die Stadt, denn es war Markt-tag und auch eine Hochzeitsgemeinde erbat Einlass. Umdem Andrang der Mengen Herr zu werden, entschlossenwir uns in Absprache mit der Führung, nur noch ver-dächtige Personen zu kontrollieren und festzusetzen undunseren Abschnitt weiter zu sichern. Zusammen mit der„Blocking Position Süd“ wurden an diesem Tag mehrals 300 Personen, Fahrzeuge und Tiere kontrolliert. Ge-gen 13:00 Uhr mittags erreichte uns dann über Funk dieMeldung: „Wir haben was gefunden! Raketen und vor-bereitete IED ...“. Über solch eine Nachricht waren wiralle sehr froh.

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Noch vor Ort sollte die gefundene Munition gesprengtwerden. Der laute Knall einer nicht weit entfernten Ex-plosion hallte schon kurz darauf, doch zu unserer Über-raschung kam dieser aus einer völlig anderen Richtung,nämlich aus Richtung „Blocking Position Süd“. Wenigspäter erreichte uns dann auch noch der Funkspruch:„Suicider bei Hightower! Suicider bei Hightower!”Damit war allen klar, was passiert sein musste. DieRichtung, aus der der Knall kam, die mittlerweile sicht-bare Rauchsäule, die Meldung – alles passte. Es hat ei-nen von unseren eigenen Kameraden getroffen! DennHightower war in diesem Zusammenhang eine Bezeich-nung für die Fallschirmjäger vor Ort. Der Schock saßzunächst tief. Doch im gleichen Augenblick führten wiruns auch den Ernst der Lage vor Augen. „Wer kann jetztsofort unterstützen? Wo steht die Reserve? Wie weit istder nächste BAT (beweglicher Arzttrupp) weg?“ All daswaren die drängenden Fragen, die uns in den Sinn ka-men und die letztlich auch zum Entschluss führten: „Wirmüssen helfen!“ Wir waren in der Lage, sofort und Dankder umfassenden Sanitätsausbildung kompetente Hilfezu leisten.Wir informierten den Einsatzführer per Funk, dass wirsofort mit unseren zwei WÖLFEN an den Anschlagsortverlegen würden. Auf dem Weg zur Anschlagsstelleüberlegte natürlich jeder, was ihn dort erwarten wird.Wir wussten: Die Verwundeten könnten schwere innereVerletzungen sowie Brand- und Thoraxverletzungen ha-ben. Gliedmaßen könnten abgerissen sein. All das be-kam jedoch eine besondere Härte, weil wir ahnten, eswürde sich um unsere Kameraden handeln, die wir dort

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verletzt vorfinden. Wir hatten es hundertfach drillmäßigdurchgespielt. Doch als wir hinkamen, wussten wir, dassuns auf so etwas nichts und niemand wirklich vorberei-ten kann. Es war extrem. Es roch furchtbar. Um die An-schlagstelle herum lagen die verletzten Körper von Kin-dern. Das Bild, das sich uns bot, war schrecklich; derAnblick war grässlich und wühlt uns noch heute auf.Ein MUNGO stand lichterloh in Flammen, ständige Ex-plosionen durch die brennende Munition der Granatma-schinenwaffe, die sich auf dem Fahrzeug befand, warenzu hören und die Lage war vollkommen unklar. Wir nah-men sofort Verbindung mit den vor Ort befindlichenKräften auf und erfuhren, dass sich zwei unserer Kame-raden am MUNGO befinden sollten, ob verwundet odertot wussten wir bis dahin nicht. Schnell konnten wir da-raufhin einen unserer Kameraden ausmachen, der sichneben dem MUNGO befand. Zügig gingen wir imSchutze unseres WOLFS vor, denn es ist nicht unüblich,dass nach einem Sprengstoffanschlag weitere Angriffeauf die Hilfeleistenden erfolgen.Man hätte sich vorstellen können, dass es Schaulustigegeben würde. Nichts. Die Bevölkerung nimmt kaum An-teil am Geschehen. Die Leute erledigen einfach das wei-ter, was sie zu erledigen geplant hatten. Ich empfindedies heute noch als besonders krass. Ein Mensch sprengtsich in die Luft, zwei deutsche Soldaten und fünf Kinderwerden getötet, und die Menschen machen weiter, alssei nichts geschehen.Auf dem Weg zum brennenden Gefechtsfahrzeug ent-deckten wir bereits mehrere leblos daliegende kleineKörper. Es waren Kinder, die ebenfalls von der Explosi-

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on erfasst worden waren. Auf den ersten Blick erkann-ten wir, dass ihnen nicht mehr zu helfen sein würde unddennoch überprüften wir jeden der am Boden liegendenKinderkörper. Leider konnten wir nur noch ihren Todfeststellen. Wie sich später herausstellte, konnten zweiKinder, ein Junge und ein Mädchen, bereits von den vorOrt befindlichen Kräften aus dem Gefahrenbereich eva-kuiert werden. Uns war nun aber umso mehr daran gele-gen, unseren Kameraden endlich zu helfen und so ver-drängten wir die Gedanken an die toten Kinder. AmFahrzeug endlich angekommen, erkannten wir schnell,dass wir mit den mitgebrachten Feuerlöschern nichtsausrichten konnten. Es brannte einfach zu stark und im-mer wieder explodierte etwas am Fahrzeug. Wir ver-schanzten uns hinter unserem gepanzerten Fahrzeug, umden richtigen Moment abzupassen, wo wir hinter demFahrzeug vorspringen und zwischen zwei Detonationenunsere Kameraden bergen konnten. Doch wann ist derrichtige Moment, wenn es andauernd und immer wiederneue Detonationen gibt? Nach einer gefühlten längerenPause sprangen wir endlich hervor, doch plötzlich gab eseinen Riesenknall, der doppelt so laut und heftig er-schien wie die vorherigen! Wir wurden von einer Deto-nationswelle erfasst und – halb springend, halb von derDruckwelle von den Beinen gerissen – in einen Grabengeschleudert.Nachdem wir uns gesammelt hatten und feststellten,dass uns nichts weiter fehlte, wollten wir einen erneutenVersuch starten. Wir dachten alle nur: „Wir müssen daran!“ Wir setzten also erneut an und bei unserem zwei-ten Versuch bekamen wir einen der beiden Männer zu

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packen. Wir schleiften ihn zunächst von der Gefahren-quelle weg. Zwei von uns brachten ihn dann weiter anein angrenzendes Feld und begannen mit der Erstversor-gung. In der Zwischenzeit war auch die IRF mit einemBAT eingetroffen, die den Verwundeten am Transport-panzer in Empfang nahm. Derweil begann ich damit,mich um einen anderen Verwundeten und um die ver-letzten Kinder zu kümmern. Ein kleiner Junge war sehrschwer verletzt. Er hatte ein offenes Schädel-Hirn-Trau-ma und starke Splitterwunden. Die Vitalzeichen warennur schwach und ich sicherte seine Atemwege mit einemTubus. Einem weiteren Kind, einem Mädchen, ging esindessen den Umständen entsprechend schon wiederganz gut. Sie weinte und schrie laut, vermutlich rief sienach ihrer Mutter. Wir übergaben die Kleine dem BAT.Uns fiel auf, dass noch einer der Männer fehlte. Derzweite Kamerad, der ebenfalls bei der Detonation vorneam MUNGO auf der Fahrerseite gestanden haben muss-te. Nach kurzem Suchen konnten wir ihn entdecken. Erlag neben der Fahrertür. Während es immer noch ab undzu knallte, überlegte ich, was zu tun sei. Liegen lassenkam nicht in Frage. Mit einem schnell zusammenge-stellten Trupp rannte ich mit den Männern vor. Dortstellten wir fest, dass er bereits tot war. Sein ganzer Kör-per war schwer gezeichnet von der Explosion. Erneutkrachte eine Detonation. Daraufhin entschied ich mich,erst wieder vorzugehen, wenn uns keine Munition mehrum die Ohren fliegt. Nach einer halben Stunde konntenwir ihn schließlich bergen.Wie sich später herausstellte, hatte der Selbstmordatten-täter unmittelbar vor dem Fahrzeug angehalten und dort

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einen um den Bauch befestigten Sprengstoffgürtel ge-zündet. Damit ließ er unseren Kameraden keinerleiÜberlebenschance.Es dauerte einige Tage, bis wir das Erlebte verarbeitenkonnten. Tagelang haben wir uns im Kameradenkreisdarüber unterhalten. Gespräche mit den Militärpfarrernund dem Truppenpsychologen haben uns dabei sehr ge-holfen. Bereits fünf Tage nach dem Anschlag waren wirwieder im Einsatz. Für uns war es eine Selbstverständ-lichkeit, dass wir unseren Kameraden damals zu Hilfegeeilt sind. Dank unserer einsatzvorbereitenden Ausbil-dung fühlten wir uns im Stande und auch dafür verant-wortlich, dort zu helfen, wo Hilfe Not tat.

Genau dies wird mir bewusst, als ich mit meinen vierFeldwebelkameraden vor Bundeskanzlerin Angela Mer-kel stehe. Doch wir sind hier nur stellvertretend für vie-le unserer Kameraden, die tagtäglich Außergewöhnli-ches leisten. Für die Kameradschaft und Tapferkeit nichtnur Schlagworte sind, sondern die diese Prinzipien auchleben – notfalls auch unter Einsatz des eigenen Lebens.

Kameradschaft und treue Pflichterfüllung sollten nichtbloß leere Worthülsen, sondern unverzichtbare Tugen-den sein. Mut, Tapferkeit und Eigenverantwortlichkeitsind die Basis dafür.

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LeistungsbereitschaftFeldwebel kennzeichnet der ausgeprägte Wille zur Leis-tung. Diese beinhaltet, sein Leistungsniveau nicht nur zuhalten und die soldatischen Anforderungen jederzeit undbestmöglich zu erfüllen, sondern auch das Bestreben,sein Können und Wissen stets zu verbessern.Feldwebel müssen über eine besonders ausgeprägte Be-reitschaft verfügen, ihre Fähigkeiten und Fertigkeitenzum Erreichen eines Ziels einzusetzen.Lernbereitschaft und Aufgeschlossenheit für neue He-rausforderungen sind ebenso wichtig, wie die Zurück-stellung persönlicher Interessen und der Einsatz vonLeib und Leben.

Ich will!

Es ist kalt, saukalt. Seit zwei Tagen sitzen wir nun schonim Waldlager. Hinter uns das Shanty-Zelt, vor uns einjämmerliches Grubenfeuer, das mehr qualmt, als esWärme abgibt. Wir sind nur noch sieben Mann. Siebenvon ursprünglich 21 Lehrgangsteilnehmern. Die anderenhaben den Lehrgang aus verschiedensten und mir zumTeil nicht immer nachvollziehbaren Gründen vorzeitigabgebrochen. Aber ans Aufgeben darf und will ich jetztnicht denken. Ich habe es bis hierher geschafft, dannschaffe ich den Rest auch noch. Doch der Reihe nach. Eswar Anfang Dezember, gerade habe ich erfahren, dass

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ich im Januar auf den Einzelkämpferlehrgang gehenkann. Es war ein Wunsch, den ich schon lange Zeit ge-hegt hatte, und nun waren die Weichen gestellt. Ich hat-te einen Lehrgangsplatz. Jetzt liegt es nur noch an mir,ob ich mein Ziel erreichen werde. Ich rechne mir aus,wie viele Tage ich noch bis zum Anreisetag habe, stellemir einen Trainingsplan zusammen und beginne zu trai-nieren. Zum ersten Mal laufe ich mit einem konkretenZiel vor Augen. Zum ersten Mal hat das Laufen einenSinn für mich.Zu Beginn will ich aber erst einmal wissen, wo ich ste-he. Also packe ich meinen Rucksack mit sechs Kilo-gramm, nehme ein Gewehr und laufe die 3.000 Meterauf Zeit. Ernüchterung stellt sich ein. Mit über siebzehnMinuten liege ich über dem Zeitlimit von 16:40 Minu-ten. Und ich bin ziemlich platt. Wird die Zeit bis zumLehrgang reichen? Werde ich während des Lehrgangs,nach vorausgegangenen Belastungen, die Zeit erfüllenkönnen? Es gibt viel zu tun, aber ich habe ein Ziel undich werde es schaffen.Fast täglich bin ich jetzt unterwegs, im Feldanzug,manchmal mit Rucksack, Streckenlänge bis sechs Kilo-meter. Am Wochenende laufe ich ebenfalls.Zusätzlich übe ich mit einem Freund an den Wochenen-den das Orientieren mit unterschiedlichen Hilfsmittelnund lasse mir von ihm Orientierungsaufgaben stellen,die ich dann abarbeite. Einmal fahren wir mit seinemGeländewagen in den Wald, er setzt mich ab, und ichmarschiere mit Kompasszahl los. Am Zielpunkt, den ernatürlich bequem im Auto erreicht hat, kriege ich dennächsten Auftrag.

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Ein anderes Mal übe ich das Packen des Zeltbahnpaketsauf Zeit. Zehn Minuten darf es dauern.Ich versuche, so viel wie möglich über den Einzelkämp-ferlehrgang zu erfahren, studiere Vorschriften und denBefehl für die Ausbildung, spreche mit Kameraden. DasEinzige, was ich nicht übe, ist die Seilarbeit. Als Berg-steiger habe ich keine Höhenangst und auch kein Prob-lem im Umgang mit Seilen.Weihnachten und Silvester sind diesmal keine großenFeiertage. Das Training und der bevorstehende Lehr-gang stehen im Vordergrund. Körperlich und geistig binich gut vorbereitet. Und ich fahre mit dem festen Willennach Hammelburg: „Die müssen mich hier wegtragen,anders kriegen die mich hier nicht weg.“

Beim Betreten des Einzelkämpfergebäudes mit den vie-len Abschiedsgeschenken und Erinnerungen an vergan-gene Entbehrungen beschleicht einen schon ein mulmi-ges Gefühl.Die Ausbilder, alles drahtige, grimmig dreinschauende„Gesellen“, lassen für die nächsten Wochen nichts Gu-tes erahnen. Die Unterkunft wird bezogen, und wir sindauf die bevorstehenden Tage sehr gespannt. Die Stube,die ich mit einem Oberfeldwebel und einem Leutnantteile, steht mir am Ende der Woche alleine zur Verfü-gung. Die beiden haben, wie andere auch, aufgegeben.Wir sind ein sogenannter Truppenlehrgang, ein zusam-men gewürfelter Haufen von zumeist Unteroffizieren.Im Gegensatz zu den Offizieranwärter-Hörsälen kenntman sich hier untereinander nicht und auch die Vorberei-tung jedes Einzelnen ist sehr unterschiedlich verlaufen.

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Theorie, Ausbildungen und Belastungsphasen fordernuns ab sofort und steigern sich in der Intensität in denersten beiden Wochen. Das Wetter ist, dem Januar ent-sprechend, kalt. Man friert zwar immer wieder, aber derDurst hält sich in Grenzen. Immer positiv denken. Abder zweiten Woche gibt’s keinen Dienstplan mehr. Unddie Ungewissheit, was als Nächstes kommt, nagt an denNerven.Am Mittwochnachmittag der zweiten Woche, nachdemwir schon den Geländelauf, die Hindernisbahn und denNahkampf hinter uns gebracht haben und eigentlich lie-ber eine Runde Schlaf gebrauchen könnten, sollen wirunsere Gefechtsausrüstung packen und in den Unter-richtsraum einrücken. Was folgt, ist die Einweisung ineine Durchschlageübung namens „Zulu“. Und dann: dieÜberraschung! Einer pro Gruppe darf seinen Rucksackin der Kaserne lassen. Vorher dürfen noch drei Dingerausgeholt werden, Zeit fünf Minuten. In unserer Grup-pe habe ich diese Aufgabe gewonnen. Danach empfangeich ein MG und ein Funkgerät. Anschließend geht es aufder Ladefläche eines Lkw 2 to hinaus in die Rhön. Zeit-gleich mit der Dunkelheit beginnt es zu schneien. Ir-gendwann kommt der Lkw 2 to nicht mehr weiter undwir müssen absitzen. Der Ausbilder meint noch lako-nisch, dass wir nicht am Absetzpunkt sind, aber jetztdorthin marschieren.Für den Rest der Übung marschieren wir nur noch,durch den Schnee stapfend, irgendwohin. Bis auf den je-weils eingeteilten Gruppenführer hat keiner einen Plan.Egal, ob man das MG, das Funkgerät oder einen Ruck-sack trägt, alles drückt. Keine Verpflegung und nur Was-

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ser in den Feldflaschen machen es auch nicht angeneh-mer.Irgendwann fallen Gewehrschüsse. Keiner weiß so rich-tig, was los ist. Auf alle Fälle sagt der Ausbilder, dass eseinen von uns erwischt hat und wir ihn tragen müssen,denn – und das leuchtet jedem ein – ein Kamerad wirdniemals zurückgelassen. So bauen wir eine Trage mitZeltbahnen und den zwei Stangen, die ganz zufällig hieram Wegrand lagen. Toller Zufall, super. Und jetzt be-ginnt eine wirklich elende Buckelei. Die „scheiß“ Stan-gen drücken auf die Schulter, der Rucksack zieht am Rü-cken, die Waffe ist auch ständig im Weg, und im Schneeist es glatt und anstrengend zu gehen.Nach einer scheinbar endlosen Zeit hat aber auch dieseSchinderei ein Ende und wir beziehen ein Versteck in ei-ner Fichtenschonung. Behelfsunterkunft und Feuerstellewerden unter Sicherung eines Alarmpostens errichtet.Den Sinn der Erholung erfüllt unser Versteck aber kaum,denn es ist viel zu kalt. Schlafsäcke haben wir auch kei-ne. Also stehen wir herum und frieren vor uns hin. Ge-gen Mittag weichen wir aus und schlagen uns, verfolgtvon Hundegebell, das nur der Ausbilder zu hörenscheint, weiter durch. Es geht durch einen eiskaltenBach. Immerhin gelingt es uns, die Hunde, die keinersah, abzuschütteln. Dann geht es nur noch bergauf. Lei-der schaffen wir es nicht rechtzeitig bis zum Aufnahme-punkt (wie zu erwarten) und dürfen so noch etwas wei-ter marschieren, im Eilmarsch. Dass dabei der Lkw aufSichtweite hinter uns herfährt, wundert niemandenmehr. Nachdem der Ausbilder dann endlich Übungs-ende befiehlt, dürfen wir endlich auf den Lkw aufsitzen.

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Die Beine sind kalt, die Klamotten nass oder gefroren.Während der Fahrt fallen den meisten die Augen zu. Ichbin froh, es geschafft zu haben. Hundemüde, abge-kämpft, dreckig.Aber ich bin noch dabei.Das war die zweite Woche. Und nun, in der dritten Wo-che, sind wir noch sieben Mann, die sich hier im Wald-lager den Arsch abfrieren. Mir geht es nicht gut. Ich binkörperlich total platt. Am Dienstag absolvierten wir denOrientierungsmarsch bei Nacht. Es war wieder kalt, aberzum Glück trocken. Wie üblich hatte ich meine Feldfla-sche in die Seitentasche meines Rucksacks gepackt. ImLaufe der Nachtstunden bildete sich auf dem Wasser ei-ne Eisschicht. Als ich am Bus, der am Zielpunkt stand,angekommen war, wollte ich wieder etwas trinken. Undobwohl ich wusste, dass kaltes Wasser nicht so optimalist, trank ich in vollen Zügen – um mich kurz darauf zuübergeben. Zwei Stunden vor Sonnenaufgang setzten sieuns dann mit dem Bus irgendwo im Wald wieder ab. Un-ter dem Poncho warteten wir frierend auf den Morgen.Bei Anbruch der Dämmerung ruft uns ein Ausbilder ausdem Busch. Wir errichten wieder ein Versteck. Anschlie-ßend geht es zum Nahkampf: Fallschule im Schnee.Nachdem wir dann völlig durchnässt sind, können wir inunserem Versteck das Feuer anzünden. Da die Wechsel-wäsche nach dem Orientierungsmarsch auch schon nassist, frieren wir erbärmlich.Die restliche Zeit lassen sie uns in Ruhe. Und gerade dasist zermürbend. Wir warten, frieren, hungern, sind hun-demüde und können aufgrund der Kälte nicht schlafen.In dieser Phase geben so viele Kameraden auf, dass un-

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ser Hörsaal noch weiter zusammenschrumpft. Aber ichgebe nicht auf. Ich sage mir immer wieder: „Die müssenmich hier wegtragen, anders kriegen die mich hier nichtweg.“Was kann man daraus lernen?

Wenn der Körper kaum noch Reserven hat, ist es eineKopfsache, weiterzukämpfen und nicht aufzugeben. Da-zu sind ein ausgeglichenes privates Umfeld, mit Vorbildvorangehende Vorgesetzte und echte Kameraden nötig.Während des Einzelkämpferlehrgangs Teil I begegnetemir der Fahnenjunker A. Er war körperlich den Anforde-rungen des Lehrgangs nicht gewachsen, das war offen-sichtlich. Aber was dieser Soldat gebissen hat! Er liefständig auf 110 Prozent und war kaum noch ansprech-bar, aber er gab nicht auf. Dieser Soldat beeindrucktemich, ganz im Gegensatz zu seinem Nebenmann, demdie Belastung nicht soviel ausmachte, der aber seine Ka-meraden nicht unterstützte.

Und sie sollten wissen, wie sie unter Extrembelastungenreagieren, ob sie dann noch in der Lage sind zu führenoder ob sie selbst noch führbar sind. Und wenn demnicht so ist, dann sind sie für ihre Aufgabe nicht geeig-net. Dann ist es eine logische Konsequenz, diese Bewer-

Militärische Führer sollten ihre physischen und psy-chischen Grenzen kennen.

Nur regelmäßiges Training steigert die körperliche Fit-ness. Ein starker Wille lässt Strapazen besser ertragen.

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ber nicht zu Vorgesetzten zu machen. Und wer nicht un-ter Belastung führen kann, sollte auch kein militärischerFührer werden können.

Der Rucksack ist ein ständiger Begleiter, der Inhalt derTaschen muss geregelt und bekannt sein, um in Stresssi-tuationen schnell das Richtige zur Hand zu haben. Über-flüssiges wie die Colaflasche haben da nichts verloren.Ordnung ist Mittel zum Zweck. Sie ist das äußerlicheBild, wie es hinter den Kulissen aussieht. Dies funktio-niert aber nur, wenn der Vorgesetzte mit Beispiel voran-geht. Auf meinem Unteroffizierlehrgang haben wir mitunserem Ausbilder gemeinsam unsere Gefechtsausrüs-tung gepackt. Die Zeltbahntasche und die Erdnägel blie-ben im Spind – unnötig. Schnur, Draht und Tape warenim Pi-Päckchen. Ersatzunterwäsche und persönliche Pa-piere wurden in Plastiktüten wasserfest verpackt.

Letztendlich kann man Leistungsbereitschaft nicht er-zwingen. Sie kann nur durch eine positive Einstellungsowie durch eine entsprechende körperliche und geisti-ge Belastbarkeit erzielt werden.

Die persönliche Ausrüstung muss dem Soldaten ver-traut sein.

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DisziplinFeldwebel kennzeichnet ein hohes Maß an Selbstbeherr-schung und Gehorsam.Diese Eigenschaften sind unter anderem Voraussetzungfür die Bereitschaft, eigene Interessen und Bedürfnissezurückzustellen sowie Belastungen und Härten zu ertra-gen und mit seinen Untergebenen zu teilen.Feldwebel achten auf Disziplin und fordern sie konse-quent ein.Disziplin beinhaltet die Akzeptanz des Funktionsprin-zips von Befehl und Gehorsam.

Heute schon kontrolliert?

Gut neunzehn Jahre ist es nun her, dass ich das erste Malan diesem Standort Zeit verbrachte. Damals war es meinUnteroffizierlehrgang und nun bin ich durch die Auflö-sung meines Standortes wieder hier gelandet. Jetzt binich, so denke ich, gestandener Hauptfeldwebel, im Stabeingesetzt und gehöre langsam schon zu den Älteren indieser Armee. Viel Zeit ist inzwischen vergangen undvieles hat sich geändert. Standorte wurden aufgelöst,nichts geht mehr ohne Computer und Lotus Notes, allessteht im Netz und wir sind eine Einsatzarmee geworden.Ach ja, und wir tragen Flecktarn im fünffarbigen oderdreifarbigen Tarndruck. Den gibt es jetzt schon etwaslänger, zugegeben, aber seit ich hier bin, fällt mir extremauf, wie viele Unterschiede es doch an Jacken, Hosen,

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Stiefeln und Ausrüstung gibt. Besonders wenn ich einenangetretenen Hörsaal sehe und feststelle, dass es hiermindestens fünf verschiedene Anzugsvarianten gibt.Von der Ausrüstung mal ganz abgesehen. Einige Fleck-tarnjacken sind sicher dienstlich geliefert, nur besitzendiese keine Kapuzen mehr, sondern aus diesen wurdefachmännisch ein Stehkragen geschneidert. Mag sein,dass es daran liegt, dass man diese ja eh nie aufsetzendurfte, was völliger Quatsch ist, oder liegt es daran, dasses einfach besser aussieht? Damals hätte es dafür, da binich mir sicher, eine Disziplinarmaßnahme wegen Be-schädigung von Wehrmaterial gegeben.Na ja, ist vermutlich ein Modetrend. Modisch, so scheintmir, ist es seit einiger Zeit auch, die Hose nicht mehrüber dem Ende des Stiefelschaftes, sondern bis oberhalbdes Fußgelenkes zu tragen. Wenn man überhaupt nochHosengummis und nicht Einmachgummis wie damalsträgt. Wenn ich mit Kameraden darüber rede, muss ichmir oft anhören, dass dies wegen der gemeingefährli-chen Sandmücke oder Tsetsefliege in Afghanistan sei.Alles klar! Wenn unsere Kameraden die mit hierhernach Deutschland gebracht haben.Auch die Behauptung, dass die selbst beschaffte Ausrüs-tung und Bekleidung für den Einsatz wesentlich bessersei als die dienstlich gelieferte, muss ich immer wiederhören. Ich bin so froh, dass ich bisher noch lebe, mit soschlechter Ausrüstung, nach unzähligen Übungen,Übungsplatzaufenthalten und auch Einsätzen im Aus-land. Nee, ich war nicht immer Sachbearbeiter im Stab.Ich rede von meinen achtzehn Jahren in einer Kampf-kompanie und da gab es sicher auch schon bessere Be-

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kleidung und Ausrüstung. Ich lernte einst, früher, neu-lich, dass das äußere Erscheinungsbild des Soldatenmaßgeblich durch sein Auftreten und die Uniform be-stimmt wird. Stimmt! Wir sehen jetzt cool und mächtiggefährlich aus. Doch verstehen und beherrschen wir da-durch unser Handwerk und unsere neue Technik besser?Sieht denn heute kein Vorgesetzter mehr das äußere Bildseiner Männer? Wenn schon das nicht mehr stimmt, wiemag es dann wohl in den Köpfen aussehen? Bin ich viel-leicht doch schon zu alt und nicht modern genug oderein hoffnungslos veralteter Traditionalist?Das nehme ich gerne hin, wenn ich dadurch wenigstenserreichen kann, dass es nicht zu einer weiteren kontinu-ierlichen Aufweichung der Anzugsordnung kommt.Sonst schleichen sich irgendwann modische Sandalenoder Socken in Waffenfarbe ein. Man trägt fröhlich bun-te Krawatten zum Dienstanzug oder auch gar keinemehr. Danach ist dann sicher bald ein Stand erreicht, beidem man die Anzugsordnung in zwei Sätze fassen kann:

1. Der Soldat kommt möglichst angezogen zumDienst.

2. Er trägt, was er hat, wie und wann er es will.

Wollen wir es wirklich soweit kommen lassen?

Deshalb ist und bleibt die beste Disziplin die Selbstdis-ziplin, das Beherrschen des eigenen Willens und seinerNeigungen, um etwas zu erreichen und so zu einemübergeordneten, gemeinsamen Ziel beizutragen.

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WissenFeldwebeln hilft umfassendes Wissen, ihre Aufgaben zuerfüllen, Entscheidungen gezielter zu treffen, neue Ideenschneller in die Tat umzusetzen sowie Prozesse zubeschleunigen und Leistungen zu optimieren. Dies be-schränkt sich nicht nur auf den dienstlichen Bereich,sondern geht über den eigenen „Tellerrand“ hinaus.Solide Allgemeinbildung, fundierte Fachkenntnisse undgewissenhafte Dienstvorbereitung geben Feldwebelndas Selbstbewusstsein, das sie benötigen, um den an siegestellten Anforderungen gerecht zu werden.Feldwebel müssen stets bestrebt sein, ihr Wissen zu er-weitern und es an ihre Soldaten – vor allem an den Füh-rernachwuchs – weiterzugeben.

Auftrag erfüllt!

Seit Stunden brummen die Motoren des Transportflug-zeuges monoton vor sich hin. Es ist kalt, es ist laut, es isteng mit der ganzen Ausrüstung. Ich schaue in die Ge-sichter meiner Kameraden und verfalle wieder in meineGedanken. „Habe ich an alles gedacht, um meinen Auf-trag zu erfüllen? Was wird mich hier erwarten? Du bistder erste Fernmelder in Afghanistan.“Nach Stunden des Wartens setzt die Maschine zur Lan-dung an und nun bin ich gefragt. Mit dem Ausladen derAusrüstung und der Fahrzeuge beginnt meine Aufgabe.

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Ich schalte die Funkgeräte und Satellitentelefone einund erkläre den Kameraden noch einmal die Bedienungder Geräte, damit sie die Scheu vor dieser kompliziertscheinenden Technik verlieren. Und schon kann derMarsch zu unserem neuen Feldlager beginnen.„Marschabstände verkleinern! Tempo erhöhen! Marsch-gruppe halt!“. Der General, der in meinem WOLF mit-fährt, gibt Anweisungen, welche ich über Funk an diegesamte Marschgruppe weiterleite. Das ständige, fort-währende Sprechen und die Verbindung mit meinen Ka-meraden gibt Sicherheit. Hier wird mir wieder einmalbewusst, dass wir Fernmelder als Übermittler von Nach-richten und Informationen unverzichtbar sind.Im Lager angekommen, werden erst einmal die neuenUnterkünfte in Beschlag genommen. Kurz drauf erhal-ten wir bereits die ersten Aufträge. In der Operations-zentrale (OPZ) werden Funkgeräte und Satellitenanla-gen installiert und in Betrieb genommen. Damit kanndie OPZ erst einmal arbeiten und ist einsatzbereit. Mitmeinem WOLF, dem einzigen Fahrzeug, das mit Funk-und Satellitentechnik sowie Videokonferenzanlage aus-gestattet ist, führe ich die ersten Erkundungsfahrten inKabul an. Meine Vorgesetzten bauen auf mich!Am Abend ruft mich unser General zu sich. „Lassen Siedie Männer mal nach Hause telefonieren, jeder fünf Mi-nuten!“ Es ist ein schönes Gefühl, den Soldaten ein„Stückchen Heimat“ zu ermöglichen und die Freudemeiner Kameraden zu sehen. Freude darüber, dass ichmit moderner Technik vor Ort bin und es möglich ma-che, vom „Ende der Welt“ nach Deutschland zu kom-men.

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Am nächsten Morgen beginne ich mit der eigentlichenund wichtigsten Aufgabe. Schnellstmöglich muss eine100-prozentig zuverlässige und robuste Verbindung insHeimatland aufgebaut werden. Zuerst muss ich mich umeinen geeigneten Aufbauplatz für meinen Fernmelde-trupp kümmern. Für etwas Milch und Brot setzt ein net-ter Afghane seinen gepanzerten Bulldozer für uns in Be-wegung. Ergebnis: Eine ebene Stellfläche für zwei Lkw.Ich erkunde die Plätze für die Antennen, die Kabelwegefür die Telefone und unterstütze den Stab bei der Pla-nung der Fernmeldeverbindung. Denn das ist unsereAufgabe: Den militärischen Führern alle Möglichkeitender modernen Kommunikation zur Verfügung zu stellen,damit sie jederzeit ihren Auftrag erfüllen können. Ohneunsere Arbeit kann ihre Planung nicht umgesetzt wer-den, da die notwendigen Befehle und wichtigen Infor-mationen nicht zur Truppe gelangen und umgekehrt vonder Truppe die OPZ nicht oder viel zu spät erreichen.Nun ist unser Vorkommando mit den Soldaten im Lagerangekommen und ohne großen Zeitverzug gehen wir andie Auftragsumsetzung. Geschafft, am Ende des Tageshaben wir unseren Stab mit Telefonen, weltweiter An-bindung per Satellit und Funkmöglichkeiten versorgt.Jetzt ist der Stab mit all seinen Soldaten einsatzbereitund kann seinen Auftrag erfüllen. Für uns Fernmelderbedeutet das: 24-Stunden Schichtbetrieb und mit weni-ger Soldaten mehr Aufträge erfüllen. Mit dem Anwach-sen des Kontingents im Lager werden auch die Aufga-ben der Truppe vielfältiger und umfangreicher. Im Feld-lager erhöht sich der Bedarf an Telefonen und Datenlei-tungen. Und auch außerhalb des Lagers bewegen sich

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immer mehr Soldaten, die geführt werden müssen. Dasgeht nur über unsere Führungsmittel. „Die Lage lebt“,das nehmen wir ernst und passen unser Kommunikati-onsnetz immer wieder den jeweiligen Gegebenheiten an.Genaue Einweisung in die Handhabung von Funkgerä-ten, Erklärung von Satellitentelefonen und so weiter,füllen die wenigen Zeitlücken aus.Da es bei den Patrouillen immer wieder zu „Funklö-chern“ kommt, sind wir die nächsten Tage damit be-schäftigt, diese durch Erkundung und Einrichten vonRelaisstellen zu minimieren. Wir sind Teil der Patrouil-len, um die Kampftruppe zu unterstützen, in dem wirÜbertragungsprobleme lokalisieren und beheben.Um den Soldaten in ihren wenigen Stunden Freizeit et-was Entspannung zu bieten, haben wir die „Betreuungs-anlage“ einer zivilen Firma aufbauen dürfen, da die zi-vilen Techniker nicht zeitgerecht vor Ort sein konnten.Jetzt können die Soldaten im Internet surfen, E-Mailsversenden und telefonieren. Ja, auch das haben wir ge-schafft!Das spricht sich herum – unsere Fähigkeiten sind nichtnur bei Kameraden gefragt, auch die zahlreichen zivilenHilfsorganisationen bitten uns um Unterstützung imWirrwarr von Technik und Kommunikation. So bekom-men wir auch einige Eindrücke von und Einblicke in de-ren Tätigkeiten im afghanischen Alltag.Und so vergeht jeder Tag mit neuen Herausforderungen,kein Tag ist wie der Andere. Ein anerkennender Hände-druck und dankende Worte des Generals geben mir aufdem Heimflug nach Deutschland ein sehr gutes Gefühl.

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In drei Monaten haben wir gemeinsam ein funktionie-rendes Kommunikationsnetz „aus dem Sand gestampft“.Auftrag erfüllt!

Wichtiger als Wissen ist nur die Anwendung desselben,besonders, wenn man es dabei an andere weitergibt.Dieses Wissen und die Erfahrungen an der Führungs-unterstützungsschule der Bundeswehr weiterzugeben,ist jetzt meine Aufgabe. Und die macht mir Freude,gibt mir Berufszufriedenheit und ein gutes Gefühl.

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EntschlossenheitFeldwebel zeichnen sich durch ein bestimmtes und ent-schlossenes Handeln und Auftreten aus.Sie haben den festen Willen, Aufgaben auftrags- undlagegerecht auch unter Belastung zu bewältigen.Sie treffen Entscheidungen und setzen diese auch gegenWiderstände angemessen und zielgerichtet durch.

Plötzlich Führer

Im Heer wurde früher jährlich ein infanteristischerMehrkampf durchgeführt. Jede Division hatte eineMannschaft zu stellen.Mein Standort war Wesendorf und wir gehörten mit un-serem Bataillon zur 1. Panzerdivision. Ein halbes Jahrwurden wir militärisch gedrillt. Eine Kompanie unseresBataillons hatte den Auftrag, uns zu „richtigen“ Män-nern und Kämpfern zu machen. Sport, militärische Fit-ness, Sanitätsausbildung, Schießen und infanteristischeAusbildung waren täglich angesagt.Der Wettkampf fand im heißen Juni in Hammelburgstatt. Unsere Gruppe bestand aus zehn Mann. Ein Ober-leutnant, ein Feldwebel (also ich), ein Unteroffizier undsieben Mannschaften. Somit eine gut strukturierte Trup-pe mit „oben“ und „unten“.

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An einer Station bestand unser Auftrag darin, einenfeindlichen Bunker unschädlich und, falls möglich, Ge-fangene zu machen.Da wir hier für den Waldkampf vorgesehen waren, hat-ten wir keine Panzerfaust zur Verfügung. Schade, dasswir keine Panzerfaust dabei hatten, denn als geballte La-dung hätte sie unseren Auftrag echt erleichtert.Weiterhin waren wir mit einem Gefechtssimulationssys-tem AGDUS ausgerüstet. Am Helm und Körper warenSensoren angebracht. Die Handwaffen erhielten eben-falls Sensoren und Impulsgeber.Das heißt klar ausgedrückt: Personentreffer – und dasGerät fängt an zu piepen. Das Ausschalten war nur mitdem Impulsgeberschlüssel der Waffe möglich, die dannnicht mehr einsetzbar war. Also alles ganz einfach.Unser Oberleutnant war mit dem Unteroffizier und vierMann im Schwerpunkt und ich mit drei Mann flankie-rend eingesetzt.Unser Annäherungsstreifen war vorgegeben und circa200 Meter breit. So ein Streifen ist ganz schön breit! Wirnäherten uns der vermuteten Bunkerstellung im Schutzeder Bäume durch eine Senke. Die ersten Drahthindernis-se zum Schutz des Bunkers waren erkennbar. Bis dahinwaren wir gut vorangekommen und sicher, unseren Auf-trag in der vorgegebenen Zeit erfüllen zu können. Abjetzt nur noch tiefste Gangart! Wir waren im Wirkbe-reich der feindlichen Waffen. Am Fuß einer dicken Ei-che war „mein“ Oberleutnant in Stellung gegangen. Umdas weitere Vorgehen beurteilen zu können musste er,um sich einen Überblick zu verschaffen, seine Deckungaufgeben.

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Die ersten beiden Schüsse dieses Gefechtes fielen. Lei-der haben nicht wir geschossen, sondern die Bunkerbe-satzung. Eigentlich war bis dahin noch nicht viel pas-siert. Aber nun fing „mein“ Oberleutnant an zu piepen!Treffer! Der Schiedsrichter, der den Inspekteur des Hee-res im Schlepptau hatte, legte schnell fest, dass der Of-fizier gefallen sei. Unser Sanitätspäckchen brauchtenwir erst gar nicht rauszuholen.Plötzlich schaute alles berechtigter Weise auf mich. Das„oben“ und „ unten“ war neu geordnet.Nachdem ich die Führung übernommen hatte, ging esweiter Richtung Bunker. Wir waren uns sicher: „Denknacken wir!“ Die Lage der Sperren war das größte Pro-blem für uns. Einen Durchgang durch die Drahtsperrenzu finden, nahm sehr viel Zeit in Anspruch. Ich wolltemöglichst keinen Kameraden mehr verlieren und wurdevorsichtig. Vielleicht zu vorsichtig, denn unser Zeitfens-ter zur Auftragserfüllung war klar vorgegeben.Wir schafften es tatsächlich einen Weg durch die Sper-ren zu finden. Die Annäherung an den Bunker unterFeuerschutz meiner Halbgruppe, die jetzt durch den Un-teroffizier geführt wurde, war erfolgreich. Meine Grup-pe hatte keine Ausfälle mehr zu verzeichnen. Handgra-naten wurden durch die Öffnungen des Bunkers gewor-fen und der Bunker war somit „geknackt“.Plötzlich lagen wir unter MG-Feuer. Deckung! Die Bun-kersicherung hatte uns im Visier. Ein Soldat wurdeschwer verwundet. Erstversorgung war angesagt. Damitwaren zwei weitere Männer gebunden. Ich gab den Be-fehl zur Bekämpfung der MG-Stellung.

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Der Hauptgefreite sollte mit dem Gefreiten aus der De-ckung gehen und die Stellung, mit allem was möglichwar, unter Feuer nehmen, um den Feind in Deckung zuzwingen. Die anderen drei sollten unsere restlichenHandgranaten in die Stellung werfen. Klarer Befehl zurAusführung auf mein Zeichen in zehn Sekunden.Plötzlich hatte ich den Eindruck, dass es dem Hauptge-freiten nicht recht war, sich in Gefahr zu bringen. Er zö-gerte – zu lange. Unsere Zeit war abgelaufen. Das Ziel,die MG-Stellung zu bekämpfen, wurde nicht erfüllt. ImEinsatz könnte dieser Fehler allerdings Tod und Ver-wundung zur Folge haben.Der Wettkampf war erst am nächsten Tag beendet. Un-ser zwischenzeitlich durchgeführtes Nachtgefechts-schießen hätte auch besser sein können.Bei der abschließenden Siegerehrung waren wir den-noch stolz auf unser Ergebnis.Ohne die Kameradschaft und die uneingeschränkteIdentifikation mit den Vorstellungen der übergeordnetenFührung, hätten wir unseren Auftrag nicht erfüllen kön-nen.

Eigentlich nichts Ungewöhnliches, dass man bei Aus-fall eines Vorgesetzten das Kommando übernimmt. Zu-nächst gilt es aber, sich der Situation bewusst zu wer-den, dass man nun selbst die Verantwortung tragenmuss.Folglich ist es wichtig, seinen Auftrag genau zu kennenund diesen mit Entschlossenheit weiter umzusetzen.Zögern verhindert den Erfolg.

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BelastbarkeitFür Feldwebel ist die physische und psychische Belast-barkeit Voraussetzung, um den Anforderungen imGrundbetrieb und im Einsatz gerecht zu werden.Hierzu gehören zum Beispiel das drillmäßige Üben vonStandardsituationen, die Konfrontation mit und das Be-herrschen von Extremsituationen im Rahmen der Aus-bildung.Vorbereitete Muster entlasten in Stresssituationen underhöhen die Belastbarkeit.Durch kontinuierliches, auch eigenständiges Trainingerhalten und erhöhen Feldwebel ihre Belastbarkeit.

Sprengfalle

Mein MOLT (Mobile Observation and Liaison Team)wurde durch ein anderes MOLT der Schutzkompaniezur Unterstützung in den Bereich Baharak/Varduj ange-fordert, um einer dänischen Patrouille, die sich im Be-zirk Eskasehm festgefahren hatte, Bergemittel zuzufüh-ren. Mein MOLT verlegte noch am gleichen Tag, an demdie Unterstützungsforderung bei der JOC (Joint Opera-tion Center) einging, in die 80 Kilometer entfernte StadtBaharak. Mit dabei waren vier Kampfgruppen, zweiBAT (beweglicher Arzttrupp) und ein geländegängiger5 Tonner, der zum Abschleppwagen umgebaut wordenwar.

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Wir erreichten die Stadt am darauf folgenden Tag um01:30 Uhr nachts. Nach der Verbindungsaufnahme mitdem MOLT 1 und der JOC Feyzabad erhielten wir einenneuen Einsatzbefehl: „Verlegen Sie mit allen TeilenMOLT 1 und 2 nach Varduj. Bei Koordinate x vermut-lich IED (Improvised Explosive Device). Erkunden, obStraße frei von Sprengfallen und befahrbar. Abmarschum 02:30 Uhr.“Daraufhin verlegten wir mit 20 Fahrzeugen in den unszugewiesenen Bereich. Meine Gruppe fuhr an dritterStelle, da mein Fahrzeug das einzige mit einsatzbereitenOrientierungsmitteln (unter anderem GPS = Global Po-sitioning System) war. Nach einer Fahrzeit von circa2,5 Stunden erreichten wir den Bereich Varduj. Es wur-den zwei Spähtrupps gebildet, die – den Kampfmittel-räumtrupps 30 Minuten voraus – aufklären sollten. DieFahrzeuge wurden mit den Hauptteilen in Bereitschafts-stellung zurück gelassen. Ich bewegte mich mit fünfMann rechts der Straße und der Führer MOLT 1 auf derlinken Seite.Als wir nach zwei Stunden die Ortschaft Tegeran er-reichten, stand ein älterer Mann auf der Straße, der aufuns zu kam und uns mit dem Wort „Boom“ verunsicher-te. War die Straße doch nicht frei von Sprengfallen?600 Meter nach der Ortschaft sammelten wir unsereKräfte und kamen aufgrund der Erkundungsergebnissedes Kampfmittelräumtrupps zu dem Ergebnis, dass dieStraße frei von Sprengfallen sei. Es wurden daraufhindie ersten Fahrzeuge nachgezogen. Als uns die erstenKfz erreichten, hörten wir auf der Straße einen lautenKnall, spürten eine starke Erschütterung und eine

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Druckwelle. Wir hörten nur noch den Ausruf: „IED,IED, IED“, da wurde uns klar, dass es uns getroffen hat-te. Nach einer kurzen Besinnungsphase sammelten wirunsere Gedanken und führten unser eingeübtes Verhal-ten bei solch einem Vorfall durch. „Vollzähligkeit“ wardas Schlagwort. Es dauerte ein paar Minuten, bis sichalle meldeten: MOLT 2 vollzählig, Bergetrupp vollzäh-lig, MOLT 1 und San vollzählig! Jetzt kam der Momentdes Aufatmens. Es war keiner getötet worden; bis aufein paar leichtere Verwundungen waren alle wohlauf.

Ich erhielt den Auftrag, mit meinen Scharfschützen denAnschlagsort zu beobachten. Nach einiger Zeit stellteich fest, dass das IED an einem Punkt angebracht war,an dem sich beide Spähtrupps zum gleichen Zeitpunkt

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auf der Straße aufgehalten hatten. Da rechts abschüssi-ges und links steiles Gelände war, hätte die Zündung desSprengsatzes in dieser Konstellation alle zehn Mann ge-tötet. Er hatte sich aber dafür entschieden, Fahrzeuge zuzerstören. Dies gelang ihm auch. Es wurden zwei MSA-WÖLFE (Modulare Schutzausstattung) durch die Wuchtder Explosion stark beschädigt. Die Besatzungen habennach den trainierten Verhaltensregeln bei IED-Anschlä-gen gehandelt und sind sofort zu Fuß ausgewichen.Nach vier Tagen erreichten wir mit der gesamten däni-schen Patrouille und allen eigenen Kräften das FeldlagerFeyzabad. Von dort sind wir eine Woche später ins Hei-matland zurückgekehrt, da unser Einsatz endete.

Dieses Erlebnis zeigt, dass Tod und Verwundung einständiger Begleiter im Einsatz sind. Es soll auch zei-gen, dass alle gelernten Verhaltensregeln bei einemIED, Hinterhalt und vergleichbaren Situationen konti-nuierlich zu üben sind. Diese Verfahren sind in solchenSituationen überlebenswichtig. Der Soldat muss sie be-herrschen, um auf dem Gefechtsfeld überleben zu kön-nen. Es ist die Aufgabe militärischer Führer, ihre Sol-datinnen und Soldaten so auszubilden, dass sie ihrenAuftrag bestmöglich erfüllen können. Dabei hat nurder physisch und psychisch besonders belastbare Feld-webel den Kopf für seine besonders in Extremsituatio-nen wichtigste Aufgabe frei, das sichere Führen seinerSoldaten.

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EinfühlungsvermögenUm als Feldwebel Menschen verantwortungsbewusstführen zu können, ist Vertrauen die wichtigste Grundla-ge. Will der Vorgesetzte seine Soldaten verstehen, ist esnotwendig, sich in sie und ihre Lage hineinzuversetzenund ihre Gedanken, Absichten und Gefühle richtig zu er-schließen. Hierfür muss sich der Vorgesetzte Zeit neh-men und zuhören können.Dieses Einfühlungsvermögen ermöglicht die Wahrneh-mung von individuellen Verhaltensweisen der Soldaten,um diese dann lagegerecht und angemessen einsetzen zukönnen.

Fürsorge im Einsatz

Zu Beginn des Jahres erfolgten die ersten Planungen imBereich unseres Zuges für die Abstellung einer Gruppefür das Einsatzkontingent KFOR in Prizren. Ich war zudiesem Zeitpunkt Unteroffizier und als Gruppenführereingesetzt. Mit mir sollten weitere neun Kameraden inden Einsatz verlegen, welche auch schnell gefunden wa-ren. Ab in die Einsatzvorausbildung, noch etwas Dienst-postenausbildung und schon war der November da. Wirverlegten mit einer Übernachtung in Mechernich überKöln mit der TRANSALL nach Skopje und von dortaus, wie damals üblich, im Konvoi per Landmarsch nachPrizren. Ein bisschen aufgeregt war ich trotz meinerEinsatzerfahrung schon, denn dieses Mal sollten es

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knapp sieben Monate werden, inklusive zwei WochenUrlaub zu Hause. Die erste Nacht in unseren Übungszel-ten ging schnell vorbei. Die nächsten Tage verliefen rei-bungslos und bereits nach kurzer Zeit kehrte „Routine“ein.Als nächste Herausforderung stand nun die Weihnachts-zeit vor der Tür, welche für mich als alleinerziehenderVater die vermeintlich schwerste Zeit darstellte. MeineTochter war drei Jahre alt und ich wusste nicht, wie siemit der Situation klar kommen würde. Im Einsatz war eszu meiner Überraschung recht entspannt. Ein Weih-nachtsfest unter Kameraden war halt mal was anderes.Man war so gut wie nie alleine und der Spieß hatte aucheiniges vorbereitet. Zu Hause schien alles in Ordnung zusein, so ließ es mich zumindest meine Familie wissen.So ging Weihnachten reibungslos über die Bühne. Auchdie Jahreswende brachten wir schnell hinter uns und esging mit großen Schritten auf meinen Urlaubszeitraumzu, welchen ich ins hintere Drittel meines Einsatzes ge-legt hatte.Ende Januar bekam ich von meiner Mutter einen An-ruf über die Familienbetreuungsstelle. Sie teilte mirmit, dass meine Tochter mit einer Lungenentzündungim Krankenhaus lag. Mir schossen sofort tausend Din-ge durch den Kopf und ich war geschockt. Mein beimTelefonat anwesender Zugführer bemerkte gleich,dass etwas nicht in Ordnung war. Er bot mir sofort dasGespräch an, doch ich brauchte erst mal eine Weile,um mit der neuen Situation klarzukommen, kam dannnach kurzer Zeit auf ihn zu, um ihm die Situation zuschildern. Das kostete mich keine große Überwin-

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dung, da wir ein sehr gutes Verhältnis hatten. Währenddes Gesprächs merkte er schnell, dass mir die Sachekeine Ruhe ließ und einem hier im Einsatz die Händegebunden waren. Er machte mir den Vorschlag, unse-ren Kompaniechef mit einzubeziehen. Da es bereits19:00 Uhr war und ich nicht sicher war, ob das an die-sem Abend noch sinnvoll sei, versuchte ich die Sacheauf den folgenden Tag zu verschieben. Er bestand je-doch darauf und ich gab natürlich nach. Nach einerStunde trafen wir uns in einer Betreuungseinrichtung.Kurze Zeit später kam auch der Kompaniechef nach.Er teilte mir mit, dass er gerade beim Flugplaner ge-wesen wäre und dass am nächsten Tag eine TRANS-ALL von Skopje nach Penzing fliege. Seine Absichtwar es, mich vorzeitig in den Urlaub zu schicken, da-mit ich meine Probleme zu Hause lösen könne. Überdiese unbürokratische, flexible Lösung war ich natür-lich positiv überrascht und nahm das Angebot dankendan.Nachdem sämtlicher Papierkram erledigt war, flog icham nächsten Morgen über Penzing nach Leipzig. Dortstand schon ein Fahrzeug meiner Stammeinheit bereit,welches mich zurückbrachte. Etwas mehr als 24 Stun-den nachdem mich die Information ereilt hatte, warich zur Überraschung aller zu Hause. Nach ein paarStunden Schlaf konnte ich am nächsten Tag meineTochter im Krankenhaus besuchen. Die war natürlichüberglücklich, ihren Papa wieder bei sich zu haben.Nach ein paar Tagen intensiver Pflege, im Kranken-haus und zu Hause, ging es ihr wieder deutlich besser.Auch wenn mir der Abschied nicht leicht fiel, konnte

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ich ruhigen Gewissens zurück in den Einsatz verlegenund die verbleibende Zeit auf meinem Dienstpostenohne Probleme bewältigen.Im Nachhinein denke ich noch häufig an eine Situationin meinem ersten Einsatz. Damals nahm sich vor demgegenüberliegenden Gebäude ein Mannschaftssoldatmit seiner Handwaffe das Leben, als wir gerade vor demUnterkunftsgebäude eine Zigarette rauchten. Was hat erwohl für Probleme gehabt, warum wählte er für sich die-se Art der „Problemlösung“? Hätte man ihm helfen kön-nen? Damals war ich Hauptgefreiter und versuchte, die-se tragische Situation schnellstmöglich zu verdrängenoder zu vergessen. Und so sprachen wir nicht viel überdiesen Vorfall.Heute bin ich Hauptfeldwebel und mein Verhalten wur-de maßgeblich durch viele Einsatzsituationen geprägt.Ich arbeite stets getreu dem Motto „Wo ein Wille ist, istauch ein Weg. Man muss ihn nur suchen.“ Mir ist es be-sonders wichtig, dass meine Soldaten mir vertrauen. Siefinden bei mir zu jeder Zeit ein offenes Ohr, nicht nur fürdienstliche Belange. Ich versuche, mögliche Problemeoder Konflikte frühzeitig zu erkennen und, wenn es mirmöglich ist, dazu beizutragen, diese aus dem Weg zuräumen.

Gerade während der Auslandseinsätze haben wir alsVorgesetzte eine große Verantwortung gegenüber unse-ren Soldaten und deren Familien. Dies ist natürlichnicht immer einfach, aber die Wahrnehmung derPflichten hier sollte für jeden Vorgesetzten selbstver-ständlich sein.

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Vermeintlich kleine Probleme können insbesondere imEinsatz eine große Wirkung entfalten und die Soldatenin ihrer Auftragserfüllung einschränken. Vorgesetztebrauchen gerade in diesen Situationen ein hohes Maßan sozialer Kompetenz, um ihre Soldaten einschätzenund angemessen reagieren zu können.

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LoyalitätFür Feldwebel bedeutet Loyalität das gegenseitige Ver-trauen zwischen Führern und Geführten als Vorausset-zung für den Erfolg.Loyalität heißt, im Sinne der Vorgesetzten zu handelnund Befehle und Maßnahmen auch dann umzusetzen,wenn diese unbequem oder auf den ersten Blick nichteinsichtig erscheinen.Loyalität bringt auch die gegenseitige Treuepflicht zwi-schen Dienstherr und Soldat sowie zwischen Vorgesetz-ten und Untergebenen zum Ausdruck.Loyalität ist keine Einbahnstraße!

Das geht ja gut los!

Im nassen und kalten Frühjahr verlegten wir im Land-marsch auf den Truppenübungsplatz in BAUMHOL-DER. Wir, das sind Teile der 1. Kompanie eines Panzer-grenadierbataillons, die notwendig sind, um die übendenKampfkompanien zu unterstützen. Dazu zählten etwa20 Instandsetzungssoldaten, Kameraden aus der Kücheund des Transportzuges und einige Sanitätssoldaten. Ich,der Schirrmeister, war als Führer dieser Kräfte einge-teilt. Der zu unterstützende Leitverband war ein unsschon seit einigen Jahren bekanntes Panzerbataillon.

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Diesmal hatten wir aber irgendwie Pech gehabt und be-kamen für die Instandsetzung der Fahrzeuge die ungüns-tigeren Arbeitsplätze auf dem Kettenabstellplatz zuge-wiesen. Sie waren weit weg vom Lager und Strom undWasser waren anfangs nicht zu bekommen. Die Stim-mung meiner Soldaten befand sich im Keller und eswurde über den Leitverband geschimpft. Langsam brachdie Dunkelheit herein, der Hunger machte sich breit undvieles war noch nicht geregelt.Ich kam gerade von der ersten Befehlsausgabe des Pan-zerbataillons zurück, verschaffte mir noch ein Bild überdie Arbeitsbereitschaft und ließ anschließend meine Sol-daten sammeln, um die Punkte aus der Besprechung so-wie den weiteren Ablauf bekannt geben zu können. Dawir nach wie vor keinen Strom hatten, nutzten wir dasScheinwerferlicht eines Lkw und bildeten einen Halb-kreis. Meine Männer und Frauen waren aufgrund derwidrigen Rahmenbedingungen immer noch schlechtdrauf. Daher musste ich sie zunächst motivieren, zumalmir der Technische Stabsoffizier des Panzerbataillonsnach der Befehlsausgabe versucht hat, die Gründe fürdie Zuordnung der Räumlichkeiten zu erläutern. Ichgebe zu, diese waren nicht unbedingt nachvollziehbar.Also fing ich an und betonte unseren Stolz, dass wir esauch so schaffen und uns nicht unterkriegen lassen wer-den. Wir sind doch Profis und es sollte vor allem keinMeckern gegenüber unseren Panzerkameraden aufkom-men. Außerdem würden sich die Anfangsprobleme si-cher in Kürze erledigen.

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So richtig in Fahrt gekommen, gab ich die Punkte derBefehlsausgabe und den weiteren Ablauf bekannt undforderte nochmals zum Zusammenhalt auf.Mitten in meinem Redeschwall machte mich einer mei-ner Soldaten auf einen Sportler aufmerksam, der hintermeinem Rücken, recht nahe unserer Besprechung standund anscheinend lauschte. Bis dahin hatte ich ihn nichtbemerkt. Leicht genervt ging ich spontan hin, fragteenergisch, ob ich ihm helfen könnte und was er hierüberhaupt zu suchen hätte.Der etwas ältere, durchtrainierte Herr stellte sich als derneue Kommandeur des Panzerbataillons vor und forder-te mich auf, mit meiner Besprechung einfach fortzuset-zen. Die Kontrolle eines Ausweises ersparte ich mir lie-ber.Bis dahin kannte ich den neuen Kommandeur nochnicht. Ich wusste nur, dass es seit kurzem einen Neuengibt. So kann es gehen. Erstmal habe ich tief geschlucktund kurz überlegt, was ich alles gesagt hatte. Also,nichts anmerken lassen, zügig weiter machen und fertigwerden.In den nächsten Tagen verrichteten wir unsere Arbeitwie gewohnt und zur vollsten Zufriedenheit der Truppe.Auch die Anfangsschwierigkeiten waren in kürzesterZeit beseitigt und die Zusammenarbeit mit den Soldatendes Panzerbataillons verlief einwandfrei.Kurz darauf erschien der Kommandeur erneut bei unsim technischen Bereich – diesmal allerdings im Ge-fechtsanzug. Mit einem leichten Schmunzeln fragte ermich, ob alles in Ordnung sei und ob es den Soldaten gutgeht. Ich bejahte beide Fragen und hatte im Nachhinein

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das Gefühl, dass es vor allem an ihm lag, dass sich dieRahmenbedingungen so schnell zum Positiven verän-dert hatten …

Loyal zu Deinen Vorgesetzten, muss Du stets bemühtsein, Dich fürsorglich und verantwortlich gegenüberDeinen eigenen Soldaten zu verhalten. Sich in diesemSpannungsfeld zu bewegen, ist nicht immer leicht.Sei überlegt bei Deinen Äußerungen und hüte Dich vorunüberlegten Aussagen. Wäge Deine Worte sorgfältigab und halte dich zurück, wo es nötig ist. Schließlichbist auch Du Vorgesetzter.

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„Alles klar?“ Ich blicke wieder in die Runde der Un-teroffiziere und ernte nicht nur verständnisvolle Blicke.Zunächst Schweigen. Haben wirklich alle verstanden,was ich mit diesen, aus den Buchstaben des Wortes„Feldwebel“ abgeleiteten Tugenden meine? Einige derälteren Kameraden lächeln wissend und bevor ich fort-fahren kann, ergreift der Schirrmeister unvermittelt dasWort und fängt an zu erzählen …

Die fünf „H“s

Nach vielen Dienstjahren hat man doch schon einigeLehrgänge in der Bundeswehr besucht, von denen man-che Thematiken mehr oder weniger in Erinnerung blie-ben, andere jedoch ganz verloren gingen.Besonders an einen Unterricht kann ich mich noch erin-nern. Die Ausbilder versuchten zu erläutern, was ein mi-litärischer Führer für wichtige Eigenschaften besitzensollte.Den Eigenschaften wurden der Einfachheit halber fünf„H“s zugeteilt: Haltung, Härte, Herz, Hirn und Humor.

Haltung:Sein vorbildliches Verhalten zeigt sich in seinem Er-scheinungsbild. Nur wenn er durch sein Beispiel führt,kann er mit der Gefolgschaft seiner Soldaten rechnen.Hierbei müssen die Worte mit den Taten übereinstim-men, um Vertrauen aufzubauen und zu erhalten. Im Um-gang mit Anderen muss er aufrichtig und ehrlich sein!

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Härte:Bereits im täglichen Dienstbetrieb weckt und festigt dermilitärische Führer durch Erziehung und einsatznaheAusbildung seiner Soldaten die seelischen und körperli-chen Kräfte. Außerdem gewöhnt er sie an Leistung, An-strengung und Entbehrungen. Besonders weist er eineeigene gute körperliche Fitness auf. Der militärischeFührer muss sich durch Willenskraft und Durchset-zungsvermögen auszeichnen, lebt mit seinen Soldaten,teilt mit ihnen alle Strapazen. Er übt Selbstdisziplin undmuss sie von jedem seiner Soldaten einfordern. Dabeidringt er auf Pünktlichkeit, Genauigkeit, Ordnung undZähigkeit.

Herz:Für Sorgen und Probleme seiner Untergebenen hat dermilitärische Führer immer ein offenes Ohr. Hierbei soll-ten ihm die persönlichen Verhältnisse der Soldaten ver-traut sein. Im Rahmen der Fürsorge versteht er es, impersönlichen Gespräch mit dem Einzelnen, Anliegenund Sorgen des Soldaten kennenzulernen und ihm Hilfeanzubieten oder Lösungen zu finden. Der militärischeFührer fühlt sich für seine Soldaten verantwortlich undkennt sie mit Namen.

Hirn:Der militärische Führer führt mit Auftrag. Er befiehltseinen Soldaten das Ziel, das sie erreichen müssen,schreibt aber den Weg dorthin nicht im Einzelnen vor. Erbeherrscht den Führungsprozess, ist zweckmäßig undschnell in der Entschlussfindung auch bei wechselnden

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Lagen, handelt selbstständig im Sinne des Auftrags undsetzt seinen Soldaten deutliche Ziele. Er versteht es, kla-re und eindeutige Befehle zu geben. Er muss durch seinfachliches Können und seine Leistung überzeugen.

Humor:Gerade hier kann der militärische Führer zeigen, dass ernicht nur Führer, sondern auch ein Mensch wie du undich ist. Er versteht es, seine Soldaten in bestimmten Si-tuationen durch Humor aufzuheitern. Denn Lachen istein uns angeborenes Ausdrucksverhalten, das vor allemin der Gemeinschaft mit anderen seine Wirkung entfal-tet. Lachen dient auch der Stressbewältigung, kurzum:Lachen ist gesund! Lachen gilt auch unter Menschen alsschnellste und einfachste Möglichkeit, den Anderen zuerreichen.

Diese eigentlich einfachen fünf „H“s haben mich per-sönlich in den letzten Jahren immer wieder angeregt,über wichtige Eigenschaften des militärischen Führersnachzudenken. Sie sind auch zur eigenen Anwendungähnlich einer Checkliste oder Richtlinie zu gebrauchen.Dabei wird im Laufe der Jahre vieles von dem, was sichdahinter verbirgt, verständlich. Vor allem aber ist die Er-fahrung der beste Lehrmeister, ob selbst erfahren oderbei anderen Kameraden abgeschaut.

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... das war’s. Ein Lächeln wanderte in die Gesichterund ich wusste, die Botschaft ist angekommen. UnserSchirrmeister hatte es auf den Punkt gebracht.Und so gibt es noch viele weitere Erfahrungen und Er-lebnisse. Folgen Sie nun den erlebten Geschichten unse-rer Feldwebelkameraden und haben Sie teil an deren Er-fahrungen …

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Erfahrungen und Lehren

Frisch vom Lehrgang

Nach knapp sechs Monaten Abwesenheit von meinemStandort meldete ich mich mit bestandenem Feldwebel-lehrgang in meiner Stammeinheit zurück. Die Rückmel-dung beim Spieß war ernüchternd. „Aha, Feldwebel-lehrgang bestanden. Na dann, herzlichen Glückwunschund geben Sie Gas!“Die Beförderung zum Feldwebel wurde bereits währenddes Lehrgangs vollzogen. Vor dem Antreten am Montag-morgen Gratulationen einiger Kameraden, aber auchfragende Gesichter zwischenzeitlich zu versetzter Sol-daten: „Was ist das für einer? Wo kommt der denn her?“Das kann passieren, wenn man lange Zeit auf Lehrgän-gen verbringt.Unten im Instandsetzungszug ähnliche Reaktionen undden Spruch des Hörsaalleiters noch im Ohr: „Kamera-den, denken Sie nur nicht, dass auf einmal alle vor Ihnenauf die Knie fallen, nur weil Sie einen Winkel auf derSchulter haben.“ Der hat gut reden. Anstatt in den Auf-enthaltsraum, wie vorher als Unteroffizier ohne Porte-pee ab ins Gruppenführerbüro. Dort sind die Feldwebelmit der Organisation des Instandsetzungsablaufes be-schäftigt, bearbeiten Instandsetzungsaufträge, besorgendie notwendigen Ersatzteile oder organisieren die Hal-lenbelegung.

Was mache ich denn jetzt den ganzen Tag? Ab zum stell-vertretenden Zugführer, der müsse schließlich wissen,

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was zu tun ist. Aber auch hier die ernüchternde Antwort:„Sie sind jetzt Feldwebel, also verhalten Sie sich wie ei-ner. Ich kann Ihnen nicht auch noch alles vorkauen, esgibt genug zu tun. Für den Anfang sorgen Sie mal dafür,dass die zwei Fahrzeuge aus der Halle kommen.“Ein Auftrag – wunderbar. Nachdem klar war, um welcheFahrzeuge es sich handelt, konnte die Suche nach zweiKraftfahrern losgehen. Ein guter Startpunkt: der Aufent-haltsraum. Also, noch mal durchatmen und rein da. „DerY-374 und der Y-589 müssen aus der Halle. Wer kanndas machen?“ Fehler direkt erkannt, nachdem der Satzzu Ende gesprochen war. Als Feldwebel fragt man nicht,man ist schließlich jetzt Vorgesetzter, sondern man gibtBefehle. Also, noch mal: „Stabsunteroffizier A. denY-374 und Stabsunteroffizier B. den Y-589 raus fahrenund auf die Platte stellen!“ Geht doch, schon setzten sichdie Beiden in Bewegung.Und jetzt? Der Tag ist noch lang. Na ja, fragen wir docheinfach mal die anderen Feldwebel, so schlimm kann’swohl nicht werden.„Du kannst das Material überprüfen und kläre mit demNachschubdienstfeldwebel, wann das Stromerzeugerag-gregat ankommt. Möchtest du einen Kaffee?“ Das wareinfach. Es gibt als Instandsetzungsgruppenführer wirk-lich genug zu tun.Fazit des ersten Tages: Ein bisschen Mut und Nachfra-gen bei erfahrenen Vorgesetzten erleichtert einem dasLeben als militärischer Führer, Ausbilder und Erzieher.

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Die ersten Tage, der Anfang kann schwer werden. Zu-mindest wird es ungewohnt sein, plötzlich Vorgesetzterzu sein und anderen zu sagen, was zu tun ist. NehmenSie sich zu Herzen, was Ihnen auf dem Feldwebellehr-gang beigebracht wurde. Trauen Sie sich, ältere und er-fahrene Kameraden anzusprechen. Seien Sie offen fürNeues und Unbekanntes. Nehmen Sie es als Herausfor-derung an.

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Vorbereitung ist die halbe Übung

„Einteilen des Personals, Einsetzen des Materials,Stromkonzept, Tarnkonzept, Verpflegungsmeldung, Vor-lage in zwei Tagen zum Dienstschluss“, schreibe ich im-mer undeutlicher werdend als Auftrag auf meinen Mel-deblock. Ich weiß heute schon, dass ich das nie in derZeit hinbekommen werde, da ich nur die Hälfte davonverstanden habe.Ich bin ein junger Feldwebel in der zweiten Woche inmeiner neuen Einheit und sitze zusammen mit dem an-scheinend ebenso jungen und unerfahrenen stellvertre-tenden Kompaniechef bei der Planung für eine Ge-fechtsstandsübung. Der Oberleutnant gibt mir kurz undknapp die Aufträge, die ich innerhalb der nächsten zweiTage erfüllen soll.Mein Auftrag besteht darin, den vorgeschobenen Ge-fechtsstand (VGefStd) unserer Division bei einer Groß-übung aufzubauen und zu betreiben. Dieser VGefStd istein kleiner Teil eines großen Gefechtsstandkonzeptes,das aus dem Gefechtsstand Haupt (GefStd H) und demVGefStd besteht. Wie es scheint, findet die Übung über-wiegend auf dem GefStd H statt, was ich daran erkenne,dass das besterhaltene Material und das bestausgebilde-te Personal in diesem Bereich eingesetzt wird. Das rest-liche Material bekommt also der junge Feldwebel fürseinen wohl „mickrigen“ vorgeschobenen Gefechts-stand.Dieser „mickrige“ VGefStd besteht im Wesentlichen ausvier Mannschaftstransportwagen (MTW) und einerHand voll Kabinenfahrzeugen. Klingt eigentlich nicht

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sehr spektakulär. Mir zur Seite steht ein lustlos erschei-nender Stabsunteroffizier, der meiner Meinung nachnicht sehr viel von der Bundeswehr hält und den Ge-rüchten zu Folge wohl aus der Nachbarkompanie wegen„hervorragender Leistung“ weggelobt wurde. Einen Sol-daten dieses Kalibers brauche ich „alter Hase“ in kei-nem meiner Konzepte, soviel weiß ich jetzt schon.Das ist meine Chance, groß rauszukommen, um aus na-hezu Nichts Gold zu machen. Aber wie komme ich da-hin?Mit Tarnnetzen kann ich umgehen, also werde ich dasmit dem Tarnkonzept hinkriegen. Personal habe ichkaum welches und das Material in Form von Fahrzeugenaller Art ist, laut der Übersicht im Büro, zur Hälfte nichteinsatzbereit. Ich gehe also in den technischen Bereich,um mir selbst ein Bild von der Lage zu verschaffen. Zu-nächst sehe ich mir die Gerätebegleithefte und techni-schen Dienstvorschriften an. Aufgrund diverser fehlen-der Prüfungen für den Straßenverkehr gesperrt. RoterStempel! Für den Kabinentransport gesperrt. RoterStempel! Na toll.Ich schaue mir die zugewiesenen Fahrzeuge mal aus derNähe an. Es scheint auf den ersten Blick, als sei die letz-te Übung, an der diese Vehikel teilgenommen haben,schon ein paar Generationen her. Auf keinem der Fahr-zeuge ist eine Kabine verzurrt. Ist logisch, sind ja auchfür den Transport solcher Kabinen gesperrt. Die Kabi-nen stehen abgesetzt unter einem Schleppdach und se-hen eigentlich ganz brauchbar aus. Die MTW sind in ei-nem guten Zustand, was darauf zurückzuführen ist, dasssie gerade aus der Depotinstandsetzung gekommen sind.

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Stromerzeugungs-Aggregate kenne ich und habe sieauch schon bedient, aber immer nur für einen Trupp.„Volt, Ampere und Ohm, ohne uns gibt’s keinen Strom“,höre ich den Ausbilder in der Fernmeldeschule (neu:Führungsunterstützungsschule) noch. Ansonsten hatteich mit Strom in diesem Leben auch noch nicht solch ei-nen intensiven Kontakt, als dass ich irgendein Konzepterarbeiten könnte.Da steht also eine Menge Arbeit an. Die Instandsetzung(Inst) wird der richtige Anlaufpunkt sein, um meinen an-stehenden Herausforderungen einen richtigen Ansatz zugeben.Nachdem der Schirrmeister mich nach der Frage, wo ichdenn hier die „Gartengeräte“ zur Instandsetzung fürmeinen Lkw 2 to bekomme, auf links gedreht hat, ist dieEntscheidung schnell gefällt. „Aussonderung“. Heißt imKlartext: Ich sehe zwei von drei Fahrzeugen nicht mehrwieder. Einfach für die Instandsetzung – neue Heraus-forderung für mich. Bei solch einem Auftrag lernt manviele Kameraden kennen, die in wichtigen Schlüsselpo-sitionen eingesetzt sind. Man halte also regen und vorallem guten Kontakt zu ihnen.Materialbewirtschaftung habe ich in meiner vorherigenVerwendung bereits kennen gelernt. Der Materialnach-weisfeldwebel ist nicht sonderlich entzückt über meinAnliegen, zwei Lkw außerhalb unseres Bataillons aus-zuleihen. „Wie es denn soweit kommen konnte?“, fragter mich wie ein Zahnarzt seinen Patienten, den er zweiJahre nicht mehr gesehen hat. Ich rede mich irgendwieraus und fühle mich die ganze Zeit schuldig, obwohl ichdoch hier das Richtige tue, nämlich meinen Auftrag er-

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füllen. Vor allem möchte ich keine Kameraden in denDreck ziehen, indem ich mit dem Finger auf Andere zei-ge, die ich nicht einmal kenne. Am nächsten Tag soll ichnoch einmal wiederkommen, bis dahin hat er das gere-gelt. Wie er das wohl meint? Man muss schon recht häu-fig zwischen den Zeilen lesen.Während nun dieser Vorgang den hoffentlich richtigenWeg geht, mache ich mich auf zur Elo-Inst (Elektronik-instandsetzung), um etwas über Strom zu lernen.„Mensch, das hab ich ja noch nie erlebt!“ begrüßt michein Feldwebelkamerad freundlich. „Endlich springt maleiner über seinen Schatten.“ Es scheint so, als würde ichhier nicht beschimpft werden und so setze ich mich denRest des Nachmittages mit dem Kameraden hin und er-arbeite Stück für Stück ein für mich letztlich plausiblesKonzept, um den ganzen Gefechtsstand sinnvoll mitStrom zu versorgen. Seit diesem Tag weiß ich, welchesder verschiedenen Stromerzeugeraggregate wie vielAusgangsspannung an welchen Steckplätzen hat undwelche Kabinen mit welchem Kabel angebunden seinmüssen.Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich unter norma-len Umständen keinen solch großen Aufwand betriebenund mir alles selbst angeeignet hätte. Wie viele andere,wäre ich wahrscheinlich den einfachen Weg des „Is’ so!“gegangen. So lernt man nichts und wird bequem.

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Es gibt keinen Grund zurückhaltend zu sein. Wird einMangel festgestellt, wird er von dem abgestellt, der ihnentdeckt hat. Bin ich mir nicht sicher, was ich tun soll,das kommt in unserem Aufgabenspektrum schon malvor, so muss ich fragen, wie es geht und wissen, wenich fragen muss.Führen mit Anspruch auf Gehorsam kann nur der, derweiß, von was er spricht.

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Leben in der Lage – der Förster

„Los Männer, kurze Befehlsausgabe an die Gruppe undwir sehen uns gleich an den Hubschraubern.“Danach gingen wir Gruppenführer zu unseren Soldatenund gaben den Befehl kurz an die Männer weiter. Da wirwenig Zeit hatten, um alles genau mitzuschreiben, wur-den viele Abkürzungen verwendet und nur das Wichtigs-te aufgeschrieben.Um 1725 Z stand der Zug geschlossen bei den drei Hub-schraubern, wie so oft natürlich nur Lkw 2 to, und wirverlegten in Richtung Einsatzraum.Durch eine Leitungseinlage konnten unsere Lkw 2 to denLanderaum nicht „anfliegen“ und mussten an der Aus-weichlinie abdrehen. Als wir abgesessen waren und unskurz orientieren mussten, haben wir festgestellt, dass wir10.000 ostwärts des Einsatzraumes waren. Wir sammel-ten sofort an einer Waldecke und sicherten. Der Zugfüh-rer gab kurz seine ersten Aufträge für das weitere Vorge-hen. Wir marschierten gruppenweise, zügig, meistens aufFeld- und Waldwegen, um möglichst unerkannt zu blei-ben und nicht weiter aufzufallen. Wir haben es vermie-den, angelehnt an Straßen zu marschieren. Ab und zukam ein Traktor oder ein Auto vorbei, selten trafen wirFußgänger. Wenn sich jemand näherte, sind wir sofortauf Zeichen von vorne untergezogen. So kamen wir zwarnur langsam, aber dennoch stetig voran. Je später es wur-de, desto weniger Leute waren unterwegs. Nach längererZeit legte der Zugführer eine kurze Rast ein und sprachmit uns Gruppenführern. Im Anschluss ging er die Grup-pe ab, um kurz mit den Männern zu sprechen.

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Danach setzten wir unseren Auftrag, schnellstmöglichzum Bataillon zu kommen, weiter fort.So verging die Zeit, wie sie halt vergeht, auf einem„stumpfen“ Gefechtsmarsch. Es passierte überhauptnichts, keine Feindeinlage und so konnten wir uns ent-sprechend schnell auf dem Waldweg fortbewegen.Auf einmal hörten wir eine Stimme im Wald. Wir zogensofort unter und sicherten den Bereich rundum. Diemännliche Stimme kam näher und wurde lauter, siefluchte ununterbrochen. Als der Mann auf unserer Höhewar, gab sich der Zugführer zu erkennen und fragte zu-nächst nach der Parole. Der Mann sah ihn unverständ-lich an und schimpfte weiter. Der Zugführer fragte ihn,was er denn zu so später Stunde und fluchend im Waldmache?Der Mann sagte, er sei der örtliche Förster und habeoben in der Kurve seinen Geländewagen in den Grabengesetzt. Da er noch einen Termin hätte, den er jetzt nichtmehr erfüllen könne, sei er sehr verärgert. Die Männerder Gruppe hörten das Gespräch mit und kamen eben-falls aus ihrer Deckung, voller Neugierde und nicht ge-fechtsmäßig. Der Zugführer bot kurzerhand unsere Hil-fe an und wollte das Auto herausziehen. Der Försterlehnte dankend mit der Begründung ab, wenige Meterentfernt habe er einen Schuppen mit einem Traktor undmit diesem würde er sein Auto freibekommen.Der Zugführer gab Befehl, die Ausgangslage wieder ein-zunehmen und wir setzten unseren Marsch fort. Nur cir-ca 20 Meter hinter uns ertönte wie aus heiterem HimmelMaschinenpistolenfeuer. Als wir uns überrascht in dieRichtung drehten, aus der das Feuer kam, sahen wir, wie

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der Förster in seinen Händen eine Maschinenpistolehielt und mit Manövermunition auf uns feuerte.

In der Schlussbesprechung stellte sich heraus:Der Förster wurde durch einen Leitungsgehilfen darge-stellt und zeigte uns auf, wie vertrauensselig wir dochwaren. Wäre es keine Übung gewesen, wären viele Sol-daten der letzten Gruppe gefallen und das nur, weil siegutgläubig einem örtlichen Förster helfen wollten.

Was war passiert? Der kleine Zusatz im Befehl desZugführers, „die Bevölkerung ist feindlich gesinnt“, istin der Hektik wieder einmal untergegangen und alle sa-hen nur den friedlichen Förster von nebenan.

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Tote und Verletzte beim Eisenbahntransport

Es war Oktober in Baumholder. Das Bataillon hatte ei-nen dreiwöchigen Übungsplatzaufenthalt hinter sich.Ich war zu der Zeit Stabsunteroffizier und als Truppfüh-rer eines Schützenpanzers (SPz) eingesetzt. Es kam derBefehl, mit Eisenbahntransport nach Hammelburg zuverlegen. Aufgrund eines technischen Defektes an mei-nem SPz – der Gaszug hing manchmal bei höhererDrehzahl – befahl mir mein Zugführer, den SPz selbst zubewegen und dies nicht dem noch unerfahrenen Solda-ten zuzumuten. Der Kraftfahrer nahm also meinen Platzals Truppführer ein und ich den des Kraftfahrers. Mit imFahrzeug war noch der Richtschütze, der seinen ge-wohnten Platz im Turm eingenommen hatte. Wir er-reichten den Bahnhof in geschlossener Marschformati-on im Rahmen der Kompanie.Wir hielten an, standen in Reihe und warteten auf weite-re Befehle. Kurze Zeit später musste ich zur Befehlsaus-gabe. Dort erfuhren wir, wie und auf welche Weise dasVerladen unserer SPz stattfinden soll. Wir sollten uns,wegen des Gewichtes unsers Panzers, im Reißver-schlussverfahren mit den Mannschaftstransportwagen(MTW) der 4. Kompanie mischen. Zwei SPz auf einemWaggon wären zu schwer gewesen. So entschied mansich, jeweils einen MTW mit einem SPz auf einen Wag-gon zu stellen. Mit diesem Befehl ging ich wieder zumeinem Fahrzeug und gab die Information an meinebeiden Soldaten weiter.Nach einer Weile kamen die MTW der 4. Kompanie ne-ben uns zum Stehen. Es dauerte eine geraume Zeit, bis

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unser SPz über die Heckrampe des Waggons verladenwerden konnte. Unsere Kompanie begann, es folgten dieMTW der 4. Kompanie. So zog sich das Ganze nachhinten durch, bis ich mit meinem SPz an der Reihe war.Bevor ich dem MTW vor mir folgte, fuhr noch ein Krad-melder dazwischen, der – wie ich später erfuhr – noch inden MTW aufgenommen werden sollte.Ich war etwas verwundert über den Ablauf des Verla-dens. Jeder MTW war noch mit einer vollständigenGruppe besetzt. Das Gleiche bei unserem SPz. Des Wei-teren bewegte sich der ganze Tross gleichzeitig auf denEisenbahnwaggons. Beschleunigt wurde das Vorgehendurch den Verladeoffizier, der mit wilden Handzeichenversuchte, die Geschwindigkeit der einzelnen Fahrzeugezu erhöhen. Da sich aber vor meinem Fahrzeug noch derKradmelder befand, versuchte ich genügend Abstand zuhalten. Als der MTW vor mir als zweites Fahrzeug aufeinem Waggon zum Stehen kam, hielt ich mit einem Ab-stand von einem Waggon an. Dadurch kam die Kolonnehinter mir ebenfalls zum Stehen. Diese Maßnahmemissfiel dem Verladeoffizier und er befahl mir, weiterzu-fahren und den endgültigen Platz auf dem Waggon ein-zunehmen. Ich folgte dieser Aufforderung nicht, da dieHeckklappe des MTW vor mir geöffnet war und dieganze Gruppe sich hinter dem Fahrzeug aufhielt. DesWeiteren hatte man begonnen, das Krad in den MTW zuverladen. Ich wurde nochmals aufgefordert nach vornezu fahren. Dies lehnte ich erneut ab und machte demVerladeoffizier deutlich, warum. Ich erklärte ihm, dassmein Gaspedal manchmal hängen bliebe und mir dasGanze doch etwas gewagt vorkäme. Der Verladeoffizier

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schüttelte mit dem Kopf, akzeptierte aber meine Ent-scheidung. Er befahl daraufhin den Soldaten vor mir,hinter dem MTW wegzugehen, so dass ich auf meinenWaggon fahren konnte, ohne dass ich die Soldaten ge-fährdete.Nachdem ich dies getan hatte, zog ich die Handbremsean, legte die Rückwärtsfahrstufe ein und betätigte wei-terhin die Fußbremse. Den Motor ließ ich an, um dieVerkeilung des Panzers durchzuführen. Ich befahl mei-nen beiden Soldaten abzusitzen und die Keile hinten andie Kette anzulegen. In dieser Zeit konnte ich beobach-ten, wie die Gruppe Soldaten sich wieder zwischen demMTW und meinem Fahrzeug einfand, um noch persön-liche Ausrüstung aus dem Fahrzeug zu holen. Des Wei-teren konnte ich sehen, dass der MTW schon verkeiltwar.Aus mir zu dem Zeitpunkt unbekannten Gründen schossder MTW auf einmal nach hinten und prallte mit vollerWucht gegen meinen Panzer. Dabei wurden einige Sol-daten von dem Waggon geschleudert. Weitere vier oderfünf Soldaten wurden durch die Heckklappe des MTWunter meinen SPz geschoben. Ein Soldat wurde zwi-schen hinterem Kettenschutz und der Kette meines Fahr-zeugs eingeklemmt. Der Aufprall war so groß, dassmein SPz etwa 20 Zentimeter nach hinten geschobenwurde. Das Geschrei der Soldaten war heftig. Überallwar Blut zu sehen. Selbst ich war mit Blut bespritzt. So-bald ich mitbekommen hatte, dass der Motor des MTWausgemacht wurde und meine beiden Soldaten vom Zuggesprungen waren, löste ich meine Handbremse undfuhr etwas nach hinten weg. Dadurch fiel der einge-

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klemmte Soldat vom Zug auf den Bahnsteig. Vor mir botsich ein fürchterliches Bild: Die verletzten Soldaten aufder Heckklappe des MTW, und der Verletzte auf demBahnsteig.Nach der Versorgung und dem Abtransport der Verletz-ten erkundigte mich, warum der MTW rückwärts ge-schossen war. Ich bekam zur Antwort, dass der Kraftfah-rer die Rampe hochziehen wollte, dabei die Drehzahl er-höhte, aber vergaß, dass er noch die Rückwärtsfahrstufeeingelegt hatte. Dadurch erhöhte sich der Druck aufsGetriebe und der MTW schoss mit Gewalt über die Kei-le hinweg nach hinten.Ich wurde zur Vernehmung nach Idar-Oberstein zur Po-lizei gebracht um dort den ganzen Vorfall aus meinerSicht zu schildern. Als ich zurück kam, war mein SPzverkettet, wie alle anderen Panzer auch, und wir konntendie Rückreise nach Hammelburg antreten. Dort ange-kommen, wurden die Panzer vom Zug abgeladen. Dies-mal jedes Fahrzeug einzeln, ohne Hektik.In den folgenden Tagen las ich die einschlägigen Vor-schriften und musste feststellen, dass vieles bei der Ver-ladung falsch und vorschriftswidrig gemacht wordenwar. So hat sich niemand außer dem Kraftfahrer auf demFahrzeug aufzuhalten, wenn auf den Waggons gefahrenwird. Es wird nur mit Einweiser gearbeitet. Entwederbewegt sich der Einweiser und das Fahrzeug steht, oderumgekehrt. Es bewegt sich nur ein Fahrzeug auf demWaggon. Erst wenn der Motor aus ist, kann das nächsteFahrzeug auf den Waggon fahren.

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Eine Woche nach dem Unfall wurde uns mitgeteilt, dassder Soldat, der zwischen den Ketten eingeklemmt wor-den war, an den Folgen einer Embolie verstorben war.Einige Monate später wurde ich zur Gerichtsverhand-lung nach Idar-Oberstein geladen und angehört. Es wur-de der Kraftfahrer, ein Hauptgefreiter, kurz vor der Ent-lassung stehend, der fahrlässigen Tötung für schuldigbefunden. Ob noch irgendein Verantwortlicher bei die-sem Unfall irgendwie bestraft wurde, ist mir zumindestnie bekannt geworden. Ich kann es aber auch nicht aus-schließen.

Vorschriften und Sicherheitsbestimmungen sind immerkonsequent einzuhalten. Leitende und Vorgesetzte miteinem besonderen Aufgabenbereich haben sich für ei-nen bestimmten Auftrag oder eine besondere AufgabeVorschriftenkenntnisse anzueignen und die Sicher-heitsbestimmungen zu beherrschen. Alle beteiligtenSoldaten sind über Sicherheitsbestimmungen zu beleh-ren und in den Ablauf einzuweisen. Ist das aus Sichtdes Verantwortlichen nicht ausreichend, dann ist eineAusbildung oder eine Übung durchzuführen. Im Frie-densbetrieb hat die Einhaltung von Sicherheitsbestim-mungen Vorrang vor taktisch richtigem Verhalten. Mi-litärische Führer müssen den Ausbildungsstand ihrerSoldaten und den technischen Zustand ihrer Fahrzeugekennen. Unruhe und Hektik des militärischen Führersübertragen sich auf seine Untergebenen.

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Angriffsbeginn

2.000 Meter vor dem feindlichen Feldposten steht derPanzerzug aufgelockert und versteckt im Waldstück. Diedrei Panzerkommandanten warten am vordersten Panzerauf den Zugführer, der sich abgesessen am Waldrand einLagebild verschaffen will. Noch zehn Minuten, dannmüssen zwei Züge nebeneinander aus verschiedenenRichtungen über die Ablauflinie angetreten sein. Dochnoch immer fehlt der Zugführer mit seinen Aufklärungs-ergebnissen. Mit lautem Knacken der herumliegendenÄste kommt er durchgeschwitzt angelaufen. „ZwoKampfpanzer 2.000 westlich in Stellung.“ Nach einerkurzen Atempause berichtet er weiter: „500 nördlichvon denen ein SPz. Ich vermute aber zwei im Wald-stück.“ Er zieht sein Koppel aus, wirft es auf den Pan-zerturm und schaut auf die Uhr. „Noch 8’ bis Angriffs-beginn, was steht ihr hier noch rum?“

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Alle Kommandanten laufen los. Ich, der junge Feldwe-bel, habe es wie immer am weitesten. Noch bevor ich anmeinem Panzer ankomme, lässt der Militärkraftfahrer(MKF) auf Befehl des Zugführers den Motor an. Schnellbin ich in meiner Luke und setze den Sprechsatz auf.Die drei anderen Panzer rollen bereits, als er den Befehl:„Vorwärts Marsch!“ erteilt. Einmal scharf links einlen-ken und der Panzer wäre auf dem sandigen Weg, der unszum Angriffsziel führt. Der MKF fährt die Wendung zuscharf. Am Klackern der linken Kette höre ich sofort,dass etwas nicht stimmt. In Bruchteilen einer Sekundeschießen mir die Bilder der Folgen einer geschmissenenKette durch den Kopf. Noch vor Angriffsbeginn wäreder erste Panzer ausgefallen. „Wie kannst du nur?“schreie ich den MKF an. Ich schmeiße den Sprechsatzweg und mit einem Satz bin ich an der Kette. Sie ist nursoweit aus dem Zahnkranz raus, dass die Möglichkeitbesteht, das Problem mit einem kräftigen Ruck in dieGegenrichtung zu beheben. Die anderen Panzer rollenweiter in Richtung Ablauflinie. Noch weiß keiner, dassmein Panzer immer noch steht und im Moment bewe-gungsunfähig ist.Es gibt nur diesen einen Versuch, denke ich mir. Dieseneinen und die Gefahr, auch noch die andere Kette zuschmeißen. Diesen Gedanken verwerfe ich sofort undvertraue den Fähigkeiten meines MKF. Wir haben sol-che Situationen schon erlebt und gemeinsam gemeistert.Nur damals hatten wir genug Zeit und standen nicht un-ter solch einem Druck. Ohne Absprachen und ohne dieanderen Panzer zu informieren, sprinte ich vor meinenPanzer und beginne mit wilden Arm- und Handbewe-

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gungen. So würde es wohl ein Außenstehender sehen.Doch der MKF weiß genau, was er zu tun hat. Der Mo-tor heult auf und der Panzer macht auf der Hochachse ei-nen kräftigen Ruck nach rechts. Ein Kontrollblick an derKette und ich erkenne, dass es uns gelungen ist. Ich sit-ze auf meinen Panzer auf und frage mich, was mit deranderen Kette ist. Nach einem schnellen Blick und derGewissheit, dass alles in Ordnung ist, steige ich dannschließlich etwas erleichtert in meine Luke.„Die Kette ist wieder drauf“, sind meine ersten Worte,nach dem ich den Sprechsatz aufgesetzt habe. „Und jetztVollgas, die anderen sind ja fast schon aus dem Waldraus.“ Ich schaue auf meine Uhr. Noch drei Minuten bisAngriffsbeginn. Es ist zu schaffen, die anderen einzuho-len, um rechtzeitig die Formation „Kette links“ einzu-nehmen.Die Erleichterung macht sich erst jetzt bemerkbar unddoch erhöht sich beim Verlassen des Waldstückes derPuls. Denn ab jetzt ist fast nichts mehr planbar.

Das Gefecht läuft nicht immer wie im Lehrbuch ab –weder auf Übungen noch im Einsatz. Feldwebel müs-sen im Rahmen der Auftragserfüllung Entscheidungenoftmals eigenverantwortlich treffen und zu diesen ste-hen. Unvorhergesehenes kann immer passieren, vor al-lem in zeitkritischen und herausfordernden Lagen. Insolchen Situationen ist es wichtig, einen „klaren Kopf“zu bewahren und überlegt zu handeln. Ausbildung, Er-fahrung sowie Vertrauen in das eigene Können und ei-ne „Portion“ Soldatenglück tragen wesentlich dazu bei.

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Der Brigadewaldlauf

Als ich nach meinem Urlaub in meine Stammeinheit zu-rückkam, war ich aufgrund meiner sportlichen Aktivitä-ten relativ fit. Dies war auch bitter nötig, denn schon beider Begrüßung wurde mir mitgeteilt, dass in Kürze derBrigadewaldlauf stattfinden wird. Dreimal die WocheGeländelauf und ein Lauf in Feldanzug und Kampfstie-feln sowie der Probedurchgang mit vollem Gepäck inder Woche vor dem Brigadewaldlauf waren zwar for-dernd, aber durchaus zu bewältigen. Allerdings hatteneinige Kameraden erheblich mehr Probleme. Langsamaber sicher rückte der Tag des Brigadewaldlaufes näher,und die Anspannung in der Kompanie stieg.Endlich ist es soweit, unsere Kompanie soll um 09:00Uhr starten. Bereits um 08:30 Uhr ist Sammeln amStartpunkt „Franzosenkreuz“. Dabei wird nochmals dieAusrüstung auf Vollzähligkeit geprüft und Absprachengetroffen, wer welche Aufgabe während des Laufes zuerledigen hat. Punkt 09:00 Uhr fällt der Startschuss.Nach einer kurzen Laufstrecke die erste Einlage: „ABC-Alarm“. Also Schutzmaske auf, Poncho über, Hand-schuhe an, schnell die Tasche schließen und weitergeht’s im leichten Dauerlauf. Schon nach ein paar hun-dert Metern haben wir den ersten Ausfall. Nach circa1.500 Metern dann endlich Entwarnung, schnell Maskeab und alles wieder verpacken. Ein wenig durchatmen,das Tempo ist viel höher als beim Training.Aber: Es geht weiter. Im Dauerlauf bergab kann mansich erholen. Am Kontrollpunkt angekommen, wartetschon die nächste Aufgabe. Die Versorgung von Ver-

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wundeten ist angesagt: Anlegen eines Druckverbandes,Schienen eines Bruches und Bau einer Behelfstrage. Dienächste Herausforderung ist zu bewältigen. MehrereVerwundete müssen über 1.500 Meter auf Tragen trans-portiert werden. Diese Aufgabe bewältigen immer vierSoldaten, regelmäßig wird durchgewechselt. Es gehtbergauf und mir gehen allmählich Kraft und Luft aus.Endlich angekommen setzen wir die Tragen ab. In einerkurzen Pause können wir durchatmen, bis alle Verwun-deten wieder ihre Verbände und Schienen abgelegt ha-ben.Weiter geht es! Jeder muss zwei Panzerabwehrminenaufnehmen. Es geht bergauf, langsam trotte ich vorwärtsund werfe dabei einen Blick in die Runde. Wahnsinn, dagibt es wirklich Männer, die tragen drei oder gar vierMinen. Mir genügen meine beiden. Von hinten treibenuns zwei Hauptfeldwebel an: „Los, vorwärts Männer,gleich ist es geschafft, nur noch ein paar Meter.“ Als ichoben angekommen bin, heißt es Minen ablegen und aus-ruhen. Doch schon werde ich am Arm gepackt: „Los,komm helfen, da sind noch einige unterwegs, die schaf-fen es sonst nicht.“Also wieder bergab und den Kameraden zur Hilfe eilen.Manche sind mit ihren Kräften völlig am Ende. Sie wer-den mehr geschoben und gezogen, als dass sie selberlaufen, aber keiner gibt auf. Selbst unser „alter“ Haupt-mann nicht, und der ist doch bestimmt schon 50 oder garälter. Dass der sich so was noch antut, denke ich mir,und schiebe dabei einen Kameraden vorwärts. Als alleangekommen sind, ist kurze Pause. Dabei Kontrolle vonSchießbuch, Truppenausweis und Erkennungsmarke.

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Wir haben alles dabei, das gibt mal keine Minuspunkte.Irgendwie macht mir die Sache plötzlich Spaß, obwohlich mit meinen Kräften ziemlich am Ende bin.Die Pause ist vorbei. Herstellen des Anzugs und inMarschordnung antreten. Marsch mit Gesang ist jetzt ander Reihe. Los geht’s! Die Kompanie marschiert und esertönt das Lied: „Schwer mit den Schätzen …“. Nach ei-niger Zeit fällt nicht nur mir das Singen schwer. Ichglaube, die Hälfte der Kompanie ringt nach Luft. Kurzdarauf passieren wir den Kontrollposten. Jetzt heißt esauf Seitenrichtung, Abstand zum Vordermann undGleichschritt zu achten. Singend geht es weiter dem Zielentgegen.Nach wenigen hundert Metern erreichen wir denSchießstand. Zehn Schützen werden bestimmt. Für denRest der Kompanie steht die Hindernisbahn auf demProgramm. Die letzten Kräfte werden mobilisiert unddie ersten Hindernisse sind für die wenigsten ein Pro-blem. Immer wieder werden die Männer durch Zurufemotiviert. An der Holzwand kommt es dann zum Stau.Einige Soldaten benötigen bereits Hilfe beim Überwin-den der Holzwand.Ruckzuck werden Räuberleitern gebildet, mit deren Hil-fe das Hindernis überwunden werden soll. Mit Schiebenund Ziehen gelingt es schließlich, alle Soldaten über dasHindernis zu befördern. Jetzt noch selbst über die letz-ten Hindernisse und dem Ziel entgegen.Total erschöpft, aber glücklich erreichen wir das Ziel.Schnell wird klar, dass tatsächlich nur ein Soldat ausge-fallen ist. Die Zeit kann sich auch sehen lassen. Kurz da-rauf sind wir wieder relativ erholt und machen uns auf

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den Weg zum Kompaniegebäude. Erst mal duschen undWunden versorgen. Im Laufe des Tages stellt sich he-raus, dass es für uns zum 1. Platz in der Gesamtwertungreicht. Mit stolzgeschwellter Brust geht es zur Siegereh-rung und anschließend wird im Unterrichtsraum derKompanie gefeiert. Hier gibt jeder nochmals seine per-sönlichen Erlebnisse zum Besten.

Alleine der Wille entscheidet. Selbst wenn du denkst,du hast deine Leistungsgrenze erreicht, ist das meistnoch lange nicht der Fall.Die Motivation ist das Zünglein an der Waage. Fast im-mer schlägt die Motivation das größere Talent. Wiesonst wären sogenannte Pokalsensationen im Fußballmöglich, bei denen ein Außenseiter den haushohen Fa-voriten besiegt. Es gehört immer auch Glück dazu,doch die größere Bedeutung hat auch hier der stärkereWille, etwas erreichen zu wollen.

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Elbehochwasser 2002

Die 1. Kompanie war im Rahmen von KFOR bis zumMai mit großen Teilen im Einsatz. Nach dem Absolvie-ren des Einsatznachbereitungsseminars und sonstigeradministrativer Dinge waren noch sehr viele Soldaten,die im Einsatz waren, im Urlaub. Der Kompaniechefwar im Dienst. Die Kompanie hatte eine Stärke von cir-ca 130 Soldaten. Für das Bataillon war der Auflösungs-termin auf den Dezember datiert. Daraus resultierendwaren bereits viele Radfahrzeuge der 1. Kompanie in dieMaterialgruppe abgegeben worden. Sie standen abernoch im technischen Bereich der Kaserne.Im August wurde die Bundeswehr im Rahmen des Elbe-hochwassers eingesetzt. Aus den täglichen Medienbe-richten war zu entnehmen, dass die Situation immerbrenzliger wurde. Im Bataillonsstab wurde eine Opera-tionszentrale mit ständiger Besetzung eingerichtet. DieKompanie hatten wir vorsorglich in drei Einsatzzügeeingeteilt.Am Freitag um 07:50 Uhr wurden wir alarmiert und er-hielten den Auftrag, so schnell wie möglich Marschbe-reitschaft herzustellen. Die Soldaten verpackten die be-fohlene Ausrüstung, die Kraftfahrer und die Teileinheits-führer übernahmen ihre bereits abgegebenen Radfahr-zeuge zurück, beluden diese mit persönlicher Ausrüstungund Gerät und fuhren in der befohlenen Marschreihen-folge vor der Kompanie auf. Ich war hauptsächlich mitorganisatorischen Maßnahmen beschäftigt und infor-mierte meine Frau, dass ich an ihrem Geburtstag nichtnach Hause komme – die war natürlich „begeistert“.

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Um 10:00 Uhr verlegte die Kompanie schließlich mitcirca 20 Radfahrzeugen (WOLF bis Lkw 10 to) undzwei zivilen Bussen nach Köthen in Sachsen-Anhalt.Jetzt begannen die Probleme und Herausforderungen fürden Kompaniefeldwebel:Wo sollen die Soldaten untergebracht werden? Schließ-lich habe ich in Zusammenarbeit mit dem Bataillonsstabund der Stadtverwaltung Köthen eine Unterkunft in ei-ner Turnhalle im Nachbarort organisiert. Leider warendie Verhältnisse sehr beengt, da dort eine weitere Kom-panie untergebracht war. Die sanitären Anlagen warentotal veraltet und verdreckt. Also war es nur ein Proviso-rium.Woher kommt die Verpflegung für die Soldaten? Nacheinigem Hin und Her wurde mir die Truppenküche derKaserne in Dessau als Abholpunkt genannt. Nach vorhe-riger telefonischer Verbindungsaufnahme holte ich amFreitag das erste Mal die Abendverpflegung ab. An derAbholrampe standen bereits acht Kompaniefeldwebelund warteten auf ihre Verpflegung. Die Truppenkücheist für circa 700 Soldaten ausgelegt, inzwischen solltenohne Vorlauf circa 2000 Soldaten verpflegt werden.Nach etwa eineinhalb Stunden war ich an der Reihe. DasKüchenpersonal hatte für meine Kompanie ein improvi-siertes Abendessen (kalt) zusammengestellt. Zurück inder Kompanie, gab ich die Verpflegung an die Soldatenaus.Nach Rückkehr des Kompaniechefs von der Befehlsaus-gabe erhielten wir den Auftrag, am Samstag ab 06:00Uhr den Damm an der Elbe im Norden von Dessau mitSandsäcken zu erhöhen – zwölf Stunden Schicht.

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Gleichzeitig befahl der Bataillonskommandeur meinenChef als Vertreter des S 3 zum Stab. Somit hatte dieKompanie keinen Offizier, der sie führte. Die Aufgabewurde postwendend auf mich übertragen. Ab 04:00 Uhrwar ich mit einem Kraftfahrer unterwegs, um das Früh-stück zu organisieren. Die Kompanie rückte befehlsge-mäß aus. Verbindung innerhalb der Kompanie und zumStab war nur über private Handys möglich. Ich machtemich mit dem S 3-Feldwebel und meinem Kraftfahrerauf die Suche nach einer besseren und mit ausreichendsanitären Anlagen ausgestatteten Unterkunft. In Zusam-menarbeit mit der Stadtverwaltung (am Samstag!) wur-de eine Turnhalle an der Hauptschule in Köthen zur Ver-fügung gestellt. Diese war für meine Kompanie mehr alsausreichend und die sanitären Anlagen waren hervorra-gend. Die Soldaten mussten allerdings auf dem Boden

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im Schlafsack schlafen. Nach weiteren zwei Nächtenbekamen wir aus dem Depot Meppen für jeden Soldatenein Bett mit Matratze. Das war natürlich optimal. DieVerpflegungssituation normalisierte sich nur zögerlich.Es musste ständig improvisiert werden, die Vorräte derTruppenküche gingen dem Ende entgegen. Ein weiteresgroßes Problem war in den ersten drei Tagen, bei Tages-temperaturen um die 30 Grad Celsius, die Bereitstellungvon Wasser.Wie reinigen wir die Bekleidung der Soldaten? Hier ha-be ich mit dem Stab eine Reinigung in Köthen ausge-macht, bei der ich rund um die Uhr Bekleidung abgebenkonnte und diese am gleichen Tag gereinigt ab 14:00Uhr wieder abholen konnte (inklusive Rechnung aufmeinen Namen).Nach drei Tagen im zwölf Stunden Schichtbetrieb wur-de der Einsatzort der Kompanie nördlich in Richtung derStadt Aken verlegt. Die Schichten wurden auf acht Stun-den gekürzt. Dies hatte natürlich wieder Auswirkungenauf die Verpflegung, da die Kompanie manchmal um23:00 Uhr zu ihrer Schicht ausrücken musste und gegen09:00 Uhr wieder in der Unterkunft eintraf.Dazu kam, dass dem Bataillon kurzfristig fremde Trup-penteile, beispielsweise eine Heeresfliegerstaffel, fürden Einsatz unterstellt wurden. So war sehr viel Impro-visation und Organisationstalent im Hinblick auf dieVersorgung der Soldaten gefordert. Meine „Spießprit-sche“ war im wahrsten Sinne des Wortes ein Versor-gungsfahrzeug für meine Soldaten. Ab dem dritten Taghatte ich außer der normalen Verpflegung immer circa100 Liter Wasser als Reserve, jede Menge „Allerwelts-

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medikamente“ wie Kopfschmerztabletten, Pflaster, Des-infektionsmittel, Mullbinden, Mückenschutz und der-gleichen mehr dabei, um kleine „Wehwehchen“ behan-deln zu können. Das Material wurde mir problemlosdurch das Sanitätszentrum Dessau rund um die Uhr zurVerfügung gestellt. In besonderen Fällen hat der anwe-sende Arzt per Handy mit den betreffenden Soldatenpersönlich über die benötigten Medikament gesprochen.Natürlich hatte ich auch Marketenderwaren dabei.Nach circa fünf Tagen hat sich die Versorgungssituationvöllig entspannt, da die Hilfsorganisationen nach vorhe-riger Anforderung ausreichend Verpflegung und Wasserzur Verfügung gestellt haben.Elf Tage später war die Gefahr gebannt. Das Hochwas-ser ging zurück, die von der Kompanie befestigten Däm-me hielten stand. Die Bevölkerung organisierte ein klei-nes Abschlussfest und die Kompanie kehrte unversehrtund ohne eigene „Verluste“ wieder zum Standort zu-rück.

Viele Herausforderungen können nur durch Disziplin,Einsatzbereitschaft, Eigeninitiative und Fürsorgever-halten im Sinne des gemeinsamen Auftrags gemeistertwerden.

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Feldwebel in der AllgemeinenGrundausbildung

Ich habe alle meine Lehrgänge bestanden, bin endlichFeldwebel und habe meine erste Gruppe übernommen.„Auf geht’s, hurra!“, hat mein erster Zugführer immerrufen lassen. Mit viel Engagement und Leistungswillenwerde ich meine Gruppe ausbilden und erziehen.Meine erste Gruppe, es ist soweit. Ich war während mei-ner Praktika als Ausbilder eingesetzt. Jetzt stehe ich al-leine in der Verantwortung und freue mich auf meine be-vorstehende Aufgabe.Ein Spiegelbild der Gesellschaft steht vor mir. LangeHaare, kurze Haare, einer ist mehr nach vorne und zurSeite, der andere mehr nach oben gewachsen. VomHauptschüler über den Facharbeiter bis zum Abiturien-ten. Eine große Herausforderung sehe ich darin, die ver-schiedenen Charaktere unter einen Hut zu bekommen.In der persönlichen Entfaltung ist man während der All-gemeinen Grundausbildung doch stark eingeschränkt.„Männer, ich darf mich kurz vorstellen: Ich bin Feldwe-bel Thorsten M., 22 Jahre alt und ihr Gruppenführer. Ichwerde Sie in den nächsten drei Monaten führen und aus-bilden. Alles weitere zu meiner Person erfahren Sie ineiner Vorstellungsrunde in den nächsten Tagen von mir.“Während meines ersten Truppenpraktikums hat der Zug-führer immer gesagt: „Quatscht die am ersten Tag nichtmit nebensächlichem Zeugs voll, für die ist alles neuund völlig unbekannt.

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Die haben am nächsten Tag sowieso wieder vergessen,wo der Stab beziehungsweise was überhaupt ein Stabist.“Was ist nebensächlich? Ist ein Stab nebensächlich? Ichdenke nicht, aber ich weiß, was er gemeint hat. Zu vieleInformationen kann man in kurzer Zeit nicht verarbeitenund speichern. Nach und nach werde ich die Gruppe mitallen Informationen versorgen.Der Größe nach sortiert gehen wir zur Bekleidungskam-mer. Ich habe noch etwas Zeit mit meiner Gruppe undnutze sie, um ihr zu erklären, wie man einen Ausbilderanzusprechen hat. Ich zeige ihnen die gängigen Dienst-gradabzeichen unserer Kompanie und frage sie auch im-mer wieder ab. Klappt gut, ein erstes Lob ist fällig:„Männer, da Sie die Dienstgradabzeichen bereits gutwiedergeben können, machen wir eine kurze Pause.“ Ichmerke schnell, dass dieser Entschluss bei meinen Män-nern gut ankommt. Das Eis scheint zu brechen, erste Ge-spräche kommen zustande.Nach der Einkleidung ging es, bepackt wie die Esel, zurUnterkunft. Da sich meine Stube im selben Block befin-det, habe ich meine Stube beziehungsweise meinenSpind als Muster vorgestellt, getreu dem Motto, „verlan-ge nichts von deinen Männern, was du nicht selbst vor-lebst!“Meine Männer waren beeindruckt. Bis dato hatte Mamaimmer das Zimmer und den Schrank zuhause aufge-räumt.Ich habe meinen Männern von Anfang an die Angst ge-nommen. Ich habe die vielen nicht gestellten Fragen inihren Gesichtern gesehen. „Wann darf ich denn endlich

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zu Hause anrufen? Mann, hab ich einen Durst! Wo undwann kann ich Zigaretten kaufen? Wie legt man einHemd zusammen? Darf ich mal auf Toilette?“ Die müs-sen gedacht haben, dass da ein Hellseher vor ihnen steht.Da meine Grundausbildung auch noch keine Ewigkeither ist, war es leicht, die Fragen zu beantworten, auchbevor sie gestellt wurden.Die Einschleusung ist abgeschlossen, alle sind einge-kleidet, einen Besuch beim Friseur habe ich organisiertund meine Männer tragen schon den Feldanzug. Sie se-hen jetzt wie richtige Soldaten aus.Waffen- und Geräteausbildung: Gewehr G 36, Ladetä-tigkeiten, Erstausbildung. Vom Zugführer wurde alsAusbildungsziel: „unter Anleitung durchführen kön-nen“, vorgegeben.Ich bekomme die Krise. Jäger Schmitt ist nicht in derLage, die Sicherheitsüberprüfung durchzuführen. Vomhin und her trampeln stehe ich schon 20 Zentimeter un-ter der Grasnabe. Jäger Schmitt bringt meinen Ablaufund das Erreichen des Ausbildungsziels in Gefahr.Auch hier ist es wichtig, die Ruhe zu bewahren. Wie hatmein Zugführer gesagt: „Zeigen! Immer wieder zeigenführt zum Erfolg!“ Ich erinnere mich immer gerne anihn zurück, er hatte für jede Gelegenheit einen Rat undeinen Leitspruch.Mein Hilfsausbilder schnappte sich den Kameraden undübte mit ihm abseits vom Geschehen. Zehn Minutenspäter lag er wieder mitten im Geschehen und alle er-reichten das Ausbildungsziel.Ähnlich wie bei der Waffenausbildung verliefen auchdie anderen Ausbildungen in den verschiedenen The-

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menbereichen. Es gab Höhen und Tiefen, aber zum En-de der Allgemeinen Grundausbildung haben alle dasAusbildungsziel erreicht, getreu dem Motto „Gemein-sam sind wir stark“.Zum letzten Mal lässt mein Zugführer den Zug antreten,verteilt feierlich die Litzen und wir rufen gemeinsamden Schlachtruf des Zuges: „Zwoter Zug: Auf geht’s,hurra!“

Meine erste Allgemeine Grundausbildung verlief ausmeiner Sicht sehr erfolgreich. Ich habe es geschafft, mitRuhe und viel Geduld aus einem „kunterbunten Haufen“junger Männer, die aus allen HimmelsrichtungenDeutschlands und allen Gesellschaftsschichten kamen,eine leistungsstarke Gruppe zu formen.

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Zum Zapfenstreich Heroin

Der Dienst als Offizier vom Wachdienst (OvWa) an die-sem Tag verlief wie jeder Dienst zuvor, nichts Außerge-wöhnliches. Wachübernahme, Belehrung der Wachsol-daten und Vergatterung.Um 19:00 Uhr war Flaggenparade, wobei es von Vorteilwar, zwei Wachsoldaten zu haben, die das einigermaßenbeherrschen. Kurz gesagt: Soweit alles Routine. Weilder Dienst des OvWa bei Nacht zum großen Teil durchKontrollfahrten innerhalb und außerhalb der Kasernegeprägt war, legte ich sie so, dass ich zumindest für dreiStunden am Stück ruhen konnte.Gegen 22:30 Uhr waren die ersten Kontrollfahrten vorMitternacht zu Ende. Ich gehe zum Wachhabenden undsage ihm, wann ich wieder geweckt werden möchte.Dann hoch aufs Zimmer. Das Koppel mit der Waffe hän-ge ich über den Stuhl und stelle das Telefon oben drauf.Danach wurde der Stuhl ans Bett geschoben, damit ichnachts bei einem Anruf nicht herauskriechen muss.Nachdem ich meine Stiefel ausgezogen hatte, legte ichmich im Feldanzug ins Bett, um ein paar Stunden zu ru-hen. Gegen 23:00 Uhr, ich war gerade eingenickt, klin-gelte das Telefon. Meine Begeisterung hielt sich inGrenzen. Am anderen Ende der Leitung war ein aufge-regter Unteroffizier vom Dienst (UvD) einer Grundaus-bildungskompanie. Er berichtete mir, dass zum Zapfen-streich ein Soldat, der noch kurz zuvor da war, plötzlichfehlte. Sie hätten ihn jetzt, nach längerem Suchen, be-wusstlos in der Toilette und mit einer Spritze im Arm,gefunden. „Was sollen wir jetzt machen?“ Darauf war

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ich nicht vorbereitet, denn als OvWa rechnet man ehermit einer ausgelösten Alarmanlage der Waffenkammer,Randalen oder mit Rohrbrüchen, aber nicht mit Drogen-delikten. Mir schoss es durch den Kopf: Erste Hilfe –aber wie? Bewusstlos, Drogen, Spritze, Ansteckungsge-fahr mit HIV, Hepatitis und sonst noch was? Ich sagte:„Selbst- und Kameradenhilfe soweit möglich, anderenden Zugang verwehren und sofort den Sanitäter rufen,ich komme sofort.“Als ich in der Kompanie ankam, war der Notarzt schonvor Ort. Der junge Mann lag bereits auf der Trage mit ei-ner Infusion im Arm – die Haut blass, fast schon gelb,die Augen leer, eingefallen und blutunterlaufen. Aufdem Waschtisch lagen seine „Junkie-Utensilien“. Diehalbleere und blutgefüllte Heroinspritze, Löffel, Gum-miband sowie ein Feuerzeug. Die scheinbar sehr starkeDosis führte dazu, dass er es nicht mehr schaffte, sichdie volle Ladung zu setzen und beim Spritzen umfiel.Mittlerweile war der Junge bei sich, drohte aber ständigbewusstlos zu werden, was den Arzt wiederum veran-lasste, ihm regelmäßig eine Ohrfeige zu geben.In der Zwischenzeit hatte der UvD den Kompaniechefund die Polizei verständigt, die dann auch kurze Zeitspäter ankamen. Während es sich für die Polizei dannum Routinearbeiten handelte, war dem Chef Betroffen-heit und eine gewisse Ratlosigkeit anzusehen. Auch fürihn waren solche Vorfälle nicht an der Tagesordnung.Die Beamten vom Drogendezernat durchsuchten dannanschließend die Ausrüstung und den Spind, um Be-weismittel sicherzustellen. Es wurde nur noch Ascorbin-säure in Pulverform in seinem Spind gefunden. Diese

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braucht ein Süchtiger, um das Heroin zu strecken, wiemir der Polizist erklärte. Bei der Durchsuchung des Au-tos des Drogensüchtigen wurden dann ein paar GrammHeroin gefunden und als weitere Beweismittel sicherge-stellt.Im Zug und vor allem in der betroffenen Stube herrsch-te während der gesamten Zeit eine enorme Erschütte-rung und Entsetzen, zum Teil vielleicht sogar auchAngst, mit so einem Vorfall unmittelbar konfrontiert zusein. Für mich war die Nacht ebenfalls gelaufen.

Die Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehrsind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Sie kommen ausunterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und Regio-nen und leisten den Dienst in der Bundeswehr aus ver-schiedenen Gründen. Oft lässt es sich schwer überprü-fen, ob jemand Drogen konsumiert oder nicht. Fakt ist,dass jedem berechtigten Verdacht auf Drogenkonsumnachgegangen werden muss. Alle Soldaten sind überdie schädliche Wirkung beim Konsum von legalen undillegalen Drogen zu informieren. Die Führer und Aus-bilder müssen dafür sensibilisiert werden, Anzeicheneines Drogenkonsums durch Verhalten und Utensilienerkennen zu können.

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In English, please!

Februar, die Hälfte meines sechsmonatigen Einsatzes imEinsatzkontingent KFOR, Task Force Prizren, ist vorü-ber. Mein zu Einsatzbeginn neu aufgestellter Zug hatsich bewährt und ist hier zu einer Einheit geworden. Anden Einsatzrhythmus haben wir uns gewöhnt. Seit überdrei Monaten gibt es keine Wochentage mehr. Wir habenjetzt den Acht-Tage-Rhythmus: Zwei Tage Patrouille,zwei Tage Bataillonsreserve, zwei Tage Grenzstation„Falke“, einen Tag technischer Dienst und einen TagKompaniereserve. Dann wieder von vorn.

Bisher habe ich auch noch nichts von der angekündigtenund befürchteten Einsatzroutine und Langeweile be-merkt. Ich denke, das bleibt auch weiterhin so, denn da-für sorgen schon die täglich wechselnden Aufgaben, dieständig neuen Erfahrungen sowie die in letzter Zeit im-mer vorhandenen zusätzlichen Aufträge für die Batail-lons- und Kompaniereserve.

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Wieder einmal Tag acht, also keine Überraschung beimBefehl: „Hauptfeldwebel M. zum Chef!“ Es folgen eineEinweisung und ein neuer zusätzlicher Auftrag für mei-nen Zug: „In der Übung Samariter soll die Leistungsfä-higkeit und das Zusammenwirken von KFOR-Kräftenund einheimischen Rettungskräften geübt und darge-stellt werden. Dazu wird im ehemaligen deutschen Feld-lager Progress, einer großen zerfallenen Textilfaserfa-brik in Prizren, ein Unfall durch eine Gasexplosion si-muliert. Die 3. Kompanie stellt einen Zug als Rollen-spieler und Verletzte. Sie haben den Auftrag, mit Ihremgesamten Zug die reale Absicherung der Übung zu ge-währleisten. Störungen sind zu verhindern und Unbe-fugten das Betreten des Progress-Geländes zu verweh-ren. Ganz wichtig: Sie und Ihre Männer dürfen eigent-lich nicht zu sehen sein.“Nach dieser Einweisung geht es zur Erkundung vor Ort,da die Brigade am gleichen Nachmittag den Vortragüber die Erkundungsergebnisse befohlen hat.15:00 Uhr vor Ort im Werk Progress auf einem zentralgelegenen Platz. Viele wichtige und noch wichtigereDienstgrade der Brigade diskutieren über den geplantenAblauf der Übung. Ich stehe mit meinem Stellvertreteretwas abseits und denke mir: Übung oder Schauspiel?Das Drehbuch hat schon sehr viele genaue Vorgaben, sodass ein wirkliches überraschendes Üben der Rettungs-kette und der Sicherungskräfte unwahrscheinlich ist.Plötzlich: „Wo ist denn eigentlich der Führer der Absi-cherung?“ Hallo wach, das bin ich, also: „Hier, HerrOberstleutnant.“

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„Herr Hauptfeldwebel, tragen Sie bitte den Einsatz ihrerKräfte zur Absicherung vor.“ Also los geht’s: „Ich habeden Auftrag, plane den Einsatz wie folgt ...“ Plötzlichein „Stopp“. Ein italienischer Offizier (hinterher wussteich, der J 2 der Brigade): „In English, please!“Das letzte Mal Englisch vor Jahren, Schule seit 20 Jah-ren vorbei, kein SLP (Standardisiertes Leistungsprofil),bisher nur national eingesetzt und nun erwartungsvolleBlicke. Also Puls hoch, durchatmen und noch eine kur-ze Info auf Deutsch an alle, mit der Bitte um Berichti-gung und Unterstützung.Ich fand meinen Vortrag der Erkundungsergebnisse undAbsicherung selbst ziemlich schlecht und ungenau, daWorte, Redewendungen und Satzbau garantiert nicht inOrdnung waren. Auch die Grammatik war bestimmtnicht immer richtig, aber es gab keinen Einspruch. Hin-terher sagte mir der S 3-Offizier des Bataillons, er habemich zwar verstanden, aber er empfiehlt nach dem Ein-satz die Anforderung eines Sprachlehrganges. Paralleldazu rät er zum Selbststudium. Aber nicht nur, denn oh-ne Kontrolle und Korrektur sowie ohne Sprechen lerntman keine Sprache richtig.Zum Ergebnis: Die Übung „Samariter“ wurde von unsohne Störung und Vorkommnisse abgesichert und wirblieben sogar fast unsichtbar. Für mich blieb nur die Er-kenntnis: „Mach eine Sprachausbildung, multinationaleEinsätze sind die Zukunft!“Mit guten Vorsätzen aus dem Einsatz zurück, sah dieWirklichkeit im normalen Dienstbetrieb am Standort an-ders aus. Neue Verwendung als Kompanietruppführerund keine Sprachausbildung. „Nicht abkömmlich“ und

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„brauchst du in deiner Verwendung auf dem Dienstpos-ten nicht“, waren die Aussagen. Also hieß es, neben denalltäglichen Aufgaben und dienstlichen Vorhaben, unre-gelmäßig, unkontrolliert und ohne korrigierendes Spre-chen etwas Englisch im Selbststudium zu lernen.Mit Einführung der neuen Feldwebelausbildung wurdedem Rechnung getragen. Feldwebel bekommen für ihrezukünftigen Aufgaben und Einsätze eine Sprachausbil-dung mit abschließender Prüfung.

Fremdsprachenkenntnisse und ein gültiger SLP sindneben der fachlichen Kompetenz, der körperlichenLeistungsfähigkeit und der Einsatzerfahrung wichtigePunkte bei der Beurteilung und Voraussetzung für wei-tere förderliche Verwendungen. Nicht zuletzt, um er-folgreich im Einsatz zu bestehen. Feldwebel solltensich in Absprache mit ihren Vorgesetzten für die Ver-besserung ihrer Fremdsprachenkenntnisse einsetzen.Des Weiteren sollte man bedenken, dass die Sprachaus-bildung in Lehrgangsform nur der erste Schritt ist. ZumErhalt der Sprachfähigkeit gehören ein ständiges undhäufiges Sprechen sowie die Wiederholungsprüfungendes erreichten oder höheren SLP. Ein kleiner, aberwichtiger Schritt dazu ist die vom Bundessprachenamtangebotene Auffrischung in der dienstfreien Zeit. Da esin vielen Bereichen ausgebildetes Personal mit sehr gu-ten Englischkenntnissen und SLP gibt, sollte man mitderen Hilfe versuchen, im täglichen Dienstbetrieb öf-ters Englisch zu sprechen, um sich im Umgang mit derSprache zu festigen und besonders den militärischenWortschatz zu vertiefen.

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Sportunfall mit Folgen

In der Zeit, in der ich als Ausbildungsfeldwebel an einerTruppenschule eingesetzt war, ereignete sich bei derSportausbildung in einem Unteroffizierlehrgang ein fol-genschwerer Unfall eines Soldaten meiner Gruppe.Noch heute, nach einigen Jahren, lässt mich dieser Vor-fall nachdenklich werden.Im Rahmen der allgemeinen Sportausbildung war andiesem Tag gemäß Dienstplan die Abnahme von Leis-tungen für das Deutsche Sportabzeichen (DSA) befoh-len. Unser Zugführer legte fest, dass wir aufgrund derschlechten Witterung die Sporthalle nutzen sollten, umdort Hochsprungleistungen für das DSA abzulegen. Mitder Durchführung wurde ein Feldwebel betraut. Einweiterer Feldwebel aus unserem Zug und ich unterstütz-ten ihn dabei. Wir liefen mit dem Zug zur Sporthalle, zo-gen unsere Hallenschuhe an und der Durchführende be-gann mit Aufwärm- und Dehnungsübungen für die Sol-daten. Parallel dazu bauten mein Kamerad und ich dieHochsprunganlage auf. Als dies beendet war, schlossenwir uns dem Aufwärmtraining an. Da der durchführendeFeldwebel ein passionierter Kickboxer war, fiel das Auf-wärmen sehr intensiv aus.Als die Lehrgangsteilnehmer sich ausreichend gedehnthatten, wiesen wir sie in die Regeln beim Hochsprungein. Meine Kameraden und ich hatten auf unserem Feld-webellehrgang einen Sportlehrer in der Ausbildung undbei ihm die Abnahmeberechtigung zur Abnahme desDSA erworben. So konnten wir hier auf unser Wissenzurückgreifen. Trotzdem hatten wir uns vor der Ausbil-

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dung noch mal in die Vorschrift eingelesen. Gemeinsammachten wir den Lehrgangsteilnehmern die verschiede-nen zulässigen Techniken beim Hochsprung vor. An-schließend begannen wir, diese Techniken mit dem gan-zen Zug bei einer niedrigen Höhe zu üben, um dann vonMal zu Mal die Höhe schrittweise zu steigern.Der Hauptgefreite (UA) R. aus meiner Gruppe war alsNächster an der Reihe. Technisch etwas holprig, hatte erdie geforderten Höhen bei den vorausgegangenenSprüngen geschafft. Bei diesem Sprung jedoch lief errecht unkoordiniert auf die Hochsprunganlage zu,sprang beidbeinig ab, versuchte einen Hechtsprung überdie Latte, (wobei diese auf die Matte fiel) rollte sichüber den Kopf ab und blieb mit dem Rücken auf derMatte liegen. Wir forderten ihn auf, die Matte zu verlas-sen, um mit ihm diesen missglückten Versuch zu bespre-chen, aber er antwortete uns, dass er nicht könne. Wirgingen zu ihm und fragten, was passiert sei. Er sagte, erkönne seine Beine nicht mehr bewegen. Mir wurde ganzmulmig.Wir schickten sofort einen Lehrgangsteilnehmer los, dereinen Truppenarzt im nahe gelegenen Sanitätsbereichinformierte. Nach kurzer Zeit erschien der Truppenarztzusammen mit einer Krankenwagen-Besatzung und ließsich das Geschehene schildern. Er untersuchte den ver-unglückten Soldaten. Dabei fuhr er mit seinen Fingernleicht über dessen Beine und fragte ihn, ob er etwas spü-re. Als dieser das verneinte, wurde mein mulmiges Ge-fühl noch größer und ich dachte mir: „Hoffentlich nichtgelähmt.“

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Danach wurde der Verletzte von uns unter Anleitung desTruppenarztes vorsichtig in eine inzwischen herbeige-brachte Vakuumtrage gehoben und mit dem Krankenwa-gen sofort in das örtliche Krankenhaus gebracht.Als der Rettungswagen abgefahren war, stellte sich einenachdenkliche Ruhe in der Sporthalle ein und jeder frag-te sich, wie es zu diesem Unfall kommen konnte.Der Truppenarzt kam zurück und ließ sich den Unfall-hergang aus unserer Sicht schildern. Er kontrollierte imAnschluss noch die verwendeten Sportgeräte auf Män-gel, stellte dabei aber keine fest. Auf unsere Frage, wel-che Verletzung unser Kamerad habe, sagte er nur: „Essieht nicht gut aus.“ Zurück in der Inspektion, meldetenwir den Vorfall sofort unserem Chef, der natürlich ge-nauso bestürzt war wie wir.

Am späten Nachmittag des nächsten Tages bestätigtesich leider unsere Befürchtung. Hauptgefreiter (UA) R.war gelähmt und noch in derselben Nacht in eine Spezi-alklinik nach Heidelberg gebracht worden. Für unserenganzen Ausbildungszug war diese Nachricht einSchock.Wir, drei Feldwebel, mussten am selben Tag noch zu un-serem Chef, um als Zeugen vernommen zu werden. Au-ßerdem erhielten wir den Auftrag, die Hochsprunganla-ge in der Halle noch einmal so aufzubauen, wie sie zumZeitpunkt des Unfalls aufgebaut war. Hierbei wurde be-sonders geprüft und kontrolliert, ob wir die richtigeHochsprungmatte verwendet haben, dass die Latte nichtan den Trägerholmen befestigt war, sondern frei auflagund dass ein ausgiebiges Aufwärmen und Dehnen statt-

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gefunden hat. Es konnte kein Fehlverhalten festgestelltwerden.Hauptgefreiter (UA) R. muss nach dem Absprung bezie-hungsweise dem Abrollen so unglücklich auf der Matteaufgekommen sein, dass er sich einen Rückenwirbelbrach. Nach ein paar Tagen erreichte uns die Meldung,dass Hauptgefreiter (UA) R. gelähmt bleiben würde.In der folgenden Zeit dachte ich sehr viel nach und stell-te mir immer wieder die gleichen Fragen. Hätten wir denUnfall verhindern können? Wie kommt der junge Haupt-gefreite mit dieser Situation jetzt zurecht? Trifft uns ei-ne Schuld? Was denkt der Soldat über die Bundeswehrund uns Ausbilder? Wird er uns Vorwürfe machen?Nach circa drei Wochen sagte unser Inspektionsfeldwe-bel, wir könnten den Hauptgefreiten jetzt in der Klinikin Heidelberg besuchen und er fragte, wer das tun möch-te. Ich konnte nicht! Ich hatte zuviel Angst vor dem An-blick, vor den vorwurfsvollen Fragen und vor der Fragenach dem „Warum“. Trotzdem fand sich ein ersterTrupp, bestehend aus einem Ausbilder und den Stuben-kameraden von R., der ihn besuchen wollte.Als der Ausbilder zurückkam, löcherte ich ihn natürlichmit Fragen. Zu meinem Erstaunen sagte er, dass er einsehr gutes Gespräch mit dem Soldaten hatte und es ganzanders verlief als erwartet. Da war kein vorwurfsvollerBlick, keine bedrückte Stille im Raum. Im Gegenteil:Hauptgefreiter (UA) R. plante die Zukunft mit seinerneuen Situation.Er fragte auch nach mir, seinem Gruppenführer. Alsnach einer Woche ein weiterer Trupp den Verunglücktenbesuchte und auch dieser Besuch mit einer positiven Re-

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sonanz endete, entschloss ich mich, beim nächsten Maldabei zu sein.Ich fuhr also mit weiteren vier Soldaten aus dem Zugnach Heidelberg und überlegte mir, worüber ich mit demHauptgefreiten (UA) R. sprechen könnte, ohne ihn direktauf seine Verletzung ansprechen zu müssen. Angekom-men, entwickelte sich aber alles ganz anders. Als ich insein Zimmer trat, fand ich keinen betrübten und in sichgekehrten Soldaten vor, wie ich es eigentlich erwartethatte, sondern einen Kameraden, der uns mit einem Lä-cheln begrüßte. Es war keine Spur von Vorwurf zu spü-ren. Im Gegenteil! Ich erlebte einen Soldaten, der seinSchicksal zu akzeptieren schien und schon wieder in dieZukunft blickte. Er erzählte von den Fortschritten seinerGenesung und dass er die Hoffnung habe, wenigstensseine Hände und Arme wieder bewegen zu können. Auchsagte er, dass er durch eine hohe Unfallversicherung ei-nen gewissen finanziellen Spielraum habe, um die nöti-gen Umbauarbeiten in seinem Elternhaus zu schultern.Das Wichtigste aber erschien mir, dass er voller Zuver-sicht war, das Schicksal zusammen mit seiner Lebensge-fährtin zu meistern. Auch seine Stammeinheit besuchteihn regelmäßig und unterstützte ihn in jeder Form. Aufder Rückfahrt war ich froh, die Gelegenheit zu diesemBesuch genutzt zu haben.

Wir blieben noch einige Wochen in Kontakt, verloren unsdann aber im Laufe der Zeit bedauerlicherweise aus denAugen. In meiner Erinnerung bleibt ein Kamerad zurück,der sich trotz eines so schweren Schicksalsschlages sei-ne positive Lebenseinstellung bewahrt hat.

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Beschuss bei der Schiffsentladung

Einer der ersten Auslandseinsätze der Bundeswehr unterUN-Mandat mit umfangreicher Truppenstärke war 1993in Somalia. Zu diesem Zeitpunkt war ich beim Um-schlagzug in Mogadischu eingesetzt. Eine unserer Auf-gaben bestand darin, deutsche Schiffe zu entladen unddas Material nach Belet Huen zum deutschen Kontin-gent zu schicken.Während der Entladung der Schiffe übernahmen wir zu-sätzlich die Sicherung im Hafenbereich mit TPz FUCHSund WIESEl.

Ein sensibler Punkt wurde unter anderem mit einemTransportpanzer (TPz) FUCHS besetzt. Der Auftrag desSoldaten am MG bestand darin, einen Bereich zu über-

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wachen, aus dem schon mehrfach auf Soldaten im Ha-fen geschossen wurde. Die Einweisung in den zu über-wachenden Bereich erfolgte nach LANGEMAPP.Schließlich war das Einsatzszenario neu und so bedien-ten wir uns der bekannten Verhaltensregeln.Die Entladung des Schiffes ging zwar zügig voran, zogsich aber doch bis in die späten Nachmittagsstunden.Sowohl die Soldaten, als auch die zivilen Mitarbeiter derSchiffsbesatzung trugen Gefechtshelm und Bristolwes-te.Plötzlich waren Schüsse außerhalb des Hafenbereichszu hören, worauf sofort mehrere Feuerstöße durch denMG-Schützen auf dem TPz FUCHS abgegeben wurden.Sofort begab ich mich zum TPz, um mir einen Überblicküber die Lage zu verschaffen. Was war genau passiert?Der Soldat am MG wies mich sofort ein. Aus dem zuge-wiesenen Bereich wurde durch zwei Personen mitKalaschnikows das Feuer eröffnet. Nachdem das Feuererwidert wurde, gingen diese in Deckung und ver-schwanden vermutlich in einer kleinen Seitenstraße.Über Funk hörten wir den Befehl des für die Entladungverantwortlichen Leitenden Stabsoffiziers: „Achtung,wir wurden überschossen! Setzen mit der Entladung desSchiffes weiter fort! Ende.“Nach diesem Befehl über Funk reagierte der MG-Schüt-ze völlig aufgelöst. „Wie kann der Mann so etwas sagen?Wir wurden doch nicht überschossen, sondern beschos-sen!“ Der Blick in die Augen der anderen Soldaten aufdem TPz sagte mir, dass sie genauso dachten. Wenn ichehrlich bin, deutete auch aus meiner Sicht die Flugbahnvermutlich eher auf Beschießen statt Überschießen hin.

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Ich sagte ihm im ruhigen Ton, dass eine Diskussion völ-lig fehl am Platz sei. Wichtig sei vorrangig die weitereSicherung, damit die Schiffsentladung durchgeführtwerden kann. „Heute Abend können wir in Ruhe dieganze Sache besprechen. Jetzt ist es zwingend erforder-lich, ihren Auftrag weiterhin so vorbildlich wie vorherzu erfüllen.“ Er nickte mir zu und es wurde kein weite-res Wort darüber gesprochen.Nachdem die Ladung gelöscht war, fuhren wir zurückzu unserem kleinen Camp auf dem Flughafen in Moga-dischu. Nach unseren routinemäßigen Tätigkeiten(Technischer Dienst, Berichte schreiben und so weiter)wurde wie jeden Abend zusammen gegessen. Danachsetzten wir uns auf die provisorische Veranda vor unse-rem Zelt. Sofort setzte sich der Soldat zu mir und schil-derte nochmals die Situation aus seiner Sicht.In dem ruhigen Gespräch, an dem sich auch weitere Sol-daten beteiligten, erklärte ich ihnen, dass der verant-wortliche Stabsoffizier eine sehr große Verantwortungübernommen hatte. Die TPz-Besatzung hatte sich völligrichtig verhalten und sich im Rahmen der Selbstvertei-dung gemäß der Rules of Engagement verhalten.Nach Beurteilung der Lage und dem Ausweichen desAngreifers hat der verantwortliche Führer entschieden,das Entladen fortzusetzen. So hat das Material an Bordunsere Kameraden in Belet Huen rechtzeitig erreicht.

Erst Jahre später, in der Vorbereitung auf den nächstenEinsatz, wurde mir bewusst, dass wir etwas gemachthatten, was mittlerweile in der Ausbildung vermitteltwird: „Debriefing“. Nicht nur dem Zusammenhalt hat

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es aus meiner Sicht sehr gut getan, sondern das Spre-chen über die Lehren hat uns damit in anderen, ähnli-chen Situationen rasches, unverzügliches Handeln er-möglicht. Die abendlichen Gespräche gab es in derFolge des Einsatzes noch sehr oft.

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Tod auf dem Heimweg

In einem August, es war die Zeit der ersten Auflösungenvon Truppenteilen und Verbänden, des Personalstärke-gesetzes und der ersten großen Welle von Personalredu-zierungen und Personalversetzungen quer durch dieBundesrepublik war ich Führer eines dislozierten Wall-meistertrupps (WmTrp). Der Trupp war besetzt mit ei-nem Wallmeistertruppführer, einem Wallmeisterfeldwe-bel und einem zivilen Kraftfahrer. Der Auftrag desWmTrp war unter anderem, die Einsatzbereitschaft undVerkehrssicherheit von baulich vorbereiteten Sperren(zum Beispiel Straßensprengschachtanlagen, Brücken-sprengungen, Steckschachtanlagen) sicherzustellen undpioniertechnische Führungsmittel (beispielsweise Ge-wässerfolien) zu erstellen.Einhergehend mit den Auflösungen und Reduzierungenwurden auch verschiedene Dienstposten gestrichen oderherabdotiert. So wurde auch die Stelle des „2. Mannes“ersatzlos gestrichen.Oberfeldwebel Konrad G. war von dieser neuen Situati-on ebenfalls betroffen. Ein korrekter, fleißiger, zuverläs-siger, intelligenter, rundum vorbildlicher und heimatver-bundener Berufssoldat.Drehen wir das Rad der Zeit zurück und lassen Sie micherzählen, was damals im August geschah.Oberfeldwebel G. befand sich schon zwei Wochen imJahresurlaub. Er nutzte die Zeit, sich in der freien Wirt-schaft nach Alternativen umzusehen, um einer eventuel-len Versetzung aus dem Weg zu gehen. Die Mithilfe im

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landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern war Hobbyund Erfüllung zugleich.Es war ein Montagnachmittag. Oberfeldwebel G. waram Standort, um beim Personaloffizier des Bataillonsverschiedene Informationen und Auskünfte einzuholen.Anschließend besuchte er uns im Büro, um nachzufra-gen, was es denn Neues gäbe.In der Zwischenzeit zog ein Gewitter auf, und es begannauch schon leicht zu regnen. Nachdem wir uns bei einerTasse Kaffee ausgetauscht hatten, holte Konrad einenorangefarbenen Regenkombi, er war mit dem Motorradunterwegs, zog diesen über und verabschiedete sich ge-gen 16:00 Uhr von uns.Ich war an diesem Tag ebenfalls mit dem Motorrad zumDienst gefahren und folgte Konrad circa eine viertelStunde später. Wir hatten bis auf ein paar Kilometer dengleichen Weg nach Hause. Der Großteil der Strecke ver-lief im Zuge einer Bundesstraße, vorbei an zwei Kur-orten.Nach circa 25 Kilometern sah ich in einiger Entfernung,im Einmündungsbereich einer Seitenstraße, einen Lkwmit eingeschalteter Warnblinkanlage stehen, mitten aufder Bundesstraße ein Auto. Ich reduzierte die Geschwin-digkeit und erkannte beim näher kommen ein silberfar-benes, unförmiges Etwas vor dem Wagen. Ich reduzier-te mein Tempo weiter bis auf Schrittgeschwindigkeit,rollte langsam auf den Pkw zu und an diesem vorbei.Nach knapp zehn Metern lag ein schwarzer Motorrad-helm mit bunten Streifen auf der Fahrbahn. „So einenähnlichen trägt Konrad auch“, dachte ich und rolltelangsam weiter. Weitere zehn Meter weiter lag eine Per-

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son mitten auf der Fahrbahn, von Kopf bis zu den Knienmit einer Plane zugedeckt. Ich sah nur die Motorradstie-fel und einen orangefarbenen Regenkombi! Was lang-sam wie ein Film an mir vorüber zog – Pkw, Helm, oran-gefarbener Kombi – wurde zur Gewissheit: Es war Kon-rad! Das silberfarbene, unförmige Etwas war seine biszur Unkenntlichkeit deformierte Maschine.Ich fuhr rechts ran, stellte meine Maschine ab, ging aufdie umherstehenden Helfer und Personen zu und fragte,was passiert sei. „Der Pkw hat dem Motorradfahrer dieVorfahrt genommen. Er hatte keine Chance zum Aus-weichen. Er ist tot!“ bekam ich zur Antwort. Diese Wor-te trafen mich bis in mein Innerstes. Ich stammelte nurnoch: „Nein, das kann nicht sein. Vor wenigen Minutenhaben wir uns noch unterhalten.“ Hilflose, traurige Bli-cke trafen mich. „Waren der Notarzt, die Polizei schonda?“. Nur stummes Kopfschütteln. Wie in Trance gingich zu meinem Motorrad zurück, setzte mich auf dieLeitplanke und rauchte eine Zigarette. Dann kam eineReaktion von mir, die mich heute noch irritiert. Ich setz-te meinen Helm auf, zog die Handschuhe an, setzte michauf die Maschine und betätigte den Anlasser, ohne Ge-danken, wie ein Roboter. Erst als ich den Motor hörte,wurde mir bewusst, was eigentlich geschehen ist. Ichwachte wie aus einer Hypnose auf. Jahre später habe ichdieses mir unverständliche Verhalten einer Truppenpsy-chologin erzählt, die mir erklärte, dass dies eine norma-le Reaktion bei Schock sei: Die Flucht vor der Tatsache,dass mein Kamerad eben tödlich verunglückt war.Bis zu diesem Moment wusste niemand außer mir, werder Verunglückte war.

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Innerhalb weniger Minuten, nach einer gefühlten Ewig-keit für mich, trafen kurz nacheinander Notarzt und Ret-tungswagen ein. Untersuchung durch den Arzt, Reani-mation durch Stromstöße. Alle Versuche blieben ohneErfolg. Der Notarzt packte seinen Rettungskoffer ein,die Sanitäter verluden ihre Trage, Türen schlugen zu.Dieses Geräusch der zuschlagenden Türen war so end-gültig. Es gibt keine Hilfe mehr! Konrad ist tot!Zwischenzeitlich war auch die Polizei eingetroffen undbegann mit der Unfallaufnahme und der Zeugenbefra-gung. Einer der Polizeibeamten kam auf mich zu undfragte mich, ob ich den Verunglückten kenne und wisse,wo er wohnt? „Ja, ich bin sein Vorgesetzter.“ „WollenSie die Eltern benachrichtigen?“ In diesem Momentging mir nur ganz kurz durch den Kopf, dass auch diesetraurige Pflicht von einem Vorgesetzten erfüllt werdenmuss und ich es Konrad schuldig bin. Geschockt vondem ganzen Geschehen sagte ich zu, nicht ahnend, wasdies eigentlich bedeutet und was ich noch vor mir hatte.Die Heimfahrt zu mir war ein Albtraum, ich zitterte amganzen Körper und war fast nicht mehr in der Lage,mein Motorrad sicher zu führen.Zu Hause, nach einer Tasse Kaffee, informierte ich dievorgesetzte Dienststelle, die mich beauftragte, aufgrundder Zeit und der räumlichen Entfernung, sofort alle not-wendigen Maßnahmen durchzuführen.Also machte ich mich auf den Weg zu Konrads Eltern,die ich auch persönlich kannte.Diese Fahrt von mir zu Hause bis zum Elternhaus vonKonrad war ein weiterer, schlimmer Albtraum. Auf dereinen Seite der tote Sohn, auf der anderen Seite die un-

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wissenden Eltern und ich dazwischen mit der Todes-nachricht. Diese sechs Kilometer lange Fahrt war dieschwerste und einsamste meines bisherigen Lebens.Was sage ich? Wie sage ich es? Wie beginne ich? Wenwerde ich als erstes antreffen? Eine Menge Fragen ras-ten durch meinen Kopf, bis zum: „Ich kehre um. Ichkann es nicht!“ Jetzt wurde mir auch klar, wieso ich derzuständigen Polizeiinspektion Vollzug melden musste.Warum, wieso, wie auch immer. Ich weiß heute nichtmehr, wie ich es geschafft habe. Ich fuhr einfach weiterund stand dann irgendwann mitten auf dem Innenhofdes Anwesens. Ich stellte den Motor ab und stieg ausdem Auto.In diesem Moment betrat Konrads Mutter, aus einem Ne-bengebäude kommend, den Innenhof und sah mich. „Ohnein, das auch noch“, dachte ich. Bis zu diesem Momenthatte ich noch kein Wort gesprochen.Sie blieb abrupt stehen und fing an zu zittern. Ich hatteden Eindruck, sie spürte etwas, war darauf gefasst, dasssich irgendetwas Schlimmes, Furchtbares ereignet hatte.Sie hatte Recht, konnte aber nicht ahnen, wie furchtbar essie gleich treffen würde. „Konrad ist was Schlimmes zu-gestoßen.“ Zu mehr kam ich nicht. Aufschreiend brachsie vor mir zusammen. Eine weinende, wimmernde Mut-ter, die nach ihrem Sohn rief, und ich war so hilflos!Irgendwoher kamen der Vater und einer seiner Brüderangerannt und halfen der Mutter. Sie fragten mich, waspassiert ist. „Konrad ist bei einem Verkehrsunfall tödlichverunglückt.“

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Meine Hilfe bestand dann nur noch darin den zuständi-gen Hausarzt zu informieren, denn Konrads Mutterbrauchte unbedingt ärztliche Hilfe und die Zusage, dassich alle weiteren, notwendigen Maßnahmen über dieDienststelle veranlassen werde.Die Tage bis zur Beerdigung waren für uns nicht leicht.Die einzuleitenden und durchzuführenden Maßnahmengemäß Vorschrift waren geprägt von der Trauer um un-seren Kameraden und nahmen unsere gesamte Konzen-tration und Kraft in Anspruch. Angefangen vom Aufbre-chen des Spindes bis zum Verpacken seiner dienstlichenAusrüstung und Ausstattung, einschließlich seiner per-sönlichen Sachen. Wir hatten das Gefühl, wir packenmit jedem Gegenstand unseren Kameraden stückchen-weise in die Kartons.Die Beerdigung fand mit militärischen Ehren statt. Wir,seine Wallmeisterkameraden, trugen den Sarg zu Grabe.Viele ehemalige Kameraden, Vorgesetzte, Freunde undBekannte begleiteten Konrad auf seinem letzten Weg.Nach den Trauerfeierlichkeiten kam unser Kommandeurzu mir und sagte: „Das haben Sie gut gemacht“. Ichfragte ihn daraufhin: „Haben Sie so eine Situation schonmal erlebt, Herr Oberst?“ „Ja.“ „Dann können Sie janachfühlen, wie es mir geht.“ „Ja, ich hätte Sie beimÜberbringen der Nachricht gerne unterstützt.“ DerKommandeur erzählte mir dann „seine“ traurige Ge-schichte, was er erlebte und was er fühlte. Ich stelltefest, dass es nur kleine Unterschiede zu meiner Ge-schichte gab und er mich sicher verstanden hatte undwusste, wie ich mich in diesem Moment fühlte.

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Noch heute sind meine Gefühle und Gedanken von da-mals nur schwer in Worte zu fassen. Von einer Sekun-de auf die andere war nichts mehr so, wie es einmalwar.An die einsame Fahrt mit der Todesnachricht, von mirzu Hause zu den Eltern, denke ich immer noch mitGrauen.Mit den Erfahrungen würde ich sicherlich einiges an-ders machen und nicht ohne Unterstützung zu den El-tern fahren und die Botschaft nicht alleine überbringen.

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Internationale Küche

In meinem ersten Auslandseinsatz, bei EUFOR in Bos-nien, war ich als „Deputy Officer“ bei der Verpflegungs-gruppe eingesetzt. Die gemischte Einheit bestand ausFranzosen, Spaniern, Italienern und Deutschen. Für dieAbsicherung des Lagers war eine marokkanische Ein-heit zuständig.Die Besonderheit bestand darin, dass die Versorgungs-kompanie und auch die Teileinheiten des Versorgungs-elements aus den vier Nationen bestanden. Somit warich Vorgesetzter von den drei mir unterstellten deutschenSoldaten sowie stellvertretender Teileinheitsführer dermultinationalen Verpflegungsgruppe. Konkret bestandsie aus sechs Franzosen, drei Italienern und zwei Spa-niern. Da dies auch eine Art Pilotprojekt unter europäi-scher Führung war, wurde der Einsatz vom Sozialwis-senschaftlichen Institut der Bundeswehr (SOWI) beglei-tet. Hier wurden die Herausforderungen des Alltags inBezug auf Zusammenarbeit im multinationalen Bereichuntersucht.Die wahrscheinlich größte Herausforderung war dieSprache, beginnend mit den Kommandos beim morgend-lichen Antreten, weiter beim „normalen“ Tagesablauf in-klusive der Teileinheitsführerbesprechungen bis hin zuden Anweisungen für die zivilen Ortskräfte, die in derKüche eingesetzt waren. Alles in Englisch.Meine Sprachkenntnisse bestanden derzeit nur aus va-gem Schulenglisch und gutem Fachfranzösisch. Aller-dings ging es den meisten Soldaten der anderen Nationenähnlich. Somit waren kleinere Missverständnisse und

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Versprecher vorprogrammiert, trugen aber, aufgrund dergeringen Tragweite, oft zur allgemeinen Erheiterung bei.Zu meinen täglichen Aufgaben gehörte das Führen derSoldaten meiner Teileinheit, die Kontrolle der Einhal-tung von Hygienevorschriften, die Kontrolle der lokalenOrtskräfte, Kommissionierung der Lebensmittel, Über-setzung von Speiseplänen und Unterstützung des franzö-sischen Teileinheitsführers. Zusätzlich war ich das Bin-deglied zwischen dem nationalen Versorgungselementund der multinationalen Küche. Weitere tägliche Heraus-forderungen bestanden darin, alle Nationen mit ihren Ei-gen- und Gewohnheiten unter „einen Hut“ zu bringen.Zum Beispiel können die Auffassung von Pünktlichkeit,Disziplin und Verantwortungsbewusstsein sich stark un-terscheiden. Die Kunst bestand darin, eine Art der Kom-munikation zu praktizieren, die Sprache mit Gestik, Mi-mik, manchmal auch Skizzen oder Zeichnungen ver-band. Zusätzlich konnte man sich ein wenig Respekt ver-schaffen, indem man zum Beispiel „Smalltalk“ oder Grü-ße in der jeweiligen Landessprache formulierte. Erfor-derlich war ebenfalls die Kenntnis über die ausländi-schen Dienstgradabzeichen.

Im Juli ereilte uns der Auftrag, das Buffet für den fran-zösischen Nationalfeiertag zuzubereiten und zu gestal-ten. Die Zubereitung und Herrichtung der verschiedenenSpeisen war, aufgrund der unterschiedlichen Ausbil-dungsstandards sehr aufwändig zu organisieren. Ebensohielt ich es aus „taktischen Gründen“ für angebracht,mehr Zeit einzuplanen, um den manchmal auftretendenlandestypischen Verspätungen beziehungsweise dem et-

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was zu lockeren Umgang mit Aufträgen entgegen zuwirken. Damit waren wir letztlich im richtigen Timing.Das Buffet übertraf bei weitem alle Vorstellungen. Dergemeinsame Erfolg, welcher durch das Feedback dergesamten Truppe bestätigt wurde, vermochte die eigent-lich so unterschiedlichen Charaktere und Nationen, mitall ihren Eigenheiten und Gebräuchen, zu einer leis-tungsfähigen und vor allem leistungswilligen Teileinheitzu formen. Das erleichterte im Nachhinein die Erfüllungder Aufträge ungemein und förderte auch den Kontakt inder Küche. Somit war eine Kameradschaft entstanden,die mit Vorträgen nie hätte erreicht werden können.Ebenso profitierten wir als Vorgesetzte dieser „bunten“Truppe davon. Auch das Ansehen bei Soldaten, mit de-nen man dienstlich nicht direkt zu tun hatte, war seit die-sem Tag gestiegen.

Abschließend kann ich für mich sagen, dass diese Tä-tigkeit in fast zehn Jahren Dienstzeit wohl den interes-santesten, aber auch ungewöhnlichsten Teil darstellte.Den eigenen Prinzipien treu zu bleiben war ebensowichtig, wie eine gewisse Offenheit und Toleranz denanderen Nationen gegenüber. Dies macht interkulturel-le Kompetenz aus. So wird man als Vorgesetzter akzep-tiert und kann sicher in jedem Umfeld handeln. EineErfahrung im multinationalen Bereich, der in Zukunftnoch mehr an Bedeutung gewinnen wird, kann ich im-mer wieder empfehlen. Anerkennung auch von Vorge-setzten anderer Nationen zu bekommen, bestätigt nichtnur den eigenen Erfolg, sondern trägt auch zum Anse-hen des eigenen Landes bei.

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Wir hatten doch keine Bilder im Kopf!

Nur langsam senkte sich die Sonne auf den Sodenberghinab und verlor so von ihrer sengend heißen Kraft. Wirhatten das Sommerquartal in unserer Grundausbildungs-kompanie. Es war gerade 16:30 Uhr, als meine Grup-penführer zur Dienstplanbesprechung einrückten. Feld-webel B. und die drei Fahnenjunker S., T. und W. nah-men im Dienstzimmer Platz und stellten Schreibbereit-schaft her.Im dritten Quartal hatten wir die Regelung, dass uns Fah-nenjunker im Praktikum als Gruppenführer und Ober-fähnriche als Zugführer unterstützten. Dies gewährleiste-te zum einen den Erholungsurlaub in einer Grundausbil-dungskompanie und zum anderen praktische Übungs-möglichkeiten für die jungen Offizieranwärter. So hatteich an diesem Dienstagabend meinen Gruppenführer unddie drei im Praktikum übenden Fahnenjunker zur Dienst-besprechung für die nächste Woche im Dienstzimmer sit-zen. Noch vom Schweiß des Tagesdienstes gezeichnet,gab ich die Punkte aus der Teileinheitsführerbesprechungan die Männer weiter und kam dann zum Dienstplan.Es war die Woche des letzten Übungslagers. Die Grup-penführer bekamen für das Biwak Aufträge zur Vorberei-tung der Ausbildungen Feuerkampf und Streife. DieHandzettel waren bis Freitag zum Dienstbeginn vorzule-gen.Die nächsten Tage vergingen, ohne dass die Fahnenjun-ker bei mir oder dem Feldwebel Fragen zur Ausbildunggestellt hätten. Umso mehr wunderte es mich, dass amFreitagmorgen ausschließlich vom Gruppenführer beide

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Ausbildungen in Schriftform vorbereitet waren. Die dreiFahnenjunker hatten lediglich die Handzettel zur Feuer-kampfausbildung abgegeben.Als der Chef seine Wochenendbelehrung abgeschlossenhatte und jeder mit seinen Gedanken schon im Wochen-ende war, befahl ich dem Feldwebel B. den Zug zu über-nehmen und ins Wochenende wegtreten zu lassen. Diedrei Fahnenjunker ließ ich einrücken. Von den Gruppen-führern ließ ich mir noch mal den Auftrag wiederholen.Nach einer Weile betroffenen Schweigens und bohren-den Blicken auf den Fußboden, offenbarten sie mir, dasssie mit der Ausbildung „Streife“ nichts anfangen konn-ten. Keiner von ihnen hatte brauchbare Bilder im Kopf,wie eine solche Ausbildung in der Praxis aussehenkönnte. Auf die Frage, ob sie eine solche Ausbildungnoch nie gehalten hätten, sagten sie nur: „Ja schon, aberalle bekamen auf die Streifenausbildung eine fünf undder Ausbilder hatte letztendlich nicht erklärt, wie er sicheine solche Ausbildung vorstellte.“Nun hatten die jungen Ausbilder keine wirkliche Vor-stellung von dem, was sie tun sollten und auch aus denVorschriften konnten sie nichts Erschöpfendes herausle-sen. „Wenn man keine eigenen Erfahrungen und keineBilder im Kopf hat, ist es schon schwierig, mit bloßerPhantasie eine solche Ausbildung lebendig zu gestal-ten“, sagte ich den Gruppenführern. „Wenn Ihnen alsoin Zukunft die geeigneten Bilder im Kopf fehlen, so fra-gen Sie jemanden, der die Bilder kennt, das heißt, dersolche Erfahrungen schon selbst gemacht hat.“ Mit mei-nen Vorstellungen einer solchen Ausbildung entließ ichdie Fahnenjunker ins Wochenende und forderte für

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Montagmorgen erneut einen Handzettel. Dass die jun-gen Soldaten keine Bilder im Kopf hatten, war für michnicht so sehr verwunderlich, aber dass auch ihr Ausbil-der, ein Hauptfeldwebel, außer einer schlechten Zensurkeine Bilder an die Lernenden weitergegeben hatte, hatmich schon irritiert!

Dann war der Tag des Übungslagers gekommen und dieKompanie verlegte bei anhaltend gutem Wetter ins Bi-wak. Dank der hohen Führerdichte verlief der erste Tagsehr routiniert. Die Plätze der Gruppen waren sauberund ordentlich, die Zelte vernünftig abgespannt undtrotz der milden Temperaturen hatten die Gruppenführerin jedem Zelt eine Lagerstätte anlegen lassen. Am Nach-mittag war der Bataillonskommandeur zur Dienstauf-sicht gekommen. Bei der Ausbildung Feuerkampf sah erdie Stellung des Maschinengewehrs, das frontal vonzwei starken Buchen gedeckt war, flankierend vor dieGruppe wirken konnte und als „Schweigewaffe“ einge-setzt war. Der Maschinengewehrschütze hatte die Mit-telunterstützung gewählt und den Bereitschaftsgrad„Klar zum Gefecht“ hergestellt. Als dann noch der Un-teroffizier R. im Pausengespräch die Funktionen desKombinationswerkzeuges bei der Störungsbeseitigungam Maschinengewehr erklärte, war der Kommandeuroffensichtlich zufrieden. Mir war klar, dass er hier in15 Minuten so viele Details gesehen hatte, dass er sich umdie Tiefe der Ausbildung keine Sorgen machen musste.Nach dem Abendessen begann die Ausbildung Streife.Es hat sich eine gewisse Neugierde in mir breit gemacht,wie nun die Fahnenjunker meine Bilder in die Ausbil-

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dung umgesetzt hatten. Dennoch wollte ich den Ausbil-dern Zeit lassen, bis die Streifenausbildung angelaufenwar. Mit den anderen Unteroffizieren saß ich am Zugge-fechtstand und hatte die spärlich zugewiesene Leucht-und Signalmunition auf die Gruppen verteilt. Die Unter-offiziere sollten bei eingeschränkter Sicht die Fahnen-junker bei der Ausbildung unterstützen. Vorsorglichwies ich noch mal auf die besonderen Sicherheitsbe-stimmungen im Umgang mit der Signalpistole hin. Mei-ne Erklärungen umfassten die nicht vorhandene Siche-rung der Waffe sowie die Tatsache, dass es für die Sig-nalpistole keine Exerzier-, Manöver- und Übungsmuni-tion gibt und die Waffe bei Ausbildung und Übung ge-nauso verwendet wird wie im Einsatz. „Wo kann manetwas über die Signalmunition nachlesen?“ fragte ichdie Gruppenführer. Unteroffizier R. erinnerte sich an dieAusbildung im letzten Quartal. Er antwortete, es stehe inder ZDv 3/20 im Anhang. Auf die Frage, welche Muni-tion bei einem Feuerüberfall zum Beleuchten einzuset-zen ist, konnte Unteroffizier R. wieder antworten. Essollte zunächst eine Einsternmunition verschossen wer-den, weil diese Munition sofort Licht bringt, währendein Fallschirm erst nach einigen Sekunden am Gipfel-punkt seinen Leuchtsatz ausstößt und erst dann Lichtzum Schießen bringt. Des Weiteren sollte man nachMöglichkeit immer bei den Farben bleiben und nichtmischen, da sich das Auge umgewöhnen muss. Unterof-fizier R. hatte meine Pausengespräche aus dem letztenQuartal in Erinnerung behalten.Nun ließ ich jeden Unteroffizier noch einmal in die Kis-ten greifen und mir sagen, um welche Farbe und Art es

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sich bei der gezogenen Munition handelte. Von den neu-en Unteroffizieren konnte mir das keiner sagen. Wieder-um erklärte Unteroffizier R.: „Man muss sich hier dieEselsbrücke mit dem Ampelprinzip merken. Fährt manmit dem Daumen über den Hülsenboden und die Riffe-lung läuft ringsum, so lässt es sich schlecht über denHülsenboden fahren. So ist es auch bei einer roten Am-pel. Halbgeriffelt steht für gelb und weiß, wobei die gel-be Patrone sich durch einen phosphoreszierendenLeuchtring von der weißen unterscheidet. Und um dengrünen Hülsenboden lässt es sich gut ringsum fahren, erbesitzt keine Riffelung.“ Jetzt wollte ich wissen, wo die-ses Prinzip der Markierungen bei der Bundeswehr nochAnwendung findet. Da mir diese Frage niemand beant-worten konnte, ließ ich die Gruppenführer die Taschen-leuchten auspacken und fragte: „Rot rechts, grün links,oder ist es umgekehrt?“ Die Gruppenführer hatten ver-standen! Und wenn sie auch die Wichtigkeit dessen imEinsatz noch nicht abschätzen konnten, so war mir ge-wiss, das sind Erfahrungen, die sie weitergeben werden.Die anschließende Streifenausbildung verlief ganz nachmeinen Vorstellungen, zumal sich die Fahnenjunkerselbst gut eingebracht hatten. Ich war mir sicher, sie hat-ten jetzt einige „Bilder im Kopf“.

Jeder Führer lernt, die Nichtdurchführbarkeit einesAuftrags sofort zu melden. Junge Ausbilder lernen vonihren erfahrenen Vorgesetzten! Praxis ist durch nichtszu ersetzen. Ausbildung muss wieder mehr als das„Produkt“ gesehen werden, das es herzustellen gilt.Dafür sind dem Ausbilder die geeigneten „Mittel“ zur

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Verfügung zu stellen. Vor allem aber die Zeit, eine sol-che Ausbildung vernünftig vor- und nachzubereiten.Eine Endkontrolle des „Produkts“ Ausbildung mussweiterhin auf hohem Niveau stattfinden.Die Thematik der Grundausbildung wurde hier be-wusst gewählt, da bei diesem Beispiel jeder einen um-fassenden Einblick hat. Solche Erfahrungen, die heuti-ge Ausbildungsqualität betreffend, existieren in allenBereichen. Es liegt nicht an den jungen Soldaten, son-dern an uns Vorgesetzten, eine qualitativ hochwertigeAusbildung zu ermöglichen.

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Der Bergeeinsatz

Montag, kurz vor 12:00 Uhr, endlich wieder ein sonni-ger Tag. Ich bin Schirrmeister in einem Panzergrenadier-bataillon. Gerade schaue ich aus dem Fenster meinesBüros im ersten Stock in den technischen Bereich desInstandsetzungszuges. Viele Hallentore sind offen, nochwird überall geschraubt, man kann bei der Instandset-zung förmlich zuschauen. Meinem Büro gegenüber be-findet sich die Bergegruppe mit vier Bergepanzern Stan-dard und einem Autokran. Auch dort wird gerade derletzte Übungsplatzaufenthalt nachbereitet. Gleich wirdes ruhiger werden, die Mittagspause ist längst fällig.Aber es sollte anders kommen.Das Telefon klingelte und der S 3-Stabsoffizier wardran: „Wir müssen Amtshilfe leisten. Ein Lkw hat sichfestgefahren, die zivilen Abschleppunternehmer schaf-fen das nicht. Sie haben freie Hand, der technischeStabsoffizier ist informiert, die Polizei holt Sie gleichab, melden Sie sich zwischendurch, danke“, lautete seinkurzer Befehl.Jetzt musste alles schnell gehen, bevor die Männer zumMittagessen verschwunden wären. Ich informierte denInstandsetzungszugführer, die Wartung und den Berge-trupp. Bereits nach wenigen Minuten trafen wir uns imHof zur Lageinformation. Kaum hatte ich angefangen,kam auch schon ein Polizeifahrzeug angefahren. Nachkurzer Begrüßung schilderte uns der Polizist die Lagevor Ort.Demnach hatte sich bereits am Freitagnachmittag einTanklastzug mit rund 25 Tonnen flüssigem Sauerstoff

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derart verfahren, dass er sich in einer Gartenhaussied-lung festgefahren hatte und inzwischen umzustürzendrohte. Der Aushilfsfahrer hatte erst heute Morgen sei-ner Firma das Missgeschick über Telefon mitgeteilt, diedann Hilfe schickte. Aber auch der große Dreiachser Ab-schleppwagen fuhr sich fest. Nichts ging mehr. Für unshieß das „volles Programm“. Für den Weg zum Einsatz-ort hatten wir keinen Marschkredit, auch war mir dieBrückentragfähigkeit nicht bekannt. Aber der Polizistsagte, es wäre alles machbar und in Ordnung. Er würdevorfahren und uns den Weg freimachen.Und schon ging es los. Polizei mit Blaulicht vorneweg,dahinter ich mit meinem Funk-WOLF, der Bergepanzerund zum Schluss die Wartung mit den aktivierten Rund-umleuchten. In recht flotter Fahrt folgten wir dem Poli-zeifahrzeug. Vielleicht hätten wir doch eine Höchstge-schwindigkeit ausmachen sollen. Niemals hätte ich mirträumen lassen, am Kurzentrum, zwischen Golfplatzund Trimm-dich-Pfad, durchzufahren. Auf dem Weg da-hin gab es auch noch einen Auffahrunfall zweier unsentgegenkommender Zivil-Pkw, mit Blechschaden. Derhintere Fahrer hatte wohl noch nie einen Bergepanzergesehen und war aufgefahren. Wir hielten nicht an, un-ser Polizist gab Zeichen und forderte über Funk Verstär-kung an. Kurz darauf stoppten wir oberhalb des Einsatz-ortes auf einem Parkplatz, ließen dort Bergepanzer undWartung stehen und fuhren mit der Besatzung im Gelän-dewagen der Polizei zum Lkw.Es ging durch die Kleingartensiedlung, kurvig und engbergab. Links und rechts des einspurigen, geteerten We-ges sah man die Reifenabdrücke des Lkw. Wie konnte

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hier ein 40-Tonnen Sattelzug durch und warum ist er im-mer weiter gefahren? Die wenigen Ferienhausbesitzerstanden auf ihren Grundstücken und schauten skeptisch,was da wohl kommt. Angekommen an der Einsatzstelle,einer nassen Wiese, direkt am Hang zum Rheintal run-ter, standen der Sattelzug, eine Zugmaschine mit Hängerund der Abschleppwagen davor, bis auf die Achsen ver-sunken.Es folgte eine kurze Vorstellung aller Beteiligten, dieSchilderung dessen, was schon versucht wurde, Abspra-chen und Sichten, wo das Bergeseil angeschlagen wer-den könnte und wie weiter vorgegangen werden sollte.Im Polizeifahrzeug wurde die Besatzung wieder hoch-gefahren, um den Bergepanzer zu holen. Die Wartungsollte vorfahren und an den Engstellen beim Einweisenhelfen. Ich zog derweil mit meinem Kraftfahrer alleGleitschutzketten an unserem WOLF auf. Mehrere Au-tos der Anwohner standen noch in der Gefahrenzone, diebereits gut verschlammt war. Die Autos kamen aus eige-ner Kraft nicht mehr weg, wir halfen beim Rausziehen.Jetzt brauchten wir Platz, viel Platz. Der Bergepanzerwar zu hören, kam aber nicht näher. Ich ging hin, um zuschauen, woran es lag. Ich hatte eine super Besatzungdabei, aber der Weg war offenbar zu schmal für uns. Er-neut musste die Polizei her, um mit den Anwohnern zuklären, was wir machen müssen und wer den Schadenzahlt. Bäume standen im Weg, wir waren zu breit, dieKurven zu eng, die Bäume mussten gefällt werden.Also die bordeigene Kettensäge raus geholt und Platzgeschaffen. Inzwischen kamen auch schon die erstenSchaulustigen und Wanderer hinzu, aber auch ein Mitar-

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beiter der Spedition des Lasters, die Presse und der ört-liche Polizeichef.Rund eine Stunde später stand der Bergepanzer zum ers-ten Mal bereit, den Abschleppwagen mit dem Ab-schleppseil rauszuziehen. Leicht war es nicht. Die Ket-ten setzten sich zu und fingen an durchzudrehen, aber esgelang im ersten Anlauf. Nun hieß es, die Ketten desBergepanzers frei zu fahren, damit sie wieder richtigfassen konnten. Also mit Geschwindigkeit die Zufahrts-straße rauf und runter. Dann ein neuer Anlauf zum Sat-telzug.Es wurde Zeit für einen Anruf in der Kaserne, um denZwischenstand zu melden. Vorsorglich bat ich, einenweiteren Bergepanzer fertig zu machen und uns weitereAbschleppbolzen und Seile zu bringen.Im Beisein des Spediteurs und des Fahrers suchten wireinen Anschlagpunkt an der Zugmaschine, der kräftiggenug war, standzuhalten. Dazu wurde beschlossen, denverflüssigten tiefgekühlten Sauerstoff, immerhin fast 25Tonnen, kontrolliert abzulassen. Die Umgebung würdezwar für eine Weile vereist sein, aber immer noch besserund billiger, als den Lkw samt Sattelanhänger zu be-schädigen.Nachdem der erste Versuch mit dem Bergepanzer im di-rekten Anhängen gescheitert war, blieb nur der Einsatzder Bergewinde übrig. Leider auf große Entfernung, daes zum befestigten Weg doch recht weit war. Der ersteAbschleppbolzen war bereits krumm, die Stoßstangeauch schon leicht verformt und nach vorne gestreckt.Beim Anziehen der Windenseile gab eine ganze Baum-reihe auf einem der Grundstücke nach. Ich gab deshalb

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die Kommandos aus sicherer Entfernung über Funk.Ganz langsam kam der Lkw näher und endlich frei. Eswar geschafft, wir konnten abbauen. Erneuter Anruf indie Kaserne, mit der Meldung: „Alles in Ordnung.“Wir packten alles ein, fuhren wieder hoch zu dem klei-nen Parkplatz und sichteten erst mal die Fahrzeuge. In-zwischen waren mehrere Stunden vergangen. Hungerund Durst machten sich breit. Nach einer kräftigen Brot-zeit stellten wir Marschbereitschaft her. Man bedanktesich bei uns und tauschte noch Adressen für die Rech-nungen aus. Wir wurden zur Kaserne, der Lkw zumTÜV begleitet, wo eine größere Untersuchung auf Schä-den anstand.Als „weiteres Ergebnis“ haben wir tiefe Spuren, gefäll-te und beschädigte Bäume, kaputte Zäune sowie viel,viel Schlamm „hinterlassen.“ Irgendwie sah es aus wieauf der Schießbahn 35 in Baumholder nach einem Ge-fechtstag.Ich meldete mich bei meinen Vorgesetzten zurück undschrieb den Einsatzbericht. Nur gut, dass sich keinerverletzt hatte – meiner guten Mannschaft sei Dank.Am Ende kamen wir mit Bild in die hiesige Tageszei-tung. Der Einsatz wurde unter Ausbildung verbucht undwir hatten ein Erlebnis mehr, das nicht zu schnell ver-gessen wird.

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Gefährliche Routine

Ich war als Oberfeldwebel in einem Instandsetzungsba-taillon stationiert und habe vom Hauptgefreiten bis zumOberfeldwebel viele, viele Wachdienste in den verschie-densten Positionen geleistet.Nun war ich schon zum zwanzigsten oder dreißigstenMal der Offizier vom Wachdienst (OvWa), hatte einigesan Erfahrung und somit auch viel zu vermitteln. JedeWachbelehrung überschritt die vorgesehene Zeit deut-lich. Dies lag aber daran, dass es Mängel in der Ausbil-dung der Soldaten gab. Die Punkte auf meiner Beleh-rungsliste konnte ich nur mühsam abarbeiten. Einer derwichtigsten Punkte war dabei das Standardalarmverfah-ren, auf dem die restlichen, spezifischen Alarmverfahrenbasieren. Dies hat einen Großteil der Zeit in Anspruchgenommen. Die eigenen Soldaten sagten immer: „DerOberfeldwebel bringt uns immer mehr bei, als die ande-ren. Wir fühlen uns zum ersten Mal auf unseren Dienstgut vorbereitet“ oder „ ... es ist gut zu wissen, dass derChef Plan hat und es weitergibt“. Die anderen sagten:„Der Oberfeldwebel spinnt! So’n Mist braucht keiner.Soll nicht immer alles so ernst nehmen, es passiert ehnix!“ Ich konnte dazu nur sagen: „Was tun wir, falls et-was passiert?!“

Als ich eines Tages zum Dienst komme, ist in der Kaser-ne bereits helle Aufregung! Was war passiert? Die Poli-zei war vor Ort, Autos wurden von der Wache beimRausfahren komplett durchsucht, Wachverstärkung, ab-gesperrter Technischer Bereich und so weiter.

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Ich gehe zu meiner Kompanieführung und frage, was losist. Die Waffenkammer unserer Instandsetzung im Tech-nischen Bereich wurde in der Nacht von Freitag aufSamstag aufgeschweißt! Es wurden neun Gewehre G 36entwendet.Später erfuhr ich, dass der Vorfall erst am Sonntag be-kannt geworden war. Das war meiner Meinung nach derGrund dafür, warum man nur zwei der neun Gewehrespäter im Dortmund-Ems-Kanal wieder gefunden hatte.Warum funktionierte unser Wachsystem nicht? Die Ein-bruchmeldeanlage hat wohl versagt. Nein! Es saßen we-der der Wachhabende, noch der stellvertretende Wach-habende an ihrem Platz! Dort saß ein Gefreiter im vier-ten Dienstmonat. Der quittierte den Alarm und meldeteihn etwa zehn Minuten später dem Wachhabenden, daihm wohl niemand gezeigt hatte, was er zu tun hat. Espassiert ja eh nix! Beide Wachvorgesetzte schliefen,denn es passiert ja eh nix! Der Wachhabende meldete esdem OvWa. Der sagte wohl nur: „Ruft den Unteroffiziervom Dienst (UvD) an, der soll schauen!“ Denn es pas-siert ja eh nix, nur ein Fehlalarm, wie immer, bestimmt!Es wurde nicht einmal die Wache in Alarm versetzt. Ichhabe es „live“ von den Beteiligten mitbekommen undwar entsetzt. Zum Glück waren es nicht meine Leute,dachte ich nur.Dieser lapidare Satz „Es passiert ja eh nix“ hat dazu ge-führt, dass nicht unverzüglich gehandelt wurde und so-mit die neun Gewehre G 36 unbehelligt entwendet wur-den. Die Verantwortlichen wurden selbstverständlichzur Rechenschaft gezogen. Der Verlust der Waffen warfür mich jedoch das Schlimmste.

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In meinen folgenden Wachbelehrungen saßen oftmalsSoldaten, die mir mit diesem Satz kamen. Ich fragte siedann, ob denn wieder „eh nix“ passieren würde. KeineAntwort und ein Lächeln von mir. Keiner in den folgen-den Wachen sagte diesen Satz mehr. Die meisten fingensogar an Fragen zu stellen wie: „Was mache ich denn,wenn ...“ oder „... kann ich mit diesem Alarmweg nichtschneller reagieren?“

Die Lehre, die ich daraus ziehe, ist folgende: Sage nie-mals, dass eh nie was passiert! Lerne aus dem, was dirselbst und anderen widerfahren ist und bilde so aus be-ziehungsweise führe so, dass du gut gerüstet bist, wennetwas passiert!

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Denken – Drücken – Sprechen

In meiner langjährigen Erfahrung als Fernmelder habeich allzu oft eine Unterschätzung der Fernmeldeausbil-dung bemerkt. Diese Problematik kann gerade im Aus-landseinsatz schwerwiegende Folgen haben.Hierzu einige persönliche Eindrücke, gerade aus demAuslandseinsatz in Afghanistan, wo ich zuletzt von No-vember bis März im Einsatz war. Dort war es mein Auf-trag, die bewegliche Befehlsstelle des Commander Re-gional Command (COM RC) NORTH zu leiten. Da ichviel mit der Quick Reaction Force (QRF), den gemisch-ten Aufklärern und der Schutzkompanie in Kunduz zutun hatte, wusste ich, wie wichtig taktische Funkgesprä-che und formgebundene Funksprüche, gerade in einemEinsatzland wie Afghanistan, sind.Hierbei fiel mir bei den Einsätzen im Raum Kunduz im-mer wieder auf, wie nervös und ängstlich Gruppenfüh-rer bei ihren Funksprüchen klangen. Es kam öfter vor,dass nicht zusammenhängende und sinnlose Lagemel-dungen über Funk durchgegeben wurden. Ganz nachdem Grundsatz: Entweder man meldet gar nicht, oder al-les! Dieses ist im Wesentlichen auf eine unzureichendeFernmeldeausbildung zurückzuführen. Natürlich sinddie erhöhten Belastungen, die eine Patrouille in poten-ziell feindlichem Gebiet mit sich bringen kann, zu be-rücksichtigen. Aber gerade in solchen Situationen mussder verantwortliche Führer in der Lage sein, eine schnel-le, kurze und aufschlussreiche Meldung über Funk ab-zusetzen.

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Ein Fall ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Alswir im Raum „Maymahne“ mehrere Tage operierten undam zweiten Tag bei der Nachtpatrouille ein DINGO ineinem Flussbett auf die rechte Seite kippte, haben wirnur die Meldung erhalten: „Sind umgekippt, könnenAuftrag nicht mehr weiter fortsetzen.“ Hierbei fehltennatürlich sämtliche Grundsätze: Wo ist es passiert? Ver-letzte? Schäden am Fahrzeug? Wird Hilfe benötigt?Da nach diesem Funkspruch keine weitere Verbindungzustande kam, wurde sofort die Eingreifreserve alar-miert und zur vermuteten Unfallstelle entlang des Pa-trouillenweges in Marsch gesetzt. Auch der zweite DIN-GO konnte über Funk nicht erreicht werden. Kurz bevordie Eingreifreserve ausrücken sollte, hatten wir wiederVerbindung zu den beiden Fahrzeugen. So konnten wirweitere Informationen abfragen und ihnen auch nahebringen, dass ein Funkgerät immer besetzt sein sollte.Dabei kam heraus, dass kein Personenschaden entstan-den ist, der zweite DINGO das umgekippte Fahrzeugbergen und zur Forward Operation Base (FOB) zurück-schleppen konnte. Deshalb wurden letztendlich nur zweizusätzliche DINGOS zur Sicherung angefordert.

Wäre hier sofort eine richtige Meldung abgesetzt wor-den (Wo, Wann, Wer, Wie, Was) und der Funk besetztgeblieben, hätte keine Alarmierung der Einsatzreservestattfinden müssen. Auf die Fernmeldeausbildung istgroßen Wert zu legen. Der militärische Führer und sei-ne Soldaten sollten die Grundsätze der Fernmeldebe-triebssprache und des Meldewesens gerade im Einsatzund Gefahrensituationen drillmäßig beherrschen.

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Der Vorgesetzte als Bezugsperson

Als junger Feldwebel war ich als stellvertretender Zug-führer in einem Wieselzug TOW (Panzerabwehrlenk-flugkörper) eingesetzt. Der Zug hatte eine Stärke vonvierzehn Soldaten, darunter zehn Grundwehrdienstleis-tende. Bei dieser Zugstärke war natürlich Kamerad-schaft und gegenseitige Unterstützung stark ausgeprägt.Wir betrachteten uns als „kleine Kampfgemeinschaft“.Anfang August war mein Zugführer für einen längerenZeitraum auf Lehrgang und unser Kompaniechef beauf-tragte mich mit der Führung des Zuges. Ich freute michauf diese Aufgabe.Am Morgen kam der Obergefreite S. auf mich zu undsagte, er müsse dringend mit mir unter vier Augen spre-chen. Ich stimmte selbstverständlich zu und bat ihn inmein Büro. Obergefreiter S. schilderte mir unter Tränenseine private Situation. Er steckte mittendrin im Drogen-sumpf. Es verging seit Monaten kein Tag ohne den Kon-sum von Drogen. Dieses intensive Gespräch zwischenuns beiden dauerte mehrere Stunden. Mir war klar, dasses ein Hilferuf war. Mein Entschluss stand fest: Mel-dung an den Kompaniechef. Dennoch versprach ich S.,ihn jederzeit nach besten Kräften zu unterstützen.Am nächsten Tag fuhr ich mit S. zu seinen Eltern, die bisdahin nichts von den Problemen ihres Sohnes wussten.Wir suchten das offene Gespräch.Einen Tag später stellte sich S. beim Truppenarzt vor.Auch dahin begleitete ich ihn. Der Truppenarzt überwiesihn zu einem Facharzt. Auch hier war es für mich selbst-verständlich, dem Soldaten beizustehen und ihn zu un-

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terstützen. Ich wurde für den Obergefreiten S. innerhalbweniger Tage zu einer festen Bezugsperson. Der Fach-arzt verordnete umgehend eine mehrwöchige Entzie-hung.Im Dezember stand S. mit seinen Eltern vor meinem Bü-ro. Er sagte unter Tränen, dass er seit August völlig freivon Drogen sei, und dass er es ohne meine Hilfe vermut-lich nicht geschafft hätte.Dieses Erlebnis war auch für meine weitere persönlicheEntwicklung ausschlaggebend. Ich gehe seit diesemZeitpunkt offener und direkter mit meinen Untergebe-nen um. Ich suche so oft wie möglich das Gespräch, umProbleme frühzeitig zu erkennen und meine Hilfe anzu-bieten.

Das offene und direkte Gespräch schafft Vertrauen,auch schwierige Situationen inner- und außerhalb desDienstes zu meistern.

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Kontrolle!

Ich bin eingesetzt als Zugschiedsrichter im Übungszen-trum Infanterie und schwerpunktmäßig für die Zugfüh-rer zuständig. Ich bin mitverantwortlich für die Ausbil-dung auf Zugebene, überwache den Übungsverlauf undliefere Beiträge zu den Auswertungen der Kompanie-schiedsrichter. Nachfolgend ein Beispiel aus meiner Tä-tigkeit während einer Einsatzübung mit dem Thema:„Die verstärkte Infanteriekompanie im Jagdkampf“.Bei den Vorbereitungen der Operation in der Kasernegibt es für die eingeteilten Führer viel zu tun. Das Um-setzen der Befehle auf Zug- und Gruppenebene, das Vor-bereiten der Befehlsausgaben und die Überprüfung derpersönlichen Ausrüstung (zum Beispiel Rucksäcke). Esist circa 09:30 Uhr. Der Zugführer hat die Befehlsaus-gabe zweckmäßig durchgeführt. Durch seine visuelleAufbereitung der Befehlsausgabe, das Nutzen von Luft-bildern, Karten und Fotos, wird der Auftrag allen Solda-ten des Zuges klar. Durch Zuhilfenahme eines kleinenGeländesandkastens und kleiner, einlaminierter takti-scher Zeichen „spielt“ er einzelne Phasen des Sickerns,des Beziehens des ersten Verstecks sowie einen mögli-chen Handstreich in den einzelnen Phasen durch.Schnell wird den Soldaten klar, dass es eine umfangrei-che Operation ist und es auf jeden einzelnen ankommt!Besonderen Wert legt der Zugführer in seiner Befehls-ausgabe auf die Selbst- und Kameradenhilfe sowie einenmöglichen Abtransport von Verwundeten. Die Soldatenmerken auf einmal, dass der eine oder andere in einemrealen Einsatz vielleicht nicht lebend zurückkommen

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würde. Ich beobachte Soldaten, die sich über den letztenÜbungsdurchgang, vor circa einem Jahr, unterhalten.Der eine sagt: „Ich bin während der Übung insgesamtdreimal ausgefallen“ und lacht dabei. Ein zweiter erzähltstolz, er wäre nur einmal schwer verwundet gewesen,ausgefallen wäre er nie. Er sagt des Weiteren, dass ernicht verstehen kann, wieso man es lustig finde, dassman insgesamt dreimal ausgefallen sei. Es macht sichNervosität breit, die Soldaten machen sich auf einmalGedanken über das, „was wäre, wenn!“Ich gehe später noch einmal in den Bereich des Zugesund überprüfe stichprobenartig die Rucksäcke der Sol-daten, befrage sie nach Inhalten aus der Befehlsausgabe(zum Beispiel Erkennungszeichen, Marschziel und soweiter) und überprüfe einige Marschskizzen. Deshalbnur einige, weil nicht jeder Führer und Soldat eine Skiz-ze angefertigt hat. Befohlen wurde in der Befehlsausga-be: „Alle Gruppen- und Truppführer sowie je ein weite-rer Soldat in jeder Gruppe erstellen Marschskizzen!“ Ichdachte noch: Ob das gut geht? Wenn schon jetzt ein ein-facher Befehl nicht durchgesetzt wird, was mag wohlspäter daraus folgen? Wo bleibt die Kontrolle des Zug-führers, vor allem aber die Kontrolle der Gruppenfüh-rer?Ich gehe nochmals zu einem Soldaten und frage ihn, wieer seinen Rucksack gepackt hat und durch wen dieserkontrolliert wurde. Der Soldat erwidert mir lediglich:„Herr Hauptfeldwebel, ich bin alt genug und lange ge-nug dabei und außerdem vertraut mir mein Gruppenfüh-rer!“ Soso, denke ich noch – sein Dienstgrad ist Haupt-gefreiter und er befindet sich im dritten Dienstjahr! Ich

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spreche den Gruppenführer, im Dienstgrad Feldwebel,darauf an und frage ihn, ob er denn die Rucksäcke sei-ner Soldaten nicht überprüfen will. Er sagt mir darauf-hin, dass seine Soldaten, insbesondere der Hauptgefrei-te, einsatzerfahren sind, er sich zu 100 Prozent auf sieverlassen kann und er deshalb keine Kontrolle durchfüh-ren muss. Ich schreibe mir diese Punkte in ein kleinesBuch, welches ich ständig in meiner Beintasche mitfüh-re. Der eine oder andere Punkt kann später in die Aus-wertung mit einfließen. Dies ist wichtig für die Nachbe-reitung des Zuges!Mittlerweile ist es gegen 19:00 Uhr, die Kompaniemacht sich fertig zum Verlegen in den Einsatzraum.Letzte Maßnahmen werden abgeschlossen und dieKompanie gewinnt mit Hubschraubern ihren Absitz-raum.Das Absitzen funktioniert reibungslos. Es wird kurz ori-entiert, der erste Trupp, als Sicherung voraus, marschiertlos. Bereits nach circa zwei Kilometern bricht ein Soldatzusammen, der Rucksack wiegt knappe 36 Kilogramm.Es ist genau der Soldat, der nach eigener Aussage „altund erfahren genug ist“, genau derjenige, dessen Ruck-sack durch seinen Gruppenführer nicht überprüft wurde,da er „lange genug dabei ist“ und man ihm ja vertrauenkann. Die Ausrüstung wird auf andere Kameraden auf-geteilt und der Marsch wird fortgesetzt. In der Nacht er-reicht die Kompanie eine Freifläche. Über diese hinwegwill die Kompanie sickern, um in das gegenüberliegen-de Waldstück zu gelangen. Die ersten Trupps marschie-ren aufgelockert los. Starker Nebel erschwert das Orien-tieren, aber es funktioniert reibungslos. Irgendwann

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marschiere ich mit einem Trupp los, der Trupp hintermir unterhält sich am Waldrand, dabei ist auch der Grup-penführer. Ich wundere mich noch, da keiner dieser Sol-daten aufmerksam ist und Verbindung zu uns hält. Wirverschwinden im Nebel und die Verbindung zu denRestteilen der Kompanie bricht ab. Ich hole mein kleinesBuch hervor und notiere mir „Verbindung halten“!Der Gruppenführer hat nach einiger Zeit gemerkt, dassdie Verbindung unterbrochen ist und marschiert einfachdrauf los (ein anderer Schiedsrichter begleitet ihn undinformiert mich später). Er verliert die Orientierung undmarschiert direkt in eine kleine Ortschaft, was eigentlichein Abbruchkriterium ist. Dort versucht er sich neu zuorientieren, was allerdings misslingt. Der Zugführer ei-nes anderen, hinter ihm marschierenden Zuges, nimmtVerbindung mit ihm auf und übernimmt die Führung derrestlichen Kräfte aus der Ortschaft heraus in RichtungWaldstück, wo bereits die Kräfte der Kompanie, dabeiauch der Kompaniechef, warten.Das Resultat des „Verlaufens“: Circa fünf Kilometermehr marschiert und fast vier Stunden später als geplantgewinnt die Kompanie ihr Versteck. Daraus resultiert einnicht geplanter Schlafentzug und ein Verlust an Ge-fechtswert.Der Gruppenführer schreit, nachdem er die Restteile derKompanie erreicht hat, seinen ursprünglich vor ihmmarschierenden Trupp an. Mit den Worten „wie blödseid ihr denn eigentlich“ und „warum haltet ihr dennnicht Verbindung zu mir“ beginnt er meiner Einschät-zung nach, seine Verantwortung und sein Versagen alsFührer auf seine Soldaten zu übertragen.

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Dies ist mir dann zu viel des Guten. Ich frage ihn, wie-so er nicht nach Marschkompasszahl (MKZ) marschiertist, dann hätte er den Anschluss wieder herstellen kön-nen. Er erwidert: „Ich habe mein GPS (Global Positio-ning System) dabei, deshalb habe ich mir die MKZ (diedurch den Kompaniechef befohlen wurde) nicht ge-merkt.“Seine Probleme waren, dass er

1. keine Verbindung gehalten hat,2. die MKZ nicht notiert und nicht an seine Soldaten

weitergegeben hat,3. keinen Kompass mitführte (Truppführer-

Ausstattung),4. keine Marschskizze angefertigt hat und5. keine Ersatzbatterien für das GPS dabei waren.

Am folgenden Tag marschiere ich nach der Übernahmemeiner Schicht in Richtung des Verstecks des Jagdkom-mandos. Als ich dort eintreffe, nehme ich zuerst Verbin-dung mit dem Zugführer auf, anschließend halte ichmich im zugewiesenen Raum des Zuges auf.Ich erkenne unter einer Plane den „alten und erfahre-nen“ Hauptgefreiten, der bei der Phase „Sickern“ wegendes zu schweren Rucksacks zusammenbrach und trauemeinen eigenen Augen nicht. Der Soldat liegt auf demBauch, vor ihm eine Zeitschrift, daneben eine Dose Co-la und eine große Packung Marshmallows. „Tach,Hauptfeld“, sagt er zu mir. „Alles klar?“ Ich denke nur,er hat nichts begriffen, nichts ist klar, vor allem aber:Was macht eigentlich der Gruppenführer?

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Der Gruppenführer liegt dösend in seinem Versteck.Entgegen unserer üblichen Art – in eine laufende Übunggreifen wir als Schiedsrichter grundsätzlich nicht ein –gehe ich zu ihm. Ich frage ihn, wie es denn seinemHauptgefreiten geht und ob er als Gruppenführer irgend-welche Konsequenzen aus dem Erlebten für sich gezo-gen habe? „Alles in Ordnung, Herr Hauptfeldwebel. Esläuft alles nach Plan!“ Mittlerweile habe ich den Ein-druck, dass er die Befehlsausgabe seines Zugführersverschlafen haben muss und nicht mitbekommen hat,was alles in seinem Aufgabenbereich schief gelaufen ist.Also eben nicht „nach Plan“, um mit seinen Worten zusprechen!Ich versuche ihm im Gespräch zu erklären, was anschei-nend an ihm alles vorbeigegangen ist. Dies dauert circa30 Minuten. Er gibt sich zunächst einsichtig und hatscheinbar ein schlechtes Gewissen. Er gibt zu, „viel-leicht“ ein wenig nachlässig gewesen zu sein. Das mitder „Kontrolle“ (zum Beispiel der Rucksäcke), sehe erallerdings anders! Letztendlich versuchte er mir zu er-klären, dass er schon lange genug dabei und nicht aufden Kopf gefallen sei. Seinen Bereich hätte er trotz derangesprochenen Mängel im Griff. Das habe ich vorherschon einmal gehört!Wenige Minuten später spreche ich mit dem noch jun-gen Zugführer, der sich etwas zum Essen zubereitet. Erfällt aus allen Wolken, als er hört, was sich einer seinerGruppenführer geleistet hat. Sofortige Maßnahme: Kon-trolle – Kontrolle – Kontrolle! Und ein Gespräch mitdem Gruppenführer unmittelbar im Anschluss. Der Zug-führer, selbstkritisch wie er ist, räumt Fehler ein, ver-

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sucht diese auch nicht zu vertuschen oder die Schuld beianderen zu suchen. Dies hätte ich mir auch von besag-tem Gruppenführer gewünscht.Die Übung wird am Sonntag gegen 10:00 Uhr beendet.Am Nachmittag findet in unserem Hörsaal die Schluss-besprechung statt, die circa 90 Minuten dauert. Die Aus-wertung ergibt viele Fehler auf unterster Ebene. Wes-halb vieles nicht funktionierte, lag meist nicht am Be-fehl des Führers, sondern an Kleinigkeiten, die am Endezum Scheitern der Operationen führten. Der Zugführerkommt zu mir und bedankt sich für die vorangegangeneAusbildung und die faire Behandlung. Er sagt: „Ich ha-be mich lange auf diesen Durchgang vorbereitet unddann scheitert es an so vielen Kleinigkeiten!“Dabei meint er „Kleinigkeiten“ wie:

– Ersatzbatterien oder Ersatzglühlampe fürTaschenleuchte vergessen,

– Ersatzbatterien für GPS vergessen,– Truppführerausstattung nicht vollständig,– Marschskizze nicht vollständig oder gar nicht

vorhanden,– MKZ nicht notiert,– Kontrolle des Marschgepäckes nicht durchgeführt,– Kontrolle des Befehls nicht durchgeführt

(Gruppenebene)!

Ich erwidere: „Das sind keine Kleinigkeiten!“

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Der Befehl des Zugführers kann noch so gut sein.Wenn keine vernünftige Umsetzung durch die Grup-penführer erfolgt, ist die Auftragserfüllung gefährdet.Es ist die Verantwortung eines jeden Führers, den Füh-rungsprozess vor Augen, die Kontrolle durchzuführen.Gerade auch den „erfahrenen“ Soldaten gilt es, im Au-ge zu behalten, den Auftrag dabei stets im Blick zu ha-ben und nie nachlässig zu werden.Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Jeder wird ir-gendwann nachlässig, das liegt in der Natur des Men-schen. Nur wenn ich die mir anvertrauten Soldatenkontrolliere und überprüfe, ob sie den Auftrag verstan-den haben, kann ich sicher sein, dass dieser auchgrundsätzlich erfüllt werden kann.Ich habe mir folgenden Spruch von meinem Ausbilderauf meinem Unteroffizierlehrgang gemerkt, den ichnoch heute beherzige: „Auftrag bekommen, heißt Auf-trag erfüllen!“Das beinhaltet auch die Kontrolle. Kontrolle hat nichtsmit Misstrauen zu tun. Auch ich brauche die Kontrollemeiner Vorgesetzten. Nur dann kann man ausschließen,dass unnötige Fehler passieren. Kontrolle ist somitauch eine Art der Fürsorge.

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Drillausbildung

Die Soldaten meiner Kompanie befinden sich in derGrundausbildung. Es steht Gefechtsdienst aller Truppenauf dem Dienstplan. Das Thema der Ausbildung lautet„Hinlegen und Aufstehen“, Bewegungsarten. Es ist dasdritte Mal, dass diese Ausbildung auf dem Dienstplansteht und es ist angedacht, dass die Soldaten diesmaldrillmäßig üben. Das Wetter in diesem Herbst ist warmund die Soldaten merken sehr schnell, dass dieser Tagnoch einige Anstrengungen mit sich bringen wird.Meine Ausbilder führen das Thema so durch, dass dieSoldaten einen bestimmten Geländeabschnitt immerwieder von A nach B durchqueren müssen. Stellung!Fertig machen zum Sprung! Sprung auf marsch,marsch! Deckung! Im weiteren Verlauf der Ausbildungwird das Ganze dann natürlich noch mit zusätzlichenEinlagen vermischt und auch in anderem Gelände geübt.Im Pausengespräch befragen mich die Soldaten, was dasfür einen Sinn haben soll, dieses stumpfsinnige, immerwieder das Gleiche zu machen. Die Antwort ist einfach:Drill soll den Soldaten dazu bewegen, in einer bestimm-ten Situation automatisch das Richtige, das immer wie-der drillmäßig Geübte durchzuführen, ohne zu überle-gen, ohne zu zögern, einfach automatisch. Die Soldatensind mit der Antwort zufrieden. Zumindest nehmen siemeine Aussagen hin, ohne zu widersprechen oder noch-mals nachzufragen.Ein dreiviertel Jahr später befinde ich mich auf demLehrgang für Unfallvertrauenspersonen in Fassberg. Esist ein Sonntagnachmittag, Anreisetag. Der Lehrgang

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soll am nächsten Tag beginnen. Nachdem ich meineAusrüstung ausgepackt habe, schaue ich ein wenigFernsehen und sehe mit Bestürzung Bilder einer Kata-strophe:Bei den Vorführungen der italienischen Kunstflugstaffel„Frecce Tricolori“ prallen während einer Flugshow aufdem Luftwaffenstützpunkt Ramstein drei Militärflug-zeuge zusammen. In den Flammen kommen 67 Men-schen ums Leben, weitere 350 werden zum Teil schwerverletzt.Eine Woche später, wieder zurück in meinem Standort,teilt mir der Spieß mit, dass ein Soldat der Kompanie beider Vorführung in Ramstein anwesend war und starkeVerbrennungen erlitten hat, sich jedoch nicht in Lebens-gefahr befindet. Als es dem Soldaten wieder etwas bes-ser geht, fahren der Spieß und ich nach Koblenz insBundeswehrzentralkrankenhaus und besuchen den Sol-daten. Erst jetzt spannt sich für mich der Bogen zu derAusbildung des Vorjahres. Der Soldat berichtet uns mitTränen in den Augen, dass sein bester Freund, welcherbei dem Unglück direkt neben ihm gestanden hatte, beidem Flugunglück gestorben ist. Er selbst ist wenigeSchritte nach vorne gegangen und hat sich instinktivhinter einen Abfallcontainer geworfen. Er ist „drillmä-ßig“ in Stellung gegangen, ohne zu überlegen. Das hatihm das Leben gerettet. Einige Tage später rief bei unse-rem damaligen Chef dann auch noch der Vater des Sol-daten an und bedankte sich überschwänglich für die gu-te Ausbildung seines Sohnes, ohne die er vermutlichnicht mehr am Leben wäre.

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Drillmäßiges Üben ist ein wichtiges Ausbildungsver-fahren. „Drill“ verschafft sowohl Führern als auch Ge-führten im Gefecht und beim täglichen Dienst einenfreien Kopf, da sie viele Dinge, welche ihnen abver-langt werden, automatisch, ohne groß zu überlegen,durchführen.„Drill“ kann Leben retten!

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Lehrgang Überleben im Einsatz

Überleben im Einsatz (ÜLE) ist ein Lehrgang, der imJahr 2008 in die Bundeswehr eingeführt wurde und andem jeder im Rahmen seiner Ausbildung zum Feldwe-bel teilnehmen muss. Das Ziel des Lehrgangs ist es, diepsychische und physische Leistungsfähigkeit zu steigernund mit Stresssituationen umgehen zu können.Wir kamen alle aus ganz verschiedenen Einheiten undVerwendungen. Gegenüber uns Feldwebeln des allge-meinen Fachdienstes, so wie ich als Nachschubdienst-feldwebel einer Gebirgspionierkompanie, dessen Ar-beitsplatz ein gut klimatisiertes Büro ist, hatten die Feld-webel des allgemeinen Truppendienstes meiner Ein-schätzung nach natürlich Vorteile auf diesem Lehrgang,da diese mehr mit dem Gefechtsdienst vertraut waren.Wir waren gespannt, was uns die nächsten drei Wochenerwarten würde und reisten mit einem skeptischen Ge-fühl an. Wir hatten von anderen Kameraden nicht vielPositives über diesen Lehrgang gehört, ich wollte abertrotzdem die drei Wochen ohne Verletzung oder Erkran-kung überstehen und durchhalten. Andernfalls folgt inder Regel die sofortige Ablösung vom Lehrgang.Ich meldete mich also am Anreisetag, einem Sonntag-abend, zum Dienst und wurde erstmal von einem brum-migen Hauptfeldwebel mit schroffem Tonfall daraufaufmerksam gemacht, dass ich mich bei meinem Zug-führer zu melden habe und nicht bei ihm. Ich meldetemich also beim Zugführer und bekam anschließendmeine Stube zugewiesen, auf der bereits drei weitereKameraden einquartiert waren. Wir wussten, dass der

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Lehrgang hart werden wird, aber wir alles durchstehenmüssten.Der Lehrgang begann dann auch schon mit Kletteraus-bildungen und Abseilen recht straff. An den Gesichternmancher Kameraden sah ich, dass sie Angst davor hat-ten, sich abzuseilen. Ich hatte das vorher zwar auch nochnicht gemacht, aber überwand mich trotzdem und seiltemich an der Mauer ab. Wesentlich mulmiger war dasGefühl, als wir an einem anderen Tag frei schwebend aneiner Brücke hingen und uns abseilen mussten. EinesNachts alarmierte uns ein Ausbilder mit dem Auftrag, infünf Minuten im Gefechtsanzug inklusive Sportanzugim Rucksack auf dem Gang zu stehen. Wir ahntenschon, was jetzt kommt. Im Laufschritt ging es zurSchwimmhalle und dort schwammen wir 200 Meter. ImAnschluss folgte als Mutprobe der berüchtigte Sprungvom Dreimeterturm in der stockdunklen Schwimmhalle.Da wir alle gut mitgemacht hatten (was für den gesam-ten Lehrgang galt), bekamen wir die Nacht doch nochdrei Stunden Schlaf.Die nächsten Tage sind wir eigentlich nur in allen mög-lichen Variationen gelaufen. Entweder als Orientie-rungsmarsch, „sickernd“ oder im Eilmarsch mit Waffeund Gepäck. Abends war man deshalb froh, wenn mandie Beine mal hochlegen konnte. Den Weg zum eigenenAuto schafften wir dennoch, als wir in unser wohl ver-dientes Wochenende wegtreten durften.Die erste Woche war vorbei und die zweite Woche be-gann mit einer Ausbildung mit Diensthunden. Ein paarvon uns durften sich sogar beißen lassen, natürlich nurim Schutzanzug. Während der anschließenden Ausbil-

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dung regnete es wie aus Kübeln und wir waren alle nassbis auf die unterste Schicht. Das machte aber nichts, dawir sowieso aus dem Anzug raus mussten und hinein ineinen Neoprenanzug. Zunächst galt es, mit einem selbstgebauten Zeltbahnpaket einen sehr kalten Fluss zudurchschwimmen. Nass wurden wir anschließend dannauch noch im Sturmboot und auf unseren selbst gebau-ten Behelfsflößen. Kalt wurde uns aber immer nur vomHerumstehen, sodass wir sehr froh waren, als die nächs-ten Tage wieder Marschieren und Bewegung auf demProgramm standen. Allerdings marschierten wir nicht indie warme Stube, sondern in einen abgelegenen Waldins Biwak. Das Biwak haben wir gemeinsam gut über-standen. Bei manchen Ausbildungen, wie zum Beispielbeim Brotbacken, haben bei einigen sogar schon die Au-gen gefunkelt. Natürlich war aber das komplette Biwakgefechtsmäßig. Wir hatten den Auftrag unser Versteckzu betreiben, mit Alarmposten, Feuerstelle und so wei-ter. Wir marschierten nur nachts, damit wir vom Feindnicht entdeckt werden. Und so marschierten wir, bis wirirgendwann die Kaserne erreichten und uns dann dortnachbereiten konnten. Wir waren sehr froh, als wirSamstagmittag Dienstschluss hatten und uns doch nochein kurzes Wochenende gönnen konnten.Nun war die letzte Woche angebrochen und jetzt aufzu-geben kam überhaupt nicht mehr in Frage. Es beganndie Durchschlageübung, in der alles wiederholt wurde,was wir in den Wochen zuvor gelernt hatten. Ich emp-fand diesen Teil als den schwierigsten des Lehrgangs.Das Wetter war vor allem kalt und nass und wir beka-men kaum Schlaf. Wir marschierten von einem Versteck

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zum anderen. Zwischendurch immer wieder Stationen,an denen wir das bereits Erlernte unter Beweis stellenmussten. Hierzu zählten vor allem die Kletter- und Si-ckerausbildung. Aber auch diese Übung ging schnellvorbei. Der Lehrgang ging nach drei anspruchsvollenund schwierigen Wochen erfolgreich zu Ende. Ge-schafft! Wir alle verließen die Artillerieschule mit einempositiven und zufriedenen Gefühl.Von 37 angereisten Lehrgangsteilnehmern haben 25 biszum Schluss durchgehalten. Die anderen wurden auf-grund von Verletzung oder Erkrankung abgelöst. MeineStube blieb bis zuletzt vollzählig.

Ich persönlich habe den Lehrgang „Überleben im Ein-satz“ als erlebnisorientierten Ausbildungsabschnitt er-lebt, der zwar anstrengend, aber sinnvoll und empfeh-lenswert ist. Meine auf diesem Lehrgang gewonnenenpositiven Eindrücke gebe ich auch an meine Kamera-den weiter.

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Der gelernte Seemann

Nun stand ich hier auf einem Hügel in Bosnien-Herze-gowina und blickte auf die Stadt Gorazde hinunter. Dashatte man davon, wenn man sich als gelernter Seemannbei der Freiwilligenannahmestelle weigert, zur Marinezu gehen.Um mich herum flatterte bei herrlichem Sommerwetterreichlich gespanntes Absperrband mit der Aufschrift„Danger! Mines!“ Die Felder und auch der Wald runterins Tal waren saftig grün. Viel bekamen meine Kamera-den und ich davon jedoch nicht mit, denn während mei-ne Stabsunteroffiziere in einigermaßen sicherer Entfer-nung die Sicherung und Absperrung übernahmen, knie-te ich mit meiner Schutzweste und meinem Schutzhelmmit Visier auf dem Boden und sondierte mit meiner Mi-nensuchnadel den Boden vor mir in der Breite meinesBasesticks ab.Es war mal wieder Wochenende im Einsatz – die Zeit, inder die drei Kampfmittelräumtrupps zusammen mit denEOD-Trupps (Explosive Ordnance Disposal) auf demTransportpanzer (TPz) aufsaßen und die über die Wocheeingegangenen EOD-Tasks (Kampfmittelbeseitigungs-aufträge) abarbeiten konnten. Es war sehr erfreulich undbemerkenswert, dass die Feuerwerker auf der Arbeits-ebene das Know-how der Kampfmittelräumer zu schät-zen wussten und uns mit einbanden. Echtes Teamwork.Wenn man mitten in einer Minen- und Kampfmittelver-seuchten Fläche, allein auf sich gestellt, nur mit seinerSuchnadel und dem Metallsuchgerät bewaffnet arbeitet,ist man hoch konzentriert und hat einen sehr hohen

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Adrenalinspiegel. Da geht es mir genau wie allen Räu-mern weltweit. Nur manchmal schweifen auch bei mirdie Gedanken ein wenig ab.Was machst du hier? Wie kommst du hier her? Wo könn-test du jetzt eigentlich sein, wenn du damals die Frageder Freiwilligenannahmestelle oder Jahre später die desKompaniechefs anders beantwortet hättest?

Militärisch aufgewachsen bin ich in einem Pionierbrü-ckenbataillon, womit es mich nach meiner Grundausbil-dung aufgrund meines Eingangsberufes wieder zur Was-serkomponente verschlug. Im Gegensatz zu meinem zi-vilen Leben war dieses Gewässer aber nicht so tief undauch nicht so groß, denn es handelte sich um den Rheinund nicht um den Atlantischen Ozean. Hier stationiertdurchlief ich mit einer Vielzahl von Lehrgängen querdurch Deutschland meine Ausbildung bis zum Kom-mandanten einer eigenständigen Flussfähre Bodan. Eswar eine schöne Zeit, denn auf einer Fähre war jeder aufden anderen angewiesen, vom Feldkoch über den Ma-schinisten bis zum Kommandanten. Ein eingespieltesTeam mit immer wechselnden Grundwehrdienstleisten-den, was super funktionierte. Das galt für den Aufenthaltan Bord, denn sobald man ohne Fähre auf Übungsplät-zen unterwegs war, wurde die Mannschaft auseinandergerissen. Aber auch die Zeit ging zu Ende, da das Heerumstrukturiert und die „Bodankomponente“ aufgelöstwurde. Mein Bataillon wurde ein reines Pionierbatail-lon. Ich musste die Entscheidung treffen, für welchenAufgabenbereich ich mich in einer Pioniermaschinen-kompanie entscheiden würde, denn schließlich bin ich

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Berufssoldat und das, was ich mache, muss ich mitÜberzeugung tun. Es war kurz vor dem Weihnachts-urlaub, ich stand in unserem T-Bereich und war in dieWerkseinweisung an der Faltfestbrücke (FFB) einge-bunden. Jeden Abend fragte ich mich: „Ist es das?“ Kurzdanach ging ich in den Urlaub, doch kam ich auch dortnicht mit meinen Gedanken zur Ruhe.

„Nein!“, das ist nicht das, was ich machen will. MeinKompaniechef sagte kurz vor dem Urlaub zu mir: „Herr

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Oberfeldwebel, Sie können mich jederzeit anrufen.“Und wie ich nun mal bin, nahm ich ihn beim Wort undrief ihn an. Ein paar Tage später saßen wir deshalb inseinem Dienstzimmer und diskutierten über die Aufträ-ge und Einsätze eines Kampfmittelräumers und den da-mit verbundenen Gefahren. Er unterstützte mich sehr beimeiner Entscheidungsfindung.Der erste Einsatzbefehl ließ auch nicht lange auf sichwarten und kurz nach meiner Ausbildung zum Kampf-mittelräumfeldwebel und meiner Einsatzausbildung saßich auch schon im Flieger nach Bosnien. Ich habe direktan meinem Ankunftstag eine Minensperre und den mirzugeteilten bosnischen Räumtrupp übernommen. In dennächsten Tagen und Wochen wurden mein eigenerSFOR-Trupp und mein zugeteilter bosnischer Truppdurch die enge Zusammenarbeit fast zu einer geschlos-senen Einheit an der Sperre.Was mir schnell bewusst wurde, war die Tatsache, dassich mit meiner früheren Tätigkeit als Bootskommandantzwar viel auf den Binnengewässern in Deutschland un-terwegs war und mit meinen Soldaten einen richtig „ver-schworenen Haufen“ hatte, aber es in keiner Weise mitder Zusammenarbeit hier im Einsatz vergleichbar war.Ich war dort vor Ort in der Sperre allein und bei der Su-che nach Minen und Kampfmitteln nur für mich selbstverantwortlich, während ich mich absolut auf die Außen-absicherung durch meine Jungs, egal welcher Auftrag imEinsatz auf uns zu kam, verlassen musste und konnte.So wurde unser Auftrag immer sicher und vollständigerfüllt, ob Patrouille, Mine Awareness, Monitoring odereben der EOD-Task.

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Hier kniete ich nun, mitten in der schönen LandschaftBosniens und fühlte mich sicher, trotz der Gefahr die un-ter der Bodenoberfläche lauerte. Denn ich bin sehr gutausgebildet und vorbereitet worden und weiß, dass hin-ter mir alles zu 100 Prozent sicher läuft, und ich michblind darauf verlassen kann.

Ich habe es nie bereut, diesen Weg eingeschlagen zu ha-ben, denn eins steht fest: Jeder wächst mit seinen Aufga-ben!

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Instandsetzung einer Beinprothese

Während meines Einsatzes im ersten Kontingent desUnterstützungsverbandes Somalia haben viele Ereignis-se mein Leben geprägt und mir die Entscheidung leichtgemacht, mich für die Laufbahn der Feldwebel zu be-werben. Aber eines ist mir ganz besonders im Gedächt-nis geblieben:Die Sanitätsstation, die auch sehr viele Einheimischebehandelt hat, lag auf der gegenüberliegenden Feldla-gerstraße. Ein behandelnder Bundeswehrarzt schicktenach meinem Zugführer, der mit seinem Zug für dieEnergieversorgung und die Wartung der vorhandenenKlimageräte des Lagers verantwortlich war. Einsatzbe-dingt erfüllten wir jedoch nicht nur unseren „STAN-Auftrag“, sondern bewältigten auch verschiedenste an-dere Aufgabenstellungen.Mein Zugführer kehrte mit einem Gegenstand, den ichvermutlich im Abfall entsorgt hätte, und der Bitte, In-standsetzungsarbeiten daran durchzuführen, zurück.Er erklärte mir, dass dieser Gegenstand eine selbstgefer-tigte Beinprothese war. Kurz beschrieben war dies einabgebrochenes Paddel, an dem ein Metallgestell mit ei-ner Stoffauflage angeflanscht war. Einige Zentimeterdarüber waren zwei gürtelartige Lederbänder am breite-ren Ende des Paddels zur Fixierung am Oberschenkelangeschraubt. Der unterschenkelamputierte Patientklagte über Rückenschmerzen, vermutlich resultierendaus einer Schiefstellung des Körpers beim Gehen. Diesewurde durch die Abnutzung des Holzpaddels verursacht.Eine orthopädische Werkstatt gab es natürlich nicht.

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Auch die Übernahme der Kosten einer Prothese nach eu-ropäischem Standard kam nicht in Frage.Somit war die Idee geboren, das Metallgestell und dieGurtbänder höher zu setzen, um dem Patienten einenmöglichst geraden Gang zu ermöglichen.Die Montage bereitete keine Probleme, allerdings woll-te ich zudem ein erneutes Abnutzen des „Paddelfußes“verhindern. Eine Gummi- oder Kunststofftülle würdebei dem sandigen und steinigen Bodenbelag nicht langehalten. Die Lösung war ein Blech, welches ich um denPaddelfuß gelegt und mit Schrauben fixiert hatte.Damit hatte ich dem Patienten zwar die Möglichkeit ge-nommen, sich geräuschlos fortzubewegen, dafür würdeer aber so schnell keine erneute Instandsetzung seinerBeinprothese benötigen.Die provisorisch instandgesetzte Prothese wurde nocham gleichen Tag dem Patienten angepasst. Mich hat essehr gefreut, dass ich ihn kurz darauf lächelnd das Feld-lager verlassen sah.

Als Instandsetzer muss man immer mit allem rechnen.„Geht nicht, gibt es nicht.“Flexibilität, Einfallsreichtum und korrektes Arbeitenwerden gefordert. Grundlage dessen ist immer einefundierte und umfassende Ausbildung.

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Aufbau der Bundeswehr in den neuenBundesländern

Die 12. Panzerdivision hatte den Auftrag, die Auflösungder ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA) zu über-wachen sowie die Aufbauarbeiten für die neu struktu-rierte Bundeswehr in den neuen Bundesländern zu un-terstützen. In einer „Hauruckaktion“ erhielten die Ver-bände der Division den Auftrag, Arbeitsgruppen im Sin-ne von Aufbauunterstützungsteams zu bilden. Zusam-men mit der Kompanieführungsgruppe und zwei Grup-penführern gehörte ich der Arbeitsgruppe fünf an. UnserAuftrag war ein Nachrichtenbataillon in den neuen Bun-desländern bei der Umgliederung und der damals statt-findenden Grundausbildung vor Ort zu unterstützen.Als wir am 03.10.1990 gegen 14:00 Uhr mit einem Lkw0,5 to und einem VW-Bus die ehemalige innerdeutscheGrenze überschritten, hatte ich schon ein etwas mulmi-ges Gefühl. Das erste Mal in meinem Leben betrat ichdas Land, aus dem noch bis vor kurzem der möglicheFeind kommen sollte. Ich hatte noch ganz genau meinenvorgesehenen Verteidigungsraum im Kopf, jede einzelneStellung meines LEOPARD 1 A 5 Zuges. Meine Kom-panie wäre damals im Schwerpunkt der Hauptangriffs-richtung des Feindes eingesetzt worden, wo die Überle-benschancen bei einem Angriff sehr gering gewesen wä-ren. Jetzt war ich auf der anderen Seite des vorderenRandes der Verteidigung (VRV), „im Feindesland“.Ein Schlagloch riss mich aus meinen Gedanken. DieStraßen waren etwas „holpriger“ geworden und der Ge-ruch von Braunkohle stieg mir in die Nase. Auch das

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Landschaftsbild hatte sich verändert. Ich fühlte michmindestens 20 Jahre zurückversetzt.Als wir endlich angekommen waren, nahm mein Kom-paniechef Verbindung mit einem Major der Bundeswehrauf, der dort bereits im Rahmen eines Vorkommandostätig war und sich mit den Örtlichkeiten und der Lagevor Ort auskannte. So konnten wir recht schnell in einerArt Feldwebelwohnheim Unterkunft beziehen. Es rochstark nach Linoleum, und in jeder Etage hingen zur Si-cherstellung der permanenten Gefechtsbereitschaft derNVA riesige Alarmlautsprecher im Gang. Ansonstenhatte ich, wie sich später herausstellen sollte, mit mei-nem Kompanietruppführer eine sehr komfortable Stubeerwischt. Nach Einrichten der Unterkunft und einer La-gebesprechung fiel ich todmüde ins Bett. Mit gemisch-ten Gefühlen schlief ich ein.Der nächste Tag brachte neue Eindrücke. Einige meinerAufgaben waren es, Unterrichte im Bereich der Politi-schen Bildung, Gefechtsausbildung sowie praktischeAusbildung mit Themen der Allgemeinen Grundausbil-dung durchzuführen. Der Unterricht wurde in einemRaum von circa 40 Quadratmeter durchgeführt. Hier-hinein zwängten sich auf alten Kinositzen circa 50Grundwehrdienstleistende und ehemalige Ausbilder derNVA und lauschten gespannt meinen Worten. Seltenwurde eine Frage gestellt. Eingeschüchtert harrten sieder Dinge, die auf sie zukamen. Sie verfolgten aufmerk-sam meinen Unterricht, denn „der Westen“ mit seinendemokratischen Grundwerten brachte nicht nur neuePflichten, sondern neuerdings auch Rechte für die Sol-daten mit sich. Als ich über den Wehrbeauftragten und

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die Wehrbeschwerdeordnung sprach, gab es so mancheleuchtenden Augen.Ein weiterer Aufgabenbereich erstreckte sich für michauf die Ausbildung der Ausbilder. Die Gruppen- undZugführer der ehemaligen NVA im Dienstgrad Unterof-fizier bis Oberleutnant (wobei sich der Dienstgrad beimanchen aufgrund der Neuordnung der Streitkräfte täg-lich änderte), sollten eine Gefechtsausbildung mit demThema Alarmposten vorbereiten und praktisch durch-führen. Hierzu schlug ich meinem Kompaniechef einenUnterricht vor, in dem ich mit den ehemaligen NVA-Ausbildern einen Handzettel und den praktischen Teilfür die Alarmpostenausbildung erarbeiten wollte. Beider Weiterbildung waren circa 15 Ausbilder der ehema-ligen NVA dabei und arbeiteten interessiert mit. Hier fielmir in besonderem Maße auf, dass sie Schwierigkeitenmit der nun neuen Freiheit in der Gestaltung der Durch-führung hatten. Bisher waren sie eine klar vorgeschrie-bene Befehlsgebung gewohnt, die keinen Spielraum füreigenes kreatives Denken zuließ. Dies war aufgrund derbis dahin vorliegenden NVA-Ausbildungsunterlagenauch gar nicht erwünscht und erforderlich. Für die Aus-bilder eröffneten sich neue Horizonte.Am nächsten Tag sollte die praktische Ausbildung mitden Rekruten stattfinden. Von den 15 Ausbildern warenaber nur noch drei zum Dienst erschienen. Die anderenhatten den in dieser Übergangszeit noch möglichen Wegder freiwilligen Beendigung des Dienstverhältnisses ge-wählt und sich arbeitsuchend gemeldet. Somit mussteich kurzfristig meine geplante Ausbildung umstellenund das Beste aus der neuen Ausbilderlage machen,

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denn die wehrpflichtigen Soldaten waren ja vor Ort.Aber als erfahrener Zugführer war man flexibel undhandelte lagegerecht.Nach einem Monat wurde ich durch einen anderen Zug-führer ersetzt, denn ich hatte einen neuen Auftrag be-kommen. Als Fahrlehrer in Zweitverwendung habe ichnun in einer Bataillonsfahrschule ehemalige Fahrlehrerder NVA ausgebildet und sie bei der Ausbildung vonFahrschülern der Fahrerlaubnisklassen C und E aufBundeswehrfahrzeugen unterstützt. Es ging eine interes-sante und erfahrungsreiche Zeit zu Ende.Es ist eine besonders bereichernde Erfahrung, in seinemSoldatenleben etwas Nachhaltiges bewirkt zu haben. Ichhatte das Glück, als Zeitzeuge und „Pionier des AufbausOst“ dabei gewesen zu sein und der Nachwelt davon be-richten zu können.

Das Aufgeben alter Feindbilder musste von heute aufmorgen erfolgen. Hier musste der Führer flexibelund durchsetzungsfähig sein, um in dieser oft emo-tionsgeladenen Atmosphäre seinen Auftrag erfüllen zukönnen. Dies ist auch im Rahmen der heutigenAuftragslage, in der die Bundeswehr weltweit mit an-deren Nationen mit unterschiedlichen Traditionen undGebräuchen zusammenarbeitet, von entscheidenderBedeutung.

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Die Bergtour

Ich bin 2005 als Frau in die Bundeswehr eingetreten, zueiner Zeit, als es in der Kampftruppe noch nicht vieleFrauen gab.Nach nun mittlerweile fünf Dienstjahren bin ich derzeitMunitionsgruppenführerin im Transportzug eines Pan-zergrenadierbataillons und zur Beauftragten Person fürGefahrgut in unserem Verband bestimmt. Ich bin verant-wortlich für den Umgang, die Lagerung und den Trans-port von Gefahrgut, die Bereitstellung von Munition fürdie geplanten Schießvorhaben sowie für die Versorgungder Fahrzeuge mit Dieselkraftstoff. Das schaffe ich na-türlich nicht allein und daher unterstehen mir bis zu18 Soldaten. Meine Verantwortung als Vorgesetzte neh-me ich sehr ernst und sie ist ein wesentlicher Bestandteilmeines Berufes, auf den ich nicht mehr verzichtenmöchte.Hilfe von Kameraden nehme ich nicht an, nur weil icheine Frau bin, sondern weil gegenseitige Unterstützungzur Erfüllung des Auftrages beiträgt und die Kamerad-schaft fördert. Dass auch eine Frau ihren „Mann“ stehenkann, möchte ich an einem Beispiel meines letzten Aus-landseinsatzes im Kosovo darstellen.

Im Kosovo war der Transportzug für den Transport vonMunition, das Betreiben der Tankstelle und das Betan-ken von Heizgeräten verantwortlich. Teilweise arbeite-ten wir bis zu 15 Stunden am Tag und waren oft mit un-seren schweren LKW unterwegs. Abends beim geselli-gen Beisammensein oder auch morgens bemerkte ich

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die Müdigkeit meiner Jungs. Der Arbeitsaufwand belas-tete uns. Ich musste irgendetwas tun, denn die Motivati-on meiner Männer war am Boden. Wir brauchten eineAuszeit und so entschied ich mich für eine Bergtour.Mein Chef stand meiner Idee aufgeschlossen gegenüberund nach einer kurzen Planung ging es bereits los.Diese Bergtour auf eine Berghütte in einer Höhenlagevon 1.800 Meter soll hier als Beispiel dienen, dass manalles schaffen kann, wenn man will und am Ball bleibt.

Schon am frühen Morgen herrschten erdrückend heißeTemperaturen, der Asphalt in unserem Camp glühteförmlich. Nach dem Frühstück packten wir unsereRucksäcke. Wir mussten Ausrüstung und Verpflegungfür drei Tage mitnehmen. Ich packte meine Sachen mitBedacht, denn immerhin wird es nicht leicht werden.Aus Neugier wog ich mein Gepäck und stellte mit Er-schrecken fest, dass ich zwanzig Kilo dabei hatte. „Daskann ja heiter werden“, dachte ich. Aber das Ziel, baldzwei Tage Entspannung genießen zu können, motiviertemich sehr.Nach dem Motto „Vorwärts Marsch“ rannten meineMänner sofort den Anstieg hinauf. Klar, dass sie die Ers-ten bei der Rast waren und auf mich und den Rest derKameraden warten mussten. Doch je höher wir stiegen,desto abgekämpfter wirkten die „starken“ Männer. DerSchweiß drang aus jeder Pore, wir waren schnell durch-nässt. „So muss es sich anfühlen, wenn man in einerSteinwüste unterwegs ist“, dachte ich mir.Einzelne Kameraden legten mehrere kleinere Pausenein, doch schon nach kurzer Zeit waren sie am Ende ih-

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rer Kräfte. Sie wirkten blass und abgekämpft. EinemKameraden wollte ich das Gepäck abnehmen, um ihmden Aufstieg leichter zu machen, aber er nahm meineHilfe nicht an. Vermutlich motivierte ihn meine angebo-tene Hilfestellung sogar dazu, den Aufstieg aus eigenerKraft schaffen zu wollen. Ihr könnt euch mit Sicherheitvorstellen, dass alle dachten, er lehnt die Hilfe ab, weilihm diese von der einzigen Frau in der Gruppe angebo-ten wird. Doch wurden sie eines Besseren belehrt.Wir kämpften uns als Team diese 1.800 Meter hoch, zu-rückgelassen wurde niemand. „Wir stehen zusammenund wir fallen zusammen“, so das Motto des Tages.Müde und kaputt vom Anstieg erreichten wir gemein-sam den Gipfel.

Es ist nicht immer leicht als Frau in der Bundeswehr.Körperlich wird man häufig stärker gefordert als im zi-vilen Leben. Aber mit der richtigen Einstellung, demWillen und vor allem im Team kann man alles schaf-fen. Nicht aufgeben, stets ein klares Ziel vor Augen ha-ben und sich nicht beirren lassen sind wichtige Fakto-ren für den Erfolg und die innere Zufriedenheit. Dashabe ich als Feldwebel gelernt.Durch Fleiß und gewissenhaftes Handeln sowie einergesunden Distanz gegenüber Männern ist man als Frauangesehen und akzeptiert. Dabei ist es wichtig, die Pri-vatsphäre zu wahren und Privates vom Dienstlichen zutrennen.Egal ob Mann oder Frau: Respekt und Anerkennungmuss man sich im Beruf erarbeiten und verdienen.

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Der Logistiker als Missionar

Als Schirrmeister und Instandsetzungstruppführer warich in einer Panzeraufklärungskompanie eingesetzt.Panzeraufklärer waren eine starke Truppengattung. Diewesentliche Leistung war das Erzielen von Aufklärungs-ergebnissen und dabei „Fahren, Funken, Schießen“. Umdiesen herausgehobenen Aufgaben gerecht zu werden,wurde die gesamte „Energie“ eingesetzt.Etwas zu kurz kam dadurch der Bezug zur Materialer-haltung. Arbeiten vor, während und nach der Benutzung,Ausfüllen und Abgabe von Fahraufträgen sowie Beson-ders angesetzter Technischer Dienst waren Verpflichtun-gen, denen die „Kämpfer“ nicht mit dem gleichen En-thusiasmus nachkamen.Als Schirrmeister und Instandsetzungstruppführer hatteich manchmal das Gefühl eher ein Missionar als der fürdie Einsatzbereitschaft Verantwortliche zu sein. Warman mit der Kompanie auf Übung, sollten wir, also meinInstandsetzungstrupp und ich, eigentlich nur über zweiZustandsarten verfügen: „Unsichtbar“, wenn keineSchäden vorhanden waren und „in Action“, wenn gera-de ein Ausfall gemeldet wurde. Diese Szenarien wurdenim Rahmen der Vorbereitung auf einen Wettkampf so-wie für die Teilnahme am Truppenübungsplatz CMTC(Combat Maneuver Training Center, vergleichbar mitdem Gefechtsübungszentrum) Hohenfels geübt und derInstandsetzungstrupp stellte sich der Aufgabe.Wenn Übungen anstanden, wuchs auch das Interesse ander Materialerhaltung und kam es gar zum Ausfall eines

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LUCHS oder FUCHS, gelobte die jeweilige BesatzungBesserung für die Zukunft.Richtig ernst aber wurde es, als die Technische Materi-alprüfung ins Haus stand. Nachdem unser Kompanie-chef und der technische Stabsoffizier (TStOffz) des Ba-taillons die „Marschrichtung ausgegeben“ hatten unddie Aktivitäten der Besatzungen stiegen, machte ichmich an den Ablaufplan für die zu prüfenden Fahrzeuge.Diesen erstellte ich nach meinen eigenen Vorstellungen,den Erfahrungen aus der Umsetzung beim BesondersAngesetzten Technischen Dienst und legte ihn dem „Al-ten“ vor.Er prüfte, ließ sich mein Konzept erklären und zeichne-te es ab. Als dieser in Befehlsform festgelegte Ablauf inder nächsten Teileinheitsführer-Besprechung verteiltwurde, murrten die Zugführer und stellten die Notwen-digkeit, so präzise zu planen, in Frage.Mit der Festlegung der Prüfreihenfolge würde man siejeglicher Flexibilität berauben und das wäre zum Nach-teil für das Prüfergebnis der Kompanie. Und außerdem„Das hatten wir noch nie!“Der Chef hörte sich das Ganze an und wies darauf hin:„Befehl ist Befehl. Aus – Ende!“Die Technische Materialprüfung lief an und nach Ab-schluss erfolgte die Auswertung durch den Prüfgruppen-leiter im Beisein des Chefs, des TStOffz und der Zug-führer: „Obwohl die Anzahl der ,erkennbaren Mängel‘(ein absolutes Schreckensgespenst in der Truppe, weiles aussagt, dass ein Mangel nicht abgestellt wurde, ob-wohl er im Rahmen der Fristenarbeiten hätte erkanntwerden müssen) eine erheblich zu hohe Anzahl auf-

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weist, führt die reibungslose Vorstellung der Fahrzeugedazu, der Kompanie ein besonders gutes Gesamtergeb-nis zu bescheinigen.“

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Perspektivwechsel

Im Mai flog ich von Penzing mit einer TRANSALL inden vor mir liegenden sechsmonatigen Auslandseinsatz.Wir wurden bis dahin auf den uns bevorstehenden Ein-satz gut vorbereitet, da es aber das 1. DEU Einsatzkon-tingent KFOR war, wusste keiner so recht, was uns dorterwarten würde. Wir waren alle hoch motiviert und vol-ler Erwartung, auf das, was uns bevorstand.Nach einem dreieinhalbstündigen Flug landeten wir inSkopje (Mazedonien). Meine Soldaten und ich warenTeil des Logistikregimentes KFOR, das damals noch inTetovo (Mazedonien) in einer Kaserne der mazedoni-schen Armee untergebracht war. Auf der Fahrt vomFlughafen Skopje nach Tetovo wurde uns sofort klar,dass dieses halbe Jahr hier kein Spaziergang werdenwürde. Dieses Land war nicht vergleichbar mit Deutsch-land. Hier waren Elend, Hunger und zerstörte Infra-struktur an der Tagesordnung. Einigen Soldaten ging dasGesehene schon stark an die „Nieren“, obwohl wir nochin einem Land waren, wo kein Krieg herrschte. Wir frag-ten uns, was auf uns zukommen würde, wenn wir erst indas Kosovo verlegen müssten, also in das Land, wo bisvor kurzem noch ein Bürgerkrieg geherrscht hatte. VieleSoldaten, die in diesem Einsatz so eine Art Abenteuer-urlaub sahen, wurden also schon sehr früh mit der har-ten Realität konfrontiert und es wurde auf der Fahrt zuunserer neuen „Heimat“ doch sehr ruhig im Bus.Als wir dann endlich in der Kaserne ankamen, wurdeuns schnell klar, dass der Lebensstandard, den wir ausDeutschland gewohnt waren, kein Vergleich war zu

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dem, was wir die nächsten sechs Monate haben würden.Wir bezogen unsere Unterkünfte. Es waren Zelte desTyps II, welche mit zwölf Mann belegt wurden. Es wur-de uns bewusst, dass es in den nächsten sechs Monatenkeinerlei Privatsphäre geben würde. Das hat im Laufedes Einsatzes auch tatsächlich zu vielen Reibereien ge-führt.Die folgenden Tage waren geprägt von der Material-übernahme sowie dem Zurechtfinden im Lager. Es kamder Tag, an dem der erste Einsatzbefehl kam und wir indas Kosovo verlegen mussten. Wir bereiteten also allesvor: Befehlsausgabe, Technischer Dienst und das Verla-den der persönlichen Ausrüstung auf die jeweiligenFahrzeuge. Ich war zu diesem Zeitpunkt eingesetzt alsTransportgruppenführer. Meine Transportgruppe be-stand aus acht Fahrzeugen. Vom Typ WOLF über STW8x8 (Straßentankwagen) bis hin zum 10-Tonner gl waralles dabei.Wir fuhren dann Richtung Kosovo los in ein uns bis da-hin unbekanntes Gelände. Der Weg führte uns eine zeit-lang durch die schöne Bergwelt Mazedoniens, die Stra-ßen waren gut ausgebaut, doch der Fahrstil der einhei-mischen Bevölkerung war sehr gewöhnungsbedürftig.Man hatte den Eindruck, dass es dort keinerlei Verkehrs-regeln gibt, und man musste jederzeit damit rechnen,dass ein Unfall passiert.Mit diesen Eindrücken im Gepäck kamen wir an derGrenze zum Kosovo an. Es wurde durch KFOR-Trup-pen ein eigener Grenzübergang geschaffen, sodass esschnell ging. Nun war es endlich soweit, wir befuhrendas Kosovo. Hier hatte bis vor kurzem noch ein fürchter-

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licher Krieg mitten in Europa getobt. Die Folgen diesesKrieges sollten uns auf unserem weiteren Weg erst sorichtig bewusst werden. Wir fuhren auf Straßen, die kei-ne waren. Es gab nur Schotterpisten mit riesigen Lö-chern darin. Unsere Fahrzeuge wurden dadurch sehr be-ansprucht, und zeitweise war nur ein Fahren in Schritt-geschwindigkeit möglich. Wir fuhren vorbei an zerstör-ten und ausgebrannten Häusern sowie an vielen Kin-dern, die nichts weiter als Lumpen am Körper trugen.Spätestens jetzt wurde uns deutlich, welches Ausmaßdieser Krieg hatte. Diese Bilder kannte man bisher nuraus den Medien, und jetzt waren wir mitten in diesemzerstörten Land.Unser Weg führte uns weiter durch die wunderschöneBergwelt des Kosovos. Allerdings hatte man nur Augenfür die vielen Minenschilder, die rechts und links derStraße aufgestellt waren. Plötzlich sprang ein Kind kurzvor meinem Führungsfahrzeug auf die Straße. Es wedel-te wild mit den Armen. Offensichtlich sollten wir anhal-ten. Ich ließ also meine Transportgruppe halten, dasKind kam auf mich und meinen Kraftfahrer zu und sag-te mit aufgeregter Stimme „Mina, Mina“ und zeigte aufeine von mir circa fünf Meter entfernte Stelle. Ich sahdorthin und entdeckte nach einigem Suchen eine Bom-be, die im Boden steckte. Es war ein UXO (UnexplodedExplosive Ordnance = nicht zur Wirkung gelangtesKampfmittel). Sofort schoss mir alles durch den Kopf,was ich in der einsatzvorbereitenden Ausbildung gelernthatte. Es war wie ein Instinkt und man tat aus dem Ge-fühl heraus das Richtige. Ich ließ meinen Stellvertreterdie Transportgruppe übernehmen, und den Auftrag wei-

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ter fortführen. Über Funk informierte ich die Feldjägersowie den EOD-Trupp (Explosive Ordnance Disposal =Kampfmittelbeseitigungstrupp) und gab die Koordina-ten durch. Mein Fahrer und ich kennzeichneten denFundort, sperrten ihn großräumig ab und verblieben vorOrt, bis der EOD-Trupp eintraf und das UXO vor Ortsprengte. Diese ganze Aktion dauerte circa drei Stunden.Danach setzte ich meinen Marsch Richtung FeldlagerPrizren fort und koppelte mit meiner Transportgruppe.Wir erledigten unseren Auftrag und bezogen danach un-sere Unterkünfte im Feldlager. Aufgrund der vorge-schriebenen Lenk- und Ruhezeiten der Kraftfahrer waran eine Rückfahrt nicht mehr zu denken.Am nächsten Tag luden wir wieder Material auf, das fürdie in Mazedonien stationierten Truppenteile bestimmtwar. Ich fuhr mit meiner Transportgruppe in RichtungMazedonien, als mir auf Höhe des Dulje-Passes ein zi-viler, mit Dachziegeln völlig überladener Lkw entgegenkam. Ich merkte sofort, dass da etwas nicht stimmenkonnte. Er war viel zu schnell unterwegs und kam insSchlingern. Als ich mit meinem Fahrzeug ungefähr aufseiner Höhe war, sah ich, wie der Kraftfahrer und seinBeifahrer sich von ihren Sitzen erhoben und versuchten,sich in ihrer Schlafkabine in Sicherheit zu bringen.Dann ging alles sehr schnell: Die Bremsen des Lkw ver-sagten. Da das Fahrzeug nicht mehr gelenkt wurde,stellte sich die Zugmaschine quer, und der voll beladeneAuflieger knallte über das Führerhaus. Die Ladung rea-gierte wie ein Geschoss und schlug auch in das Führer-haus meines letzten Fahrzeuges ein. Es war wie einWunder, dass keiner meiner Soldaten verletzt wurde, da

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die Ziegel knapp neben den Köpfen der beiden Kraftfah-rer einschlugen. Ich ließ sofort die Unfallstelle absichernund informierte die Feldjäger. Als ich mir einen Über-blick über die Unfallstelle verschafft hatte, versuchte ichmit meinen Soldaten die Verunfallten zu bergen. Wirfanden sie auch, leider konnten wir keinem der Beidenmehr helfen. Sie waren unter der schweren Ladung zer-quetscht worden. Es war ein grauenhafter Anblick.Glücklicherweise trafen in diesem Moment auch schondie Feldjäger und die UNMIK-Polizei (United NationMission in Kosovo) ein, die alles Weitere veranlasstenund meine Soldaten und mich aus dieser Situation he-rauslösten. Da die Fahrzeuge der Transportgruppe nichtso beschädigt waren, dass eine Weiterfahrt unmöglichgewesen wäre, und die Soldaten auf mich einen sehr ge-fassten Eindruck machten, fasste ich den Entschluss,den Auftrag weiter fortzuführen. Im Feldlager Mazedo-nien angekommen, entluden wir die Fahrzeuge und mel-deten uns beim Chef zurück.Auch wenn es so aussah, als hätten alle Soldaten das Er-lebte gut verkraftet, merkte man in den darauf folgendenTagen, dass sich einige sehr zurückzogen und sehr stillwurden. Diese Soldaten hatten mit dem Erlebten schwerzu kämpfen. Wir versuchten, die Erfahrungen in den fol-genden Tagen durch viele Gespräche aufzuarbeiten, umsie so wieder fit zu bekommen. Dieses gelang auch sehrgut.

Diese Erfahrungen machten meine Soldaten und ich amAnfang des Einsatzes. Wir waren uns nicht bewusst,dass es für einige Kameraden des Kontingents noch viel

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schlimmer kommen sollte. Sie verloren in diesem Ein-satz ihr Leben, aber nicht etwa durch Kampfhandlun-gen, sondern durch einen unverschuldeten schwerenVerkehrsunfall. Seit diesem Einsatz denke ich über vie-le Dinge des täglichen Lebens ganz anders und der Ein-satz hat mir eine ganze Menge an Lebenserfahrung ge-bracht, besonders in Hinblick auf die sehr guten Lebens-verhältnisse in Deutschland.

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Individuelle Grundfertigkeiten

Es war im Spätherbst Ende der neunziger Jahre. Wir,nach Aussage meines Kommandeurs ein „handverlese-ner Haufen“ von zehn Dienstgraden, bereiteten uns aufunseren Einsatz auf dem Gebiet des ehemaligen Jugos-lawiens vor.Neben den üblichen Vorbereitungen, wie dem Empfangeinsatzbezogener Ausrüstung und dem Vervollständigender notwendigen Impfungen, wurden auch unsere indi-viduellen Grundfertigkeiten überprüft beziehungsweiseauf neuesten Stand gebracht.Nach den ersten Zusammenziehungen, Lageeinweisun-gen und Unterrichtungen über den Konflikt auf demBalkan, wurden wir Ende September auf einem Übungs-platz in Süddeutschland erneut zusammengezogen. Hierging es darum, uns in der Handhabung unserer WaffenG 36 und P 8 sowie verschiedener Ausbildungsthemen zuperfektionieren. Am zweiten Tag der Ausbildung stand„Waffendrill“ auf dem Programm. Wir wurden durch ei-nen sehr jungen, aber durchaus in der Materie stehendenAusbilder, während des Zerlegens und Zusammenset-zens der verschiedenen Waffen mit verbundenen Augen,sehr schnell an unsere Grenzen geführt. Nicht jeder inunserer Gruppe war in der Lage, das Ausbildungszielohne Schwierigkeiten zu erreichen, obwohl wir alle„Profis“ vom Hauptfeldwebel bis zum Oberstleutnantwaren. Zum Abschluss hatte sich der Ausbilder nochzum Ziel gesetzt, uns die Waffe P 8 bei der Schussabga-be zu präsentieren. Dazu erhielt jeder von uns eine Pis-tole P 8 und einen Schuss Manövermunition. Wir stan-

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den in Linie zu einem Glied. Uns gegenüber, in einerEntfernung von circa 20 Metern, war für jeden „Schüt-zen“ eine Schützenscheibe ins Gelände gesteckt, um unsein Ziel zu bieten.

Die Kommandos des Ausbilders waren klar und eindeu-tig, wir handelten nach Anweisung und zehn Schüssebrachen. Nach der Schussabgabe führten wir wie befoh-len eine Sicherheitsüberprüfung durch und steckten diePistolen zurück in das Holster.Noch bevor der Ausbilder uns weitere Anweisungen ge-ben konnte, bewegte sich plötzlich der links von mir ein-gesetzte „Schütze“, ein bis dahin absolut professionellwirkender Oberstleutnant, auf die Schützenscheibe zu.

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Auf meine Frage, wo er hin wolle, antwortete er mir, erhabe heute zum ersten Mal mit dieser Waffe geschossenund möchte jetzt mal überprüfen, wo der Treffer liege.Das war zwei Wochen vor Einsatzbeginn!

In erster Linie sollte sich jeder, ob Mannschaftsdienst-grad, Unteroffizier oder Offizier, darüber im Klarensein, dass er Soldat ist!Die Spezialisierung für den Dienstposten ist zwarwichtig, darf aber nicht dazu führen, die individuellenGrundfertigkeiten eines Soldaten zu vernachlässigen.Dies ist umso wichtiger, wenn es darum geht, im Ein-satz unter schwierigen Bedingungen zu bestehen.Das ständige Inübunghalten sowie die Selbstdisziplinbeim Ablegen der geforderten individuellen Grundfer-tigkeiten muss der Anspruch eines jeden Soldaten sein.

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Der Brückenunfall

Am Morgen des 12. September befahl der Zugführernach eingehender Erkundung den Bau einer Faltfestbrü-cke von 27 Meter Länge. Ich wurde als Verlegetruppfüh-rer eingeteilt, die Brücke zu bauen und den Ablauf derTransportfahrzeuge zu koordinieren. Mein Zugführerselbst teilte die Sicherungskräfte ein.Die Transport- und Verlegegruppe war zügig zusam-mengestellt und wir begannen den Kfz-Marsch zur Brü-ckenstelle. Dort angekommen, wurden wir von Voraus-kräften in den Verfügungsraum eingewiesen und began-nen aus der Bewegung heraus mit den Vorbereitungenzum Bau der Brücke.Meinem Wesen nach, versuchte ich schon von Beginndes Baues an, alles Mögliche zu optimieren. Ich wusste,wir konnten es schneller und besser, und versuchte allesaus den Mannschaftssoldaten und auch von meinemKranunteroffizier sowie der Leistungsfähigkeit des Sys-tems herauszuholen. Es sah so aus, als würde alles zeit-gerecht erledigt sein. Der Spieß kam schon etwas frühermit dem Essen und auch der Chef kam mit dem Zugfüh-rer 1 gerade um die Ecke.Die Brücke war nach kurzer Zeit fast fertig gestellt. DerVerleger wurde zurückgebaut. Nur die Schlepprampenmussten noch angebaut werden. Hier war Unterstützungerforderlich, da es sich um eine anstrengende und for-dernde Arbeit handelt. Ich schnallte mir meine Verlege-fernbedienung ab und wies den Kraftfahrer des Verle-gers noch in den Verfügungsraum ein, ging dann abermit eiligen Schritten zur Brücke und packte mit an, um

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durch vermeintliches Vorbild die Arbeitsleistung noch-mals zu steigern. Die Arbeitsleistung war durch meinforderndes Tempo ohnehin hoch, und im Kopf lief mei-ne eigene Stoppuhr.Die Mannschaftssoldaten wurden von mir vor dem Brü-ckenbau belehrt, dass jeder umsichtig handeln und mitKöpfchen auf der Brücke arbeiten solle, da wir über ei-nem tiefen Graben mit wenig Wasser bauten.

Nun machte ich mich voller Eifer daran, den Rest fertigzu stellen. Der Chef und der Spieß standen am Ufer undmein Zugführer meldete zackig. Ich wollte gerade einelange Verbindungsstange aus der Schlepprampe ziehen,als diese plötzlich klemmte. Nachdem ich einmal richtigdaran gezogen habe, kam sie mir einen halben Meterentgegen. Zu viel, denn ich stand bereits mit den Hacken

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am Schrammbord der Brücke und verlor das Gleichge-wicht. In dieser Schrecksekunde fasste ich noch einmalnach, doch die Stange kam noch weiter heraus und ichmusste einsehen, dass ich nun „verspielt“ hatte. Keinerkonnte mir helfen, denn alle arbeiteten wie verrückt. Mitvoller Gefechtsausrüstung und allem was dazugehört,kippte ich rückwärts und fiel circa dreieinhalb Meter tiefnach unten in eine Moorlandschaft, die mich sofort mitihrer stinkenden, nassen Brühe empfing. Als „geschla-gener Held“ kroch ich an Land. Die am Ufer und auf derBrücke stehenden Soldaten erkundigten sich nach mei-nem Befinden und brachen danach in Gelächter aus. ZuRecht. Ich musste mich, weil ich so erbärmlich stank,noch an Ort und Stelle ausziehen, ansonsten hätte michder Spieß nicht im Auto mitgenommen. Dabei befreiteer mich auch sogleich von einem Blutegel, der sich, ob-wohl ich nur gefühlte drei Sekunden im Wasser lag,schon auf meiner Haut am Rücken festgesetzt hatte.

Falscher Ehrgeiz und Übereifer sollten nie die bestim-menden Merkmale unseres Handelns sein. Besondersals militärischer Vorgesetzter kommt es darauf an, denÜberblick zu behalten. Umsichtiges und zügiges, abernicht zu hastiges Handeln führt in den meisten Lagenzum gewünschten Erfolg.

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Potenzialfeststellung

,,Gut“, dachte ich mir, jetzt sitzt du im Auto und fährstzum Zentrum für Nachwuchsgewinnung, um die Tür fürdie Laufbahn zum Offizier des militärfachlichen Diens-tes ein Stückchen weiter zu öffnen. Bei dieser Fahrt gin-gen mir viele Gedanken durch den Kopf und ich war in-nerlich auch schon ein bisschen aufgeregt, weil ich nuranhand eines Informationsschreibens aus dem „Intra-netBw“ wusste, was mich erwartet.Diese Art der Eignungsfeststellung wurde neu in dieBundeswehr eingeführt. Deshalb gab es auch in meinemnäheren dienstlichen Umfeld noch keinen Feldwebel,der diese Potenzialfeststellung durchlaufen hatte undmir wertvolle Tipps hätte geben können.Im Informationsschreiben stand lediglich, dass die Aus-prägungen von zehn Eignungsmerkmalen, wie zum Bei-spiel Persönlichkeitsstabilität, anhand von fünf Prüfsta-tionen ermittelt und bewertet werden (zum BeispielGruppensituationsverfahren, Kurzvortrag, Computer-test, Persönlichkeitsfragebogen und Interview). Das ist,wenn man weiß, dass dieser Eignungstest mit über dieeigene Zukunft entscheidet, erst mal nicht viel.Nachdem ich am Ende einer Sackgasse das Zentrum fürNachwuchsgewinnung gefunden hatte, bekam ich vomUnteroffizier vom Dienst (UvD) meinen Stubenschlüs-sel und eine Mappe mit einem Laufzettel für die einzel-nen Prüfstationen am nächsten Tag. Der UvD sagte nochzu mir: ,,Herr Oberfeldwebel, wenn sie noch was außer-halb erledigen müssen, dann bitte jetzt, denn bis 20:00Uhr müssen alle Soldaten auf den Stuben sein, damit sie

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am nächsten Tag ausgeruht und voll leistungsfähigsind.“ Außerhalb musste ich nichts mehr erledigen undbezog die Stube. Auf der Stube war ich mit einem Ober-feldwebel der Jägertruppe untergebracht. Wir beide un-terhielten uns an dem Abend noch ein wenig über Gottund die Welt, um uns ein bisschen abzulenken und leg-ten uns dann so gegen 22:00 Uhr ins Bett, um am nächs-ten Tag fit zu sein.Am Morgen des Prüfungstages hatten wir um 07:00 Uhrals erstes die Begrüßung und Einweisung durch die Prü-fungskommission. Diese setzte sich aus einem Psycho-logen und einem Hauptmann zusammen. Die Prüfgrup-pe hingegen bestand aus vier Oberfeldwebeln.Nach der Einweisung ging es dann sofort mit der erstenPrüfstation, dem Ausfüllen des Personalfragebogens,weiter. Die Aufgabe schien im ersten Augenblick nichtschwer zu sein, aber je näher ich dem Ende des Frage-bogens kam, umso schwieriger wurden die Fragen. Fürmich waren zum Beispiel die Fragen zur Selbsteinschät-zung recht schwierig zu beantworten.Danach fuhren wir sofort mit dem Computertest fort.Vor dieser Prüfungsstation hatte ich eigentlich die we-nigste Angst, denn ich hatte mir im Vorfeld ein Buch zurVorbereitung auf solche computerunterstützten Tests ge-kauft und die Wochen vorher mein Gehirn trainiert. Alsich mit dem Computertest fertig war, rauchte mein Kopfund ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Mankonnte darüber aber nicht lange nachdenken, denn esstand schon die nächste Prüfstation, nämlich das Grup-pensituationsverfahren, an: Alle vier Oberfeldwebel sa-ßen an einem Tisch und mussten sich in kürzester Zeit

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auf eine Lösung zu einem vorgegebenen Problem eini-gen. Wir waren, zum Erstaunen der Prüfungskommissi-on, nach zwölf Minuten von 30 möglichen fertig undsehr zufrieden damit. Nahtlos ging es mit dem Kurzvor-trag weiter. Wir wurden von dem Prüfoffizier einzeln ineinen Vorbereitungsraum gerufen und mussten dann dortaus drei Bereichen ein Thema ziehen. Die Bereiche wa-ren „Die Bundeswehr“, „Die Bundeswehr und die Ge-sellschaft“ und „Die Gesellschaft“. Mein gewählter Be-reich war „Die Gesellschaft“ und das gezogene Themalautete „Einheitsrente für alle in Deutschland“. Darauf-hin hatte ich 20 Minuten Zeit, mir ohne irgendwelcheHilfsmittel, außer Papier und Bleistift, Notizen für einenKurzvortrag von fünf Minuten zu machen.Der Prüfraum war mit einem Podium bestückt, an demich dann meinen Vortrag vor der Prüfungskommissiongehalten habe. Seine eigene Leistung lässt sich nicht guteinschätzen, weil es danach kein Feedback gab.Endlich war Mittagspause und wir unterhielten uns überdas am Vormittag erlebte, bevor es zur letzten Prüfstati-on, dem Interview mit der Prüfungskommission ging.Wir wurden bei diesem Interview alle einzeln hereinge-rufen und zu bestimmten Themen, zu denen es noch Un-klarheiten gab, befragt. Dieses Einzelgespräch lief unge-fähr so ähnlich wie bei der Feldwebeleignungsprüfungab.Wir waren danach alle sichtlich aufgeregt und konntenes kaum abwarten, unser endgültiges Ergebnis dieserPotenzialfeststellung zu erfahren. Rein gefühlsmäßigdachte keiner von uns, dass er für die Laufbahn der Of-fiziere des militärfachlichen Dienstes geeignet ist, aber

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nach den Abschlussgesprächen hatten alle die Eignungfür diese Laufbahn erhalten.Wir umarmten uns und konnten es im ersten Momentgar nicht fassen, unser Ziel an diesem Tag erreicht zu ha-ben. Wir räumten unsere Stuben und fuhren alle wiederin unsere Einheiten zurück. Unserem Ziel, für die Lauf-bahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes zuge-lassen zu werden, waren wir wieder einen großen Schrittnäher gekommen.

Die Durchlässigkeit unseres Systems gewährleistet,dass Feldwebel mit einem überdurchschnittlichen Leis-tungsbild einen Laufbahnwechsel zum Offizier ein-schlagen können. Allgemeine Voraussetzungen hierfürsind die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen und derWille, neue Herausforderungen anzunehmen.

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Das Ende einer Übung

Gefühlte 100 Grad Celsius. Die Sonne scheint erbar-mungslos vom Himmel und das im Mai. Am Tage brü-tend heiß und in der Nacht ein Grad über Null. Morgensbeim Helm tarnen frieren mir die Finger ab und tagsüberverwelkt das Gras auf meinem Helm zu Heu. VerkehrteWelt! Den dritten Tag sind wir jetzt schon unterwegsund die Schmerzen an Füßen und Knochen sind kaumnoch zu ignorieren. Der Hubschrauber, der uns zurück-fliegen sollte, hat nach circa 100 Metern einen „techni-schen Defekt“; so „motiviert“ man Soldaten.Ich bin auf dem Lehrgang, der mich zum Unteroffizierformen soll, im letzten Monat und am dritten Tage derDurchschlageübung im schönen Münsterland. DiesesMünsterland, das kann ich mit reinem Gewissen sagen,kenne ich seitdem landschaftlich besser als viele „Urein-wohner“.Wir haben das Ziel fast erreicht und dann schmiert derHubschrauber ab. Ich erinnere mich daran gerne zurück.Und so erinnert sich jeder meiner Gruppenkameradenauch an seine ganz persönliche Geschichte, die er ir-gendwem, irgendwann einmal erzählen wird.„Absitzen und nicht unterm Heckrotor her, wenn ihrnicht zwei Helme haben wollt und das Ganze Marsch,Marsch …“, höre ich meinen Gruppenführer undeutlichob der lauten Rotorengeräusche brüllen. Ich frage mich,warum der verdammte Rotor sich überhaupt noch drehtund warum der kaputte Hubschrauber wieder wegfliegt,noch bevor der Nebeltopf, der zum Markieren der Lan-destelle gezündet wurde, ausgenebelt hat. Mit schmer-

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zenden Füßen und offenen „Wölfen“ (das sind offeneWundstellen dort, wo Ausrüstung und Haut sich anei-nander reiben) sprinten wir mit Marschgepäck in dasnächstgelegene Waldstück und sichern rundum. Keinerweiß so genau, wo wir sind, denn die gefühlten 100 Me-ter entpuppen sich gerade als mehrere Kilometer. Dasscheint der Prüfungsabschnitt „Zurechtfinden im Gelän-de“ zu sein. Den Oberfeldwebel, unseren Gruppenführerder Jägertruppe, habe ich, seit er uns aus dem Hub-schrauber geschmissen hat, übrigens auch nicht mehrgesehen. Und, wer ist der letzte eingeteilte Gruppenfüh-rer gewesen? Na klar, ich war es. Gruppenführerausstat-tung und die Karte habe ich ja noch am Mann. Allezwölf weiteren Gruppenmitglieder warten auf meineAnweisung und das jetzt. Was passiert wohl, wenn ichuns in die falsche Richtung marschieren lasse? DerOberfeldwebel wirkt immer beruhigend. Wir vertrauenihm, weil man immer das Gefühl hat, dass er weiß, waser tut. Und jetzt stehe ich da mit meiner Gruppe, meinerAusstattung und ohne Gruppenführer! Jetzt bin ICH ander Reihe, mir das Genörgel über Schmerzen, Durst undHunger, Müdigkeit und absolute Lustlosigkeit anzuhören.Mein Adrenalinspiegel steigt, meine Schmerzen sindfast weg. Nun habe ich die Verantwortung, muss meineProblemchen mit Füßen und Knochen zurückstellen, ichbin derjenige, der motivieren, den Männern auf dieSchultern klopfen muss. Ich bin hier der Vorgesetzte, aufden die Gruppe hört und dem sie vertrauen soll. Soschnell geht das. Und wie geht das? Die Kameradennach Stärken einteilen, heißt es. Also, wenn ich hier ei-nen ehemaligen Pfadfinder habe, kommen wir mit Si-

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cherheit schnell ans Ziel. Doch unterstreicht das meineFähigkeiten als Gruppenführer oder schmälert es sie?„Hört bloß mit dem Gejammer auf“, denke ich, „dafürhab ich jetzt mal überhaupt keine Zeit.“ Es gibt so schonviel zu beachten. Vor allem gilt es, die Fassung zu be-wahren und nicht auf den Hauptgefreiten (UA) C. „ein-zuprügeln“, weil ihm mal wieder ein kluger Spruch nachdem anderen einfällt. Der war am ersten Tag der zweiteGruppenführer. Sehr dankbar – da kann man sich ab-schauen, was der Erste falsch macht und es dann bessermachen. Außerdem ist er noch „frisch“. Er ist einer vonder Sorte, bei dem Paragraph 12 Soldatengesetz anschei-nend noch nicht in Gänze angekommen ist. Der lässtganz gerne mal die Kameraden, die es nicht schaffen,vor der Holzwand der Hindernisbahn stehen und meldetes dem nächsten Vorgesetzten. Aber auch mit dem mussich klar kommen. Die anderen Kameraden reißen sich –der eine mehr, der andere weniger – zusammen. Die Si-tuation darf jetzt nur nicht eskalieren. Wir stehen daserste Mal ohne Gruppenführer da, und die Stimmung istäußerst gereizt. Nicht zuletzt, weil der Helikopter diemehr als 20 Kilometer nur zu einem Bruchteil hintersich lassen konnte.Mit „ich glaube, wir müssen hier lang“ bewege ich jetztwohl keinen aus seiner jetzigen Position. Es sollte je-doch zügig weitergehen, weil wir sonst durch den Ge-stank, den wir durch tagelanges Schwitzen verbreiten,aufgeklärt werden. Also Lagefeststellung, Planung, Ent-schluss, Befehlsgebung und los geht es. Ich schnappemir meinen Nahsicherer und schleiche an den Waldrand,um mir ein Bild vom Gelände zu machen. Der orange-

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farbene Rasen verrät den Landeplatz des „kaputten“Hubschraubers. Ich hoffe, es geht „ihm“ jetzt besser.Vom Oberfeldwebel ist immer noch nichts zu sehen. Erhat wohl vergessen, auszusteigen.Eine Hochspannungsleitung ist zu sehen und sonst ei-gentlich nur Gegend. So ist das eben im Münsterland.Also suche ich auf der Karte nach der Stromleitung undder Form des Waldes, die ich relativ gut abschätzenkann. Und Tatsache ist, wir sind exakt fünf Kilometerund 650 Meter geflogen. Logischerweise ist mein Kar-tenausschnitt auch nicht viel größer als die Flugstreckewar. Also nehme ich Verbindung zum Zuggefechtsstandauf und melde meinen Standort. Ich wette, die wissenschon sehr gut, wo wir sind. Ist aber bloß eine Vermu-tung.Den Zugführer, der mich beinahe durch das Funkgerätzieht, als ich die Koordinaten offen durchgebe, werdeich jetzt wohl nur mit sehr guter Leistung beim Orientie-ren wieder auf meine Seite bekommen. Denn was habeich vergessen? Mit der Sprechtafel meinen Funkspruchzu verschleiern. Gib niemals Truppenstärke, Orts-, Zeit-oder Zahlenangaben offen über einen taktischen Funk-kreis, denn sonst kann dies ganz schnell „Übungsende“für die Gruppe und das Leben bedeuten. Das bleibt fürimmer hängen und nicht ungestraft.Einer Marschkompasszahl über fünf Kilometer zu fol-gen, ist schon knackig, vor allem durch den Wald. Alsoalles Gelernte anwenden: Soldaten vorschicken und ihnüber Kimme und Korn anvisierend an Ort und Stelle plat-zieren, Gruppe hinterher ziehen und das Ganze wieder-holen. Doppelschritte zählen und undurchdringbare Bü-

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sche so groß wie Wälder umgehen, im Sprung und über-schlagend über freie Flächen. Das ganze Programm undwieder ab in den Schlagschatten des nächsten Waldes.Dann der nächste Schock beim Durchzählen: Es fehltein Gewehr! Und als wäre das nicht schlimm genug, eshängt auch noch ein Soldat meiner Gruppe daran. Ge-wehr weg und Soldat weg. Und wer sollte es anders sein,als Hauptgefreiter (UA) C.? Wo ist der denn jetzt hinge-rannt? Nur Ärger macht der.Gut für mich ist, dass die Gruppe sich den Schuh anziehtund einsieht, dass ich nicht alles im Blick haben kannund einfach nicht nach links und rechts geschaut wurde.Also Suchtrupp losgeschickt und kurze Rast eingelegt.Eine sehr kurze Rast, denn da taucht der Oberfeldwebelauf und auf seinen Schultern ein Verletzter mit Gewehr– mein Soldat. Den hatte der Oberfeldwebel äußerstrechts aus der Flanke kommend aus meinem Schützen-rudel rausgefischt und keiner hat es gemerkt. Und schonhat man eine neue Situation, nämlich einen Verletzten anBord.Also wird wohl hier aus der Rast eine Sanitätseinlagemit abgekämpften Soldaten. Die haben allerdings nichtsanderes mehr im Kopf, als ein kühles Bier und warmesEssen auf einem richtigen Stuhl sitzend zu genießen, umanschließend in einem Bett mit Matratze in einemRaum, in dem es einen Lichtschalter gibt, den man an-und ausschalten kann, zu schlafen. Man lernt, genügsamzu werden und Luxus zu schätzen.Der anschließende Transport des Verletzten auf einerfeldmäßig gebauten Trage war eine besondere physischeHerausforderung.

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Meine Gruppenführerausstattung übergebe ich nunletztmalig an einen Kameraden meiner Gruppe. Mit an-deren Augen und anderer Einstellung gehe ich nun alsaufmerksamer Nahsicherer meines neuen Gruppenfüh-rers, in Begleitung des Oberfeldwebels, den befohlenenMarschweg. Es ist sofort eine andere Stimmung, manmerkt, der Ausbilder ist wieder da – da wollen wir allemal hin.Der Weg, der eingeschlagen ist, kommt uns nun langsambekannt vor und es durchdringt mich ein Glücksgefühlund gleichzeitig eins, was mir ein lautes „Sch…“ ausdem Hals drücken lassen will. Doch ich beherrschemich. Ich möchte Unteroffizier und Feldwebel, willFührer, Ausbilder und Erzieher meiner unterstellten Sol-daten werden und ein Vorbild sein. Und da hat man ver-dammt noch mal die Zähne zusammenzubeißen undauch am dritten Tag noch den Mund zu halten. Das mussman von einem militärischen Führer erwarten können.So halte ich mich zurzeit über Wasser. Das muss mansich ab und an vor Augen führen. Der Oberfeldwebel, soscheint es, hat noch nicht einmal Schweißperlen auf derStirn und meckern und nörgeln kennt der schon gar nicht– vorbildlich. Das Glücksgefühl ist schnell erklärt. Dawir den Weg kennen, ist es nun nicht mehr weit zur Ka-serne und zum Unterkunftsgebäude. Das mulmige Ge-fühl erklärt sich dadurch, dass dieser uns bekannte Wegzur Hindernisbahn führt und wir nun schon seit gerau-mer Zeit unseren „sanitätsdienstlichen“ Arbeiten nach-kommen.Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dasswir wohl zum guten Schluss die Hindernisse im Grup-

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penrahmen überwinden sollen. Also wird auch gleichdiese Tragegeschichte ihr Ende finden? Falsch gedacht,wir zerren unseren Verletzten mit Trage über die Hinder-nisse. Hauptgefreiter (UA) C. schwitzt Blut und Wasser.Er ist darauf angewiesen, sich auf uns zu verlassen. Diegroßen Sprüche kommen schon seit einigen Kilometernnicht mehr. Ich glaube, er versteht langsam, wie es umihn und unseren Gemütszustand bestellt ist. Und wir las-sen ihn trotzdem nicht im Stich. Wir bringen ihn heilüber die Bahn und erreichen den Verwundetensammel-platz. Kleinlaut steigt er von der Trage und klopft denTrägern auf die Schultern. Ein leises „Danke“ ist zu hö-ren.Abgekämpft, aber erhobenen Hauptes, stolz ob der ge-zeigten Leistung, marschieren wir in die Kaserne einund nähern uns unserem Unterkunftsgebäude.Es sind nun fünf Minuten vergangen, der Kopf hängt mitapathischem Blick auf den Boden gerichtet in Trauer-stellung – wir entfernen uns nämlich wieder von unse-rem Unterkunftsgebäude. Es geht auf der anderen Seiteder Kaserne wieder raus. Das geht an die Substanz.Glaube nie, es sei vorbei, bevor es nicht vorbei ist! Er-warte nichts, denn dann wirst du nicht enttäuscht!Es wird eine kleine Runde. Eine Stunde später sitzen wirauf unseren Stühlen im Flur unseres Unterkunftsgebäu-des und reinigen die Waffen. Übungsende.

Ich habe gelernt, was es heißt, Verantwortung zu tra-gen. Ich habe auch gelernt, was es heißt, militärischerFührer zu sein, alle Soldaten „mitzunehmen“ und da-mit das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Es macht

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Spaß, Verantwortung zu übernehmen und das tunwir jeden Tag in jeder Situation des Dienstes, wenn wirVorgesetzte sind. Gut, wenn wir uns in diesen Situ-ationen auch auf unsere unterstellten Soldaten ver-lassen können – unabdingbar dafür ist gegenseitigesVertrauen.

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Jeder an seinem Platz

Ein Soldat meines Zuges, eingesetzt als Systembedienerim Spähwagen FENNEK, beschwerte sich während derEinsatzvorausbildung öfters bei mir, wieso er ständigmit der Waffenanlage auf sechs Uhr, also nach hintengerichtet, fahren muss. Ich habe seine Worte noch im-mer im Ohr: „Darf ich ein Bild meiner Freundin auf derRückwand des FENNEK anbringen, da ich alle Siche-rungen, die sich hinter mir befinden, bereits auswendigkenne.“ Auch seine Kameraden nahmen ihn in dieserZeit bereits auf den Arm und fragten: „Na, bist du heutewieder nur rückwärts gefahren?“ Nach einiger Zeit mel-dete sich jener Soldat bei mir und fragte, ob er dadurchvon mir schikaniert werden solle. Ich verneinte dies undwies auf ein Zitat in einer Anweisung für Führung undEinsatz hin, welches lautet: „Der Führer muss bereits imFrieden durch Erziehung und einsatznahe Ausbildungdie seelischen und körperlichen Kräfte des Soldaten we-cken und festigen, um Grundlagen für die Kampfkraftder Gruppe zu schaffen.“ Ich versuchte, ihm auch mitmeinen eigenen Worten zu erklären, dass diese Maßnah-me keine Schikane sei, sondern einen ernsten Hinter-grund hat. Er nahm dies hin, meldete sich ab und fuhrden Rest der Vorausbildung in dieser Position.

Mit diesen Eindrücken aus der Vorausbildung verlegtenwir im Frühjahr nach Mazar-e-Sharif. Wir waren einge-setzt in der gemischten Aufklärungskompanie. Auch imEinsatzland fuhren wir in der geübten Zusammenset-zung auf Patrouille. Nach circa einem Monat im Einsatz

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fragte mein Kamerad wieder, ob er seine Sitzpositionnicht verändern kann, da er keinen Sinn darin sah. Er-neut machte ich ihm klar, dass nur in dieser Position derrückwärtige Bereich gesichert werden kann und einschneller Einsatz der Waffe möglich ist.

Anfang April änderte er seine Meinung und erkannteplötzlich den Sinn und die Wichtigkeit seines Auftrags.Kurz zuvor geriet der Spähtrupp, in dem der Soldat ein-gesetzt war, bei Nacht in Kunduz in einen Hinterhalt.Die FENNEK wurden mit Handfeuerwaffen und Pan-zerabwehrwaffen (RPG = Rocket Propelled Grenade)beschossen. Durch einen RPG-Treffer konnte der Späh-truppführer seine Waffe nicht mehr einsetzen. Einzigund allein das Alphafahrzeug war noch in der Lage, denFeuerkampf zu führen. Beide Besatzungen konnten den

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Hinterhalt durchstoßen und kehrten mit beschädigtenFahrzeugen in das Feldlager in Kunduz zurück. DerSchock saß bei allen beteiligten Soldaten tief. Bei deranschließenden Befragung wurde deutlich, dass durchdas automatisierte Handeln genau jenes Soldaten dasLeben der restlichen Besatzung gerettet wurde. Keinerstellte weiterhin dessen Auftrag als sinnlos dar, auchnicht der Kamerad, der uns die ganze Zeit nach hintengesichert hatte. Denn er war in der Lage gewesen,schnell in diese Richtung zu wirken.So erfüllten wir unseren Auftrag und kehrten alle im Ju-li nach Deutschland zurück.

Im Nachhinein erkannten wir alle, wie wichtig die ein-satzvorbereitende Ausbildung ist. Durch das ständigeWiederholen von Tätigkeiten handelt man in Krisen-situation wie von selbst. Mit dem Unerwarteten ist stetszu rechnen, Kampf ist oft gleichbedeutend mit Chaos.Um dieses Chaos zu vermeiden, muss jeder seinen Ar-beitsplatz blind beherrschen und seinen Kameradenvertrauen können.

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Welcome to NATO

Notizen aus dem Auslandseinsatz im „Multinational En-vironment“. Schon zu Zeiten des „Kalten Krieges“ wa-ren Englischkenntnisse von Vorteil, wollte man in sei-nem Verteidigungsraum am „Eisernen Vorhang“ zweck-mäßige Absprachen mit den dortigen Nachbarn einer an-deren Nation treffen. War der Nachbar eine amerikani-sche Einheit, war es vergleichsweise leicht, mit den Ver-bündeten ins Gespräch zu kommen, denn Amerikanersind in der Regel sehr kontaktfreudig und es ist sehr ein-fach, sich mit ihnen auf freundschaftliche Art und Weisezu verständigen, notfalls auch mit „Händen und Füßen“.Etwas schwieriger gestaltete sich dieses schon im Be-reich der Briten und erst recht im französischsprachigenTeil des Gefechtsstreifens.In den heutigen Einsätzen der Bundeswehr gibt es mitt-lerweile eine große Anzahl von Nationen, die bei vielenAnlässen zusammenarbeiten. Darüber hinaus dienen inder Bundeswehr heute auch Soldaten, die während ihrerSchul- und Dienstzeit nie eine englische Sprachausbil-dung hatten.Schauen wir uns deshalb einmal ein internationalesTruppenlager im Ausland etwas genauer an. Schon beider Ankunft auf dem Flughafen wird einem die Vielzahlverschiedener Nationen durch das bunte Uniformbilddeutlich. Die Einfahrt zum Lager sowie den Zutritt zumHQ (Headquarters = Hauptquartier) überwachen unga-rische Wachsoldaten. Bei der Einweisung ins Lager unddem folgenden „In-Processing“ werden schon die ers-ten Englischkenntnisse abverlangt. Hier gilt es umfang-

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reiche englischsprachige Fragebögen zu beantworten.Die Auswertung der Bögen übernimmt ein franzö-sischer Sergeant, aber erst nachdem ein amerikanischerGefreiter ein Foto für die „ID-Card“ (IdentificationCard = Ausweis) von dem Neuankömmling gemachthat.Ein buntes Gemisch aus 34 Nationen mit ihren verschie-denartigsten Uniformen und Sprachen bevölkert das La-ger. Unterkunft bezieht man in der Regel mit Soldatenanderer Nationalität zusammen in einem Container. Eskann also durchaus sein, dass man die Zeit mit einemGriechen, Spanier, Georgier, Bulgaren, Italiener oderBriten in einer Unterkunft verbringt. Hier sind einigekulturell bedingte Verhaltensweisen nur im kamerad-schaftlichen Gespräch in beiderseitigem Einverständniszu klären. Schon bei der Zuweisung der Unterkunft gibtes kleine Hürden mit dem unter französischer Aufsichtarbeitenden Einheimischen zu überwinden, kann man sodoch eventuell die Unterbringung mit einem bekanntenKameraden arrangieren.Die Einweisungen in den Lagerbetrieb, die Sicherheits-bestimmungen, die Arbeit der Stabsabteilungen und re-gionale Besonderheiten werden durch je einen Argenti-nier, einen Tschechen und einen Deutschen durchge-führt. Die zu Belehrenden sind in international durch-mischten Gruppen vertreten. Alle Vorträge werden inEnglisch gehalten. Um notwendige Dinge des täglichenDienstbetriebes zu beschaffen, sind überall Formulareauszufüllen. Ein freundlicher „Local“, wie die Einhei-mischen auch genannt werden, ist auch im „Warehouse“vertreten und versucht mit einem Gewirr aus Landes-

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sprache und Englisch zu erklären, was zur Zeit „not instock“, sprich „vergriffen“ ist.In den Stabsabteilungen versehen in der Regel mindes-tens zwei verschiedene Nationen zusammen ihrenDienst. Im Schichtbetrieb der Operationszentrale (OPZ)sind es schon über 20. Alle sitzen vor Bildschirmen, sindmit ihren „Task Forces“ verbunden und verfolgen dieeingehenden Meldungen. Hier wird besonders deutlich,dass eine klare Handlung nur erfolgen kann, wenn mandas Geschehene und Gemeldete auch versteht. Dies be-ginnt schon beim Absetzen der Meldung durch den Füh-rer des Checkpoints und setzt sich beim Bearbeiter inder OPZ fort. Der „Shift Director“, also der Schichtfüh-rer, ob Franzose, Deutscher, Tscheche oder Angehörigereiner anderen Nation, muss in der Lage sein, zweckmä-ßige Entschlüsse anhand des vorgelegten „Sitrep“ (Si-tuation Report) zu fassen und die Informationen im„Morning und Evening Update“ für den „Commander“zusammenzufügen. Gibt es hierbei Missverständnissedurch sprachliche Übermittlungsfehler oder falscheAusdrucksweise, kann es unter Umständen zu weit rei-chenden Konsequenzen im internationalen Bereichkommen.Selbstverständlich ist in einigen Abteilungen des HQ derErwerb einer „International Drivers License“ erforder-lich. Der schwedische Unteroffizier der „Trans-Coy“,der Fahrbereitschaft, führt die Ausbildung durch, dieselbstverständlich vorher bei dem dafür zuständigen Ru-mänen „requested“, also „angefordert“ wurde. Sobalddas „Maintenance-Team“, bestehend aus Amerikanern,Belgiern und Franzosen, ein Fahrzeug zur Verfügung ge-

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stellt hat, beginnt die Fahrschule mit Unterricht, schrift-lichen Unterlagen zum Verkehrs- und Pannenverhalteneinschließlich schriftlicher Prüfung und einer prakti-schen Fahrausbildung, sowohl im Lager als auch überLand. Hier ist es zweckmäßig, den Fahrauftrag auszu-füllen und den Anweisungen des Lehrers folgen zu kön-nen, denn Fehler werden bei nicht vorhandener Fahr-schulausstattung in der Regel sofort bestraft. Eine Be-kanntschaft mit der „International MP“ (Rumänen, Nie-derländern, Briten) und eine zeitintensive Bearbeitungsind die Folge. Dies gilt insbesondere auch für oft statt-findende Geschwindigkeitskontrollen (Laser Control).Benötige ich für die Fahrt eine Landkarte, wird diesevorher in der Kartenstelle bereitgestellt. Ein „request“an den bearbeitenden Tschechen mit entsprechender Er-läuterung der benötigten Karteninhalte und Formatebringt mich am vereinbarten Liefertermin rasch zu dengewünschten Materialien. Brauche ich weitere Auskünf-te, wird sich durchgefragt, vorbei an Wachen und Si-cherheitspersonal unterschiedlichster Herkunft, Bildungund Sprachkenntnisse. Eines wirkt auch hier stets ver-bindend: Mit Englisch komme ich in der Regel immerein Stückchen weiter, egal auf welchem Dienstpostenoder in welcher Umgebung ich eingesetzt werde.

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Improvisation ist alles

Es begann mit meiner Rückkehr vom Unteroffizierlehr-gang Teil 2 (UL 2). Nach drei Monaten in Koblenz kehr-te ich endlich an meinen Heimatstandort zurück. Ich warfroh, diese anstrengende Zeit hinter mich gebracht zuhaben.In der Zeit meiner Abwesenheit hatte sich viel getan.Die Menschen im Kosovo strebten nach Freiheit undUnabhängigkeit. Nach schweren Kämpfen und schwie-rigen Verhandlungen kam es schließlich zur UN Resolu-tion 1244. Diese Resolution machte es möglich, dassStreitkräfte der NATO im Rahmen einer friedenserzwin-genden Maßnahme in das Kosovo einmarschieren konn-ten. In der Bundeswehr hatten die Vorbereitungen zurAufstellung von Truppen für diese Mission begonnen.

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So geschah dies auch in meiner Stammeinheit. Es folg-ten erste Abfragen, wer sich bereit erklären würde, indiesen Einsatz zu gehen. Freiwilligenmeldungen gab esbei uns jedoch so gut wie keine. Ein Auslandseinsatzwar damals alles andere als normal oder gar Routine.Mein Spieß kam auch auf mich zu und fragte, wie ich zudieser Frage stehen würde. Zunächst war ich völligüberrascht, war ich doch gerade zwei Tage vom UL 2zurück und kaum ein Jahr Unteroffizier. Ein wenig über-rumpelt sagte ich zu, an diesem Einsatz teilnehmen zuwollen. Mein Spieß meldete mich daher als Freiwilli-gen. Und nur wenige Tage nach dieser Meldung wurdeich auch schon über die Versetzung in meinen Einsatz-verband informiert. Dieser befand sich ganz in der Nähemeines Standortes.Es folgten mehrere Monate der Vorbereitung, unzähligeÜbungen und Übungsplatzaufenthalte, die uns auf denEinsatz vorbereiten sollten. In dieser Zeit wurde aus ei-nem bunt zusammen gewürfelten Haufen Grenadierenund später auch Panzerleuten eine eingeschworene Ge-meinschaft.Im Juni 1999 war es dann endlich soweit. Nach einermehrwöchigen Bereitstellungs- und Wartephase imFeldlager Tetovo in Mazedonien marschierte ich alsTruppführer und Teil einer Schützenpanzer MARDER-Besatzung eingegliedert in eine verstärkte Panzerkom-panie in das Kosovo ein. Der Einmarsch war eine Phaseder Ungewissheit, aber auch der Neugier. Wir wusstennicht, was uns genau erwarten würde. Würde alles fried-lich verlaufen? Oder würde es gar zu Kämpfen kom-men? Wir waren auf alles gefasst. Die gelebte Kamerad-

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schaft quer durch alle Dienstgradgruppen gab uns Si-cherheit und Zuversicht. Doch zu unser aller Überra-schung verlief alles friedlich und so gut wie reibungslos.Nach vielen Stunden Fahrt durch imposante Landschaf-ten, vorbei an zerstörten Städten und Dörfern kamen wirendlich in Prizren an. Die Menschen bereiteten uns ei-nen begeisterten Empfang. Der Jubel der Menschen unddie Freude über die einrückenden KFOR-Truppen warengrenzenlos.Mit der Ankunft in Prizren erreichten wir auch unserengeplanten Verfügungsraum, eine ehemalige Fabrik fürTee und Arzneimittel, später bekannt als „die blaue Fa-brik“. Dies sollte also unser Lager für unbestimmte Zeitwerden. Das Gelände hatte in etwa die Größe von zweiFußballfeldern und bestand aus einer großen Fabrikhal-le, einem kleineren Nebengebäude und einem Wach-häuschen. Nach einer unruhigen ersten Nacht erkunde-ten wir tags darauf das Gelände. Toiletten? Duschcontai-ner? Feste Unterkünfte? Fehlanzeige. Nichts von alldem aus Deutschland gewohnten Komfort war zu fin-den! Und hier sollten wir vielleicht mehrere Wochenbleiben?Unsere Unterkunft war ab dem Eintreffen im Lager un-ter dem löchrigen Vordach einer im Freien liegenden La-derampe, auf der alte Feldbetten standen. Damit konntenwir aufgrund der sommerlichen Temperaturen ganz gutleben, nur dass dafür eine Unterkunftspauschale in glei-cher Höhe wie in Deutschland abzuführen war, sorgteim Nachklang des Einsatzes für Unmut. Erst Jahre spä-ter sollte ein Gerichtsurteil diesen Missstand endgültigbeheben.

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Für unsere Körperhygiene war das Einzige, was wir fan-den, ein Hydrant. In der Stadt funktionierte die Wasser-versorgung gar nicht, so dass wir über die geringenMengen Flüssigkeit, die der Hydrant preisgab, froh seinkonnten.Während der Brigadestab, der in einem ehemaligen Fir-mengelände mit dem Namen „Progress“ seinen neuenStandort gefunden hatte, bereits nach relativ kurzer ZeitDuschcontainer und Toiletten zur Verfügung hatte, stan-den wir somit plötzlich vor der ungewohnten Situation,eventuell mehrere Wochen unter stark eingeschränktenhygienischen Bedingungen leben zu müssen. Improvisa-tion war also gefordert, denn eine schnelle Abhilfe fürunser Problem war auf unbestimmte Zeit nicht zu erwar-ten. Man merkte, dass wir, also die Bundeswehr, nichtsofort auf alle Fragen dieses Einsatzes vorbereitet war.Unser Zugführer hatte uns Gruppenführern den Auftraggegeben, Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem zufinden. Nun lag es also an uns und unseren Fähigkeitenzur Improvisation, uns die Lebenssituation so angenehmwie möglich zu machen.Wir riefen zunächst alle Soldaten zusammen, um Ideenzu sammeln. Irgendwie mussten wir es schaffen, Toilet-ten und eine Waschmöglichkeit für eine ganze Kompa-nie zu organisieren. Nun waren alle gefragt, Ideen zu äu-ßern.Die erste Idee, die einer der Soldaten äußerte, war schonbewährt in Großvaters Zeiten: Der Bau eines „Donner-balkens“. Zunächst mit Ablehnung bedacht, war er je-doch eine vorläufige Lösung des Toilettenproblems. DieKompanieführung hatte zwar die Aufstellung einiger

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mobiler Toilettenhäuschen beantragt, jedoch war bis aufWeiteres keine Aussage zu bekommen, ob und wanndiese eintreffen würden. Tatsächlich sollte es letzten En-des einige Wochen dauern, bis sich an dieser Situationetwas ändern würde. Das Provisorium war kaum fertiggestellt, da begannen einige Soldaten, ein Toilettenhäus-chen aus Blechwänden und herumliegenden Holzbalkenzu bauen. Sogar ein Vorhang fand sich noch in der gro-ßen Fabrikhalle. Wir hatten also unser Toilettenproblemmit einfachsten Mitteln und ein wenig Kreativitätschnell gelöst.Eine einfache Waschgelegenheit hatten wir in Form desHydranten, auch wenn der über den Tag verteilt mehr-fach den „Geist“ aufgab und einfach kein Wasser he-rauskam.Mit den ersten Ideen wuchs die Kreativität unserer Sol-daten immer mehr. Dies lag wohl auch daran, dass in un-serem bunten Haufen alle möglichen Berufe vertretenwaren. Einer der Soldaten, ein Hauptgefreiter, war Hei-zungsinstallateur. Er äußerte die Idee, eine funktionie-rende Dusche mit warmem Wasser bauen zu wollen. Füruns wäre dies in unserer Situation ein absoluter Luxusgewesen. Nach stundenlangen Patrouillenfahrten undCheckpoints eine heiße Dusche genießen zu können,wünschten sich alle. Alles, was er zum Bau benötigenwürde, wäre ein Aktenschrank, ein demontierter Heiz-körper, ein paar Schläuche und eine Feuerstelle. Er hat-te vor, einen improvisierten Durchlauferhitzer zu bauen.Auf diese Idee war bisher noch keiner von uns gekom-men. Er verteilte also Aufträge, und die Soldaten began-nen unter seiner Anleitung zu werkeln. Nach nicht ganz

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drei Stunden hatten er und seine Gehilfen aus herumlie-genden Blechwänden, einem alten Heizkörper und ei-nem Aktenschrank eine Duschkabine gebaut. Als Was-serquelle diente unser Hydrant. Der Heizkörper wurdean den Hydranten angeschlossen und mit einem Zulaufund einem Ablauf versehen. Dieser wurde nun in denliegenden Aktenschrank gelegt und darunter ein Feuermittels Holz und den reichlich vorhandenen Dieselvor-räten entfacht. Kaum war das Werk fertig gestellt, sollteder „Erfinder“ der Erste sein, der sein eigenes Werk tes-ten durfte. Wir machten also Feuer und drehten denHydranten auf. Und – es war kaum zu glauben – nach ei-ner knappen Minute stiegen heiße Dampfschwaden ausder „Duschkabine“. Es funktionierte also! Damit hatteer einen in unserer Lage hochgeschätzten Luxus ge-schaffen. Alle waren restlos begeistert und voll des Lo-bes für seine Idee. Erst mehrere Wochen später bekamenwir in unserem Lager ein Duschzelt der ABC-Truppemit warmem Wasser aufgestellt. Dennoch wurde unsere„Eigenkreation“ weiter fleißig genutzt. Die Soldatenwaren stolz auf ihre eigene Idee.

Die geschilderte Antwort auf die simple Frage der Hy-giene war nur eines von vielen Beispielen für die gro-ße Kreativität und das Improvisationsvermögen, wel-ches sich in diesem Einsatz zeigte und nötig war, umdie eingeschränkten Lebensumstände nach Kräften zuverbessern. Noch an vielen anderen Stellen zeigte sich,wie es unter Einbeziehung seiner Untergebenen undNutzung ihrer Kenntnisse zu schaffen ist, Dinge zu ver-bessern, Situationen zu bewältigen und sowohl kleine

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als auch große Probleme zu lösen. Dieser Auslandsein-satz war mein erster und ich lernte, was wirkliche Ka-meradschaft bedeutet. Ich erlebte eine dienstgrad- undtruppengattungsübergreifende Kameradschaft, die ichim täglichen Dienst gelegentlich vermisse.In jedem Soldaten stecken sichtbare, manchmal aberauch verborgene Potenziale. Die Aufgabe eines Vorge-setzten und damit auch eines jeden Unteroffiziers musses sein, zuzuhören, zu beobachten und die Fähigkeitenseiner Soldaten zum Nutzen aller zu fördern. Denn nurso, im Zusammenspiel von Vorgesetztem und Unterge-benen, kann Kameradschaft wirklich funktionieren.

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Und die Erinnerung bleibt

Zwei Wochen zuvor saß ich mit meinem Oberfeldwebel-Kameraden noch am Feldhaus im Camp Warehouse. Ichfreute mich, meinen alten Kameraden, mit dem ich da-mals zusammen eingezogen wurde, endlich einmal wie-der zu sehen. Er war von Kunduz nach Kabul gekom-men, weil er Probleme mit seinen Zähnen hatte.Wie es bei alten Kameraden üblich ist, redeten wir vielüber vergangene Tage, die wir zusammen gedient hat-ten. Wir freuten uns beide schon auf das Wiedersehenmit unseren Familien, denn in sechs Wochen sollte derEinsatz beendet sein! Später verabschiedeten wir unsmit den Worten „Wir sehen uns in Deutschland“. AmTag darauf flog er wieder nach Kunduz.Nun, vier Wochen vor Einsatzende, sitze ich mit den an-deren Portepée-Unteroffizieren meiner Kompanie in ei-nem Zelt. Unser Chef gibt die Namen zweier Soldatenbekannt, die am Tag zuvor durch eine Explosion naheKunduz ihr Leben verloren hatten. Ich und mehrere an-dere Kameraden hofften, dass keiner unserer Bekanntendabei wäre, denn in der Einsatzkompanie Kunduz kann-ten wir fast alle Dienstgrade durch vorherige Einsätze.Aber es kommt immer anders, als man denkt. Der Namemeines „alten“ Kameraden wurde genannt. Der Namedes Kameraden, mit dem ich so viele Jahre zusammengedient hatte. Ich vermag nicht, die Leere, die ich in die-sem Moment empfand, in Worte zu fassen. Am Tag da-rauf erhielt unsere Kompanie den Auftrag, das Ehrenge-leit für die Überführung der Särge nach Deutschland zustellen. Am nächsten Morgen sammelten sich die Sarg-

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träger, darunter auch ich, an einem Kühlcontainer nebendem Feldlazarett. Wir nahmen die Särge unserer gefalle-nen Kameraden auf und trugen sie langsamen Schritteszum Ehrenmal im Camp Warehouse. Unser Generalsprach Worte des Abschieds, von denen ich nicht mal dieHälfte mitbekam.Meine Gedanken waren acht Jahre entfernt in der Ver-gangenheit, bei zwei jungen Panzergrenadieren, die zu-sammen morgens um vier Uhr im Alarmposten lagenund auf ihre Ablösung warteten. Jetzt lag der Eine imSarg und der Andere stand im „Hab Acht“ daneben. DasLied vom guten Kameraden, das ein Trompeter blies,bildete den Abschluss der Zeremonie am Ehrenmal.

Dieses Lied hat sich an diesem Tag für immer in meinGedächtnis gebrannt und ich verbinde es seit jenem Tagmit dem Tod meines Kameraden. Nachdem die Zeremo-nie beendet war, wurden die Särge zum Flughafen ge-fahren. Im gesamten Feldlager standen Hunderte Deut-sche, aber auch viele Soldaten anderer Nationen Spalier,um den Toten die letzte Ehre zu erweisen.Am Flughafen in Kabul angekommen, trugen wir dieSärge durch das Ehrenspalier unserer Kompanie undstellten sie vorsichtig in der TRANSALL ab. Nun warfür mich die Zeit gekommen, mich von meinem totenKameraden zu verabschieden. Ich legte meine Hand aufden Sarg, schloss die Augen und trauerte kurz für michallein. Danach trat ich ins Ehrenspalier ein, hob meineHand zum Gruß und beobachtete wie das Flugzeug mei-nen Kameraden nach Deutschland brachte.

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Auch wenn das Leben nach einem Einschnitt wie demTode eines uns Nahestehenden weiter gehen muss,werden wir die Erinnerung an unsere gefallenen Kame-raden niemals verblassen lassen. Dazu gehört nebendem formalen Abschiednehmen auch die Möglichkeitdes individuellen Trauerns sowie Orte, an denen wirunserer Kameraden in Würde gedenken können. Soehren wir sie.

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Hubschrauberinstandsetzung im Einsatz

Was für einen Tag hatten wir heute? Montag, Dienstagoder doch schon Mittwoch? Es kreiste der Witz, dass je-der Tag wie Montag ist, außer Mittwoch, der ist wieFreitag.Egal, der Wecker klingelte und ich wühlte mich aus demBett. Vier Uhr! Seit zwei Wochen stand ich nun schonim Training für meinen ersten Marathon, den ich nachmeiner Rückkehr laufen wollte. Und da es um acht Uhrschon zu warm war, musste ich mein Training auf diefrühen Morgenstunden schieben.

Ich bin Oberstabsfeldwebel und Nachprüfer für einenelektronischen Bereich des mittleren Transporthub-schraubers (MTH) CH-53. Eine abwechselungsreicheTätigkeit, Gott sei Dank nicht nur am Schreibtisch. DieAuseinandersetzung mit der Technik und die Zusam-menarbeit mit Menschen reizen mich. Hier in der Prüf-gruppe, der ich jetzt schon über 13 Jahre angehöre, habeich das fast perfekte Zusammenspiel gefunden. Und ei-nen Marathon vor meinem 50. Geburtstag wollte ichauch noch laufen, und dafür hatte ich nur noch wenigeMonate Zeit!Die heutigen zehn Kilometer waren schnell erledigt undso stand ich dann frisch geduscht im Küchengebäude,um mein Frühstück einzunehmen. Meine Kameradender Prüfgruppe saßen auch noch da und so fuhren wirnach dem Essen hoch zur Halle und nahmen unserenDienstbetrieb auf. Die Prüfgruppe, bestehend aus fünfSoldaten, alle Feldwebeldienstgrade, führt an Luftfahr-

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zeugen in ihrer Fachrichtung Nachprüfungen zur Fest-stellung der Verkehrssicherheit und Luftfahrttauglich-keit durch. Es schien ein ruhiger Tag zu werden. DieMaschinen vom Typ CH-53 waren schon unterwegs undes befand sich nur noch die MedEvac-Rotte (MedicalEvacuation = Rettungsdienst) in der Halle. Sie steht24 Stunden am Tag bereit, um Patienten im Bereich desgesamten RC (Regional Command) North notfallmedi-zinisch zu versorgen. Ein weiterer Auftrag ist es, medi-zinisch vorversorgte Patienten, zum Beispiel aus denPRT’s (Provincial Reconstruction Team) wie Kunduzoder Feyzabad, in die Klinik nach Mazar-e-Sharif zurWeiterversorgung zu bringen.Wir stellten uns also auf einen ruhigen Tag ein und be-schlossen, unser Büro mal wieder zu „entsanden“. Dergestrige Sandsturm war heftig und hatte auch in unse-rem Bürocontainer seine Spuren hinterlassen.Mit der Ruhe war es allerdings bald vorbei, denn eineMedEvac-Alarmierung zog all unsere Aufmerksamkeitauf sich. Im Normalfall sollen die Maschinen 30 Minu-ten nach Alarmierung in der Luft sein, und diese Vorga-be galt es einzuhalten. Beim ersten Anlassen des Hub-schraubers (Vorflugcheck) stellte der verantwortlicheBordwart allerdings fest, dass sich der künstliche Hori-zont nicht aufrichtete.Uns Technikern war sofort klar, dass sich die angestreb-ten 30 Minuten nun nicht mehr einhalten ließen. Ande-rerseits lagen da draußen aber auch Kameraden, dieschlimmstenfalls um ihr Überleben kämpften. Es standja nun nicht nur die Fehlersuche, Reparatur und eineÜberprüfung am Boden an, es musste auch noch ein

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Nachprüfflug durchgeführt werden. Der Zufall wollte esallerdings, dass ich als zuständiger Fachprüfer die Feh-lermeldung direkt über Funk mithören konnte, da ichmich zu diesem Zeitpunkt in der Einsatzsteuerung auf-hielt. Der Weg zu den Mechanikern war nicht weit undnach meiner langjährigen Erfahrung konnte ich die Feh-lerquelle eindeutig identifizieren. Zu allem Glück be-fand sich das benötigte Ersatzteil auch noch im Werk-stattcontainer und so waren wir, der Mechanikerhaupt-feldwebel und ich, nach kürzester Zeit im Hubschrauber.Der Teilewechsel dauerte nur wenige Minuten und deranschließende Bodenlauf verlief ohne Beanstandungen.Jetzt musste nur noch der Nachprüfflug durchgeführtwerden und auch jetzt stand uns das Glück wieder zurSeite. Der für diesen Einsatz eingeteilte Bereitschafts-pilot besaß die Berechtigung, Nachprüfflüge durch-zuführen. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte dieBesatzung wechseln müssen und somit wäre weiterewertvolle Zeit verstrichen. So aber konnten wir ohneVerzögerung abheben und den geforderten Prüfflugdurchführen.Mit dem Teilewechsel hatten wir den richtigen „Rie-cher“ bewiesen und der Einsatz konnte mit nur minima-ler Verzögerung durchgeführt werden.Nach circa 90 Minuten kehrte die MedEvac-Rotte zu-rück und zwei schwerstverletzte Soldaten konnten zurintensiven Behandlung ins Krankenhaus eingeliefertwerden.Dieser Tag zeigte uns wieder einmal auf, wie sehr in un-serem ISAF-Einsatz Teamgeist gefordert wird. Das Zu-sammenspiel aller Bereiche wie Nachschub, Einsatz-

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steuerung, Prüfgruppe und Wartungszug, die allesamtdurch Feldwebeldienstgrade geführt werden, muss funk-tionieren, damit überhaupt ein Hubschrauber abhebenkann. Ich habe festgestellt, dass gerade die Feldwebel-dienstgrade mit hohem Engagement und großer Profes-sionalität ihre Aufgaben wahrgenommen haben und per-sönliche Belange und Befindlichkeiten konsequent zu-rückgestellt haben. Die Zusammenarbeit war geprägtvon einem Miteinander, der gegenseitigen Unterstüt-zung in der täglichen Arbeit und einem gesunden Leis-tungswillen.

Jetzt sitze ich wieder an meinem Schreibtisch, schreibediese Zeilen und denke an diesen Tag zurück. Was ausden beiden Kameraden geworden ist, weiß ich nicht.Was ich aber weiß ist, dass all meine Kameraden, undnicht nur die der Dienstgradgruppe der Feldwebel, allihre gesamte Kraft in ihre Arbeit gelegt sowie Gefahren,Entbehrungen und Trennung von der Familie in Kaufgenommen haben, um unseren Auftrag in Afghanistandurchzuführen.Für unsere Prüfgruppe heißt es aber auch: Nach demEinsatz ist vor dem Einsatz.Und so werde ich schon bald wieder meine Sachen pa-cken und in den nächsten Einsatz gehen. Dieses Mal al-lerdings ohne Marathontraining. Den habe ich gut über-standen, genau wie diesen Einsatz.

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Tactics, Techniques and Procedures –der Running Pass

Im September wurde auf den Eingangsbereich desKMTC (Kabul Military Training Center) an der RouteVIOLET, Kreuzung PEGASUS ein VBIED-Anschlag(Vehicle Born Improviced Explosive Device) mit einempräparierten Motorrad durchgeführt. Die ausgelöste Ex-plosion durch den Selbstmordattentäter setzte drei Bus-se in Brand, forderte sechs Tote und 25 größtenteilsschwer verletzte Soldaten der Afghanischen National-armee (ANA).Vier Tage vorher erhielt mein Zug, verstärkt durch Teileder gemischten Aufklärungskompanie, den Auftrag, dieAbsicherung eines Hilfsprojektes für eine Schule imRaum Khak-e-Jabbar circa 40 Kilometer südostwärtsvon Kabul zu übernehmen. Die für das Hilfsprojekt vor-gesehene Truppe war aus dem gesamten Bereich derKontingenteinheiten zusammengestellt. Es gehörten so-mit auch Soldaten dazu, die normalerweise das Feld-lager nicht verlassen. Eine vorausgehende gemeinsameAuftragserfüllung hatte es nicht gegeben, viele der Sol-daten kannten sich nicht.Die Marschkolonne, die es zu führen galt, bestand ausdreizehn Fahrzeugen, darunter auch ungepanzerte Fahr-zeuge wie Transportfahrzeuge und Pioniergerät. Auf-grund der zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Sicher-heitslage im Einsatzgebiet Kabul und vorhergehenderAnschlagswarnungen galt die Lage als „nicht ruhig undnicht stabil“. Somit musste jederzeit mit Anschlägenoder Hinterhaltsituationen gerechnet werden.

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Unter diesen Voraussetzungen übernahm ich mit meinenSicherungskräften die Verantwortung für circa 45 Solda-ten für die folgenden drei Tage und Nächte. Für die Be-fehlsausgabe für den Hinmarsch plante ich eine Vorlauf-zeit von einer Stunde ein. Diese Zeit wurde benötigt, daes sich nicht um ein eingespieltes Team handelte. Ichwollte nichts dem Zufall überlassen und mich auch überden Ausbildungsstand dieser Kräfte informieren. ImRahmen dieser umfangreich gestalteten Befehlsausgabewurde auf alle denkbaren Notsituationen, die uns wäh-rend dieses Auftrages treffen könnten, eingegangen undbesprochen.Ich stellte fest, dass Ausbildungsmängel bestanden, diedie grundsätzlich gültigen Einsatzverfahren betrafen. Esbestanden Mängel bezüglich taktischer Fahrweisenwährend des Marsches, Verhalten bei Hinterhalt durchFeindeinwirkung, Verhalten bei einem IED-Anschlagoder einfach nur der Gebrauch und die Anwendung derverschiedenen befohlenen internationalen Codes undNotverfahren (Running Pass, Code of the Week und soweiter). Bei der Bekanntgabe der gültigen ISAF-Codesbekam ich von der Masse der teilnehmenden Kräfte zurAntwort: „Was ist denn das eigentlich und wie funktio-nieren denn diese Codes in der Anwendung?“ Nach be-reits dreimonatigem Einsatz der Soldaten war es mir un-verständlich, dass diese darüber keine Kenntnis hatten.Ich erklärte den Betroffenen die gültigen Einsatzverfah-ren. Nach gut einer Stunde begann der Marsch, der prob-lemlos verlief. Wir erreichten ohne Ausfälle unserMarschziel.

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Die dreitägige Auftragserfüllung an dem Hilfsprojekt„Schule“ war für alle beteiligten Soldaten, für die Kräf-te in der örtlichen Sicherung und auch für die Kamera-den, die jeden Tag bis in die Nacht bei sengender Hitzegeschuftet hatten, eine besondere Kraftanstrengung. Je-der war froh, endlich wieder ins Feldlager zurückzukeh-ren.Gegen Mittag des dritten und letzten Tages an der Schu-le wurden die Marschvorbereitungen für die Rückverle-gung ins Feldlager getroffen. Ich beobachtete, dass dieAufbruchstimmung bei einigen Soldaten zu beinahe„euphorischen“ Verhaltensweisen führte.Nach Rücksprache mit meinem Stellvertreter entschlos-sen wir uns, ausreichend Zeit für eine ausführliche Pla-nung und Befehlsausgabe für den Rückmarsch zu neh-men. Diese Maßnahme wurde nicht von allen Soldatenals notwendig wahrgenommen. Für uns war es aber äu-ßerst wichtig, die zusammengestellte Einheit ohne Zwi-schenfälle ins Feldlager zurückzuführen. Die Befehls-ausgabe führte mein Stellvertreter, gleichzeitig FührerHauptkräfte, in einem Zeitraum von 45 Minuten durch,um noch einmal das Verhalten in bestimmten Gefahren-situationen anzusprechen. Direkt im Anschluss begannder Rückmarsch.Ich selbst fuhr mit meinem DINGO als Spitzengruppecirca einen Kilometer vor den Hauptkräften, um zum ei-nen Aufklärung voraus und zum anderen ein zügiges,möglichst geschlossenes Passieren von Kreuzungen undEngstellen zu gewährleisten. Kurz vor dem Erreichender Kreuzung der Route PEGASUS/VIOLET (1.500Meter bis Camp Warehouse) war ein hohes Verkehrsauf-

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kommen festzustellen. Ich informierte über Funk dieHauptkräfte über die Verkehrslage und sperrte die Zu-fahrt mit der Absicht, trotz des hohen Verkehrsaufkom-mens mit allen Teilen in einem Zuge geschlossen insFeldlager einzufließen. Ich nahm eher unbewusst wahr,dass sich eine große Anzahl von Bussen und Soldatender ANA (Afghanistan National Army) im Bereich derEinfahrt des KMTC befanden.Als ich mit meinem Fahrzeug vor dem ersten Siche-rungsposten unseres Camps stand und begann, mein MGzu entladen, passierte es: Es gab eine gewaltige Explosi-on und eine damit verbundene aufsteigende riesigedunkle schwarze Rauchentwicklung aus dem Bereichder Einfahrt zur KMTC. Mein erster Gedanke galt deneigenen Kräften, die sich noch im Bereich der Einfahrtzum KMTC befanden. Als ich zum Handapparat griff,um eine Lagemeldung abzufordern, meldete sich meinletztes Fahrzeug: „Entfernung 200, Explosion bei Ein-fahrt KMTC. Keine Ausfälle, alle Teile dran.“Ich traf den Entschluss, durch Ausruf des Running PassCodewortes sofort mit allen Kräften in einem Zuge inseigene Feldlager durchzustoßen, um einer möglichenBedrohung durch einen weiteren Anschlag zu entgehen.Nach Ankunft im Feldlager überzeugte ich mich sofortpersönlich bei allen Fahrzeugbesatzungen von derenUnversehrtheit und überprüfte Zustand und Vollzählig-keit des Materials. Wir waren alle heilfroh, dass keinerin dieser Situation zu Schaden gekommen war.

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Das Verfahren „Running Pass“ beinhaltet ein vorher be-stimmtes Codewort, das es mit Ausruf ermöglicht, ohnevorhergehende Kontrolle in einen durch eigene Kräftegesicherten Raum einzufließen. Dieses Verfahren kannAnwendung finden, um bei einer bereits vorhandenenoder unmittelbar bevorstehenden Bedrohung auszuwei-chen, indem man sich verzugslos, zum Beispiel in denSchutz eines Feldlagers, begibt.

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Team HOTEL

Im kalten Winter zu Beginn des Jahres 1999 bekam un-ser Instandsetzungsbataillon den Auftrag, das Instand-setzungspersonal und das Material für den ersten Koso-vo-Einsatz zu stellen.Für mich war dies der Beginn eines aufregenden Jahres.Ich war junger Feldwebel und Teileinheitsführer im In-standsetzungszug für Fernmeldegerät. Aber es sollte al-les anders kommen als gedacht. Da wir alle noch in„Feldanzug oliv“ gekleidet waren, mussten wir soschnell wie möglich komplett mit „Flecktarn“ ausgerüs-tet werden. Gleichzeitig wurde unsere Kompanie inAlarmbereitschaft versetzt und unser Zugführerdienst-zimmer zum Zuggefechtsstand umfunktioniert.Jetzt waren wir damit beschäftigt, fast sämtliches Mate-rial für die Verlegung in das Kosovo einsatzbereit vorzu-bereiten. Bis auf ein paar Werkzeugsätze und Prüfgerä-te, zur Aufrechterhaltung der Friedensinstandsetzungam Standort, sollte alles mit.Da die Länge des ersten Kosovo-Einsatzes noch nichtabzusehen war, durfte nur mit, wer bis Ablauf des Jah-res keinen Laufbahnlehrgang haben sollte – das war das„Aus“ für mich. Für mich war ab November die Fortbil-dungsstufe A, Meister Elektrotechnik, vorgesehen.Die anfängliche Trauer wich schnell der Freude, dennich sollte während der Abwesenheit meiner Kameradenden Instandsetzungszug für Fernmeldegerät führen.Im ersten Quartal verlegte dann unsere Kompanie undich war Führer von einigen jungen Unteroffizieren, vierZivilangestellten und etlichen Mannschaften. Am Ende

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wurden es ganze sechs Monate, welche die „besten“meiner Dienstzeit waren.Jetzt konnte ich meine Instandsetzungsqualität mit Füh-rungsfähigkeit verbinden. Zu dieser Zeit war das In-standsetzungsaufkommen natürlich gering. Die Feldjä-ger mit dem Fernmeldematerial auf ihren Einsatzwagenblieben uns treu, jedoch war das Arbeitsaufkommen ins-gesamt leider nicht zufrieden stellend. Die TechnischeEinsatzführung war auch nicht in der Lage, uns mit ent-sprechenden Instandsetzungsaufträgen zu versorgen.Wie durch einen Zufall erfuhr ich, dass der Instandset-zungszug für Fernmeldegerät der Instandsetzungskom-panie in Boostedt ebenfalls im Einsatz war und dort cir-ca 80 Funkgeräte auf die Instandsetzung warteten. DasTelefon war schnell gefunden und einige Tage späterschrieb ich den „ersten“ von 80 Arbeitsaufträgen, dieuns für mehrere Wochen zurück auf den „Arbeitsmarkt“brachten.

Während dieser Zeit musste ich nebenbei die jungenUnteroffiziere führen und in unsere Kompanie integrie-ren. Für die jungen Menschen, die plötzlich Soldatenwaren und in meinen Zug ihren Dienst leisteten, warich eine sehr wichtige Bezugsperson. Ich stellte am En-de fest, dass ich nach diesen sechs Monaten erst begrif-fen habe, dass es richtig war, mich für die Bundeswehrzu entscheiden. Nur hier kann man junge Menschenführen, ausbilden, motivieren und ihnen ein Stück weitLebenserfahrung für ihren weiteren Lebensweg mit-geben.

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Ein Tag auf der Konstanzbahn

„Keine Chance! Da geh ich nicht rüber! Das schaffe ichnicht!“ Die junge Soldatin im Rang eines Unteroffiziersstand vor einer ihrer Meinung nach unlösbaren Aufgabe.Es galt, einen Seilsteg zwischen zwei stählernen Kletter-türmen in zwölf Metern Höhe im Kommandokraul zuüberwinden. Eine Situation, mit der sie sich in ihrem Le-ben bisher genauso wenig auseinandersetzen musste,wie die restlichen jungen Unteroffiziere, die auf derTreppe des Kletterturms mit bangem Gesichtsausdruckund teilweise etwas blass darauf warteten, dass sie ander Reihe waren. „Na kommen Sie! Das ist reine Kopf-sache, Frau Unteroffizier. Sie können das schaffen, ichhelfe ihnen dabei. Schritt für Schritt. Eigentlich ist esganz einfach; und Sie werden sehen, ist der Anfang ersteinmal gemacht, geht der Rest wie von selbst. Es giltnur, sich selbst zu überwinden“, sprach ich ihr Mut zu.Noch einmal atmete sie tief durch, fasste sich ein Herzund begann, zunächst noch etwas wackelig, dann jedochzunehmend sicherer, sich vorwärts zu arbeiten. Bald warsie auf der anderen Seite angelangt, wo sie von einemSicherheitsgehilfen in Empfang genommen wurde. Einzufriedenes Lächeln und auch ein bisschen Stolz glaub-te ich in ihrem Gesicht zu erkennen. Sie hatte es ge-schafft, den inneren „Schweinehund“ zu überwindenund Schneid bewiesen.Wir hatten im Rahmen eines Truppenübungsplatzauf-enthaltes unseres Bataillons auf dem nahe gelegenenTruppenübungsplatz Wildflecken den Abstecher zurKonstanzbahn in Hammelburg als besonderes Ereignis

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für das Unteroffizierkorps unserer 1. Kompanie mit vielElan geplant und ausgiebig vorbereitet.

Niemand wurde von uns Ausbildern an diesem Tag ge-zwungen, alle Abschnitte der Konstanzbahn zu überwin-den. Jeder konnte selbst entscheiden, wo seine Grenzenlagen und was er sich zutraute. Dennoch waren wir Aus-bilder am späten Nachmittag, als wir unsere Unteroffi-ziere über die verschiedenen Stationen der Bahn geführthatten, stolz darauf, wie viele unserer Soldaten letztend-lich den Willen bewiesen hatten, die physischen undpsychischen Belastungen der Konstanzbahn zu bewälti-gen. Fast alle unsere Unteroffiziere hatten auch das letz-

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te Hindernis überwunden und trotz der zahlreichenvorherigen „Niemals!“-Rufe war kaum einer zurück-geblieben.

So war es auch für uns Ausbilder ein gelungener Tagund mit einiger Freude konnte auch der Kompaniechef,der es sich selbst nicht hatte nehmen lassen, alle Hinder-nisse zu durchlaufen, feststellen, dass die Kompanienicht nur im Zusammenhalt gewachsen war, sondernauch jeder Einzelne an diesem Tag eigene Grenzen aus-gelotet und den Mut bewiesen hatte, auch ungewohntephysische und psychische Belastungen zu ertragen.

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Vermisst

Es war eine ruhige, wolkenlose Nacht. Der Zug führteim Rahmen der allgemeinen Grundausbildung ein Aus-bildungsbiwak durch. Es war der zweite Tag. Der Zug-führer befahl bei der Befehlsausgabe gegen 23:00 Uhrden Feuerkampf aus den Stellungen.Die Gruppenführer wurden im Vorfeld durch den Zug-führer eingewiesen und gingen zu ihren Gruppen. Nacheiner gewissen Zeit ging der Gruppenführer zum Alarm-posten und wies diesen soweit ein, dass er in 30 Minu-ten einen Alarm auslösen sollte. Ein Teil der Soldatensaß an der Feuerstelle, während ein anderer Teil denPlatz der Gruppe sicherte. Plötzlich ertönte durch denAlarmposten der Ruf: „Alarm!“ und die Soldaten flos-sen in die Stellungen ein. Voller Motivation stürmte derGruppenführer als dritter Mann nach vorne. In den Stel-lungen liegend, befahl er seinen Soldaten: „Durchzäh-len!“ Dabei stellte er fest, dass ein Soldat fehlte und dieanderen Soldaten falsch in ihren Stellungen lagen. Linksvom Gruppenführer lagen sieben Soldaten, rechts vonihm drei. Völlig verzweifelt versuchte er dennoch, dasBeste aus der Situation zu machen und entschloss sichden Feuerkampf zu führen.Nach dem erfolgreich geführten Feuerkampf gingen dieSoldaten zurück zum Platz der Gruppe und der Grup-penführer befragte die Männer nach dem fehlenden Sol-daten. Der Gruppenführer teilte seine Gruppe auf, umden Platz der Gruppe zu kontrollieren und nach demfehlenden Soldaten zu suchen. Nach erfolgloser Suchemeldete der Gruppenführer nun dem Zugführer, dass

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ihm ein Soldat verloren gegangen und dieser trotz Suchenicht auffindbar sei. Der Zugführer, zunächst verwun-dert, dann schon etwas ungehalten, da er sich so etwasnicht erklären konnte, befahl dem Gruppenführer, solange zu suchen, bis der Soldat gefunden wäre. DerGruppenführer meldete sich beim Zugführer ab, ging zuseinen Soldaten und ordnete die erneute Suche nachdem vermissten Soldaten an. Nach circa 90 Minuten in-tensiver Suche war der Soldat immer noch nicht auffind-bar. Völlig verzweifelt machte sich der Gruppenführeralle möglichen Gedanken und konnte einfach nicht ver-stehen, wo dieser Soldat abgeblieben war. Er entschiedsich nun, nochmals selbst nach dem vermissten Soldatenzu suchen. Er suchte nun als erstes im Lager die Zelte abund siehe da: Der Vermisste wurde in aller Seelenruheschlafend in seinem Schlafsack aufgefunden.Wie der Zugführer reagiert hat, nachdem der Gruppen-führer ihm dies gemeldet hatte, ist leider nicht bekannt.

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Ausbildung im Einsatz für den Einsatz

Unser Gebirgsjägerzug bestand überwiegend aus ein-satzerfahrenen Soldaten, die bereits beim Einmarsch indas Kosovo beteiligt waren. Er gliederte sich in zweiGruppen und einen Zugtrupp, welcher ebenfalls Grup-penstärke hatte. Der Zugführer war Leutnant. Wir Grup-penführer waren Feldwebel und unsere Stellvertreterwaren Stabsunteroffiziere. Unser Zug verlegte geschlos-sen im November 2001 in das Kosovo.Da wir bereits einen Einsatz im Kosovo hinter uns hat-ten, waren wir sehr gespannt, was sich seit dieser Zeitverändert hatte. Unseren ersten Eindruck gewannen wirbei der Verlegung vom Flughafen zum Feldlager Priz-ren. Man sah entlang der Straße, dass hier einige Minen-felder gekennzeichnet waren. Der Ausbau der einzelnenHäuser in den Ortschaften hatte begonnen, aber im Gro-ßen und Ganzen waren die Ortschaften und Straßennoch so, wie wir sie im Gedächtnis hatten. Im Feldlagerangekommen, erkannten wir den großen Baufortschrittim Lager. Die Unterkünfte waren zum großen Teil Fer-tighäuser. Allerdings war der Aufenthalt im FeldlagerPrizren nur von kurzer Dauer. Wir marschierten noch amgleichen Tag weiter zum Feldlager Morina, für das wirbereits zwei Jahre zuvor die Erkundung durchgeführthatten.Am nächsten Tag kamen wir direkt zur Einteilung fürdie einzelnen Aufträge. Die Aufträge beinhalteten La-gersicherung, das Betreiben des Beobachtungspunktes„Adler“, des Außenposten „Falke“ und Patrouillen imRaum. Da wir der erste Zug unserer Kompanie im Lager

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Morina waren, mussten wir diese Aufträge in den erstenTagen mit unseren Kräften allein sicherstellen. Das be-deutete: Eine Gruppe Lagersicherung, eine Gruppe Au-ßenposten „Falke“ und eine Gruppe Beobachtungspunkt„Adler“.Unser Zugführer begleitete unsere Vorgänger auf Pa-trouille und wurde in den Raum eingewiesen. Wir Grup-penführer ließen uns in unseren Bereichen einweisen.Als die Kompanie vollzählig im Lager war, gingen wirin den Schichtbetrieb über. Das bedeutete für die Kräfte,die nicht in Aufträgen gebunden waren, den weiterenAusbau des Lagers. Der Schwerpunkt war hier die Si-cherung des Lagers. Im Einzelnen hieß das: Alarmstel-lungen, Sicht- und Splitterschutz sowie einen Kontroll-bereich auf der Zufahrt zum Lager.

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Während der Erfüllung unserer Aufträge gelang es unsmehrmals, Schmuggler und illegale Grenzgänger aufzu-greifen. Bei der Durchführung mussten wir sehr oft imTrupprahmen operieren. Hierbei kam es auf die Qualitä-ten der Feldwebel und Stabsunteroffiziere an, aber eswaren auch stellenweise Mannschaften mit der Führungder Trupps beauftragt. Auch während des Einsatzesführten wir Ausbildungen, wie zum Beispiel Ersthelfer-Maßnahmen, ABC-/Se-Ausbildungen, Kraftfahreraus-bildung, Postenkette mit CRC-Ausstattung (Crowd andRiot Control) durch.

Der absolute Höhepunkt dieses Einsatzes war für unsdie Abstellung nach Mitrovica, eine Stadt, die zur Hälf-te albanisch und zur Hälfte serbisch ist. Unser Zug warhier einem französischen Bataillon unterstellt. UnsereAufträge in diesem Bereich waren Patrouillen undCheckpoints im gesamten Stadtbereich. Dies war auf-grund der internationalen Beteiligung für viele eine gro-ße Herausforderung. Auch gab es hier Situationen, dienicht mit der Vorausbildung und den dort eingesetztenRollenspielern zu vergleichen war. Es ist ein Unter-schied, ob man eine Demonstration auf einem Übungs-platz ausbildet oder einer richtigen aufgebrachten Men-schenmenge gegenüber steht. Wenn diese Menge auchnoch bewaffnet ist, bewegen einen in dieser Situationgemischte Gefühle.Wir standen hier erstmals einer aufgebrachten serbi-schen Menschenmenge gegenüber, die auf uns äußerstgewaltbereit wirkte. Unser Zug bildete eine Postenkette,wie wir es in der Ausbildung schon mehrfach geübt hat-

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ten, und versuchte, deeskalierend zu wirken. Es war un-sere Entscheidung, wie wir diese Situation klären wür-den. Dabei kam uns die erfolgte CRC-Ausbildung zugu-te. Wir kannten die Ausrüstung und wussten, wie wir zureagieren hatten, um die Menge zu beruhigen. Rückbli-ckend kann ich sagen, dass wir in dieser Situation rich-tig gehandelt haben. Dies ist auch auf die intensive Aus-bildung vor und während des Einsatzes zurückzuführen.

Die Eindrücke aus diesem Einsatz nahmen wir natürlichmit und haben diese in nachfolgende Einsatz vorberei-tende Ausbildungen einfließen lassen.

Die Ausbildung, gerade für den jungen Feldwebel, istein immerwährender Prozess. Wesentliche Erkenntnis-se aus dem Einsatz sind in die Ausbildung zu integrie-ren. Der Ausbilder und Erzieher braucht die nötige Ent-schlossenheit, diesen Lernprozess aus eigenem Willenvoranzutreiben. Die Bereitschaft, Neues zu erlernen,endet bei keinem Dienstgrad oder einem bestimmtenLebensalter. Es ist unerheblich, wie lange man schonSoldat ist oder wie oft man schon im Auslandseinsatzwar. Der Soldat darf sich dabei nicht nur auf seinen un-mittelbaren Aufgabenbereich beziehen, sondern mussauch die allgemeinen Ausbildungsthemen und die indi-viduellen Grundfertigkeiten beherrschen.

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Noch mal gut gegangen

Ich bin seit drei Wochen im Einsatz in Kabul. Meine Un-terkunft befindet sich in einem amerikanischen Feld-lager. Ich bin hier als Ausbilder an einem Ausbildungs-programm der NATO für die Afghanische National-armee beteiligt (ANA).Es ist wieder einmal Sonntag. Wie jeden Sonntag ladenwir deutschen Ausbilder unsere amerikanischen Kame-raden zum Frühstück in das circa 20 Kilometer entfern-te deutsche Feldlager ein, um die Kameradschaft mit ih-nen zu pflegen. Es gibt leckere deutsche Brötchen,Wurst und Marmelade. Die Amerikaner sind hellauf be-geistert über das abwechslungsreiche Mahl.Anschließend planen wir gemeinsam für den heutigenTag, im Rahmen eines Kfz-Marsches zum größtenStützpunkt der amerikanischen Streitkräfte in Afghanis-tan, nach Bagram zu verlegen. Die Entfernung dorthinbeträgt circa 50 Kilometer.Es ist jetzt 11:00 Uhr. Die Marschvorbereitungen laufenim Feldlager bereits an. Wir überprüfen unsere Fahrzeu-ge, Waffen und Munition noch einmal. Unsere Funkge-räte können wir nicht einsetzen, da diese mit den ameri-kanischen nicht kompatibel sind.Ich sitze mit Hauptfeldwebel F. in einem teilgepanzertenWOLF. Wir haben uns abgesprochen, dass er fährt undich die Sicherung vom Beifahrerplatz aus übernehme.Wir sitzen nur zu zweit im Fahrzeug.Eine halbe Stunde später beginnen wir im Feldlager zurMarschkolonne aufzufahren. Die Amerikaner, die ein-zeln oder zu zweit jeweils einen handelsüblichen Pickup

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besitzen, bilden mit sechs Fahrzeugen den vorderen Teilund wir mit unserem WOLF den hinteren Teil derMarschkolonne als schließendes Fahrzeug.Wir sind gerade aufgefahren, da setzt sich die Marsch-kolonne mit zügiger Geschwindigkeit Richtung Bagramauch schon in Bewegung.Das Wetter ist wieder einmal sehr schön. Der strahlendblaue Himmel ist eine Wonne für uns. Wir sind begeis-tert. Nach circa zehn Kilometern Fahrtstrecke fahren wirdurch eine Ortschaft im Bereich der Außenbezirke vonKabul. Wir sind beim Durchfahren der Ortschaft sehraufmerksam und etwas angespannt. Sind wir doch durchdie Einsatzvorausbildung, die wir vorher in Deutschlanddurchlaufen haben, sensibilisiert.Als wir uns mitten in der Ortschaft befinden, reißt dieVerbindung zur Kolonne ab, da die Geschwindigkeit dervorausfahrenden Fahrzeuge zu hoch ist und wir mit un-serem teilgepanzerten Wolf die Geschwindigkeit nichthalten können.Nachdem wir mittlerweile zu den vorausfahrenden Fahr-zeugen auch keinen Sichtkontakt mehr haben, sind wirbeunruhigt. Plötzlich erkennen wir, dass die Straße voruns mit einem armdicken Seil versperrt ist. Ein Durch-oder Vorbeifahren ist unmöglich. Im Zuge der Straße undzwischen den umliegenden Häusern ist keine Menschen-seele zu sehen. Die ganze Umgebung ist menschenleer.Wir können unser Fahrzeug gerade noch abbremsen undhalten unmittelbar vor der Straßensperre an. Die einigeMonate vor Einsatzbeginn durchlaufene Einsatzvoraus-bildung läuft wieder in uns ab. Das Verhalten in solchenSituationen hatten wir dort schon einmal geübt. Wir er-

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kennen mit Entsetzen unsere fatale Situation. Zu zweitim Fahrzeug – ohne Unterstützung und Verbindung –vor einer Straßensperre.Wir beurteilen die Lage: Uns bieten sich mehrere Mög-lichkeiten eigenen Handelns:Möglichkeit 1: Sofort ausweichen und die Straßensper-re umgehen, dann der Kolonne folgen.Möglichkeit 2: Sofort ausweichen und zum Feldlagerzurückfahren, da ein Aufschließen zur Kolonne gefahr-los nicht mehr möglich ist, und wir uns weit außerhalbder Stadt befinden.Möglichkeit 3: Vor der Straßensperre stehen bleiben, ausdem Fahrzeug aussteigen, das Seil entfernen und weiter-fahren.Während wir hier im Fahrzeug sitzend über unsere Lagediskutieren und überlegen, was zu geschehen habe, halteich mein G 36 bereits schussbereit aus dem Beifahrer-fenster des Fahrzeugs, in der Erwartung, es jeden Mo-ment einsetzen zu müssen. Denn als erfahrene Feldwe-bel wissen wir, dass Sperren im Regelfall mit Feuerüberwacht werden.Gerade als wir uns für die erste Möglichkeit entschiedenhaben und beginnen auszuweichen, erscheinen beider-seits der Seilsperre mehrere Kinder, die sich anschei-nend einen Spaß daraus machen, uns aufzuhalten.Wir sind sichtlich erleichtert und setzen sofort unserenEinzelmarsch mit Höchstgeschwindigkeit fort. Es ge-lingt uns dann nach circa 20 Minuten zu unsererMarschkolonne aufzuschließen. Nach dem Erreichendes Marschziels erzählen wir den Marschbeteiligten un-sere aufregende Geschichte.

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Mein Mitfahrer und ich schauen uns dann nur an und sa-gen uns: „Das ist ja noch mal gut gegangen.“

Ein Marsch muss vor Beginn genau geplant und abge-sprochen werden. Der Führer der Marschkolonne be-fiehlt im Rahmen des Marschbefehls, den er möglichstunmittelbar an alle beteiligten Soldaten erteilt, das Ver-halten der Kolonne während des Marsches und beieventuell auftretenden Zwischenfällen.Das Einhalten der Marschdisziplin (Abstände, Ge-schwindigkeit, Sicherung, Verbindung) ist dabei vonbesonderer Bedeutung.Die Durchführung von derlei Aufgaben im Rahmen derMultinationalität ist aufgrund der oft unterschiedlichenAusrüstung und Ausbildung eine besondere Herausfor-derung. Dabei können Verständigungsprobleme dieDurchführung deutlich erschweren.

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Das DAB – ein guter Brauch

Als junger Zugführer eines Panzergrenadierzuges stellteich mir bereits frühzeitig die Frage, wie ich mein unter-stelltes Führerpersonal nicht nur führen, sondern auchausbilden und erziehen kann. Dazu brauchte ich junge,vernünftige und motivierte Gruppenführer bei denennoch die Möglichkeit zur Prägung bestand. Dies hattenatürlich auch Nachteile. In unerfahrene Unteroffizieremuss man wesentlich mehr Zeit investieren.So bemühte ich mich bei meinem Kompaniechef früh-zeitig um junge und motivierte Unteroffiziere. Von Zeitzu Zeit gelang es mir, meine Wünsche durchzusetzenund so war innerhalb weniger Monate eine gute Perso-nalbasis geschaffen. Jetzt galt es, diese gezielt weiterzu-bilden. Doch wie sollte das geschehen? Und wie erhalteich ihre grundsätzliche Motivation beziehungsweiseLeistungsbereitschaft?Ich beschloss, dass ich nicht nur formal der Vorgesetztesein dürfe, sondern dass ich mich bereits frühzeitig der„Menschen annehmen“ müsse. Dies bedeutete, dass ichneben den Ausbildungseinweisungen auch persönlicheund private Gespräche führte. Um die Gemeinschaft„unter uns“ zu fördern, gab ich monatlich ein kleinesFrühstück in der Kaserne aus. Später entwickelte sichdaraus wie von selbst eine Art Brauch. Wir trafen unsbereits eine halbe Stunde vor Dienstbeginn im Aufent-haltsraum der Kompanie auf eine Tasse Kaffee. Dieshatte den Vorteil, dass ich frühzeitig vom jeweils verant-wortlichen Zugdienst ein Feedback (organisatorische

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Vorbereitungen, Krankenstand, etc.) erhielt und letzteMaßnahmen für den Tag erläutern konnte.Auch nach Dienstschluss trafen wir uns regelmäßig aufein sogenanntes „DAB“ (Dienstabschlussbier) oder ähn-liches in gemütlicher Runde. Somit konnte der Tag auchin gelöster Atmosphäre nachbesprochen werden. Dabeientwickelten wir ein kleines „Ausbildungsspiel“. JedenAbend ergab sich spontan ein Thema aus einer unsererzahlreichen Vorschriften – von Operationsarten bis hinzu Waffentechnik. Im Wesentlichen ging es um ein Fra-ge-Antwort-Spiel. Wer verlor, musste sich etwas einfal-len lassen (zum Beispiel Übernahme der Aufsicht beimWaffenreinigen des Zuges, die nächste Runde Getränke,und so weiter). Dies spornte vor allem die jungen Unter-offiziere an. Schließlich war es eine Freude, die älterenFeldwebel auch mal übertrumpfen zu können. Und dasalles auf freiwilliger Basis.Was die Ausbildung betraf, kam es mir besonders daraufan, einen einheitlichen Stand im Zug sicherstellen zukönnen. So ließ ich vor jedem neuen Ausbildungsab-schnitt und jedem neuen Quartal ein oder zwei Abendeeine zuginterne Weiterbildung auf den Dienstplan set-zen. Manchmal waren wir alle auf einem Schützenpan-zer als Schützentrupp und wiederholten das Auf- undAbsitzen, ein anderes Mal kümmerten wir uns um dieGrundsätze der Materialerhaltung und -bewirtschaftung.Oder wir waren im Unterrichtsraum, wo wir am Sand-kasten kleine taktische Lagen durchspielten. Eine Zeit,die auch mich sehr forderte. Je mehr Monate und Jahrejedoch vergingen, desto mehr zahlte sich dieses Engage-

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ment aus, und viele meiner Männer konnten sich für för-derliche Dienstposten qualifizieren.Was das soziale Umfeld meiner Unteroffiziere und Feld-webel betraf, versuchte ich, einmal im halben Jahr einTreffen mit Freundinnen, Ehefrauen beziehungsweiseFamilien zu organisieren. So verloren diese die anfäng-liche Scheu vor dem „unbekannten Wesen“ Bundeswehrund lernten sich einander kennen. Das anfangs erworbe-ne Vertrauen im Kameradenkreis weitete sich somit aufdas Umfeld aus. Auch zu unseren Kompaniefeiern wa-ren wir stets nahezu vollzählig vertreten – bereits imZug eine klasse Gemeinschaft.Nun muss ich allerdings zugeben, dass ich, wie auchmein Führerpersonal, mehr Zeit als notwendig in dentäglichen Dienst investiert haben. Alle Führer, ausge-nommen mein Stellvertreter und ich, wohnten in derKompanie. Jedoch versuchten wir „Heimschläfer“ stetsein ausgewogenes Verhältnis zwischen Geben und Neh-men zur Familie zu bewahren. Das klappte – und wurdees einmal überzogen, spürten wir beim nächsten Treffen,dass die Frauen und Freundinnen aufgrund dieser Situa-tion zwar unzufrieden waren, aber doch verständnisvolldarüber hinwegsahen, da sie wussten, wie wichtig das füreinen solchen Beruf ist. Das Netzwerk und die Gemein-schaft funktionierten und die Vereinbarkeit von Familieund Dienst war wichtig. Auch ich profitierte von diesemZusammenhalt sowie der Leistungs- beziehungsweiseEinsatzbereitschaft meiner Soldaten. Ob im täglichenDienst, während Übungsplatzaufenthalten oder im Aus-landseinsatz, man hielt in jeglicher Situation zusammen.

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Was sehe ich, wenn ich nun aus einer truppenfernen„Schullandschaft“ zurückblicke? Fast alle meine Unter-offiziere wurden in das Dienstverhältnis eines Berufs-soldaten übernommen. Sie haben sich zu klasse Führer-persönlichkeiten entwickelt und gehen selbstbewusst ih-ren Weg. Einige Dinge aus unserer gemeinsamen Zeithaben sie wohl mitgenommen. So werden unsere Bräu-che zum Teil weitergelebt – ob Ausbildung im Rahmeneines „DAB“ oder das monatliche gemeinsame Früh-stück. Ich muss zugeben, mir fehlt das heute, und so binich froh, die „alte Bande“ einmal jährlich wieder zu se-hen.Ich frage mich, ob diese Art der Führung eines Zuges,beziehungsweise der Gruppen- und Truppführer, heutenoch so umfassend möglich wäre. Die Rahmenbedin-gungen haben sich mit neuer Struktur, neuem Unter-kunftsmodell und sich wandelndem Berufsverständnis –Job-Denken – verändert.

Dennoch, ich bin davon überzeugt, dass man auch heu-te noch junge Menschen „prägen“ kann! Es ist wieschon damals eine Sache der Motivation, der eigenenEinsatzbereitschaft und des persönlichen Beispiels. Esmuss lediglich der Wille vorhanden sein – der Restkommt von alleine!

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Der Conficker

Auf diesen Donnerstagabend haben wir uns schon langegefreut. Nach langer Zeit wollten wir, meine Frau undich, endlich mal gemeinsam weggehen. Eine passendeKarnevalsveranstaltung war schnell gebucht. Oma über-nahm das Kind und wir machten uns pünktlich auf denWeg. Gemeinsam genossen wir die lang vermissteZweisamkeit. Auf der Rückfahrt kontrollierte ich meinHandy und sah das Unheil heraufziehen, zwei Anrufe inAbwesenheit von meinen Feldwebeln. Damit war es mitdem schönen Abend vorbei.„Und? Der Dienst?“, fragte meine Frau kurz als Reakti-on. „Ja. Keine Ahnung, irgendetwas ist da“, erwiderteich nur kurz und wählte gleichzeitig. 1. Rückruf 22:15Uhr: Teilnehmer nicht erreichbar. 2. Rückruf 22:35 Uhr:Teilnehmer nicht erreichbar.Zu Hause angekommen und fluchend über die dreiWeißbier, die ich während der Veranstaltung zu mir ge-nommen hatte, noch ein letzter erfolgloser Versuch.Na ja, so schlimm kann es nicht sein, wenn sie sich wie-der hingelegt haben. Schnell die Sachen für den nächs-ten Tag rausgelegt und ab ins Bett, ist ja schließlichschon spät.Um 00:32 Uhr klingelt mein Handy. „Ich hoffe, es istjetzt kein Scherz“, meldete ich mich leicht gereizt. „Ichdachte, ein Virusbefall unserer Systeme würde dich inte-ressieren?“ kam es mit der gewohnten Ironie prompt zu-rück. „Wie schlimm ist es?“

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„Na ja, wir sind seit 16:45 Uhr im Serverraum, die Do-mäne hat es komplett zerrissen, wir haben alle Leitun-gen nach außen gekappt, die BWI ist nicht erreichbar,gehen jetzt ins Bett und arbeiten morgen weiter, sonstnichts Neues. Und, wie war dein Abend?“ SchlechtesGewissen machte sich breit, Probleme in der Kaserne,und ich bin nicht erreichbar!Als derzeitiger Führer der S 6-Abteilung fühlte ich michnatürlich verantwortlich für die Abteilung und das Sys-tem. Eine dreiviertel Stunde früher als sonst erreichteich am nächsten Tag meine Dienststelle. Ein kurzerBlick auf meinen Rechner sagte alles: Domäne tot.Ab jetzt Ruhe bewahren, erste Schritte einleiten. Ur-laubsübersicht: Mit welchem Personal habe ich zu rech-nen, vorläufige Einteilung nach Kenntnissen, Stärkenund Erfahrungen. Nach und nach kommen die erstenSoldaten, kurzer Lagebericht an alle.Auch die ersten „User“ scheinen die Kaserne erreicht zuhaben. Die Telefone klingeln ununterbrochen. Zeit fürden „Bit- und Byte-Seelsorger“. Der Gefreite M. scheintüber den Auftrag für das „Sorgentelefon“ nicht wirklichglücklich zu sein. Seine Befürchtungen sind wohl be-rechtigt. Zwei Stunden später ist er mit seinen Nervenam Ende.Kurze Befehlsausgabe, anschließend Lagebericht beimKommandeur und auf zum Arbeiten.Gegen 09:00 Uhr ein kleiner Lichtblick am Horizont, dieersten Server sind wieder hergestellt. Die Sicherungenscheinen funktioniert zu haben. Auf die Bemerkungenaus den benachbarten Dienstzimmern reagiere ich garnicht mehr: „Und kommst du mit in die Nato-Pause?“

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Ein nicht so ernst gemeinter Versuch der Kamerad-schaftspflege, „Achtung, da kommt der Conficker! Wür-mer auf dem Flur!“ hallt es uns beim Vorbeigehen anden offenen Türen im Stab entgegen.Mittlerweile mehren sich die Nachrichten über anderebetroffene Dienststellen. Bei denen geht gar keiner mehrans Telefon. Na ja, denke ich mir, werden wohl auch imStress sein. Dass andere Standorte auch betroffen sind,wirft mehrere neue Fragen auf: Wie kam das Virus darein oder aber hat man selber etwas verursacht? Dannwird es aber klar, kleine Erleichterung bei uns: Das Sys-tem wurde nicht aus den eigenen Reihen befallen.Zwischendurch gehe ich auch schon mal wieder ans Te-lefon, das ununterbrochen klingelt. Mein Gefreiter beru-higt seine Nerven am Aschenbecher. Ein Anrufer berich-tet mir allen Ernstes über seine dringende Problematikbei einer Word-Formatierung und verlangt sofortige Hil-fe. Es verschlägt mir kurz die Sprache und gleichzeitigverlangt es nach einer Zigarette, um auch meine Nervenzu beruhigen.Die jungen Unteroffiziere (FA) und Feldwebel, teilwei-se erst frisch zurück von ihrer Zivil-beruflichen Aus-und Weiterbildung (ZAW), leisten hervorragende Arbeitbeim „Patchen“, dem Korrigieren der Fehler auf denClient-PC’s. Gegen 11:30 Uhr sind fast alle Maßnahmenumgesetzt worden. Die Domäne läuft bis auf Kleinigkei-ten auch wieder.Gegen 12:00 Uhr können die meisten ins Wochenende.In einer kurzen Besprechung legen wir noch schnell dieMaßnahmen für die weitere Vorgehensweise fest.

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Es wird kurzer Hand eine Rufbereitschaft für das Wo-chenende ins Leben gerufen. Ein in der Nähe wohnen-der Feldwebel überprüft zweimal am Tag die Server aufeinen eventuell erneuten Virenbefall.Uns ist klar, dass am Montag alles laufen muss. Fürmich bleibt danach nur eins: Protokoll überarbeiten, diebeobachteten Stärken der mir unterstellten Soldaten auf-zeichnen, die dann als Grundlage für weitere interneSchulungsmaßnahmen dienen sollen. Gegen 14:00 Uhrverschließe ich mein Dienstzimmer. Jetzt fährt der Ober-feldwebel auch ins Wochenende – verdient, wie ich fin-de.

„Oh, ein Fernmelder! Ihr mit den gelben Litzen!“ hörtman oft auf Lehrgängen oder auch im Einsatz. „Wasmacht ihr schon Besonderes?“Unser Auftrag ist es, mit allen verfügbaren Mitteln dieFunktionalität unseres Bereiches sicherzustellen. Feld-webel, zugleich Führer, Ausbilder und Erzieher, müs-sen in der Lage sein, das Potenzial ihrer Untergebenenzu erkennen und zweckmäßig einzusetzen. In Krisensi-tuationen zeigt sich schnell, wie gut man seine Solda-ten kennt.Auch die Feldwebel des allgemeinen Fachdiensteswerden feststellen, dass das Führen auf Grundlage desDienstgrades nicht der einzige Weg ist.Die Untergebenen werden eher folgen, wenn Vorge-setzte mit Fachkenntnis und Kritikfähigkeit führen undmit gutem Beispiel voran gehen.

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Private Probleme

Es ist 05:00 Uhr morgens, der Wecker klingelt und ichwerde zu Hause wach. Montagmorgen … schnell du-schen, rasieren und fertig machen. Eine ereignisreicheWoche steht vor der Tür.Die Halle steht voll mit Fahrzeugen, bei denen ich letzteWoche keine Ausgangsprüfung mehr durchführen konn-te. Des Weiteren warten noch eine Menge Sicherheits-prüfungen auf mich und nächste Woche geht’s schon aufÜbung. Die gesamten Vorbereitungen für die Übung sindbis jetzt sehr schleppend angelaufen, weil schlichtwegkeine Zeit blieb. Das hat diese Woche Priorität.Große Teile, circa die Hälfte unserer Kompanie, befin-den sich zurzeit im Auslandseinsatz in Afghanistan undwir stellen mit der verbleibenden Hälfte die Versorgungam Standort sicher. Deshalb kostet es natürlich etwasmehr Zeit, die Lücken in der Kompanie zu überbrücken.Nach dem Antreten verlasse ich die Formation und be-grüße die Soldaten. Ich werfe einen Blick zum Zug-dienst für diese Woche und lasse mir die Vollzähligkeitmelden. Er meldet mir: „Hauptgefreiter M. fehlt. Er hatverschlafen. Ich habe vor circa 15 Minuten mit ihm tele-foniert. Er kommt deswegen etwas später.“Hauptgefreiter M. ist einer der besten Mannschafts-dienstgrade des Zuges und sehr zuverlässig. Ich über-schlage kurz vor der Front die Woche und treffe ersteEinteilungen zum Ablauf.Unten im Zug bin ich gerade mitten in einer Sicherheits-prüfung. Alle Einteilungen der verschiedenen Instand-setzungsteams sind getroffen und die Übungsteilnehmer

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verladen das Material, als sich Hauptgefreiter M. nähertund sich verspätet meldet. In seinem Gesicht konnte ichdeutlich seine Müdigkeit erkennen und es war klar, dasser die Nacht nicht viel geschlafen hat. Die ganze Situa-tion war ihm sichtlich unangenehm. Ich fragte ihn: „Siesehen mir auch nicht gerade fit aus, Herr HauptgefreiterM., so als hätten Sie nicht viel geschlafen, kann dassein?“ Er erklärte, dass sich gestern Abend seine Freun-din bei einem großen Streit von ihm getrennt habe under deswegen nur ein paar Stunden schlafen konnte.„Wollen Sie darüber sprechen?“ Nach seiner Reaktionzu urteilen, kam ihm dieses Angebot sehr gelegen undich verlegte das Gespräch in mein Büro.Er erzählte mir die ganze Situation und was alles an demAbend vorgefallen war. Da die beiden mittlerweile zweiJahre zusammen wohnen, hatte er zusätzlich Angst, dasssie ihm die Wohnung leer räumt, während er hier seinenDienst verrichtet.Mit kurzer Rücksprache beim Zugführer, der den Vor-schlag, den Soldaten nach Hause zu schicken, sofort un-terstützte, fuhr Hauptgefreiter M. an diesem Morgenwieder nach Hause, um seine privaten Probleme zu re-geln.

Wir kommen sehr oft in die Situation, dass Privates un-weigerlich mit in den Dienst genommen wird und da-durch ein Konflikt entsteht. Es ist wichtig, in solchenSituationen immer Ansprechpartner für seine Soldatenzu sein oder einfach nur ein offenes Ohr für sie zuhaben.

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Nicht nur für seine unterstellten Soldaten, sondernauch für seine Vorgesetzten.Grundsätzlich gibt es keine Musterlösung für solcheSituationen. Es bleibt immer abzuwägen, welche Be-lange im Vordergrund stehen. Sofern es der Auftrag zu-lässt, sollten die Belange des Soldaten immer berück-sichtigt werden.

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Konvoi

Die Befehlsausgabe am Vorabend im Camp Solaris istschon Routine: Strecke, Marschreihenfolge, Abmarsch-zeit. Drei Tage sollen wir unterwegs sein. Der Konvoi-führer ist ein junger Oberleutnant. Es ist sein erster der-artiger Auftrag, ich bin als sein Stellvertreter eingesetzt.Die Fahrzeuge werden aufgerüstet, die Waffen und diepersönliche Ausrüstung überprüft, EPA (Einmannpa-ckung) und Wasser verstaut. Es geht früh ins Bett undnoch früher wieder raus.Der Kopplungspunkt des Konvois ist der Hafen in Sibe-nik, alle sind pünktlich. Man trifft immer dieselben Ka-meraden und jeder kennt seinen Platz. Um 06:00 Uhrstartet der Konvoi zum ersten Zwischenziel in Trogir, imHafen nehmen wir unsere Ladung auf. Es geht weiterRichtung Kamensko.Der Marsch unter Gefechtsbereitschaft erzeugt ein Ge-fühl der Anspannung, was man dem Einen oder Anderenauch ansieht. So ging es mir bei meinem ersten Konvoiauch. Mit der Zeit gewöhnt man sich an den Ablauf, dieAnspannung aber bleibt.Nach der Übernachtung in einem provisorischen Campgeht es am nächsten Tag weiter über enge Straßen unddurch einige Tunnel, vorbei an zerstörten Ortschaften,die eingebettet sind in eine wunderschöne Landschaft.Nach fünf Stunden haben wir das niederländische Campin Novi Travnik erreicht. Hier müssen wir zwei großeGabelstapler aufnehmen. Nach einer kurzen Rast tretenwir den Rückweg an. Am ersten Tunnel stellt sich dieFrage: Wie sollen wir da durch kommen? Die Gabel-

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stapler sind sehr hoch. Die erste Idee ist es, sie abzula-den, die Luft aus den Reifen zu lassen und sie dann ab-zuschleppen. Der Zeitaufwand hierfür ist sehr hoch.Hier hilft uns die „Kriegerlatte“, die ich vom Feldwebel-lehrgang noch gut in Erinnerung habe. Mit dieser soge-nannten Kriegerlatte ging es zum Erkunden. Es wurdedie Höhe der Bordmaschinenkanone, der Zieloptik unddie Höhe des Spähpanzers LUCHS markiert. So konntedie Höhe niedriger Durchfahrten bestimmt werden. Dasgleiche Prinzip schlage ich dem Konvoiführer vor, derdiesem Vorschlag zustimmt. Nun geht es an die Umset-zung. Da ich die Kommandanten der Spähpanzer gutkenne, ist der Auftrag mit wenigen Worten erläutert. Mitden Ersatzantennen messen wir die Höhendifferenz zwi-schen LUCHS und Gabelstapler und befestigen die An-tennenstäbe an den Panzern. Die zwei LUCHSE setztensich etwas versetzt mit dieser „fahrbaren Kriegerlatte“ inBewegung. Bereits nach zehn Minuten wird gemeldet,dass die Durchfahrt möglich ist.

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Langsam setzt sich der erste Transporter in Bewegung,davor die eine Sicherungsgruppe mit ihrem Transport-panzer und dahinter das Führungsfahrzeug. Im Schritt-tempo geht es durch den Tunnel. An der einen oder an-deren Stelle passt nicht einmal mehr ein Blatt Papierzwischen Fahrzeug und Tunnelwand. Ich sehne denTunnelausgang herbei und obwohl es recht kühl ist,schwitze ich erheblich. Aber eigentlich kann ja nichtsschief gehen, denn der Spähtrupp hat es ja erkundet.Endlich hat es der erste Transporter geschafft. Kurz da-rauf folgt der Zweite. Die Landesgrenze ist fast erreicht.Nach drei Tagen und insgesamt fünf Tunneln haben wirunser Ziel, den Hafen von Split, erreicht und sind heil-froh.Vorgesetzter zu sein, ist immer eine Herausforderung.Wenn ich die Leitsätze für Vorgesetzte verinnerlicheund situationsbedingt anwende, kann ich grundsätzlichalle Schwierigkeiten meistern. Ich führe partnerschaft-lich. Ich nutze die Fähigkeiten und Fertigkeiten meinerSoldaten und beteilige sie, wann immer möglich, anmeiner Entscheidungsfindung.

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Wenn es auf das „Warum?“ keine Antwortgibt

An einem Freitag fand, wie üblich zum Wochenende,die aktuelle Truppeninformation für alle Soldaten derStabs- und Versorgungskompanie statt. Zu diesem Zeit-punkt war ich als Zugführer des Aufklärungs- und Ver-bindungszuges (AVZ) der Kompanie eingesetzt. Auf-grund von Reparaturarbeiten an der Standortvermittlungwar das Bataillon nicht in der Lage, Fernschreiben zusenden oder zu empfangen. Dies wurde durch einen Ku-rierdienst sichergestellt, der wichtige Meldungen im na-he gelegenen Wildflecken abholte oder dorthin über-brachte.An diesem besagten Freitag saßen meine Soldaten desAVZ, die anderen Kompanieangehörigen und ich imUnterrichtsraum und hörten dem Kompaniechef zu. Ge-gen 10:15 Uhr klopfte es an die Tür und der Unteroffi-zier vom Dienst überbrachte die Meldung, dass sofortein Kradmelder nach Wildflecken fahren müsse, um einFernschreiben abzuholen.Da die Kradmelder mir unterstanden und der Kompanie-chef den Auftrag sofort an mich weitergab, drehte ichmich um, um einen meiner Kradmelder einzusetzen.Mein Blick fiel auf einen Soldaten, den Gefreiten U. Ichgab ihm den Auftrag, weil ich vielleicht den Hinterge-danken hatte, dass er in Hinblick auf das nahende Wo-chenende keinen großen Zeitverlust in Kauf nehmenmüsse, da er in unmittelbarer Nähe wohnt.Um 12:30 Uhr war für die Kompanie Dienstschluss. Dader Kradmelder sich noch nicht zurückgemeldet hatte,

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ging ich zum Kompaniefeldwebel, um nachzufragen, ober etwas wisse. Er antwortete mit: „Nein“, sagte aber, erwerde sich erkundigen. Ich solle noch einen Momentwarten. Ich verbrachte 20 Minuten auf meinem Dienst-zimmer, bis der Kompaniefeldwebel zu mir kam und mirmitteilte, dass er mit der Polizei in Bad Neustadt telefo-niert habe und diese ihn informiert habe, dass auf derB 19 zwischen Bad Neustadt und der AnschlussstelleB 79 ein Kradmelder der Bundeswehr tödlich verun-glückt sei. Wir sollten zur Identifizierung an die Unfall-stelle kommen. Diese Nachricht traf mich eiskalt.Der Spieß hatte bereits den Kompaniechef über den Vor-fall informiert und entschieden, dass er, der Standort-pfarrer und ich zur Unfallstelle auf der B 19 fahren.Ständige Gedanken begleiteten mich: Was ist da pas-siert? Wer war Schuld? Warum gerade er? Auf einemParkplatz in der Nähe der Unfallstelle stellten wir unserFahrzeug ab. Von hier aus wurden wir durch einen Poli-zisten zur eigentlichen Unfallstelle begleitet. An dieserlag, halb unter der Leitplanke, ohne äußerlich erkennba-re Verletzung, der verstorbene Kradmelder. Bevor ich ei-nen richtigen Gedanken fassen konnte, ergriff der Stand-ortpfarrer das Wort und erteilte dem Soldaten die letzteÖlung auf der Straße.Geistig völlig leer, mit zitternden Beinen und mit stän-digen Fragen, wollten wir vom Polizisten erfahren, waseigentlich vorgefallen sei. Der Polizist schilderte uns dieZeugenaussage eines Pkw-Fahrers, der unmittelbar hin-ter dem Verunglückten gefahren war, und eines Fahrersder auf der Gegenfahrbahn unterwegs war. Beide sagtenaus, dass der Kradmelder mit mittlerer Geschwindigkeit

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(circa 80 km/h) gefahren und plötzlich in sich zusam-men gesackt sei. Anschließend sei er vom Motorrad ge-fallen. Dabei rutschte er unter die Leitplanke und seivermutlich mit dem Brustkorb gegen eine Metallstützeder Leitplanke geprallt. Der Aufprall habe einen so ge-nannten „Puppeneffekt“ ausgelöst, das heißt, der Brust-korb wird schlagartig nach hinten überstreckt und dieHauptschlagader im Bauch reißt. Man verblutet inner-halb weniger Sekunden.Nachdem der Verunglückte durch ein örtlich ansässigesBeerdigungsunternehmen abtransportiert worden war,überlegten wir, wie wir den Angehörigen die Todesmel-dung überbringen würden. Zuerst fuhren wir zur Woh-nung der Familie, wo wir aber niemanden antrafen.Nach Aussagen von Nachbarn waren die Eltern des Ver-storbenen im Rhönklinikum beschäftigt. Der Vater alsArzt und die Mutter als Krankenschwester. Wir fuhrenzum Klinikum und meldeten uns an der Aufnahme, umzu erfahren, ob Herr Dr. U. zu sprechen sei. Nach weni-gen Minuten teilte uns die zuständige Mitarbeiterin mit,dass Dr. U. noch bei einer Operation sei und im An-schluss zu uns käme. Wir warteten circa 15 Minuten bisDr. U. zu uns kam. Dass er uns zu dritt hier stehen sah,muss ihm sofort signalisiert haben, dass etwas passiertsein müsse. Er fragte gleich: „Lebt er noch?“ Wir schil-derten ihm den Vorfall, er wollte dies aber nicht glaubenund fragte uns, ob wir sofort zu seinem Sohn fahrenkönnten.Gemeinsam mit dem Vater, der noch seine OP-Kleidungtrug, fuhren wir in die Leichenhalle nach Heustreu, woder Tote aufgebahrt in einem Zinksarg lag. Der Vater be-

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gann sofort, seinen 18-jährigen Sohn auf Verletzungenund Anhaltspunkte für den Tod zu untersuchen. Wirstanden wie erstarrt daneben und waren völlig hilflos indieser Situation. Nachdem der Vater die Untersuchun-gen abgeschlossen hatte, schlug er vor, dass wir gemein-sam wieder zur Wohnung fahren, um der Mutter, diejetzt zu Hause sein müsste, die Nachricht vom Tod ihresSohnes zu überbringen. Er wolle uns gerne dabei haben,da es sicherlich sehr schwer sein werde. Schon am Trep-penaufgang öffnete die Mutter die Tür und fragte ihrenMann, was passiert sei. Dr. U. versuchte seiner Frauschonend die Situation zu schildern, diese stieß aber so-fort einen fürchterlichen Schrei aus, der uns alle tief indie Knochen ging und bei mir eine nachhaltige Wirkunghinterließ.In den folgenden Tagen beschäftigte ich mich aus-schließlich mit der Vorbereitung und Durchführung desmilitärischen Begräbnisses. Der AVZ übernahm diekomplette Ausgestaltung der Trauerfeierlichkeiten. Dieswar auch eine Gelegenheit, Abstand zu gewinnen vonden bei mir immer wieder aufkommenden Fragen: Wa-rum hast du ihn ausgewählt? Was ist eigentlich passiert?Wochen später erhielten wir eine Mitteilung von einemVerwandten der Familie, dass bei einer privat angeord-neten Obduktion festgestellt wurde, dass die Todesursa-che die gerissene Aorta war. Zu dem Unfall ist es ver-mutlich gekommen, weil eine Wespe unter den Helm ge-flogen sei und den Kradmelder gestochen hat. Da er al-lergisch gegen das Gift war, erlitt er einen septischenSchock. Weiterhin teilte der Verwandte mit, dass dieMutter der Bundeswehr immer noch vorwerfe, dass sieihren Sohn auf dem Gewissen habe.

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Für viele war das Ereignis nach der Beerdigung beendet.Für mich persönlich begannen aber Tage danach erst dieBewältigung und die Auseinandersetzung mit diesenGeschehnissen. In den Nächten wurde ich immer wiedervon Albträumen geplagt und auch im täglichen Dienstliefen die einzelnen Szenen immer wieder vor mir ab.Von den Vorgesetzten kam keine Rückfrage, wie es mirgehe. Aus deren Sicht war man ja nicht beteiligt gewe-sen. Ich selbst stellte mir immer wieder die gleiche Fra-ge: Warum hast du ihn ausgewählt? Auf diese Frage gabes keine Antwort. Aus persönlicher Eitelkeit oder Un-wissenheit vertraute ich mich keinem Arzt oder Kame-raden an. Nach Monaten, nachdem die Albträume selte-ner geworden waren, erzählte ich es meiner Frau. Da-nach verspürte ich eine Erleichterung und meine Psycheänderte sich auch. Erst nach diesen Gesprächen hatte ichden Vorfall verarbeitet und machte mir selbst keine Vor-würfe mehr.

Ein solches Ereignis kommt sicherlich nicht täglichvor. Die Auseinandersetzung mit Tod und Verwundungkann dennoch jederzeit und unvermittelt erfolgen, seies im täglichen Dienst oder im Auslandseinsatz. Jedersollte sich mit dieser Thematik auseinandersetzen undfür sich einen Weg finden, damit umzugehen. Aus mei-ner Sicht ist es aber immer ratsam, sich eine Person desVertrauens zu suchen oder sich gleich in ärztliche Be-handlung zu geben. Eine „Eigenbehandlung“ oder fal-sche Eitelkeit kann nach solch einem Vorfall zu einerpsychischen Belastung werden, die Auswirkungen auf

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den Dienst, das persönliche Verhalten und den Umgangim privaten Bereich hat.Wichtig ist auch das Umfeld, wie Familienangehörigeund Freunde. Diese Personen können Veränderungenoder Probleme wahrnehmen, die man sich selbst viel-leicht nicht eingesteht. Als Nahestehender kann es alsohilfreich sein, mit Fachleuten Kontakt aufzunehmen,da es oft nicht möglich ist, Menschen, die mit psy-chischen Problemen zu kämpfen haben, selbst zu hel-fen. Sterben und Tod sind gerade durch die Einsatzrea-lität der Bundeswehr stärker in den Blick der Soldatenund der Gesellschaft gerückt, als das in früheren Jahrender Fall war. Der Umgang mit Tod und Verwundungund das Wissen hierüber sind für Feldwebel notwen-dig, auch wenn beim Überbringen einer Todesnach-richt in erster Linie der Disziplinarvorgesetzte gefor-dert ist. Wann immer möglich, sollte in solch einer au-ßergewöhnlichen Situation um den professionellenBeistand von Militärseelsorger und Truppenpsycholo-ge nachgesucht werden.

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Ausbildungsende – wenn Sie es noch einmalmachen könnten

Wer von uns hat das nicht schon einmal erlebt? Man hateine praktische Ausbildung oder eine Übung hinter sichund dann stellt sich da jemand hin mit einem Zettel inder Hand und macht eine Auswertung. Am Anfang hörtsich das ja alles noch gut an: „Gut war …“, aber meistkommen dann viel zu schnell die Punkte der Rubrik:„Schlecht war …“ Am liebsten möchte man das alles garnicht so hören, denn „soooo schlecht“ war man dochnicht. Ja, man hat Fehler gemacht, aber sind die wirklichso schlimm, wie sich das alles anhört? Und wie oft hörtman eigentlich überhaupt noch genau zu, wenn da Kri-tik am eigenen Verhalten oder gar der eigenen Persongeübt wird. Mal ehrlich, hat da nicht jeder von uns ein-fach schon mal „abgeschaltet“? Ist es nicht so?Mit der Auswertung will man ja schließlich nur helfen,es beim nächsten Mal besser zu machen, etwas „aus sei-nen Fehlern zu lernen“. Nichtsdestotrotz – Kritik vonanderen zu ertragen ist nicht immer einfach. Ein beson-ders gutes Beispiel des „Lernens aus Fehlern“ habe ichbereits als junger Feldwebel im CMTC (Combat Ma-neuver Training Center, vergleichbar mit dem Gefechts-übungszentrum des Heeres) in Hohenfels erleben kön-nen. Anfang der 90er Jahre suchte die Bundeswehr einenErsatz für die bisherigen Großübungen mit Volltruppe infreiem Gelände. Aus diesem Gedanken heraus entwi-ckelten sich die verschiedenen Übungszentren, wie wirsie heute kennen. Zunächst wurde der Gedanke derÜbungszentren jedoch auf Tauglichkeit und Zweckmä-

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ßigkeit hin überprüft. Was lag da näher, als dazu dasCMTC zu nutzen?Zu dieser Erprobung wurden durch die Bundeswehr imCMTC drei Durchgänge mit Volltruppe gefahren. Beimdritten Durchgang, einer deutschen Brigade gegen einedeutsche Brigade, wurde ich als Schiedsrichter einesvorgeschobenen Beobachters der Mörser eingesetzt. Umdie deutschen Schiedsrichter mit den Abläufen und Re-gularien des CMTC vertraut zu machen, fuhren wir vorunserem Einsatz im deutschen Durchgang als Beobach-ter mit einem amerikanischen Observer/Controller(O/C) in einem amerikanischen Durchgang mit.Warum nennen sich die amerikanischen KameradenO/C (Beobachter oder Kontrolleur) und nicht „Referee“(Schiedsrichter)? Nun, weil die O/C sich nicht alsSchiedsrichter verstehen, die Entscheidungen herbeifüh-ren, so wie wir es bis dahin aus deutschen Übungenkannten. Diese Entscheidungen werden durch die tech-nischen Simulatoren, zum Beispiel MILES (vergleich-bar mit dem Ausbildungsgerät Duellsimulator AGDUS),oder entsprechende Übungsbestimmungen (wie etwaTabellen für die Wirkung von Artilleriefeuer) herbeige-führt. Die O/C verstehen ihren Auftrag entsprechend ih-rer Bezeichnung: observe (beobachten, notieren undauswerten) und control (beaufsichtigen und kontrollie-ren, dass die Übungsbestimmungen eingehalten wer-den). Ein direktes Eingreifen der O/C in den Übungsab-lauf fand nur bei Verstößen gegen Übungsbestimmun-gen statt oder wenn die technischen Möglichkeiten kei-ne Entscheidung herbeiführen konnten. Ein direktes Er-zwingen eines bestimmten Verhaltens oder die Schaf-

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fung einer erwünschten Situation durch die O/C wurdevon uns nicht ein einziges Mal beobachtet. Am Ende je-des Gefechtstages („end of mission“) fand lediglich einEntzerren der gegnerischen Parteien durch Rücknahmeauf situationsabhängig festgelegte Linien statt. Diese Li-nien durften, außer durch Aufklärungskräfte, bis zumnächsten Tag nicht überschritten werden. Eine „Übungs-unterbrechung“ gab es demzufolge nicht.

Nach „end of mission“ führten die O/C mit den von ih-nen beobachteten Teileinheiten oder, wie in meinemFall, mit dem vorgeschobenen Beobachter eine Auswer-tung durch. Obwohl er seine Notizen mitnahm, folgtenun keine Auswertung wie ich es bisher kannte, sondernmein O/C stellte zuerst nur eine Frage: „If you could do

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it again, would you do it just the same or would youchange something?“ (Wenn Sie es noch einmal machenkönnten, würden Sie es genau so wieder machen, oderwürden Sie etwas ändern?) Und er nannte einige Punk-te, welche er beim nächsten Mal anders machen würde.Er hatte selbst seine Schwächen erkannt und sprach da-rüber auch sehr offen. Während der gesamten Auswer-tung musste der O/C lediglich den einen oder anderenPunkt anhand seiner Aufzeichnungen ergänzen, bezie-hungsweise Vorschläge machen, wie man einzelne Si-tuationen besser handhaben könne. Am Schluss ergänz-te er die Auswertung mit einer kurzen Bewertung derTagesleistung.Vom ersten Tag an, jeweils nach „end of mission“ undder Auswertung mit der Truppe, fand eine Besprechungaller O/C statt, bei der sie Informationen austauschtenund ihre Beobachtungen weitermelden konnten. Wirdeutschen Schiedsrichter nutzten diese Zeit natürlichauch für eine Besprechung und schnell stellte sich he-raus, dass die von mir erlebte Art der Auswertung keinEinzelfall war, sondern überall bis hinauf in die Stabs-ebenen in ähnlicher Form stattfand. Auch die durchFilmteams gedrehten Videoaufnahmen und die Mit-schnitte des Funkverkehrs wurden weniger dazu ge-nutzt, Mängel oder Fehler aufzuzeigen, sondern vielmehr in erster Linie zur Bestätigung beziehungsweiseAnalyse der eigenen Erkenntnisse der Übungstruppeoder auch um Missverständnisse aufzuklären. Nicht nurich war davon beeindruckt. Während des fünf Tage dau-ernden Durchganges – bei welchem übrigens die ameri-kanischen Führer bis zur Ebene Bataillonskommandeur

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überprüft wurden und bei Nichterreichen der geforder-ten Leistungen von ihrem Dienstposten abgelöst werdenkonnten – war von Tag zu Tag eine Steigerung zu erken-nen. Erkannte Mängel wiederholten sich selten. Unein-sichtigkeiten gegenüber den durch die O/C aufgezeigtenMängeln, welche nicht durch die Truppe selbst erkanntworden waren, sind mir nicht bekannt geworden.Aufgrund dieser Erkenntnisse legte der Leiter der deut-schen Schiedsrichterorganisation fest, dass wir bei derAuswertung während des deutschen Durchganges ähn-lich verfahren würden wie die amerikanischen O/C, na-türlich aber an deutsche Regeln angepasst. Das habenwir dann mehr oder weniger auch so gemacht und be-trachteten uns dann auch nicht mehr als Schiedsrichter,sondern als Beobachter und Kontrolleure. Wie erfolg-reich wir damit waren, kann ich nur in meinem Bereichbeurteilen; angeblich soll es neben der durchaus positi-ven Resonanz auch kritische Stimmen gegeben haben.Bei meinem vorgeschobenen Beobachter jedenfalls ha-be ich sehr positive Erfahrungen damit gemacht. AmAnfang war er etwas irritiert, als ich ihn bei der erstenAuswertung einfach nur fragte: „Wenn Sie es noch ein-mal machen könnten, würden Sie es genauso wieder ma-chen oder würden Sie etwas ändern?“ Als ich jedoch et-was nachhakte, ohne ein Urteil über die jeweilige Situa-tion abzugeben, taute er dann doch langsam auf. Schnellwurde klar, dass er die meisten Dinge, die ich mir notierthatte, selbst schon bemerkt und auch den einen oder an-deren Lösungsansatz hatte, wie man es hätte besser ma-chen können. Insgesamt musste ich nur noch einzelneDetails ergänzen. Während des gesamten Durchganges

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haben wir das System beibehalten, und ab und zu hat ermir dann auch etwas genannt, was mir so direkt garnicht aufgefallen war. Insgesamt war eine deutlicheLeistungssteigerung des vorgeschobenen Beobachter-trupps zu erkennen und wir haben beide viel gelernt.

In den nachfolgenden Jahren in der Truppe hatte ich die-ses Erlebnis schon lange vergessen. Als ich jedoch alsAusbilder an die Infanterieschule versetzt wurde, habeich mich während einer praktischen Ausbildung wiederdaran erinnert und ich fragte einfach den Lehrgangsteil-nehmer in der Auswertung: „Wenn Sie es noch einmalmachen könnten, würden Sie es genauso wieder machenoder würden Sie etwas ändern?“ Bis heute habe ich die-se erste Frage bei der Auswertung, auch bei Bewertun-gen im Einzelgespräch, wo immer möglich, beibehalten.Bei der Ausbildung selbst beziehe ich inzwischen dieLehrgangsteilnehmer der Ausbildungsgruppe mit derFrage: „Was hätten Sie als Ausbilder und Führer andersgemacht?“ bei den Auswertungen mit ein, ohne selbstschon ein Urteil abgegeben zu haben. Ein Großteil deraufgetretenen Mängel, aber auch mögliche Lösungsan-sätze kommen so aus den Reihen der Lehrgangsteilneh-mer, ohne dass ich groß eingreifen muss. Bis heute habeich damit gute bis sehr gute Erfahrungen gemacht.

Die hier beschriebene Art der Auswertung hat sichmittlerweile in der Bundeswehr etabliert. Der damitverbundene Erfolg ist fast überall gut zu beobachten.Vielleicht sollten wir uns selbst auch immer wiederdie Frage stellen: „Wenn Du es noch einmal machen

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könntest, würdest Du es genauso wieder machen oderwürdest Du etwas ändern?“ Ich für meinen Teil machedas heute fast täglich, und oft genug lautet die Antwort:„Ja, da kannst Du noch was besser machen.“

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Integrierte Verwendung

Für viele Soldaten stellt sich im Laufe ihrer Dienstzeitdie Frage, ob eine integrierte Verwendung im Auslanderstrebenswert ist. Dies kann dienstliche, private und an-dere Gründe haben.Nachdem ich mich zu diesem Schritt entschlossen hatte,musste ich feststellen, wie viele meiner Kameraden garnicht über die vielfältigen Möglichkeiten informiert wa-ren und mitunter auch nicht wussten, wie sie an die ent-sprechenden Informationen kommen können.Wenn man integrierte Verwendung hört, denkt man im-mer sofort an den Militärattachédienst. Mich hat es nachder Auswahl durch die Stammdienststelle der Bundes-wehr nach Wien zum militärischen Anteil der Bundesre-publik Deutschland bei der OSZE (Organisation für Si-cherheit und Zusammenarbeit in Europa) verschlagen.Ich gebe zu, dass ich nicht viel von der OSZE wusste,außer dem, was man so in den Nachrichten und der Pres-se verfolgen kann, Stichwort: Wahlbeobachtung. Aberich habe schnell gelernt, dass es eine Fülle von Aufga-bengebieten gibt, die durch das dortige Personal bear-beitet werden. Vieles ist für den Soldaten neu. Es be-ginnt damit, dass man seinen Dienst nicht in Uniform,sondern im Anzug versieht und auch sonst alles, was denmilitärischen Alltag ausmacht, vollkommen in den Hin-tergrund tritt.Dafür stellen sich aber ganz andere Herausforderungen.Dies ist zum Beispiel die Zusammenarbeit mit den An-gehörigen des Auswärtigen Amtes, wobei ich das Wort„Herausforderung“ nicht negativ verstanden wissen

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will, da im internationalen Umfeld die Uhren einfachanders „ticken“. Mit einer „Befehlsausgabe“ kommtman hier nicht weiter, sondern man lernt sehr schnell,was es bedeutet Diplomat zu sein, auch auf der Ebeneder Portepees.Was aber viel einschneidender ist, ist das Zusammen-treffen mit Angehörigen der anderen 55 Mitgliedsstaa-ten und der elf Kooperationspartner. Ein solches multi-nationales Umfeld bekommt man sonst nur bei der UNOgeboten.Und in dieser Gemengelage von unterschiedlichsten In-teressen und Ansichten versuchen nun unsere Diploma-ten und auch die militärischen Berater deutsche Interes-sen wahrzunehmen und durchzusetzen.Ich hatte die Gelegenheit an einer Vielzahl von Konfe-renzen, Sitzungen und so weiter teilzunehmen undkonnte feststellen, dass man womöglich vieles, was manin der Vergangenheit immer kritisiert hat, vielleicht revi-dieren muss, da man jetzt plötzlich in Entscheidungs-prozesse eingebunden war und „live“ miterleben konnte,wie schwer es ist, eine Vielzahl von Staaten zu einerMeinung zu bewegen. Somit musste man auch mit klei-nen Erfolgen (kleinster gemeinsamer Nenner) zufriedensein.

Dieser Beitrag soll alle ermutigen, den Schritt ins Aus-land zu wagen, da dies unabhängig vom Standort, einegute Entscheidung ist, die mir und meiner Familie un-heimlich viele Erfahrungen und viel Wissen einge-bracht hat. Das möchte ich nicht missen.

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Vertrauen Sie mir einfach!

Im Dezember befand ich mich mit meiner Kompanie imKFOR-Einsatz. Am Heiligen Abend saß die Kompaniebei einer Weihnachtsfeier zusammen. Das Fest wardurch den Spieß bestens vorbereitet und geplant worden.Die festliche Stimmung und die lustigen Vorführungendurch die Züge machten das Weihnachtsfest angeneh-mer, als ich es mir, ohne bei meiner Familie zu sein, vor-gestellt habe.Zu fortgeschrittener Stunde kam mein Kompaniechef zumir und einer Feldwebelkameradin. Er sagte nach eini-ger Zeit zu ihr gerichtet: „In zwei Tagen führt unsereNachbarkompanie eine Abseilausbildung durch. StellenSie sich darauf ein, dass Sie mit mir zusammen die Seil-rutsche bezwingen werden!“Ihr Gesicht verlor das lustige Lächeln, welches kurz zu-vor noch zu sehen war. Erleichtert, dass er zu ihr gespro-chen hatte, lächelte ich. Dumm von mir, denn sofort hör-te ich von ihm die Worte: „Sie auch, Frau Feldwebel!“Meine Weihnachtsstimmung war vorbei. Tausend Ge-danken gingen mir durch den Kopf, angeführt von derAngst, die ich allgemein vor großen Höhen habe.Am nächsten Tag meldete ich mich beim Kompaniechefmit den Worten: „Herr Hauptmann, mit Verlaub, aberwenn ich an der Abseilausbildung teilnehmen soll,könnte das für mich eine riesengroße Blamage werden.Ich habe extreme Höhenangst. Bereits auf dem Feldwe-bellehrgang habe ich einige negative Erfahrungen ge-macht.“ Ich dachte daran, wie wir auf einem Seilsteg

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entlang auf einen Turm steigen und uns von diesem ab-seilen mussten.

Ich will ehrlich sein, ich habe es gemacht, aber durchmein Verhalten und die Tränen, die ich dort gelassen ha-be, war ich mit Sicherheit keine Vorzeigesoldatin.„Ich bin Soldat, und wenn Sie es mir befehlen, dann füh-re ich den Auftrag selbstverständlich aus. Aber Sie soll-ten vorher wissen, dass es mir jetzt schon peinlich ist.“

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Er sagte dann zu mir: „Frau Feldwebel, machen Sie sichmal keine Gedanken. Dort geht es hauptsächlich um Ih-re Kameradin, Frau Feldwebel P., Sie kommen einfachnur mit raus und gucken sich das an.“ Ich habe mich zudiesem Zeitpunkt zwar über die Aussage gewundert, je-doch war ich einfach nur erleichtert und hoffte, dass ichwirklich nicht mit der Höhe konfrontiert werden würde.Es kam dann der Tag, an dem wir an einen Fluss verleg-ten, auf dessen Brücke ein Transportpanzer FUCHSstand. An diesem war ein Seil befestigt, welches überden Fluss „Beli Drim“ zu einem Felsen verlief.Das Ganze sah für mich überhaupt nicht vertrauenser-weckend aus: Eine zertrümmerte Brücke, deren Gelän-der fehlte in circa 40 Meter Höhe über einem Fluss, ausdem teilweise Betonteile herausragten. Und darauf standein gepanzertes Fahrzeug. Respekt, dachte ich mir!Die Ausbildung war schon voll im Gange. Rechts hin-gen Soldaten und seilten sich ab, und links rutschtenzwei andere Soldaten am Seilsteg auf die gegenüberlie-gende Seite des Flusses. Obwohl es offensichtlicht allenBeteiligten Spaß zu machen schien, konnte ich michnicht überwinden, auf diese brüchige Brücke zu gehen.Als dann der Bataillonskommandeur und der S 1-Offi-zier vor Ort waren, war mir schlagartig klar, warum derKompaniechef Frau Feldwebel P. vor Ort haben wollte.Schnell hingen beide in dem Abseilgeschirr aneinanderund wurden durch den Heeresbergführer eingewiesen.Ruckzuck rutschten sie über den Fluss und kamen inner-halb von ein paar Sekunden am anderen Ende des Seilsan.

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Dort standen der Kommandeur und der S 1-Offizier be-reit: Frau Feldwebel P. wurde noch auf dem Seilsteghängend vom Kommandeur zum Oberfeldwebel beför-dert. Ich war total beeindruckt und gerührt, denn so einetolle Beförderung habe ich noch nie zuvor gesehen.Ganz dicht am Transportpanzer entlang traute ich michdann doch auf die Brücke, um der frisch befördertenFrau Oberfeldwebel zu gratulieren.Und das war mein Fehler! Somit stand ich in der„Schusslinie“ vom Kompaniechef. Dieser sagte mirdann in Anwesenheit des Bataillonskommandeurs undcirca 20 weiteren Soldaten: „So, Frau Feldwebel, dannkönnen Sie gleich mal das Geschirr von der Frau Ober-feldwebel P. anziehen!“Ich lächelte nur und nahm das nicht für voll, schließlichwar mein Chef ja sonst auch immer für kleine Späßchenzu haben. Der Kommandeur sagte dann: „Ja, Frau Feld-webel, ich hätte auch noch ein weiteres Paar Oberfeld-webel-Schlaufen in meiner Tasche!“Ich lächelte wieder, schließlich war mir in diesem Mo-ment nicht der Ernst der Lage bewusst.Mein Chef wiederholte: „Frau Feldwebel, Sie ziehenjetzt das Geschirr an und wir überwinden gemeinsamden Seilsteg. Vertrauen Sie mir einfach!“Was? Vertrauen? Ich habe ihm vertraut, als er mir sagte,ich soll nur so mit raus fahren. Wie könnte ich ihm jetztnoch vertrauen?Ich stehe hier vor meinem Bataillonskommandeur, dernichts von dem vorangegangenen Gespräch mit demKompaniechef weiß. Außerdem sind hier viele Soldaten,denen ich ein Vorbild sein sollte. Da mir bewusst war,

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dass das jetzt ein Befehl ist, musste ich ihn ausführen.Ich zog das Geschirr an und spürte, dass alles um michherum wie im „Film“ ablief.Ich stand völlig neben mir und bekam kaum noch etwasmit. Ich dachte mir, wenn ich die Augen schließe und dieHöhe nicht sehe, mache ich wenigstens keinen Auf-stand. In so einer Situation kann man sich nämlich zu-sammenreißen wie man will. Der Körper verselbststän-digt sich dann einfach und man hat sich nicht mehr un-ter Kontrolle.Der „Plan“ funktionierte: Ich sah die Höhe nicht undmein Verstand und das Vertrauen in die Technik halfenmir, mich zu überwinden. Natürlich hatte ich trotzdemsehr große Angst. Der Chef und ich wurden zusammen-geklinkt. Alles was dann passierte, konnte ich mir imAnschluss auf einem aufgezeichneten Video ansehen.Laut kreischend rutschte ich mit dem Chef hinunter. Inwenigen Sekunden war alles vorbei. Am Ende angekom-men fragte er mich: „Und, vertrauen Sie mir jetzt?“Ich wusste, dass ich jetzt besser die Klappe halten soll-te. Meine Antwort hätte ihm sicherlich nicht gefallen.Die anschließende Beförderung zum Oberfeldwebel warfür mich dann noch ein versöhnlicher Abschluss dieserAbseilausbildung.

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Afrika – ein Tag auf der heißen Baustelle

Anfang der neunziger Jahre war ich als junger Feldwe-bel Mitglied einer Beratergruppe in Burkina Faso. Pro-jekt Nummer BKF 82 S02. Hinter diesem Kürzel ver-birgt sich der Straßenbaueinsatz, der von einem einhei-mischen Pionierbataillon im Nordosten des Landes ander Grenze zu Niger durchgeführt wird.Die Straße von Dori nach Falengountou mit einer Längevon 51 Kilometern soll die Verkehrsverbindungen in denNorden auch in der Regenzeit sicherstellen.In der Nähe des Baustellenlagers hat sich die deutscheBeratergruppe der Bundeswehr einen Gefechtsstand ein-gerichtet. Diese Männer unterstützen die Bauleitung beider Planung und Durchführung der Arbeiten.Noch bevor der Unteroffizier vom Dienst (UvD) des La-gers mit dem schrillen Ton seiner Trillerpfeife die Sol-daten um 05:00 Uhr morgens weckt, breitet sich unterder Schlafdecke jedes Einzelnen von uns die morgendli-che Kühle des „Sahels“ aus. Die IA-Schreie der Eselund das Krähen der Hähne der umliegenden Gehöfte be-gleiten das Aufstehen.Viel Zeit bleibt nicht. Vielleicht noch schnell eine TasseKaffee, denn um 05:30 Uhr ist Antreten, Feststellen derVollzähligkeit und eine kurze Befehlsausgabe, Aufsitzenauf die Lkw, die uns zur Baustelle bringen.Der Baustellenkopf ist zurzeit 35 Kilometer vom Lagerentfernt und jede Minute ist kostbar, da jeder Kubikme-ter „Lateritboden“, der in den Morgenstunden eingebautwird, nicht in der Hitze des Tages bewegt werden muss.

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Schon jetzt, Mitte Februar steigt die Quecksilbersäulebis auf 41 Grad Celsius im Schatten. Aber, wo gibt esden schon? Die wenigen dürren Büsche und vereinzeltstehenden Bäume lassen nicht einmal die dort lebendenZiegen und Schafe Schutz finden. Mag die trockene Hit-ze für den Menschen noch erträglich sein, der Lärm vonden Motoren, der feine Staub, aufgewirbelt durch denEinsatz der Baumaschinen und die vom Wind getriebe-nen Sandkörner, die sich wie Nadeln in die Gesichterder Bedienungsmannschaft bohren, lassen die Leistungvon Mensch und Maschine mit jeder weiteren Einsatz-stunde sinken.

Die von den Soldaten mit Trinkwasser gefüllten undmitgeführten 5-Liter-Öl-Kanister, sind schon längst ge-leert oder mit der Zeit so aufgeheizt, dass das Wasser un-genießbar scheint. Weiter geht der Baueinsatz: Schürfen,

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Laden, Transportieren, Entladen, Verteilen, Bewässern,Verdichten. Meter für Meter wächst die Straße vor unse-ren Augen. Aus diesem steten Baufortschritt zieht jedervon uns Kraft, um mit neuem Eifer und Auftrieb die Ar-beit fortzusetzen.Gegen 13:00 Uhr trifft das Verpflegungsfahrzeug bei unsein; obwohl es schon seit einer Stunde unterwegs ist,sind der Reis und die Soße noch längst nicht abgekühlt.Man musste schon Acht geben, dass man sich nicht dieZunge an dem Essen verbrennt. Dazu einen Becher küh-les Wasser aus einem alten Thermobehälter, das eineköstliche Erfrischung darstellt und allen Männern dieEnergie für die letzten Arbeitsstunden des Tages unterder sengenden Sonne gibt. Es wird weitergearbeitet, bisder Tankwagen eintrifft. Dann, Auftanken, technischerDienst und endlich zurück ins Lager.Es ist 16:00 Uhr bis wir das Lager erreichen. Eine „Ei-merdusche“ wird zur Wohltat und das Abendessen, be-stehend aus Suppe, Reis und einem kleinen StückchenFleisch, kann als einzige Mahlzeit am Tage in Ruhe ein-genommen werden.Trotz des harten Arbeitstags auf der Baustelle, kommtschon nach kurzer Zeit gelockerte Stimmung auf, zumalder Lkw bereitsteht, um die Unermüdlichen nach Dorizu fahren. Dort finden sie ein wenig Abwechslung vomnormalen Tagestrott, indem sie sich unter die Einheimi-schen mischen und sich gegenseitig Geschichten undErlebnisse erzählen und kleine Einkäufe machen. Pünkt-lich um 21:00 Uhr fährt der Lkw zurück in das Lagerund wer nicht zur Stelle ist, muss den fünf KilometerNachhauseweg zu Fuß gehen.

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Gegen 22:00 Uhr wird der Generator abgeschaltet, derfür spärliches Licht im Lager sorgt. Die letzten Züge desangefangenen Dame-Spiels werden im Schein einer Pe-troleumlampe zu Ende geführt, denn nun ist für alle„Bettruhe“ befohlen.

Und noch bevor der UvD des Lagers uns mit dem schril-len Ton seiner Trillerpfeife um 05:00 Uhr weckt, breitetsich unter der Schlafdecke jedes Einzelnen von uns, diemorgendliche Kühle des „Sahels“ aus. Die IA-Schreieder Esel … ein neuer arbeitsreicher Tag bricht an.

Auch solche Einsätze können auf einen Feldwebel zu-kommen. Sie sind zwar nicht mit heutigen Einsätzen zuvergleichen, erfordern aber gleichfalls ein Höchstmaßan Selbstdisziplin und Vorbereitung auf die klimati-schen und landestypischen Gegebenheiten.

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Bei einer verletzten Seele hilftkein Druckverband

Bei einer routinemäßigen Fahrt unserer Fahrgemein-schaft zur Dienststelle kam im Radio die Meldung, dassin Afghanistan ein deutscher ISAF-Soldat und mehrereZivilisten, darunter Kinder, durch einen Selbstmordat-tentäter tödlich verletzt worden seien. Daraus entwickel-te sich unter den Mitfahrern eine rege Diskussion. Vorallem wurde allen deutlich, unter welchem seelischenDruck man als Soldat im Auslandseinsatz geraten kann.Die mögliche Gefährdung ist nicht konkret, da weder„Freund noch Feind“ eindeutig zu identifizieren sind.Doch vor allen Dingen: Wie geht man als Betroffenerdamit um, wenn man solch eine Situation erlebt? Waspassiert, wenn man zunächst tatenlos mit ansehen muss,wie Kameraden oder kleine Kinder verwundet oder ge-tötet werden – noch dazu, wenn man vielleicht selbst Fa-milienvater ist?Ein junger Fachdienstunteroffizier argumentierte, manwerde doch im Rahmen der Einsatz vorbereitenden Aus-bildung intensiv auf solche Szenarien vorbereitet. DesWeiteren gäbe es speziell ausgebildete Truppenpsycho-logen und Militärpfarrer vor Ort und sogar eine Hotline,die 24 Stunden täglich besetzt sei. Diese kernige Aussa-ge des jungen Unteroffiziers erinnerte mich an ein Er-eignis während meiner Zeit als Ausbildungsfeldwebelbei der damaligen VN-Inspektion. Ich konnte mich sehrgenau an diesen Tag erinnern, weil das Erlebnis michdamals sehr betroffen machte.

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Das Folgende ereignete sich am Morgen an der Ausbil-dungsstation „Verhalten in besonderen Lagen“ im Rah-men der Einsatz vorbereitenden Ausbildung, die ich ver-antwortlich leitete. Die Ausbildung war in die Unterab-schnitte „Verhalten gegenüber Zivilbevölkerung“ und„Verhalten bei einer Geiselnahme“ gegliedert und wurdeim Gruppenrahmen durchgeführt. Die Soldaten des Kon-tingentes waren in Züge und Gruppen gegliedert und diejeweiligen Führer befohlen. Nachdem ich zu Ausbil-dungsbeginn vor den angetretenen Ausbildungsgruppendie Ausbildungsthemen und Ziele sowie Übungs- und Si-cherheitsbestimmungen bekannt gab, befahl ich der Aus-bildungsgruppe, in die dahinter liegende Scheune wegzu-treten und die Ausrüstung abzulegen.Plötzlich brach ein Stabsunteroffizier mit einem Wein-krampf zusammen. Er zitterte am ganzen Körper undschluchzte bitterlich. Ich war völlig überrascht von die-ser Reaktion, weil aus meiner Sicht ja überhaupt nochnichts passiert war. Ich überlegte kurz und dachte„Glück im Unglück“, denn im Ausbildungszug befan-den sich gleich mehrere Truppenärzte und Apotheker,die für ihren Einsatz im Feldlazarett diese Ausbildungdurchliefen. Ich befahl zwei Ärzten, dem Soldaten zuhelfen. Die beiden Angesprochenen kümmerten sich so-fort um den Stabsunteroffizier. Sie versuchten, ihn zuberuhigen und zu erfahren, was los sei, allerdings ohneErfolg. Als ich feststellte, dass sich der Zustand des Be-troffenen nicht änderte, spürte ich, dass ich handelnmusste. Ich rief in die Ausbildungsgruppe, die den Vor-fall gebannt verfolgte: „Wer ist der eingeteilte Führer?“Es meldete sich sofort ein älterer Hauptfeldwebel der

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Kampftruppe. Ich bat ihn, sich um den Soldaten zu küm-mern, der immer noch fürchterlich zitterte und weinte.Der Angesprochene überlegte nicht lange. Er ging zudem Soldaten, der mittlerweile von den beiden Ärztenaus dem unmittelbaren Sichtfeld der Gruppe an dieRückwand der Scheune verbracht worden war, aber im-mer noch nicht ansprechbar war. Der Hauptfeldwebelsignalisierte ruhig und besonnen, dass er sich jetzt umseinen Soldaten kümmere. Die beiden Ärzte gingen zuihrer Ausbildungsgruppe zurück und begannen mit derAusbildung.Aus der Distanz beobachtete ich die beiden Soldatenund was ich sah, machte mich sehr nachdenklich. DerZugführer setzte sich zu dem Soldaten auf den Bodenund nahm ihn wie ein Kind in die Arme, streichelte ihnund redete ruhig auf ihn ein. Schon nach ganz kurzerZeit wurde der Soldat ruhig, bekam eine normale Atem-frequenz und war wieder ansprechbar. Der dem Soldatenvertraute Zugführer hatte in wenigen Augenblickenmehr erreicht als die zwei ihm unbekannten Ärzte.Ich ließ den Soldaten mit dem Zugführer in die Unter-kunft bringen, informierte seine Vorgesetzten sowie denTruppenpsychologen und führte vor Ort mit den restli-chen Soldaten die Ausbildung wie geplant zu Endedurch. Der Vorfall wurde natürlich schnell bekannt, weilja viele Soldaten vor Ort gewesen waren. Auch im Aus-bilderkreis meiner Kameraden hatte es sich schnell he-rumgesprochen und wurde natürlich diskutiert. Es wur-den sogar Wertungen und teilweise abwertende Ein-schätzungen wie „Warmduscher“ oder „Weichei“ vorge-nommen.

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Am nächsten Tag hatte ich ein ausführliches Gesprächmit dem Truppenpsychologen. Dabei kam Folgendesheraus: Der betroffene Soldat war Ende der 80er Jahremit einem Hilfstransport mit Kinderkleidung, medizini-schen Instrumenten und so weiter nach Rumänien unter-wegs. Bei einer Grenzkontrolle in Rumänien wurden dieAngehörigen des Hilfstransports, darunter auch der be-troffene Stabsunteroffizier, gewaltsam gestoppt undkurzzeitig in einen dunklen Schuppen gesperrt. Nachkurzen Verhandlungen und Zahlung eines geringenGeldbetrages konnten sie ihre Fahrt wieder fortsetzen.Dieses Erlebnis hatte sich offensichtlich bei dem Kame-raden eingeprägt und an diesem Tag in Bonnland beimBefehl, die Ausrüstung in der dunklen Scheune abzule-gen, zu der beschriebenen Reaktion geführt.Der Psychologe lobte mich für meine Umsicht und denEntschluss, einen Kameraden einzuteilen, zu dem offen-sichtlich ein Vertrauensverhältnis bestand. In diesemFall der Zugführer, der seinen Soldaten schon längerführte und genau kannte. So konnte der Soldat amnächsten Morgen ohne Probleme wieder in die Ausbil-dungsgruppe integriert werden und die restliche Ausbil-dung durchlaufen. Diese Integration sei wesentlich ef-fektiver als eine langwierige Nachbehandlung, beschei-nigte mir der Truppenpsychologe.

Es ist heute wichtiger denn je, und das trifft vor allenDingen für die Feldwebel als Führer der kleinenKampfgemeinschaft zu, dass sie ihre anvertrauten Sol-daten gut kennen. Deswegen ist es unabdingbar, echteGemeinschaft und wahre Kameradschaft zu erleben.

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Gerade im Zeitalter moderner Kommunikation sind derpersönliche Kontakt und das tägliche Gespräch unver-zichtbar, um Vertrauen aufzubauen, Personenkenntniszu erlangen und Anonymisierung im Umgang mitei-nander zu vermeiden.Nur der Führer, der seine Soldaten kennt, ihre Sprachespricht und ihr Vertrauen hat, und das ist in erster Linieder Feldwebel, wird in einer besonders belastenden Si-tuation in der Lage sein, seine Soldaten vor Folgeschä-den an Geist und Seele zu schützen. Das gilt gleicher-maßen für den Grundbetrieb und die Einsätze.

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Warum hat der Truppenpsychologe keineCouch?

Ich bin Hauptfeldwebel der Reserve und war mehrfachals Stabsdienstfeldwebel beim Truppenpsychologen imEinsatz. Um bestehende Vorbehalte und Gerüchte aus-zuräumen, haben wir hier versucht, unsere Tätigkeit all-gemein verständlich darzustellen.Böse Zungen behaupten, der Truppenpsychologebraucht eine Couch, damit ihn nach der Mittagspausenicht jeder auf die Abdrücke der PC-Tastatur auf seinerStirn anspricht. Aber, Spaß bei Seite, denn dafür ist dasThema in der Tat zu ernst. In den Jahren meiner Tätig-keit im Psychologischen Dienst der Bundeswehr ist mirdie Frage nach der Couch wohl am häufigsten gestelltworden. Die korrekte, wenngleich auch furchtbar lang-weilige Antwort ist, die Couch findet vor allem in derPsychoanalyse, einer besonderen Psychotherapieform,die von klinischen Psychologen oder Psychiatern ge-nutzt werden kann, Anwendung.Und warum nicht beim Truppenpsychologen, der hatdoch auch mit denen zu tun, die „verrückt“ sind? Falsch,der Truppenpsychologe hat es grundsätzlich mit gesun-den Menschen zu tun, die Beratung, Informationen oderHilfestellung bei unterschiedlichsten dienstlichen oderprivaten Problemen erwarten. Im Übrigen ist man nichtverrückt oder psychisch krank, wenn man beispielswei-se nach einem Einsatz Reaktionen an sich bemerkt, dievor dem Einsatz nicht da waren. In der Regel sind dasnormale Reaktionen eines normalen Menschen auf eineunnormale Situation, die sich nach einigen Wochen

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meist wieder regulieren. Sollte sich dennoch in einemGespräch heraus kristallisieren, dass jemand weiterfüh-rende Unterstützung benötigt, dann unterstützt der Trup-penpsychologe tatkräftig.Aha, der Truppenpsychologe ist also derjenige, der inseinem Büro hockt, Sprechzeiten an die Tür genagelt hatund stets tiefenentspannt auf den nächsten Soldaten war-tet, den er dann beraten, betreuen oder weiterleitenkann? Nein, auch das ist ein gleichermaßen gängigeswie falsches Klischee. In erster Linie ist der Truppen-psychologe einer Brigade oder einer Division der Bera-ter des Kommandeurs und des Stabes in allen fachbezo-genen Fragestellungen und Angelegenheiten. Gleicher-maßen ist er auch Berater für alle Soldatinnen und Sol-daten in Vorgesetztenfunktion, die in seinem Verantwor-tungsbereich Dienst tun, für den Kompaniefeldwebel,den Kompanietruppführer, den Zug- oder Gruppenfüh-rer. Genau so, wie Sportpsychologen in allen großenProfivereinen und Sportverbänden ihr Fachwissen zuroptimalen Leistungsentfaltung einbringen, ohne dieheute in der engen Leistungsspitze kein Sieg mehr zu er-ringen ist. Bei uns lautet das Stichwort dazu „Führungs-beratung“.Also soll der Truppenpsychologe, ein Zivilist, mir alsHauptfeldwebel mit drei Einsätzen auf dem Balkan undAfghanistan erklären, wie ich meine Leute führen soll?Um Himmels Willen, nein! Führen, erziehen und ausbil-den, das sind die originären Aufgaben, die wohl jederFeldwebel in unterschiedlichsten Stationen seiner mili-tärischen Laufbahn vermittelt bekommen hat. DiesesHandwerk sollte jeder Vorgesetzte beherrschen. Es gibt

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jedoch eine Vielzahl an Situationen, in denen die Unter-stützung durch einen Truppenpsychologen hilfreich seinkann. Der Leiter eines Sondereinsatzkommandos derPolizei lässt sich ja auch von einem Polizeipsychologenberaten, weil der weiß, wie Menschen in den verschie-densten Situationen vom Grundsatz her denken, fühlenund handeln.Und was sind dies für Situationen? Nun, die Stimmungim Zug ist schlecht und aus Ihrer Sicht gibt es keinenGrund dafür. Hier kann der Truppenpsychologe sicher-lich in einem Gespräch mit Ihnen und durch eine geziel-te psychologische Lagefeststellung wertvolle Hinweisegeben. Oder, nach Rückkehr von Kameraden aus demEinsatz, in dem es leider Gefallene und Verwundete zubeklagen gab und wo nun die Frage aufgeworfen wird,wie man mit den Männern und Frauen im normalenDienstbetrieb umgehen soll. Auch in solchen Fällenkann der Truppenpsychologe gemeinsam mit dem Vor-gesetzten Herangehensweisen entwickeln. Man mussübrigens gar nicht erst warten, bis ein Problem aufgetre-ten ist. Eine Fragestellung an den Truppenpsychologenkann im Sinne des vorbeugenden Handelns auch sein,was man im Vorfeld unternehmen kann, um einen bevor-stehenden Einsatz bestmöglich durchzustehen und nachRückkehr rasch wieder in die Normalität des Alltags zu-rück zu finden. Vorbeugen ist besser als Heilen! Wichtigan dieser Stelle ist, dass der Truppenpsychologe berät.Die Entscheidungen werden ausschließlich vom Vorge-setzten getroffen.

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Was macht der Truppenpsychologe sonst noch so?In allen Phasen der Einsatzvorbereitung kann der Trup-penpsychologe in Ausbildungsvorhaben mit eingebun-den werden. Er begleitet die Einsätze im Rahmen einerWehrübung und ist auch in der Einsatznachbereitung,unter anderem bei Einsatznachbereitungsseminaren, ak-tiv. Er ist nach kritischen Ereignissen, wie etwa dem Un-falltod eines Kameraden, derjenige, der ein Kriseninter-ventionsteam zusammenstellt und gemeinsam mit be-sonders ausgebildeten Kriseninterventionshelfern, densogenannten „Peers“, betroffenen Kameraden Unterstüt-zung bietet und natürlich auch wieder Ansprechpartnerfür die jeweiligen Vorgesetzten ist. Der Truppenpsycho-loge arbeitet außerdem mit der Familienbetreuungsorga-nisation zusammen und ist Teil des PsychosozialenNetzwerkes. Darüber hinaus kann er zu unterschied-lichsten Themen, wie zum Beispiel Stress und Stressbe-wältigung, Führen unter Belastung und Zeitmanage-ment, Informationsveranstaltungen anbieten. Wie mansehen kann, geht es also in der Summe sowohl um ein-satzbedingte Fragestellungen, als auch um Fragen destäglichen Dienstbetriebes.

Ich kann vorbehaltlos und aus eigenem Erleben emp-fehlen: Nutzt den Berater oder die Beraterin, die Euchder Dienstherr an die Seite stellt.

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Die Oderflut

Im Juli 1997 demonstrierte die Natur abermals ihre fürden Menschen nicht beeinflussbare Stärke. In unseremNachbarland Polen gingen in nur sieben Tagen massiveRegenfälle nieder, die einer durchschnittlichen Jahres-niederschlagsmenge entsprachen. Unausweichlich stie-gen die Pegel der Gewässer und Flüsse stetig an undsagten mit jedem folgenden Tag eine Katastrophe für diedort lebenden Menschen voraus. Hiervon betroffen,schwoll der deutsch-polnische Grenzfluss Oder langsaman und brachte einen Teil Brandenburgs der existenzbe-drohenden Situation Polens näher. Schnell war klar, dassmenschliches Eingreifen am Uferverlauf auf branden-burgischer Seite erforderlich sei. Dieser Notwendigkeitwurde anfänglich mit zivilen Helfern und Bundeswehr-kräften in geringem Umfang Rechnung getragen. Nachdem ersten Dammbruch am 23. Juli begann die massiveVerstärkung der militärischen Kräfte.Bisher von der militärischen Katastrophenhilfe nicht be-troffen, erhielt ich am Sonntag, den 27. Juli, gegen22:30 Uhr einen Anruf meiner Dienststelle, der auf einemögliche Verlegung von Kräften des Bataillons im Ver-lauf der Woche hinwies. Nach Dienstantritt am Montagwurde dieser Sachverhalt schnell mit Inhalten und vorallem mit Zeitangaben gefüllt. Infolgedessen bekam ichvon meinem S 4-Offizier den Befehl, mit ihm gemein-sam als Vorkommando gegen 14:00 Uhr in RichtungBrandenburg aufzubrechen. Mit lückenhaften Informa-tionen zum bevorstehenden Auftrag fuhr ich nach Hau-se, um die notwendigsten Utensilien, die man für einen

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noch unbekannten Einsatzzeitraum benötigt, zusam-menzupacken. Nach Abschluss aller vorbereitendenMaßnahmen und Abfahrt aus dem Standort wurden wirin die Lage und in unseren Auftrag eingewiesen. Teileunseres Bataillons sowie Kräfte anderer Dienststellenwurden unter Führung unseres Bataillonskommandeurszum Unterstützungsverbandes Unterfranken formiert.Unser Auftrag war es nunmehr, die am Folgetag begin-nende Verlegung des Unterstützungsverbands Unter-franken vorzubereiten. Als erstes Anlaufziel wurde unseine Operationszentrale (OPZ) in Eisenhüttenstadt be-nannt. Nach erfolgter Verbindungsaufnahme wurde unseine Schlafmöglichkeit zugewiesen, um am nächstenTag die Weiterfahrt zum Truppenübungsplatz Oberlau-sitz anzutreten. Dort angekommen, erfolgte die Vorbe-reitung zur Aufnahme der Hauptkräfte.Wir übernachteten in der Oberlausitz und erreichten amMittwoch, den 30. Juli, unsere zeitlich befristete Heimatin Bad Freienwalde. Aufgrund der personellen Stärkedes Verbandes erfolgte die Unterbringung in zwei Schu-len und deren Nebengebäuden, wie beispielsweise einerTurnhalle. Während wir in Zusammenarbeit mit derSchulleitung die Nutzbarkeit der Räume besprachen,sichtete der Führer des Unterstützungsverbandes den zu-geteilten Deichabschnitt im Bereich Hohenwutzen.Nach Herstellen der Einsatzbereitschaft wurde innerhalbder OPZ des Unterstützungsverbandes mit Hochdruckan der Planung des Kräfteeinsatzes gearbeitet, denn diesich zuspitzende Situation verlangte ein schnelles Han-deln und den unmittelbaren Einsatz am Deich.

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Nach Festlegung des Führers des Unterstützungsverban-des wurde ein Schichtmodell mit einem zwölfstündigenWechselrhythmus aufgestellt. Das entscheidende aktiveEingreifen zur Rettung des Deiches begann. Nachdemdie ersten Kräfte ihren Arbeitseinsatz beendet hatten undzum Schulgebäude zurückkehrten, konnte man in diemüden Gesichter der Soldaten blicken. Das stetige Tra-gen und Stapeln von Sandsäcken hatte die Oberkörper-muskulatur der Soldaten wie vermutlich nie zuvor bean-sprucht. Die ersten durch die Führer gesammelten Erfah-rungen am Einsatzort wurden ausgewertet und unmittel-bar im andauernden Führungsprozess berücksichtigt.

Erst nachdem die Soldaten ihre zweite oder dritteSchicht angetreten hatten, realisierten viele die Gefahr,der sie bisher ausgesetzt waren. Das Erdreich des Ufer-bereiches wurde durch den starken, zur Seite wirkendenDruck des Flusses wie ein Schwamm durchfeuchtet undinstabil. Das Brechen des Uferwalls hätte den vor Ort

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eingesetzten Soldaten keine Möglichkeiten des Auswei-chens gelassen und die austretenden Wassermassen ver-mutlich verheerende Folgen beschert.

Der Einsatz auf der Deichkrone und im tiefer liegendenBöschungsbereich konnte im Hinblick auf die ausgehen-de Gefährdung nur schwer eingestuft werden. Um dieStandfestigkeit und Stabilität des Damms zu erhöhen,wurde das völlig durchnässte Erdreich mit Sandsäckenbeschwert.Das Verbringen von Sandsäcken mit Transporthub-schraubern war durch die geringe Verfügbarkeit von Au-ßenlastnetzen begrenzt, aber die Effizienz der Logistikkonnte mit dem Bau einer Faltstraße zur Anlieferungmittels Radfahrzeugen gesteigert werden. SpezialisierteTaucher brachten im Verlauf des Flusses uferseitig Fo-lien an, um den geschilderten „Schwammeffekt“ zu re-

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duzieren. Die Verantwortung der eingeteilten Feldwebelvor Ort für ihre anvertrauten Soldaten war unglaublichhoch. Gerade bei der jetzt einsetzenden Dunkelheit be-währten sich Disziplin und Gehorsam, basierend auf ge-genseitigem Vertrauen zwischen Vorgesetzten und Un-tergebenen. Jeder Vorgesetzte war nach Erreichen derUnterkunft innerlich erleichtert, seine Männer unver-sehrt vom Deich zurückgebracht zu haben. Äußerlichmittlerweile von purer Erschöpfung, Blasen, Hornhautund Insektenstichen gekennzeichnet, wollte keiner andas Scheitern der Mission denken. Die Zugführer ver-standen es, den Ehrgeiz und den Willen der Soldaten zuwecken und damit ein außerordentlich verbundenesTeam zu bilden. Das Ziel, circa 20.000 Menschen vordem Existenzverlust zu bewahren, motivierte die Solda-ten immer wieder aufs Neue und gab zusätzliche Kraftfür alles, was da kommen sollte. Nach einigen Tagen un-ermüdlichen Handelns zeichnete sich das Ergebnis derbisher geleisteten Arbeit ab. Da weitere Niederschlägeausblieben und die von uns gesicherten Deiche hielten,konnten die Wassermassen nun kontrolliert abfließen.Die Verbesserung der Wetterlage und das Sinken desWasserpegels führten zum sichtbaren verdienten Erfolgund brachte mehr als ein Lächeln in die Gesichter derSoldaten zurück. Nicht minder freuten sich alle Kame-raden über den angekündigten Wechsel der Verantwort-lichkeit, so dass man den Begriff Rückverlegung bereitsmit einem Datum in Verbindung bringen konnte.

An einem Samstag beendeten die Kräfte des Unterstüt-zungsverbandes Unterfranken ihren 13-tägigen Einsatz

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im Rahmen der Oderflut und kehrten in ihre jeweiligenHeimatstandorte zurück. Das Land Brandenburg verliehden eingesetzten Kräften in dankbarer Anerkennungspäter die neu gestiftete Oderflut-Medaille.

Durch seine unmittelbare Präsenz am Ort des Gesche-hens kann der Feldwebel die Lage beurteilen, auswer-ten und Lageentwicklungen verfolgen. ErforderlicheSchwerpunkte können dadurch erkannt und gebildetwerden. Der Vorgesetzte richtet sein Vorgehen unterBerücksichtigung vorhandenen Personals und Materi-als situationsorientiert im Einsatzraum aus. Durch eineeinheitliche, militärische Sprache können Missver-ständnisse in der Auftragserteilung und -erfüllung be-sonders unter schwierigen Bedingungen gering gehal-ten werden. Eine funktionierende Logistik trägt als we-sentlicher Bestandteil zum Gelingen von Operationenbei und bestärkt den Soldaten in seiner Moral und sei-ner Willenskraft.

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Das Unteroffizierheim

„So, meine Herren, hier befindet sich unser Unteroffi-zierheim. Grundsätzlich sollten Sie, wenn Sie im Rah-men einer dienstlichen Veranstaltung geselliger Art hier-her kommen, folgende Grundregeln beachten: Im Unter-offizierheim findet die Grußpflicht grundsätzlich keineAnwendung. Wer kann sich vorstellen warum? Keiner?Nicht nur, weil Sie dann die ganze Zeit grüßen würden,sondern weil man damit ein besonderes Gefühl der Ge-meinsamkeit und des Zusammenhalts des Unteroffizier-korps zum Ausdruck bringen möchte. Deshalb ist manhier auch ‚unter sich‘. Dennoch erweisen Sie den Anwe-senden beim Betreten eines Raumes Ihren Respekt miteinem Gruß.“So fing meine erste Einweisung in das Unteroffizier-heim an. Das Unteroffizierheim an meinem Standortwar eines der wenigen, das noch außerhalb des ge-schlossenen Kasernenkomplexes lag. Als junger Haupt-gefreiter (UA) hatte ich nur selten das Vergnügen, dieseRäumlichkeiten aufzusuchen. Aber ehrlich, ich habemich auch nicht wirklich darum gerissen. Irgendwie er-schien mir das Ganze angestaubt und leblos. Ich weißheute noch, wie wir in unser Unteroffizierheim gegan-gen sind: Irgendwie war es eine Verpflichtung, der kei-ner von uns die richtige Bedeutung beimessen konnte.Das Unteroffizierheim war der Ort, an dem einmal imMonat eine „Happy Hour“ stattfand. Die meiste Zeit je-doch waren meine Kameraden und ich im Unteroffizier-raum der Kompanie. Da wir aber auch Mitglieder imUnteroffizierheim waren, sollten wir uns auch im Unter-

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offizierheim sehen lassen. Wir empfanden das alsPflichtaufgabe. Dies führte nicht wirklich dazu, diesenOrt, zu dem wir uns eigentlich hingezogen fühlen soll-ten, zu mögen oder in unserer Freizeit aufzusuchen. Unddies, obwohl uns jeder Unteroffizierkamerad einen Be-such ans Herz legte. Der einzige Grund, warum meineKameraden und ich doch manchmal hingingen, lag inder unmittelbaren Nähe zu unserer Unterkunft.An der Infanterieschule gab es zwar ein Unteroffizier-heim, aber aufgrund des Zeitmangels während des Lehr-gangs, anderer Lokalitäten in der Umgebung und der an-gebotenen Pizzadienste wurde auch dieses nur selten be-sucht. Es diente eher als Alternative zur Truppenküche,wenn es da nur Fisch oder Eintopf gab. Trotzdem entwi-ckelte sich hier so etwas wie ein „Wir-Gefühl“. Ich gingnie allein dorthin und irgendwie fühlte man sich „untersich“. Zum ersten Mal lernte ich die Vorzüge einer sol-chen Einrichtung kennen. Die Ordonnanzen kümmertensich fast schon aufopferungsvoll um uns: Ob bei denEssen à la Carte oder während gemütlicher Abende mitKameraden im Fernsehzimmer, die Aufenthalte in „mei-nem“ Unteroffizierheim waren einfach unbeschreiblichschön. Gespräche und Feiern, die in diesem mir nochvor wenigen Monaten so verstaubt erscheinenden Ob-jekt stattfanden, waren wohl die eindrucksvollsten mei-ner bisherigen Dienstzeit.Aber nicht nur die Feiern, sondern vor allem die Gesprä-che und der Austausch von Erfahrungen mit älteren Ka-meraden dienten meiner Horizonterweiterung.Heute bin ich Stabsfeldwebel und Teileinheitsführer.Zugleich bin ich noch der erste Vorsitzende unseres Un-

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teroffizierheimes. Wenn es meine Zeit erlaubt, besucheich gerne mit meinen Kameraden – militärisch wie zivil –„unser“ Unteroffizierheim und genieße dessen Atmo-sphäre. Es muss uns auch in der heutigen Zeit gelingen,unsere Unteroffizierheime – ob noch eigenständig alsVerein geführt oder aber unter privatwirtschaftlicherLeitung – als Orte des außerdienstlichen und dienstli-chen Gemeinschaftslebens zu erhalten und weiterzuent-wickeln. Diese Einrichtungen bieten eine erstklassigeMöglichkeit, sich im Kreis Gleichgesinnter auszutau-schen. Sie bieten Rückzugsräume und die Möglichkeitzur Entspannung. Dies gilt im Grundbetrieb, aber auchin den Einsätzen. Dort müssen sich die Betreuungsein-richtungen jedoch den örtlichen Gegebenheiten lageab-hängig anpassen.Was bleibt, ist die Forderung an die Unteroffiziere, sichin diesen Betreuungseinrichtungen persönlich aktiv zuengagieren. Wir dürfen unsere Unteroffizierheime nichtzu „outgesourcten“ Gastwirtschaften verkümmern las-sen. Sie sind unsere Einrichtungen, hier wächst das Un-teroffizierkorps zusammen. Es besteht die Möglichkeitzur aktiven Gestaltung von Gemeinschaft und gelebterKameradschaft. Im Unteroffizierheim lernen sich alleUnteroffiziere und Unteroffizieranwärter auf gleicherAugenhöhe persönlich kennen. Gespräche gehen idea-lerweise über das rein Dienstliche hinaus. Immer solltenein ausgewogenes menschliches Miteinander sowie einvon Offenheit und Ehrlichkeit geprägtes Klima des Ver-trauens herrschen. Die älteren Kameraden leben diesesMiteinander vor. Was im Unteroffizierheim im Kamera-denkreis besprochen wird, dringt im Regelfall nicht

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nach draußen. Kritische und von Vertrauen geprägteDiskussionen sind dabei wesentlicher und notwendigerBestandteil dieses Miteinanders.

Dieses gelebte Miteinander ist die Grundlage für einegefestigte Kameradschaft und trägt zur Kohäsion vonVerband und Einheit bei. Auch wenn sich der Truppen-alltag insbesondere vor dem Hintergrund der Einsätzein den letzten Jahren stark verändert hat, nimmt dasUnteroffizierheim unverändert eine wichtige Funktionein.Das am Standort gewachsene persönliche Vertrauens-verhältnis trägt auch in Belastungssituationen und imEinsatz zum Zusammenhalt bei. Umso wichtiger ist es,dass bereits der junge Unteroffizier von Beginn seinerDienstzeit an in diese Einrichtungen eingeführt wirdund sie als „sein“ Unteroffizierheim erlebt. Je früher ersein Unteroffizierheim erlebt und sich hier aktiv enga-giert, desto besser.

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Du bist Feldwebel

Am Ende des Buches bleibt mir nur festzuhalten, dassich, der Spieß, viele Geschichten so oder so ähnlich er-lebt habe oder aus Erzählungen anderer Kameradenkenne. Allen gemein ist, dass die enthaltenen Erfahrun-gen Ihnen als Anknüpfungspunkt oder auch Richtschnurfür das eigene Handeln dienen können. Das hilft auch,so habe ich es erfahren, sich nicht unnötig zu verzetteln.Denn dann sind es nicht mehr andere Feldwebel, diehandeln, sondern Sie, nein besser, Du bist dieser Feld-webel. Als Feldwebel bist Du bestimmt, ein militärischerFührer zu sein. Gute militärische Führer sind der Kitt,der die Einheit zusammenhält. Ausbildung, Übung, Ein-satz und Erfahrung formen diese guten militärischenFührer. Sei stolz, einer dieser militärischen Führer seinzu dürfen! Feldwebel haben seit jeher vielfältige Aufga-ben in der Armee.Vom Feldwebel bis zum Oberstabsfeldwebel bekleidenwir verantwortungsvolle Dienstposten und arbeitenhäufig mit Gerät im Wert von Millionen Euro. Dashöchste uns anvertraute Gut aber ist der Mensch. DieSoldaten, die der Staat in unsere Obhut gibt.Diese Soldaten sind bereit, ihrem Land zu dienen – auf-opferungsvoll und unter Einsatz ihres Lebens, wenn esdarauf ankommt. Diese Soldaten verdienen es, bestmög-lich ausgerüstet und ausgebildet zu werden. Die Ausrüs-tung stellt der Dienstherr, für die Ausbildung ist an ers-ter Stelle der Feldwebel verantwortlich. Er ist am Mann,von früh bis spät, stets aufmerksam und unerbittlich,

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wenn es die Situation erfordert. Dies ist sehr oft kein„Job, der innerhalb der Rahmendienstzeit erledigt wer-den kann“!

Es gehört einiges dazu, ein guter militärischer Führer zusein. Ich denke, die Geschichten sprechen dort eine ein-deutige Sprache. Es ist auch noch kein Feldwebel alsMeister seines Fachs vom Himmel gefallen. Führen,ausbilden und erziehen sollst Du. Eine glückliche Handim Umgang mit den Soldaten, Ausdauer, Mut, Geschick-lichkeit, aber auch ein hohes Maß an Engagement undein kleines bisschen Glück gehören zum Meisterhand-werk. Fehler sind da sehr leicht möglich. Auch ich habewährend meiner Dienstzeit unzählige Fehler gemacht.Aber aus Fehlern kann man lernen. Gut, wenn man sichauf erfahrene Kameraden stützen kann. Einige währendmeiner bisherigen Dienstzeit erfahrenen Hinweise undRatschläge möchte ich Dir mit auf den Weg geben.In meiner Dienstzeit ist natürlich eine Menge zusam-mengekommen und es mag Dir vielleicht nun wie ein un-überwindbarer Berg vorkommen. Nimm diese Heraus-forderung aber an, die Kameraden links und rechts vonDir helfen auf dem Weg zum Ziel, dessen bin ich mir si-cher. Lerne aus den Beispielen und ziehe Deine Lehrendaraus. Lasse nie nach, stets Dein Bestes zu geben undeiner der Besten zu werden!

Gute militärische Führer werden selten als solche gebo-ren, sie werden geformt. Geformt durch solche, die esbereits sind und durch eigene Erlebnisse, die man imLaufe seiner Dienstzeit sammelt.

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Ohne den festen Willen ein guter Führer zu werden, oh-ne die Bereitschaft, dafür auch oftmals große Opfer zubringen, ist jede Anstrengung vergebliche Liebesmüh.Soldaten zu führen, bedeutet für Dich, alle Herausforde-rungen anzunehmen und gemeinsam mit Deinen Kame-raden zu bestehen. Umso mehr kannst Du dann stolz aufdas Geleistete sein. Dies gibt Dir zusätzliches Selbstbe-wusstsein und berufliche Zufriedenheit im täglichenDienst. Dies ist besonders für Dich als junger militäri-scher Führer oft eine große Herausforderung, aber Er-füllung zugleich.

Der Feldwebel ist der Meister seines Fachs. Ich denke,dies wurde in diesem Buch deutlich beschrieben. Dazusind, ich habe es bereits am Anfang beschrieben, möch-te es aber an dieser Stelle nochmals erwähnen, folgendeEigenschaften besonders wichtig:

➢ Er führt durch Vorbild.➢ Er ist dabei bescheiden.➢ Er kennt seine Männer und Frauen und ist für sie

da, wenn sie ihn brauchen.➢ Er bildet sich weiter und ist Neuem gegenüber

aufgeschlossen.➢ Er ist loyal gegenüber seinen Vorgesetzten und kri-

tisiert nicht deren Befehle vor der Front.

Führe Deine Soldaten mit Stolz. Behandele sie stets so,wie Du gerne behandelt werden möchtest und sorgeDich stets um sie. Fordere und fördere sie, das zahlt sichein Leben lang aus.

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Scheue keine Anstrengung, schaue über den Tellerrand,biete Dich an, übernimm auch freiwillig neue und zu-sätzliche Verantwortung, achte dabei die erfahrenen Ka-meraden und lerne von ihnen.Unüberwindliche Herausforderungen? Egal, Du gehstes an. „Ich will“, das Wort ist mächtig. Du bewältigstdie ersten Lehrgänge, denkst manchmal daran, es hinzu-schmeißen. Der Weg ist lang und steinig.Bald jedoch sind die ersten Hürden genommen, erste Er-folge stellen sich ein, es geht vorwärts. Du führst, Dubildest aus und Du erziehst!Als junger Feldwebel erscheinen Dienstgrade wie Ober-,Haupt-, und Stabsfeldwebel weit weg, Oberstabsfeldwe-bel gar unerreichbar. Schnell sind die Jahre vergangenund Du hast selbst diesen Dienstgrad erreicht. Im Laufeder Zeit hast Du vor der Front Erfahrung gesammelt.Werde nicht ungeduldig, wenn Du in der Laufbahn lang-samer als erhofft aufsteigst. Werde nicht überheblich,wenn Du Deine Dir gesteckten Ziele oder das Ende derLaufbahn erreicht hast. Bleibe bescheiden und überzeu-ge durch Leistung. Für mich bedeutet das, das Sammelnvon Diensterfahrung endet erst am Ende der Dienstzeit.

Ein gesundes Selbstbewusstsein, basierend auf Leistungund Können, gehört immer dazu. Das hilft, sich nichtverbiegen zu lassen, um es allen Vorgesetzten Recht zumachen. Sei ruhig kritisch und hinterfrage auch wennnötig. Wie es Situationen gibt, in denen ohne Diskussio-nen nur befohlen und gehorcht werden muss, so gibt esauch solche, in denen man seinen Entschluss mit ande-ren besprechen kann. Auch Vorgesetzte sind Menschen

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und machen somit auch Fehler. Werde dabei nie emotio-nal. Es geht, so habe ich es erlebt, immer nur um die ge-meinsame Sache und den gemeinsamen Auftrag undnicht um die Person. Unter vier Augen ist ein Problemoftmals schnell gelöst, zu beiderseitiger Zufriedenheit.Niemals vor der Front klären! Auch hier gilt immer:„Der Ton macht die Musik“. Unbeherrschtheit und fal-scher Ton kann verletzend sein und Vertrauen zerstören.Aber: Gestehe auch offen eigene Fehler ein.

Es folgen spannende Jahre mit tollen Soldaten, zuverläs-sigen Kameraden, schönen und schweren Zeiten, Hitzeund Kälte, Staub und Matsch, Wache und Manöver, Ein-satz und Ausbildung.Du führst, bildest aus und erziehst und hast Freude da-ran. Dabei wächst Deine Verantwortung stetig mit demDienstgrad!Setze gegebene Befehle stets mit der gebotenen Härtedurch. Du stehst dafür ein und trägst die Verantwortung.Bleibe dabei höflich, aber bestimmt. Beteilige DeineSoldaten an Informationen und Entscheidungen. Dasmacht den Führungsprozess manchmal leichter und dieSoldaten wissen immer, um was es geht. Du bleibst je-doch immer der „Chef im Ring“ und Deine Unterstell-ten wissen das auch. Man muss deswegen nicht arroganterscheinen. Die Geführten können schnell ihre Vorge-setzten einschätzen.

Wissen und Können sind dabei eine unverzichtbare Ba-sis, unabhängig vom Dienstgrad auf Deiner Schulter.Deshalb musst Du besser sein als andere! Nutze jede

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Gelegenheit zur Weiterbildung. Schau auch in Vorschrif-ten und Bücher, die nicht unbedingt Dein Fachgebiet be-treffen. Du kannst aus jedem Gebiet etwas mitnehmen.Brauchst Du es heute nicht gleich, dann morgen auf je-den Fall.Oft wird der Dienst hart und auslaugend sein. Sei dafürgerüstet. Bereite Deine Ausbildung sauber vor und hal-te Dich für anstrengende Tage fit. Kein Arbeitgeber gibtDir die Möglichkeit, Dich während der Arbeitszeit so fitzu halten und Geld dafür zu bekommen. Du hast hier al-le Möglichkeiten, nutze sie. Ausreden zu finden, um Trai-ningsstunden ausfallen zu lassen, gibt es immer genug.Du musst als Führer immer einen Tick besser sein alsDeine Soldaten. Der Soldat kann schnell erkennen, obsich sein Führer anstrengt und selbst bereit ist, Höchst-leistungen von sich zu verlangen. Eine gute Fitness istunbedingte Voraussetzung und bringt auch geistigeSpannkraft. Im Einsatz, aber vor allem im Gefecht, kanneine mangelhafte körperliche Verfassung katastrophaleAuswirkungen auf die ganze Truppe haben.

Erfolg gibt Dir neue Willenskraft. So förderst Du selbstDeinen Fortschritt. Aus dem Willen erwächst Können.Das Können beinhaltet Tatkraft und Entschlussfreudig-keit und führt zum Erfolg!Suche Dir Deine Vorbilder genau aus. Nimm keineSchwätzer. Oftmals sind es die ruhigeren Kameraden, diehinter dem Wall ihre Arbeit machen und nicht große Re-den schwingen. Beobachte ihre Arbeitsweisen und wähleDir einen Mentor. Versuche aber nicht zu kopieren, son-dern finde Deinen eigenen Stil. Arbeite stets an Dir.

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Bilde Deine Soldaten bestmöglich aus. Achte auf De-tails, stelle Mängel unverzüglich ab und nutze immer diezur Verfügung stehende Ausbildungszeit voll aus. Nie-mals kann vergeudete Ausbildungszeit aufgeholt wer-den. Fordere und fördere die Soldaten. Gammeldienst istunerwünscht. Schaffe Erlebnisse, jeden Tag neu. Führedie Soldaten auch an ihre Leistungsgrenzen und zeigesie auf. Unter-, aber auch Überforderung sind nicht gut,ein gesundes Augenmaß ist die Richtung.Bilde für den Einsatz aus. Die Einsätze fordern gut aus-gebildete Soldaten. Was der Soldat nicht gelernt und ge-übt hat, kann er nicht beherrschen. Die Belastungen, dieim Ausbildungsdienst erlebt werden können, geben zu-mindest eine Idee von dem, was auf einen zukommenkönnte. Sehr oft sind die realen Belastungen deutlich hö-her.

Herausragende Soldaten kannst Du für weitere Förde-rungen vorschlagen und sie zur Verlängerung derDienstzeit motivieren und damit ihre Talente und Fähig-keiten für die Streitkräfte erhalten. Lebe vor. Es gibtnichts Besseres als ein Führen durch Vorbild. Es reißtalle mit.Stets hast Du neue, spannende Herausforderungen zumeistern. Du lernst und wirst „weiser“ und erfahrener.Familie und Beruf fordern ihren Tribut, aber die Sachemacht immer noch Spaß. Neue Lagen, neue Orte, neueMenschen – es gibt immer etwas zu erleben. Denn Duführst Soldaten. Eine unvergleichlich schöne, spannen-de, lehrreiche und wichtige Aufgabe.

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Nutze die Gemeinschaft des Unteroffizierkorps und brin-ge Dich dort ein. Es ist eine starke Gemeinschaft, dievon ihren Mitgliedern lebt. Eine militärische Gemein-schaft erfordert, dass man sich in jeder Situation aufei-nander verlassen kann. So etwas muss „erlebt“ werden.Man muss dabei nicht allabendlich beim Bier versinken,aber die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen unddie aktive Übernahme von Aufgaben zur Umsetzung sol-cher sollten eine Selbstverständlichkeit sein. Mach es zu„Deinem“ Unteroffizierkorps, indem Du es mitgestal-test.Du siehst, es ist ein spannender Prozess. Und für mich,als Spieß und Führer des Unteroffizierkorps, macht esdann doppelt Freude.Mach was draus. Dir stehen alle Türen offen. Es kommtimmer auf den Einsatz des Einzelnen an. Wer etwas er-reichen will, darf sich nicht auf seinen Lorbeeren ausru-hen. Es erfordert einen lebenslangen Lern- und Fortbil-dungsprozess.Denke immer daran: Wer aufhört besser zu werden, hataufgehört gut zu sein!

Zum Schluss:Und wenn Du vor lauter gut gemeinten Ratschlägen jetztnicht mehr weißt, wo vorne und hinten ist, sei beruhigt.Auch ich habe diese Weisheiten nicht mit dem Löffel ge-fressen, sondern über lange Jahre erlebt, erfahren, erlit-ten und mich daran erfreut. Dabei vergehen diese Jahrewie im Flug und man wundert sich, wie schnell 20 oder25 Jahre vergangen sind. Oft blickst Du auf schöne, aberauch schwere Zeiten zurück. Und dann triffst Du beim

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Einkaufen ehemalige Soldaten und führst nette Gesprä-che, die Dir zeigen: Du hast es eigentlich richtig ge-macht, die Soldaten denken gerne an die Zeit mit Dir zu-rück. Du hast Erlebnisse geschaffen, die sich in denKöpfen festgesetzt haben. Die Soldaten fühlten sich ge-braucht, gut behandelt und haben etwas bei Dir gelernt.

Und Du denkst: Ich habe den schönsten Beruf der Weltgewählt.

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Der Feldwebel im Wandel der Zeit

„Gute Unteroffiziere sind der Kitt, der ein Heer zusam-menhält.“ Dieser von Napoleon geprägte Satz bringt ei-ne allgemeine Erfahrung vieler europäischer Armeenauf den Punkt. Auch auf deutsche Streitkräfte trifft die-se Aussage uneingeschränkt zu. Wie aber entstand dieGruppe der Unteroffiziere?Schon von alters her gab es eine Hierarchie der militäri-schen Führer. Im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648)wurde es im deutschen Sprachraum üblich, die militäri-schen Führer als „Offiziere“ (von lateinisch officiarius =Amtsinhaber) zu bezeichnen.Die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg brachte im Zu-ge der Entwicklung des modernen Staates den Wandelvom Söldnerheer zur stehenden Armee. In den Kompa-nien wurde eine Stammrolle geführt, deren erste Seitedie „Offiziere“ auflistete. Zuoberst standen die Offizie-re, die militärische Führungsaufgaben wahrnahmen, undin der unteren Hälfte solche Offiziere, die vorwiegendFunktionsdienste ausübten. Im Laufe der Jahre wurdendie unterschiedlichen Gruppen als Oberoffiziere undUnteroffiziere bezeichnet, wobei später aus dem Ober-offizier der Offizier wurde.Einer der ältesten nachweisbaren Unteroffizierdienst-grade ist der Feldwebel. Schon in den Söldnerheerender Landsknechte hatte er eine herausgehobene Positioninne: Er musste Lesen und Schreiben können und dasVertrauen sowohl des Kompaniechefs als auch der Söld-

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ner haben. Neben der Ausbildung hatte er sich um alleAngelegenheiten des inneren Dienstes zu kümmern.Diese herausgehobene Stellung wurde dann auch äußer-lich herausgestellt: 1789 erhielten Feldwebel in der preu-ßischen Armee das Recht, wie die Offiziere ein Portepée(französisch porte-épée = Degengehenk) zu tragen.Die weiteren Jahrzehnte brachten eine Ausweitung derAufgaben der Unteroffiziere. Sprichwörtlich wurde derpreußische Korporal. Seine Aufgabe war es, den Feld-webel bei der Ausbildung zu unterstützen. Im Gefechtwachten die Korporale hinter der Linie darüber, dass dieSoldaten nicht desertierten.Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Aufgabender Unteroffiziere in deutschen Streitkräften entschei-dend erweitert; sie erhielten taktische Aufträge als Füh-rer im Gefecht. Parallel zu dieser Entwicklung begann indeutschen Streitkräften die langsame Durchsetzung desPrinzips des „Führens mit Auftrag“, zu dessen Umset-zung die Unteroffiziere benötigt wurden.In Folge des gesteigerten Verantwortungsbereichs er-höhte sich auch das Selbstbewusstsein. Ein Korpsgeistentstand; in den Kompanien bildeten sich Unteroffizier-korps heraus.Der erste Weltkrieg (1914 – 1918) bestätigte den in deut-schen Streitkräften eingeschlagenen Weg des „Führensmit Auftrag“, woran gerade Unteroffiziere und Feldwe-bel, nicht wenige auf Offizierdienstposten, wesentlichenAnteil hatten.Noch mehr bestätigte der Zweite Weltkrieg (1939 – 1945)die Bedeutung des Unteroffiziers als oft auf sich gestell-ter militärischer Führer, der selbstständig Entscheidun-

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gen treffen musste und herausgehobene Verantwortungfür Personal und Material hatte.Mit Aufstellung bundesdeutscher Streitkräfte ab 1956wurde der bisherige Weg bei der Rekrutierung, Auswahlund Ausbildung von Unteroffizieren und Feldwebeln zu-nächst fortgesetzt. Der Unteroffizier war Gruppenführer,der Feldwebel ein Meister seines Fachs auf Zugebene.Die wenigen Feldwebeldienstposten im Vergleich zuden Dienstposten für Unteroffiziere ohne Portepée stell-ten seine Bedeutung heraus.Ein ebenfalls überkommenes Problem konnten auch dieStreitkräfte der Bundeswehr aber nie ganz lösen: stetsfehlten ihnen genügend Unteroffiziere und somit Feld-webel. Das Heer als größte Teilstreitkraft traf es dabeibesonders. Zusätzlich erforderte die zunehmende Tech-nisierung immer mehr und besser ausgebildete Unterof-fiziere. Der Anspruch an den Unteroffizier wuchs zuse-hends.Schon im Oktober 1989 stellte der Inspekteur des Hee-res fest, dass die Anforderungen dem Dienstgrad Unter-offizier davongelaufen seien und erst vom Feldwebelwieder eingeholt würden. Gesellschaftlicher Wandel so-wie neue Herausforderungen durch die Auslandseinsät-ze führten dazu, dass die Laufbahn der Unteroffizierevöllig neu gestaltet wurde. Das Prinzip der Auswahlkünftiger Feldwebel aus dem Kreis bewährter Unteroffi-ziere ohne Portepée wurde aufgegeben zugunsten einerzweigeteilten Feldwebellaufbahn. Das Bild des Unterof-fiziers wandelt sich seitdem.Trotz allen Wandels bleibt jedoch die mittlerweile in je-dem Einsatz der Bundeswehr bestätigte Erkenntnis, dass

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Feldwebel als Führer, Ausbilder, Erzieher und Spezialis-ten das Rückgrat des Heeres sind, ohne das die Streit-kräfte nicht funktionieren können.

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Ehrenmal des Deutschen Heeres

Das ehrende Gedenken an tote Soldaten ist in allenStreitkräften Teil der kulturellen Identität und des solda-tischen Selbstverständnisses.Darin drückt sich das Selbstbild des Militärs und seinegesellschaftliche und politische Verankerung aus.Das Ehrenmal des Deutschen Heeres steht für die gefal-lenen Soldaten in den beiden Weltkriegen und für die imEinsatz und im Friedensbetrieb ums Leben gekomme-nen Bundeswehrangehörigen des Heeres.

In der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz wurde es1972 eingeweiht.Seit dieser Zeit findet hier jährlich zum Volkstrauertageine Totenehrung unserer gefallenen, vermissten und imDienst der Bundeswehr verstorbenen Kameraden durchden Inspekteur des Heeres statt.

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Die Inschrift im Inneren des Ehrenmals lautet:„Den Toten des Deutschen Heeres“.

Im Jahr 2006 wurde die Widmung des Ehrenmals erwei-tert.Rechts des Ehrenmals wurde eine schlichte Stele mitdem Text: „Den Heeressoldaten der Bundeswehr, die fürFrieden, Recht und Freiheit ihr Leben ließen“ errichtet.Damit wurde der Wunsch aufgegriffen, den Hinterblie-benen und Freunden der in den Einsätzen der Bundes-wehr ums Leben gekommenen Soldaten des Heeres ei-nen Ort des Erinnerns zu geben. Dieser soll auch allenden Soldaten gewidmet sein, die nach 1955 im Friedens-dienst ihr Leben für die Verteidigung des Rechts und derFreiheit des Deutschen Volkes ließen.

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Neben dem Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin, demEhrenmal der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck und demEhrenmal der Marine in Laboe steht das Ehrenmal desHeeres damit nicht mehr nur für die Toten der Kriege,sondern auch sichtbar für die im Einsatz und im Frie-densbetrieb ums Leben gekommenen Bundeswehrange-hörigen.

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Unseren toten Kameraden

Für Frieden, Recht und Freiheit