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sieben Wochenendausgabe nr. WWW.MITTELBAYERISCHE.DE SAMSTAG/SONNTAG14./15.AUGUST2010 Sieben Fakten über ein fast vergessenes Urlaubsgefühl Aufgetischt: Eine Torte weckt Erinnerungen an Ferien in der Heide Entertainment: Claudia Koreck liefert den Sound zur Sommerfrische Kino: Kino-Debüt für „Das A-TeamReise: Serfaus, Fiss und Ladis: Sommerfrischler in der Winterfrische UNSER THEMA AN DIESEM WOCHENENDE: SOMMERFRISCHE aximilian Knapp wohnt amliebstenineinemHe- xenhaus. Wie verwun- schen steht das hölzer- ne Gemäuer da, umrahmt von einer dichten Baumgruppe. Es riecht nach Waldboden und altem Holz. Ein Auto gibt es weit und breit nicht. Stattdessen baumelt ein passende- res Fortbewegungsmittel vor dem Eingang einalterReisigbesen. Doch in Maximilian Knapps Bleibe treibt nicht wirklich eine Zauberin ihr Unwesen. „Hexen- hausheißt eines der 21 Gästehäuser im Waldferiendorf Dürrwies bei Bi- schofsmais. Jeden Sommer reist der 25-jährige Student aus Paderborn dort- hin. Zum ersten Mal kam er im Alter von drei Jahren, zusammen mit seiner Mutter, die die Region schon seit ihrer Kindheit besucht. Prompt verliebte sich Knapp in den ungewöhnlichen Ort mit den historischen Bauernhäu- sern mitten im Wald, weit weg vom nächsten Supermarkt, der nächsten Disco oder selbst der nächsten Teer- straße. „Manchmal wird es mir zu viel inderStadt.ImSommeristesdasosti- ckig und warm, sagt Knapp. „Dürr- wiesistfürmicheinZufluchtsort.Maximilian Knapp zählt zu jenen Großstädtern,dieesindenheißenMo- natenhinausaufsLandzieht;zujenen Stammgästen, die immer wieder treu an ihren Lieblingsurlaubsort zurück- kehren und in den Ferien das einfache Leben suchen. Er ist ein Sommer- frischler und gehört damit zu einer fastausgestorbenenUrlaubergattung. Vor Jahrzehnten, als der Tourismus in Ostbayern noch so in den Kinder- M schuhen steckte, dass er nicht „Touris- mussondern„Fremdenverkehrhieß, brachte die warme Jahreszeit ganze Heerscharen von Sommerfrischlern in die Region. Berliner und Rheinländer reisten an, sobald der Juli die Stadt in eine heiße Steinwüste verwandelte. Großer Luxus erwartete sie nicht. Stattdessen lockten die schöne Natur und vor allem freundliche Gastgeber. Nicht wenige Gäste kamen deshalb je- den Sommer wieder und das teilweise über ganze Generationen hinweg. Heute, das bestätigt Ulrike Eberl-Wal- tervomTourismusverbandOstbayern, haben Urlauber ganz andere Wün- sche. „Zwischen damals und heute lie- gen Welten, sagt Eberl-Walter. „Das Qualitätsbewusstsein ist immens ge- stiegen. Wellness und aktiver Gesund- heitsurlaubsindgefragt.Doch es gibt sie immer noch, die Orte, an denen die alte Art des Urlau- bens blüht und gedeiht. Dürrwies ist nur einer davon. Auch in Grafenau im unteren Bayerischen Wald wird die Sommerfrische noch gepflegt. Mitte der Sechzigerjahre errichtete das Hilfs- werk Berlin dort ein Feriendorf spezi- ell für Familien aus Westberlin. Die Bewohner der Enklave sollten einmal rauskommen und Erholung finden. DasFeriendorfgibtesnochheute.Und obwohl es jetzt von einem holländi- schen Unternehmen betrieben wird, fährt noch immer ein Linienbus aus Berlin bis direkt auf das Gelände. Von ihrem Sechzigerjahre-Charme hat die Anlage nichts eingebüßt. Die Steinhäuschen mit Flachdach sehen genauso aus wie damals und das Freizeitangebot hat sich mit den vielen Spiel- und Grillplätzen kaum verändert. Vielleicht sind auch des- halbsovieleBerlinerStammgästedem Ort treu geblieben manche sogar seit über50Jahren. Ganz so lange reisen Ronald und Andrea Stache nicht nach Grafenau. Aber das Ehepaar und seine sieben Kinder sind bereits zum siebzehnten Mal da. Luxus-Urlaub sucht die Fami- lie nicht. Ihnen gefallen die spartani- schen Ferienhäuser, die gerade das ha- ben, was man für einen Urlaub braucht, der hauptsächlich an der fri- schen Luft stattfindet eine senfgelbe Eckbank, Schlafzimmer, Dusche und WC, eine kleine Küche und Stockbet- ten für den Nachwuchs. Die Kinder können im Grün vor der Tür toben. „FürunsistdieZeithierimmerwieei- ne Flucht aus der Stadt, sagt Ronald Stache. „Die Natur ist einfach wunder- schön.Drei Wochen bleibt die Fami- lie. Im nächsten Jahr will sie noch ein achtzehntesMalwiederkommen. VON VERONIKA SIGL, MZ In alter Sommerfrische Wellness,Exotikund Abwechslung sosieht modernerSommerur- laubaus.Dochnichtalle folgendemTrend.Man- cheGästeurlaubenlie- berwievor50Jahren. FORTSETZUNG AUF SEITE 2 Urlaubserinnerungen: Natur und Sonne gibt es auf der Terrasse im Feriendorf Grafenau zu genießen (oben links). Treue Stammgäste sind die Staches aus Berlin (oben rechts). In Dürrwies kann man in einem „Hexenhauswohnen (darunter). Das Wirtsehepaar Fuchs will mehr Sommerfrischler begrüßen (darunter). Fotos: Sigl (9), privat (8) ..... ..... ..... ..... „Manchmal wirdesmirzu vielinder Stadt.Dürr- wiesistein Zufluchtsort.MAXIMILIAN KNAPP, STUDENT ..... ..... ..... ..... „Mir gefällt die Gemüt- lichkeit der Menschen im Bayerischen Wald.GERD BONK, RENTNER

FerieninderHeide Kino-Debütfür„DasA-Team nr. sieben · DerErfinder: LudwigSteub Natürlich gab es die Sommerfrische schon lange bevor ihr der bayerische Schriftsteller Ludwig

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siebenWochenendausgabe

nr.WWW.MITTELBAYERISCHE.DE SAMSTAG/SONNTAG 14./15. AUGUST 2010

Sieben Fakten über ein fast vergessenesUrlaubsgefühlAufgetischt: Eine Torteweckt Erinnerungen anFerien in derHeideEntertainment: ClaudiaKoreck liefert den Sound zur SommerfrischeKino:Kino-Debüt für „DasA-Team“Reise: Serfaus, Fiss und Ladis: Sommerfrischler in derWinterfrische

UNSER THEMA AN DIESEMWOCHENENDE: SOMMERFRISCHE

aximilian Knapp wohntam liebsten in einemHe-xenhaus. Wie verwun-schen steht das hölzer-

ne Gemäuer da, umrahmt von einerdichten Baumgruppe. Es riecht nachWaldboden und altem Holz. EinAuto gibt es weit und breit nicht.Stattdessen baumelt ein passende-res Fortbewegungsmittel vor demEingang – ein alter Reisigbesen.

Doch in Maximilian KnappsBleibe treibt nicht wirklich eineZauberin ihr Unwesen. „Hexen-haus“ heißt eines der 21 Gästehäuserim Waldferiendorf Dürrwies bei Bi-schofsmais. Jeden Sommer reist der25-jährige Student aus Paderborn dort-hin. Zum ersten Mal kam er im Altervon drei Jahren, zusammen mit seinerMutter, die die Region schon seit ihrerKindheit besucht. Prompt verliebtesich Knapp in den ungewöhnlichenOrt mit den historischen Bauernhäu-sern mitten im Wald, weit weg vom

nächsten Supermarkt, der nächstenDisco oder selbst der nächsten Teer-straße. „Manchmal wird es mir zu vielin der Stadt. Im Sommer ist es da so sti-ckig und warm“, sagt Knapp. „Dürr-wies ist fürmich ein Zufluchtsort.“

Maximilian Knapp zählt zu jenenGroßstädtern, die es in den heißenMo-naten hinaus aufs Land zieht; zu jenenStammgästen, die immer wieder treuan ihren Lieblingsurlaubsort zurück-kehren und in den Ferien das einfacheLeben suchen. Er ist ein Sommer-frischler – und gehört damit zu einerfast ausgestorbenenUrlaubergattung.

Vor Jahrzehnten, als der Tourismusin Ostbayern noch so in den Kinder-

M

schuhen steckte, dass er nicht „Touris-mus“ sondern „Fremdenverkehr“hieß,brachte die warme Jahreszeit ganzeHeerscharen von Sommerfrischlern indie Region. Berliner und Rheinländerreisten an, sobald der Juli die Stadt ineine heiße Steinwüste verwandelte.

Großer Luxus erwartete sie nicht.Stattdessen lockten die schöne Naturund vor allem freundliche Gastgeber.Nicht wenige Gäste kamen deshalb je-den Sommer wieder und das teilweiseüber ganze Generationen hinweg.Heute, das bestätigt Ulrike Eberl-Wal-

ter vomTourismusverbandOstbayern,haben Urlauber ganz andere Wün-sche. „Zwischen damals und heute lie-gen Welten“, sagt Eberl-Walter. „DasQualitätsbewusstsein ist immens ge-stiegen. Wellness und aktiver Gesund-heitsurlaub sind gefragt.“

Doch es gibt sie immer noch, dieOrte, an denen die alte Art des Urlau-bens blüht und gedeiht. Dürrwies istnur einer davon. Auch in Grafenau imunteren Bayerischen Wald wird dieSommerfrische noch gepflegt. Mitteder Sechzigerjahre errichtete das Hilfs-werk Berlin dort ein Feriendorf spezi-ell für Familien aus Westberlin. DieBewohner der Enklave sollten einmalrauskommen und Erholung finden.Das Feriendorf gibt es noch heute. Und

obwohl es jetzt von einem holländi-schen Unternehmen betrieben wird,fährt noch immer ein Linienbus ausBerlin bis direkt auf das Gelände.Von ihrem Sechzigerjahre-Charmehat die Anlage nichts eingebüßt.Die Steinhäuschen mit Flachdachsehen genauso aus wie damals unddas Freizeitangebot hat sich mit denvielen Spiel- und Grillplätzen kaumverändert. Vielleicht sind auch des-halb so viele Berliner Stammgäste demOrt treu geblieben –manche sogar seitüber 50 Jahren.

Ganz so lange reisen Ronald undAndrea Stache nicht nach Grafenau.Aber das Ehepaar und seine siebenKinder sind bereits zum siebzehntenMal da. Luxus-Urlaub sucht die Fami-lie nicht. Ihnen gefallen die spartani-schen Ferienhäuser, die gerade das ha-ben, was man für einen Urlaubbraucht, der hauptsächlich an der fri-schen Luft stattfindet – eine senfgelbeEckbank, Schlafzimmer, Dusche undWC, eine kleine Küche und Stockbet-ten für den Nachwuchs. Die Kinderkönnen im Grün vor der Tür toben.„Für uns ist die Zeit hier immer wie ei-ne Flucht aus der Stadt“, sagt RonaldStache. „Die Natur ist einfach wunder-schön.“ Drei Wochen bleibt die Fami-lie. Im nächsten Jahr will sie noch einachtzehntesMalwiederkommen.

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VON VERONIKA SIGL, MZ

In alter SommerfrischeWellness, Exotik undAbwechslung – so siehtmoderner Sommerur-laub aus. Dochnicht allefolgen demTrend.Man-cheGäste urlauben lie-berwie vor 50 Jahren.

FORTSETZUNG

AUF SEITE 2

Urlaubserinnerungen: Natur und Sonne gibt es auf der Terrasse im Feriendorf Grafenau zu genießen (oben links).

Treue Stammgäste sind die Staches aus Berlin (oben rechts). In Dürrwies kann man in einem „Hexenhaus“ wohnen

(darunter). Das Wirtsehepaar Fuchs will mehr Sommerfrischler begrüßen (darunter). Fotos: Sigl (9), privat (8)

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„Manchmal

wird esmir zu

viel in der

Stadt. Dürr-wies ist ein

Zufluchtsort.“MAXIMILIAN

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„Mir gefällt

die Gemüt-

lichkeit der

Menschen im

Bayerischen

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Der Erfinder:Ludwig Steub

Natürlich gab es die Sommerfrischeschon lange bevor ihr der bayerischeSchriftsteller Ludwig Steub (1812-1882) den Namen gab. Er verbrachtedie Sommer gerne in Südtirol, schriebdarüber und machte die italienischeWendung „prendere il fresco“ – sicherfrischen, sich abkühlen – im Deut-schen populär. Der Adel entfloh schonimmer der stickigen Hitze in der Stadtin prächtige Sommerresidenzen ankühleren Orten. Manche mussten aufihren Landsitzen aber auch arbeiten –schließlich hatte man sich um die Ern-te zu kümmern. Zwei Faktoren brach-ten die Sommerfrische schließlichzum Blühen: die Entwicklung des Bür-gertums und der Ausbau des Eisen-bahnnetzes.

Die Schriftsteller:Zum Beispiel Hermann Lenz

Der aus Stuttgart stammende Schrift-steller (1913-1998) setzte in vielen Er-zählungen und in seinem Roman „DerWanderer“ dem Bayerischen Wald,dessen Feriengästen und speziell demSchneidermeister Madl aus Bischofs-reut ein Denkmal. Er suchte das Ver-gangene imGegenwärtigen – und fandes unter anderem in der Sommerfri-sche. Etwas Ähnliches treibt die jun-gen Leute in Judith Hermanns Erzäh-

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lung „Sommerhaus, später“ aus derHitze der Stadt an den Rand von Ber-lin, mit dem Unterschied, dass sie dortauch nichts finden, was sie weiter-bringt. Überhaupt, in der Literaturgibt es Sommerfrischen wie Sand amMeer, ob bei Anton Tschechow („Inder Sommerfrische“, Erzählungen1880-1887) oder in den Buddenbrooksvon Thomas Mann, ob bei „HankelsAblage“, wo Theodor Fontane denWendepunkt seiner „Irrungen, Wir-rungen“ verortet, in Goldonis „Trilogieder Sommerfrische“ oder in EstherKinskys Roman „Sommerfrische“(2009). Der Dichter Joachim Ringel-natz (1883-1934) hat diesem ganz spe-ziellen Urlaubsgefühl ein liebevollesGedicht geschrieben, das so beginnt:

„Zupf dir ein Wölkchen aus demWol-kenweiß...“, und mit einem „Grashüp-ferhupf“ endet.

Die Politiker:Zum Beispiel Helmut Kohl

Gerhard Schröder schwitzte in Südita-lien, Rudolf Scharping paddelte aufMallorca im Pool, Obama posierte inBadehose auf Hawaii – Helmut Kohlaber machte gepflegt Sommerfrischein St. Gilgen am österreichischenWolfgangsee. Und sein bestes Stückhatte er immer dabei: die Strickjacke.

Die Orte:Zum Beispiel der Ritten

1907 wurde das Hochplateau Rittenim Norden von Bozen mit der Zahn-

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radbahn erschlossen. Dort und aufdem Schlern waren die bevorzugtenSommerrückzugsorte aus dem heißenBozen. Was der Semmering und derWienerwald für die Wiener war oderdie Ostsee für die Berliner, waren dieVillen an der Brenta für die Venezia-ner. Wichtig: Die Anfahrtszeit durftenicht zu lang sein, denn oft kehrtendie Männer unter der Woche an ihreArbeitsstelle – und nicht selten zur Ge-liebten – in der Stadt zurück.

Die Zeitreise:Abenteuer Sommerfrische

Lebendige Geschichte: Für eine ARD-Serie reisten zwanzig Frauen undMänner von heute ins Jahr 1927 undfanden sich wieder auf einem herr-

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schaftlichen Landsitz in Mecklenburg.Sechs Wochen lang schlüpften sie indie Kleider und Rollen von damals: alsHausherrin oder Sommergast, Reitleh-rer oder Stubenmädchen. Ein Stiltrai-ner lehrte die Abenteurer die richtigenUmgangsformen. Er sagt: „Auf jedenFall war die damalige Gesellschaftstrenger in der Einhaltung der Etiket-te. Aber Etikette war nicht wichtigerals heute; sie war einfach selbstver-ständlicher!“ Die ARD strahlte die Rei-he 2005 aus. Sie ist mittlerweile auchauf DVD erschienen.

Der Papst:Castel Gandolfo oder Alpen

Papst Benedikt XVI. wird in diesemJahr seine Sommerfrische komplett inCastel Gandolfo am Stadtrand vonRom verbringen. Ermöchte dort in Ru-he an seinem Buch arbeiten, heißt es.Der Papst verzichtet diesmal auf denUrlaub in den norditalienischen Alpen(von dort stammt auch unser Foto). Inden letzten Jahren hatte Benedikt wieauch sein Vorgänger zwei bis drei Wo-chen in kirchlichen Gästehäusern imAosta-Tal, in Südtirol oder in denDolo-miten verbracht.

Der Jetset:Zum Beispiel Gunter Sachs

„Andere haben einen Koffer in Berlin –ich bin froh, dass ich ein Appartementim Schlosshotel amWörthersee habe“,sagte Gunter Sachs. Aber nicht nurdenWörtherseemachte der Industriel-len-Sohn, Playboy, Künstler und Foto-graf zur It-Sommerfrische der 60er Jah-re. Es folgten St. Moritz (auch: Winter-frische), an der Seite seiner Kurzzeit-Ehefrau Brigitte Bardot Saint Tropezund die Côte d’Azur, dann Marbella...Gemein hatten diese Sommerfrischenalle eines: Es ging (und geht) dort eherheiß her als frisch.

Fotos: dpa-Archiv/ARD

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Das Früher im Jetzt oder: Es lebe die Sommerfrische!

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VON ANGELIKA SAUERER, MZ

WISSENAls der Urlaub nochSommerfrische hieß, lagendie Ziele näher und die Erho-lungwar sicher. Zeit, einlängst vergessenes Urlaubs-gefühl wiederzuentdecken.

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VONVERONIKASIGL,MZ

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Urlaubuniformls Kind habe ich sie immerschon vonweitem erkannt, diepreußischen Sommerfrischler

inmeinemniederbayerischenHeimat-dorf. GraueWanderstrümpfemitZopfmuster trugen sie zu Kniebund-hosen –Klamotten, in denen ein ech-terWaidler nie, nie, nie freiwillig dasHaus verlassen hätte. Daswar vor 20Jahrenwohlgemerkt, als Hirschhorn-knöpfe zumindest inmeiner Familieals Gipfel der Geschmacklosigkeit gal-ten undman noch in Jeans aufs Okto-berfest ging.Meiner ebenfalls in JeanssteckendenOma entfleuchte ange-sichts so viel zur Schau getragenerBeinkleid-Abnormität desÖfteren einlaut hörbares „Lauter Fremde hier!“ Sohießen Touristen damals noch. Natür-lich fremdeltenwirmit den Fremden,sahen sie als schrullige Outfit-Exotenund nahmen uns vor, bei eigenen Rei-sen kleidungstechnisch besonderscool, angepasst und alles andere alsfremd auszusehen.Wie besessen such-te ich deshalb nach schicken Schuhenfür den Italienurlaub. Immerhin hatmirmal jemand eingetrichtert, dass esfür den Italiener als solchen nichtsWichtigeres gibt als schönes Schuh-werk. Statt in bequemen Turnschuhenplagte ichmich also auf schwarzenZehn-Zentimeter-Stöckeln durchs ob-ligatorische Rom-Sightseeing. Viel zuschmerzhaft wurdemir da bewusst,dass unsere preußischenGäste nichtsanderes im Sinn hatten. Sie wolltensich an die lokalenGegebenheiten an-passen.Wie sollten sie ahnen, dass siemit ihren Tirolerhüten undHaferl-schuhen irgendwann einheimischeraussehenwürden als die Einheimi-schen? Vielleichtmachenwir uns zuviel Gedanken umunser Ferien-Outfit.Immerhin kommt „Urlaub“ von „er-lauben“. Packenwir beim nächstenMal also ein, woraufwir Lust haben.Völlig egal, was andere denken. ImUr-laub ist alles erlaubt – auchmodisch!

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SIEBEN MAL SIEBEN ZEILEN

Vielleicht geht es den Staches dannbald so wie Familie Bonk, die ebenfallsaus Berlin stammt. Drei Bonk-Genera-tionen sitzen um den großen Tisch imRathaussaal von Sankt Englmar undwerden als treue Sommerfrischler so-gar von der Gemeinde geehrt. Seit 30Jahren schon verbringen Gerd undChrista Bonk zusammen mit SohnThorsten für drei Wochen ihren Som-merurlaub in dem Luftkurort. Thors-ten ist mittlerweile 36 Jahre alt, hat ei-ne eigene Familie und bringt Frau undKinder selbstverständlich mit ans Rei-seziel seiner Kindertage. Für Bürger-meister Anton Piermeier sind solcheUrlauber-Biografien keine Seltenheit.Jede Woche gibt es eine Gästeehrungim Rathaus. Oft sind auch dreißigsteJubiläen dabei. Eine Urkunde, die Ur-lauber-Ehrennadel in Gold und einenSankt-Englmar-Kaffeebecher gibt esfür die treuen Sommerfrischler. Vor al-lem aber ist die kleine Feierstunde ei-ne Gelegenheit, um auch dem Bürger-meister einmal zu erzählen, was derFamilie so gut an Sankt Englmar ge-fällt. Für Gerd Bonk sind es ganz klardie Argumente, die auch vor 80 Jahrenschon Gäste in den Bayerischen Waldlockten. „Hier gibt es eine Sauberkeitund Ordnung, die man in Berlin nichthat“, so Bonk. „Mir gefällt die Gemüt-lichkeit der Menschen. Da fühlt mansich einfachwohl.“

Nachwuchs-Sommerfrischler

dringend gesucht

Karl und Therese Fuchs aus dem 80 Ki-lometer entfernten Mauth, unweit dertschechischen Grenze, würden sichmehr Gäste wie die Bonks wünschen.Vor 40 Jahren haben sie ihre Pensionmit 17 Betten eröffnet. Voller Stolzdenkt das Ehepaar an die gute alte Zeit.„Wir waren damals das erste Haus imOrt, das Duschen und WC in allenZimmern hatte“, erinnert sich ThereseFuchs. „Damals hatten wir das Haus

mit Stammgästen voll.“ Doch dannmussten die beiden den Niedergangder klassischen Sommerfrische im ei-genen Betrieb erleben. Die Stammgäs-te wurden immer weniger. Wenn KarlFuchs in den alten Fotoalben blättert,kann er zu jedem Gast, zu jedem Fotoeine persönliche Geschichte und lusti-ge Anekdoten erzählen. Dasmacht ihnwehmütig: „Diemeisten sind leider be-reits verstorben oder können aus ge-sundheitlichen Gründen nicht mehrin den Urlaub fahren“, sagt er. „Undneue Stammgäste zu bekommen, istschwer.“ Dabei hat das Ehepaar in denletzten Jahrzehnten einiges verändert.Ihre Pension hat mittlerweile Fitness-Geräte, einen Fahrradverleih und so-gar eine Physiotherm-Infrarot-Kabine.Sommerfrischler, die auch mehrere

Wochen in der Pension verbringen,gibt es trotzdem kaum. „Die meistenGäste bleiben nur drei oder vier Tage“,klagt das Ehepaar. „Warum das so ist,könnenwir uns selbst nicht erklären.“

Ulrike Eberl-Walter vom Touris-musverband dagegen kennt die Grün-de. Drei, vier Tage sind der typischeDurchschnittswert für die Urlaubs-dauer im Bayerischen Wald. IhrenHaupturlaub verbringen die meistenlieber in exotischeren Ländern. „Esgibt zwar viele Gäste, die sich in derRegion erholen und die Landschaft ge-nießen wollen“, erklärt Eberl-Walter.Die kämen dann aber nur für kurzeZwischen-Trips. „Die Region ist ein ty-pisches Zweiturlaubsziel geworden.“Das bedeute auch das baldige Aus derSommerfrische. „Die Urlaubsmöglich-

keiten sind einfach vielfältiger gewor-den“, so Eberl-Walter. „Gäste wollennicht immer an den gleichen Zielortreisen. Sie möchten immer wieder et-was Neues erleben.“

Familien wie die Staches oder dieBonks zeigen, dass es Ausnahmen vonder Regel gibt. Und auch MaximilianKnapp will weiter jeden Sommer insWaldferiendorf nach Dürrwies kom-men. Ihn reizt gerade, dass das Ferien-dorf ursprünglichen Urlaub ohne zuviel Schnickschnack bietet. Statt einernoblen Auffahrt führt eine holprigeSchotterstraße nach Dürrwies –mit sovielen Schlaglöchern, dass man garnicht erst versuchen sollte, auszuwei-chen. Statt moderner Hotelzimmergibt es Bauernstuben aus dem 19. Jahr-hundert, die liebevoll mit Antiquitä-ten ausgestattet sind. Statt eines Well-ness-Tempels stehen dort ein Kneipp-Becken und ein Waldschwimmbadmit Quellwasser. Einkäufe und Ge-päck bringen die Gäste mit kleinenBollerwägen zu ihrenWaldhäusern.

Einen Sommer lang dem Alltag

komplett entfliehen

Knapp allerdings hätte es gerne nochuriger. Die Häuser in Dürrwies habenmittlerweile nicht nur komfortableSanitär-Anlagen, sondern auch mo-dernste Technik bekommen. „Ich fin-de es schade, dass in vielen Häusernmittlerweile Telefone und Fernseherstehen“, sagt Knapp. „Hier sollte maneigentlich nur Dinge machen, die manimnormalen Alltag nichtmacht.“

Lange muss Maximilian Knappnicht mehr warten, bis er dem Alltagentfliehen kann. Schon dieses Wo-chenende kehrt er an seinen Lieblings-urlaubsort zurück – diesmal zu einemgroßen Treffen mit der ganzen Ver-wandtschaft. Auch an Weihnachtenwill er nochmal kommen. Sein Hexen-häuschenwartet schon auf ihn.

Ü Mehr Infos zum Urlaub in Ostbayern

unter www.ostbayern-tourismus.de

In alter Sommerfrische –Urlaubwie früherFortsetzung von Seite 1

Nichts mit Wellness: Dürrwies hat ein schlichtes Waldschwimmbad. Foto: privat

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