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Fetoneonatale Neurologie Erkrankungen des Nervensystems von der 20. SSW bis zum 20. Lebensmonat von Gerhard Jorch 1. Auflage 2013 Fetoneonatale Neurologie – Jorch schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thematische Gliederung: Pädiatrie, Neonatologie Thieme 2013 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 13 165311 6 Inhaltsverzeichnis: Fetoneonatale Neurologie – Jorch

Fetoneonatale Neurologie - Jorch, ReadingSample · 7,25 (physiologisch) muss bei persistierendem suspek-tem CTG die FBA nach 30 Minuten wiederholt werden. Bei einem pH-Wert zwischen

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Klinische WertigkeitDie FBA dient zur Abklärung suspekter oder pathologi-scher Herzfrequenzmuster unter der Geburt.

Die Interpretation der FBA sollte in Kenntnis des initia-len pH-Werts, des Geburtsfortschritts und der klinischenBefunde bei Mutter und Fetus erfolgen. Bei einem pH≥7,25 (physiologisch) muss bei persistierendem suspek-tem CTG die FBA nach 30 Minuten wiederholt werden.Bei einem pH-Wert zwischen 7,24 und 7,21 (Präazidose)muss die FBA innerhalb von 30 Minuten wiederholt oderdie Entbindung erwogen werden. Ein pH von 7,20 (Azido-se) erfordert die sofortige Intervention [64].

Cave GEin pH ≤7,2 (Azidose) erfordert die rasche Entbindung,insbesondere wenn eine metabolische Azidose (BE >–9,8mmol/l) vorliegt.

Mit der Bestimmung des fetalen Säure-Basen-Haushaltslässt sich die hohe Falsch-positiv-Rate des CTG reduzierenund die intrapartale diagnostische Sicherheit durch einekombinierte Überwachung erhöhen.

LimitationDie invasive FBA bedarf strenger Indikationsstellung undBeachtung von Kontraindikationen (mütterliche Infek-tionen, fetale Gerinnungsstörungen, Frühgeburtlichkeit).

Die FBA bildet nur eine Momentaufnahme ab und mussabhängig vom CTG-Verlauf wiederholt werden.

Cave GEine terminale Bradykardie oder anhaltende Tachykardieohne Geburtsfortschritt erfordert eine sofortige Inter-vention ohne Kenntnis des aktuellen fetalen Säure-Basen-Status.

Die Fehlerrate liegt zwischen 11% und 20% [203]. Bei derInterpretation müssen der physiologische intrapartalefetale pH-Abfall und eine mögliche maternogene Azidi-tätssteigerung beachtet werden.

3.1.4 Fetale Magnetoenzephalo-grafieU. Schneider

Während die morphologische Beurteilung der fetalenHirnentwicklung mittels Sonografie und MRT gut gelingt,ist die funktionelle Untersuchung der fetalen Hirnfunk-tion auf die indirekte Beurteilung integrativer Hirnleis-tungen wie fetale Bewegungsmuster (GM) oder die zeit-liche Assoziation neurovegetativer Variablen im Rahmendes BPP [133] angewiesen. Mitte der 1980er-Jahre wurdedas Konzept der fetalen Magnetoenzephalografie (fMEG)

mit dem Ziel entwickelt, einen direkten neurophysiologi-schen Zugangsweg zum fetalen Gehirn zu beschreiten[33].

Erregung im Gewebe basiert auf der Verschiebung elek-trischer Ladungsträger. Mit jedem gerichteten Stromflussentsteht zwangsläufig ein zur Stromflussrichtung kon-zentrisches magnetisches Feld. Dieses Magnetfeld breitetsich im Gegensatz zum Volumenstromfluss, auf dem bspw.das EKG oder Elektrokortikogramm basieren, nahezu un-abhängig von den Leitungseigenschaften der umgeben-den Gewebe aus und ist auch in der Lage, die Körperober-fläche zu durchdringen. Die Stärke des Magnetfelds ander Körperoberfläche ist von der Anzahl der gleichzeitigund gleichgerichtet erregten Körperzellen und deren Ab-stand zur Oberfläche (in 2.–3. Potenz) abhängig.

Die Entwicklung sog. Superconducting Quantum Inter-ference Devices (SQUID), hochsensibler Magnetfeldanten-nen, ermöglicht es, diese biomagnetischen Felder, die nureinen Bruchteil der Stärke des Erdmagnetfelds und zivili-satorisch bedingter Umgebungsfelder ausmachen, auf-zuzeichnen und zu quantifizieren. Alle SQUID, die bisherzur fMEG eingesetzt wurden, arbeiten nur unter Kühlungin flüssigem Helium (sog. Tieftemparatur-SQUID). WeitereVoraussetzungen sind technische Applikationen zur Ab-schirmung externer Störfelder (z.B. die Antennenkonfigu-ration als Gradiometer, Betrieb in magnetisch geschirm-ten Messkammern) und die Optimierung des Abstandszur Quelle, die zum Aufbau speziell für die fMEG entwi-ckelter Untersuchungszentren geführt haben (▶Abb.3.12).

Konzeptionelles Korrelat der bei der fMEG untersuch-ten biomagnetischen Felder des menschlichen Fetus inutero sind die tangential zur Schädeloberfläche angeord-neten Pyramidenzellen des Kortex. Während beim gebo-renen Menschen das MEG und EEG teils identische, teilskomplementäre Informationen enthalten, ist der Fetus inutero derart gut elektrisch isoliert, dass es zur fMEG keineelektrische Alternative gibt.

Die zu erwartenden biomagnetischen Felder des Fetussind von sehr geringer Intensität. Sie besitzen an der müt-terlichen Bauchoberfläche nach den Erfahrungen mit derfMEG eine Magnetfeldstärke in einer Größenordnung vonweniger als 25 Femtotesla (25 × 10–15 T) (Erdmagnetfeld:10–4 T). Angesichts einer Vielzahl unvermeidbarer mag-netischer Störungen, die um mehrere Zehnerpotenzenstärker sind (kardiales Magnetfeld der Mutter und desFetus, muskuläre Aktivität, Atemexkursionen, fetale Be-wegungen), gelingt eine Detektion der gesuchten biomag-netischen Felder nur unter Einsatz verschiedenster hoch-komplexer Artefaktunterdrückungsalgorithmen, nur beizeitlicher Assoziation der zu erwartenden kortikalen Er-regung mit einem definierten Reiz (evozierte Aktivität)nach entsprechender Mittelungsanzahl („Signal Aver-aging“ zur Rauschunterdrückung), unter Anwendung ein-gestreuter devianter Reize zur Verminderung von Habi-tuationseffekten und nur in einer Größenordnung von50–60% der untersuchten Fälle verlässlich [187], [116],[125], [142].

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3.1 Pränatal und sub partu

Trotz der methodischen Exklusivität verhindert seitihrer Erstbeschreibung die angesichts höchsten metho-dischen Aufwands lediglich eingeschränkte Nutzbarkeiteine Verbreitung der Methode, die auch heute nicht überden Status einer interessanten Anwendung in der klinischorientierten Grundlagenforschung hinauskommt.

Merke HFetale Magnetenzephalografie ist eine Methode der kli-nisch orientierten Grundlagenforschung.

Als Stimulusmodalitäten kommen auditorische und visu-elle Reize infrage, wobei aus klassischen tierexperimen-tellen Studien die Transmission von Tönen über dieBauchdecken in die Fruchthöhle besser beschrieben undkalkulierbar ist als die Applikation von Lichtblitzen [80].Die kortikalen Anteile des auditorisch evozierten Signal-komplexes (CAER: Cortical auditory evoked Response)weisen selbst beim Erwachsenen eine hohe interindivi-duelle Variabilität der Latenzzeiten auf.

Die frühesten in der Literatur beschriebenen erfolgrei-chen Aufzeichnungen fetaler CAER datieren auf den Über-gang vom 2. zum 3. Schwangerschaftstrimester: wenn eineFunktion der zentralen Hörbahn erwartet werden darfund die Verschiebung im Verhältnis von Größe des Fetuszur Fruchtwassermenge die Wahrscheinlichkeit des Auf-tretens von Bewegungsartefakten verringert (27–29 SSW).Von diesem Zeitpunkt an lassen sich mit großer interindi-vidueller Schwankungsbreite der Latenzzeiten 1–2 Kompo-nenten der CAER unabhängig voneinander bei einem mitt-leren Prozentsatz der Ungeborenen detektieren (▶Abb.3.13). Die beschriebenen Latenzzeitbereiche überlappenmarginal (100–200ms bzw. 200–420ms) und nehmen fürbeide Komponenten gestationsalterabhängig ab. Diese tra-jektorielle Entwicklung setzt sich bis ins Neugeborenen-alter fort, hier lässt sich die prominenteste Komponenteder CAER bei etwa 200ms Latenzzeit nachweisen [97].

CAER eignen sich somit grundsätzlich als funktionelleEntwicklungsmarker der intrauterinen Hirnreifung, feh-lende Detektion lässt jedoch nicht auf eine Funktionsein-schränkung der Reizverarbeitung schließen.

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SQUID-Spulen

bio-magnetische

Feldera b

Abb.3.12 Speziell zur fMEG entwickeltesMultikanal-Gradiometer-SQUID-Messgerät(SARA: SQUID Array for ReproductiveAssessment), installiert am Biomagneti-schen Zentrum des UniversitätsklinikumsTübingen (mit freundlicher Genehmigung).

Abb.3.13 Zeitverlauf der kortikalen Antwortdes Fetus in utero auf einen auditorischenReiz. Die optimale Anzahl verwendeter Mit-telungen ist interindividuell verschieden. DieRepräsentation der beiden Komponentender CAER (hier mit einer Peak Latenz von119 und 331ms) in den Messkanälen unter-scheidet sich. Der magentafarbene Signal-verlauf stellt jeweils die Mittelung der 20 Ka-näle mit der besten Signalrepräsentation fürdie jeweilige Komponente dar (Größen-achse: arbiträre Einheiten).

Untersuchungsmethoden

Neben den Komponenten der CAER kann eine fetaleMismatch-Negativität (MMN) nachgewiesen werden. DieMMN ist Ausdruck diskriminativ-kortikaler Reizverarbei-tung und entsteht, wenn deviante Reize in eine Reihe vonStandardreizen (Veränderung der Tonfrequenz, Intensitätund/oder Länge) eingestreut werden. Die MMN kann ineinem hohen Prozentsatz sowohl bei Neugeborenen alsauch bei Feten ausgelöst werden, bei denen eine Detek-tion der CAER auf den Standardton gelingt [97], [66].

Der fMEG liegt ein bahnbrechendes Konzept zugrunde.Unabhängig von der hochsensiblen Messtechnik, die inder Lage ist, die minimal kleinen magnetischen Feldän-derungen quantitativ zu registrieren, ist ihre erfolgreicheDurchführung jedoch von einer Reihe von Faktoren ab-hängig, die vom Untersucher nicht beeinflussbar sind. Esexistiert kein Goldstandard, gegen den die Signale ver-gleichbar sind, um ihre Verlässlichkeit zu verifizieren.Auch hochentwickelte Extraktionsalgorithmen vermögenes nicht in allen Fällen, die mitunter zu geringen Signal-intensitäten der gesuchten kortikalen Erregungen vonden unvermeidbaren magnetischen Begleiterscheinungenmenschlichen Daseins zu trennen.

Die fMEG vermag somit auf dem Gebiet der Grund-lagenforschung einen hervorragenden Beitrag zum Ver-ständnis der funktionellen Hirnreifung und deren Störun-gen in utero zu leisten, allerdings um den Preis eineshohen technischen und finanziellen Aufwands. Das Vor-haben, mit der fMEG eine Methode der funktionellenDiagnostik der fetalen Reizverarbeitung bzw. kortikalenReifung in der klinischen Routine zu etablieren, ist – rea-listisch betrachtet – zum jetzigen Zeitpunkt an seine Auf-lösungsgrenze gestoßen.

3.1.5 Fetale Magnetresonanz-tomografieB. Ertl-Wagner, I. K. Koerte

Voraussetzungen und GrundlagenDie fetale MRT hat in den letzten Jahren in der fetalenDiagnostik zunehmend an Bedeutung gewonnen [215],[31], [167]. Hierbei ist zu betonen, dass es sich bei derfetalen MRT jedoch nicht um eine Screeningmethodehandelt. Sie kommt zum Einsatz, wenn die fetale Ultra-schalluntersuchung einen weiter abklärungsbedürftigenBefund ergeben hat [139], [130]. Häufige Indikationensind bspw.:● Fehlbildungen des Gehirns sowie aller Organe● fetale Wachstums- und Gedeihstörungen● Fragestellungen zur Lungenentwicklung● Fragestellungen zur fetoplazentaren Einheit

Bislang gibt es keine großzahligen prospektiven Studien,die den Mehrwert der fetalen MRT in Ergänzung zurUltraschalluntersuchung nachweisen. Die Erfahrungender letzten Jahre sind insbesondere bei der Untersuchung

des ZNS jedoch sehr vielversprechend. In mehr als 50%der Fälle ergab die MRT zusätzliche Informationen, die in30% der Fälle auch zur Änderung der Diagnose und darü-ber hinaus in 15% der Fälle zur Änderung des therapeuti-schen Prozedere führten [118].

Die fetale MRT unterscheidet sich in vielen Aspektenvon der MRT des Kindes oder des Erwachsenen. Der Fetuswird dabei bereits im Mutterleib untersucht, ist also dereigentlich zu untersuchende Patient. Gleichzeitig ist esaber die werdende Mutter, die für die Untersuchung aufder Untersuchungsliege des MRT-Scanners gelagert wird.Der Untersucher hat dabei kaum Einfluss auf die Lage-rung des Fetus selbst und auf dessen Bewegungen – hierist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit des Untersuchersund ein stetes Anpassen der Schichtführung an die Lagedes Fetus gefordert.

Meist wird die fetale MRT an einem 1,5-Tesla-MRT-Scanner durchgeführt. Es gibt allerdings auch begrenzteBerichte zu fetalen MRT-Untersuchungen an 3-Tesla-Magnetresonanztomografen. Als Spulen werden in derRegel klassische Oberflächen-Körper-Spulen, sog. BodyCoils, verwendet. Dies sind Phased-Array-Spulen mitmeist 4–8 Elementen.

Merke HUm eine gute Bildqualität zu erzielen, ist es besonderswichtig, dass die Spule möglichst nah an der zu unter-suchenden Körperregion des Fetus liegt. Dies erfordert –gerade bei einem großen Bauchumfang bzw. einembereits großen Fetus – oft eine Anpassung der Lage derSpule auf dem Bauch der werdenden Mutter im Verlaufder Untersuchung. Auch kann eine Umlagerung derMutter erforderlich werden.

Meist wird eine fetale MRT erst ca. ab der 18. oder 19. SSWdurchgeführt. Je kleiner und jünger der Fetus ist, destostärker beeinträchtigen Bewegungen des Fetus die Unter-suchung. Je größer der Fetus hingegen ist, desto wichtigerwird es, auf die korrekte Lage der Körperspule in Relationzu der zu untersuchenden Region zu achten und dieseggf. umzulagern.

Generell sind bei der Planung und Durchführung einerfetalen MRT also zahlreiche Faktoren zu beachten, u.a.:● Gestationsalter● Größe des Fetus● Bewegungen des Fetus● Lage des Fetus● Lagerung der Spule in Relation zur Lage des Fetus

Für die fetale MRT gelten die gleichen Kontraindikationenwie für die MRT des geborenen Kindes oder des Erwach-senen. Es sollte z.B. dezidiert nach mütterlichen Herz-schrittmachern oder Defibrillatoren sowie nach anderenferromagnetischen Implantaten oder Fremdkörpern ge-fragt werden.

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3.1 Pränatal und sub partu

Cave GDie Gabe von i. v. MR-Kontrastmitteln – die in aller Regelauf dem Kontrast von Gadolinium in einer Chelatbin-dung basieren – ist in der Schwangerschaft kontraindi-ziert und für die fetale MRT auch nicht notwendig.

Bislang konnte keine schädigende Wirkung der MRT aufdie Entwicklung des Embryos oder des Fetus nachgewie-sen werden [191], [46], [14], [113]. Häufig fragen wer-dende Mütter, ob die Geräusche, die durch die MRT-Un-tersuchung entstehen, gefährlich für den Fetus sind. Dazugibt es bislang keine sicheren Daten. Allerdings erscheinteine Schädigung des Gehörs des Fetus sehr unwahrschein-lich, da der Lärm durch das Fruchtwasser und die mütter-liche Bauchdecke abgeschwächt wird [12].

Fetale MRT-UntersuchungNach der Lagerung der werdenden Mutter auf der Unter-suchungsliege und dem Positionieren der Spule wird dieLiege in die Öffnung des Scanners gefahren. Je nach demStadium der Schwangerschaft und der individuellenSituation kann die Schwangere in Rückenlage oder inLinksseitenlage positioniert werden. Das Zentrum derSpule – das wiederum direkt auf dem Fetus liegen sollte– soll zur Untersuchung im Isozentrum des Magnetreso-nanztomografen liegen.

Hierauf wird zunächst eine schnelle Übersichtssequenzin 3 Ebenen angefertigt, um die Lage des Fetus zu eruie-ren und die weiteren Sequenzen planen zu können. AlsÜbersichtssequenz eignet sich bspw. eine SSFP-Sequenz(SSFP: Steady State free Precession). Bereits auf dieserSequenz sind viele Informationen zur Anatomie und ggf.Pathologie des Fetus enthalten. Zudem zeigt sie die Lagedes Fetus im Uterus, aber auch Fruchtwasser, Plazenta,Zervix und umgebende Strukturen des mütterlichen Ab-domens.

Von hier ab wird die Untersuchung immer entlang derAchsen des Fetus, nicht der Mutter, geplant, um entspre-chende axiale, koronare und sagittale Schichtführungenzu erzielen. Es ist dabei wichtig, immer die als Letztesdurchgeführte Sequenz sofort anzusehen, um die weite-ren Sequenzen entsprechend anzupassen. Dies kann z.B.notwendig werden, wenn sich der Fetus bewegt hat oderwenn sich unerwartete Auffälligkeiten zeigen.

Hierauf werden in der Regel ultraschnelle T2-gewichteteSequenzen angewendet [167]; dies sind bspw. Turbo-Spin-Echo- oder SSFP-Sequenzen. Sie sollten in allen 3Ebenen, also axial, koronar und sagittal, akquiriert wer-den. Sie bilden die Basis der fetalen MR-Diagnostik, da sieschnell anzufertigen sind und gleichzeitig aufgrund derFlüssigkeitsverhältnisse (Fruchtwasser, flüssigkeitsgefüllteLunge etc.) einen hervorragenden Kontrast bieten.

Zusätzlich werden gerne sehr dicke T2-gewichtete Schich-ten durch den Fetus angewendet – meist mit einerSchichtdicke zwischen 3 und 5cm – um die räumlichen

Beziehungen besser beurteilen zu können. Diese könnenallerdings die dünnschichtige MRT nicht ersetzen.

Dynamische Sequenzen sind Sequenzen, bei denenmeist relativ dicke Schichten rasch hintereinander akqui-riert werden. Diese können dann als Film abgespielt wer-den. Dynamische Sequenzen sind u.a. zur Beurteilung desSchluckakts und des Bewegungsmusters des Fetus hilf-reich.

Jede fetale MRT-Untersuchung sollte auch T1-gewich-tete Sequenzen beinhalten; hier werden meist T1-ge-wichtete FLASH-Sequenzen (FLASH: Fast low Angle Shot)in einer maternalen Atemanhaltetechnik verwendet.Diese helfen in der Diagnostik von Blutungen, sind aberinsbesondere auch für die abdominelle Bildgebung mitDarstellung des Mekoniums und der Leber wichtig.

Echoplanare Sequenzen (EPI: Echoplanar Imaging) kön-nen hilfreich sein [40], um Blutabbauprodukte, insbeson-dere auch älteren Datums, zu detektieren. Zudem sind siehilfreich, um verknöcherte Anteile von knorpeligen An-teilen der Röhrenknochen abzugrenzen.

Diffusionsgewichtete Sequenzen helfen, ischämische Lä-sionen des Gehirns zu detektieren [87]. Zudem stellen siedie interne Struktur der Nieren besser dar [182]. In denletzten Jahren wurden auch DTI-Sequenzen (DTI: Diffu-sions-Tensor-Imaging) mit Erfolg in der fetalen MRT zurDarstellung von Fasertrakten angewendet. Mithilfe derfunktionellen MRT (fMRT) konnte eine Aktivierung durchvisuelle und auditorische Stimuli nachgewiesen werden[76], [98]. Auch MR-Spektroskopien kommen zur Anwen-dung, wobei die lange Akquisitionszeit hier v.a. bei aus-geprägten Kindsbewegungen limitierend sein kann.

Die Länge einer fetalen MRT-Untersuchung variiert jenach der Pathologie und dem daraus resultierenden Un-tersuchungsprotokoll, dem Ausmaß der fetalen Bewegun-gen und auch der Atembewegungen der Mutter. ImSchnitt ist mit einer Untersuchungszeit von etwa 30 Mi-nuten zu rechnen.

Häufige Befunde in der fetalenMagnetresonanztomografie

Merke HAuch wenn bei einer fetalen MRT eine vorrangige Indika-tion zu einer Untersuchung des ZNS besteht, muss den-noch immer auf alle abgebildeten Befunde geachtetwerden.

Anders als bei Untersuchungen von Erwachsenen, bei de-nen eine MRT-Untersuchung des Kopfes für gewöhnlichan der Schädelbasis endet, ist eine fetale MRT in denmeisten Fällen eine Ganzkörperuntersuchung. Dies be-deutet, dass bei der Betrachtung und Beurteilung der Bil-der auch auf den ganzen Körper des Fetus bzw. zumindestauf alle abgebildeten Anteile geachtet werden muss –

also bspw. auf Lungen [119], [219], Zwerchfell, Leber, Nie-ren [166], Harnblase und Extremitäten.

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Untersuchungsmethoden

Zugleich müssen auch die Strukturen genau angesehenund beurteilt werden, die den Fetus umgeben, wieFruchtwasser, Plazenta und Uterus. Auch auf miterfassteAnteile des mütterlichen Abdomens, bspw. die Nieren derwerdenden Mutter, ist zu achten.

Um eine fetale MRT des Neurokraniums beurteilen zukönnen, muss der Befunder neben der genauen Kenntnisder Anatomie insbesondere mit den Prinzipien der feta-len Hirnentwicklung eng vertraut sein. Hierfür ist eswichtig, die physiologischen Zeitrahmen für die Entwick-lung der germinalen Matrixzone, für die Migration derNeuronen und für die Gyrierung zu kennen, um eine ge-störte Hirnentwicklung identifizieren zu können.

Eine häufige Indikation zur MRT des fetalen Neurokra-niums stellt die unklare Erweiterung der Seitenventrikelin der Ultraschalluntersuchung dar [29]. Hierfür kann esmehrere Gründe geben [81], die sich in der fetalen MRTmeist gut differenzieren lassen. Zunächst sollte dabei aufdie genaue Form der Seitenventrikel und auf die Größeund Form des 3. und 4. Ventrikels geachtet werden.

Eine relativ häufige Ursache für eine Erweiterung derSeitenventrikel ist eine Blutung mit Ventrikeleinbruch,die zu einer Stenose des Aquädukts durch Blutclots ge-führt hat. Oft sind hier in der fetalen MRT noch Blut-gerinnsel im Ventrikelsystem zu sehen (▶Abb.3.14).Auch lassen sich nicht selten noch Blutabbauprodukte imperiventrikulären Hirnparenchym nachweisen. Der4. Ventrikel ist hier im Vergleich zu den anderen Hirn-kammern diskrepant schmal.

Eine weitere Ursache für eine Erweiterung der Seiten-ventrikel ist eine Balkenagenesie bzw. -dysgenesie, alsoein vollständiges bzw. partielles Fehlen des CC [143]. Hiersind koronare Sequenzen besonders hilfreich, da sich inihnen die kreuzenden Fasern der Balkens oft besonders

gut nachweisen lassen. In einer exakt mittig angefertigtensagittalen Schicht im Bereich der Falx cerebri sollte sichphysiologischerweise in der fetalen MRT der Balken alsdünne Struktur abgrenzen lassen; bei einem Fehlen desBalkens lassen sich die medianen Sulci bis in den 3. Ven-trikel weiterverfolgen. Zudem zeigen die axialen Schich-ten die typische kolpozephale Konfiguration der Seiten-ventrikel (▶Abb.3.15).

Auch an andere Ursachen für erweiterte Seitenventri-kel ist zu denken, z.B. an einen komprimierenden Tumor,eine idiopathische Aquäduktstenose oder Defektzonendes Hirnparenchyms mit einer E-vacuo-Erweiterung [81],[174]. Eine Erweiterung der Seitenventrikel in der fetalenMRT kann aber durchaus idiopathisch sein; die Ursachebleibt dann unklar [78].

Der Verdacht auf Fehlbildungen der hinteren Schädel-grube ist ebenfalls eine häufige Indikation zur fetalenMRT, da sich die hintere Schädelgrube in der sonografi-schen Untersuchung bisweilen nur eingeschränkt einsehenlässt. Hier sind insbesondere die Chiari-Malformationenund die Fehlbildungen des Dandy-Walker-Formenkreiseszu nennen [1], [34], [112]. Chiari-II-Malformationen sindmit einer Meningomyelozele assoziiert – es sollte daherimmer genau auf die gesamte Neuroachse einschließlichder ganzen Wirbelsäule geachtet werden (▶Abb.3.16).

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Abb.3.14 Axiale T2-gewichtete Sequenz bei einem Fetus mitausgeprägtem intraventrikulärem Blutclot und Erweiterung derSeitenventrikel.

Abb.3.15 Axiale T2-gewichtete Sequenz bei einem Fetus mitBalkenagenesie; es zeigt sich die typische kolpozephale Kon-figuration der Seitenventrikel.

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3.1 Pränatal und sub partu

3.2 Postnatal

3.2.1 Neurologische Untersuchungund neurologische LeitsymptomeG. Jorch

KörpermaßeMinderwuchs und Hochwuchs, Untergewicht (Dystro-phie) und Übergewicht (Adipositas) sowie Mikrozephalusund Makrozephalus sind nicht selten typische Merkmalegenetischer oder erworbener fetoinfantiler Erkrankun-gen. Jede Untersuchung beginnt deshalb mit der Erfas-sung dieser Messwerte und dem Eintrag in Perzentilen-kurven, die die aktuellen Messwerte der Populationwiedergeben, der der Patient entstammt.

Bei der Interpretation der im Liegen gemessenen Kör-perlänge bzw. im Stehen gemessenen Körpergröße mussmit zunehmendem Alter, spätestens ab 18 Monaten, dieGröße der genetischen Eltern mitberücksichtigt werden,da deren Perzentile als genetische Zielperzentile betrach-tet wird. Für Frühgeborene gilt das korrigierte Alter, d.h.das postnatale Alter minus die Zeitspanne, um die dasKind zu früh geboren wurde. Das Körpergewicht wird aufdie Körperlänge bezogen. Dies kann durch den Vergleich

der jeweiligen Perzentilen geschehen, aber auch durchBerechnung des Body-Mass-Index (BMI), für den alters-abhängige Perzentilenkurven vorliegen. Der als größtermessbarer Umfang definierte frontookzipitale Kopf-umfang korreliert – auch bei unterschiedlichen Schädel-formen – gut mit dem Hirnvolumen, sodass seiner Mes-sung eine große Bedeutung bei jeder fetoinfantilenneurologischen Untersuchung zukommt.

Nicht nur die Lage eines Einzelmesswerts auf der Per-zentilenkurve ist diagnostisch verwertbar, sondern ins-besondere auch der Verlauf der Messwerte in Bezug zurPerzentilenkurve. Gewöhnlich entwickeln sich nämlichKörpermaße entlang einer Perzentile. So kann ein Kopf-umfang auf der 90. Perzentile, der noch wenige Wochenzuvor einen Wert auf der 50. Perzentile aufwies, ein wich-tiger Hinweis auf einen sich entwickelnden Hydrozepha-lus sein, obwohl beide Werte im Normalbereich liegen(„perzentilenflüchtiges Wachstum“).

Ein Messwert unterhalb der 3. Perzentile oder oberhalbder 97. Perzentile ist nicht zwangsläufig „pathologisch“.Im Gegenteil haben die meisten dieser Kinder keine Er-krankung. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Krankheitursächlich ist, ist gegenüber Kindern mit Messwertenzwischen der 3. und 97. Perzentile aber deutlich erhöht.Das begründet den diagnostischen Handlungsbedarf.

Äußere MerkmaleBestimmte äußerlich sichtbare Auffälligkeiten treten beigenetischen Syndromen gehäuft auf. Wenngleich sie fürsich keinen Krankheitswert haben oder eine Diagnose be-gründen, sind sie diagnostisch unspezifisch hinweisend.Zu diesen „Stigmata“ gehören deformierte tief sitzendeOhrmuscheln, nach außen ansteigende („mongoloid“)bzw. absteigende („antimongoloid“) Lidspalten, hoheoder flache Stirn, kurzer Schädellängsdurchmesser („Bra-chyzephalus“), enger oder weiter Augenabstand, kleine,breite oder aufwärts gerichtete äußere Nase, schmale fla-che Nasolabialregion, schmale Oberlippe, breiter oderschmaler Mund, vorstehender Ober- bzw. Unterkiefer(„maxilläre bzw. mandibuläre Prognathie“), zurückstehen-der Ober- bzw. Unterkiefer („maxilläre bzw. mandibuläreRetrognathie“), tiefer Haaransatz an Stirn oder Nacken,tief ansetzender Daumen, auffällig kurzer Kleinfinger mitadduziertem Endglied („Klinodaktylie“), Vierfingerfurche,breiter Mamillenabstand, Nabelbruch, breiter Abstandzwischen Großzehe und zweiter Zehe („Sandalenlücke“).

Hintergrundwissen VNeurologische Syndrome sind häufig verbunden mitMikrozephalus. Seltener und somit spezifischer ist einassoziierter Makrozephalus (▶Tab.3.1).

Andere äußerlich sichtbare Merkmale sind diagnostischspezifischer. Dazu gehören die Brushfield-Flecken undder Epikanthus (Morbus Down), Hauttumoren, Pigmenta-

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Abb.3.16 Sagittale T2-gewichtete Sequenz bei einem Fetusmit einer Chiari-II-Malformation und einer großen lumbalenMeningomyelozele.

Untersuchungsmethoden

nomalien und Auffälligkeiten an Haaren und Nägeln (neu-rokutane Syndrome), Makroglossie (endokrinometabo-lische Krankheiten), Syndaktylie (Smith-Lemli-Opitz-Syn-drom [SLOS]), Sakralgrübchen (Spina bifida occulta),gespannte, vorgewölbte Fontanelle (Hirndruck), Blutungenbei der Netzhautinspektion (Hirnblutung), ein pulssyn-chrones Geräusch bei der Auskultation auf der Kalotte(V.-Galeni-Aneurysma), Sonnenuntergangsphänomen (Hy-

drozephalus) und Gelenkfehlstellungen (angeborene neu-romuskuläre Erkrankung).

Ferner sind manche angeborenen neurologischen Er-krankungen verbunden mit Anomalien oder Fehlbildun-gen der inneren Organe Herz und große Gefäße, Urogeni-talsystem und Magen-Darm-Trakt.

Besonderen Stellenwert hat die Untersuchung des Au-ges, da die Netzhaut das einzige sichtbare Areal des Ner-vensystems ist, die Papille Informationen über den Hirn-druck gibt und außerdem 5 Hirnnerven das Auge undseine unmittelbare Umgebung innervieren.

BewusstseinslageGrundlage jeder neurologischen Untersuchung beimNeugeborenen und Säugling ist die Registrierung desVigilanzgrads bei jedem Untersuchungsschritt. Insbeson-dere Prechtl hat darauf hingewiesen, dass neben umge-bungs- und untersucherabhängigen Variablen die Vigi-lanz (von ihm als „Verhaltenszustand“ eingeführt) dasUntersuchungsergebnis wesentlich bestimmt [168]. Erdefiniert 6 solcher Verhaltenszustände (▶Tab.3.2, ▶Abb.3.17, ▶Abb.3.18). Davon betreffen je einer den ruhigenbzw. den aktiven natürlichen Schlaf und 3 den Wach-zustand. Ein sechster Verhaltenszustand dient der Zuord-nung „anderer“ Zustände wie Koma, zerebraler Anfalloder Narkose.

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Tab.3.1 Wichtige neurologische Erkrankungen mit Makro-zephalus.

Erkrankungen mit Makrozephalus

posthämorrhagischer Hydrozephalus

Fehlbildungshydrozephalus

Subduralerguss

Glutarazidurie

Morbus Canavan

Morbus Alexander

Mukopolysaccharidose

Gangliosidose

zystische Leukodystrophie

Mitochondriopathie

Neurofibromatose

Sotos-Syndrom

cm

24032 1 3 6 9

postm.Wochen Alter in Monaten, bei Frühgeborenen korrigiert

12 15 18 21 24(2 Jahre)

26

28

30

32

34

36

38

40

42

44

46

48

50

52

54

56

Kopfumfang

Abb.3.17 Perzentilenflüchtige Zunahmedes Kopfumfangs bei Hydrozephalus.

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3.2 Postnatal

Cave GWenn diese Verhaltenszustände nicht berücksichtigtwerden, drohen Bewertungsfehler beim Untersuchungs-befund. So sind plötzliches Zusammenzucken („Startle“)und Kinnkloni normale Phänomene im Zustand 1 (ruhi-ger Schlaf) beim Neugeborenen, anfallsverdächtig aberin anderen Stadien, während Zuckungen der mimischenMuskulatur und der Extremitäten, schnelle und lang-same Bulbusbewegungen sowie ein schlaffer Muskel-tonus Merkmale des Stadiums 2 (aktiver Schlaf) sind.

Als Referenzzustand für die Beurteilung von Muskeltonus,Körperhaltung und die Prüfung von Reflexen und Reak-tionen gilt der Zustand 3 (ruhiger Wachzustand), mit Ein-schränkungen Zustand 2 und 4, während Spontanbewe-gungen, Traktionsversuch, Kopfkontrolle, Kriechen undSchreitreflex (▶Abb.3.19) am besten im Zustand 4 (akti-ver Wachzustand) beurteilt werden können. Untersuchun-gen im Zustand 1, 5 (erregtes Schreien) und 6 (Koma) eig-nen sich nur für bestimmte Fragestellungen und basaleReflexprüfungen wie Pupillenreaktion und Babinski-Re-flex.

Gesunde Frühgeborene und Reifgeborene verbringenden weitaus größten Teil des Tages im Schlaf, insbeson-dere im aktiven Schlaf. Der Zustand 3 (ruhiger Wach-zustand) als optimaler Ausgangszustand für eine neurolo-gische Untersuchung wird in der Regel nur einige Maleam Tage erreicht. Die besten Chancen für eine Unter-suchung bestehen, wenn ein Neugeborenes gut aus-geschlafen und nicht zu hungrig ist, d.h. während derFütterungszeit, indem man diese für die Untersuchungunterbricht, oder 1–2 Stunden nach einer Mahlzeit, in-dem man die Kinder weckt.

Intensivbehandelte Frühgeborene befinden sich nichtselten – bedingt durch zerebrale Akutkomplikationen

und Analgosedierung – im Zustand 6. Deshalb muss sichdie neuroneonatologische Befunderhebung in den erstenbeiden Lebenswochen häufig auf die Erhebung basalerBefunde wie Spontanbewegungen der Extremitäten, dermimischen Muskulatur, der Zunge und der Bulbi, dasspontane Atemmuster, die Körperhaltung und den Mus-keltonus beschränken. Selbst die Prüfung der Pupillen-

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Tab.3.2 Verhaltenszustände nach Prechtl (Quelle: [168]).

Zustand Beschreibung

1 ruhiger Schlaf Augen geschlossen, Atmungregelmäßig, keine Spontanmoto-rik außer „Startles“ und Kinnkloni,Muskeltonus erhöht

2 aktiver Schlaf Augen geschlossen, Atmung unre-gelmäßig, Spontanbewegungen,erniedrigter Muskeltonus, schnelle(REM) und langsame Bulbusbewe-gungen

3 ruhigerWachzustand

Augen geöffnet, keine grobenBewegungen

4 aktiverWachzustand

Augen geöffnet, grobe Bewegun-gen, kein Weinen

5 Erregungszustand Augen geöffnet oder geschlossen,Weinen

6 abnormer Zustand andere Zustände wie Bewusst-losigkeit oder zerebraler Anfall

Abb.3.18a Reifgeborenes im Zustand 1 nach Prechtl (Quelle: Jorch G,

Hübler A, Hrsg. Neonatologie. Stuttgart: Thieme; 2010).b Reifgeborenes im Zustand 3 nach Prechtl.c Reifgeborenes im Zustand 5 nach Prechtl (Quelle: Jorch G,

Hübler A, Hrsg. Neonatologie. Stuttgart: Thieme; 2010).

a

b

c

Untersuchungsmethoden

reaktion ist beim intensivbehandelten Frühgeborenen imInkubator erschwert und bei gleichzeitiger Behandlungmit bestimmten Kreislaufmedikamenten (Adrenalin, Dop-amin, Dobutamin, Atropin) oder augenärztlicher Unter-suchung nach medikamentöser Weitstellung der Pupillennicht aussagekräftig.

Für die halbquantitative Beschreibung der Bewusst-seinsbeeinträchtigung bei Reifgeborenen werden auch derSarnat-Score (▶Tab.3.3) und der Thompson-Score (▶Tab.3.4) genutzt.

Bei der Untersuchung von Säuglingen muss mit stei-gendem Alter zunehmend die jeweilige Bezugsperson miteinbezogen werden. Am besten beginnt die Untersuchungmit der Beobachtung des spielenden oder auf dem Schoßder Mutter sitzenden Kindes. Auch bestimmte Unter-suchungsteile, z.B. Überprüfung der Pupillenreaktion undKopfwendung zur Geräuschquelle, werden am bestenhier durchgeführt. Das Auskleiden geschieht spielerischim Laufe der Untersuchung. Der Untersuchungsraummuss warm und darf nicht zu hell sein.

Die Beschreibung von Bewusstlosigkeit ist in der deut-schen medizinischen Nomenklatur nicht einheitlich, zu-mal auch die Begriffe Koma, Sopor, Somnolenz, Stuporetc. verwandt werden. Wir schlagen vor, den Begriff Be-wusstlosigkeit synonym mit Koma zu verwenden und al-lein durch die beiden Kriterien „fortgesetzter Augen-schluss“ und „fehlendes Augenöffnen auf Weckreiz“ zudefinieren. Somnolenz wäre dann synonym mit Schläfrig-keit und kennzeichnet den Augenschluss, der durchWeckreiz unterbrochen werden kann. Die Begriffe Stuporund Sopor sind verzichtbar. Das Augenöffnen bei einemnicht reagierenden zerebral schwer geschädigten Neu-geborenen oder Säugling oder während eines zerebralenAnfalls kennzeichnet einen Zustand, der weder mit Be-wusstlosigkeit noch mit Wachzustand bezeichnet werdenkann. Beim Hirntod dahingegen, definiert als irreversibleTrias aus Koma, Apnoe und zerebraler Areflexie, liegt eineirreversible Bewusstlosigkeit vor.

Da die neurologischen Befunde vigilanzabhängig sindund nicht davon ausgegangen werden kann, dass der op-timale Untersuchungszustand allen Befunden zugrundeliegt, hat es sich bewährt, im Neugeborenen- und Säug-lingsalter die bei wiederholten Untersuchungen gemes-sene Bestleistung für die neurologische Leistungsbeurtei-lung zugrunde zu legen. Dies ist deshalb logisch, weilauch bei einem Kind mit normaler Hirnfunktion zwaruntersuchungsbedingt gelegentlich auch mal ein abnor-mes Ergebnis erhoben werden kann, ein dauerhaft zere-bral geschädigter Patient aber niemals normale Unter-suchungsleistungen erbringen wird.

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Abb.3.19 Schreit-reflex.

Tab.3.3 Sarnat-Score zur Beurteilung des Schweregrads einerpostnatalen HIE während der 1. Lebenswoche (Quelle: [181]).

Merkmale Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3

Bewusstsein hellwach schläfrig bewusstlos

Tonus/Reflexe gesteigert uneinheitlich schlaff

Dauer <1 Tag <5 Tage >5 Tage

EEG normal δ-Muster flach/BurstSuppression

Prognose fast immergut

überwiegendgut

fast immerschlecht

Tab.3.4 Thompson-Score (Quelle: [202]). Der höchste im Ver-lauf der HIE erreichte Punktwert in der 1. Lebenswoche wirdgewertet. Ein Punktwert von 15 oder mehr ist verbunden miteinem abnormen neurologischen Untersuchungsergebnis mit12 Monaten (Positive predictive Value 92%, Negative predictiveValue 82%, Sensitivity 71%, Specificity 96%).

Punkte 0 1 2 3

Muskeltonus normal erhöht erniedrigt völligschlaff

Bewusstsein normal hellwach schläfrig bewusst-los

Anfälle keine <3/Tag >2/Tag

Haltung normal Faust-schluss

Beuge-haltung

Streck-haltung

Moro-Reflex normal vermindert erloschen

Handgreif-reflex

normal vermindert erloschen

Saugen normal vermindert erloschen

Atmung normal Hyperpnoe Apnoen Atemhilfe

Fontanelle normal gespannt vorge-wölbt

3

3.2 Postnatal

Tonus, Haltung und Motorik

Frühgeborene, Neugeborene, Säuglingeim 1. TrimenonDie visuelle und videogestützte Beobachtung von Haltungund Bewegung hat in der Untersuchungstechnik bei Neu-geborenen einen noch höheren Stellenwert als in denfolgenden Altersstufen, insbesondere wenn die Umge-bungsbedingungen (Inkubator, Intensivtherapie) andereUntersuchungstechniken erschweren [3].

Haltungs- und Bewegungsasymmetrien können einespätere spastische Hemi- oder Triparese bereits in denersten Lebenswochen anzeigen. Bereits sehr unreife Früh-geborene zeigen meistens eine Beugehaltung der oberenExtremitäten, während die Beine häufig noch gestrecktwerden. Beim Reifgeborenen überwiegt die Beugehaltungaller Extremitäten. Der Muskeltonus ist beim Reifgebore-nen vergleichsweise hoch, beim Frühgeborenen eherschlaff. Dies müsste bei korrekter Apgar-Bewertung regel-mäßig zu einem Punktabzug beim Kriterium Muskeltonusführen. Allerdings nehmen die meisten Untersucher wohleine intuitive Korrektur vor, indem sie 2 Punkte für denMuskeltonus bei einem gesund erscheinenden Frühgebo-renen vergeben, auch wenn der Muskeltonus frühgebore-nentypisch gegenüber einem Reifgeborenen herabgesetztist.

Bei allgemeiner Muskelhypotonie („Floppy Infant“) lie-gen Arme und Beine in Rückenlage auf der Liegeflächeauf. Die Beine sind dabei im Hüftgelenk abduziert undaußenrotiert, im Kniegelenk gebeugt („Froschhaltung“).Die Arme sind im Ellenbogengelenk gebeugt und dieHandflächen sind für den Betrachter sichtbar. Ein all-gemein erhöhter Muskeltonus zeigt sich meistens in einerVerstärkung der Arm- und Beinbeugung. Die für eine be-ginnende Spastik typische Haltung mit Opisthotonus,Schulterretraktion, Faustschluss und steifer Streckung derBeine mit Überkreuzungstendenz zeigt sich selten vordem 4. Lebensmonat, manchmal auch erst mit 8–10 Mo-naten.

Merke HEin perinataler Hirnschaden wird in den ersten Lebens-monaten manchmal übersehen, weil die typischen Zei-chen einer CP erst ausgeprägt werden, wenn die motori-schen Nervenbahnen einen gewissen Entwicklungsstanderreicht haben. Der Befund „grobneurologisch normal“bei Entlassung aus der postnatalen neonatologischen Be-handlung erweist sich später manchmal als irreführend.

Typische Haltungs- und Bewegungsauffälligkeiten bei de-finierten Erkrankungen (z.B. bei Erb-Lähmung) werdenin den entsprechenden Kapiteln dieses Buches beschrie-ben.

Häufigkeit und Bewegungsausmaß der Spontanmotorikhängen sehr vom jeweiligen Verhaltungszustand ab und

haben einen eingeschränkten diagnostischen Stellenwert.Beides korreliert mit der späteren zerebralen Prognosenur wenig. Die Kombination von Bewegungsarmut,schlaffem Muskeltonus mit Apnoeneigung und wachemBlick allerdings muss an eine neuromuskuläre Erkran-kung denken lassen.

Allgemein wichtiger ist die Beobachtung der Bewe-gungsqualität. Variable, elegante erscheinende Finger-bewegungen in mehreren Ebenen sind ein Zeichen fürzerebrale Integrität, während monotone, zuckende Bewe-gungen in einer Ebene nicht selten abnorme Zustände an-zeigen. Dabei sind – auch bei Bewegungen anderer Mus-kelgruppen – Zittrigkeit (rasch aufeinander folgendegleichartige Bewegungen bei meistens erhöhtem Muskel-tonus, Synonym: Tremor), Kloni (gleichartige Bewegun-gen mit einer Frequenz von 1–3/Sekunde und rascherBeugekomponente, gefolgt von langsamer Streckung) undMyoklonien (schüttelnde, grobschlägige Bewegungen) zuunterscheiden. Klassische tonisch-klonische Bewegungs-abfolgen (z.B. beim Grand Mal in höherem Alter) sindeher untypisch für Neugeborene. Diese zeigen entwedertonische Streckungen oder Beugekloni bzw. Myoklonien.

Eine den Fingerbewegungen ähnliche Hinweiskraftkommt dem Blick zu. Dabei scheinen die erfahrendeSchwester und die entspannt beobachtende Mutter intui-tiv die Bulbusmotorik und hier insbesondere die Blickfol-gebewegungen zu bewerten. Für normale Blickfolgebe-wegungen sind verschiedene Hirnstrukturen erforderlich,sodass nur bei weitgehender zerebraler Integrität derBlick normal erscheint.

Für die Wertung komplexer und prognostisch wichti-ger Spontanbewegungselemente beim Neugeborenenscheint medizinischer Sachverstand nicht unbedingt er-forderlich zu sein. Jedenfalls zeigte eine Studie, dass dieintuitive Bewertung der „Normalität“ der Spontanmoto-rik nicht vom Grad der medizinischen Kenntnis und Er-fahrung abhing [3].

Säuglinge und Kleinkindervom 4.–18. LebensmonatMuskeltonus, Körperhaltung und Spontanmotorik lassensich in dieser Entwicklungsphase mit weitgehendem Ab-schluss des Hirnvolumenwachstums zunehmend nachden gleichen Grundsätzen beurteilen wie im späteren Al-ter. Spätestens mit 18 Monaten laufen gesunde Kinderfrei und sicher, können auch kleine Gegenstände mit denFingern ergreifen, die aktive Sprache verfügt über die ers-ten Worte.

Hintergrundwissen VEin perfekter Zangengriff korreliert besser mit spätererIntelligenz als Laufen mit 12 Monaten, da daran mehrübergeordnete Hirnfunktionen beteiligt sind.

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Untersuchungsmethoden

Bei vorliegender CP lässt sich erkennen, ob diese spas-tisch, dyskinetisch, choreoathetotisch, ataktisch oderschlaff ist, der Nachweis von Neugeborenenreflexen istimmer als pathologisch zu werten.

Cave GWegen der Dynamik der Entwicklung haben Entwick-lungstests in dieser Altersspanne eine besondere Bedeu-tung. Sie basieren auf der Bestimmung des Alters, andem bestimmte Fähigkeiten beherrscht werden („Mei-lensteinprinzip“). Es ist aber unerlässlich, dass Kinder, dieauffällige Entwicklungstestergebnisse haben, ergänzendnach kinderneurologischem Standard untersucht wer-den, um für Diagnosestellung und Therapie die richtigenSchlüsse zu ziehen. Ansonsten besteht die Gefahr, dasssich aus einem abnormen entwicklungsneurologischenTestergebnis als einzige Konsequenz die Verordnungvon Physiotherapie oder Ergotherapie ergibt.

Es sollten mindestens ein neuromuskulärer Status erho-ben und die Hirnnervenfunktion überprüft werden. Derneuromuskuläre Status umfasst den aktiven und passivenBewegungsumfang der Gelenke, die Untersuchung desMuskeltonus, eine Abschätzung der Muskelkraft, die Er-fassung von Fibrillation oder Faszikulation einzelner Mus-kelfaserbündel, Ermüdbarkeit der Muskulatur und Be-wertung der Spontanbewegungen nach Geschwindigkeit,Richtung, Ablauf und Häufigkeit. Die Hirnnerven lassensich beim Neugeborenen und Säugling wie folgt prüfen:● I: Reaktion auf Vanille● II: Blickfolgebewegungen bei Präsentation markanter

Gegenstände bzw. Streifen mit unterschiedlichem Ab-stand, Pupillenreaktion auf Licht

● III: Augenstellung und Augenbewegungen● IV: Augenstellung und Augenbewegungen● V: Reaktion auf Glukose oder Fructose auf der Zunge,

Saugen und Zubeißen, Sensibilität im Gesicht undMund-raum

● VI: Augenstellung und Augenbewegungen● VII: Mundwinkelbewegungen und Lidschluss● VIII: Hörprüfung (Hirnstammaudiometrie [BERA], oto-

akustische Emissionen [OAE], Tonaudiometrie)● IX: Schlucken● X: Schlucken● XI: Kopfwendung● XII: Zungenmotorik

Reflexe und Reaktionen

NeugeborenenreflexeUnter dem Begriff Neugeborenenreflexe werden Reflexeund Reaktionen zusammengefasst, die bei gesunden Neu-geborenen spätestens am Ende der 1. Lebenswoche aus-lösbar sind und sich nach der Neugeborenenzeit zurück-bilden [121]. Auch bei Frühgeborenen lassen sich diese

Reflexe mit zunehmender Reife auslösen. Einige Reflexeverschwinden bereits im 2. Lebensmonat (z.B. Puppen-augenphänomen), andere können bis zum Ende des 1. Le-bensjahres persistieren (z.B. Babinski-Reflex) (▶Abb.3.20, ▶Tab.3.5).

Merke HDie Persistenz oder das Wiederauftreten von Neugebo-renenreflexen zu einem späteren Zeitpunkt ist immer alspathologisch zu werten.

Beim oralen Suchreflex (Rooting Reflex) verzieht das Kindseinen Mundwinkel an der sanft mit dem Finger (oderBrustwarze) berührten Seite, öffnet den Mund und ver-sucht, daran zu saugen (▶Abb.3.21). Der Reflex ist imhungrigen Wachzustand gut auslösbar, zeigt zerebrale

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Abb.3.20 Babinski-Reflex.

Tab.3.5 Nachweisbarkeit von Neugeborenenreflexen (Quellen:[168], [121]).

Reflex Nachweis-barkeit

Zustandnach Prechtl

Saug- und Suchreflex bis 3. LM 4

Glabellareflex bis 2. LM 1, 2, 3, 4

Babkin-Reflex bis 2. LM 3, 4

Puppenaugenphänomen bis 2. LM 3, 4

optischer oder akustischerBlinzelreflex

>12. LM 3, 4

asymmetrischer tonischerNackenreflex

bis 6. LM 3, 4

Handgreifreflex bis 4. LM 3, 4

Babinski-Reflex bis 12. LM 1, 2, 3, 4, 5

Moro-Reaktion bis 6. LM 3, 4

Magnetreflex bis 3. LM 4

Galant-Reflex bis 4. LM 3, 4

Schreitreflex bis 3. LM 4, 5

LM: Lebensmonat

3

3.2 Postnatal