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Berliner Zeitung·Nummer 233·Mittwoch, 7. Oktober 2015 Seite 23 · · ······················································································································································································································································································· F e uilleton GEDENKEN V ON J ENS BALZER Z wei Mal werden wir noch wach, dann begehen Musikfreunde in aller Welt ein besonderes Jubiläum: Am 9. Oktober wäre der Mitbegrün- der der Gruppe The Beatles, John Lennon, 75 Jahre alt geworden! Eine Vielzahl von Feierlichkeiten ist die- sem Datum gewidmet. Schon am Dienstag traf sich beispielsweise im Central Park in New York Lennons Witwe Yoko Ono mit Tausenden von seinen Fans, um das größte Peace- Zeichen aller Zeiten zu formen. Auch in Deutschland wird Len- non gewürdigt. Die zentrale Jubilä- umsausstellung richtet das Ernst- Barlach-Museum in Wedel bei Hamburg aus. Unter dem Titel „Imagine“ sind hier noch bis zum 28. Februar 2016 Fotografien und Handschriften, Zeichnungen und Filme von Lennon und Yoko Ono zu sehen. Doch leidet diese Schau unter mangelnder Unterstützung durch die Politik: Aus dem Topf der Kreiskulturförderung des zuständi- gen Landkreises Pinneberg habe es „null Euro“ Zuschuss gegeben, klagte jetzt ein Museumsmitarbei- ter gegenüber dem Hamburger Abendblatt, „ganz im Unterschied zur Barmstedter Singgemeinschaft, dem Stephansorchester Schenefeld, der Kammermusik in Quickborn, dem Kulturverein in Holm, den Chorknaben Uetersen oder zur Hamburger Ratsmusik“. Hier hat die Pinneberger Kreis- kulturförderung ohne Frage eine Chance verpasst. Denn die größte deutsche Festveranstaltung zum John-Lennon-Geburtstag findet nun nicht in Wedel statt, sondern in Verden an der Aller. Dies entnehme ich jedenfalls einem Brief von Ge- rald Piepenburg, der mich am Dienstag erreichte. Herr Piepen- burg schreibt: „Ich bin einer der drei aktiven Beatles- und John-Lennon- Fans ausVerden an der Aller in Nie- dersachsen, wo John Lennon 1966 bei den Dreharbeiten für den Anti- Kriegsfilm ,Wie ich den Krieg ge- wann‘ mitwirkte.“ Bereits „zum 40. Jahrestag der Dreharbeiten“, so Pie- penburg, habe man „mit einer gro- ßen Ausstellung im Deutschen Pfer- demuseum“ an dieses Kapitel der Lennon-Biografie erinnert. Bei die- ser Gelegenheit habe auch Uwe Blaschke aus Minden erstmals seine Skizzen für jenes Lennon-Denkmal gezeigt, das dann zwei Jahre später am Originaldrehort in der Straße Mühlentor eingeweiht werden konnte. „Seither brauchen deutsche Beatles-Fans nicht mehr extra nach New York oder Liverpool zu reisen, um gemeinsam in Erinnerungen zu schwelgen.“ Am Freitag lädt Gerald Piepenburg mit den beiden anderen Verdener Lennon-Fans Wolfgang Bielfeldt und Harry Schwertner („er schaute bei den Dreharbeiten zu und bekam dabei von Lennon ein Autogramm“) zur Feierstunde ans Mühlentor. Die Veranstaltung be- ginnt um 15 Uhr und soll gegen 19 Uhr enden. John Lennon zum 75. Geburtstag NACHRICHTEN Europäische Filmpreise für Rampling und Waltz Die Schauspieler Christoph Waltz und Charlotte Rampling werden mit dem Europäischen Filmpreis ge- ehrt. Rampling bekommt den Preis für ihr Lebenswerk, Waltz für seinen Beitrag zum Weltkino, wie die Euro- päische Filmakademie am Dienstag in Berlin mitteilte. Beide Künstler sollen ihre Auszeichnungen bei der Gala zum 28. Europäischen Film- preis am 12. Dezember in Berlin entgegennehmen. Die in England geborene Rampling war bereits fünfmal für den Filmpreis nomi- niert. Sie spielte in Filmen wie „Swimming Pool“ und „Unter dem Sand“. Aktuell ist sie in „45 Years“ im Kino zu sehen. Der gebürtige Wie- ner Waltz ist bekannt aus internatio- nalen Produktionen wie „Inglouri- ous Basterds“ und „Der Gott des Ge- metzels“. Im neuen „James Bond“- Film „Spectre“ spielt er eine Nebenrolle. (dpa) Jazz-Stipendien aus Berlins City Tax finanziert Fünfzehn in Berlin lebende Jazz- musiker sind für ein Arbeits- und Recherchestipendium „Jazz 2015“ ausgewählt worden, darunter die Sängerin Cymin Samawatie, der Sa- xofonist Philipp Gropper, Posau- nist Gerhard Gschlößl oder die Pia- nistin Fee Stracke. Finanziert wird diese Förderung von je 8 000 Euro aus Mitteln der City Tax. Drei Mil- lionen Euro stehen der Kulturver- waltung aus der Bettensteuer der Jahre 2014 und 2015 zur Verfügung. Vor den Jazz-Musikern erhielten 43 Bildende Künstler sowie 31 Auto- ren diese punktuelle Unterstüt- zung. Insgesamt belaufen sich die Stipendien derzeit auf 688 000 Euro. (kek.) Theatergemeinde ehrt Schauspielerin Antonia Bill Auch in diesem Jahr geht der Publi- kumspreis der Berliner Theaterge- meinde an eine Schauspielerin des Berliner Ensembles. Antonia Bill er- hält den Daphne-Preis für ihre „au- ßergewöhnliche darstellerische Leis- tung“. Die 26-Jährige ist fast täglich auf der Peymann-Bühne präsent. Letztes Mal wurde der nicht minder fleißige Sabin Tambrea geehrt. Die Mitglieder der Theatergemeinde wählen die Preisträger direkt. (BLZ) Anzeige Anzeige H I L F E Deutsch für Fluchtlinge U N T E R M s t r i c h V ON Z É DO ROCK H eute kommen wir in unserem ultradeutsh-U(nseriös)-kurs zur lektion U. Das -a am ende eines wortes heisst weiblich, das -i neutral, das -o männlich und das -u sächlich. ’Sächlich’ im sinne von dinglich, ein weib kann naturlich nicht sächlich sein. Das heisst, studas sind studen- tinnen, studis sind männliche und weibliche studierenden, studos sind männliche studenten, studus sind studien. Und klar: das U wird bei ab- geleiteten wörtern nur zu Ü bei plu- ral (am ende des stammverbs) - da hat es einen sinn, und beim plural ist es immer so: die ’fluten’ werden zum beispil zu ’flüte’. Ansonsten bleibt das U ein U: flucht > fluchtling. Alle andere U-regeln werden die lesis schon merken. Ausserdem wird aus aktualitätgründe bahnhofdeutsch gesprochen, sonst versteht ja keiner. Mei Shazza sag, ich zuviel in mein büro, tag und nacht computer, soll raus - warum nix unterrichte flucht- linge deutsch? Na gut, geh unter- richte deutsch für hilforganisation in lager für asylante, wenigstens mache was nutzlich. Aber vor unter- richt gibts fluchtlings-grillfest. Hof- fentlich noch genugend fluchtlinge danach, zum lerne deutsch. Monat später kriegen 2 anwesenheitliste plus 1 abwesenheitliste - aber nor- mal in anwesenheitliste kann sehen wer abwesend? Egal, teile kurs mit lehrerin von Osteuropa - nein, nix lehrerin sondern kursleiterin. In andre sprach teacher und student, professeur et etu- diant, in deutsch kursleiter/innen und kursteilneh- mer_innen und Unnen und an- dere geschlech- ter. Kursleiterin von Osteuropa hat gehört, nur frauen in kurs. Hilforganisa- tion sagen 3 an- meldung. Das is wenig, vielleicht ankündigung nur in deutsch und niemand versteh? In ein asylantenheim hausmeister so mache: 3 seiten hausvorschriften in beste beamtedeutsch, eritreische mechaniker - ein monat hier - soll lesen und unterschreiben bitte. Vorher ich gehört, muss lehren nach lehrwerk. OK, kann holen lehr- werk in büro. Ah, haben gehört gibts beamer, wo beamer? Beamer muss noch organisieren, auch problem sicherheit - aber bald. Gehen kurs, fang an 4 teil- nehmer. Wolle frage betreuerin wegen anmeldung - man- che haben, manche nix, aber formular wörte wie ’Aufent- haltsstatus’ - muss allu mache? - wenn im unterricht, dann heute unterricht nur anmeldung ausfülle. Aber betreue- rin in sitzung. Anfangen: Ich heisse Zé do Rock, wie heisst du? Wo kommst du her? Was machst du arbeit? Kommen noch zwei teilnehmer. Mache pro- nomen: ich bin schön, du bist häss- lich. Mache begrüssungfloskel. Gu- ten morgen, moin moin, hallo, danke, bitte bitte ich habe kein geld! Komme noch teilnehmer. Mache zahlen. Komme noch 2. Ich heisse Zé, wie heiss du? Ali Al-Turimi? OK, nenne Turimi, weil 4 Ali in klasse zu- viel Ali. Wo komme her? Syria, Syria, aber auch andre arabische und afri- kanische land. Chinese auch - warum, China nicht blühend demo- kratie? Doch nicht nur frau in kurs, viel mehr mann, oft dunkle gestal- ten. Arbeit? Allu meglich: mechani- ker, buchhalter, techniker, brummi- fahrer. Und du, Zayid? Anwalt in Sy- rien. Und du, Zabar? Polizist in Irak? Uh! Bitte, warten, ich geh toilette, ich schleiche zu tür, Zayid sag: „Kein problem, er polizist, ich anwalt!“ Komme noch 3 teilnehmer. Wie heisse, wo komme her, nochmal und nochmal! Make viel mimik, aber manchmal schwer. Da lieber englisch französisch italienisch ara- bisch oder chinesisch. Leider mein chinesisch nix so gut. Syrer meist englisch, meiste sprech noch ein sprache so-so, aber manche teil- nehmer nix nix, nur eigene sprache. Ich schau google übersetzer, sag für chinesin: huòzhe. Chinesin lach. Zeigen wörterbuch, chinesin les, ah! Huòzhe! Hab ich doch gesagt. Ende von unterricht, über dutzend leute. Dann komme betreuerin und will wisse wer gezahlt. Manche vielleicht nix zahl, manche vielleicht nix ver- steh - verb „zahlen“ noch nicht ge- habt. Und ich? Ich füll nur ein liste - muss andre 2 oder 3 auch? Nein, kriegen sowieso neue. Hilforganisa- tion und stadtregierung und landre- gierung und heimleitung, da ein re- gel, da andre, muss koordiniere. Wichtig is asylant merk, in Deutsch- land allu perfekt, muss anpasse! Zé do Rock liest heute um 19 Uhr in der brasilianischen Botschaft, Wallstraße 57, Eintritt frei, Anmeldungstel.:72 62 81 31 Selfie mit Hitler Eine Filmsatire nach Bestsellervorlage: 70 Jahre nach seinem Tod will Hitler Deutschland zurückerobern V ON HARALD J ÄHNER E r erscheint plötzlich genau dort, wo er vor 70 Jahren aufgehört hat: An der Berliner Wilhelmstraße unweit des einstigen Führerbun- kers. In dem Grünanlagengestrüpp zwischen den Plattenbauten wacht er auf, benommen und etwas müf- felnd in seinem verschmutzten Uniformrock. „Was is’n das für’n Opfer?“, fragen sich ein paar Jungs, als Adolf Hitler aus der Grünanlage wankt. Von dieser Art ist der Witz des neuen Films von David Wnendt. „Sehe ich aus wie ein Verbrecher?“, wird er später mal jemanden anherrschen. Zunächst findet Hitler Unter- schlupf in einem Zeitungskiosk am Brandenburger Tor, wo er anhand des ausliegenden Schriftgutes nach und nach begreifen darf, was seit 1945 passiert sein muss. Viel Zeit bleibt ihm nicht, sich darüber zu wundern, dass sein von ihm selbst dem Untergang geweihtes Volk überlebt hat und inzwischen sogar „von einer klobigen Frau mit der Ausstrahlung einer Trauerweide“ regiert wird. Denn schon bald wird Hitler von einem Privatsender als vielversprechender Gag engagiert. In allen Talk- und Blödelformaten wird der vermeintliche Hitler-Dar- steller zum absoluten Quotenbrin- ger. Bei Frank Plasberg, bei Joko und Klaas, bei Thadeusz – überall sitzt Hitler mit am Tisch. Als der Führer im Spaßfernsehen bitteren Ernst macht, spüren die Leute: Das ist kein Double, irgendwie ist er tatsächlich wieder da. Der Regisseur David Wnendt ist seit seiner Neonazi-Studie „Die Kriegerin“ eine große Hoffnung des neueren deutschen Films. Deshalb wurde ihm nach der Verfilmung von Charlotte Roches „Feucht- gebieten“ mit „Er ist wieder da“ zum zweiten Mal die Adaption eines teuren Mega-Bestsellers an- vertraut. Der gleichnamige Roman des Journalisten Timur Vernes aus dem Jahr 2012 wurde allein in Deutschland über zwei Millionen Mal verkauft – als „das witzigste No Go des Jahres“. Die Hälfte seiner Länge bestrei- tet der Film mit der Komik, die aus Hitlers Staunen über das moderne Deutschland rührt. Der Wiener Burgtheater-Schauspieler Oliver Masucci spielt Hitler als Alien, der sich durch seine Sturheit aus der Masse der alerten Gegenwarts- deutschen abhebt. Ob die Sender- chefin Bellini (Katja Riemann), deren intriganter Stellvertreter Sensenbrink (Christoph Maria Herbst) oder sein Erstentdecker, der gerade entlassene TV-Mitarbei- ter Sawatzki (Fabian Busch) – fast alle Figuren knicken schon bei leisem Bellen des Führers ein, weil ihnen, wie Hitler gleich erkennt, das „geistige Fundament“ für eine starke Haltung fehlt. Sie haben nichts als ihre Karriere, Fun und Wohlstand im Sinn. Es ist schon saukomisch, Hitler dabei zuzusehen, wie er sich abends kopfschüttelnd durch die Kanäle zappt. Kochshows, Promi- dinner, Quizsendungen, Entrüm- pelshows – das Propaganda-Genie sieht ein Traummedium vor die Hunde gegangen. Mehr Hoffnung sieht er für das „Internetz“. Als Hitler bei einem Show-Auf- tritt die Regeln bricht, indem er schweigt, bleibt einem erstmals das Lachen im Hals stecken. Er fixiert das Publikum, nacheinander jeden Einzelnen. Und dann sagt er: „Wenn man die Ratten im Haus hat, bestellt man keinen Clown, son- dern einen Kammerjäger.“ Das ist die erste Ausstiegsluke, die Wnendt aus der Komik des Stoffs gefunden hat: ihre Selbstre- flexion. In der bittersten Szene sol- len die Gag-Autoren des Senders auf Geheiß des Vizechefs die „rote Linie überschreiten“ und Juden- witze fabrizieren. Die Autoren mur- ren, machen sich schließlich aber doch an die Arbeit und leiern bei der Präsentation lustlos ihre Witz- chen runter. Ihre Rückgratlosigkeit erschreckt die Verkommenheit der Spaßgesellschaft, die Wnendt schildert, deckt sich verblüffend mit der Wahrnehmung Hitlers. Weiter gedacht, konzentrierter auf die Medienkritik hin gedreht, hätte der Film wirklich böse wer- den und den eigenen Witz auf die Zerreißprobe stellen können. Aber Wnendt dreht sich geschickt noch einmal weg und findet eine weitere Ausstiegsluke: Er klettert aus der Satire heraus und begibt sich ins Dokumentarische. Hitler reist mit dem TV-Journalisten Sawatzki durch Deutschland; er stellt sich an echte Imbissbuden, redet mit ech- ten Passanten in der Fußgänger- zone, hetzt echte Fußballfans gegen einen Punk auf. Die Men- schen machen Selfies mit Hitler und lassen raus, was so gärt: Wah- len seien eh manipuliert, die klei- nen Leute zahlten die Zeche, die Ausländer würden immer frecher. Das Problem dieser Mockumen- tary-Teile besteht darin, dass man nie genau sicher ist, wo es sich um dokumentarische und wo um insze- nierte Anteile handelt, die nur doku- mentarisch tun, so wie der Besuch Hitlers im Köpenicker NPD-Büro, wo der Führer den Parteivorsitzen- den wegen der schlechten Perfor- mance zur Sau macht. Auch das ist witzig, aber nicht überzeugend im Hinblick auf die Botschaft, den Ernst der Lage, für den das Doku- ment herhalten soll. Man hat das Gefühl, der Regisseur wollte es mög- lichst vielen recht machen und die, die über Hitler lachen, mit denen versöhnen, die das nicht zum La- chen finden. Ernst und Pathos soll- ten noch mit ins Boot der Komik. Die Folge: Wieder Untergang. Er ist wieder da – jedenfalls in den Medien Der Film „Er ist wieder da“: Deutschland 2015. 110 Min., Farbe. Regie: David Wnendt, Kamera: Hanno Lentz, Darsteller: Oliver Masucci, Fabian Busch, Katja Riemann, Christoph Maria Herbst, Franziska Wulf u. a. Das Buch „Er ist wieder da“ von Timur Vernes er- schien 2012. Es stand 20 Wochen auf der Spie- gel-Bestsellerliste, wurde in 41 Sprachen übersetzt und verkaufte sich allein in Deutsch- land zwei Millionen Mal. Adolf Hitler kommt auch 2016 wieder. Für RTL planen Ufa Fiction und Beta Film eine Serie über Hitlers Fronterleb- nisse im Ersten Welt- krieg, seine Freund- schaften und seine poli- tischen Anfänge. CONSTANTIN FILM „Sehe ich wie ein Verbrecher aus?“ Hitler (Oliver Masucci) und die TV-Assistentin Krömeier (Franziska Wulf) GERO DESCZYK

Feuil - ze do rock · 2015. 10. 26. · Witwe Yoko Ono mit Tausenden von seinen Fans, um das größte Peace- ... ter gegenüber dem Hamburger Abendblatt, „ganz im Unterschied zur

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Page 1: Feuil - ze do rock · 2015. 10. 26. · Witwe Yoko Ono mit Tausenden von seinen Fans, um das größte Peace- ... ter gegenüber dem Hamburger Abendblatt, „ganz im Unterschied zur

B e r l i n e r Z e i t u n g · N u m m e r 2 3 3 · M i t t w o c h , 7 . O k t o b e r 2 0 1 5 – S e i t e 2 3 ·· ·······················································································································································································································································································

Feuilleton❖

G E D E N K E N

V O N J E N S B A L Z E R

Zwei Mal werden wir noch wach,dann begehen Musikfreunde in

aller Welt ein besonderes Jubiläum:Am 9. Oktober wäre der Mitbegrün-der der Gruppe The Beatles, JohnLennon, 75 Jahre alt geworden! EineVielzahl von Feierlichkeiten ist die-sem Datum gewidmet. Schon amDienstag traf sich beispielsweise imCentral Park in New York LennonsWitwe Yoko Ono mit Tausenden vonseinen Fans, um das größte Peace-Zeichen aller Zeiten zu formen.

Auch in Deutschland wird Len-non gewürdigt. Die zentrale Jubilä-umsausstellung richtet das Ernst-Barlach-Museum in Wedel beiHamburg aus. Unter dem Titel„Imagine“ sind hier noch bis zum28. Februar 2016 Fotografien undHandschriften, Zeichnungen undFilme von Lennon und Yoko Ono zusehen. Doch leidet diese Schauunter mangelnder Unterstützungdurch die Politik: Aus dem Topf derKreiskulturförderung des zuständi-gen Landkreises Pinneberg habe es„null Euro“ Zuschuss gegeben,klagte jetzt ein Museumsmitarbei-ter gegenüber dem HamburgerAbendblatt, „ganz im Unterschiedzur Barmstedter Singgemeinschaft,dem Stephansorchester Schenefeld,der Kammermusik in Quickborn,dem Kulturverein in Holm, denChorknaben Uetersen oder zurHamburger Ratsmusik“.

Hier hat die Pinneberger Kreis-kulturförderung ohne Frage eineChance verpasst. Denn die größtedeutsche Festveranstaltung zumJohn-Lennon-Geburtstag findetnun nicht in Wedel statt, sondern inVerden an der Aller. Dies entnehmeich jedenfalls einem Brief von Ge-rald Piepenburg, der mich amDienstag erreichte. Herr Piepen-burg schreibt: „Ich bin einer der dreiaktiven Beatles- und John-Lennon-Fans aus Verden an der Aller in Nie-dersachsen, wo John Lennon 1966bei den Dreharbeiten für den Anti-Kriegsfilm ,Wie ich den Krieg ge-wann‘ mitwirkte.“ Bereits „zum 40.Jahrestag der Dreharbeiten“, so Pie-penburg, habe man „mit einer gro-ßen Ausstellung im Deutschen Pfer-demuseum“ an dieses Kapitel derLennon-Biografie erinnert. Bei die-ser Gelegenheit habe auch UweBlaschke aus Minden erstmals seineSkizzen für jenes Lennon-Denkmalgezeigt, das dann zwei Jahre späteram Originaldrehort in der StraßeMühlentor eingeweiht werdenkonnte. „Seither brauchen deutscheBeatles-Fans nicht mehr extra nachNew York oder Liverpool zu reisen,um gemeinsam in Erinnerungen zuschwelgen.“ Am Freitag lädt GeraldPiepenburg mit den beiden anderenVerdener Lennon-Fans WolfgangBielfeldt und Harry Schwertner („erschaute bei den Dreharbeiten zuund bekam dabei von Lennon einAutogramm“) zur Feierstunde ansMühlentor. Die Veranstaltung be-ginnt um 15 Uhr und soll gegen19 Uhr enden.

John Lennon zum75. Geburtstag

N A C H R I C H T E N❖

Europäische Filmpreise fürRampling und WaltzDie Schauspieler Christoph Waltzund Charlotte Rampling werden mitdem Europäischen Filmpreis ge-ehrt. Rampling bekommt den Preisfür ihr Lebenswerk, Waltz für seinenBeitrag zum Weltkino, wie die Euro-päische Filmakademie am Dienstagin Berlin mitteilte. Beide Künstlersollen ihre Auszeichnungen bei derGala zum 28. Europäischen Film-preis am 12. Dezember in Berlinentgegennehmen. Die in Englandgeborene Rampling war bereitsfünfmal für den Filmpreis nomi-niert. Sie spielte in Filmen wie„Swimming Pool“ und „Unter demSand“. Aktuell ist sie in „45 Years“ imKino zu sehen. Der gebürtige Wie-nerWaltz ist bekannt aus internatio-nalen Produktionen wie „Inglouri-ous Basterds“ und „Der Gott des Ge-metzels“. Im neuen „James Bond“-Film „Spectre“ spielt er eineNebenrolle. (dpa)

Jazz-Stipendien ausBerlins City Tax finanziertFünfzehn in Berlin lebende Jazz-musiker sind für ein Arbeits- undRecherchestipendium „Jazz 2015“ausgewählt worden, darunter dieSängerin Cymin Samawatie, der Sa-xofonist Philipp Gropper, Posau-nist Gerhard Gschlößl oder die Pia-nistin Fee Stracke. Finanziert wirddiese Förderung von je 8 000 Euroaus Mitteln der City Tax. Drei Mil-lionen Euro stehen der Kulturver-waltung aus der Bettensteuer derJahre 2014 und 2015 zur Verfügung.Vor den Jazz-Musikern erhielten 43Bildende Künstler sowie 31 Auto-ren diese punktuelle Unterstüt-zung. Insgesamt belaufen sich dieStipendien derzeit auf 688 000Euro. (kek.)

Theatergemeinde ehrtSchauspielerin Antonia BillAuch in diesem Jahr geht der Publi-kumspreis der Berliner Theaterge-meinde an eine Schauspielerin desBerliner Ensembles. Antonia Bill er-hält den Daphne-Preis für ihre „au-ßergewöhnliche darstellerische Leis-tung“. Die 26-Jährige ist fast täglichauf der Peymann-Bühne präsent.Letztes Mal wurde der nicht minderfleißige Sabin Tambrea geehrt. DieMitglieder der Theatergemeindewählen die Preisträger direkt. (BLZ)

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H I L F E

Deutsch fürFluchtlinge

U N T E R Ms t r i c h

V O N Z É D O R O C K

Heute kommen wir in unseremultradeutsh-U(nseriös)-kurs

zur lektion U. Das -a am ende eineswortes heisst weiblich, das -i neutral,das -o männlich und das -u sächlich.’Sächlich’ im sinne von dinglich, einweib kann naturlich nicht sächlichsein. Das heisst, studas sind studen-tinnen, studis sind männliche undweibliche studierenden, studos sindmännliche studenten, studus sindstudien. Und klar: das U wird bei ab-geleiteten wörtern nur zu Ü bei plu-ral (am ende des stammverbs) − dahat es einen sinn, und beim plural istes immer so: die ’fluten’ werden zumbeispil zu ’flüte’. Ansonsten bleibt

das U ein U: flucht > fluchtling. Alleandere U-regeln werden die lesisschon merken. Ausserdem wird ausaktualitätgründe bahnhofdeutschgesprochen, sonst versteht ja keiner.

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Mei Shazza sag, ich zuviel in meinbüro, tag und nacht computer, sollraus − warum nix unterrichte flucht-linge deutsch? Na gut, geh unter-richte deutsch für hilforganisationin lager für asylante, wenigstensmache was nutzlich. Aber vor unter-richt gibts fluchtlings-grillfest. Hof-fentlich noch genugend fluchtlingedanach, zum lerne deutsch. Monatspäter kriegen 2 anwesenheitlisteplus 1 abwesenheitliste − aber nor-mal in anwesenheitliste kann sehenwer abwesend? Egal, teile kurs mitlehrerin von Osteuropa − nein, nixlehrerin sondern kursleiterin. Inandre sprach teacher und student,

professeur et etu-diant, in deutschkursleiter/innenund kursteilneh-mer_innen undUnnen und an-dere geschlech-ter. Kursleiterinvon Osteuropahat gehört, nurfrauen in kurs.

Hilforganisa-tion sagen 3 an-meldung. Das iswenig, vielleichtankündigung nurin deutsch und niemand versteh? Inein asylantenheim hausmeister somache: 3 seiten hausvorschriften inbeste beamtedeutsch, eritreischemechaniker − ein monat hier − solllesen und unterschreiben bitte.

Vorher ich gehört, muss lehrennach lehrwerk. OK, kann holen lehr-werk in büro. Ah, haben gehört gibts

beamer, wo beamer?Beamer muss nochorganisieren, auchproblem sicherheit −aber bald. Gehenkurs, fang an 4 teil-nehmer. Wolle fragebetreuerin wegenanmeldung − man-che haben, manchenix, aber formularwörte wie ’Aufent-haltsstatus’ − mussallu mache? − wennim unterricht, dannheute unterricht nur

anmeldung ausfülle. Aber betreue-rin in sitzung.

Anfangen: Ich heisse Zé do Rock,wie heisst du? Wo kommst du her?Was machst du arbeit? Kommennoch zwei teilnehmer. Mache pro-nomen: ich bin schön, du bist häss-lich. Mache begrüssungfloskel. Gu-ten morgen, moin moin, hallo,

danke, bitte bitte ich habe kein geld!Komme noch teilnehmer. Machezahlen. Komme noch 2. Ich heisseZé, wie heiss du? Ali Al-Turimi? OK,nenne Turimi, weil 4 Ali in klasse zu-viel Ali. Wo komme her? Syria, Syria,aber auch andre arabische und afri-kanische land. Chinese auch −warum, China nicht blühend demo-kratie? Doch nicht nur frau in kurs,viel mehr mann, oft dunkle gestal-ten. Arbeit? Allu meglich: mechani-ker, buchhalter, techniker, brummi-fahrer. Und du, Zayid? Anwalt in Sy-rien. Und du, Zabar? Polizist in Irak?Uh! Bitte, warten, ich geh toilette,ich schleiche zu tür, Zayid sag: „Keinproblem, er polizist, ich anwalt!“

Komme noch 3 teilnehmer. Wieheisse, wo komme her, nochmalund nochmal! Make viel mimik,aber manchmal schwer. Da lieberenglisch französisch italienisch ara-bisch oder chinesisch. Leider meinchinesisch nix so gut. Syrer meist

englisch, meiste sprech noch einsprache so-so, aber manche teil-nehmer nix nix, nur eigene sprache.Ich schau google übersetzer, sag fürchinesin: huòzhe. Chinesin lach.Zeigen wörterbuch, chinesin les, ah!Huòzhe! Hab ich doch gesagt. Endevon unterricht, über dutzend leute.Dann komme betreuerin und willwisse wer gezahlt. Manche vielleichtnix zahl, manche vielleicht nix ver-steh − verb „zahlen“ noch nicht ge-habt. Und ich? Ich füll nur ein liste −muss andre 2 oder 3 auch? Nein,kriegen sowieso neue. Hilforganisa-tion und stadtregierung und landre-gierung und heimleitung, da ein re-gel, da andre, muss koordiniere.Wichtig is asylant merk, in Deutsch-land allu perfekt, muss anpasse!

Zé do Rock liest heute um 19 Uhr in derbrasilianischen Botschaft, Wallstraße 57,Eintritt frei, Anmeldungstel.:72628131

Selfie mit HitlerEine Filmsatire nach Bestsellervorlage: 70 Jahre nach seinem Tod will Hitler Deutschland zurückerobern

V O N H A R A L D J Ä H N E R

Er erscheint plötzlich genau dort,wo er vor 70 Jahren aufgehört

hat: An der Berliner Wilhelmstraßeunweit des einstigen Führerbun-kers. In dem Grünanlagengestrüppzwischen den Plattenbauten wachter auf, benommen und etwas müf-felnd in seinem verschmutztenUniformrock. „Was is’n das für’nOpfer?“, fragen sich ein paar Jungs,als Adolf Hitler aus der Grünanlagewankt. Von dieser Art ist der Witzdes neuen Films von DavidWnendt. „Sehe ich aus wie einVerbrecher?“, wird er später maljemanden anherrschen.

Zunächst findet Hitler Unter-schlupf in einem Zeitungskiosk amBrandenburger Tor, wo er anhanddes ausliegenden Schriftgutes nachund nach begreifen darf, was seit1945 passiert sein muss. Viel Zeitbleibt ihm nicht, sich darüber zuwundern, dass sein von ihm selbstdem Untergang geweihtes Volküberlebt hat und inzwischen sogar„von einer klobigen Frau mit derAusstrahlung einer Trauerweide“regiert wird. Denn schon bald wirdHitler von einem Privatsender alsvielversprechender Gag engagiert.In allen Talk- und Blödelformatenwird der vermeintliche Hitler-Dar-steller zum absoluten Quotenbrin-ger. Bei Frank Plasberg, bei Jokound Klaas, bei Thadeusz – überallsitzt Hitler mit am Tisch. Als derFührer im Spaßfernsehen bitterenErnst macht, spüren die Leute: Dasist kein Double, irgendwie ist ertatsächlich wieder da.

Der Regisseur David Wnendt istseit seiner Neonazi-Studie „DieKriegerin“ eine große Hoffnung des

neueren deutschen Films. Deshalbwurde ihm nach der Verfilmungvon Charlotte Roches „Feucht-gebieten“ mit „Er ist wieder da“zum zweiten Mal die Adaptioneines teuren Mega-Bestsellers an-vertraut. Der gleichnamige Romandes Journalisten Timur Vernes ausdem Jahr 2012 wurde allein inDeutschland über zwei MillionenMal verkauft – als „das witzigsteNo Go des Jahres“.

Die Hälfte seiner Länge bestrei-tet der Film mit der Komik, die ausHitlers Staunen über das moderneDeutschland rührt. Der WienerBurgtheater-Schauspieler OliverMasucci spielt Hitler als Alien, dersich durch seine Sturheit aus derMasse der alerten Gegenwarts-deutschen abhebt. Ob die Sender-chefin Bellini (Katja Riemann),deren intriganter StellvertreterSensenbrink (Christoph MariaHerbst) oder sein Erstentdecker,der gerade entlassene TV-Mitarbei-ter Sawatzki (Fabian Busch) – fastalle Figuren knicken schon beileisem Bellen des Führers ein, weilihnen, wie Hitler gleich erkennt,das „geistige Fundament“ für einestarke Haltung fehlt. Sie haben

nichts als ihre Karriere, Fun undWohlstand im Sinn.

Es ist schon saukomisch, Hitlerdabei zuzusehen, wie er sichabends kopfschüttelnd durch dieKanäle zappt. Kochshows, Promi-dinner, Quizsendungen, Entrüm-pelshows – das Propaganda-Geniesieht ein Traummedium vor dieHunde gegangen. Mehr Hoffnungsieht er für das „Internetz“.

Als Hitler bei einem Show-Auf-tritt die Regeln bricht, indem erschweigt, bleibt einem erstmals dasLachen im Hals stecken. Er fixiertdas Publikum, nacheinander jedenEinzelnen. Und dann sagt er:„Wenn man die Ratten im Haus hat,bestellt man keinen Clown, son-dern einen Kammerjäger.“

Das ist die erste Ausstiegsluke,die Wnendt aus der Komik desStoffs gefunden hat: ihre Selbstre-flexion. In der bittersten Szene sol-len die Gag-Autoren des Sendersauf Geheiß des Vizechefs die „roteLinie überschreiten“ und Juden-witze fabrizieren. Die Autoren mur-ren, machen sich schließlich aberdoch an die Arbeit und leiern beider Präsentation lustlos ihre Witz-chen runter. Ihre Rückgratlosigkeit

erschreckt – die Verkommenheitder Spaßgesellschaft, die Wnendtschildert, deckt sich verblüffendmit der Wahrnehmung Hitlers.

Weiter gedacht, konzentrierterauf die Medienkritik hin gedreht,hätte der Film wirklich böse wer-den und den eigenen Witz auf dieZerreißprobe stellen können. AberWnendt dreht sich geschickt nocheinmal weg und findet eine weitereAusstiegsluke: Er klettert aus derSatire heraus und begibt sich insDokumentarische. Hitler reist mitdem TV-Journalisten Sawatzkidurch Deutschland; er stellt sich anechte Imbissbuden, redet mit ech-ten Passanten in der Fußgänger-zone, hetzt echte Fußballfansgegen einen Punk auf. Die Men-schen machen Selfies mit Hitlerund lassen raus, was so gärt: Wah-len seien eh manipuliert, die klei-nen Leute zahlten die Zeche, dieAusländer würden immer frecher.

Das Problem dieser Mockumen-tary-Teile besteht darin, dass mannie genau sicher ist, wo es sich umdokumentarische und wo um insze-nierte Anteile handelt, die nur doku-mentarisch tun, so wie der BesuchHitlers im Köpenicker NPD-Büro,wo der Führer den Parteivorsitzen-den wegen der schlechten Perfor-mance zur Sau macht. Auch das istwitzig, aber nicht überzeugend imHinblick auf die Botschaft, denErnst der Lage, für den das Doku-ment herhalten soll. Man hat dasGefühl, der Regisseur wollte es mög-lichst vielen recht machen und die,die über Hitler lachen, mit denenversöhnen, die das nicht zum La-chen finden. Ernst und Pathos soll-ten noch mit ins Boot der Komik.Die Folge:Wieder Untergang.

Er ist wieder da – jedenfalls in den MedienDer Film „Er ist wiederda“: Deutschland 2015.110 Min., Farbe. Regie:David Wnendt, Kamera:Hanno Lentz, Darsteller:Oliver Masucci, FabianBusch, Katja Riemann,Christoph Maria Herbst,Franziska Wulf u. a.

Das Buch „Er ist wiederda“ von Timur Vernes er-schien 2012. Es stand20 Wochen auf der Spie-gel-Bestsellerliste,wurde in 41 Sprachenübersetzt und verkauftesich allein in Deutsch-land zwei Millionen Mal.

Adolf Hitler kommt auch2016 wieder. Für RTLplanen Ufa Fiction undBeta Film eine Serieüber Hitlers Fronterleb-nisse im Ersten Welt-krieg, seine Freund-schaften und seine poli-tischen Anfänge.

CONSTANTIN FILM

„Sehe ich wie ein Verbrecher aus?“ Hitler (Oliver Masucci) und die TV-Assistentin Krömeier (Franziska Wulf)

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