21
Felix Moos MASTERTHESIS Theoriearbeit Fachhochschule Nordwestschweiz Institut Architektur Herbstsemester 2011 Das Oerlikerhus Begleitung: Prof. Matthias Ackermann

FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Felix Moos Masterthesis Theorie

Citation preview

Page 1: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

Felix Moos MASTERTHESIS Theoriearbeit

Fachhochschule NordwestschweizInstitut ArchitekturHerbstsemester 2011

Das Oerlikerhus Begleitung: Prof. Matthias Ackermann

Page 2: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

39

Das OerlikerhusEin Konzept zur urbanen Vedichtung von Gewerbe

Theoriearbeit Masterthesis HS 2011/12

FHNW Hochschule für Architektur Bau & Geomatik

Institut Architektur Masterstudiengang

Professor: Matthias Ackermann

Verfasser: Felix Moos

Schrift: Rotis Serif & Rotis Sans Serif

Basel, 27. Januar 2012

Page 3: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

43

Einleitung 43

Geschichte 44

Struktur und Konzept 46

Infrastruktur und Nutzungsverteilung 48

Genossenschaft Gewerbehaus Oerlikerhus 50

Das Oerlikerhus als Quartiersmotor

Anbindung an den öffentlichen Raum 52

Gewerbe als Identität stiftender Faktor 52

1976 & im heutigen Kontext 54

Schlusswort 56

Quellenverzeichnis 59

Abbildungsverzeichnis 59

Page 4: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

44 44

Abb. 1 Orthofotografie von Leutschbach 2010

Page 5: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

45

Einleitung

Das ehemalige Industrie- und Gewer-begebiet Leutschenbach am nördlichen Zürcher Stadtrand erfährt in jüngster Zeit eine rasante Transformation zum Wohn- und Dienstleistungsquartier. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) wird es immer schwieriger sich dort ge-gen die steigende Konkurrenz mit kapi-talstarken Großunternehmen und dem stark wachsenden Wohnungsmarkt zu behaupten.1

So wurde in einer 2008 von der Stadt Zürich durchgeführten Firmenbefra-gung die Verfügbarkeit von geeigneten Standorten für Gewerbetreibende als unbefriedigend wahrgenommen. Da vie-le KMU auf einen zentralen und gut fre-quentierten Standort angewiesen sind, kommt eine Verlegung ihres Standorts aus der Stadt heraus für nur ca. 6% der Firmen in Frage. 2

Eine positive Wechselwirkung zwischen dem Gewerbe und der Stadt wird auch von Seiten der Zürcher Stadtentwick-lung beschrieben. In der im Juni 2010 veröffentlichten Studie „Gewerbefreundliche Stadt Zü-rich“ werden zahlreiche Argumente für den Verbleib von KMU im Stadtgebiet angeführt. Unter anderem der Beitrag der gewerblichen Vielfalt zum positiv empfundenen Stadtbild, die Belebung des öffentlichen Raumes, die Ange-bots - und Produktvielfalt und damit einhergehend eine nahe und vielfältige

Einleitung | 45

Quartiersversorgung. Auch die Schaf-fung von Arbeitsplätzen und Lehrstellen und nicht zuletzt die Identität stiftende Wirkung von Gewerbe im städtischen Kontext werden als positive Aspekte ge-nannt. Um trotz steigender Miet- und Boden-preise und den hohen Anforderungen an die bauliche Dichte, den Verbleib und die Ansiedlung von KMU innerhalb der Stadtgrenzen zu ermöglichen, werden neben zahlreichen anderen Maßnahmen auch genossenschaftlich organisierte Gewerbehäuser vorgeschlagen.3

Ein solches, bereits 1976 realisiertes Projekt, das Oerlikerhus, steht in Leut-schenbach zwischen der neuen Glattal-bahn und dem kürzlich fertiggestellten Leutschenpark. Die 1971 gegründete Gewerbehaus-Genossenschaft Oerlikon betreibt diese Projekt seit mehr als 30 Jahren sehr erfolgreich und bietet insge-samt 70 Firmen mit ca. 700 Angestellten geeignete Gewerbeflächen zu günstigen Konditionen an.4

In der folgenden Arbeit soll die Kon-zeption und typologische Umsetzung des Oerlikerhus untersucht werden. Dies auch im Hinblick darauf, in wie fern es in seiner heute deutlich veränderten Umgebung den oben aufgeführten An-sprüchen an ein Gewerbehaus im städti-schen Kontext gerecht werden kann und in wiefern es als Typolgie Vorbildfunk-tion haben könnte.

1 Vgl., Keller, 2010, Vorwort

2 Vgl., Reiman, 2008, S. 10

3 Vgl., Keller, 2010, S. 8f

4 Vgl., Gespräch mit Jörg Luder, 17.10.2011

Page 6: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

46 46

1970 schlossen sich 11 Oerliker Gewer-betreibende zusammen, um im damals eher schlecht erschlossenen Stadtteil Leutschenbach ein genossenschaftlich organisiertes Gewerbehaus zu bauen.Ziel war es, sich langfristig gegen schwankende Standortbedingungen ab-zusichern und zu günstigen Preisen aus-reichend Platz für Geschäfte und Pro-duktionen zu schaffen.Nachdem die Stadt Zürich auf eine ers-te Anfrage für entsprechendes Bauland positiv reagiert hatte, wurden die Archi-tekten Walter Haug und Martin Unger für ein Exposé beauftragt und ein erstes Vorprojekt im Juli 1970 bei der Stadt eingereicht.5

Drei Monate später entschied der Stadt-rat, der noch zu gründenden Genossen-schaft ca. 10 000qm Bauland zwischen der Thurgauer- und Leutschenbachstras-se abzutreten. Im damals als Industriezone ausgeschrie-benen Stadtteil Leutschenbach Gewerbe anzusiedeln stellte für alle Beteiligten ein erhebliches Risiko dar. Trotzdem wurden im folgenden Jahr die

Abb. 2 Modellfoto, 1970 Abb. 3 Schemagrundriss der Ar-chitekten Walter Haug und Martin Unger, 1970

5 Vgl., Saxer, 1975, Eröffnungsrede an-

lässlich der Aufrichte des Oerlikerhus

6 Vgl., B. N.N., 28.11.1975

7 Vgl., Gespräch mit Jörg Luder, 17.10.2011

8 Vgl., A. N.N., 24.09.1996

Statuten von 11 Mitgliedern verabschie-det und die Gewerbehaus-Genossen-schaft Oerlikon gegründet.6 Ende 1971 reichten die Architekten das endgültige Projekt ein und ein Jahr spä-ter konnte mit dem Bau begonnen wer-den. Als 1973 die internationale Ölkrise einsetzte zogen zahlreiche Banken ihre Kreditzusagen zurück und das Projekt geriet ins Stocken. Erst als die Stadt Zürich der Genossen-schaft einen Kredit bewilligte, konnte weiter gebaut werden. Auch der schlechte Baugrund und der hohe Grundwasserspiegel in Leutschen-bach erschwerten die Bauarbeiten er-heblich und erforderten eine aufwen-dige Sicherung der Baugruben und die Absenkung des Grundwassers.Während der 4 jährigen Bauphase konn-ten jedoch 14 weitere Genossenschafts-mitglieder gefunden werden, und als im Januar 1976 das Projekt mit ca. 15000qm Produktions- und 8000qm Park- und La-gerflächen fertiggestellt wurde, konnte es von insgesamt 25 Firmen bezogen werden.78

Geschichte

Page 7: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

47 Geschichte | 47

Abb. 4 Luftbild des Oerlikerhus kurz nach der Fertigstellung 1976

Page 8: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

48

Konzept & Struktur Schon früh in der Planungsphase ent-schied man sich dazu, nicht im Sinne einer Baugruppe spezifische Flächen und Räume für die entsprechenden Mit-glieder zu projektieren, sondern das Ge-bäude als gut erschlossene Infrastruktur anzubieten, die anschließend je nach Nutzer und Bedürfnissen eingeteilt und ausgebaut werden kann.9

Die ursprünglich rechteckige, ca. 87m lange und 65m breite Grundfläche des Gebäudes ist nach Süden hin abgestuft, da in 3m Tiefe ein Regenwasserkanal durch das Grundstück verläuft, dessen Verlegung beim Bau des Gebäudes zu aufwendig gewesen wäre. Das 7 geschos-sige Gebäude ist in einem regelmäßigen Stützenplattensystem aus Stahlbeton konstruiert.Die 45cm starken quadratischen Stützen sind in einem ungerichteten 7,2m Raster angeordnet. Diese und 5 Treppenkerne tragen die 30cm Stahlbetonflachdecken, die eine Nutzlast von 1000kg/m² tragen und auch bei schweren Lasten eine freie Einteilung gewährleisten.Das abschließende Attika Geschoss und die auf dem Dachgeschoss plazierten Haustechnikräume sind auf der letzten Betondecke aufgemauert. Die serielle Fassade ist nicht tragend ausgeführt, wobei eine dünne, hinter der Fassade verlaufende Stützenreihe, die über das primäre Raster auslaufen-den Bodenplatten trägt.

Das Projekt

Abb. 5 Lichthof und Dachaufbauten im Rohbau 1975Abb. 6 Aufbau der OstfassadeAbb. 7 Arbeiter beim Betonieren der Erdgeschoss BodenplatteAbb. 8 Querschnitt1:600Abb. 9 Erdgeschossgrundriss mit Umfahrungsstrasse 1:600

9 Vgl., Gespräch mit Jörg Luder, 17.10.2011

Page 9: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

49

Thurgauerstrasse

1 2 3 4 5

B

A

87

D

9 10 11 12

C

E

F

G

H

J

6

12

J H G F E D C B A

ERDGESCHOSS A+B 426.50

1. OBERGESCHOSS 430.15

2. OBERGESCHOSS 433.50

3. OBERGESCHOSS 436.85

4. OBERGESCHOSS 440.20

5. OBERGESCHOSS 443.55

DACHGESCHOSS 446.92

ERDGESCHOSS C+D 425.40

1. UNTERGESCHOSS 422.05

2. UNTERGESCHOSS 419.37

3. UNTERGESCHOSS 416.69

Page 10: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

50 50

Abb. 10 Gemeinschaftliche Dachter-rasse im 6.ObergeschossAbb. 11 Lichthof mit den umge-benden Dachaufbauten für die HaustechnikAbb. 12 Grundriss 6.Obergeschoss 1:600Abb. 13 Längsschnitt 1:600

Ein schlichtes Nutzungsschema prägt die Organisation des Oerlikerhus. Drei Untergeschosse bieten Raum für ca. 400 Parkplätze, Möglichkeiten zur Waren An- und Ablieferung, sowie zusätzliche Lagerflächen.Im Erdgeschoss befinden sich verschie-dene Läden und ein zur nördlichen Thur-gauerstrasse gelegenes Cafe. Die fünf regelmäßig verteilten Erschlie-ßungskerne sind allseitig ca. 13m von der Fassade nach innen versetzt und bündeln die Aufzüge und Treppen für den Waren- und Personenverkehr. Für die Warenanlieferung werden diese über eine allseitige Umfahrung erschlossen und über Laderampen erreicht. Die Eingänge für Kunden und Personal liegen parallel zu diesen Rampen und werden teils über separate Wege oder über die Umfahrung erschlossen. In den fünf Gewerbegeschossen sind die ver-

schiedenen Treppenhäuser meist über ein innen liegendes Wegsystem verbun-den, was eine bessere Erschließung und kleinteilige Parzellierung des tiefen Vo-lumens ermöglicht. Häufig unterteilen diese Korridore die Grundfläche von ca. 5000qm in die an der Fassade liegenden Büroflächen und die im Zentrum lie-genden Lager- und Produktionsflächen. Ab dem 5. Geschoss wird das kompakte Volumen von einem zentralen Lichthof durchdrungen, der im Innern zusätzli-che Büro und Arbeitsflächen ermöglicht. Auch das Dachgeschoss ist durch diesen Hof geprägt, um den sich gemeinschaft-liche Nasszellen, Aufenthaltsräume, eine kleine Cafeteria, ein Sitzungszim-mer und eine gemeinschaftliche Terrasse gruppieren. Am äußeren Rand des Volu-men befinden sich 4 großzügige Dach-wohnungen, die über einen inneren Kor-ridor erschlossen werden.

Infrastruktur & Nutzungsverteilung

Page 11: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

51 Infrastruktur & Nutzungsverteilung | 51

ERDGESCHOSS A+B 426.50

1. OBERGESCHOSS 430.15

2. OBERGESCHOSS 433.50

3. OBERGESCHOSS 436.85

4. OBERGESCHOSS 440.20

5. OBERGESCHOSS 443.55

DACHGESCHOSS 446.92

ERDGESCHOSS C+D 425.40

1. UNTERGESCHOSS 422.05

2. UNTERGESCHOSS 419.37

3. UNTERGESCHOSS 416.69

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

1 2 3 4 5

B

A

87

D

9 10 11 12

C

E

F

G

H

J

6

12

10

10

10

Page 12: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

52

Organisation der Genossenschaft

Das Gebäude ist nach einem komplexen Schlüssel in unterschiedlich bewertete Flächen aufgeteilt, denen je nach Lage, Belichtung, Anbindung und Nutzungs-möglichkeit ein entsprechender Wert zugeordnet wird. Daraus setzten sich die entsprechenden Mieten für die Mitglie-der zusammen.1976 zahlten die einzelnen Genossen-schaftler 100% der entsprechenden Mie-te, wobei darin die Tilgung des Kredits sowie der anfallenden Zinsen bereits enthalten waren. Auf Grund der sinken-den Belastung durch den immer weiter abbezahlten Kredit können die Genos-senschaftsmitglieder trotz rasant stei-gender Miet- und Bodenpreise in Leut-schenbach heute mit ca.75% der Miete von 1976 ihre Flächen anmieten. Die freien Flächen werden als Manöv-riermasse zu niedrigen Marktpreisen an externe Firmen vermietet, was der Genossenschaft zusätzliche Einnahmen bringt und die Mieten der Mitglieder

weiter senkt. Um diesen eine langfris-tige Planungssicherheit zu bieten sind sie von Seiten der Genossenschaft nicht kündbar, wohingegen die Mitglieder selbst binnen 6 Monaten kündigen kön-nen. Um den Bestand der Genossenschaft zu sichern besteht der Anteil einer Mit-gliedschaft nicht aus einem prozentualen Anteil am Wert der Genossenschaft, der bei Austritt ausbezahlt werden müsste, sondern lediglich in dem bei Mitglieds-antritt selbst eingebrachten Kapital. Der tatsächliche Wert des Objektes wird erst bei einem auslaufendem Baurechts-vetrag (wenn dieser nicht von der Stadt verlängert wird, läuft er 2030 ab) ermit-telt, von der Stadt zu 50% ausbezahlt und auf die Mitglieder verteilt. Dieses Konzept sichert ein langfristi-ges Engagement aller Mitglieder für die positive Entwicklung des Projekts und kommt einer abschließenden Gewinnbe-teiligung gleich.10 11

Abb. 14 Das Oerlikerhus von der Thurgauerstrasse ausAbb. 15 5.Obergeschoss 1:600Abb. 16 2.Obergeschoss 1:600

10 Vgl., Gespräch mit Martin Unger,

14.11.201111 Vgl., Gespräch mit Jörg Luder, 17.10.2011

Page 13: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

53 Organisation der Genossenschaft | 53

1 2 3 4 5

B

A

87

D

9 10 11 12

C

E

F

G

H

J

6

12

22

1 2 3 4 5

B

A

87

D

9 10 11 12

C

E

F

G

H

J

6

12

Page 14: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

54

12 Vgl. , Wiedemeier, 2011 Heute sind 70 Firmen mit ca. 700 An-gestellten im Oerlikerhus untergebracht. Zur Waren An- und Ablieferung können an 4 verschiedenen Laderampen 6 LKW zeitgleich be- und entladen werden.12

Während die Infrastruktur für den Wa-rentransport gut funktioniert, hat der Personenverkehr eine deutlich unter-geordnete Stellung in der Organisati-on des Hauses. Die fünf Treppenhäuser sind teils nur über die umlaufende Stra-

ße und den im Süden gelegenen Park-platz erreichbar. Zwar zeichnen sich die Eingänge durch tiefe Einschnitte im Gebäudevolumen ab, sind aber in ihrer empfangenden und leitenden Bedeutung vom öffentlichen Raum aus kaum wahr-nehmbar. Die nach Süden hin zurück-gesetzte Kubatur des Gebäudes und die umlaufenden Parkplätze erschweren zu-sätzlich die Anbindung der Eingänge an den öffentlichen Raum.

Das Oerlikerhus als Quartiersmotor

Gewerbe als Identität stiftender Faktor

Anbindung an den öffentlichen Raum

In seiner kompakten großmaßstäblichen Volumetrie prägt das Oerlikerhus seine direkte Umgebung bei der gleichnami-gen Tramhaltestelle der Glatttalbahn. Kaum erkennbar sind jedoch die vielfäl-tigen Nutzungen, die unterschiedlichs-ten Gewerbebetriebe und Läden, die im Gebäude untergebracht sind. Alle Fassaden und Eingangssituationen sind nahezu einheitlich ausgebildet, wo-durch sich das Gebäude gleichwertig zu allen Seiten ausrichtet. Eine Signaletik, die das vielfältige An-gebot an Gewerbe- und Dienstleistungs-betrieben kennzeichnet und eine Orien-tierung in und um das Gebäude herum möglich macht, ist kaum vorhanden. Wer nicht genau weiß, wo er hin möchte hat es schwierig das Angebot des Hau-ses zu erfassen und sich zu orientieren. Diese Umstände machen es schwierig, das Potenzial des Oerlikerhus für das umliegende Quartier voll auszuschöp-fen. Zahlreiche auch publikumsorien-tierte Nutzungen, die von einer besseren

Anbindung an den öffentlichen Raum profitieren würden, sind für Passanten und Anwohner nicht erkennbar im Haus untergebracht. Auch da sich das Gebäude in der Aus-formulierung der Fassaden kaum von den umliegenden Bürogebäuden abhebt und sich seine unterschiedlichen Nut-zungen im Straßenraum nicht abzeich-nen, ist seine identitätsstiftende Wir-kung für das umliegende Quartier eher gering einzuschätzen.

Trotz allem stellt das Oerlikerhus eine Konstante in der jüngeren Quartiersent-wicklung und Nutzungsgeschichte von Leutschenbach dar und kann alleine dadurch zur spezifischen Identität des Quartiers beitragen. Während auf den umliegenden Parzellen Ersatzneubau-ten ohne Bezug auf die gewerbliche und industrielle Vergangenheit des Gebiets entstehen, konnte sich das Oerliker-hus als identitätsstiftender Fixpunkt im Quartier verankern.

Abb. 17 Westseite des Oerlikerhus mit dem zurückversetzten Eingang im HintergrundAbb. 18 Südlicher Zugang des Oerli-kerhus vom Parkplatz aus

Page 15: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

55 Das Oerlikerhus als Quartiersmotor | 55

Page 16: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

56

1976 & im heutigen Kontext Zwischen Leutschenpark und Glatttalbahn

Als sich 1970 die Gewerbehaus-Genos-senschaft Oerlikon gründete, um im da-maligen Industriegebiet Leutschenbach ein Gewerbehaus zu bauen, konnte kei-ner der Beteiligten die Entwicklung des Quartiers zu einem sehr gut erschlosse-nen und strategisch wichtigen Knoten-punkt zwischen der Zürcher Kernstadt und der heute entstehenden Glattalstadt voraus ahnen. Als der Bau 1976 fertig-gestellt wurde, prägten neben einigen kleinen Gewerbebetrieben, hauptsäch-lich große städtische Infrastrukturnut-zungen das Quartier. Ca. 2/3 der Parzel-len waren unbebaut. Heute befindet sich das Oerlikerhus zwi-schen der gleichnahmigen Tramhalte-stelle der Glatttalbahn und dem 2008 fertiggestellten Leutschenpark, im Zen-trum eines sich rasant verdichtenden Entwicklungsgebietes. Dieser veränderte Kontext bietet die Möglichkeit, die Bedeutung des Oerli-kerhus für das umliegende Quartier neu zu definieren. Während das Haus 1976 schlicht ausrei-chend bezahlbare Flächen für verschie-denste Gewerbebetriebe anbieten sollte,

könnten seine Funktionen heute spezifi-scher auf das entstehende Quartier aus-gerichtet werden. Die bereits gebaute Infrastruktur kann genutzt werden, um für das Quartier notwendige Nutzungen zu bündeln und kurze Wege, durch ei-nen zentralen Verteiler im Quartier, zu ermöglichen. Auch öffentliche Gemein-schaftsbereiche könnten einen erhebli-chen Mehrwert für das Projekt und das umliegende Quartier generieren. Während im Erdgeschoss eine Umfah-rung und Anlieferrampen einen funk-tionierenden Warentransport gewähr-leisten, bietet das von der Infrastruktur für Produktion und Lager freigespielte Dachgeschoss Möglichkeiten das Pro-gramm des Hauses zu erweitern. Die in der ursprünglichen Planung vor-gesehene Gemeinschaftskantine konnte letztendlich aus Kostengründen nicht realisiert werden. Für ein zukünftiges Entwicklungsszenario wäre eine öffent-liche Kantine denkbar, die sowohl dem umliegende Quartier mit seinen zahl-reichen Büro- und Wohnnutzungen zur Verfügung steht, als auch dem Haus selbst zu Gute kommt.

56

Abb. 19 Gleichnahmige Tramhalte-stelle der GlattalbahnAbb. 20 Ausblick vom Dachgeschoss des Oerlikerhus auf den vorgelager-ten LeutschenparkAbb. 21-24 Historische Karten von 1942 bis 2008 mit Leutschenbach im Zentrum

Page 17: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

57 1976 & im heutigen Kontext | 57

19671942

1977 2008

Page 18: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

58 58

Schlusswort & Fazit

Betrachtet man rückblickend die Ent-wicklung des Oerlikerhus zeigen sich viele positive Aspekte, die für die wei-tere Entwicklung der Stadt Zürich als Referenz dienen könnten. Flächenintensive Gewerbenutzungen in einem Gebäude zu verdichten bietet die Möglichkeit, in den städtischen Ent-wicklungsgebieten neue Freiräume und Bauland zu generieren ohne bereits an-gesiedeltes Gewerbe auszulagern. Entsprechend des städtischen Umgangs mit Freiflächen, die für eine zu erwar-tende Quartiersentwicklung vorweg ge-sichert und projektiert werden, könnten auch Parzellen für Gewerbehäuser im Voraus festgelegt werden. Das Gewerbehaus als Pioniernutzung bietet die Möglichkeit, eine städtische Infrastruktur konzentriert anzubieten. Statt großflächige Gewerbezonen zu si-chern, bietet sich die Chance eine Viel-zahl von Betrieben konzentriert und langfristig im städtischen Gebiet zu verankern. Als Motor für die weitere Entwicklung des Quartiers beleben die-se den öffentlichen Raum und stellen eine gute Versorgungsqualität sicher.

Auch in der Kernstadt könnten Gewer-behäuser als feste Typologie entwickelt werden, um ein flächendeckendes städ-tisches Netz anzustreben. Die Finanzierung durch Genossenschaf-ten ist im Zürcher Wohnungsbau weit verbreitet. Bei Gewerbenutzungen stellt sie eine Ausnahme dar. Das Beispiel des Oerlikerhus zeigt jedoch wie wichtig es ist, dass sich das Gebäu-de der Spekulation entziehen kann und den oft weniger kapitalintensiven Nut-zungen langfristige Perspektiven bietet. Orientiert man sich am Beispiel des Oer-likerhus bedarf diese Freiheit aber der Unterstützung der Stadt, die der Genos-senschaft Bauland zur Verfügung stellte und die sie damit von der Preisentwick-lung des Quartiers abkoppelte. Während beim Oerlikerhus die 4 Dach-wohnungen wenig Mehrgewinn für das Haus bedeuten, zeigt sich bei dem in Zürich Nord 2011 fertiggestellte Ge-werbehaus „NOERD“, wie im Haus un-tergebrachte Büronutzungen das kapi-talschwächere Gewerbe mit finanzieren können. Dieses Konzept wäre auch in der Kombination mit Wohnungsbau denk-

Page 19: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

59 Schlusswort & Fazit | 59

bar. Im Oerlikerhus scheint die Belegung unspezifisch auf dessen Möglichkeiten ausgelegt zu sein. Die vorhandene In-frastruktur ermöglicht es, produzieren-des Gewerbe vertikal zu verdichten und Nutzungen, die auf diese angewiesen sind, in einem Haus zu bündeln. Für reine Büro- und Dienstleistungsnut-zungen scheint das Gebäude, mit seiner Warenanlieferung und Verteilung, größ-tenteils übererschlossen. Dennoch wer-den große Teile des Gebäudes von eher klassischen Dienstleistungsbetrieben besetzt. Eine spezifischere Belegung, die auf die Möglichkeiten des Hauses ausge-richtet ist, könnte helfen das Potential dieser Typologie besser auszuschöpfen.Auch die aktuelle Entwicklung in Zü-rich zeigt das vielfältige Potential von Gewerbehäusern auf.Das oben bereits

erwähnte Projekt „NOERD“ stellt neben einer zentralen überhohen Fertigungs-halle im Erdgeschoss hauptsächlich Flä-chen für das Kreativgewerbe und Büro-nutzungen bereit. Das Projekt Tatort am Rande von Zürich Affoltern, das 2013 fertiggestellt werden soll, richtet sich auf das produzierende Gewerbe aus, und ist auf allen Geschos-sen mit Kleintransportern befahrbar. Das Ziel der Zürcher Stadtentwicklung, bessere Bedingungen für KMU zu schaf-fen, scheint in der Typologie des Gewer-behauses eine vielversprechende Umset-zungsmöglichkeit gefunden zu haben. Das Oerlikerhus könnte dabei sowohl in seiner genossenschaftlichen Organi-sation als auch in seiner typologischen Umsetzung als Referenz für weitere Pro-jekte dienen.

Abb. 25 Luftbild des Oerlikerhus 1977 mit dem zugehörigen Park-platz, wo heute der 2008 eröffnete Leutschenpark liegt.

Page 20: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

61 Bibliografie | 61

Bibliografie

A. N.N.: „Geburtstagskind“, in: Die Vorstadt vom 24.09.1996 (Nr.77), Zürich Oerlikon

B. N.N.: „Reportage zum Oerlikerhus“, in: Die Vorstadt vom 28.11.1975, Zürich Oerlikon

Keller, Simon & Wendland, Daniela: Gewerbefreundliche Stadt Zürich, Möglichkeiten zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Gewerbe in der Stadt Zürich, Zürich: Stadtentwicklung Zürich, Präsidialdepartement 2010

Luder, Jürg: Interview mit dem Genossenschaftspräsidenten Jürg Luder am 17.10.2011, Zürich Leutschenbach

Reimann, Werner & Wendland, Daniela: Firmenbefragung Stadt Zürich 2008, Zürich: Stadtentwicklung Zürich, Präsidialdepartement 2008

Saxer, Victor: „Nun, wie kam es zur GGO?“, Eröffnungsrede anlässlich der Aufrichte des Oerlikerhus 1975, Zürich Leutschenbach

Unger, Martin: Interview mit dem Architekten des Oerlikerhus Martin Unger am 14.11.2011, Zürich Leutschenbach

Wiedemeier, Felix: http://www.oerlikerhus.ch Zugriff am 23.01.2012

Abbildungen

Abb. 1 Orthofotographie von Leutschenbach, 2010 http://maps.google.de, Suchbegriff:Zürich Leutschenbach, Zugriff am 21.10.2011

Abb. 2 Modellfoto der Architekten Martin Unger und Walther Haug http://www.oerlikerhus.ch/wDeutsch/ueber_uns/geschichte/geschichte2.php?navid=7, Zugriff am 10.11.2011

Abb. 2 Grundrissschema der Architekten Martin Unger und Walther Haug http://www.oerlikerhus.ch/wDeutsch/ueber_uns/geschichte/geschichte2.php?navid=7, Zugriff am 10.11.2011

Abb. 4 Luftbild des Oerlikerhus kurz nach seiner Fertigstellung 1976, Fotograf unbekannt, ausgestellt in der gemeinschaftlichen Kantine des Oerlikerhus abfotographiert am 17.10.2011

Abb. 5, 6, 7 Baustellenfotos des Oerlikerhus, Fotograf unbekannt, http://www.oerlikerhus.ch/wDeutsch/ueber_uns/geschichte/geschichte2.php?navid=7 Zugriff am 10.11.2011

Abb. 8, 9, 12, 13, 15,16 Grundrisse und Schnitte des Oerlikerhus, verfasst von Unger & Treina Architekten, Zürich, überarbeitet vom Verfasser

Abb.10, 11, 14, 17, 18, 20 Fotographien des Verfassers

Abb. 19 Das Oerlikerhus von der gleichnahmigen Tramhaltestelle aus, Fotograph unbekannt, http://www.oerlikerhus.ch/wDeutsch/index.php, Zugriff am 23.01.2012

Abb. 21, 22, 23, 24 Historische Karten von Leutschenbach und den umliegenden Quartieren, Scan aus dem Archiv für Baugeschichte, Zürich am 17.10.2011 Abb. 25 Luftbild des Oerlikerhus, Fotograf unbekannt, http://www.oerlikerhus.ch/wDeutsch/ueber_uns/geschichte/geschichte2.php?navid=7

Zugriff am 10.11.2011

Page 21: FHNW-Lehre-Thesis-Moos-HS11-Theorie

84

Impressum

Fachhochschule Nordwestschweiz

Hochschule für Architektur Bau & Geomatik

Institut Architektur

Masterarbeit Herbstsemester 2011/2012

Diplomant: Felix Moos

Begleitende Professoren:

Prof. Matthias Ackermann | Theoriearbeit

Prof. Dominique Salathé | Projekt

Titelblatt: Fotografie Felix Moos

Studienreise im Ruhrpott FS 2010

Elektroschaltkästen in der Zeche Zollverein

Basel, 29. Januar 2012