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PORTRÄT Malen mit Licht Lynchjustiz im Film: Wie sich die Wut der Masse gegen den Einzelnen richtet Thomas Vinterbergs „Die Jagd“ erzählt von einer modernen Hexenverfolgung Visionär an der Kamera: Reinhold Vorschneider Alle GeGeN eiNeN 56 Alle Filme im TV vom 30. März bis 12. April Seiten Extra-Heft 4,50 www.filmdienst.de 66. Jahrgang 28. märz 2013 7|2013 film dienst Das Magazin für Kino und Filmkultur ++ gemma arterton +++ thomas vinterberg +++ Julia JÄger +++ rainer matsutani ++ Kinder- filme zu Ostern tV-tIPPs Fokus Filmmusik: Der gute Ton zum guten Film Woran erkennt man gute Filme? sEriE DÄNEMARKS SCHAUSPIEL-STAR ist in der Weltspitze angelangt Mads Mikkelsen

filmdienst7/2013

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Neue Ausgabe. Inhalt, Scorsese, neue Filmkritiken

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Page 1: filmdienst7/2013

PORTRÄT

Malenmit Licht

• Lynchjustiz im Film: Wie sich die Wut derMasse gegen den Einzelnen richtet

• Thomas Vinterbergs „Die Jagd“ erzählt voneiner modernen Hexenverfolgung

Visionär an der Kamera:Reinhold Vorschneider

AlleGeGeNeiNeN 56

Alle Filme imTV vom

30. März bis12. April

SeitenExtra-Heft

4,50www.filmdienst.de66. Jahrgang28. märz 2013

7|2013

4,50 4,50 www.filmdienst.dewww.filmdienst.de66. Jahrgang66. Jahrgang

filmdienst

Das Magazin für Kinound Filmkultur

++ gemma arterton +++ thomas vinterberg +++ Julia JÄger +++ rainer matsutani ++

Kinder-filme zuOstern

tV-tIPPs

Fokus Filmmusik:Der gute Ton

zum guten Film

Fokus Filmmusik:

Woranerkennt

man guteFilme?

Woran sEriE

DÄNEMARKSSCHAUSPIEL-STAR

ist in derWeltspitzeangelangt

MadsMikkelsen

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Filmdienst 7 | 20134

Neue Filme auf DVD/Blu-ray S. 48

10alle gegen einenVon Fritz Langs „M“ bis zu ThomasVinterbergs „Die Jagd“: Wie das Kinodie aggressive Dynamik zwischenMasse und Individuum inszeniert.Von Tim Slagman+ „Die Jagd“: Ein Interview mitRegisseur Thomas Vinterberg undein Porträt von HauptdarstellerMads Mikkelsen.

16„wir brauchen uner-schrockenheit und mut.“Das Fantasy-Kino ist in Deutschlandein Stiefkind. Trotzdem hat sich ihmRegisseur Rainer Matsutani verschrie-ben. Im Gespräch erzählt er wieso.Von Margret Köhler

18auch zwerge habenklein angefangenPortugals junge Regisseure sorgen fürFurore und setzen der wirtschaftlichenKrise ihre Kunst entgegen.Von Josef Nagel

21ostern: tv-Programm-tiPPs fÜr kinder

Alle Filme im TVvom 30.3. bis 12.4.

Das Extraheft

Kino

Akteure

Yella | Drama11.4. zdf.kultur

8 FrauenKrimikomödie

30.3. EinsFestival

Das Meer am MorgenDrama | 8.4. arte

FilmDieNST 7 | 2013

Wie vielsagend eine reduzierteBildsprache sein kann, zeigt der

Film „9 Leben“. Hinter der Kamerastand Reinhold Vorschneider S. 22

22erzÄhlen mit lichtund raumReinhold Vorschneider gehört zuDeutschlands besten Kameraleuten.Für seine Fähigkeit, die Visionen derRegisseure sichtbar zu machen, wurdeer mit dem Marburger Kamerapreisgeehrt. Eine Hommage in Bildern.+ Die Kamerapreis-Laudatio vonRegisseurin Angela Schanelec

Dänemarks „Beitragzum euroäischen Kino“:Der Schauspieler MadsMikkelsen brilliert (nichtnur) in „Die Jagd“S. 14

S. 48

Furore und setzen der wirtschaftlichen Krise ihre Kunst entgegen.Von Josef Nagel

ostern: tv-Programm-tiPPs fÜr kinder

Wie vielsagend eine reduzierte Bildsprache sein kann, zeigt der

Film „9 Leben“. Hinter der Kamera Bildsprache sein kann, zeigt der

Film „9 Leben“. Hinter der Kamera Bildsprache sein kann, zeigt der

stand Reinhold Vorschneider stand Reinhold Vorschneider S. 22

geehrt. Eine Hommage in Bildern.+ Die Kamerapreis-Laudatio von Regisseurin Angela Schanelec

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36 Oslo, 31.August [4.4.]37 Free the Mind [28.3.]38 Jack and the Giants [14.3.]39 Mitternachtskinder [28.3.]40 Heute bin ich blond [28.3.]41 Indian Dreams [4.4.]

41 Peak [28.3.]41 Die Elbe von oben [28.3.]41 Voll abgezockt [28.3.]41 An Enemy to Die For [4.4.]42 Zimmer 205 [14.4.]43 Ein freudiges Ereignis [4.4.]44 Anfang 80 [28.3.]

46 Jenseits der Mauern [28.3.]47 Beautiful Creatures [4.4.]47 G.I. Joe: Die Abrechnung [28.3.]47 Dead Man Down [4.4.]47 Sadako 3D [4.4.]

Kritiken und Anregungen?

rubrikenEditorial 3Inhalt 4Magazin 6E-Mail aus Hollywood 27Im Kino mit ... 50Vorschau/Impressum 51

in den usa ist bryan singersfantasy-film „Jack and thegiants“ an den kinokassen nichtgut angekommen. schade, denner erzählt durchaus unterhalt-sam ein märchen für erwachse-ne. auch das europäische kinoliefert sehenswerte neustarts.

+ alle starttermine

Neue Filme

28oPferlÄmmer imkreuzfeuerMotive des christlichen und speziellkatholischen Glaubens sind eineKonstante im Schaffen von MartinScorsese. Wie er dieses Erbe seinemfilmischen Kosmos einverleibt, istprovozierend und faszinierend.Von Kristina Jaspers & Nils Warneke

31magische momente„Das Fenster zum Hof“: In AlfredHitchocks Klassiker wird die Schaulustauf mehreren Ebenen zelebriert.

32den richtigen tontreffenTeil 4 der Serie „Was ist ein guterFilm?“ beschreibt, wie eine gelungeneFilmmusik einen Kinofilm prägt.Von Roland Mörchen

Film-Kunst

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Kontaktieren Sie uns über [email protected] oder besuchen Sie uns auf facebook (www.facebook.com)filmdienst.

s. 45 die Jagd [28.3.]Drama von Thomas Vinterberg

der katholischen Filmkritik

KinOtiPP

Hollywood-KorrespondentFranz Everschor zu Trendsim Fantasy-Kino

FantastischeFilme: Hänsel,Gretel undCinderellakehren zurück

Martin Scorseses katholische Wurzeln schlagen sich immer wieder in seinen Filmennieder: Hier die Kreuzigungspose im Storyboard zu „Taxi Driver“ (s.28)

s.36oslo, 31. august[stARt 7.4.]

s.38Jack and the giants[stARt 14.3.]

s.40heute bin ichblond[stARt 28.3.]

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Filmdienst 7 | 201328

Regisseur Martin Scorsese gibt mit seinen bildmächtigen Filmen Orientierung immoralischen Vakuum unserer Zeit. Seine filmische Suche nach Religionund Spiritualität ist auch in seinen gewalttägsten Werken intensiv zu spüren.

Opferlämmerim KreuzfeuerKristina Jaspers & NilsWarnecke

In Scorseses Filmenschlägt sich die

christliche Bildsprachenieder. Hier in der

„Kreuzigungspose“ ausseinem Storyboard

zu „Taxi Driver“

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Filmdienst 7 | 2013 29

In Bildern vongeradezu ma-

gischer Anziehungskraft erzählt MartinScorsese in „Kundun“ (1997) die Ge-schichte des tibetischen Bauernjungen,der als 14. Dalai Lama zum geistigenOberhaupt des Buddhismus wird. Ein-mal fordert sein Lehrer Ling Rinpoche

Kundun auf, die vier edlen Wahrheitendes Buddha zu erläutern. Der Disputkreist um das Leiden, seine Ursachenund seine mögliche Überwindung.Kundun horcht in sich hinein und sagtdann, mit großer Gewissheit und Ge-lassenheit: Jeder muss lernen, dass ersein Leiden meist selbst ganz unnöti-gerweise hervorruft. Er muss in seinemLeben nach den Gründen hierfür su-chen und darauf vertrauen, sein Leidenzu beenden und sein wahres Selbst zuerkennen. In diesem Moment erscheintErlösung möglich.Von je her sehnen sich die Filmheldenbei Martin Scorsese nach Erlösung

– doch kein Weg scheint zu ihr zu füh-ren. Sie leiden daran, Ursache dafürsind ihre eigenen negativen Emotionen.Wer sich selbst verzeiht, der kann auchim Einklang mit allen anderen Friedenfinden. Vergebung erfolgt nicht vonGott, sie kann nur aus einem selbstkommen. Genau hier aber liegt dasProblem.Schon Charly, Martin Scorseses AlterEgo im Film „Hexenkessel“ (1973), dervon Harvey Keitel gespielt wird, hadertmit Gott. In einem Zwiegespräch in derSt. Patricks Old Cathedral in Little Italywirft er Gott vor, die zehn Ave Maria,die ihm der Priester als Buße auftrug,seien nicht als leere Worte. Was zählt,sei das Leben, das man führt. Der Heili-ge Franz von Assisi ist Charlies Vorbild;nicht Worte, sondern Taten sollen ihnvor Gott auszeichnen. Doch er wirdseinen moralischen Anforderungennicht gerecht: Charly sündigt, er be-gehrt, ist egoistisch. Daraus entstehendie Unzufriedenheit und die Wut, diesich gegen andere richtet, etwa seinenFreund Johnny Boy, und die doch nurihn selbst meint.Solche Wut über das eigene Ungenü-gen treibt viele Helden Scorseses an.Sie suchen nach den Gründen in ihrerUmwelt, die ihnen Liebe und Anerken-nung verwehrt, doch letztlich sind sieselbst es, die sich nicht vergeben kön-nen. Vieles an diesen Figuren ist auto-biografisch motiviert. Scorsese, rö-misch-katholisch in einer Familieitalienischer Einwanderer aufgewach-sen, wollte mit neun Jahren Priester

werden. Mit 14 ging er auf das Cathe-dral Collage, ein Priesterseminar in derUpper West Side, wurde nach einemJahr ausgeschlossen, weil er nicht beider Sache war – er hatte sich verliebt,das Zölibat schreckte ihn ab. Spätererwog er, an der Jesuit University inFordham zu studieren, doch seineschlechten Schulnoten hielten ihn da-von ab. Existenziellen Fragen ging erfortan in seinen Filmen auf den Grund.Nach Abschluss des Filmstudiumsplante er eine Trilogie, deren erster Teil

„Jerusalem, Jerusalem“ unrealisiertblieb. Darin wollte er Jugendliche zwi-schen „religiösem Zweifel und sexuel-len Versuchungen“ zeigen und dies miteiner modernen Interpretation derLeidengeschichte Christi verschmelzen.Die Verbindung religiöser und sexuellerFantasien inszenierte er dann in denbeiden folgenden Teilen: „Who’s ThatKnocking at My Door“ (1968) und „He-xenkessel“.Bis Scorsese dann das Leben Jesuverfilmte, vergingen noch gut 20 Jahre.Auch in „Die letzte Versuchung Christi“(1988) steht die Frage nach dem Lebenals Mensch (mit Frau und Kindern)einem Gott geweihten Leben der Ent-haltsamkeit und als Opferlamm gegen-über. Der gleichnamige Roman vonNikos Kazantzakis hatte Scorsese be-reits in den 1970er-Jahren beschäftigt;Kazantzakis Versuch, den MenschenJesus zu ergründen und die schwierigeAmbivalenz zwischen Mensch undGottgestalt aufzuzeigen, faszinierten

spirituelle suchen,menschliche sünden

FilmKuNSTReligion & Film

M

„Kundun“ (2005): Scorsesegelingen Bilder von

magischer Anziehungskraft.

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Filmdienst 7 | 201330

Scorsese, der sich schon in seinenfrühen Filmen mit dem Konflikt zwi-schen religiösen Geboten und den imGegensatz dazu stehenden menschli-chen Bedürfnissen auseinander gesetzthatte. Den ersten Film über das LebenChristi sah er mit elf: Es war der erstein CinemaScope gedrehte Monumen-talfilm „Das Gewand“ (1953). Scorseseverarbeitete das Gesehene, wie erüberhaupt durch Filme zu ersten kind-lichen Storyboards angeregt wurde,indem er die Kreuzigung Jesu in vielenVarianten zeichnerisch festhielt. DiesesBlutopfer, das für ihn ein bis heutevorhandener, aber vom Deckmantelder Zivilisation verborgener Topos ist,inspirierte ihn später zu Gewaltorgienwie im blutigen Showdown von „TaxiDriver“ (1976). Betrachtet man dasStoryboard zu dieser Szene, fällt auf,dass die Erschießung des von Harvey

Keitel dargestellten Zuhälters wie eineKreuzigungsszene festgehalten ist. Diein wenigen Strichen skizzierte Figurträgt Jesus-ähnliche Züge. Im Momentder Erschießung reißt er die Armeauseinander und fällt in Kreuzigungs-position nach hinten durch eine Glas-scheibe. Im Film selbst ist dieses Mo-ment dann weniger deutlichausgearbeitet.In „The Departed“ (2006) bedient sichScorsese erneut dieser von religiöserSymbolik aufgeladenen Inszenierungsi-dee: Jack Nicholson wird von MattDamon erschossen und sackt mit weitausgebreiteten Armen in Kreuzigungs-position nach hinten, was Scorsese ineiner langen „Overhead“-Einstellungzeigt. Schon in früheren Filmen stehtder gekreuzigte Jesus Pate für symbol-trächtige Inszenierungen: In einer lan-gen Sex-Szene in „Who’s That Kno-cking at My Door“ sieht man HarveyKeitel in Kreuzigungspose mit weitausgestreckten Armen auf dem Bettliegen; das Motiv wiederholt sich in

„Hexenkessel“. Beides sind Momenteextrem verdichteter Symbolik: Der vonseiner fleischlichen Lust getriebeneSünder begibt sich noch im Vollzug derSünde in die symbolische Haltung desBlutopfers.Bevor Scorsese seine Version der Kreu-zigung des Heilands für „Die letzteVersuchung Christi“ in Marokko aufFilm bannte, ließ er bereits in „Boxcar

Bertha“ (1972) den Rebell Big Bill Shel-ley (David Carradine) in Jesus-Pose aneinen Eisenbahnwaggon nageln. In

„The Gangs of New York“ (2002) über-strapaziert er dieses Bild, indem ermehrfach gefolterte oder getöteteProtagonisten in Kreuzigungshaltungan Gaslaternen fesseln oder aufschmiedeeiserne Zäune spießen lässt.Für die eigentliche Kreuzigungsszenein „Die letzte Versuchung Christi“steckt er einen weiten kultur- und

kunsthistorischen Bezugsrahmen ab.Für den Kreuzweg bedient er sich alsVorlage des Bilds der Genter „Kreuz-tragung“ von Hieronymus Bosch. Inextremer Zeitlupe steht Jesus in halb-naher Einstellung vom Kreuz gebeugtin einer Gruppe von hämisch dreinbli-ckenden Fratzen. Die Kreuzigung stell-te der auf Authentizität versesseneRegisseur einer nach archäo-logischen Untersuchungenrekonstruierten Kreuzigungaus der Zeit vor Christi Ge-burt nach. Deshalb sieht manWilliam Dafoe nackt mitangewinkelten Beinen amKreuz hängen; auch werdenkleine Holzstücke auf die Handgelenkegelegt, bevor man die langen Nägelhindurch treibt. Die klassische frontaleAnsicht des Gekreuzigten variiertScorsese, indem er Dafoe von der Seitehalbnah ins Bild setzt und die Kameraum 90° kippt. Dieser Moment der Irri-tation zwingt den Zuschauer, über dieReferenz zu vorhergegangen Bibel-Verfilmungen nachzudenken, und überScorseses Bestreben, sich in dieserGenealogie zu verorten.Am nächsten kommt man Scorsese,wenn man ihn über andere Filmema-cher sprechen hört. Er offenbart inseinen Beschreibungen anderer stetsauch den eigenen Blickwinkel auf dieWelt und die Kunst. In einer Laudatioauf Michelangelo Antonioni beschrieber ihn als einen „Dichter unserer sichverändernden Welt, einen Maler un-seres emotionalen Labyrinths“. Antoni-onis Vision sei spirituell und existenzi-ell. Dessen Film „L’avventura“ (1960)empfand er als „Reise durch eine Ge-fühlslandschaft, die das moralischeVakuum unserer Zeit porträtiert“.Von einem ähnlichen Selbstverständnissind Scorseses eigene Filme getragen:Er möchte Orientierung geben immoralischen Vakuum. Die Suche nachReligion und Spiritualität ist auch inseinen gewalttätigsten Filmen intensivzu spüren.

„Mein ganzes Leben hat sich nur um Filme und Religiongedreht. Das war‘s. Sonst nichts.“

Filmische spiegelungender kreuzigung Jesu

Die Ausstellung„Martin Scorsese“ imMuseum für Filmund Fernsehen, Ber-lin, ist noch bis 12.Mai 2013 geöffnet.

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Scorsese bereitet dieKreuzigungsszene in „Die letzteVersuchung Christi“ vor.

FilmKuNST Religion & Film

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Filmdienst 7 | 201336 Ausführliche Kritiken zu jedem Film Online unter www.filmdienst.de

bruch eine stets mitzuden-kende Option. Man könnte

„Olso, 31. August“ durchausalseine Fortsetzung von

„Auf Anfang [: reprise]“ hal-ten; nicht nur, weil AndersDanielsen Lie erneut dieHauptrolle spielt und dasMilieu beider Filme ver-gleichbar ist. Der Film istpure Gegenwart, auch wennbei Anders’ Stationendramadie Vergangenheit schlag-lichtartig immer wiederaufleuchtet, wenn alte Be-kannte auf ihn reagieren.Anders muss mal eine großeNummer in der Osloer Sze-ne gewesen sein, bekanntwie ein bunter Hund. Dasaber ist schon Jahre her. Esgibt aber auch Menschen,die sich vor Anders fürchten,

Eine gute Schreibe habeer ja, sagt der Herausgebervon „Folio“ zu Anders, nach-dem der mit ein paar prä-gnanten Sätzen klar ge-macht hat, dass er denaktuellen Magazin-Marktund die Stellung von „Folio“bestens einzuschätzen ver-mag. Immer diese Essaysüber HBO-Serien, die sichwie Proseminar-Arbeiten imFachbereich Medientheorieausnehmen: „Samantha in,Sex & The City‘, gelesen mitSchopenhauer!“Das Bewerbungsgesprächläuft gut, wäre da nicht dieTatsache, dass Anders seit2005 fast nichts mehr veröf-fentlicht hat. Anders druckstetwas herum: Was er ge-schrieben habe, erscheineihm heute nicht mehr rele-vant. Er habe als DJ gear-beitet und sich mit Gelegen-heitsjobs über Wassergehalten. Was für Jobs? Nagut, er sei drogenabhängiggewesen. Drogen aller Art,auch Heroin. Er habe auchgedealt. Hätte er das in

seinen Lebenslauf schreibensollen? Das Gegenüber rea-giert konsterniert, aberdurchaus entgegen kom-mend, doch Anders brichtdas Bewerbungsgesprächunvermittelt ab.Die letzten Jahre hat dermittlerweile 34-Jährige inDrogenkliniken verbracht.Jetzt gilt er als clean. Dererste Freigang gilt demVorstellungsgespräch. EinenTag lang, den 31. August,begleitet ihn die Kamera aufseinen Wegen durch Oslo.Begonnen hat der Film (undder Tag!) allerdings miteinem etwas ungelenkenSelbstmordversuch aneinem See. Später, in derletzten Therapiesitzung vordem Freigang, wird Anders

von seiner Erschöpfungsprechen und davon, dasses über das Bewerbungsge-spräch eigentlich nichts zusagen gebe. Dass sich jetztalles zum Guten wende, seieine Option, weiß Anders,sagt es auch. Aber das kön-ne sich auch als Irrtum he-rausstellen.

„Oslo, 31. August“ ist derneue Film von Joachim Trier,dessen Spielfilmdebüt „AufAnfang [: reprise]“ vor eini-gen Jahren das intelligen-teste und mitreißendsteStatement über Jugend,Freundschaft und Literaturwar, das man sich wünschenkonnte. Schon damals ginges den Protagonisten buch-stäblich immer um alles, warder psychische Zusammen-

Norwegen 2011

Regie: Joachim TrierBuch: Joachim Trier, Eskil Vogt, nachdem Roman „Das Irrlicht“ von PierreDrieu La RochelleKamera: Jakob Ihre

Musik: Torgny Amdam, Ola FløttumSchnitt: Olivier Bugge Coutté

Darsteller: Anders Danielsen Lie(Andfers), Hans Olav Brenner (Tho-mas), Ingrid Olava (Rebecca), AndersBorchgrevink (Øystein), Petter Width

Kristiansen (Petter)

Länge: 96 Min.

Verleih: PeripherKinostart: 4.4.2013

FD-Kritik: 41 612

Handwerk InHalt darsteller

Kein Anfang. NirgendsEin erschütterndes Meisterwerk von Joachim Trier über die Vergänglichkeit der Jugend

OslO, 31. August [4.4.]

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Filmdienst 7 | 2013 37

die ihm ausweichen. Andersselbst ist nicht stolz auf diealten Geschichten, auf dieMythen, die mit seiner Per-son verbunden sind. Er hatmit seiner Vergangenheitgebrochen, aber die Begeg-nungen führen ihm deutlich

– und schmerzhaft – vorAugen, dass das Lebenweiter gegangen ist, dasssich Menschen veränderthaben und Träume zerbro-chen sind.Man kann sagen: Anders istauf der Suche nach einemGrund, um weiter zu leben.Seine Selbstbefragungenfallen äußerst schmerzhaftaus, kurze Momente derHoffnung zerbröseln vorseinen Augen. Für ihn gilt,um es mit einer Zeile derGodfathers aus ihrem Song

„Birth School Work Death“zu formulieren: „There’snothing in this world for me.“Ein erschreckender Befund,dem Joachim Trier durch dieEinheit von Zeit und Ort derHandlung eine erschüt-ternde Wucht verleiht. Wäh-rend sein Spielfilmdebütdurch die Hemmungslosig-keit begeisterte, mit derTrier über den Stoff verfügte,durch das formalistischeSpiel mit Parallelgeschich-ten, rasanten Rück- undVorblenden sowie demfragmentarischen Erzählenim Konjunktiv und Futur,geht „Oslo, 31. August“ – ab-gesehen von einem FoundFootage-Prolog mit Off-Stimmen – ganz konzen-triert zur Sache.Je länger man Anders beiseiner Odyssee durch Oslobegleiten, desto mehr wei-tet sich der Blick des Films,der schließlich en passantdas Bild einer Generationentwirft, die sich im Statusquo eingerichtet und mit

Ulrich Kriest

Neue Filmeim Kino

Ulrich Kriest

Vielleicht ist letztlich jatatsächlich der Dalai Lamafür diese Dokumentationder dänischen Filmema-cherin Phie Ambo verant-wortlich. Der soll nämlich1992 den Hirnforscher Pro-fessor Richard Davidsongefragt haben, warum mandas Instrumentarium derNeurobiologie nur zur Er-forschung von Angst, Wutoder Depression anwende,nicht aber von Güte undHingabe. Diese Frage hatDavidson nicht ruhen lassen.Der Wissenschaftler, dersich schon früh mit derErforschung von Meditationbeschäftigte, versuchtnun, mit Atemübungen,Yoga und Meditation, aberohne Medikation, Menschenmit Angstzuständen zuhelfen. Anhand dreier Fall-

beispiele führt der Filmvor, wie eine solche Thera-pie aussehen und welcheErfolge sie zeitigen könnte.Davidson selbst bleibt imHintergrund. Weil aber dasGehirn, auf dessen selbst-therapeutisches Potenzialhier vertraut wird, filmischnoch eine Black Box ist,der mit semi-psychede-lischen Animationen nichtbeizukommen ist, tragendie Porträts der Patientendie Hauptlast des Films.Am Bemerkenswertestenist dabei die Geschichtedes fünfjährigen Will, derunter ADHS und Angstzu-ständen leidet und sichselbst ein Rätsel ist.Das ist ein gutes Bilddafür, worum es diesemFilm geht. - Ab 14.

Dänemark 2012

Regie, Buch: Phie AmboKamera: Phie AmboMusik: Jóhann Jóhan sson

Schnitt: Marion Tuor

Länge: 82 Min.

FSK: ab 12; fVerleih: mindjazz pictures (t.m.d.U.)Kinostart: 28.3.2013

FD-Kritik: 41 613

Handwerk InHalt

Sich selbst ein RätselFrEE tHE minD [28.3]

Mit Yoga und Meditation gegen Angst und ADHS

dem Zerplatzen ihrer Träu-me arrangiert hat. WennAnders schließlich Hand ansich legt, ist er nur etwasehrlicher und rigoroser mitsich selbst als die Menschen,denen er auf der Zielgera-den begegnet.Dem Film liegt ein litera-rischer Text aus dem Jahr1931 zugrunde: „Le feu follet“von Pierre Drieu La Rochelle,1963 von Louis Malle ver-filmt („Das Irrlicht“, fd 13588), mit Musik von ErikSatie: „Der Selbstmord istder Akt für die, die keineanderen haben begehenkönnen.“ Verglichen mitJoachim Triers radikaler undbeklemmender Studie inAgonie und Fatalismus, dieim Kern ein Film über dieVergänglichkeit der Jugendin Zeiten einer künstlichverlängerten Adoleszenz ist,muss Malles Stilübung inSachen Existentialismusgeradezu versöhnlich er-scheinen.

Ein 34-jähriger Mann auf Dro-genentzug kehrt für einen Tagaus der Klinik nach Oslo zurück,um sich bei einem Magazin alsJournalist zu bewerben. Die Kon-frontation mit der Stadt undseinen alten Freunden verstärktjedoch sein tragisches Gefühldes Verlorenseins. Auf derSuche nach einem Grund, umweiter zu leben, fallen seineSelbstbefragungen äußerstschmerzhaft aus; kurze Mo-mente der Hoffnung erweisensich als Trug. Eine radikale,beklemmende Studie in Agonieund Fatalismus, die im Kern einmelancholischer Film über dieVergänglichkeit der Jugend inZeiten einer verlängerten Ado-leszenz ist. – Sehenswert ab 16.

BEWERTUNG DERFILMKOMMISSION

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