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Impuls B BIONIK – BUSINESS CASES AUS DER NATUR Fliegen leicht gemacht Mit Delfinen auf Sendung Läuft! Haften ohne zu kleben

Fliegen leicht gemacht - BIOKON · 2019. 11. 12. · Impuls B BIONIK – BUSINESS CASES AUS DER NATUR Fliegen leicht gemacht Mit Delfinen auf Sendung Läuft! Haften ohne zu kleben

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Impuls BBIONIK – BUSINESS CASES AUS DER NATUR

Fliegen leicht gemacht

Mit Delfinen auf Sendung

Läuft! Haften ohne zu kleben

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2 Impuls B

ZAHLEN

(Quelle: BIOKON)

Richtig reich: die Bionik und die MillionärinNicht kleckern, sondern klotzen: Die Natur bietet mit ihrer Artenvielfalt einen schier un erschöpflichen Pool an Ideen für wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Dochbisher bleibt dieser Reichtum weitgehend ungenutzt. Hier setzt die Bionik an. Was aufdem Konto der Natur steht, kann dabei nur geschätzt werden:

3.770 Millionen Jahre evolutionäre Entwicklung

bekannter Lebensformen

1,5 – 30 Millionen Tierarten

1.400 Millionen US-Dollar betrug 2013 die Bionik- Förderung in den USA

0,4 – 1,5 Millionen Pflanzenarten

500.000 Millionen US-Dollar könnte die Bionik 2030 weltweit zur Ressourcen- einsparung beitragen

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Impuls B 3

EDITORIAL & INHALT

Bionik? Ach, kenn’ ich! Das sind doch die mitdem Klettverschluss und dem Wasserabperlef-fekt des Lotusblattes. Keine Frage: Die Übertra-gung von Phänomenen der Natur in die Tech-nik hat in unserer Lebenswirklichkeit längst ihren Platz gefunden und wird dort auch mitanerkennendem Staunen gewürdigt. Könntensich da die Bioniker nicht auf die Schulternklopfen und es sich in ihren Forschungslaborenbequem machen, um weiter der Genialität vonPflanzen und Tieren nachzuspüren? Könnten sie, tun sie aber nicht. ImGegenteil. Bionik ist alles andere als eine„Blümchenwissenschaft“. Sie ist vielmehr der„Think Tank“ der Hightech-Forschung und heute gefragt wie nie. Denn sie spielt mit Hilfeder Natur und mit allen erdenklichen Algo -rithmen die gesamte Innovationsklaviatur. Andie Benchmark von 3,8 Milliarden Jahren Evo -lu tions-Optimierungserfahrung kommt dabeiniemand ran. Viele Unternehmen nutzen die-sen Vorsprung bereits für ihre eigene techno-logische Forschung und Entwicklung. Im engenVerbund mit der Wissenschaft legen sie he-rausragende, zum Teil revolutionäre Innova -tionen in Gestalt von neuen Produkten und Organisationsstrukturen auf. Diese haben oftdas Zeug, ihren Branchen und Märkten ganzneue Richtungen zu weisen. Davon und von vielen beispielhaf -ten überraschenden bionischen Highlights er-zählt Impuls B. Ob für Sie die Bionik oder dasBusiness der Impulsgeber ist, entscheiden Sieselbst. Lassen Sie sich einfach überraschen undinspirieren. Denn auch für Sie und Ihren Busi-ness Case hat die Natur Ideen und Lösungenparat. Garantiert. Wenn Sie mögen, lassen Sie uns gerne ins Gespräch kommen. Aber jetzt ersteinmal viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Ihr

Dr. Rainer ErbGeschäftsführer BIOKON e.V.

[email protected]

Inhalt

MOBILITÄT & INFRASTRUKTURFliegen leicht gemacht 4Bionik im Fahrzeugbau 6

ENERGIE- UND RESSOURCENEFFIZIENZEs lebe das Haus 8Mit dem Wasser im Bunde 10

FORSCHUNG & ENTWICKLUNGBIOKON: So geht Zukunft 12

VERNETZUNG & DIGITALISIERUNGBionik mit Tiefgang 14Algorithmen der Evolution 16

LEBEN & ARBEITENKollege Roboter 18Gut zu Fuß in die Zukunft 20Zurück ins pralle Leben 22

COMING UPGood news aus den Bionik-Laboren 23

IMPRESSUM Herausgeber: BIOKON - Forschungsgemeinschaft Bionik-Kompetenznetz e.V., Acker-straße 76, 13355 Berlin, Tel. +49 (0)30 46 06 84 84, E-Mail: [email protected] Gesamtverantwortlich: Dr. Rainer Erb Redaktion: Jessica Rudolph, Marcus SchickRealisation: Schick-Kommunikation Gestaltung: Ralph Zimmermann – Bureau Parapluie. Bildnachweis: thinkstockphotos.de (S. 1, 2, 6, 7, 12, 13, 14, 16, 20, 21, 23),Airbus (S. 4, 5), Mercedes (S. 6), Voith (S. 7), ICD/ITKE/IIGS Universität Stuttgart (S.8), Ziehl Abegg (S.9), sto (S. 10, 11), aqualonis (S. 10), EvoLogics (S. 15), Festo (S. 18,19), Marcus Schick (S. 21), Ottobock (S. 22), Fraunhofer IOF (S. 23), Fraunhofer IPT(S. 23), GUYF (S. 24) Illustration: Ralph Zimmermann (S. 3) Druck: Holzer Druck undMedien Druckerei und Zeitungs verlag GmbH, Fridolin-Holzer-Str. 22–24, D-88171 Weiler im Allgäu Ausgabe:2017. Gedruckt auf NovaTech Papier, zertifiziert nach demFSC®-Mix für schonende Wald wirtschaft.

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MOBILITÄT & INFRASTRUKTUR

4 Impuls B

ADDITIVE FERTIGUNG

Fliegen leicht gemacht

Mit der Bionik stößt Airbus in neue konstruktive

Dimensionen vor

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Impuls B 5

MOBILITÄT & INFRASTRUKTUR

Die ersten Ergebnisse sind bereits „in dieLuft gegangen“. So zum Beispiel die „BionicPartition“: Die bionische Trennwand ist

das weltweit größte 3D-gedruckte Flugzeugbauteilaus Metall. Sie teilt den Passagierraum von der Bord-küche. Dass sie eine Öffnung für die Notbahre undeinen ausklappbaren Sitz für das Bordpersonal be -inhalten muss, ist die große gestalterische Heraus-forderung. Bioniker haben die Lösung nach demSchleimpilzvorbild im 3D-Druck und mit speziell zusammengestellten Materialien gefunden. Die bio-nische Trennwand ist nun nicht nur knapp 50 Pro -zent leichter als alle derzeit vorhandenen Modelle,sondern auch robuster. Die Gewichtsersparnis be-wirkt Treibstoffeinsparungen und reduzierte Kohlen-dioxidemissionen.

Am 30. März 2017 flog zudem erstmals einadditiv gefertigter Spoiler-Aktuator-Ventilblock in einem A380 Testflugzeug. Liebherr-Aerospace hattedie 3D-gedruckte Hydraulikkomponente der primä-ren Flugsteuerung in enger Zusammenarbeit mit Air bus und der Technischen Universität Chemnitzmittels 3D-Druck hergestellt. Im additiven Manu-facturing arbeiten die Wissenschaftler vielfach mitHilfe einer rechnergesteu er ten Evolutionssimula -tion. Diese Anlehnung an die Natur hilft ihnen Bau-teile mit Blick auf Leichtigkeit und Festigkeit zu opti-mieren.

Airbus überträgtimmer häufiger Struk-turen aus der Naturauf die Luftfahrt – wiezum Beispiel der Blatt-aufbau einer Seeroseauf Bremsklappen.Die Bionik ist einer der Innovationstreiberin der Branche.

Aribus setzt auf additive Fertigung ...

3D-Druckern gehört die Zukunft

... sie macht hochkomplexe Konstruktionen möglich

Ein Vogelknochen hilft, eine Passagiermaschine zu steuern. Ein Schleimpilz wird zum Baumeister von Kabinentrennwänden in Flugzeugen. Klingt verrückt? Nicht für die Bioniker von Airbus. Im Protospace des „Zentrums für Angewandte Luftfahrtforschung“ in Hamburg arbeiten sie im Verbund von Biologen und Ingenieuren daran, Flugzeuge mit Hilfe der Natur deutlich leichter und damit sprit sparender und umweltfreundlicher zu machen.

Schleimpilze und Knochen-Algorithmen standen Pate bei der bionischen Trennwand

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MOBILITÄT & INFRASTRUKTUR

6 Impuls B

weniger Zeit- und Kostenaufwände bei Beladung

weniger Volumen und Gewicht

kürzere Auslieferungszeiten

BIONIK IM FAHRZEUGBAU

Nimm’s leicht

Das Herzstück des bionisch inspiriertenKonzeptfahrzeugs stellt das intelligente La-deraummanagement dar. Damit soll sich

sowohl die Beladung im Logistikzentrum als auch dieAuslieferung der Pakete an den Empfänger effizien-ter gestalten lassen. Das Ziel: „One-Shot-Loading“.Das Regalsystem wird dazu vollständig bestückt inden Laderaum geschoben. So sparen die BetreiberZeit und Kosten beim Beladungsvorgang. Am Zu -stellungsort erfolgt die Entnahme der Pakete voll -automatisch. Die Auslieferungszeit sinkt und derDurchsatz pro Fahrzeug steigt. Ein solches mobiles Laderaummanage-ment stellt hohe Anforderungen an das Engineering.Der Stuttgarter Technologieentwickler Cikoni hatsich dazu von Bionik inspirieren lassen und nach demVorbild von Bäumen und Knochenstrukturen dasLeichtbauregal für den Vision Van designt. Die Struk-turoptimierung und die Funktionsintegration folgendabei nicht nur den technischen Vorgaben, sondernauch den hohen optischen Ansprüchen. Bei Bremsmanövern und Kurvenfahrten istneben dem geringen Eigengewicht eine hohe Stabi-lität der Leichtbaukonstruktion gefordert. Dem trägtneben der bionischen Struktur vor allem auch ein in-telligenter Materialmix aus Carbon, Aluminium undSandwichbauweisen Rechnung. Um möglichst wenigGleitreibung beim Handling des mobilen Ladeträgers

entstehen zu lassen, konstruierten die Ingenieure in-tegral gefertigte Auflagerpunkte mit integriertenFunktionsflächen. Auf diese Weise kommt das flexi-ble Beladungskonzept ohne zusätzliche Fügestellenaus. Getreu dem Grundsatz der Natur: maximaleFunktionalität bei minimalem Aufwand und optima-lem Ressourceneintrag. Das Konzeptfahrzeug setzt neben seinemvoll automatisierten Laderaum zudem auch noch aufintegrierte Drohnen für die autonome Luftzustellungauf der allerletzten Meile. Bei soviel Zukunft ist esbeinahe selbstverständlich, dass der Vision Van ohneVerbrennungsmotor vorfährt. Mit seinem 75 kWstarken E-Antrieb hat er bis zu 270 Kilometer emis -sionsfreie Reichweite. Er ist damit bereits für die(vermutlich nicht mehr allzu weit entfernte) Zeittemporärer innerstädtischer Fahrverbote für Ver-brenner-Fahrzeuge in der City gerüstet.

Die Zukunft im Automobilbau liegt imLeichtbau. Das macht der Vision Van von Mercedes vor. Das Konzeptfahrzeug verbindet wegweisendes Design mit innovativen technischen Leichtbau -lösungen und denkt den Prozess der Paketzustellung neu. Leichtigkeit made in

Stuttgart: Das Techno-logie-Startup Cikonivereint beim MercedesVan Bionik undHightech-Materialienfür die moderne Logistik.

Kilogramm Gewichts reduktion bei Mittelklassewagen bedeuten 3,25 Mrd. Euro weniger Spritkosten sowie 4,3 Mio. Tonnen CO₂-Ersparnis

OFFSHORE-WINDKRAFTANLAGEN

Weniger ist mehr –das Plankton-Paradoxon

100

Mit der Natur im Bunde: Leichtbau für die Logistik

optimale Nutzung des Ladevolumens

flexibles Beladungskonzept

effizientere Fahrzeugnutzung

BIONIK-BILANZ

Konzept mit Zukunft: Logistik leichter gemacht

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Impuls B 7

MOBILITÄT & INFRASTRUKTUR

Professor Claus Mattheck ist Abtei-lungs leiter für Bio -mechanik am KarlsruherInstitut für Techno -logie, KIT. Er gilt inter -natio nal als Vor denkerder Bionik und der Opti mierung techni -scher Bauteile nach dem Vorbild der Natur.

Herr Professor Mattheck, Hightech und Bäume: Auf den ersten Blick passt dies nicht zusammen.Was können Ingenieure von der Natur lernen?Professor Claus Mattheck: Sie können sich von ihrzu Formoptimierungen inspirieren lassen. Nach demVorbild, das uns die Konstruktion und Statik von Bäumen liefert, lassen sich lokal hohe mechanischeSpannungen, also potenzielle Bruchstellen, vermei-den. Die Bäume sind so wahre Lehrmeister.

In welchen technischen Bereichen können physi -kalische und geometrische Gestaltungsprinzipiender Natur genutzt werden?Im Grunde genommen überall. Insbesondere dort,wo ein Teil wackelt, schwingt und bricht. Zur Opti-

mierung mechanischer Prinzipien hat sich die Naturin der Evolution Milliarden Jahre Zeit genommen.

Wie sollen da Forscher und Entwickler Schritt halten?Die „Erfindungshöhe“ ist in der Natur evolutions -bedingt geringer. Wir können hingegen durch einenGeistesblitz ein Design grundsätzlich ändern. Unddas ganz ohne formenverwandte Zwischenstufen.

Sie sagen, ein Geodreieck als „Denkwerkzeug“ imEngineering ersetzt den Computer. Warum?Weil damit dasselbe Ergebnis über ein grundsätz -liches Verständnis der Universalformen einfacher als mit dem Computer gewonnen werden kann. Dasist doch mal ein richtiger Fortschritt.

NACHGEFRAGT

Mit Geistesblitzen Design verändernDie Formensprache der Natur sehen und verstehen zu lernen, hat sich der Bionik-Professor Claus Mattheck zur Aufgabe gemacht. Er liefert damit Vorlagen für ein innovatives und nachhaltiges Engineering.

Wie lassen sich die riesigen, in den Meeresboden ver -ankerten Elemente von Offshore-Windkraftanlagen op-timieren? Die Antwort fanden Forscher des Alfred-

Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in derHelmholtz-Gemeinschaft in Bremerhaven sowie Ingenieure derWeserWind GmbH in der Natur. Das zum Plankton gehörendemikro skopisch kleine Strahlentierchen lieferte ihnen die Vorlage,wie sich das Gewicht der 800 Tonnen schweren Stahlfundamenteum etwa 37 Prozent reduzieren lässt. Die Grundlage dafür schafft das für die Entwicklung der Gründungsstrukturen genutzte „Evolutionary Light StructureEngineering“-Verfahren (ELiSE). Vergleiche mit Plankton-Skelettenführten die Forscher nun zu einer technischen Tripod-Konstruk-tion mit erheblicher Gewichtsreduktion. Die Vorteile wiegen

schwer: So können die Gesamtkosten für Bau, Transport und Auf-bau wesentlich gesenkt werden. Probleme wie Wind, Seegangoder Schiffshavarien wurden dabei berücksichtigt, die Struktur istreparabel.

Das Vorbild aus der NaturAnders als die Windräder siehtman die bionischen Vorbilderfür ihre Fundamente kaum.Strahlentierchen oder Radiola-rien sind zwischen 2 und 1.000 Mikrometer groß. Sie haben in derEvolution sehr stabile und dennoch leichte Schalenstrukturen ent-wickelt, um in den oberen Meeresschichten bleiben und sich gegendie dort lebenden, natürlichen Feinde schützen zu können.

Der Maschinenbauer Voith-Turbo optimiert Zahnräder nach bionischen Gesichtspunkten.Die Idee für die patentierte bionische Zahnfußkorrektur bei Zahnrädern kam aus der Beob-achtung von Bäumen. Am Fuß ihres Stammes sorgen Wurzelanläufe, die aus der „scharfenEcke“ zwischen Baumstamm und Erdboden – der sogenannten Kerbe – ein Dreieck mit kurvenförmiger Hypotenuse machen, für eine Minderung der Spannung. So können Bäumeden enormen Kräften von starken Winden standhalten. Das auf Zahnräder übertragene Konzept ermöglicht bis zu zehn Prozent Gewichtsreduktion oder eine höhere übertragbare Leistung bei unverändertem Bauraum und gleicher Geräuschentwicklung.

>> Auf den Zahn gefühlt

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8 Impuls B

ENERGIE & RESSOURCENEFFIZIENZ

Weniger ist mehr: Nur 50 Millimeter dickwaren die 243 Platten aus Buchen-Furnier-schichtholz des Pavillons des baden-würt-

tembergischen Landesforstbetriebs (ForstBW) beider Landesgartenschau in Schwäbisch Gmünd. Wiedas stattliche, 17 x 11 x 6 Meter große Gebäudetrotzdem die gebotene Stabilität erlangen konnte,haben sich die Institute für Computerbasiertes Ent-werfen (ICD), für Tragkonstruktionen und Konstruk-tives Entwerfen (ITKE) und für Ingenieurgeodäsie(IIGS) der Universität Stuttgart beim Sanddollar Seeigel abgeschaut. Sein Plattenskelett besteht ausebenen polygonalen Kalkplättchen. Diese Strukturließen sie durch den Computer nachbilden, die Herstellung übernahmen Roboter. Durch die extremdünnen Platten wurden nur wenig Rohstoffe ver-braucht – und was an Verschnitt bei der Plattenfer -tigung anfiel, fand sich später als Teil des Parkett -fußbodens wieder. Ein Haus, das mit den Bedürfnissen undAnsprüchen seiner Bewohner wächst: Professor Fer-dinand Ludwig vom Lehrstuhl für Green Technologiesin Landscape Architecture an der TU München hatdazu die Palette herkömmlicher Baumaterialien, wie

Beton, Stahl oder Holz, um lebendige Pflanzen er-weitert. Aus lebendigen Weiden oder Platanen kons -truiert er spektakuläre Stege, Türme und Gebäude. „Ein Haus soll nicht nur nach außen alsBaum erscheinen, sondern klimatechnisch auch wieeiner agieren", so Ludwig. Sowohl im Inneren wieauch in der nahen Umgebung des Gebäudes ent-stünde durch die Begrünung ein angenehmes Mikro-klima.

Ohne Gelenke und ScharniereFür ein günstiges Raumklima sorgt auch eine weiterebauliche Errungenschaft nach dem Vorbild der Na-tur: die bionische Fassadenverschattung Flectofin®.Die südafrikanische Paradiesvogelblume stand Patefür den Bau dieser innovativen Jalousie, die von Professor Jan Knippers vom Institut für Tragkon -struktion und Konstruktives Entwerfen der Univer -sität Stuttgart und von Professor Thomas Speck vom Botanischen Garten der Universität Freiburg auf den Weg gebracht wurde. Statt verschleißanfällige und wartungsin-tensive Gelenke und Scharniere nutzt die bionischeJalousie den natürlichen Klappmechanismus in derBlüte der Strelitzie. Die Blume wird von Vögeln be-stäubt, die sich auf der violetten „Sitzstange“ ausverwachsenen Blütenblättern niederlassen. DerFlectofin®-Klappmechanismus bedient sich einesglasfaserverstärkten Kunststoffs, der hochelastischeEigenschaften hat und deswegen gut verformt wer-den kann.

BIONIK UND ARCHITEKTUR

Es lebe das HausUnter einem Dach mit der Natur: Bionik öffnet auch beim Wohnen und Zusammenleben überraschende Perspektiven für attraktive urbane(Lebens-)Räume mit Zukunft.

Neue Urbanität: Die Natur wohnt mit

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Impuls B 9

ENERGIE & RESSOURCENEFFIZIENZ

„Der Schritt von einerstatischen hin zu eineranpassungsfähigenund adaptiven Architektur ist viel -leicht entscheidendauf dem Weg zueinem nachhaltigenBauen der Zukunft.“Prof. Jan Knippers

Herr Professor Knippers, Natur ist „Wildwuchs“. Wiepasst dieser zur Architektur?Prof. Jan Knippers: Wenn wir der rasant wachsen -den Weltbevölkerung menschenwürdigen Wohn-raum zur Verfügung stellen wollen, müssen wir un-sere Bautätigkeit in den nächsten Jahrzehnten drastisch intensivieren. Der Kollaps des ÖkosystemsErde lässt sich dabei nur verhindern, wenn wir auchanders, das heißt vor allem intelligenter bauen. Bio-logische Strukturen können sich immer wieder anveränderliche mechanische oder klimatische Ein -wirkungen anpassen, und zwar sowohl im Tages- und Jahresverlauf als auch während ihrer Lebens -zeit und sogar darüber hinaus, im Zuge einer evo -lutionären Anpassung.

Welche konstruktiven Vorbilder der Natur impo -nieren Ihnen am meisten?Für das Bauen von Morgen brauchen wir nicht hoch-technisierte und störanfällige, sondern einfache und robuste Lösungen. Biologische Vorbilder beste-hen aus wenigen molekularen Grundbausteinen, die über mehrere Hierarchiestufen zu Strukturen ge-

fügt sind und eine Vielzahl an Funktionen gleich -zeitig erfüllen: ein Baumstamm trägt Lasten, trans-portiert Nährstoffe und katalysiert chemische Reak-tionen. Er ist in der Lage, Schäden selbst zu repa -rieren. Einige Pflanzen bewegen sich sehr schnell,wie die Venusfliegenfalle, andere im Verlauf des Tages, wie die Sonnenblume. Aktuiert werden dieseBewegungen nur über eine Veränderung des Zellen -innendruckes. Dies sind Entwurfs- und Konstruk -tionsprinzipien, die in der Architektur bislang völligunbekannt waren.

Welche Potenziale der Ressourceneffizienz sehenSie in der Bionik?Der effiziente Einsatz lokal verfügbarer Stoffe undEnergien ist ein entscheidender Vorteil in der Evolu-tion. Es lohnt sich für Architekten und Ingenieure also, sich mit natürlichen Konstruktionen zu beschäf-tigen. Ob die Bionik das Versprechen einer nach -haltigen Architektur einlöst, muss im Einzelfall über-prüft werden.

NACHGEFRAGT

„Wir brauchen einfache und robuste Lösungen“Die Natur liefert Entwurfs- und Konstruktionsprinzipien, die in der Architektur bislang völlig unbekannt sind. Professor Jan Knippers vom Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen in Stuttgart im Gesprächüber natürliche Vorbilder als Chancen für ein nachhaltiges Bauen der Zukunft.

ZAbluefin heißt ein neuer bionischer Ventilator vonZiehl-Abegg, der eine Effizienzsteigerung bis zu 15 Pro-zent ermöglicht. Die Bioniker des international führen-

den Unternehmens im Bereich der Luft- und Antriebstechnik hatten sich dazu besonders intensiv den Körperbau und die Merk-male des Buckelwals angeschaut. Die 30 Tonnen schweren Meeressäuger sind auf große Wendigkeit angewiesen und müssenmehrere Tausend Kilometer lange Wanderungen mit möglichstwenig Energieaufwand absolvieren können. Die Evolution hat deswegen den Körper der Tiere für die Fortbewegung im Wasser

optimiert. Die Bioniker haben nach die-sem Vorbild das Radiallaufrad ZAbluefinkonstruiert. So weist die Vorderkante derVentilatorschaufel ein gewelltes Profil auf. Es ist den golfballgroßen Beulen (Tuberkel) des Wals an seinen Flos-sen nachempfunden. Durch sie werden große Verwirbelungen vermieden, was sowohl Strömungsverluste als auch Geräusche reduziert. Davon profitiert das besonders effiziente und leise Radiallaufrad ZAbluefin, das jetzt bei Klimazentralgeräten und Industriebelüftungen zum Einsatz kommt.

BIONISCHER VENTILATOR

Ein Wal lässt grüßen

Für Professor Jan Knippers ist die Natur eine geniale Baumeisterin

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10 Impuls B

ENERGIE & RESSOURCENEFFIZIENZ

Wasser ist ein kostbares Gut. Gerade inTrockenzonen. Die Natur pflegt deswegeneinen besonders sorgsamen Umgang da-

mit. Dafür steht Onymacris unguicularis, der Nebel-trinker-Käfer aus der Familie der Schwarzkäfer. Erlebt in der Namib-Wüste im südlichen Afrika undkann nur im Kopfstand trinken. Seine Flügel sind dazu mit millimetergroßen Noppen übersät. Da -rauf können Wassertröpfchen kondensieren, die alsfeins ter Nebel aus der Luft vom Atlantik in die Wüste he rüberwehen. Sie formen sich auf der Chitinober -fläche zu einem dicken Tropfen, der direkt ins Mauldes Nebeltrinkers rollt. Im Labor des Farbenherstellers Sto habensie die geniale Verbindung aus wasseranziehenden(hydrophilen) und wasserabstoßenden (hydropho-ben) Eigenschaften der Nebeltrinker-Flügel nach-empfunden und daraus mit „Sto Dryonic Color“ eineinnovative, CO2-neutrale, selbstreinigende Fassa -denbeschichtung entwickelt. Aufgrund der mikro-strukturierten Oberfläche entsprechend gestriche-ner Fassaden können das Regen- und vor allem dasTauwasser gezielt ablaufen. Das Ergebnis: eine stetstrockene und saubere Fassade, ganz ohne biozidenFilmschutz. Während die einen möglichst effizient dieFeuch tigkeit loswerden wollen, sorgen sich anderedarum, sie einzufangen. Um in extrem trockenen

Breiten überlebensnotwendiges Trinkwasser ausmorgendlichem Tau zu gewinnen, hat die die Aqua-lonis GmbH aus München und der Wasser sti f tunggemeinsam mit der TU München einen andert halb -jährigen Feldversuch durchgeführt. Die Bioniker greifen dabei auf Wirkungsprinzipien von Spinnen-netzkonstruktionen zurück, in denen sich der Tau in Form von Wassertropfen verfängt. Der daraus abgeleitete bionische „Cloud-Fisher“ zeichnet sich durch eine hohe Windresistenzaus. In Marokko kommt er in 1.000 Metern über demMeeresspiegel zum Einsatz, wo Windgeschwindig-keiten von 120 km/h keine Seltenheit sind. Die Aus-beute an trinkbarem Wasser beträgt je nach Regionund Jahreszeit zwischen 36 und 126 Litern pro Tagund Modul (9m2). Der in Marokko erzielte Spitzen-wert lag bei 600 Litern Wasser pro Tag und Modul,das sind umgerechnet 66 Liter pro Quadratmeter.Für viele Trockenregionen ist dies eine echte Verhei-ßung der Natur.

Wasser ist Leben. Und genau da liegt das Problem. Wo sich zu wenig findet, ist die Existenz von Lebewesen bedroht. Gibt es zu viel davon an der falschen Stelle drohen Fäulins und Zerfall. Die Natur hat für alle Fälle eine Lösung.

Tempo ist Trumpf: Je schneller der Cloud-Fisher in der Trocken-heit das Kondensatsam melt, desto weniger kann wiederverdunsten.

MIKROSTRUKTURIERTE OBERFLÄCHEN

Mit demWasserim Bunde

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Impuls B 11

ENERGIE & RESSOURCENEFFIZIENZ

NACHGEFRAGT

„Das rechnet sich“

Herr Dr. Weier, wie wird bei Sto aus einer bionischenIdee ein Produkt?Dr. Andreas Weier: Die Natur bietet einen nahezugrenzenlosen Ideenpool für technische Umsetzun-gen. Wir analysieren deswegen genau die biologi-schen Vorbilder, wollen das jeweilige Lösungsprinzipder Natur verstehen und prüfen dann, ob es für dieBewältigung der Herausforderungen bei unserenProdukten und Prozessen zielführend ist. Im nächs-ten Schritt adaptieren wir dieses Prinzip an die Um-setzungsmöglichkeiten und erweitern so letztlich unser Produktportfolio.

Wie kooperieren Sie dazu mit der Wissenschaft? Wir schauen gemeinsam mit der Wissenschaft überden Lösungsbaukasten der Natur. Das lohnt sich im-

mer. Schließlich hat die Natur einfach ein paar Mil-lionen Jahre Entwicklung mehr auf dem Buckel alsjedes denkbare Entwicklerteam. Diese herausragen-de Expertise wollen wir uns auf der Suche nach In -novationen nicht entgehen lassen.

Welche Potenziale sehen Sie in der Bionik? „Not invented here“ ist eine Sackgasse. Für mich istdie Bionik ein Ansporn, aus dieser Sackgasse heraus-zukommen und den Jahrmarkt der Möglichkeiten zu betreten, der mit dem Qualitätsmerkmal „conti-nuously improved and tested by life itself“ verbun-den ist. Die Faszination naturanaloger Konzepte istmeist so hoch, dass sich das Wirkprinzip auch sehrgut kommunizieren und zu einer eindrucksvollenKundenakzeptanz führen lässt. Das spiegelt sich beisto dann auch in entsprechenden Umsatzerfolgenwider. Mit anderen Worten: Bionik ist nicht nur fürEntwickler spannend. Richtig eingesetzt, rechnet siesich auch.

Immer trockene, selbstreinigende Fassaden nach dem Vorbild eines Wüstenkäfers sind eine bionische Erfolgsstory von sto, dem Spezialisten für Farben und Wärmedämmung bei Fassade, Altbau und Haus. Dr. Andreas Weier, Leiter F&E der Sto Gruppe und Mitglied der Geschäftsleitung, über den schier unerschöpflichen Lösungsbaukasten der Natur.

Überlebenskünstler und technisches Vorbild:

der Wüstenkäfer

Bionisch optimierte Fassadenanstriche

leichte, unkompli- zierte Handhabung

80 % längere Sauberkeit

schnellste Trocknung

weniger Kosten durch längere Haltbarkeit

Verzicht auf toxisches Antifouling

weniger CO2-Belastung

BIONIK-BILANZ

Innovationen aus der Wüste: DerNebeltrinker-Käfer und sein Wasser-„Trink-Trick“.

VERLINKT

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FORSCHUNG & LEHRE

BIOKON –Mit Bionikin die ZukunftDas Bionik-Kompetenznetz BIOKON fördert uber interdisziplinäre Innovationspartnerschaften den Wissenszuwachs und die Wettbewerbs fähigkeit all seiner Partner. So macht BIOKON die Bionik als Ideengeber und Innovationsmotor für Technik, Wirtschaft und Gesellschaft nutzbar.

Die Bionik-Wissenschaftler*innen an über 80 Standorten schaffen gemeinsam Synergien bei ihrer fachlichen Zusammen -arbeit und bekommen Unterstützung bei Kommunikation und Wissenschafts -marketing.

Die Bionik-Forschungs-gemeinschaft

Hier tauschen sich die Unternehmen zu unternehmensrelevanten Fragen untereinander aus und bekommen durch Beratung und das Zusammen -bringen mit den Wissenschaftler*innenZugang zur Bionik.

Das Bionik-Unternehmens forum

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Impuls B 13

FORSCHUNG & LEHRE

Über die Bionik-Forschungsgemeinschaft unddas Bionik-Unternehmensforum bringt BIOKONWissenschaft und Wirtschaft gleichberechtigtin einem Netzwerk zusammen und sorgt so füreinen umfassenden Wissens- und Technologie-austausch in vertrauensvoller Atmosphäre.Gleichzeitig steht BIOKON als Kommunikations-plattform gegenüber Politik und Gesellschaft für Überzeugung und Begeisterung von der Innovationskraft der Bionik.

Der BIOKON-Kosmos

Ihr direkter Draht in die Welt der Bionik:BIOKON e.V. , Dr. Rainer Erb, Ackerstraße 76, 13355 BerlinTel. +49.(0)30.46 06 84 84, E-Mail: [email protected]

VERLINKT

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VERNETZUNG & DIGITALISIERUNG

UNTERWASSERMODEMS

Bionik mit Tiefgang

Unter Wasser hat die Kommunikation eine„lange Leitung“. So mussten früher zumBeispiel U-Boote mehrere Hundert Meter

lange Drähte als Antennen hinter sich herziehen, um einfache Nachrichten empfangen zu können. „Esscheint kurios, doch trotz entwickelter Technologienhaben wir unter Wasser buchstäblich Funkstille. DiePhysik stößt hier an ihre Grenzen.“ Mit dieser pau-schalierten Feststellung wollte sich der Biologe undEvolutionstechniker Dr. Rudolf Bannasch von der TUBerlin nicht zufriedengeben. Fündig wurde der For-scher am Schwarzen Meer. Dort beobachte Bannaschzusammen mit seinem russischen Wissenschaftskol-legen Dr. Konstantin Kebkal, dass Delfine ihre Bewe-gungen mithilfe akustischer Signale selbst in einemBecken mit zahllosen Echos perfekt koordinieren kön-nen. „Konstante Töne gibt es bei den Delfinen nicht –sie tirilieren, pfeifen und zwitschern. Das ist der wich-tigste Unterschied“, stellten die beiden Forscher fest.

Die Kraft der ObertöneDurch die ständige Änderung der Sprachfrequenz,so die Wissenschaftler, verhinderten die Delfine,

dass sich Signal und Echo stören. Andere Delfinekönnten diese Signale trennen und entschlüs seln.„Die von den Tieren erzeugten Laute haben Ober -töne, deren Frequenz ein ganzzahliges Viel faches des Grundtons ist“, erklärt Bannasch. So etwas gebees auch bei digital modulierten Signalen, wodurchgrößere Datenmengen übertragen werden könnten. Nach diesen Erkenntnissen entwickeltenBannasch und Kebkal mit ihrer Firma EvoLogics einespezielle Frequenzspreizungs-Technologie für diverseUnterwasseranwendungen. Ein Ergebnis ist ein Un-terwassermodem nach Delfin-Vorbild. Damit könnenunter Wasser etwa 2.560 Byte pro Sekunde, knappein Drittel so viel wie bei einer ISDN-Leitung, über -tragen werden. Und das bei einer Reichweite von zweiKilometern. Damit sind breit gefächerte Anwen -dungen möglich: und das nicht nur bei U-Booten. Mess- sonden, Unterwasser-Roboter und vielfältige andereGerätschaften der Meeresforschung, Umweltüber -wachung und Off-Shore-Industrie (z.B. Ölförderindus-trie und Windparks) könnten mit dem Modem selbstbei starkem Rauschen zuverlässig gesteuert und gan-ze Unterwasser-Datennetzwerke aufgebaut werden.

Drahtlose Datennetzwerke unter Wasser? Ein Ding der Unmöglichkeit. Nur nicht für Delfine.

Die EvoLogics GmbHaus Berlin ist ein Pionier der Bionik-Unternehmen. Füh-rende internationale Wissenschaftler*innenund Experten machen hier seit dem Jahr2000 aus innovativenKonzepten der bio -nischen Forschungmarktfähige Produkte.

Delfine sind Kommunikationsprofis

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Impuls B 15

VERNETZUNG & DIGITALISIERUNG

Unbekannte Regionen erkundenFür eine exakte, georeferenzierte Gewässervermes-sung und -kartierung hat EvoLogics zudem mit dem „Sonobot“ ein autonom agierendes Messbootentwickelt. Mit speziellen GPS-Systemen und vonEvoLogics entwickelten Echo-Soundern, die auf der sogenannten „sweep spread carrier“-Ultrabreit-band-Technologie basieren, sind Unterwasser hoch-genaue Lagebestimmungen im Subzentimeterbe-reich möglich. Das integrierte Sidescan-Sonar liefertzudem Bilder des Gewässergrundes. Dies eröffnetganz neue Möglichkeiten der Gewässerkartierung,für den Wasser- und Brückenbau und die Vermes-sung von schwer zugänglichen oder für Personen gesperrten Gewässern.

Unterwasserforschung wie im FlugFür den Einsatz von Unterwasserrobotern in uner-gründlichen Tiefen hat EvoLogics zudem im Rahmender Neuen Hightech-Strategie der Bundesregierungden Manta-Rochen und seine „fliegenden“ Bewe-gungsmuster genauer unter die bionische Lupe ge-nommen. Mit sanftem Flügelschlag und wenig Ener-gieaufwand ist er in der Lage, große Distanzen zuüberwinden und feinfühlig am Riff zu navigieren. Wiebeim natürlichen Vorbild, befähigen die strömungs-günstige Form und die großen Flügelflächen die Evo-logics-Roboter ähnlich schnell zu fliegen, elegant zugleiten und dabei noch exakter zu manövrieren alsherkömmliche Unterwasserfahrzeuge. Als intelligen-te Trägersysteme für meerestechnische Mess- undMonitoring-Aufgaben können die künstlichen Man-ta-Rochen im Freiwasser und ebenso auch im struk-turierten Gelände operieren, etwa dort einer Boden-kontur im genauen Messabstand folgen oder gezielte

Untersuchungen an Unterwasserbauwerken durch-führen. Zudem haben sie eingebaute Jet-Triebwerke,die zugeschaltet werden können, um starken Strö-mungen zu begegnen, rasch größere Strecken zu-rückzulegen oder auf engstem Raum zu manövrie-ren. Ein erstes Modell erreichte eine Geschwindig-keit von 12 Kilometern pro Stunde.

Herr Bannasch, EvoLogics zählt zu den Pionieren derBionik-Unternehmen. Was hat Sie und Ihre Mit -streiter bewogen, selbst unternehmerisch tätig zuwerden?Rudolf Bannasch: Die leidige Erfahrung, dass wis-senschaftliche Publikationen allein nicht ausreichen,innovative Konzepte in die Praxis zu bringen. Dafürmuss man mehr tun. Wir hatten dazu exzellente F&E-Ergebnisse, ein starkes Team und staatliche Un-terstützung, um unsere bionischen Ideen selbst zuverwirklichen.

Was macht die besondere Stärke von EvoLogics aus? Es sind die Begeisterung für neue Ideen aus Naturund Technik; die Kompetenz beides tiefgründig zuanalysieren; die Schöpferkraft, das Beste professio-nell zu vereinen sowie der Mut und das Stehvermö-gen, die Risiken zu meistern.

In welchen Bereichen sehen Sie die größten Poten-ziale für Bionik-Unternehmen?Aus eigener Sicht vorrangig im IT-Bereich. Dazu gehören Sensorik und Kommunikation, bionische Robotik und vernetzte intelligente Systeme. Die Po-tenziale sind jedoch so vielschichtig, wie das Lebenselbst. Vom molekularen Nano-Kosmos bis zu kom-plexen Makro-Systemen finden sich Innovations -potenziale praktisch auf allen Struktur- und Funk -tionsebenen. Bionik kann helfen, neue Wege zu finden. Zum Erfolg müssen aber viele Hürden ge-nommen werden. Letztlich zählen Produkte, die den Markt überzeugen.

NACHGEFRAGT

„Am Markt überzeugen“Fragen an Dr. Rudolf Bannasch, Mitbe -gründer und Geschäftsführer der EvoLogics GmbH, einem Spin-Off der TU Berlin.

Rudolf Bannasch istgebürtiger Berlinerund hat Biologie,Tier-und Human -physiologie studiert

Konstantin Kebkal, gebürtig in Kiew, hat Kybernetik und Daten-verarbeitung studiert

Test im Tauchbecken

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16 Impuls B

VERNETZUNG & DIGITALISIERUNG

GUTES BESSER MACHEN

Mit der Evolutionim Bunde

„Solange besser möglich ist, ist gut nichtgenug.“ Der Leitsatz des legendären Fuß-balltrainers Dettmar Cramer bringt das

Grundprinzip der Evolution trefflich auf den Punkt.Die Natur optimiert sich fortlaufend und setzt dabeiimmer auf die Gewinner. Sich daran für die Entwick-lung technischer Lösungen ein Beispiel zu nehmen,dafür steht wie kein zweiter Professor Ingo Rechen-berg, Jahrgang 1934. Er gilt als einer der „Väter derEvolutionsbionik“. Evolutionäre Algorithmen, ins -besondere die Evolutionsstrategie, machte er dabei zur Optimierung technischer Systeme nutzbar. Die Anwendungsbandbreite reicht von derOptimierung von Prozessabläufen über die Anpas-sung von subjektiv zu beurteilenden Produkteigen-schaften und der Erstellung von Vorhersagemodel-len von sozialem Verhalten oder der Entwicklung vonFinanzmärkten bis hin zur Auslegung von Bauteilenund Großkonstruktionen. 1972 gründete Ingo Rechenberg den Lehr-stuhl „Bionik und Evolutionstechnik“ an der Techni-schen Universität Berlin – und setzte einen Meilen-stein der Bionik. Seither ist „Mr. Evolution“ wie einstDettmar Cramer rastlos auf der Suche nach ständi-gen Verbesserungen.

Waben mit WirkungWie es der Natur gelingt, mit optimalem Ressour-ceneinsatz Formen und Oberflächen zu gestalten,hält seit Mitte der 1970er Jahre Professor Dr. FrankMirtsch im Bann. Damals entdeckte er das Prinzipder selbstversteifenden Wirkung von Wölbstruktu-ren durch eine zufällige und seltsam-natürlicheStrukturbildung an einem dünnen Zylinder. Seitherverfolgt er mit seinem Unternehmen Dr. MirtschWölbstrukturierung GmbH konsequent das Energie-minimierungsprinzip und die Gesetze der kontrol-lierten Selbstorganisation. „Wir können von der Evo-lution noch viel lernen“, ist Dr. Mirtsch überzeugt.

Das Ergebnis dieses Lernens und Umset-zens sind hochwertige Werkstoffe mit innovativenWölbstrukturen. Die Materialien mit wabenähnli-chen Mustern sind nicht nur vergleichsweise steifer,sondern auch thermostabiler, widerstandsfähiger,strömungsgünstiger und blendärmer. Ein Beispiel

Mit der Natur kann man immer rechnen. Um mit ihr konstruktiv mithalten zu können,bedarf es nicht nur einer ausgeprägten Beobachtungsgabe, sondern oft auch viel Mathematik und großer Rechenleistungen.

Optimierung aus dem Rechner: Oberflächen mit Wölbstrukturen

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VERNETZUNG & DIGITALISIERUNG

Herr Hollermann, was können Innovatoren von derNatur lernen?Markus Hollermann: Die Frage ist leicht zu beant-worten. Innovatoren können alles von der Natur ler-nen! Sie liefert Vorbilder und zumindest Anknüp-fungspunkte für alle Produkte, Funktionen und Pro-zesse. Da heißt es: effizient, gut und schnell sein.Wenn sich Ingenieure und Entwickler in Ideenwork-shops einmal auf die Bionik einlassen, staunen siemeist nicht schlecht. Wir können ihnen dann pro Pro-dukt oft 30 und mehr verschiedene biologische Kon-zepte vorstellen, die das Unternehmen und seineProdukte besser machen. Es ist dann herrlich zu sehen, wie es bei den vorher skeptischen Ingenieu-ren prickelt und sie die Ärmel hochkrempeln.

Bionik und Start-ups: Wie wird daraus eine richtiggute Verbindung?Die Natur mit ihren zwei Millionen Organismen undMilliarden Jahren Evolution bietet geradezu ein Füll-horn voll von innovativen Ideen und überraschen -der neuer Produktlösungen. Man könnte meinen,dass dies der ideale Nährboden für Start-ups ist. Tat-sächlich gibt es aber mit EvoLogics und „Die Bioniker“nur zwei reine Bionikunternehmen in Deutschland,die selbst produzieren oder im Beratungsgeschäft unterwegs sind. Es reicht nicht, nur gute Ideen zu haben, sie müssen auch umgesetzt werden. Da stößt

ein Start-up schnell an seine Grenzen. Aber es gibtauch weltweit agierende Technologie-Beratungs -unternehmen wie Altran, die durch Engineering- undF&E-Services ihre internationalen Kunden in der Größe von Airbus maßgeblich bei Bionikentwicklun-gen unterstützen und Bionik-Optimierungen voran-bringen.

In welchen Bereichen der Bionik sehen Sie die größ-ten Zukunftschancen?Neben additiven Produktionsverfahren und einembionischen Design-Thinking sehe ich die Zukunft vorallem in Algorithmen und der Simulation natürlicherEntwicklungsschritte. Nach dem Klettverschluss unddem Lotuseffekt befinden wir uns schon mitten inder „3. bionischen Revolution“. Sie führt zu völligneuen Designprinzipien und bisher nicht gekanntenKompositwerkstoffen für Leichtbau und nahezugrenzenloser Formenentwicklung für den Automo-bilbau, die Luftfahrt und die Energiewirtschaft. Dasist alles sehr, sehr spannend.

liefert die „Blaue Schildkröte“, die Sporthalle vonOdessa in der Ukraine. Die 6.000 Quadratmeter 3D-Dachkonstruktion aus lackiertem, rollgeformtemund montiertem wölbstrukturiertem Aluminium-blech bringt etwa 30 Prozent Gewichtseinsparunggegenüber der konventionell glatten Konstruktion.Die früher gefürchteten Hagelschäden sind infolgeder hohen Steifigkeit und der diffusen Lichtbrechunginfolge der Wölbstrukturen kaum sichtbar.

Blaupausen für die DigitalisierungDie Natur liefert aber längst auch Blaupausen für dieDigitalisierung. Die Algorithmen der Evolution nut-

zen jetzt auch Berliner Bioniker in dem Projekt Cell-Core3D. Das Startup hat eine Software entwickelt,die mit Hilfe stochastischer Wabenstrukturen Wegeaufzeigt, Strukturbauteile im Hinblick auf Gewicht,Steifigkeit und Schwingungseigenschaften zu opti-mieren. Die gewonnenen CAD- oder STL-Daten kön-nen anschließend an einen 3D-Drucker übergebenwerden. Auf diese Weise, so die Experten, ließen sichGewichtseinsparungen von bis zu 30 Prozent gegen-über konventionellen Bauweisen einfach und un-kompliziert realisieren. Zielgruppe sind neben Flug-zeug- und Fahrzeugherstellern auch Maschinenbau-firmen.

NACHGEFRAGT

„Da staunen die Ingenieure“Wieviel unternehmerisches Potenzial steckt in der Bionik? Antworten von BIOKON-Vorstand Markus Hollermann, Mitbegründer von „die Bioniker“ und Bionik Experte der Altran Deutschland S.A.S. & Co. KG.

beträgt der Abfall anteilbeim Laserschmelzeneines „endkonturnahenFlugzeugbauteils“. Beim Fräsen eines ge gossenen Werk -stücks liegt er bei bis zu 95 Prozent.

In der Bionik ist alles drin: Markus Hollermann über dieBandbreite von Möglichkeiten eines Bionik-Studiums.

VERLINKT

5%

Markus Hollermann ist gelernter Technischer Zeich-ner und hat sich im Studiumintensiv mit systematischerBionik sowie Projekt-, Innovations- und Wissens-management im Entwick-lungsprozess befasst

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18 Impuls B

LEBEN & ARBEITEN

MENSCH-MASCHINE-KOLLABORATION

Kollege Roboter

Dass ein Elefant bei der Pflege von Patien-ten helfen könnte, erscheint absurd. Ist esaber nicht. Im Gegenteil: Im Krankenhaus

reicht ein 1,20 Meter langer, computergesteuerter„Elefantenrüssel“ aus leichtgewichtigem, nachgiebi-gem Kunststoff den Pflegern Verbandsmaterial undwas sie sonst so alles brauchen bei der Patientenbe-treuung. Möglich machen diesen Vorboten einerganz neuen, einzigartigen Mensch-Maschinen-Ko-operation Bioniker von Festo, einem der weltweitführenden Anbieter von Automatisierungstechnik.Die Entwickler im renommierten Bionic LearningNetwork beeindruckten 40.000 einzelne Muskelfa-sern, die einen Elefantenrüssel in alle Richtungen freibeweglich machen. Nach diesem Vorbild konstruier-ten sie gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Fraun-

hofer-Institut einen Greifroboter, der weit über dashinausgeht, was bisher in der Industrieautomatisie-rung vorhanden war.

Mensch und Maschine im TeamMit dem von Ivo Boblan, Biokon-Vorstand und Pro-fessor an der TU Berlin, maßgeblich mitentwickelten„Elefantenrüssel“, oder genauer gesagt mit dem„Bionischen Handling-Assistenten“, können Menschund Maschine erstmals gefahrlos und effizient im di-rekten Kontakt als Team zusammenarbeiten. Im Falleeiner Kollision – ob gewollt oder unabsichtlich –kommt die natürliche Nachgiebigkeit der mit Druck-luft und Steuerungstechnik geführten Kunststoff -konstruktion zum Tragen. Davon profitieren nicht nur Pflegekräfte und ihre Patienten. Weitere Anwen-

Die Natur hat immer einen Plan, wenn es darum geht, das Leben und Arbeiten leichter zu machen. Im Bionic Learning Network entstehen aus genauer Beobachtung kleine und große Bionik-Sensationen.

Starker Partner an der Werkbank: der BionicCobot

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Impuls B 19

LEBEN & ARBEITEN

dungsgebiete sehen die Bioniker in der Industrie, et-wa in der Automobilmontage, der Landwirtschaftund im häuslichen Umfeld. Das Bionic Learning Network legt bei Inno-vationen nach dem Vorbild der Natur ein hohes Tem-po vor. Das Team aus Designern, Maschinenbauern,Biologen, Informatikern und Mechatronikern prä-sentiert jedes Jahr zur Hannover Messer nicht we -niger als eine Sensation aus der Welt der Bionik: fliegende Pinguine, bionische Kängurus, autonomeAmeisenroboter, smarte Quallen... „Das hohe Inno-vationstempo können wir halten, weil in unseremBionic Learning Network-Team viele unterschiedli-che Experten ganz eng und hoch motiviert zusam-menarbeiten: Wir lernen jeden Tag voneinander undprobieren praktisch aus, wie wir die Vorbilder derNatur spannend in Robotik umsetzen können“, sagtElias Knubben, Head of Corporate Bionic Projects beider Festo AG & Co.KG.

Innovationen, die auf der Zunge liegenEin Beispiel liefert das Chamäleon-Projekt. Aus-gangspunkt war ein Workshop zum Thema Bionik ander Hochschule Oslo und Akershus, wo Festo seineaktuellen Forschungsansätze aus dem Bionic Lear-ning Network präsentierte. Zwei der Studierendenließen sich erst von dem Vortrag und dann von derNatur inspirieren: Im Rahmen ihrer Masterarbeitpräsentierten sie daraufhin das bionische Greifprin-zip nach dem Vorbild der Chamäleonzunge. Bei der Jagd stülpt das Chamäleon seineZunge über das jeweilige Beutetier und umschließtes sicher. Die Bioniker „übersetzten“ dieses Prinzipin den FlexShapeGripper, der mit seiner elastischenSilikonkappe und einem ausgeklügelten Druckluft-mechanismus in der Lage ist, unterschiedlichste Objekte formschlüssig zu greifen. Damit hat er dasPotenzial, Produktionsanlagen deutlich flexibler zumachen. Die Greifwerkzeuge müssen nicht mehr gewechselt werden. Eine Anlage kann so viele Aufga-ben gleichzeitig erfüllen. Das spart Material- undEnergiekosten. Im großen Stil wirkt sich dies in derindustriellen Fertigung als signifikanter Effizienz- undNachhaltigkeitsgewinn aus.

Ein starker ArmKräftig zupacken oder vorsichtig aufheben, fest zu-drücken oder sanft antippen: Im Bionic Learning Net-work von Festo löst dieses komplexe Anforderungs-bündel der BionicCobot, ein pneumatischer Leicht-bauroboter mit menschlicher Bewegungsdynamik.Die Bioniker haben sich dazu das Zusammenspiel gegensätzlich wirkender Muskeln genauer ange-schaut und dieses Prinzip von Agonist (Spieler) undAntagonist (Gegenspieler) beim BionicCobot in allensieben Gelenken technisch umgesetzt. In seinemSchulterbereich befinden sich drei Achsen, in Ellbo-gen und Unterarm jeweils eine sowie zwei Achsenim Handgelenk. In jeder Achse sitzt ein Schwenkflü-gel mit jeweils zwei Luftkammern. Diese bilden einAntriebspaar, das sich durch Befüllen mit kompri-mierter Luft wie eine mechanische Feder stufenloseinstellen lässt. Aufgrund seiner sicheren Interaktion, dernatürlichen Bewegungsabläufe und seiner intuitivenBedienbarkeit sehen die Entwickler ein großes Po-tenzial für den BionicCobot in den unterschiedlichs-ten Industrien: Vor allem bei monotonen oder gargefährlichen Tätigkeiten könnte er als assistierenderRoboter eingesetzt werden und den Menschen ent-lasten.

Damit Roboter undMenschen friedlichund vor allem unfall-frei miteinander auskommen, müssensich die Roboter ändern. Es brauchtweiche, flexible Maschinen.

Die Chamäleon-Zunge als Vorbild: der FlexShapeGripper

Neue Impulse durch Open Innovation: Das Bionic Learning Networkist ein Forschungsverbund des Unternehmens Festo mit Hochschulen, Instituten und Entwick-lungsfirmen. Ziel der Initiative ist das Lernen von der Natur. Auch das frühzeitige Erkennen undFördern guter Ideen für bionisch basierte neue Technologieträger spielen eine große Rolle.

VERLINKT

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LEBEN & ARBEITEN

DAS GECKO-PRINZIP

Gut zu Fuß in die Zukunft

Genialer Gecko: Haften, ohne

zu kleben

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Impuls B 21

LEBEN & ARBEITEN

Sie rennen die Wände hinauf, flitzen kopf-über die Decke entlang, ganz gleich ob aufglatten, feuchten oder rutschigen Ober -

flächen. Trotz eines Gewichts von 50 bis 100 Grammkönnen Geckos sich problemlos auf unterschied -lichstem Terrain bewegen und selbst an der Decke„kleben“. Damit haben sie klare Vorteile gegenüberNahrungskonkurrenten – sowohl was die Nahrungs-suche als auch die Fluchtmöglichkeiten betrifft. Vor etwa 20 Jahren haben Professor Sta-nislaw Gorb und seine jungen, internationalen Wis-senschaftler von der Uni Kiel deswegen angefangen,dem Gecko ganz genau auf die Füße zu schauen. Wiebei Fliegen und anderen Insekten sind sie bei denEchsen auf ganz spezielle Haftungsstrukturen an den

„Fußsohlen“ gestoßen: Milliarden von Nanohärchenam Gecko-Fuß sind das Geheimnis seiner außerge-wöhnlichen Haftkraft. Physikalisch beruht die Haft-wirkung auf dem Phänomen der Kontaktelektrizität,bei der Ladungsunterschiede an der Grenzfläche zwischen Geckofuß und Oberfläche auftreten. Dieseführen dann zu einer elektrischen Anziehung zwi-schen beiden. Hinzu kommt noch die Kapillarkraft.Eine mit den Nanohärchen bestückte Briefmarkekönnte einen Ziegelstein halten. Aus solchem wissenschaftlichen Grund -lagenwissen hat die Gottlieb Binder GmbH aus Baden-Württemberg unterschiedliche praktische An-wendungen, wie das Gecko®-Tape, gemacht. DieseSilikon-Folie haftet auf glatten, unebenen, rutschi-gen, feuchten Oberflächen, sogar auf Menschen-haut. Dafür sorgen 29.000 mikroskopisch kleine Elemente pro Quadratzentimeter. Die Dicke der Gecko®-Tape-Silikonfolie beträgt 0,34 Millimeter. Das hält ohne toxische Klebstoffe bombig, ist ab-waschbar und beliebig oft wiederverwendbar.

Bionik par excellence:Das Gecko®-Tape der Gottlieb BinderGmbH ist eine mikrostrukturierte Silikonfolie mit ca. 29.000 Haft -elementen pro cm2.

Die Haftkraft des Gecko®-Tape ist enorm

Der Gecko-Fuß haftet dank winziger Härchen

Wie kann es sein, dass der Gecko die Decke entlang läuft und nicht runterfällt? Und warum kann ein Elefant das nicht? Forscher der Universität Kiel haben sich die Füße von Geckos ganz genau angeschaut und sind zu überraschenden Ergebnissen gekommen.

Gecko®-Tape ist eine echte Bionik-Erfolgsstory.

hohe Haftkraft

abwaschbar und wiederverwendbar

rückstandsfreie Ablösung

aus medizinischem Sili- kon: nicht hautreizend

Verzicht auf toxische Kleber

minimierter Materialeinsatz

BIONIK-BILANZ

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22 Impuls B

LEBEN & ARBEITEN

Natürlich gehen dank bionischer Prothesen

Alles im bionischen Griff

Ganz normal bewegen –ganz schön schwierig

PROTHETIK

Zurück ins pralle Leben

Mit der Natur im Bunde: Beim Orthopä-dietechnikspezialisten Ottobock liefert dieBionik die Blaupause für (fast vollständig)

natürliche Prothesen und einen weitestgehend un-eingeschränkten, alltagstauglichen Bewegungsum-fang. Zum Beispiel bei der „Michelangelo Hand“. Sieermöglicht es, sieben unterschiedliche Handposi -tionen zu nutzen und so handwerkliche oder alltäg-liche Aufgaben zu bewältigen, bei denen Präzisionund Kraft gefragt sind. Elektroden im Prothesen-schaft nehmen an der verbliebenen Muskulatur amStumpf elektrische Impulse auf und bewegen darü-ber das mechanische Handgelenk. Es kann gebeugtund gestreckt sowie nach außen und innen gedrehtwerden. In einem neu entwickelten flexiblen Modusahmt es sogar das Bewegungsverhalten eines ent-spannten, natürlichen Handgelenks nach.

Muskelimpulse nutzenAmputationen oberhalb des Ellenbogens sind einebesondere Herausforderung an die Orthopädietech-nik. Der DynamicArm von Ottobock übernimmt dazu

neben der natürlichen Handfunktion auch noch dieFunktion des Ellenbogens durch die Prothese. Wiebei der Michelangelo Hand nehmen Elektroden überden Prothesenschaft Muskelsignale auf und leitensie an einen Elektromotor weiter. Eine Steuereinheitsorgt dann für Beweglichkeit des künstlichen Ellen-bogens und der Hand. Die Anwender haben so einenfunktionstüchtigen künstlichen Arm, können den El-lenbogen strecken und beugen, das Handgelenk dre-hen und die Hand öffnen und schließen. Fast so gutwie ihr natürliches Vorbild.

Bionik läuftMit der Markteinführung der Genium-Beinprothesegelang Ottobock ein Durchbruch im Bereich der Knieprothetik. Die Funktionalität des Knies konntemit Hilfe komplexer Technik und belastungsfähiger,komfortabler Materialien in die Prothese übertra -gen werden. Das Ergebnis: natürliches Gehen, alter-nierendes Treppab- und Treppaufsteigen, Hinder-nisse über winden, Rückwärtsgehen, Stehen auch auf Schrä gen und vieles mehr. Für Prothesenträgerist dies ein Meilenstein in Richtung mehr Lebens-und Arbeitsqualität. Ganz nah am natürlichen Vorbild ist auchder Meridium Prothesenfuß. Die 4-Achsen-Konstruk-tion mit hydraulischer Echtzeitsteuerung passt sichohne zeitliche Verzögerung an die Ganggeschwin -digkeit und Bodenbeschaffenheit an. So lässt sich einharmonischer Gang selbst auf Schrägen, Treppen-stufen oder wechselnden Untergründen meistern.Beim Sitzen und Stehen senkt sich der komplette Fuß zum Boden ab und entlastet so den Stumpf.

Bei einem Unfall oder durch KrankheitGliedmaßen zu verlieren, ist ein hartes Schicksal. Orthopädietechnik nutzt die Vorbilder der Natur, um Menschenmit hochkomplexen Prothesen Lebens-und Arbeitsqualität zurück zugeben.

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Impuls B 23

COMING UP

Die Natur liefert das Vorbild für sensationell winzigeMini-Kameras, mit denen sich scharf wie nie sehenlässt. Forscher vom Fraunhofer-Institut für Ange-wandte Optik und Feinmechanik IOF in Jena habenmit facetVISION eine nur noch zwei Millimeter flacheKamera entwickelt, deren Linse ähnlich einem Insek-tenauge in 135 winzige Facetten eingeteilt ist. „DieKameras sind zum Beispiel für die Medizintechnik in-teressant – für optische Sensoren, mit denen manschnell und einfach Blut untersuchen kann.“

Herr Kuhlmann, Sie beraten die Verpackungsindus-trie bei der Entwicklung innovativer Lösungen. Wiesind Sie dabei zur Bionik gekommen?Jörg Kuhlmann: Viele unserer Kunden haben ein Interesse daran, bei der Verpackung biologisch ab-baubare und ökologisch verträgliche, nachwach -sende Materialien einzusetzen. Auf der Suche nach intelligenten Lösungen sind wir über die Internet -recherche auf die Bionik gestoßen.

Wo sehen Sie mögliche Anknüpfungspunkte derBionik für Verpackungslösungen? Die Vorbilder der Natur verstehen wir als Einladung,über den Tellerrand zu sehen und ganz neue Denk-

möglichkeiten und Innovationspotenziale hinsicht-lich Materialeinsatz, Festigkeit und Formengebungin den Blick zu nehmen. Das könnte für uns und un-sere Kunden sehr spannend werden.

Für wen könnte dies in Frage kommen?Unser Kundenspektrum reicht vom Markenartiklerbis zu großindustriellen Herstellern. Wir stellen dortinsgesamt ein gestiegenes Interesse an Ressourcen-effizienz, Einsatz von Recyclaten und nachwach -senden Rohstoffen fest. Wenn uns die Bionik aufdem Weg zu klugen Innovationen helfen kann, ist sie herzlich willkommen. Wir bleiben dran.

NACHGEFRAGT

„Spannend!“Intelligente, ganzheitliche Marken- und Verpackungslösungen sind die Spezialität von pacproject, einer internationalen Beratungsagentur aus Hamburg. Übers Internet stießen die Tüftler auf die Bionik. Consulting Director Jörg Kuhlmann im Gespräch über neue Denkhorizonte bei der Suche nach Innovationen.

„Bionik könnte für unsere Kunden sehr spannend werden.“

Jörg Kuhlmann

>> 135 Augen sehen mehr

Sie sind ein ganz erstaunliches Paar: die texanische Krötenechse und dieRindenwanze. Die Echse kann mit Hilfe feiner Kapillaren in ihrer Hautober-fläche Wasser sammeln und gezielt in eine Richtung, nämlich zum Maultransportieren – wegen der Kapillarwirkung ohne aktive Kräfte und sogargegen die Schwerkraft. Die Rindenwanze zeigt einen anderen Effekt: Siekann bei Regen schnell ihren gesamten Rücken mit Wasser benetzen, wodurch sie nachdunkelt und sich der nassen Umgebung farblich anpasst.Ein nahezu perfekter Überlebensschutz. Das Besondere ist, dass Wasseraus feinen Kanälen auf die Körperoberfläche geleitet wird und diese voll-flächig benetzt. Ein internationales Konsortium arbeitet in dem EU-Projekt

„LiNaBioFluid“ daran, nach diesen Vorbildern den passi-ven, gerichteten Transport von Schmiermitteln mit

einer vollflächigen Benetzung der zu schmierendenStelle zu kombinieren und beispielsweise Gleit-

lager, Automotoren und Werkzeuge derspanenden Fertigung zu optimieren.

Ingenieure vom Massachusetts Institute of Technology in Boston haben nachdem Vorbild des Wassertransportsystems von Bäumen einen Mini-Antrieb ent-wickelt, der mit Zucker und Wasser als Treibstoff auskommt. Die Mikropumpe„tree-on-a-chip“ ist dabei in der Lage, sich über mehrere Tage selbst anzutreiben.Der simple Mechanismus der hydraulischen Maschine könnte bei Mini-Roboternzum Einsatz kommen.

>> Schmieren leicht gemacht

>> Zucker als Treibstoff

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Das Projekt „Grüne Jobs für die Berufswelt von morgen – Vermittlung und Motivation durch Bionik“ wird im Rahmen des ESF-Bundesprogramms „Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung befördern. Über grüne Schlüsselkompetenzen zu klima- und ressourcenschonendem Handeln im Beruf – BBNE” durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und den Europäischen Sozialfonds gefördert.

ZUKUNFT

#IMGRÜNENBEREICH

UNSER ANGEBOT FÜR DEN NACHWUCHS:

EINE AUSSTELLUNG ÜBER BIONIK

UND GRÜNE JOBS!

Von 2017 bis 2019 in ganz Deutschlandwww.guyf.de/tourdaten

ÜBER

300 JOB-PROFILE

MIT GREENING- PERSPEKTIVE