Upload
lorenz-gerten
View
108
Download
3
Embed Size (px)
Citation preview
©Matthias Huber 2013 1
Forum Autismus 2013
Erwachsen sein oder werden?
Stiftung Kind und Autismus Urdorf
Matthias Huber, M.Sc.
CreAutism
©Matthias Huber 2013 2
Wann ist man erwachsen?
©Matthias Huber 2013 3
• Wenn man nicht mehr auf dem Spielplatz herum tollt
• Wenn man die Beine bei Tisch nicht angezogen auf der Sitzfläche platziert
• Wenn man Erwachsene nicht am Ärmel zieht, wenn man ihnen etwas sagen will
• Wenn man sich selbst nicht lobt, wenn man selbst nicht sagt, wie gut man ist
©Matthias Huber 2013 4
Biographisches
Als Kind und Jugendlicher:
• fühlte ich mich auf meine Gedanken bezogen alt, wie eine alte Seele.
Als junger Erwachsener:
• fühlte ich mich sozio-emotional zw. 10-15 Jahre jünger
Mit ca. 24 Jahren:
• Gefühl von Erwachsener sein
©Matthias Huber 2013 5
Erwachsen ist man, wenn man…
«Offizielle Kriterien»:
• Wenn man 18 Jahre alt gewesen ist
• Wenn man selbstständig Verträge abschliessen kann
• Wenn man wichtige Lebensentscheidungen überwiegend s.s. treffen kann
• Wenn man sich selber versorgen kann (daheim und ausserhalb)
• Wenn man Geld verdient
• Wenn man Alkohol trinken darf
• Wenn man Ausbildung macht oder hat, zu eigenem Verdienst führt
©Matthias Huber 2013 6
Erwachsen ist man, wenn man…
«Angepasste» Kriterien:
• Wenn man einen Beistand/Beirat hat
• Wenn man einen geschützten Arbeitsplatz hat
• Wenn man sich beim Haushalt helfen lässt
• Wenn man sich beim Kleider einkaufen helfen lässt
• Wenn man mit Hilfe Bus und Zug fährt
• Wenn man in einer betreuten WG oder Institution lebt
• Wenn man noch bei den Eltern lebt
• Wenn man keine (grossen) Entscheidungen alleine fällen kann
©Matthias Huber 2013 7
Konsequenzen für Menschen mit AS/ASS
Beruf aussuchen:
• Vorschläge von Eltern, IV-Berufsberater-/innen
• Interessen oft nicht als Beruf
Eigene Wohnung suchen und mieten
• Wie sucht man sich eine Wohnung? Wie schaut man sie an? Was zieht man an? Was
sagt man, was nicht?
• Wie entscheidet man sich für eine Wohnung?
Dauer des Ausgangs selber entscheiden:
• Institutionen, Eltern denken mit, hörbar und nicht-hörbar
©Matthias Huber 2013 8
Selber entscheiden, mit wem man in Ausgang gehen/zusammen sein will:
- Wenn es jemanden gibt…
Sich verlieben, Beziehung und Sexualität pflegen:
• Pflege sozialer Beziehungen
• Gemeinsam planen anstatt einsam planen («Verliebtheit»)
Heiraten (?)
Eigene Kinder wollen (?)
©Matthias Huber 2013 9
Konsequenzen der «angepassten Kriterien»
Dürfen unter Umständen…:
- Beruf nicht selber aussuchen (oft tiefere Schulbildung, IV-Vorschläge)
- nicht eigene Wohnung nehmen und mieten
- Dauer des Ausgangs nicht selber bestimmen
- mit wem in Ausgang oder zusammen sein nicht selber bestimmen
- sich nicht einfach so Verlieben
- nicht einfach so Heiraten
- nicht einfach so Kinder kriegen
- nicht einfach so Sexualität leben
- nicht einfach so «zuviel essen»
- weniger Geld (nicht Essen gehen können, keine Ausflüge machen können)
©Matthias Huber 2013 10
Autismus im Erwachsenenalter
Was ändert sich im Erwachsenenalter hins. autistischer Besonderheiten?
Manchmal:
- weniger offensichtlich
- weniger deutlich gezeigt
- wird verschwiegen
- so tun als ob unauffällig
©Matthias Huber 2013
Relevant im Kindes- und Jugbenalter
Blickkontakt im Ki-/Ju-Alter• Fehlend oder nur kurz, wie künstlich wirkend. Starrt in Ferne bei gleichzeitiger
Fokussierung aufs Gesicht des Gegenübers.• Schaut weg, wenn man mit ihm/ihr spricht.• Emotionaler Ausdruck anderer Menschen kann nicht schnell genug „decodiert“ werden.
Aber im Erwachsenenalter:• U.U. Blickkontakt vorhanden, trotz Schwierigkeiten Gefühle zu decodieren
11
©Matthias Huber 2013 12
Mimik im Ki/Ju-Alter• Flach oder kaum moduliert, wirkt künstlich, emotionales Erleben von
Aussenbetrachter nicht adäquat „abgelesen“ werden.
Aber im Erwachsenenalter: • U.U. überwiegend angepasst-freundliches Lächeln -> Kompetent wirkend
Gestik im Ki-/Ju-Alter:• Wenig oder nicht adäquate, übertriebene Gestik; wirkt angelernt
Aber im Erwachsenenalter:• U.U. Ausgearbeitete Gestik -> Kompetent wirkend
©Matthias Huber 2013 13
Sprache im Ki/Ju-Alter:• Ungewöhnlich in Sprachmelodie und Geschwindigkeit: Monoton oder überbetont,
zu schnell/zu langsam, pedantisch, nicht an Dialog angepasst; altklug wirkend.
Aber im Erwachsenenalter:
• U.U. unauffällig in Sprachmelodie oder still-zurückhaltend, guter Zuhörer
©Matthias Huber 2013
Kommunikation/Interaktion im Ki-/Ju-Alter
Monologisches Sprechen im Ki-/Ju-Alter
• Ungenügende Kenntnisse der Gesprächsregeln, wortwörtliches Verstehen
Aber im Erwachsenenalter:
• U.U. Dialogisieren möglich, aber Kräfteraubend, On/Off-Interesse an Sozialem
Denken im Ki-/Ju-Alter
• logisch- detailverhaftetes Denken, im Dialog nicht oder kaum veränderbar, kaum lenkbar
im Ki-/Ju-Alter
Aber im Erwachsenenalter:
• Dialogisch lenkbar, erst im späteren Verlauf wird offensichtlich, dass etwas nicht
verstanden wurde oder kein Bedürfnis besteht, etwas was verstanden wurde, zu
verändern.
14
©Matthias Huber 2013 15
Spezialinteressen/Sonderinteressen im Ki-/Ju-Alter
• Hauptsächlich auf eigene Themen und Gedankengänge fixiert, bis ins Detail
ausformulierend.
• Hohe intrinsische Motivation, intensives und fast ausschliessliches Beschäftigen
mit speziellen Themen und Gedanken
(Fahrpläne, Flaggen, Fussball-Ergebnisse, Kirchenglocken, Dinosaurier, etc.)
Aber im Erwachsenenalter:
• U.U. sozialangemessene Themen wie Europameisterschaft, Politik etc.
• Wirklichen Spezialinteressen verheimlicht, versteckt aus Angst (neg. Erfahrungen)
©Matthias Huber 2013 16
Stereotypien:
• Wiederkehrende Geräusche/Fragen, motorische „Unruhe, Singen, Fluchen
Aber im Erwachsenalter:
• Stereotyp wirkende Wünsche an andere Menschen gerichtet (Bsp.: «Könntest mir
einen Platz im Kammerorchester schenken?»)
©Matthias Huber 2013 17
Spagat zwischen Eigenständigkeit und Hilfsbedürftigkeit
• «Selbstständig reisen, aber falsches Ticket gelöst»
• «Selbstständig reisen, aber in den falschen Zug gestiegen»
• «Selbstständig reisen, aber Umsteigen, weil Bahnunterbruch»
• «Erster Tag in Lehre» (Eltern)
• «nicht reif/Erwachsen genug für die Ausbildung» -> Rekurs (Mutter)
©Matthias Huber 2013
Kommunikation:
Motorische Unruhe im Ki-/Ju-Alter
• Nicht Hyperaktivität im klassischen Sinne, sondern soziale Angst, Unsicherheit,
keine Anhaltspunkte haben, wie sich der/ein Dialog gestaltet und entwickelt.
Aber im Erwachsenenalter:
• U.U. unterbrochen witzig sein wollen oder Witze erzählen
• Ständig etwas zeigen wollen
18
©Matthias Huber 2013
Wahrnehmung:
Hyper- oder Hyposensibilitäten im Ki-/Ju-Alter• Licht, Geruch, Lärm, Essen, Kleidung, Oberflächenbeschaffenheit, Schmerz-
empfinden (Bsp.: „Hauptbahnhof zur Stosszeit“)
Aber im Erwachsenenalter:• Häufiger Stellenwechsel aufgrund sensorischer Überflutung
(von aussen keine Schwierigkeiten ersichtlich…)
19
©Matthias Huber 2013 20
Bereiche des Erwachsenenlebens
Berufswahl, Anlehre/Lehre/Studium
• Wie viel unterstützen? (Mit Mutter ins BIZ…)
• Wann intervenieren? (Student und Unterstützung)
• Selbsteinschätzung: Alles i.O.- dann Rauswurf
• «Velomechaniker geht nicht»
Freundeskreis
• Wie aufbauen, wie entwickeln?
• Rhythmus aufrecht erhalten
Hobbies und eigene Interessen:
• Lesen und TV schauen, Computer (neue Bücher, andere Programme, Wechsel Tätigkeiten
am PC)
Psychisches Befinden:
• Depression und Hilfe annehmen
©Matthias Huber 2013 21
Peer-Group
Peer-Group-Interessen
• Darauf achten, welche Interessen Peers haben («Bruders Interessen?»)
• Zuhören können
• Physik und Prüfungsaufgaben im Voraus
• Rauchen und Trinken
• Nach Sport etwas trinken gehen
• Auf GG-Schulreise (Steine in Gewässer geworfen…)
Þ Konflikte nicht mit Eltern oder älteren Erwachsenen, sondern mit ASS-Kollege (Prüfungsaufgaben in Physik…)
©Matthias Huber 2013 22
Bedeutung von Eltern und Geschwister
Weiterhin wichtig, aber:
- schwankende Bedeutung je nach Neuigkeitsumfang
Geschwister:
• Gegenseitige Unterstützung (sozialer Druck wird relativiert)
• Konkurrenz
©Matthias Huber 2013 23
Anstatt Lernen im Kindes-/Jugendalter…
Lernen im Erwachsenenalter:
• …dass Eltern nicht allwissend und allkönnend sind (machen Fehler): zusätzliche Berater
• …dass auch wenn Wissen da ist, es nicht immer von Mitmenschen umgesetzt werden kann (was du kennst den Politiker, rufe ihn gleich an (Zeitmanagementschwierigkeit – warten können)
• …dass Theorie nicht gleich Praxis ist: «Wäre ich ein guter König?» «Ja.» -> «König der Schweiz werden»)
• …Vergangenheitsbewältigung (Erfahrung von Unverständnis, Missverstehen, Mobbing) während
Gegenwartsbewältigung inkl. Zukunftspläne machen müssen.
• Davor, früher nicht möglich, zu begreifen und zu durchschauen was war
• Nicht aufzugeben auch dann, wenn man immer wieder auf andere zugehen muss, von sich
aus
©Matthias Huber 2013 24
Persönlichkeitsentwicklung: Fähigkeiten erlangen
- Sich Charakterisieren können («Wie bin ich, was bin ich für ein Mensch?») – Ego-Wissen
- Sich und seine Besonderheiten erfassen können – Ego-Wissen
- Andere Charakterisieren können («Wie ist dein Chef so?») – Soziales Wissen
- Sich mit Peer-Group/Anderen/ vergleichen können («Bin ich beliebt/unbeliebt?») - Soziales Wissen
- Verhalten ändern oder anpassen können, je nachdem, was sozial gerade erwünscht ist
(«Geburtstagskarte unterschreiben») - Kontextabhängiges soziales Wissen
- Vorübergehend etwas tun können, von dem man nicht überzeugt ist. («Beim Gewinnen laut Jubeln») -
Peer-Relevantes Wissen
- Ohne, dass es einem verfolgt etwas tun, von dem man nicht überzeugt ist (Neigung daran
herum zu nagen, sich nie damit anfreunden zu können) – Verarbeitung dissonanter Informationen