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28 BZB Mai 2019 Der Bayerische Zahnärztetag feiert in diesem Jahr seinen 60. Geburts- tag. Die Deutsche Gesellschaſt für Präventivzahnmedizin (DGPZM) ist Kooperationspartner für das wissen- schaſtliche Programm. Im Interview mit dem BZB spricht der Präsident der DGPZM, Prof. Dr. Stefan Zimmer, über aktuelle Entwicklungen in der präven- tiven Zahnmedizin und zeigt die He- rausforderungen der Zukunſt auf. Der Inhaber des Lehrstuhls für Zahnerhal- tung und Präventive Zahnmedizin an der Universität Witten/Herdecke gibt auch einen ersten Einblick in das Pro- gramm der Jubiläumsveranstaltung. BZB: Die Fünſte Deutsche Mund- gesundheitsstudie hat gezeigt, dass sich die Mundgesundheit hierzulande in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat. Im internationalen Ver- gleich liegt Deutschland in wichtigen Bereichen sogar an der Spitze. Welche Bereiche sind das und wie können diese Spitzenplätze auf Dauer gehalten werden? Zimmer: Weltspitze sind wir bei den 12-Jährigen. Das ist wichtig, weil damit die Grundlage für einen zahngesunden Start ins Erwachsenenleben geschaffen ist. Bei den durchschnittlich 40-Jährigen liegen wir in puncto Karies auf einem guten Mittelfeldplatz und bei den 70-Jährigen im Vorderfeld. Nicht so gut sieht es bei der Parodontitis aus. Bei den durchschnittlich 40-Jährigen liegen wir international ins- gesamt im unteren Mittelfeld und bei den durchschnittlich 70-Jährigen sogar im hinteren Drittel. Allerdings gibt es für die Parodontitis international recht wenige Vergleichsdaten, sodass diese Einordnung auch verzerrt sein kann. Feststeht, dass wir bei den Jugendlichen sehr gut ab- schneiden und in den nachfolgenden Altersgruppen an Boden verlieren. Wich- tig ist deshalb erst einmal, dass wir dieses hohe Niveau bei den 12-Jährigen halten. Daher müssen wir weiter auf allen Ebenen so intensiv wie bisher Prävention betrei- ben. Wenn wir nämlich jetzt in unseren Be- mühungen nachlassen, geht das Erreichte sehr schnell wieder verloren. BZB: Trotz aller Erfolge: Worin liegen jetzt und in Zukunſt die größten He- rausforderungen? Wo sehen Sie noch besonderen Handlungsbedarf? Zimmer: Es gibt Präventionslücken, die fast die gesamte Bevölkerung be- „So intensiv wie bisher Prävention betreiben“ Interview mit DGPZM-Präsident Prof. Dr. Stefan Zimmer Foto: Initiative proDente/Johann Peter Kierzkowski Die Gruppen- und Individual- prophylaxe hat zu einer deutlichen Verbesserung der Mundgesundheit geführt. „Am 1. Juli dieses Jahres startet die frühkindliche Prophylaxe ab dem sechsten Lebensmonat. Damit wird eine Präventionslücke geschlossen, die zur frühkindlichen Karies im Milchgebiss geführt und bisher dafür gesorgt hat, dass wir bei der Zahngesundheit der unter 6-Jährigen nicht gut dastanden.“ politik BLZK

Foto: Initiative proDente/Johann Peter Kierzkowski · 2019. 5. 7. · Die Gruppen- und Individual-Foto: Initiative proDente/Johann Peter Kierzkowski prophylaxe hat zu einer deutlichen

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Page 1: Foto: Initiative proDente/Johann Peter Kierzkowski · 2019. 5. 7. · Die Gruppen- und Individual-Foto: Initiative proDente/Johann Peter Kierzkowski prophylaxe hat zu einer deutlichen

28 BZB Mai 2019

Der Bayerische Zahnärztetag feiert

in diesem Jahr seinen 60. Geburts-

tag. Die Deutsche Gesellschaft für

Präventivzahnmedizin (DGPZM) ist

Kooperations partner für das wissen-

schaftliche Programm. Im Interview

mit dem BZB spricht der Präsident der

DGPZM, Prof. Dr. Stefan Zimmer, über

aktuelle Entwicklungen in der präven-

tiven Zahnmedizin und zeigt die He-

rausforderungen der Zukunft auf. Der

Inhaber des Lehrstuhls für Zahnerhal-

tung und Präventive Zahnmedizin an

der Universität Witten/Herdecke gibt

auch einen ersten Einblick in das Pro-

gramm der Jubiläumsveranstaltung.

BZB: Die Fünfte Deutsche Mund-

gesundheitsstudie hat gezeigt, dass

sich die Mundgesundheit hierzulande

in den letzten Jahrzehnten deutlich

verbessert hat. Im internationalen Ver-

gleich liegt Deutschland in wichtigen

Bereichen sogar an der Spitze. Welche

Bereiche sind das und wie können

diese Spitzenplätze auf Dauer gehalten

werden?

Zimmer: Weltspitze sind wir bei den

12-Jährigen. Das ist wichtig, weil damit die

Grundlage für einen zahngesunden Start

ins Erwachsenenleben geschaffen ist. Bei

den durchschnittlich 40-Jährigen liegen

wir in puncto Karies auf einem guten

Mittelfeldplatz und bei den 70-Jährigen

im Vorderfeld. Nicht so gut sieht es bei der

Parodontitis aus. Bei den durchschnittlich

40-Jährigen liegen wir international ins-

gesamt im unteren Mittelfeld und bei den

durchschnittlich 70-Jährigen sogar im

hinteren Drittel. Allerdings gibt es für die

Parodontitis international recht wenige

Vergleichsdaten, sodass diese Ein ordnung

auch verzerrt sein kann. Feststeht, dass

wir bei den Jugendlichen sehr gut ab-

schneiden und in den nachfol genden

Altersgruppen an Boden verlieren. Wich-

tig ist deshalb erst einmal, dass wir dieses

hohe Niveau bei den 12-Jährigen halten.

Daher müssen wir weiter auf allen Ebenen

so intensiv wie bisher Prävention betrei-

ben. Wenn wir nämlich jetzt in unseren Be-

mühungen nachlassen, geht das Erreichte

sehr schnell wieder verloren.

BZB: Trotz aller Erfolge: Worin liegen

jetzt und in Zukunft die größten He-

rausforderungen? Wo sehen Sie noch

besonderen Handlungsbedarf?

Zimmer: Es gibt Präventionslücken,

die fast die gesamte Bevölkerung be-

„So intensiv wie bisherPrävention betreiben“Interview mit DGPZM-Präsident Prof. Dr. Stefan Zimmer

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Die Gruppen- und Individual-prophylaxe hat zu einer deutlichen Verbesserung der Mund gesundheit geführt.

„Am 1. Juli dieses Jahres startet

die frühkindliche Prophylaxe

ab dem sechsten Lebensmonat.

Damit wird eine Präventionslücke

geschlossen, die zur frühkindlichen

Karies im Milchgebiss geführt und

bisher dafür gesorgt hat, dass wir

bei der Zahngesundheit der unter

6-Jährigen nicht gut dastanden.“

politik BLZK

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BZB Mai 2019 29

BZB: Zum Jubiläum lautet das Leit-

thema „60 Jahre Bayerischer Zahn-

ärztetag – 60 Jahre Prophylaxe“.

Können Sie einen kurzen Überblick

zu den Schwerpunkten des wissen-

schaftlichen Programms geben?

Zimmer: Wir haben es geschafft, ei-

nen großen Bogen zu spannen, sowohl

chronologisch als auch thematisch. Das

Programm reicht von der Prävention beim

Kleinkind unter Berücksichtigung der

neuen Bema-Positionen und der neuen

Empfehlungen für Kinderzahnpasten bis

zu den Herausforderungen, die der de-

mografische Wandel mit sich bringt – zum

Beispiel bei der Betreuung pflegebedürfti-

ger Menschen. Dabei haben wir die beiden

wichtigsten oralen Erkrankungen, Karies

und Parodontitis, aber auch Funktionsstö-

rungen im Blick. Über allem aber steht bei

der Planung die Praxisrelevanz. Wir wollen

erreichen, dass die Teilnehmer möglichst

viel neu erworbenes Wissen unmittelbar

in der Praxis umsetzen können. >>

nen Pflegebedürftigen, die häufig nicht

mehr in der Lage sind, eine adäquate

Mundhygiene durchzuführen oder einen

Zahnarzt aufzusuchen. Deshalb müssen

wir hier mehr tun – und zwar nicht erst

dann, wenn die Menschen in der stationä-

ren Pflege, also im Altersheim, angekom-

men sind, sondern ab dem Zeitpunkt, an

dem der Unterstützungsbedarf eintritt.

Das ist fast immer in der häuslichen Pflege

der Fall. Dort müssen wir ansetzen. Übri-

gens leben rund 75 Prozent aller Pflege-

bedürftigen zu Hause, wo sie natürlich

nicht so gut zu erreichen sind wie in einem

Senioren- oder Pflegeheim.

BZB: Die DGPZM ist Kooperationspart ner

des 60. Bayerischen Zahnärzte tages.

Was hat Sie und Ihre Fachgesell schaft

bewogen, sich am wissenschaftlichen

Programm der Fortbildungsveranstal-

tung zu beteiligen?

Zimmer: Als wissenschaftliche Fach-

gesellschaft sehen wir eine unserer we-

sentlichen Aufgaben darin, eine Brücke

zwischen Wissenschaft und Praxis zu

schlagen. Da kam uns das Angebot zur

Mitgestaltung des 60. Bayerischen Zahn-

ärztetages sehr gelegen, denn er ist einer

der renommiertesten und bestbesuchten

Fortbildungskongresse in ganz Deutsch-

land. Wir mussten also nicht lange über-

legen, ob wir dieses Angebot annehmen.

treffen. Bis zum 18. Geburtstag gibt es

strukturierte und von den gesetzlichen

Krankenkassen finanzierte Präventions-

programme, zunächst die Gruppenpro-

phylaxe in Kindergärten und Schulen,

die bei den 6- bis 18-Jährigen durch die

IP- Positionen ergänzt beziehungsweise

fortgeführt wird. Am 1. Juli dieses Jahres

startet die frühkindliche Prophylaxe ab

dem sechsten Lebensmonat. Damit wird

eine Präventionslücke geschlossen, die

zur frühkindlichen Karies im Milch gebiss

geführt und bisher dafür gesorgt hat, dass

wir bei der Zahngesundheit der unter

6-Jährigen nicht gut dastanden.

Die nächste Lücke tut sich nach dem

Auslaufen der IP auf, also mit 18 Jahren.

Ab diesem Zeitpunkt sind die Patienten

– was die Prävention angeht – auf sich

allein gestellt. Das kann man in einem

wohlhabenden Land wie Deutschland

sicher vertreten, weil hier im Prinzip je-

der gesunde Erwachsene für sich selbst

sorgen kann. Aber wir sehen eben auch,

dass danach die Mundgesundheit deut-

lich schlechter wird. Deshalb bin ich der

Ansicht, dass wir für Erwachsene mehr

tun müssen. In Deutschland sind rund

45 Millionen Menschen berufstätig. Es

bietet sich daher an, die Prophylaxe mit

einem niedrigschwelligen Angebot an

den Arbeitsplatz zu bringen – vergleich-

bar mit der Gruppenprophylaxe. Ein erstes

Modellprojekt führen wir aktuell in einem

Unternehmen in Verden an der Aller durch.

Ich bin überzeugt davon, dass sich mit sol-

chen Modellen die Mundgesundheit der

Erwachsenen weiter verbessern lässt.

Nicht vergessen dürfen wir pflege-

bedürftige Menschen. Diese Bevölkerungs-

gruppe wächst in Deutschland aufgrund

der demografischen Entwicklung rasant.

Aktuell sprechen wir von bis zu 3,5 Millio-

„In Deutschland sind rund 45 Millio-

nen Menschen berufstätig. Es bietet

sich daher an, die Prophylaxe mit

einem niedrigschwelligen Angebot

an den Arbeitsplatz zu bringen

– vergleichbar mit der Gruppen-

prophylaxe.“

Prof. Dr. Stefan Zimmer ist Präsident der DGPZM und Inhaber des Lehrstuhls für Zahn-erhaltung und Präventive Zahnmedizin an der Universität Witten/Herdecke.

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ÜBER DIE DGPZM

Die Deutsche Gesellschaft für Prä-

ventivzahnmedizin (DGPZM) ist eine

wissenschaftliche Gesellschaft, die

sich mit der Förderung und Verbes-

serung der Mundgesundheit, der

Verhütung oraler Erkrankungen und

der Stärkung von Ressourcen zur

Gesunderhaltung befasst. Sie steht

unter dem Dach der Deutschen

Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ)

und im Verbund mit der Deutschen

Gesellschaft für Restaurative und

Regenerative Zahnerhaltung (DGR2Z)

sowie der Deutschen Gesellschaft

für Endodontologie und zahnärzt-

liche Traumatologie (DGET).

Ausführliche Informationen zur

DGPZM gibt es im Internet:

www.dgpzm.de

politik BLZK

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30 BZB Mai 2019

druck bringt – in den letzten Jahrzehnten

enorm entwickelt haben. Die Professionelle

Zahnreinigung als Kernstück der profes-

sionellen Prävention wird mittlerweile

von sehr vielen Patienten nachgefragt

und in sehr vielen Praxen angeboten.

Viele Prophylaxeassistentinnen, Dental-

hygienikerinnen und Zahnmedizinische

Fachassistentinnen wurden in den letzten

Jahrzehnten qualifiziert und leisten her-

vorragende Arbeit. Diese Entwicklung wird

sich auch im nächsten Jahrzehnt fortset-

zen. Da bin ich mir sicher.

BZB: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Isolde M. Th. Kohl.

die Zahnmedizin einen deutlich höheren

Stellenwert im betrieblichen Gesundheits-

management gewinnen wird. Die Verwen-

dung von fluoridiertem Speisesalz in der

Gemeinschaftsverpflegung und andere

niedrigschwellige Prophylaxeangebote,

zum Beispiel die Verwendung von Mund-

spüllösungen und zuckerfreien Kaugum-

mis, können hier neben Maßnahmen zur

Verbesserung der Mundhygiene und der

Ernährung einen wichtigen Beitrag leisten,

um die Mundgesundheit bei Erwachsenen

insgesamt zu verbessern.

Nicht vergessen möchte ich auch die

vielfältigen Prophylaxeangebote in den

Zahnarztpraxen, die sich – wie der Titel des

60. Bayerischen Zahnärztetages zum Aus-

BZB: Wie wird sich die Prävention im

nächsten Jahrzehnt weiterentwickeln?

Zimmer: Mein Blick in die Zukunft

ist natürlich nicht unwesentlich von per-

sönlichen Wunschvorstellungen geprägt.

Realistisch ist, dass wir durch die neuen

Bema-Leistungspositionen zu Früherken-

nungsuntersuchungen und zur Fluori-

dierung sowie durch die neuen Empfeh-

lungen zu Kinderzahnpasten mit einer

verbesserten Fluoridwirkung bei Kindern

unter sechs Jahren einen großen Schritt

nach vorne machen werden.

Ich glaube auch, dass wir am anderen

Ende des Lebensbogens in der nächsten

Dekade erhebliche Fortschritte bei der

zahnmedizinischen Betreuung von pflege-

bedürftigen Menschen machen werden.

Hier werden die Expertenstandards zur

Mundhygiene bei Pflegebedürftigen, die

derzeit entwickelt werden, einen Fort-

schritt bringen. Da Expertenstandards in

der Pflege verpflichtend umgesetzt wer-

den müssen, wird die Mundhygiene in

der Pflege einen viel höheren Stellenwert

bekommen als bisher. Aus meiner Sicht ist

dies der Schlüssel zu mehr Mundgesund-

heit bei dieser Personengruppe.

Als Zahnärzte müssen wir in den nächs-

ten zehn Jahren aber auch realistische Kon-

zepte entwickeln, wie wir Pflege bedürftige

in Alters- und Pflegeeinrichtungen, aber

auch in der häuslichen Pflege, effizient

betreuen können. Bei Letzteren liegt der

Schlüssel in der Kooperation mit ambu-

lanten Pflegediensten, die entweder selbst

die Pflege übernehmen oder eine wichtige,

gesetzlich vorgeschriebene Beratungsfunk-

tion der pflegenden Angehörigen wahrneh-

men. Bei der Einschätzung der Entwicklung

zwischen diesen beiden Alterspolen bin ich

etwas vorsichtiger. Ich hoffe natürlich, dass

INFORMATIONEN UND ANMELDUNG

Eine Übersicht über Referenten und Vorträge des 60. Bayerischen Zahnärzte-

tages ist auf Seite 39 dieser BZB-Ausgabe abgedruckt. In der Anzeige gibt es

einen Coupon zur Bestellung des ausführlichen Programms.

Bis zum 16. September erhalten Zahnärzte und Praxisange-

stellte einen Frühbucherrabatt.

Weitere Informationen und ein Online-Anmeldeformular

finden Interessenten im Internet:

www.bayerischer-zahnaerztetag.de

Die Mobilität pflegebedüftiger Menschen ist häufig so stark eingeschränkt, dass die Betroffenen auf Hilfe bei der Mundhygiene angewiesen sind.

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„Da Expertenstandards in der Pflege

verpflichtend umgesetzt werden

müssen, wird die Mundhygiene in

der Pflege einen viel höheren Stel-

lenwert als bisher bekommen. Aus

meiner Sicht ist dies der Schlüssel

zu mehr Mundgesundheit bei dieser

Personengruppe.“

politik BLZK