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In ganz Deutschland entstehen seit eini- gen Jahren Zentren, in denen Nachwuchs- wissenschaftler das richtige Lehren ler- nen und Zertifikate in Hochschuldidaktik erwerben können. In aller Regel ist die Teil- nahme an den Kursen freiwillig. Lediglich in Bayern ist der Besuch von zwei Semina- ren – zu Hochschuldidaktik und Rechts- grundlagen für die Lehre – bei Neuberu- fungen verpflichtend. Einen Überblick bie- tet die Deutsche Gesellschaft für Hoch- schuldidaktik unter www.dghd.de/hoch- schuldidaktische-institutionen.html von jeannette goddar E s ist noch ruhig in der Silberlaube der Freien Universität Berlin. Im Erd- geschoss machen elf Nachwuchs- wissenschaftler Inventur. Doch sie erfas- sen nicht die Bestände eines Geschäfts, sondern sie zählen Gegenstände in ihrem Kopf. 22 Dinge sollen es mindestens wer- den, hat ihr Dozent Harald Groß gesagt. Schnell füllen sich die Blöcke mit Notizen. Niedergeschrieben wird all das, was den Teilnehmern zu ihrem letzten Treffen ein- fällt, das einen Monat zurückliegt. Zum Bei- spiel: Zielgruppe. Stoffreduktion. Stimme zum Klingen bringen. Stichwortsalat. Lehr- drehbuch. „Erstaunlich“, murmelt die jun- ge Erziehungswissenschaftlerin Valentina Piwowar, „ich hätte gar nicht gedacht, dass ich mich an so viel erinnere.“ Vorhandenes, aber unter Umständen vergrabenes Wissen zu reaktivieren, ist Sinn und Zweck der Inventur, die nicht nur ein Schlagwort, sondern eine Unterrichts- methode ist. Harald Groß fordert die Teil- nehmer auf, „tief in ihren Wissensnetzen zu kramen“. Es dürfe „gern ein wenig an- strengend“ sein. „Geliebt,“ fügt er hinzu, „werden Sie dafür erst einmal nicht. Ma- chen Sie sich darauf gefasst.“ Das nämlich ist der zweite Zweck der Übung: Die Teilnehmer lernen Methoden kennen, probieren sie aus und können dann entscheiden, ob sie diese selbst ein- mal in der Lehre anwenden wollen. „Stop- and-go-Verfahren“ nennt Groß das. „Wir erleben in unserem Kurs etwas – und im Anschluss schauen wir: Was haben wir da gerade gemacht?“ Aus ganz verschiedenen Fakultäten der Freien Universität (FU) kommen die elf zu- sammen, es sind Biomediziner, Informati- ker, Psychologen oder Erziehungswissen- schaftler, Promovenden, Juniorprofesso- ren oder wissenschaftliche Mitarbeiter. Ge- meinsam ist ihnen, dass sie eine akademi- sche Laufbahn anstreben und auf dem Weg dorthin auch lernen wollen, wie man Studierende so unterrichtet, dass am Ende noch alle wach sind und etwas gelernt ha- ben. Um dorthin zu kommen, haben sie sich für das Programm „Support für die Lehre“ angemeldet, für das sie nach 165 Stunden das Hochschuldidaktische Zertifi- kat der FU Berlin erhalten werden. Auf das Grundlagenmodul, das die elf Wissenschaftler gerade besuchen, folgt ein achttägiges Aufbaumodul, in dem Se- minare zu schwierigen Lehrsituationen, forschungsorientierter Lehre, Teamarbeit und Online-Learning angeboten werden. Als dritten Schritt begleiten sie sich gegen- seitig beim Planen, Durchführen und Eva- luieren einer Lehrveranstaltung. Danach erstellt sich jeder ein eigenes Lehrportfo- lio, eine Art Mappe, die darüber Auskunft gibt, welche Lehrkompetenzen und Lehrer- fahrungen jemand hat. Das FU-Programm, das jedes Semester 50 bis 60 Nachwuchswissenschaftler auf- nimmt, ist Teil des „Qualitätspakts Lehre“, mit dem Bund und Länder seit dem Jahr 2011 Antwort auf die Vernachlässigung sel- biger im akademischen System geben wol- len. Die Federführung liegt bei der FU-eige- nen Arbeitsstelle Lehr- und Studienquali- tät am Fachbereich Erziehungswissen- schaften und Psychologie. 2012 ging es an den Start. Das Interesse ist groß. „Auch ich selber habe mehr Freude am Lehren, wenn ich das Gefühl habe, ich ma- che das gut und die Studierenden nehmen möglichst viel mit“, sagt die wissenschaftli- che Mitarbeiterin Valentina Piwowar, „na- türlich nutze ich das.“ „Ich bringe Studenten gerne etwas bei. Und ich habe stark den Eindruck, dass man das wirklich lernen kann“, sagt Ste- phan Hühn, der sich gerade am Fachbe- reich Veterinärmedizin habilitiert. Nach dieser Zeit ist seine wissenschaftliche Zu- kunft ebenso wenig gesichert wie die aller anderen im Raum – und all der Tausenden, die nicht hier sitzen und sich nach ein, zwei oder drei Jahren wieder einen neuen Platz im Wissenschaftsbetrieb suchen müssen. Der junge Biomediziner ist auch hier, um seine Chancen zu verbessern: „Ich bin mir sicher, dass es wichtiger wird, nachweisen zu können, dass man auch lehren kann.“ Der Besuch des Programms ist freiwil- lig. Sein Wert hat sich noch nicht bis in die letzte Ecke der FU herumgesprochen: Bei der Vorstellungsrunde wird auch von Pro- fessoren berichtet, die von der Teilnahme geradezu abrieten und darauf verwiesen, man möge sich doch besser um seine Publi- kationen kümmern. Einer hat sogar Ur- laub genommen, um dabei zu sein. Gesine Heinrich, Koordinatorin des Programms, sagt: „So ein Gesinnungswandel braucht Zeit. Aber erste Anzeichen, dass Lehre erns- ter genommen wird, sehen wir durchaus. Wenn Sie sich die Stellenanzeigen anschau- en, stellen Sie fest: Auch Lehrnachweise werden inzwischen vielerorts gefragt.“ Trainer Harald Groß lässt die Teilneh- mer die „Munterrichtsmethoden“ (so auch der Titel seines Buchs) immer wieder sel- ber ausprobieren, vor der Gruppe präsen- tieren undreflektieren. Er zählt „Verständ- lichmacher“ auf – von Einfachheit über Gliederung bis Kürze – und fordert fünf Freiwillige auf, erst mal deren Gegenteile vorzuführen: Die Teilnehmer rattern un- motiviert einen Text herunter, schweifen ab, formen Kettensätze oder reden Latein. „Die Katabolisierung von Acetaldehyd . . .“, setzt Stephan Hühn an und alle sind froh, als er nach wenigen Sätzen abbricht. Auch wenn das Gegenteil – also ein gut gegliederter Vortrag in kurzen, prägnan- ten Sätzen, mit anschaulichen Beispielen, möglichst frei gesprochen – nicht leicht ist, lernen hier die Teilnehmer nahezu in Zuschaugeschwindigkeit dazu. „Schon nach den ersten zwei Tagen fühlte ich mich sicherer, sagt Valentina Piwowar. „Und als ich neulich einen Vortrag halten musste, fiel es mir viel leichter, auch das Publikum miteinzubeziehen.“ Zwei Punkte betont Harald Groß mehr- mals. Erstens: „Alles ist wichtig – das gilt beim Sicherheitscheck eines Flugzeugs. Aber nicht in der Lehre.“ Er empfiehlt dazu ein Buch mit dem Titel „Viel Stoff – wenig Zeit. Wege aus der Vollständigkeitsfalle.“ Zweitens: „Guter Unterricht wechselt Ein- und Ausatmen ab.“ Gemeint ist dabei nicht die Atemtechnik, sondern der Wechsel von Phasen, in denen der Lehrende etwas ver- mittelt, und Phasen, in denen die Studen- ten selbst denken oder reden. Letztlich, sagt Groß, gehe es ihm vor allem darum, dass der Dozent nicht länger vorn steht und doziert, sondern Trainer oder Lernbe- gleiter wird. Das ist in der Wissenschaft nicht anders als in der Grundschule: Auch universitäres Lernen lebt von Unterricht, der zum eigenständigen Denken anregt und alle mitnimmt. Zentren für Lehre Frontalunterricht an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Wie schafft man es als Dozent, auch noch die Studenten in der letzten Reihe zu erreichen? FOTO: DPA Alle noch wach? Die wenigsten Hochschullehrer haben gelernt, wie man einen spannenden Vortrag hält oder eine Diskussion im Seminar leitet. Für den Nachwuchs ändert sich das langsam: Junge Wissenschaftler wollen auch professionell unterrichten. Zu Besuch in einem Seminar ANZEIGE Süddeutsche Zeitung BEILAGE Donnerstag, 6. November 2014 Bayern, Deutschland, München Seite 34 DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München A58472821 Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de test_abo_szpdf

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In ganz Deutschland entstehen seit eini-gen Jahren Zentren, in denen Nachwuchs-wissenschaftler das richtige Lehren ler-nen und Zertifikate in Hochschuldidaktikerwerben können. In aller Regel ist die Teil-nahme an den Kursen freiwillig. Lediglichin Bayern ist der Besuch von zwei Semina-ren – zu Hochschuldidaktik und Rechts-grundlagen für die Lehre – bei Neuberu-fungen verpflichtend. Einen Überblick bie-tet die Deutsche Gesellschaft für Hoch-schuldidaktik unter www.dghd.de/hoch-schuldidaktische-institutionen.html

von jeannette goddar

E s ist noch ruhig in der Silberlaubeder Freien Universität Berlin. Im Erd-geschoss machen elf Nachwuchs-

wissenschaftler Inventur. Doch sie erfas-sen nicht die Bestände eines Geschäfts,sondern sie zählen Gegenstände in ihremKopf. 22 Dinge sollen es mindestens wer-den, hat ihr Dozent Harald Groß gesagt.Schnell füllen sich die Blöcke mit Notizen.Niedergeschrieben wird all das, was denTeilnehmern zu ihrem letzten Treffen ein-fällt, das einen Monat zurückliegt. Zum Bei-spiel: Zielgruppe. Stoffreduktion. Stimmezum Klingen bringen. Stichwortsalat. Lehr-drehbuch. „Erstaunlich“, murmelt die jun-ge Erziehungswissenschaftlerin ValentinaPiwowar, „ich hätte gar nicht gedacht, dassich mich an so viel erinnere.“

Vorhandenes, aber unter Umständenvergrabenes Wissen zu reaktivieren, istSinn und Zweck der Inventur, die nicht nurein Schlagwort, sondern eine Unterrichts-methode ist. Harald Groß fordert die Teil-nehmer auf, „tief in ihren Wissensnetzenzu kramen“. Es dürfe „gern ein wenig an-strengend“ sein. „Geliebt,“ fügt er hinzu,„werden Sie dafür erst einmal nicht. Ma-chen Sie sich darauf gefasst.“

Das nämlich ist der zweite Zweck derÜbung: Die Teilnehmer lernen Methodenkennen, probieren sie aus und könnendann entscheiden, ob sie diese selbst ein-mal in der Lehre anwenden wollen. „Stop-and-go-Verfahren“ nennt Groß das. „Wirerleben in unserem Kurs etwas – und imAnschluss schauen wir: Was haben wir dagerade gemacht?“

Aus ganz verschiedenen Fakultäten derFreien Universität (FU) kommen die elf zu-sammen, es sind Biomediziner, Informati-ker, Psychologen oder Erziehungswissen-

schaftler, Promovenden, Juniorprofesso-ren oder wissenschaftliche Mitarbeiter. Ge-meinsam ist ihnen, dass sie eine akademi-sche Laufbahn anstreben und auf demWeg dorthin auch lernen wollen, wie manStudierende so unterrichtet, dass am Endenoch alle wach sind und etwas gelernt ha-ben. Um dorthin zu kommen, haben siesich für das Programm „Support für dieLehre“ angemeldet, für das sie nach 165Stunden das Hochschuldidaktische Zertifi-kat der FU Berlin erhalten werden.

Auf das Grundlagenmodul, das die elfWissenschaftler gerade besuchen, folgtein achttägiges Aufbaumodul, in dem Se-minare zu schwierigen Lehrsituationen,forschungsorientierter Lehre, Teamarbeitund Online-Learning angeboten werden.Als dritten Schritt begleiten sie sich gegen-seitig beim Planen, Durchführen und Eva-luieren einer Lehrveranstaltung. Danacherstellt sich jeder ein eigenes Lehrportfo-lio, eine Art Mappe, die darüber Auskunftgibt, welche Lehrkompetenzen und Lehrer-fahrungen jemand hat.

Das FU-Programm, das jedes Semester50 bis 60 Nachwuchswissenschaftler auf-nimmt, ist Teil des „Qualitätspakts Lehre“,mit dem Bund und Länder seit dem Jahr2011 Antwort auf die Vernachlässigung sel-biger im akademischen System geben wol-len. Die Federführung liegt bei der FU-eige-nen Arbeitsstelle Lehr- und Studienquali-tät am Fachbereich Erziehungswissen-schaften und Psychologie. 2012 ging es anden Start. Das Interesse ist groß.

„Auch ich selber habe mehr Freude am

Lehren, wenn ich das Gefühl habe, ich ma-che das gut und die Studierenden nehmenmöglichst viel mit“, sagt die wissenschaftli-che Mitarbeiterin Valentina Piwowar, „na-türlich nutze ich das.“

„Ich bringe Studenten gerne etwas bei.Und ich habe stark den Eindruck, dassman das wirklich lernen kann“, sagt Ste-phan Hühn, der sich gerade am Fachbe-reich Veterinärmedizin habilitiert. Nachdieser Zeit ist seine wissenschaftliche Zu-kunft ebenso wenig gesichert wie die alleranderen im Raum – und all der Tausenden,

die nicht hier sitzen und sich nach ein, zweioder drei Jahren wieder einen neuen Platzim Wissenschaftsbetrieb suchen müssen.Der junge Biomediziner ist auch hier, umseine Chancen zu verbessern: „Ich bin mirsicher, dass es wichtiger wird, nachweisenzu können, dass man auch lehren kann.“

Der Besuch des Programms ist freiwil-lig. Sein Wert hat sich noch nicht bis in dieletzte Ecke der FU herumgesprochen: Beider Vorstellungsrunde wird auch von Pro-fessoren berichtet, die von der Teilnahmegeradezu abrieten und darauf verwiesen,man möge sich doch besser um seine Publi-kationen kümmern. Einer hat sogar Ur-laub genommen, um dabei zu sein. GesineHeinrich, Koordinatorin des Programms,sagt: „So ein Gesinnungswandel brauchtZeit. Aber erste Anzeichen, dass Lehre erns-ter genommen wird, sehen wir durchaus.Wenn Sie sich die Stellenanzeigen anschau-en, stellen Sie fest: Auch Lehrnachweisewerden inzwischen vielerorts gefragt.“

Trainer Harald Groß lässt die Teilneh-mer die „Munterrichtsmethoden“ (so auchder Titel seines Buchs) immer wieder sel-ber ausprobieren, vor der Gruppe präsen-tieren und reflektieren. Er zählt „Verständ-lichmacher“ auf – von Einfachheit überGliederung bis Kürze – und fordert fünfFreiwillige auf, erst mal deren Gegenteilevorzuführen: Die Teilnehmer rattern un-motiviert einen Text herunter, schweifenab, formen Kettensätze oder reden Latein.„Die Katabolisierung von Acetaldehyd . . .“,setzt Stephan Hühn an und alle sind froh,als er nach wenigen Sätzen abbricht.

Auch wenn das Gegenteil – also ein gutgegliederter Vortrag in kurzen, prägnan-ten Sätzen, mit anschaulichen Beispielen,möglichst frei gesprochen – nicht leichtist, lernen hier die Teilnehmer nahezu inZuschaugeschwindigkeit dazu. „Schon

nach den ersten zwei Tagen fühlte ich michsicherer, sagt Valentina Piwowar. „Und alsich neulich einen Vortrag halten musste,fiel es mir viel leichter, auch das Publikummiteinzubeziehen.“

Zwei Punkte betont Harald Groß mehr-mals. Erstens: „Alles ist wichtig – das giltbeim Sicherheitscheck eines Flugzeugs.Aber nicht in der Lehre.“ Er empfiehlt dazuein Buch mit dem Titel „Viel Stoff – wenigZeit. Wege aus der Vollständigkeitsfalle.“Zweitens: „Guter Unterricht wechselt Ein-und Ausatmen ab.“ Gemeint ist dabei nichtdie Atemtechnik, sondern der Wechsel vonPhasen, in denen der Lehrende etwas ver-mittelt, und Phasen, in denen die Studen-ten selbst denken oder reden. Letztlich,sagt Groß, gehe es ihm vor allem darum,dass der Dozent nicht länger vorn stehtund doziert, sondern Trainer oder Lernbe-gleiter wird. Das ist in der Wissenschaftnicht anders als in der Grundschule: Auchuniversitäres Lernen lebt von Unterricht,der zum eigenständigen Denken anregtund alle mitnimmt.

Zentren für Lehre

Frontalunterricht an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Wie schafft man es als Dozent, auch noch die Studenten in der letzten Reihe zu erreichen? FOTO: DPA

Alle noch wach?Die wenigsten Hochschullehrer haben gelernt, wie man einen spannenden Vortrag hält oder eine Diskussion im Seminar leitet.Für den Nachwuchs ändert sich das langsam: Junge Wissenschaftler wollen auch professionell unterrichten. Zu Besuch in einem Seminar

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Süddeutsche Zeitung BEILAGE Donnerstag, 6. November 2014

Bayern, Deutschland, München Seite 34

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