1
HINTERGRUND 9 Donnerstag, 16. April 2015 Fotos: Bernhard Limberger, ZVG andrea.trueb @ringier.ch F est, flüssig, gasförmig und Plasma heissen die vier physikalischen Aggre- gatzustände. Auf der Erde kommt Materie meistens in den ersten drei Formen vor. Nach dem vierten Aggregat- zustand muss man schon genauer suchen – in Blitz- entladungen beispielsweise oder künstlich hergestellt in Neonröhren oder Plasma- bildschirmen. Aber genau dieses sogenannte «kalte Plasma» macht zunehmend von sich reden – als eigent- liches Wundermittel. Gerade in der Medizin scheint kaltes Plasma am Anfang einer grossen Karriere zu stehen. Es tötet multi- resistente Bakterien, des- infiziert und sterilisiert – und dies alles schonend und, so weit bekannt ist, ohne Nebenwirkungen. Eine Studie mit mehr als 3000 Plasmabehand- lungen, welche das Max- Planck-Institut für extra- terrestrische Physik in Kooperation mit dem Tech- nologie-Start-up Terraplas- ma GmbH, dem Klinikum Schwabing in München und dem Universitäts- klinikum in Regensburg über acht Jahre hinweg durchführte, verlief ohne Nebenwirkungen und allergi- sche Reaktionen. Behandelt wurden chro- nische sowie akute Wun- den sowie Patienten mit Herpes Zos- ter (auch als Gürtelrose bekannt). Das Ergebnis: Die Wunden heil- ten im Schnitt um ein Drittel schneller. Dies nicht nur allein durch das Abtöten der Bakterien, wie CEO Julia Zimmermann erklärt. Vielmehr produziere das Plasma auch kleine Men- gen an Stickstoffmonoxid, welches die Wundheilung an sich fördere. Auch bei der schmerz- haften Virenerkrankung Herpes Zoster verlief die Therapie vielversprechend: Der Heilungsprozess wurde beschleunigt, die Schmer- zen wurden reduziert. Das Gerät, mit dem die Studie durchgeführt wurde, wird noch in diesem Jahr auf den Markt gebracht. Erst im Labor und an Mäusen getestet wurde der Einsatz von kaltem Plasma gegen Krebsge- schwüre. «Dieses Thema steckt noch mitten in der Forschung», sagt Zimmer- mann. «Nichtsdesto- trotz sind die ersten Ergebnisse positiv und zeigen, dass Plasmen somit für die unterschied- lichsten Anwendungen de- signt werden können.» Nicht zuletzt im Kampf gegen die steigende Zahl an resistenten Keimen in Kran- kenhäusern ist kaltes Plas- ma ein willkommener Hoff- FORSCHUNG Kaltes Plasma tötet multi- resistente Bakterien, verbessert die Wundhei- lung und lässt Pflanzen schneller keimen. Schnellere Hei- lung und weni- ger Schmerzen. GUT ZU WISSEN Wie wirds gemacht? Plasma ist ein angeregter Gaszustand, erklärt Terraplasma- CEO Julia Zimmermann gegenüber Blick am Abend. Die Biophysikerin hält ausserdem fest, dass «Plasma nicht gleich Plasma» ist. Vielmehr sind Plasmen sehr unter- schiedlich und müssen bzw. können für spezielle Anwen- dungen designt werden. Grundsätzlich gilt: Um ein Plasma zu erzeugen, wird einem Gasgemisch Energie zugeführt, sodass sich die Elektronen aus den Atomen lösen. Nun hat man Elektronen und Ionen und zum Teil auch noch neutrale Atome – je nachdem wie viele Teilchen ionisiert werden. Der Anteil ionisierter Teilchen ist dann auch verantwortlich für die Temperatur des Plasmas. Ein kaltes Plasma ist ein nur teilweise ionisiertes Gas. Je heisser Plasmen sind, desto mehr Teilchen sind ionisiert. «Das ist ein Stoff mit vielen segensreichen Eigenschaften», sagt Plasmaphysiker Gregor Morfill, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und Plasma-Pionier. Unter seiner Leitung erforschten Wissenschaftler staubige Plasmen im Weltall, starteten Experimente mit sogenannt komplexen Plasmen und begannen schliesslich an der Anwendung von kalten Plasmen in Hygiene und Medizin zu arbeiten. Seit 2011 leitet Morfill das Technologie-Start-up Terraplasma GmbH. ant nungsträger. So könnte der Stoff in der Handdesinfekti- on, Oberflächendesinfekti- on oder auch Wundfelddes- infektion nach einer Opera- tion zum Einsatz kommen. Hinzu kommen Wasser- aufbereitung (Herstellung von Trinkwasser, Abwas- seraufbereitung), Geruchs- management und nicht zu- letzt die Landwirtschaft (erhöhte Keimungsrate, Schutz vor Bakterien und Pilzen) als weitere Anwen- dungsbereiche. l Die Bakterien-Killerin «Die Ergebnisse sind sehr gut.» Julia Zimmermann, Biophysikerin und CEO der Terraplasma GmbH. Kommt noch in diesem Jahr auf den Markt Das in den klinischen Studien verwendete Plasmagerät.

Fotos: Bernhard Limberger, ZVG Die Bakterien-Killerin · Fotos: Bernhard Limberger, ZVG andrea.trueb @ringier.ch Fest, flüssig, gasförmig und Plasma heissen die vier physikalischen

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Fotos: Bernhard Limberger, ZVG Die Bakterien-Killerin · Fotos: Bernhard Limberger, ZVG andrea.trueb @ringier.ch Fest, flüssig, gasförmig und Plasma heissen die vier physikalischen

HINTERGRUND 9Donnerstag, 16. April 2015

Foto

s: B

ern

har

d Li

mbe

rger

, ZV

G

andrea.trueb @ringier.ch

F est, flüssig, gasförmig und Plasma heissen die

vier physikalischen Aggre­gatzustände. Auf der Erde kommt Materie meistens in den ersten drei Formen vor. Nach dem vierten Aggregat­zustand muss man schon genauer suchen – in Blitz­entladungen beispielsweise oder künstlich hergestellt in Neonröhren oder Plasma­bildschirmen. Aber genau dieses sogenannte «kalte Plasma» macht zunehmend von sich reden – als eigent­liches Wundermittel.

Gerade in der Medizin scheint kaltes Plasma am A nfang einer grossen Karriere zu stehen. Es tötet multi­resistente Bakterien, des­infiziert und sterilisiert – und dies alles schonend und, so weit bekannt ist, ohne Nebenwirkungen.

Eine Studie mit mehr als 3000 Plasmabehand­

lungen, welche das Max­Planck­Institut für extra­terrestrische Physik in Kooperation mit dem Tech­nologie­Start­up Terraplas­ma GmbH, dem Klinikum Schwabing in München und dem Universitäts­klinikum in Regensburg über acht Jahre hinweg durchführte, verlief ohne Nebenwirkungen und allergi-sche Reaktionen. Behandelt wurden chro­nische sowie akute Wun­den sowie Patienten mit Herpes Zos­ter (auch als Gürtelrose bekannt). Das Ergebnis: Die Wunden heil-ten im Schnitt um ein Drittel schneller. Dies nicht nur allein durch das Abtöten der Bakterien, wie CEO Julia Zimmermann erklärt. Vielmehr produziere das Plasma auch kleine Men­gen an Stickstoffmonoxid,

welches die Wundheilung an sich fördere.

Auch bei der schmerz­haften Virenerkrankung Herpes Zoster verlief die Therapie vielversprechend: Der Heilungsprozess wurde beschleunigt, die Schmer­zen wurden reduziert. Das Gerät, mit dem die Studie durchgeführt wurde, wird noch in diesem Jahr auf den Markt gebracht.

Erst im Labor und an Mäusen getestet wurde der Einsatz von kaltem Plasma gegen Krebsge­schwüre. «Dieses Thema

steckt noch mitten in der Forschung», sagt Zimmer­mann. «Nichtsdesto­trotz sind die

ersten Ergebnisse positiv und zeigen, dass Plasmen somit für die unterschied­lichsten Anwendungen de­signt werden können.»

Nicht zuletzt im Kampf gegen die steigende Zahl an resistenten Keimen in Kran­kenhäusern ist kaltes Plas­ma ein willkommener Hoff­

FORSCHUNG →Kaltes Plasma tötet multi­resistente Bakterien, verbessert die Wundhei­lung und lässt Pflanzen schneller keimen.

Schnellere Hei-lung und weni-ger Schmerzen.

→ GUT ZU WISSEN

Wie wirds gemacht?Plasma ist ein angeregter Gaszustand, erklärt Terraplasma-CEO Julia Zimmermann gegenüber Blick am Abend. Die Biophysikerin hält ausserdem fest, dass «Plasma nicht gleich Plasma» ist. Vielmehr sind Plasmen sehr unter-schiedlich und müssen bzw. können für spezielle Anwen-dungen de signt werden. Grundsätzlich gilt: Um ein Plasma zu erzeugen, wird einem Gasgemisch Energie zugeführt, sodass sich die Elektronen aus den Atomen lösen. Nun hat man Elektronen und Ionen und zum Teil auch noch neutrale Atome – je nachdem wie viele Teilchen ionisiert werden. Der Anteil ionisierter Teilchen ist dann auch verantwortlich für die Temperatur des Plasmas. Ein kaltes Plasma ist ein nur teilweise ionisiertes Gas. Je heisser Plasmen sind, desto mehr Teilchen sind ionisiert. «Das ist ein Stoff mit vielen segensreichen Eigenschaften», sagt Plasmaphysiker Gregor Morfill, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und Plasma-Pionier. Unter seiner Leitung erforschten Wissenschaftler staubige Plasmen im Weltall, starteten Experimente mit sogenannt komplexen Plasmen und begannen schliesslich an der Anwendung von kalten Plasmen in Hygiene und Medizin zu arbeiten. Seit 2011 leitet Morfill das Technologie-Start-up Terraplasma GmbH. ant

nungsträger. So könnte der Stoff in der Handdesinfekti­on, Oberflächendesinfekti­on oder auch Wundfelddes­infektion nach einer Opera­tion zum Einsatz kommen.

Hinzu kommen Wasser­aufbereitung (Herstellung

von Trinkwasser, Abwas­seraufbereitung), Geruchs­management und nicht zu­letzt die Landwirtschaft (erhöhte Keimungsrate, Schutz vor Bakterien und Pilzen) als weitere Anwen­dungsbereiche. l

Die Bakterien-Killerin

«Die Ergebnisse sind sehr gut.» Julia Zimmermann, Biophysikerin und CEO der Terraplasma GmbH.

Kommt noch in diesem Jahr auf den Markt

Das in den klinischen Studien

verwendete Plasmagerät.