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STUTTGARTER ZEITUNG Samstag, 12. März 20161 Nr. 60 Sein Markenzeichen war die Fliege: Der SPD-Politiker Peter Conradi ist am Freitag im Alter von 83 Jahren verstorben. Fotos: dpa, Kraufmann (2), Martin Stollberg Streitbarer Genosse, aufrechter Demokrat Nachruf OB Fritz Kuhn hat den am Freitag verstorbenen SPD-Politiker Peter Conradi gewürdigt. Von Wolfgang Schulz-Braunschmidt P eter Conradi ist am Freitagvormittag im Alter von 83 Jahren gestorben. Der 1932 in Schwelm in Nordrhein- Westfalen geborene Architekt warvon 1972 bis 1998 Mitglied des Bundestags. Im Jahr 1974 unterlag er bei der Wahl zum Stuttgar- ter Oberbürgermeister Manfred Rommel. Von 1979 bis 1983 gehörte Conradi dem Parteirat der SPD an und von 1984 bis 1993 gend. Viele Genossen waren hell entsetzt, als Conradi bei der OB-Wahl im Oktober 2012 öffentlich dazu aufrief, statt der SPD- Bewerberin Bettina Wilhelm den grünen OB-Kandidaten Fritz Kuhn zu wählen. Von "unsolidarisch" über "Taliban" bis "Dolch- stoß" reichten die wütenden innerparteili- chen Kommentare. Conradi wurde von einem früheren Kreisvorsitzenden aufge- .... _. . verloren habe. Sie sei "Opfer des desolaten Zustands der Stuttgarter SPD" geworden, den vor allem die Gemeinderatsfraktion zu verantworten habe. Conradi saß für die Stuttgarter SPD mehr als 25 Jahre als Abgeordneter im Bundestag. Er hat es schon damals seiner Partei nicht leicht gemacht. Aus Protest gegen die rot-grüne Sozialpolitik ließ der Mann mit Fliege und rotem Schal 2005 sei- ne Mitgliedschaft ruhen. Damals wollten ihn innerparteiliche Kontrahenten, für die er ein rotes Tuch war, ausschließen. Doch Conradi blieb bei den "Sozis", die ihm 2009 . .. _. -_ .... den Kampf an. Da trug er zu Fliege und ro- tem Schal auch noch den "Oben blei- ben" -Button gegen Stuttgart 21. Ein Kämpfer für Gerechtigkeit Dass Conradi bei der OB-Wahl 1974 gegen Manfred Rommel antrat und verlor, wissen heute nur noch wenige. Trotz dieser Nie- derlage war Conradi bei Bundestagswahlen stets ein Garant für gute SPD -Ergebnisse. Die Bundesarchitektenkammer, deren Präsident Conradi von 1999 bis 2004 war, würdigte ihn als einen "Befürworter einer stetigen Auseinandersetzung der Gesell-

Fotos: dpa, Kraufmann (2), Martin Stollberg Streitbarer ...berufsverbote.de/tl_files/docs/StZ12-03-16ConradiScan.pdf · rClCI "UIIIQUI 5cVVUIUI51. VLJII VVLJI/YUIIY JLIIUIL-UIUUII::>LIIIIIIUl

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STUTTGARTER ZEITUNG Samstag, 12. März 20161 Nr. 60

Sein Markenzeichen war die Fliege: Der SPD-Politiker Peter Conradi ist am Freitag im Alter von 83 Jahren verstorben. Fotos: dpa, Kraufmann (2), Martin Stollberg

Streitbarer Genosse, aufrechter Demokrat Nachruf OB Fritz Kuhn hat den am Freitag verstorbenen SPD-Politiker Peter Conradi gewürdigt. Von Wolfgang Schulz-Braunschmidt

P eter Conradi ist am Freitagvormittag im Alter von 83 Jahren gestorben. Der 1932 in Schwelm in Nordrhein­

Westfalen geborene Architekt warvon 1972 bis 1998 Mitglied des Bundestags. Im Jahr 1974 unterlag er bei der Wahl zum Stuttgar­ter Oberbürgermeister Manfred Rommel. Von 1979 bis 1983 gehörte Conradi dem Parteirat der SPD an und von 1984 bis 1993

gend. Viele Genossen waren hell entsetzt, als Conradi bei der OB-Wahl im Oktober 2012 öffentlich dazu aufrief, statt der SPD­Bewerberin Bettina Wilhelm den grünen OB-Kandidaten Fritz Kuhn zu wählen. Von "unsolidarisch" über "Taliban" bis "Dolch­stoß" reichten die wütenden innerparteili­chen Kommentare. Conradi wurde von einem früheren Kreisvorsitzenden aufge­.... _. .

verloren habe. Sie sei "Opfer des desolaten Zustands der Stuttgarter SPD" geworden, den vor allem die Gemeinderatsfraktion zu verantworten habe.

Conradi saß für die Stuttgarter SPD mehr als 25 Jahre als Abgeordneter im Bundestag. Er hat es schon damals seiner Partei nicht leicht gemacht. Aus Protest gegen die rot-grüne Sozialpolitik ließ der Mann mit Fliege und rotem Schal 2005 sei­ne Mitgliedschaft ruhen. Damals wollten ihn innerparteiliche Kontrahenten, für die er ein rotes Tuch war, ausschließen. Doch Conradi blieb bei den "Sozis", die ihm 2009. .. _. -_ ....

den Kampf an. Da trug er zu Fliege und ro­tem Schal auch noch den "Oben blei­ben"-Button gegen Stuttgart 21.

Ein Kämpfer für Gerechtigkeit Dass Conradi bei der OB-Wahl 1974 gegen Manfred Rommel antrat und verlor, wissen heute nur noch wenige. Trotz dieser Nie­derlage war Conradi bei Bundestagswahlen stets ein Garant für gute SPD -Ergebnisse.

Die Bundesarchitektenkammer, deren Präsident Conradi von 1999 bis 2004 war, würdigte ihn als einen "Befürworter einer stetigen Auseinandersetzung der Gesell­

Page 2: Fotos: dpa, Kraufmann (2), Martin Stollberg Streitbarer ...berufsverbote.de/tl_files/docs/StZ12-03-16ConradiScan.pdf · rClCI "UIIIQUI 5cVVUIUI51. VLJII VVLJI/YUIIY JLIIUIL-UIUUII::>LIIIIIIUl

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P eter Conradi ist am Freitagvormittag im Alter von 83 Jahren gestorben. Der 1932 in Schwelm in Nordrhein­

Westfalen geborene Architekt war von 1972 bis 1998 Mitglied des Bundestags. Im Jahr 1974 unterlag er bei der Wahl zum Stuttgar­ter Oberbürgermeister Manfred Rommel. Von 1979 bis 1983 gehörte Conradi dem Parteirat der SPD an und von 1984 bis 1993 war er Mitglied der SPD-Kontrollkommis­sion. Fünf Jahre lang war Conradi zudem Präsident der Bundesarchitektenkammer. Im Jahr 2010 nahm er auf Seiten der Pro­jektgegner an den Schlichtungsgesprächen zu Stuttgart 21 teil.

Mit Conradi ist am Freitag der wohl be­kannteste, profilierteste und streitbarste Stuttgarter Sozialdemokrat gestorben. Das politische Urgestein hat sich immer laut und deutlich zu Wort" gemeldet. Auch im Ruhestand ist er kein bisschen leiser ge­worden. Conradi war seit 1959 in der Partei, erwar Mitglied des Landesvorstands und er saß mehr als ein Vierteljahrhundert lang für die Sozialdemokraten im Bundestag.

Peter Conradi war allerdings nie ein bra­ver Genosse. "Ich bin ein alter Elefant, der noch etwas zu sagen hat", charakterisierte er sich einmal selbst. Kurz vor seinem 80. Geburtstag las er, der in den sozialde­mokratischen Reihen von vielen als "stän­diger Unruhestifter" angesehen wurde, sei­ner Partei in einem deutlich formulierten offenen Brief kräftig die Leviten.

Zwist mit den Genossen "Die Stuttgarter SPD ist an einem program­matischen, personellen, intellektuellen Tiefpunkt angelangt", hieß es in dem Schreiben. Der Verfasser trauerte mit den Co-Autoren Siegfried Bassler und Roland Ostertag "um die alte Tante SPD", die der "chaotischen, miserablen, stadtzerstören­den Planung der Bahn" und dem Ausver­kaufvon Sozialwohnungen zugestimmt ha­be. Mit dieser Selbstdemontage habe seine Partei ihre "Eigenständigkeit und Glaub­würdigkeit" verloren, urteilte Conradi. Und mit dem Ja zum Bau des umstrittenen Rosensteintunnels habe man "die inner­parteiliche Demokratie beschädigt".

So manchem aufrechten Genossen war das zu viel. Denen galt Conradi ohnehin als der "böse Alte", als eitel und parteischädi­

gend. Viele Genossen waren hell entsetzt, als Conradi bei der OB-Wahl im Oktober 2012 öffentlich dazu aufrief, statt der SPD­Bewerberin Be~ina Wilhelm den grünen OB-Kandidaten Fritz Kuhn zu wählen. Von "unsolidarisch" über "Taliban" bis "Dolch­stoß" reichten die wütenden innerparteili­chen Kommentare. Conradi wurde von einem früheren Kreisvorsitzenden aufge­fordert, gefaIligst die Partei zu verlassen.

Doch er blieb und keilte zurück. Unter dem Vorsitz des blassen Kritikers habe sich "der Sinkflug der Partei bei Wahlen fortge­setzt", konterte der Attackierte. Mehr als 450 "SPD-Mitglieder-gegen-Stuttgart 21" erklärten via Unterschrift im Internet, dass Wilhelm die OB-Wahl nicht wegen Conradi

den vor allem die Gemeinderatsfraktion zu verantworten habe.

Conradi saß für die Stuttgarter SPD mehr als 25 Jahre als Abgeordneter im Bundestag. Er hat es schon damals seiner Partei nicht leicht gemacht. Aus Protest gegen die rot-grüne Sozialpolitik ließ der Mann mit Fliege und rotem Schal 2005 sei­ne Mitgliedschaft ruhen. Damals wollten ihn innerparteiliche Kontrahenten, für die er ein rotes Tuch war, ausschließen. Doch Conradi blieb bei den "Sozis", die ihm 2009 sogar die Ehrennadel für 50 Jahre Mit­gliedschaft ans Revers hefteten.

,Der Architekt in der Staatlichen Hoch­bauverwaltung, der auch fünf Jahre lang Kreisvorsitzender der Stuttgarter SPD war, pflegte gern den politischen Widerspruch. Er sagte seiner Partei in der jüngsten Ver-' gangenheit vor allem wegen Stuttgart 21

ben"-Button gegen Stuttgart 21.

Ein Kämpfer für Gerechtigkeit Dass Conradi bei der OB-Wahl 1974 gegen Manfred Rommel antrat und verlor, wissen heute nur noch wenige. Trotz dieser Nie­derlage war Conradi bei Bundestagswahlen stets ein Garant für gute SPD-Ergebnisse.

Die Bundesarchitektenkammer, deren Präsident Conradi von 1999 bis 2004 war, würdigte ihn als einen "Befürworter einer stetigen Auseinandersetzung der Gesell­schaft mit ihren Bauten und Baumeistern".

.Er habe seine Berufskollegen stets aufge­fordert, sich an öffentlichen Diskussionen zu beteiligen.

"Mit Betroffenheit und Trauer" hat OB Fritz Kuhn am Freitag auf den Tod von Pe­tl~r Conradi reagiert. "Seiner Frau und Fa­milie spreche ich mein tief empfundenes Beileid -aus." Das Zusammenleben in der Stadt und ihre Entwicklung seien für Con­radi stets Herzensangelegenheiten gewe­sen. Er habe sich mit klaren Positionen ein­gemischt. "Seine Stimme wird uns fehlen."

"Mit Peter Conradi verlieren wir einen engagierten und kritischen Wegbegleiter", sagte der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc. Die Partei trauere um ihn. Conradi habe sich große Verdienste um die SPD er­worben, die er auch als kritischer Analyst begleitet habe. Deshalb sei er nicht immer ein einfaches Mitglied gewesen.

"Peter Conradis Tod schmerzt und er­schüttert uns tief", sagte Eisenhart von Loeper, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Man verliere mit ihm einen großen Freund. Conradi sei ein enga­gierter Kämpfer für eine lebendige, auf Ge­rechtigkeit und Miteinander zielende De­mokratie gewesen.

"Wir haben mit Peter Conradi einen Politiker verloren, der stets den friedlichen Ausgleich zwischen gegensätzlichen Posi­tionen gesucht hat" sagte Beflid Riexinger, Parteivorsitzender der Linken. "Die Welt wäre besser, wenn sie von mehr Politikern wie ihm regiert würde."

In seinem blauen Brief an die Stuttgar­ter SPD hat der damals 80 Jahre alte Conra­di trotz aller' Kritik auch noch einen Ge­burtstagswunsch geäußert. "Das DU und das WIR, soziale Gerechtigkeit, Glaubwür­digkeit, Solidarität, Verantwortung, Ver­trauen müssen wiederentdeckt und groß­geschrieben werden", heißt es da. Davon hat die Stuttgarter SPD jetzt viel verloren.

Peter Conradi hat stets klare Worte gesprochen und - etwa mit Winfried Kretschmann - das politische Gespräch gesucht. Privat schlug er auch leise Töne an.