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FR 30.11. 2012 | 20.00 UHR KAMMERMUSIKSAAL
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
SCHLAGZEUGKONZERT SCHLAGINSTRUMENTE ALS MUSIKTHEATER ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Schlagzeugensemble der Hochschule für Musik Freiburg:
Philipp Becker, Lucia Carro Veiga, Li-Ting Chiu, Bennet Dobrick,
Tomoko Ishige, Wen-Cheng Lee, Jérome Lepetit, Cesar Masano,
Lukas Mühlhaus
Matthias Kaul (Gast) | Bernhard Wulff Konzeption, Leitung
Matthias Kaul *1949
Freshly squeezed
Matthias Kaul, Solo
Giorgio Battistelli *1953
Libre celibe
Lukas Mühlhaus
Sydney Hodkinson *1934
Kerberos für kleine Trommel und Stimme (1990)
Jérome Lepetit
Georges Aperghis *1945
Graffitis (1980)
Wen-Cheng Lee
PAU SE
Roderik de Man *1941
Case History for one percussionis and case (2002)
Li-Ting Chiu
Vinko Globokar *1934
Corporel (1985)
Lucia Carro Veiga
Matthias Kaul
getting familiar with the unsuitable für Ensemble
Philipp Becker, Bennet Dobrick, Tomoko Ishige,
Li-Ting Chiu, Cesar Masano
In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entstand mit »Fluxus« eine
künstlerische Ausdrucksform, die insbesondere in den USA, Frank-
reich und Deutschland ganz wesentlich durch Künstler, wie etwa
George Maciunas und Nam June Paik (Alumnus der Hochschule für
Musik Freiburg!) sowie John Cage, Wolf Vostell, Yoko Ono, Joseph
Beuys geprägt wurde. Nach dem Dadaismus am Anfang des
20. Jahrhunderts war Fluxus der zweite elementare Angriff auf das
Kunstwerk als bürgerlicher Fetisch. Was zählte, war die schöpfer-
ische Idee.
Fluxus war eine Form der Aktionskunst, eine Bewegung unter
Künstlern gegen elitäre Hochkunst und integrierte Video, Musik,
Licht, Geräusche, Bewegung, Handlungen und diverse Materia-
lien. Es entstanden collageartig komponierte »Konzerte« als Ge-
samtkunstwerke mit akustischen, choreographischen, visuellen
und musikalischen Ausdrucksformen.
Angeregt durch diese Fluxus-Performances prägte der Komponist
Mauricio Kagel mit dem »instrumentalen Musiktheater« eine Form
des modernen Musiktheaters, in der die Musiker auch als Schau-
spieler oder Akteure auftreten. Musik und Szene sind direkt auf-
einander bezogen.
Diese neu entstandene Gattungsform wurde von anderen Komponi-
sten aufgegriffen und weiter entwickelt u.a. von Schnebel, Berio,
Stockhausen, Globokar, Wyttenbach, Wüthrich, Aperghis,
Battistelli.
Insbesondere Schlagzeuger haben eine große Nähe zu theatralisch-
en oder choreographischen Gesten und so entwickelte sich folge-
richtig für Solo-Schlagzeug ein eigenes Repertoire im Grenzbereich
zwischen Klang und Bewegung, unterstützt durch Interpreten, die
sich oftmals ihre Stücke selber schufen. Globokar gehört zu diesen
interpretierenden Komponisten, Aperghis, Battistelli, Jean-Pierre
Druet – und Matthias Kaul.
Matthias Kaul hat in seinen eigenen Arbeiten wieder eine größere
Nähe zum Fluxus-Ausgangspunkt hergestellt – er adelt scheinbar
unspektakuläre Alltagsgegenstände als Musikinstrument und hält
damit permanent die Konzepte der Fluxus-Idee frisch und lebendig.
Dabei ist er alles andere als historisierend sondern pflegt mit ele-
ganter Leichtigkeit eine charmante Attacke auf den Begriff des in
sich ruhenden Kunstwerks und erinnert uns daran: Musik ist kein
Religionsersatz sondern eine schöpferische Idee – oder, wie Gustav
Mahler einst bemerkte: »Tradition bedeutet nicht das Anbeten der
Asche sondern das Bewahren der Glut«
(Bernhard Wulff)
Komponisten und Werke
Mathias Kaul *1949
Zunächst Rock- und Jazzschlagzeuger , dann Schlagzeugstudium,
Solistenexamen, zahlreiche Stipendien, Reisen nach Afrika zum
Studium der Maasai und Samburu, Gründungsmitglied des
Ensembles L’art pour L’art, Zusammenarbeit mit Komponisten
und Interpreten wie John Zorn, David Moss,Elliott Sharp, Carla
Bley, Malcolm Goldstein, Mauricio Kagel, Hans Werner Henze,
Vinko Globokar, Hans Joachim Hespos, Alvin Lucier u.a. Tourneen
in ganz Europa, Nord- und Südamerika, Afrika, Japan, Korea,
Taiwan, Indien und Kanada. Teilnahme an vielen internationalen
Festivals
Seine Arbeiten sind durch div. CD Produktionen belegt –u.a. bei
Wergo, col legno, Hat Hut, CPO. Er erhielt Preise und Auszeich-
nungen für die Einspielungen und seine kulturellen Aktivitäten,
zuletzt den Echo Klassik Preis 2012.
Als Komponist ist Matthias Kaul Autodidakt. Kompositionsauf-
träge erhielt er von diversen Ensembles sowie Rundfunkanstalten
wie dem DLF ,HR, WDR, SR und den Opernhäusern Hamburg,
Hannover, München.
Freshly squeezed Die Frische birgt eine Gefahr: schnelles Altern.
Das Komponieren dieses Stücks beginnt bei der Entscheidung, wel-
che Instrumente eingepackt werden. Im Koffer auf dem Weg zum
Konzert werden diese Gerätschaften die Zeit nutzen, sich aneinan-
der zu gewöhnen. Oder? Angekommen, ausgepackt, lebt das Stück
dann sehr von dem Raum, von dem Moment, in dem es sich ent-
wickelt. Haben wir und der Klang und die Instrumente den Raum
verlassen, dann ist die Musik schon tot. Oder?
Getting familiar with the unsuitable... sich vertraut machen mit
dem Unpassenden mag eine passende Übersetzung des obigen Tit-
els sein, mir fehlt aber im Deutschen der Anklang an das Familiäre
und an den Anzug (suit).Gibt es etwas Unvertrauteres als ein un-
passendes Kleidungsstück? Nun, es wird bei den kleinen musik-
theatralischen Szenen nicht um Kleidung gehen, aber es werden
Situationen entwickelt und gezeigt, in denen sich eine Vielheit von
musikalisch, räumlich und gestisch Unpassendem gegenseitig ent-
weder zu neuer Bedeutung verhilft oder vollends (also vollendet)
ins Surreale entschwebt.
Giorgio Battistelli *1953
Libre celibe (1970)
Der aus Alba bei Rom stammende Komponist Giorgio Battistelli gilt
als einer der wichtigsten Musiktheaterkomponisten der Gegen-
wart. Seine musikalische Ausbildung erhielt er am Konservatorium
Alfredo Casella in Aquilea, wo er Komposition, Musikgeschichte
und Klavier studierte. Der internationale Durchbruch gelang Bat-
tistelli 1981 mit der Uraufführung von Experimentum Mundi, einer
»Opera di musica immaginistica« für einen Schauspieler, fünf
Frauenstimmen, sechzehn Handwerker und einen Schlagzeuger.
Von 1993 bis 1996 war Battistelli Künstlerischer Leiter des Cantiere
Internazionale d'Arte in Montepulciano bis er 1996 als »direttore
artistico« zum Orchestra della Toscana berufen wurde.
Uraufführungen seiner Werke brachten ihn an zahlreiche große
Bühnen auf der ganzen Welt. Battistelli betont hinsichtlich seiner
Kompositionen immer wieder, dass ihm das narrative Element
sehr wichtig sei. In seinen Werken sucht er weniger das, auf theo-
retischem Denken basierende und materialbezogene Bühnenexpe-
riment, als vielmehr die Darstellung von packenden Erzählungen
und Situationen.
Als Giorgio Battistelli 1976 »Il libro celibe« (»das Junggesellen-
buch«) komponierte war er ein junger Mann, gerade erst am Be-
ginn seiner Karriere als Komponist. Er war fasziniert von Chemie,
Physik und Marcel Duchamps »Machines Celibitaires«, zu Deutsch
»Junggesellenmaschinen«. Inspiriert vom Genie des französischen
Avant-Garde Künstlers und dem Konzept, nach dem eine Oper frei
leben kann, ohne jeglichen »ehelichen Bund« mit dem Spieler ein-
zugehen, erfand er ein Buch in Form einer dreidimensionalen Par-
titur, deren Ausführung von der simplen Geste des Durchblätterns
lebt. Für die verschiedenen Seiten gibt der Komponist hierbei ver-
schiedene Materialien vor, wie Pappe, Blech, Seide oder Holz. So ist
die Partitur bereits durch die verwendeten Materialien zur Musik
geworden. Das Junggesellenbuch ist zunächst ein visuelles Kunst-
werk, das zum Musikstück werden kann, wenn es stimuliert wird.
Die unendliche Zahl der Art und Weisen, auf die das Werk gerissen,
geschlagen, gezupft und gekratzt werden kann sind vom Kompo-
nisten vorgesehen, sodass das Buch, während es gelesen wird, zu
einer Darbietung von Klängen wird, solange bis es in die totale Stil-
le des visuellen Kunstwerkes zurückkehrt.
(Lukas Mühlhaus)
Sydney Hodkinson *1934
Kerberos für kleine Trommel und Stimme wurde 1990 von
Sydney Hodkinson geschrieben, als Auftrag von Stuart Saunders
Smith für die Sammlung verschiedener Werker für kleine Trommel
solo: »The Noble Snare«.
»Lasciate ogni speranza voi che entrate« (Gebt alle Hoffnungen auf,
ihr, die hier eingeben.) schreibt Dante in seinem »Inferno«. Kerbe-
ros, der dreiköpfige, Feuer spuckende Höllenhund mit Schlangen-
schwanz und Drachenmähne bewacht den Eingang zur Unterwelt
oder eher den Ausgang, damit die Toten aus der Hölle nicht mehr
herauskommen. Dieses Stück benutzt eine breite Palette
verschiedener Klänge; einer Kleinen Trommel, in einer kleinen,
modifizierten Rondo Form: ABACBA mit Coda.
(Jérome Lepetit)
Georges Aperghis *1945
Georges Aperghis gründete die multimediale Theatergruppe Atelier
Théâtre et Musique (Atem) in Paris, deren oft mit absurden und sa-
tirischen Elementen arbeitenden Aufführungen vom gesellschaft-
lichen Alltag inspiriert sind und erst während der Proben ihre end-
gültige Form erhalten. Aperghis schrieb zudem zahlreiche Kompo-
sitionen für Soloinstrumente und Stimmen, Kammerbesetzungen
sowie Orchester, in die er immer wieder auch theatralische Ele-
mente und besonders Gestik einbezog. Das Werk , Graffitis (1980)
ist für drei Woodblocks, Bongo, zwei Tumbas (Congas), vier Tom-
Toms und zwei flach gelegte Gongs geschrieben, die mit den Fin-
gern gespielt werden. Vom Spieler wird außerdem verlangt, dass er
Nonsenslaute, perkussive Phoneme und traditionelle Texte rezi-
tiert. Graffitis ist ein komplexes Stück, das die verschiedenen
Klangfarben der Instrumente und Stimme untersucht und sie auf
einzigartig reizvolle Weise miteinander verknüpft.
(Wen-Cheng Lee)
Roderik de Man *1941
Roderik de Man studierte Schlagzeug bei Frans van der Kraan und
Musiktheorie am Königlichen Konservatorium in Den Haag. Zur
gleichen Zeit nahm er an der Kompositionsklasse von Kees van Baa-
ren teil und arbeitete im elektronischen Studio, wo er von Dick
Raaymakers betreut wurde. Sein Werk besteht aus Solo-, Kammer-
musik, Orchester-, Ensemble- und Chormusik.
Case History for one percussionis and case (2002)
Ein Schlagzeuger ist oft deutlich erkennbar durch den Aluminium-
koffer mit allen Schlägel, die ihn begleiten. Als ich gebeten wurde,
ein kurzes Stück für Niels Meliefste, einen niederländische Schlag-
zeuger zu schreiben, habe ich mich entschlossen dies zum Thema
zu machen. Im Koffer gibt es eine Auswahl an Fingerhüten, Stöck-
en und Schlägel und er entpuppt sich selber als das Instrument.
(Chiu Li Ting)
Vinko Globokar *1934
Ein Musikinstrument ist für Vinko Globokar eine Verlängerung des
Körpers. Ausgehend von seinen Erfahrungen als Posaunist begann
er in den sechziger Jahren, die Ausdrucksmöglichkeiten für sein In-
strument zu erweitern, indem er den Körper des Musikers bewusst
als Feld der Erneuerung einsetzte. Vergleichbare Spielstrategien
übertrug er nach und nach auf alle Instrumente.
In Corporel (1985) ist der Körper eines Schlagzeugers das einzige
Instrument. Bei der Aufführung tritt der Musiker mit freiem Ober-
körper, in Leinenhosen und barfuß auf. Nach einem ausgeklügel-
ten mehrschichtigen System für Stimme, Kopf, Brust etc. werden
verschiedene Teile des Körpers zum Klingen gebracht und mit diffe-
renzierten stimmlichen Aktivitäten kombiniert. Das Kratzen, Klop-
fen und Reiben von Körperpartien wird durch elektronische Ver-
stärkung hörbar gemacht werden, so dass sich dem Hörer eine un-
gewöhnliche Klangwelt der Körperresonanzen eröffnet.
(Lucia Carro Veiga)