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1 Friederikes Kombi-Jahr in Bolivien Bolivien. Ein Land in Südamerika, in dem Spanisch gesprochen wird. Mehr wusste ich eigentlich nicht über dieses Land, als ich das erste Mal vom Kombi-Jahr hörte. Südamerika war mein Wunschziel für ein soziales Jahr nach dem Abi, da ich Spanisch in der Oberstufe gelernt hatte und mich der Kontinent aus Erzählungen von dort lebenden Verwandten und Freunden immer wieder fasziniert hatten. Nachdem einige Versuche sich für ein weltwärts-Jahr zu bewerben aufgrund meines zu jungen Alters gescheitert waren, stieß ich zufälligerweise auf das Angebot des Kombi-Jahrs bei Volunta. Zunächst zögerlich, bewarb ich mich kurz vor Bewerbungsfrist doch noch und bekam schließlich die Zusage. Anfangs war ich wenig begeistert von der Idee, nach der Schule gleich wieder in die Schule gehen zu müssen. Im Nachhinein kann ich sagen, dass gerade diese Zeit und die damit verbundenen Freundschaften, fiestas, Ausflüge und Karneval die besten Erinnerungen sind und mein Jahr so besonders gemacht haben. Viel schneller als gedacht saß ich dann auch schon im Flugzeug nach Bolivien, mit drei mir fremden anderen Kombi-Jahrlerinnen, die im Laufe meiner Bolivienzeit aber noch meine besten Freunde werden würden. Friederikes Kombi-Jahr in Santa Cruz, Bolivien,

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Friederikes Kombi-Jahr in Bolivien

Bolivien. Ein Land in Südamerika, in dem Spanisch gesprochen wird. Mehr wusste ich eigentlich nicht über dieses Land, als ich das erste Mal vom Kombi-Jahr hörte.

Südamerika war mein Wunschziel für ein soziales Jahr nach dem Abi, da ich Spanisch in der Oberstufe gelernt hatte und mich der Kontinent aus Erzählungen von dort lebenden Verwandten und Freunden immer wieder fasziniert hatten.

Nachdem einige Versuche sich für ein weltwärts-Jahr zu bewerben aufgrund meines zu jungen Alters gescheitert waren, stieß ich zufälligerweise auf das Angebot des Kombi-Jahrs bei Volunta. Zunächst zögerlich, bewarb ich mich kurz vor Bewerbungsfrist doch noch und bekam schließlich die Zusage. Anfangs war ich wenig begeistert von der Idee, nach der Schule gleich wieder in die Schule gehen zu müssen. Im Nachhinein kann ich sagen, dass gerade diese Zeit und die damit verbundenen Freundschaften, fiestas, Ausflüge und Karneval die besten Erinnerungen sind und mein Jahr so besonders gemacht haben.

Viel schneller als gedacht saß ich dann auch schon im Flugzeug nach Bolivien, mit drei mir fremden anderen Kombi-Jahrlerinnen, die im Laufe meiner Bolivienzeit aber noch meine besten Freunde werden würden.

Friederikes Kombi-Jahr in Santa Cruz, Bolivien,

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Meine Gastfamilie hat mir den Einstieg einfach gemacht.

Auf die Gelassenheit der Bolivianer waren wir schon bei unserem Vorbereitungsseminar aufmerksam gemacht worden. Dennoch waren wir etwas erstaunt, als wir am Flughafen standen, aber keine Gastfamilie in Sicht war. Die trafen zum Glück eine Stunde später ein und wir konnten sogleich unsere Spanischkenntnissen testen und herausfinden, dass das Schulspanisch wohl eher nicht alltagstauglich ist. Allerdings hatte ich großes Glück mit meiner Gastfamilie, da sie bereits zwei andere Deutsche vor mir aufgenommen hatte und wusste, wie holprig Spanisch bei Anfängern klingt. So gaben sie sich große Mühe besonders langsam zu sprechen und mich zu verstehen und erleichterten mir damit den Einstieg in mein bolivianisches Leben ungemein.

Meine Gastfamilie bestand aus meinen Gasteltern, die beide noch relativ jung waren und meinen zwei kleinen Gastgeschwistern- zwei und sechs Jahre alt. Die Kinder waren sehr neugierig und da Kinder einen kleineren Wortschatz haben, verbrachte ich insbesondere am Anfang viel Zeit mit ihnen und lernte so schnell die wichtigsten (Fußball- ;) Wörter. Aber auch zu meiner Gastmutter entwickelte ich schnell ein freundschaftliches Verhältnis, mit der ich über alles reden konnte und so standen wir oft noch lange Zeit nach dem Abwasch in der Küche und unterhielten uns.

Viele Gastgeschwister, viele Freunde, viele Unternehmungen

Südamerikanische Familien sind riesig! Neben regelmäßigen Wochenend- und Abendausflügen zu Verwandten, wohnten mit uns im Haus auch gleich noch meine Gastgroßeltern, drei der fünf Geschwister meiner Gastmutter und eine weitere deutsche Kombi-Jahrlerin.

Damit war ich vor Ankunft nicht so glücklich gewesen, doch sah ich bereits nach kurzer Zeit, wie praktisch es war, jemand Gleichaltriges im Hause zu haben. So gingen wir morgens gemeinsam zur Schule, waren aber in verschiedenen Klassen und konnten unterschiedliche Freundeskreise aufbauen. Zu Treffen mit Freunden konnten wir immer zu zweit gehen, abends teilten wir uns das Taxigeld und auch im Fitnessstudio waren wir schnell ein Team.

Fitness ist notwendig beim bolivianischen Essen.

Da wären wir beim Thema Essen: Cruceῆos (die Menschen in Santa Cruz), sind deutlich übergewichtiger als der bolivianische Durchschnitt, was einerseits am Wohlstand der Stadt, andererseits vermutlich auch am tropisch warmen Wetter liegt, was fast jedes Wochenende zum Grillen einlädt. Wer es sich leisten kann, isst zudem kein Gemüse, sondern Fleisch, sodass ich wohl mehr Hühnchen und Steak in meiner Zeit in Bolivien gegessen habe als in meinem ganzen Leben zuvor. Und wer isst schon Obst, wenn es an jeder Ecke einen Straßenstand mit gebrannten Mandeln, Sahnetorte oder Eis gibt?

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Mein typischer Alltag: gibt es nicht! Schule in Bolivien ist so anders

Einen typischen Alltag gab es für mich-abgesehen von einer kleinen siesta nach dem Mittagessen und dem wochenendlichen Ausschlafen- eigentlich nicht. Das Schuljahr in Bolivien endet im November. Was mich anfangs die größte Überwindung kostete, aufzustehen, habe ich nach der Zeugnisübergabe richtig vermisst. Schule in Südamerika ist so anders. Bis zur 12.Klasse gibt es Klassenverbände, die Schule endet spätestens um halb eins und mündliche Beteiligung gibt es nicht, da der Lehrer alles selbst erklärt bzw. an die Tafel schreibt. Außerdem frage ich mich immer wieder, ob ein so wenig fordernder Lehrplan (falls es sowas überhaupt gibt) der Grund für das – verglichen zu Deutschland- unglaublich schlechte Schulniveau ist oder ob es einfach die mangelnde Motivation von Lehrern und Schülern ist. Gerade bei den Jungs ist Poker DAS Spiel im Unterricht und nicht selten setzte sich einer meiner Lehrer dazu um zu spielen- und das alles während der Unterrichtszeit.

So schnell man Bolivianer für etwas begeistern kann, so schnell lässt das Interesse auch wieder nach. So erging es auch mir am Anfang. Am ersten Tag noch die Neue aus Deutschland, ließ das Interesse doch ziemlich schnell nach, so dass ich mich selbst überwinden musste, mich mit Händen, Füßen und eben ein paar Wörtern Spanisch zu verständigen. Zum Glück sind Bolivianer sehr liebe und hilfsbereite Menschen und nach ständig wechselnden Hoch- und Tiefphasen (die sich besonders durch Langweile im Unterricht entwickelten), hielt ich plötzlich mein bolivianisches Abiturzeugnis in der Hand und war ziemlich traurig, nach 12 1/2 Jahren endlich die Schule verlassen zu müssen.

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Mein soziales Engagement startete während der Schulzeit

Mein soziales Engagement konnte ich bereits nachmittags während der Schulzeit starten, nachdem wir im September 3 Wochen in Sucre verbrachten, um dort unser Visum zu beantragen. So hatte ich –zurück in Santa Cruz- nachmittags entweder meinen Spanischsprachkurs oder arbeitete in einer Schule für Taubstumme bei den 3 bis 5 Jährigen. Ich war jedoch ziemlich froh, als auch dort das Schuljahr zu Ende ging, da ich mich immer wieder fragte, wie effizient das bolivianische Schulsystem und damit mein eigener Beitrag dazu ist. Nach den „Abschlussklausuren“ der Dreijährigen war ich dann sehr enttäuscht, da keines der Kinder nur irgendeinen Teil der Klausur beantworten, geschweige denn still auf dem Stuhl sitzen konnte, so dass die Lehrerin und ich deren Klausuren ausfüllten und die Kinder in die nächste Jahrgangsstufe versetzten.

Also war ich glücklich, als ich die Arbeitsstelle wechselte und in einem

Kinderheim anfangen durfte. Dort arbeiteten wir 3 Deutsche in einem Projekt mit und bemühten uns, den Mädchen eine bessere Allgemeinbildung zu geben, indem wir sie in Englisch, Deutsch, Computer und Erdkunde unterrichteten.

Zeit zum Reisen: von Machu Picchu an den chilenischen Strand zurück ins atemberaubende Bolivien

Ein besonderer Monat war für mich der Januar, da wir Kombis in diesen vier Wochen durch Bolivien, Peru und Chile reisten. Neben dem „must-visit“ Machu Picchu (neues Weltwunder) und einem Kurzurlaub am Strand in Chile, beeindruckte uns aber insbesondere Boliviens atemberaubende Natur in ihrer Vielfältigkeit und das Land, was ich nach sechs Monaten zu kennen meinte, war doch so anders als die Stadt Santa Cruz, in der wir Kombis untergebracht sind.

Zwischen dem subtropischen Santa Cruz und den verarmten Andendörfern und -städten, durch die wir gereist sind, liegen nochmal Welten. So werde ich neben dem Kokateetrinken in der höchstgelegenen Großstadt der Welt (3000- 4000m Höhe), einer unvergesslichen Dschungeltour durch das Voramazonasbecken auch das Silvester auf dem größten Salzsee der Welt mit anschließender Wüstentour nicht vergessen.

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Bolivien hat mich verändert.

Äußerlich habe ich ein paar Kilogramm zugenommen, das meine ich aber nicht. Im Inneren habe ich mich verändert. Ich habe eine andere Sicht der Dinge bekommen. Da ist einmal die „hora boliviana“ in mir hängen geblieben. Die bolivianische Uhr tickt eben etwas anders. Man kommt immer und überall zu spät. In der Ruhe liegt die Kraft. Zum Beispiel: Eine Freundin ging zum Friseur zu dem Zeitpunkt, als sie eigentlich bereits für unsere Zeugnisübergabe in der Schule hätte sein sollen. Das machte aber nichts, weil noch keiner dort war und die Veranstaltung sowieso erst zwei Stunden später anfing. Sowas vermisse ich in Deutschland.

Auch große Themen, die einem in Deutschland vorher wichtig waren, scheinen aus der Ferne plötzlich so klein und irrelevant zu wirken, wenn man sieht, dass die Dreizehnjährige im Heim immer noch nicht die Uhr lesen kann und manch ein anderer sich bei Kälte ein Handtuch als Decke umwickelt, weil es weder ausreichend Jacken noch Decken im Kinderheim gibt. Und im Kontrast dazu gibt es die bolivianische Oberschicht, die eigene Fahrer haben und nicht einmal mit einem Ruftaxi fahren, aus Angst überfallen zu werden. Bolivien ist ein Land der Gegensätze - landschaftlich, kulturell, politisch, finanziell. Und trotzdem erlebt man die Menschen immer wieder glücklich und zufrieden, anspruchslos. Die Begeisterung für die kleinen Dinge vermisse ich in Deutschland besonders. Und mir ist klar geworden, wie materiell wir hier doch alle leben. Und die meisten trotzdem nicht zufrieden.

Mein Herz ist an Bolivien hängengeblieben. Ich werde sicherlich zurückkommen.

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