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33 MMW-Fortschr. Med. Nr. 21 / 2012 (154. Jg.) AKTUELLE MEDIZIN INTERVIEW In dieser Phase bereitet der Nephrologe den Patienten auf die Dialyse vor und entschei- det meistens mit dem Patienten über den richtigen Zeitpunkt. In den letzten Jahren ver- suchte man den Dialysestart beim gesunden Patienten relativ früh, sozusagen als „gesun- den Start“ anzusetzen. Das ist vielleicht nicht der richtige Weg bei sehr alten Patienten, vor allem bei jenen, die in Altersheimen leben und schon über 80 sind. In Deutschland: alle 20 bis 30 km ein Dialyseplatz MMW: Nun ist nicht verborgen geblieben, dass die Dialyse für die Betreiber lukrativ geworden ist. Ein Grund, weshalb häufig sehr früh damit begonnen wird? Wanner: Diese Vermutung wird aus den USA genährt, wo der Geschäftsbereich Dialyse intensiv betrieben wird. Auch in Deutschland wird diskutiert, ob die Verfügbarkeit einer Dialyse gelegentlich eine Rolle spielt. Wir haben unser Land gut ausgebaut und haben ausreichende Dialysekapazitäten. Sie finden etwa alle 20–30 km Dialyseplätze. Ob diese Kapazitäten genutzt werden, um die Dialyse- zentren wirtschaftlich zu führen, ist schon ein Gedanke, der immer wieder formuliert wird. MMW: Bei allem Fortschritt bezüglich der Lebenserwartung bringt die Dialyse doch Einschränkungen der Lebensqualität. Wanner: Ich habe aufgehört zu sagen, dass die Dialyse der große Schrecken und die Geisel für Nierenkranke sind. Durch den Fortschritt der Technik ist die Dialyse für viele Menschen gut in den Tagesablauf integrier- bar, aber dennoch mit einer deutlichen Ein- schränkung der Lebensqualität verbunden. Je älter der Patienten ist und je mehr Beglei- terkrankungen vorliegen, desto mehr wird er durch die Dialyse beeinträchtigt. Das ist so, das sollte man auch nicht schönreden. MMW: Neben dem chronischen Diabetiker mit Hochdruck kommen aber auch akute Notfälle zur Dialyse, z. B. wenn Patienten mit malignen Hypertonien eingeliefert werden. Wanner: Das ist allerdings selten, wir sehen in Würzburg solche jungen Patienten mit malignem Hochdruck jährlich etwa zwei- mal, solche Fälle mit Hirnödemen und/oder Augenhintergrundeinblutungen. Diesen Vieles sprach schon dafür, aber erst IDEAL, eine in Australien und Neusee- land durchgeführte prospektive rando- misierte Studie, brachte einen überzeu- genden Hinweis, dass der frühe Dialyse- beginn nicht von Vorteil sein muss. 828 Patienten wurden randomisiert und begannen entweder mit der Dialyse bei einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von 10–14 ml/min/1,73m 2 („früher Beginn“) oder bei 5–7 ml/min/1,73m 2 („später Beginn“). Das überraschende Ergebnis: In der Patientengruppe, die bereits früh mit der Dialyse begann, wurde entgegen der allgemeinen Er- wartung keine Verbesserung hinsicht- lich des Überlebens oder des klinischen Outcomes beobachtet. Wie die Gruppe um Bruce Cooper vom North Shore Hospital in Sydney berichtete, war die Sterberate bei einem späten Beginn sogar tendenziell geringer (36,6 vs. 37,6%, Unterschied nicht signifikant). Auch hinsichtlich der Komplikationen (kardiovaskuläre Ereig- nisse, Infektionen oder Dialysekompli- kationen) gab es keine Unterschiede. Die Autoren schlussfolgerten, dass der Dialysebeginn nicht allein an der GFR festgemacht, sondern von klinischen Faktoren abhängig gemacht werden sollte. Wie die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie kommentierte, hat diese Erkenntnis „eine große gesundheitsöko- nomische Relevanz: Bei den Patienten, die keine klinischen Zeichen der Urämie zeigen, wie Übelkeit, Erbrechen, Durch- fälle, Appetitlosigkeit, Überwässerung, wäre es möglich, die Dialysebehand- lung später zu beginnen“. Warnungen blieben nicht aus. Norbert Lameire und Wim van Biesen von der Universität Gent – sie schrieben das Editorial zur Originalarbeit – verweisen auf die hohen Risiken eines späten Be- ginns, vor allem wenn die urämischen Symptome nicht rechtzeitig erkannt würden. Sie raten, die Patienten eng- maschig nephrologisch zu untersuchen und frühzeitig auf eine Peritonealdia- lyse vorzubereiten oder einen Shunt für die Hämodialyse anzulegen (New England Journal of Medicine 2010; 363: 609–619). J.A. Quelle: 49. Europäischer Nierenkongress (ERA-EDTA), Paris, 2012 IDEAL-Studie Patienten kann man natürlich entscheidend das Weiterleben ermöglichen. Die Gefäße der Nieren sind allerdings meistens so geschä- digt, dass eine Nierenersatztherapie unum- gänglich wird, während sich die Schäden am Herzen und Gehirn in gewissem Maße zurückbilden. Eine gute Lebensplanung ist unausweichlich MMW: Stichwort Lebenserwartung unter Dialyse: Hier scheinen die Jungen nicht so sehr zu profitieren. Wanner: Eine gute Lebensplanung ist unausweichlich. Sie können mit einer Nie- renersatztherapie ohne weiteres 30–40 Jahre weiterleben. Wenn ein 20-Jähriger an die Dialyse kommt, ergeben die 30 Jahre am Ende 50 „nur“ Jahre. Das ist schon ein deutlich verkürztes Leben verglichen mit der Gesamtpopulation, aber diese Zeit ist eben durch verschiedene Nierenersatzverfahren wie Peritonealdialyse, Hämodialyse, Nieren- transplantation ein langer, manchmal „unru- higer“ Weg, aber doch mit Phasen sehr guter Lebensqualität verbunden. In diesen Phasen werden z. B. Familiengründungen möglich. Aber prinzipiell ist zu sagen: Es gilt, das Leben der Patienten mit Nierenversagen sorgfältig zu planen. Hier muss der Patient von seinem Arzt gut geführt werden. Interview: Dr. med. Jochen Aumiler Frühe Dialyse ohne Vorteile?

Frühe Dialyse ohne Vorteile?

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33MMW-Fortschr. Med. Nr. 21 / 2012 (154. Jg.)

AKTUELLE MEDIZIN–INTERVIEW

In dieser Phase bereitet der Nephrologe den Patienten auf die Dialyse vor und entschei-det meistens mit dem Patienten über den richtigen Zeitpunkt. In den letzten Jahren ver-suchte man den Dialysestart beim gesunden Patienten relativ früh, sozusagen als „gesun-den Start“ anzusetzen. Das ist vielleicht nicht der richtige Weg bei sehr alten Patienten, vor allem bei jenen, die in Altersheimen leben und schon über 80 sind.

In Deutschland: alle 20 bis 30 km ein Dialyseplatz

MMW: Nun ist nicht verborgen geblieben, dass die Dialyse für die Betreiber lukrativ geworden ist. Ein Grund, weshalb häufig sehr früh damit begonnen wird?Wanner: Diese Vermutung wird aus den USA genährt, wo der Geschäftsbereich Dialyse intensiv betrieben wird. Auch in Deutschland wird diskutiert, ob die Verfügbarkeit einer Dialyse gelegentlich eine Rolle spielt. Wir haben unser Land gut ausgebaut und haben ausreichende Dialysekapazitäten. Sie finden etwa alle 20–30 km Dialyseplätze. Ob diese Kapazitäten genutzt werden, um die Dialyse-zentren wirtschaftlich zu führen, ist schon ein Gedanke, der immer wieder formuliert wird.

MMW: Bei allem Fortschritt bezüglich der Lebenserwartung bringt die Dialyse doch Einschränkungen der Lebensqualität.Wanner: Ich habe aufgehört zu sagen, dass die Dialyse der große Schrecken und die Geisel für Nierenkranke sind. Durch den Fortschritt der Technik ist die Dialyse für viele Menschen gut in den Tagesablauf integrier-bar, aber dennoch mit einer deutlichen Ein-schränkung der Lebensqualität verbunden. Je älter der Patienten ist und je mehr Beglei-terkrankungen vorliegen, desto mehr wird er durch die Dialyse beeinträchtigt. Das ist so, das sollte man auch nicht schönreden.

MMW: Neben dem chronischen Diabetiker mit Hochdruck kommen aber auch akute Notfälle zur Dialyse, z. B. wenn Patienten mit malignen Hypertonien eingeliefert werden.Wanner: Das ist allerdings selten, wir sehen in Würzburg solche jungen Patienten mit malignem Hochdruck jährlich etwa zwei-mal, solche Fälle mit Hirnödemen und/oder Augenhintergrundeinblutungen. Diesen

Vieles sprach schon dafür, aber erst IDEAL, eine in Australien und Neusee-land durchgeführte prospektive rando-misierte Studie, brachte einen überzeu-genden Hinweis, dass der frühe Dialyse-beginn nicht von Vorteil sein muss.

828 Patienten wurden randomisiert und begannen entweder mit der Dialyse bei einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von 10–14 ml/min/1,73m2 („früher Beginn“) oder bei 5–7 ml/min/1,73m2 („später Beginn“). Das überraschende Ergebnis: In der Patientengruppe, die bereits früh mit der Dialyse begann, wurde entgegen der allgemeinen Er-wartung keine Verbesserung hinsicht-lich des Überlebens oder des klinischen Outcomes beobachtet.

Wie die Gruppe um Bruce Cooper vom North Shore Hospital in Sydney berichtete, war die Sterberate bei einem späten Beginn sogar tendenziell geringer (36,6 vs. 37,6%, Unterschied nicht signifikant). Auch hinsichtlich der Komp likationen (kardiovaskuläre Ereig-nisse, Infektionen oder Dialysekompli-kationen) gab es keine Unterschiede.

Die Autoren schlussfolgerten, dass der Dialysebeginn nicht allein an der GFR festgemacht, sondern von klinischen

Faktoren abhängig gemacht werden sollte.

Wie die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie kommentierte, hat diese Erkenntnis „eine große gesundheitsöko-nomische Relevanz: Bei den Patienten, die keine klinischen Zeichen der Urämie zeigen, wie Übelkeit, Erbrechen, Durch-fälle, Appetitlosigkeit, Überwässerung, wäre es möglich, die Dialysebehand-lung später zu beginnen“.

Warnungen blieben nicht aus. Norbert Lameire und Wim van Biesen von der Universität Gent – sie schrieben das Editorial zur Originalarbeit – verweisen auf die hohen Risiken eines späten Be-ginns, vor allem wenn die urämischen Symptome nicht rechtzeitig erkannt würden. Sie raten, die Patienten eng-maschig nephrologisch zu untersuchen und frühzeitig auf eine Peritonealdia-lyse vorzubereiten oder einen Shunt für die Hämodialyse anzulegen (New England Journal of Medicine 2010; 363: 609–619). J.A. ■

■ Quelle: 49. Europäischer Nierenkongress (ERA-EDTA), Paris, 2012

IDEAL-Studie

Patienten kann man natürlich entscheidend das Weiterleben ermöglichen. Die Gefäße der Nieren sind allerdings meistens so geschä-digt, dass eine Nierenersatztherapie unum-gänglich wird, während sich die Schäden am Herzen und Gehirn in gewissem Maße zurückbilden.

Eine gute Lebensplanung ist unausweichlich

MMW: Stichwort Lebenserwartung unter Dialyse: Hier scheinen die Jungen nicht so sehr zu profitieren.Wanner: Eine gute Lebensplanung ist unausweichlich. Sie können mit einer Nie-renersatztherapie ohne weiteres 30–40 Jahre weiterleben. Wenn ein 20-Jähriger an die Dialyse kommt, ergeben die 30 Jahre

am Ende 50 „nur“ Jahre. Das ist schon ein deutlich verkürztes Leben verglichen mit der Gesamtpopulation, aber diese Zeit ist eben durch verschiedene Nierenersatzverfahren wie Peritonealdialyse, Hämodialyse, Nieren-transplantation ein langer, manchmal „unru-higer“ Weg, aber doch mit Phasen sehr guter Lebensqualität verbunden. In diesen Phasen werden z. B. Familiengründungen möglich. Aber prinzipiell ist zu sagen: Es gilt, das Leben der Patienten mit Nierenversagen sorgfältig zu planen. Hier muss der Patient von seinem Arzt gut geführt werden.

■ Interview: Dr. med. Jochen Aumiler

Frühe Dialyse ohne Vorteile?