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FVA-einblick + FORSTLICHE VERSUCHS- UND FORSCHUNGSANSTALT Baden-Württemberg 1/2008 Wald und Klima

FVA-einblick 1/2008

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Page 1: FVA-einblick 1/2008

Forstliche Versuchs-und ForschungsanstaltBaden-Württemberg

Wonnhaldestr. 4D-79100 Freiburg

Tel.: + 49 (0)7 61 40 18 -0Fax: + 49 (0)7 61 40 18 -3 33E-Mail: [email protected]: www.fva-bw.de

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FORSTLICHE VERSUCHS- UND FORSCHUNGSANSTALT

Baden-Württemberg

1/2008

Wald und Klima

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Impressum

ISBN 978-3-933548-96-2ISSN 1614-7707Jahrgang 12

Herausgeber

Prof. Konstantin Frhr. von Teuffel,Direktor der Forstlichen Versuchs-und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA)

Adresse

Wonnhaldestr. 4D-79100 FreiburgTelefon: (07 61) 40 18 – 0Fax: (07 61) 40 18 – 3 [email protected]

Redaktion

Frank BrodbeckSteffen HaasMarco ReimannJürgen SchäfferThomas WeidnerDiana Weigerstorfer

Aufbereitung der Grafiken

Steffen Haas

Gestaltung

Thomas Weidner(sowie Fotografie Umschlag, Seite8, 21 - 23, 26, 54 - 59)

Auflage

2. verbesserte und überarbeiteteAuflage mit 500 Exemplaren

Die Redaktion behält sich das sinn-wahrende Bearbeiten vor. Die Bei-träge müssen nicht die Meinungdes Herausgebers wiedergeben.

Freiburg i. Brsg., Juli 2008

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Wald und Klima

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Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

die Verunsicherungen in unserer Gesellschaft im Hinblick auf die weitere Klimaentwicklung mit ihren Auswirkungen istgroß. Spätestens seit der Veröffentlichung des vierten Sachstandsberichtes des UN-Umweltrates IPCC im Jahr 2007 gibtes die Gewissheit, dass die Jahresdurchschnittstemperaturen auch in den nächsten Jahrzehnten ansteigen werden. Alleindieses Prognoseergebnis, wenngleich die verschiedenen Szenarien noch in einem weiten Temperaturrahmen vonvergleichsweise optimistischen 1,1°C bis hin zu einer mittleren Erwärmung um 6,4°C im Extremfall streuen, macht deut-lich, dass wir in jedem Fall mit Veränderungen beziehungsweise Anpassungsprozessen rechnen müssen.

Es muss festgestellt werden, dass der Einfluss des Menschen auf diese Entwicklung des Klimas ein wissenschaftlicherFakt ist. Daher kann nur durch eine konsequente Klimapolitik die Erderwärmung langfristig abgebremst werden. Die drin-gend erforderliche Kehrtwende in der Klimapolitik kann nur bei stringentem, weltweit abgestimmten politischen Handelngelingen. Aber auch die Klimapolitik in Baden-Württemberg muss sich dieser Herausforderung stellen und zu Lösungenbeitragen.

Der Klimawandel wird auch für unsere naturnahe Waldwirtschaft und die Waldökosysteme in Baden-Württemberg Auswir-kungen haben. Wälder können sich nur relativ langsam an Veränderungen ihrer Umweltbedingungen anpassen. Ein Baum-leben umfasst mehrere menschliche Generationen, die Anpassungsfähigkeit geht mit zunehmendem Alter zurück. AuchVerschiebungen ganzer Waldökosysteme mit der klimatischen Entwicklung – zum Beispiel nach Norden oder in höhereBergregionen – vollziehen sich langsam.

Kein Wunder, dass die Förster im Lande die aktuellen Klimaprognosen mit großer Sorge beobachten. Weiter ansteigendeTemperaturen, sinkende Niederschläge in der Vegetationszeit, die Zunahme katastrophaler Extremereignisse, wie Orkaneoder Dürreperioden, und ein höherer Druck durch Schädlinge werden sich gravierend auf unsere Wälder auswirken. Be-troffen sind in Baden-Württemberg 1,36 Mio. Hektar Waldfläche (38 Prozent der Landesfläche) und rund 230.000 Wald-besitzer. Betroffen ist ferner das gesamte Cluster „Forst und Holz“. In Baden-Württemberg werden in diesem Cluster rund5,3 % des Bruttoinlandproduktes pro Jahr umgesetzt und rund 140.000 Menschen finden hier Beschäftigung. Betroffenist aber auch die gesamte Bevölkerung. Intakter Wald ist Daseinsvorsorge. Nur gesunde Wälder mit einem ausreichendenAnpassungsvermögen gewährleisten die vielfältigen Waldfunktionen.

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Viele für forstpolitische Entscheidungen notwendige Informationen zum Klimawandel sind leider noch nicht ausreichendabgesichert oder überhaupt verfügbar. Die Wissenschaft ist hier gefordert. An der Forstlichen Versuchs- und Forschungs-anstalt (FVA) in Freiburg wurde inzwischen ein interdisziplinäres Schwerpunkt-Forschungsprojekt auf den Weg gebracht,das innerhalb eines Zeithorizonts von drei Jahren Antworten auf einige dieser Fragen liefern soll. Zusätzlich werden eineReihe von Fachfortbildungen zu ersten Ergebnissen aus der Klimafolgenforschung für Praktiker durchgeführt. Mit demvorliegenden Kompendium stellt die FVA den bisherigen Stand des Wissens vor.

Wie wird das Klima in Baden-Württemberg zum Beispiel in fünfzig Jahren sein, auf welchen Waldstandorten haben wirdann zukünftig mit einem für uns ungewohnten, höheren Trockenheitsrisiko zu rechnen, können sich unsere Baumartenausreichend an die veränderten Bedingungen anpassen oder müssen wir andere Herkünfte, andere Baumarten als bisherstärker in Betracht ziehen? Wie sieht ein gezieltes Risikomanagement gegen neue biotische und abiotische Gefahren fürden Wald aus? Diese und andere wichtige Fragen sind nicht aus dem Stegreif zu beantworten. Den Abgesang auf einzelneBaumarten, zum Beispiel der Fichte anzustimmen, oder eine pauschale Reduzierung der Holzvorräte zu fordern, dafür istes noch zu früh.

Nicht unterschätzen sollte man auch die politische Positionierung der Waldwirtschaft in Bezug auf die Kohlendioxid-Sen-kenfunktion von nachhaltig bewirtschaftetem Wald und den daraus gewonnenen Holzprodukten oder beim Thema Bioen-ergie.

Bei allen Chancen und Risiken, Ängsten und Unsicherheiten, die sich mit dem Thema Klimawandel verbinden, scheint esauch eine neue gesellschaftliche Wertschätzung des Waldes, der Waldbesitzer und der Menschen, die im und für den Waldarbeiten, zu geben.

Stuttgart, im März 2008

Peter Hauk MdLMinister für Ernährung und Ländlichen Raum Baden-Württemberg

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Autoren

Dr. Petra Adler, FVA, Abt. Forstökonomie

Axel Albrecht, FVA, Abt. Waldwachstum

Jürgen Bayer †, FVA, Abt. Biometrie und Informatik, Leiter des GIS-Bereichs

Dr. Bernhard Bösch, FVA, Abt. Biometrie und Informatik

Veronika Braunisch, FVA, Abt. Wald und Gesellschaft

Dr. Frank Brodbeck, FVA, Abt. Waldnutzung

Dr. Horst Delb, FVA, Abt. Waldschutz

Helge von Gilsa, Ministerium Ländlicher Raum, Referat für Waldbau, Forsteinrichtung, Waldschutz und Jagd (55),Referatsleiter

Karin Grebhan, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Meteorologisches Institut

Prof. Dr. Marc Hanewinkel, FVA, Abt. Biometrie und Informatik

Dr. Christoph Hartebrodt, FVA, Abt. Forstökonomie, Abteilungsleiter

Dr. Sebastian Hein, FVA, Abt. Waldwachstum

Dr. Gerald Kändler, FVA, Abt. Biometrie & Informatik, Abteilungsleiter

PD Dr. Ulrich Kohnle, FVA, Abt. Waldwachstum, Abteilungsleiter

Prof. Dr. Christoph Kottmeier, TH Karlsruhe, Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK), Institutsleiter, sowieSüddeutsches Klimabüro, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Prof. Dr. Helmut Mayer, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Meteorologisches Institut, Institutsleiter

Dr. Hans-Gerd Michiels, FVA, Abt. Waldökologie

Dr. Yvonne Morgenstern, FVA, Abt. Boden und Umwelt

Dr. Ralf Petercord , FVA, Abt. Waldschutz

Dr. Heike Puhlmann, FVA, Abt. Boden und Umwelt

Dr. Dirk Schindler, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Meteorologisches Institut

Dr. Matthias Schmidt, Nordwestdeutsche FVA, Sachgebiet Informatik & Wachstumsmodellierung

Dr. Hansjochen Schröter, FVA, Abt. Waldschutz, Abteilungsleiter

Holger Veit, FVA, Abt. Waldschutz

Dr. Klaus von Wilpert, FVA, Abt. Boden und Umwelt, Abteilungsleiter

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Inhalt

Klimaentwicklung erkennen

Vom 4. IPCC-Sachstandsbericht zu regionalen Aussagen für Baden-Württembergvon Christoph Kottmeier

KLARA, KLIWA, WETTREG - Klimaszenarien und ihre Auswirkung auf Baden-Württembergvon Bernhard Bösch und Petra Adler

Sturmrisiko besser verstehen

Risiko und Klimawandelvon Marc Hanewinkel

Klimawandel und Stürme über Europa – eine Literaturübersichtvon Axel Albrecht, Dirk Schindler, Karin Grebhan, Ulrich Kohnle und Helmut Mayer

Ein einzelbaumspezifisches Sturmschadensmodell: Grundlagen, Ergebnisse, Anwendungvon Ulrich Kohnle, Matthias Schmidt, Jürgen Bayer † und Gerald Kändler

Folgegefahren abschätzen lernen

Trockenstressrisiko für die Waldbestände in Baden-Württembergvon Heike Puhlmann, Yvonne Morgenstern und Klaus von Wilpert

Forstinsekten im Klimawandel – alte Bekannte mit neuem Potenzial?von Ralf Petercord, Holger Veit, Horst Delb und Hansjochen Schröter

Potenzielle Auswirkungen des Klimawandels auf boreal-montane Vogelartenvon Veronika Braunisch

Waldbau überdenken und anpassen

Waldbau und Klima – was tun?von Helge von Gilsa

Dynamisierte Einstufung der Baumarteneignung als Grundlage für die waldbauliche Planungvon Hans-Gerd Michiels

Waldbauliche Handlungsmöglichkeiten angesichts des Klimawandelsvon Ulrich Kohnle, Sebastian Hein, und Hans-Gerd Michiels

Zur Abmilderung beitragen

Die Rolle des Waldes im CO2-Haushalt des Landes Baden-Württembergvon Christoph Hartebrodt

Abmilderung des Klimawandels durch Forstwirtschaft? Nutzung von Bioenergie in Baden-Württembergvon Frank Brodbeck

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Vom 4. IPCC-Sachstandsbericht zu regionalen Aussagenfür Baden-Württemberg

von Christoph Kottmeier

Der 4. Sachstandsbericht AR4 (As-sessment Report) des International Panelfor Climate Change (IPCC) hat 2007 miteindringlichen Aussagen das Problemder Klimaveränderung bewusst gemachtund Aufsehen in Politik und Gesellschafthervorgerufen. Der IPCC analysiert undbewertet die wissenschaftliche Literaturbezüglich der physikalischen Grundla-gen der Klimaveränderung (IPCC 2007a),der Klimaauswirkungen, Anpassung und

Verletzlichkeit (IPCC 2007b) und derMinderungs- und Dämpfungsstrategiendes Klimawandels (IPCC 2007c).

Der Kenntnisstand zum Klimawandelseit dem 3. Sachstandsbericht 2001(TAR) hat sich beträchtlich verbessertund führt zu der sehr wahrscheinlichen(„very high confidence“) Schlussfolge-rung, dass seit 1750 die menschlichenAktivitäten eine globale Erwärmung be-wirkt haben, die durch den zusätzlichen

sogenannten Strahlungsantrieb von+1,6 Watt pro Quadratmeter (W/m2) miteinem Unsicherheitsbereich von +0,6 bis+2,4 W/m2 dargestellt werden kann. DerStrahlungsantrieb ist ein durch Modelleberechenbares Maß für die Klima-änderung, das sinnvoll die Erwärmung inder unteren Atmosphäre und an der Erd-oberfläche sowie die Abkühlung in derStratosphäre oberhalb von ca. 12 kmHöhe kennzeichnet.

Treibhausgase, Aerosole unddie Sonnenstrahlung

Wesentlich für die Temperaturzunah-me verantwortlich sind die sogenanntenTreibhausgase, vor allem Kohlendioxid(Anstieg von 290 ppm vor der Industria-lisierung auf über 370 ppm heute), Me-than und Distickoxid, die allein sogar ei-nen Strahlungsantrieb von +2,3 W/m2

bewirkt haben sollen. Die ebenfalls verän-derlichen Schwebteilchen in der Atmos-phäre haben offensichtlich dämpfendgewirkt und zwar über ihre direkte Strah-lungswirkung (-0,5 W/m2) und Einflüsseauf die Wolkenbedeckung (-0,7 W/m2).Die Wirkung der Aerosole gehört nachwie vor zu den nicht sicher bestimmbarenEffekten. Neben den Treibhausgasen tra-gen beispielsweise auch Änderungen derSonnenstrahlung und vulkanogene Ae-rosole zu natürlichen Klimaänderungenbei und können die zukünftige Klimaent-wicklung beeinflussen.

Klimaszenarien

Die Szenarienrechnungen für daszukünftige Klima sind nicht als Vorhersa-gen aufzufassen, wie sie täglich für dasWetter möglich sind, sondern beschrei-ben wahrscheinliche Zustände des Kli-masystems (Atmosphäre, Ozean, Eis,

Abb. 1: Entwicklungen globaler Temperaturen in Bodennähe (ausgezogeneLinien) als Mittel über alle Klimamodelle für die Emissionsszenarien A2, A1Bund B1 relativ zum Zeitraum 1980–1999. Die Streubereiche zeigen die ±1Standardabweichung der IPCC-Modelle für Jahresmittelwerte. Die Linie inOrange zeigt das Ergebnis für festgehaltene Konzentrationen auf dem Standvon 2000. Die grauen Balken rechts zeigen das wahrscheinlichste Ergebnisfür das Jahr 2100 und Streubereiche unter Einbeziehung weiterer Modelleund Annahmen. (IPCC 2007d)

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Boden, Vegetation) unter geändertenRandbedingungen, insbesondere derchemischen Zusammensetzung der At-mosphäre. Solche Klimamodelle bein-halten ebenfalls wetterähnliche Abläufe,also z. B. wandernde Hoch- und Tief-druckgebiete, können aber nur statistischüber die Mittelwerte und Schwankungs-maße für Zeiträume von Jahrzehnten in-terpretiert werden. Eine Unterscheidungzwischen z. B. 2040 und 2045 ist dabeinicht möglich und Kurven der zeitlichenEntwicklungen repräsentieren gleitendeMittelwerte über mindestens 20 Jahre.

IPCC-Ergebnisse globalerModelle

Die einzige physikalisch basierte Dar-stellung zukünftiger Klimaentwicklungenauf der globalen und der regionalen Skalaist durch Klimamodelle gegeben. DieAussagen im AR4 des IPCC beruhen zueinem großen Teil auf Szenarienrechnun-gen mit globalen Klimamodellen, dieweltweit an verschiedenen Forschungs-zentren entwickelt worden sind. Solcheglobale Modelle werden ständig verfei-nert, wobei derzeit eine Maschenweite

Abb. 2: Temperatur- und Nieder-schlagsänderungen der MMD-A1BSimulationen in Europa.Obere Reihe: Jahresmittel,Dezember-Februar und Juni-August-Mittel der Temperatur alsDifferenz zwischen 1980 bis 1999und 2080 bis 2099, als Mittel über21 Modelle.Mittlere Reihe: wie Temperatur,aber relativeNiederschlagsänderung.Untere Reihe: Anzahl der Modellemit Zunahme des Niederschlags.

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von ca. 110 km wegen des großen Re-chenaufwandes nicht unterschrittenwird. Damit wird ganz Deutschland nurdurch wenige Gitterzellen abgedeckt undes können nur generelle Entwicklungenbeschrieben werden, während vielfältigeDetails nicht scharf dargestellt werden. ImFolgenden werden die Entwicklungeneiniger wichtiger Klimavariablen wie Tem-peratur und Niederschlag gezeigt.

Die Szenarienrechnungen (Abb.1)geben einheitlich eine globale Erwärmungwieder, die bis zur Mitte des 21. Jahrhun-derts noch relativ langsam um insgesamt1,4 °C (im Mittel der Modelle) erfolgt unddanach bis zum Ende des Jahrhundertsje nach Emissionsszenario intensiviertwird oder abflacht. Die Ergebnisseschwanken dann mehr und mehr auchzwischen den Modellen (Abb. 1, Streubal-ken rechts) bei gleichen Emissionsan-nahmen.

Vom IPCC wurden verschiedene Fa-milien von Emissionsszenarien entwi-ckelt (IPCC Special Report On EmissionScenarios, SRES), die charakteristischeEntwicklungen beschreiben:A1:Die A1-Szenariofamilie beschreibt

Emissionen in einer zukünftigen Weltraschen ökonomischen Wachstums,mit einer wachsenden Weltbevölke-rung bis 2050 und leichter Abnahmedanach, sowie einer schnellen Ein-führung neuer und emissionseffizien-ter Technologien. Aus der weiterenUntergliederung nach zukünftigerEnergieerzeugung wird oft das Sze-nario A1B verwendet, das eine Mi-schung zwischen der Nutzung fossi-ler Brennstoffe und regenerativer En-ergie beschreibt.

A2:Das A2-Szenario beschreibt einesehr heterogene Welt, mit konti-nuierlich wachsender Bevölkerungund regional differenzierter ökonom-ischer Entwicklung.

B1:Die Annahmen gelten für eine kon-vergierende Welt mit Bevölkerungs-wachstum ähnlich wie in A1, aber mitraschen Veränderungen innerhalb derökonomischen Strukturen hin zu ei-ner Dienstleistungs- und Informati-onsökonomie, die weniger Rohstof-fe benötigt und saubere und effizien-te Technologien verbindet.

B2:Die B2 Szenariofamilie gilt für eineWelt mit überwiegend lokalen Lösun-gen der ökonomischen, sozialen undumweltbezogenen Probleme beilangsamerem Bevölkerungswachs-tum als bei A2, mittlerem Wirtschafts-wachstum und differenzierten tech-nologischen Lösungen.

Globale Prognose

Die SRES-Szenarien berücksichti-gen keine besonderen Klimaschutzmaß-nahmen, wie sie von den Vereinten Nati-onen in der Rahmenvereinbarung zumKlimawandel oder im Kyoto Protokollvorgeschlagen wurden.

Die globalen Temperaturverteilungenzeigen nach den Modellergebnissen bis2100 besonders starke Erwärmung um 6-8 °C in der Arktis und geringere Erwär-mung von 1-2 °C in den Tropen. Die At-mosphäre über den Kontinenten erwärmtsich mehr als über den Ozeanen.

Die Niederschläge werden globalenModellen zufolge wahrscheinlich in mitt-

leren bis hohen nördlichen Breiten zu-nehmen. In den meisten Gebieten werdenNiederschlagsschwankungen sehr wahr-scheinlich größer. Die Schnee- und Meer-eisbedeckung auf der Nordhemisphärewird weiter abnehmen.

Regionale Ausschnitte ausglobalen Modellen

Im vierten IPCC-Bericht wird auch aufregionale Ausschnitte globaler Modelleeingegangen, die beim sogenanntenMMD-Datensatz (Multi Model Data) 21Modelle für das häufig zugrunde gelegteSzenario A1B umfassen.

Die Temperatur- und Niederschlags-änderungen im Mittel der Modelle werdenfür Europa in Abbildung 2 gezeigt. Diestärkste Temperaturzunahme mit mehrals 6 °C findet im Winter im nördlichenAtlantik, in Skandinavien und Osteuropastatt. Im Sommer tritt die größte Erwär-mung mit bis 4 °C in den Ländern um dasMittelmeer herum auf.

Eine Niederschlagszunahme um biszu 30 % ergibt sich im Winter in ganzNord- und Mitteleuropa bis zu den Py-renäen und Alpen bei 45 °N, im Sommerin Nordeuropa bis etwa 55 ° N. Hierdurchergibt sich für Deutschland eine sommer-liche Abnahme und eine winterliche Zu-nahme des Niederschlags. Die Unter-schiede zwischen den Modellen sind indiesem Übergangsbereich groß und eini-ge Modelle zeigen sogar einen entgegen-gesetzten Trend. Die Aussagen sinddabei in Mitteleuropa unsicherer als imMittelmeerraum und Skandinavien.

Regionale Klimamodelle

Da die globalen Klimamodelle mit ih-rer groben Maschenweite die tatsächli-chen Vorgänge in der Atmosphäre wenigdetailliert wiedergeben, werden seit eini-gen Jahren zunehmend auch regionaleKlimamodelle entwickelt und eingesetzt.Hierbei wird bisher mit einem verfeinertenGitter von ca. 50 km Maschenweite einTeilgebiet eines globalen Modells darge-stellt. Aus vielen Messungen ist bekannt,dass die Temperatur- und Niederschlags-

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verhältnisse regional stark schwanken.Beispielsweise finden sich im süddeut-schen Mittelgebirgsraum zwischenHochlagen des Schwarzwaldes und demRheintal Unterschiede des Jahresnieder-schlags zwischen 600 mm und 1800mm. Durch regionale Klimamodelle wer-den Einflüsse von Gebirgen, unter-schiedlichen Böden und Landnutzungenrealistischer als in globalen Modellenberücksichtigt. Die Ergebnisse werdenaber auch deutlich durch die immer benö-tigten Randwerte des antreibenden glo-balen Modells geprägt. Sind die Variablenglobaler Modelle unsicher, wie es für alleGrößen des Wasserkreislaufs gilt, sowerden diese Fehler in Regionalmodellennicht kompensiert. Das von der Europä-ischen Union geförderte ProgrammPRUDENCE (Christensen et al. 2007b)hatte das Ziel, mit Regionalmodellen dieKlimaentwicklung in Europa zu untersu-chen. Die Auflösung lag bei ca. 50 km.

Wie bei den globalen Modellen zeigtsich auch hier im Winter eine zunehmen-de Häufigkeit von Regentagen und mitt-lerer Winterniederschläge. Nahezu alleModelle zeigen Schwankungsbereichemit positiven Werten, so dass der Befund

sehr wahrscheinlich ist. Der mittlere Nie-derschlag an Regentagen und sein 90%-Perzentilwert sind ebenfalls überwie-gend größer als im Vergleichszeitraum.Die Starkniederschläge, ausgedrücktüber die 5- und 50-Jahre Wiederkehrpe-rioden eintägigen Regens und fünftägigerRegenperioden, ändern sich dagegen imWinter uneinheitlich, mit leichter Tendenzzu zunehmender Häufigkeit (Abb. 3).

Im Sommer dagegen nimmt die Häu-figkeit von Regentagen und der mittlereSommerniederschläge bei allen Model-len, im Mittel um 15 bis 40 %, deutlich ab.Der mittlere Niederschlag an Regentagenund sein 90 %-Perzentilwert sind deut-lich positiv. Das heißt, dass die seltenerenRegenereignisse intensiver sein dürften.Dies zeigt sich auch bei den 5- und 50-Jahre Wiederkehrperioden eintägigenRegens und fünftägiger Regenperioden,die mit Ausnahme der Hadley-Center-Modelle deutlich zunehmen.

Regionalmodelle

Auch bei 50 km Auflösung wie beimPRUDENCE–Programm werden viele

Vorgänge in der Atmosphäre noch grobvereinfachend dargestellt. Wichtige Pro-zesse wie etwa die Wolken- und Nieder-schlagsbildung, die Strahlungswirkungvon Gasen und Aerosolen, die Aus-tauschvorgänge an der Erdoberflächeund die Windsysteme in bergigem Gelän-de werden durch lokale Einflüsse geprägt(Kunz und Kottmeier 2005), so dass eineweiter verbesserte Auflösung angestrebtwird. Langfristige Simulationen desJetztklimas (letzte 30 Jahre) und Szena-rienrechnungen bis zum Jahr 2100 liegenbereits mit 10 km Auflösung vom Modell-system REMO und mit 18 km Auflösungdurch Rechnungen mit CLM-CR vor.Über die Ergebnisse der REMO-Simula-tionen und statistischer Klimamodellie-rung im Programm KLIWA wird geson-dert in diesem Heft berichtet. Das 2007anlaufende Forschungsprogramm „Her-ausforderung Klimawandel“ des LandesBaden-Württemberg hat es sich zum Zielgesetzt, die regionalen Klimaänderungenmit besonderem Schwerpunkt der Ände-rungen des Niederschlags in kleinen undmittleren Einzugsgebieten, der Sturm-häufigkeit und die Klimaentwicklung dernächsten Zeit bis 2020 detailliert zu un-

henweite von mindestens 100 km, die durch

und liefern nur unscharfe Abbildungen der

ngen in der Darstellung der wichtigsten Proz

dung, der Strahlungswirkung von Gasen un

ustauschvorgänge an der Erdoberfläche vari

d ll d li h h ß i iAbb. 3: Änderungen des flächengemittelten Niederschlags (Verhältnis 2071–2100 zu 1961–1990 für A2Emissionszenario) der PRUDENCE-Simulationen in Mitteleuropa (5°E–15°E, 48°N–54°N) im Winter (Dez. - Feb., oben)und im Sommer (Juni - Aug., unten). fre = Häufigkeit von Regentagen; mea = mittl. 3-Monatsniederschlag; int = mittl.Niederschlag an Regentagen; q90 = 90 % Perzentil von int; x1d.5 und x1d.50 = 5- u. 50-Jahre Wiederkehrperiodeeintägigen Regens; x5d.5 und x5d.50 = 5- u. 50-Jahre Wiederkehrperiode fünftägiger Regenperioden. Für jedes deracht Modelle sind die Fehlerbalken des 95% Konfidenzintervalls aufgrund Stichprobenunsicherheit angegeben (nachFrei et al., 2006). Modelle sind das Hadley Centre Atmospheric Model (HadAM3H), das Climate High Resolution Model(CHRM), die Klimaversion des ‘Lokalmodells’ (CLM; heute COSMO-CLM), das Hadley Centre Regional Model(HadRM3H und HadRM3P), die Kombination des High-Resolution Limited Area Model (HIRLAM) und des ECHAM4-GCM (HIRHAM), das Regionalmodell REMO, und das Rossby Centre Regional Atmosphere-Ocean model (RCAO).(Christensen et al. 2007b)

ewissen wissenschaftlichen Konsens über z

n nächsten 30 – 100 Jahren (IPCC, 2001; IP

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tersuchen, um daraus auf die Veränderungin der Biosphäre, von Hochwasser-ereignissen und von Infektions-krankheiten schließen zu können. Hierzuwerden am Institut des Verfassers Regio-nalmodelle mehrfach genestet betrieben,um von der globalen Skala in mehrerenSchritten auf kleine Gebiete skalieren zukönnen. Dabei wird eine Auflösung bis zueinem oder wenigen Kilometern ange-strebt.

Im Folgenden wird an zwei Beispielendargestellt, welche Detailschärfe von sol-chen Simulationen zu erwarten ist.

Modellvergleiche Niederschlag

Im Forschungsprogramm „Heraus-forderung Klimawandel“ des LandesBaden-Württemberg steht zunächst dieModellvalidierung für den Zeitraum be-kannten Klimas (1971 – 2000) im Vorder-grund, bevor hochauflösende Szenari-enrechnungen für die Zukunft durchge-führt werden. Mit der Validierung anhandvon Messdaten wird beabsichtigt, Mo-delldefizite zu erkennen und, falls mög-lich, zu beheben.

Ein Beispiel für solche Vergleiche istder Jahresgang des mittleren monatli-chen Niederschlags in Abbildung 4 (Feld-mann et al. 2008) dargestellt. Es zeigt sich,dass in den Wintermonaten vor allem das

globale Modell ECHAM 5, aber auch dieRegionalmodelle REMO-UBA (nur imDezember und Januar, 10 km Auflösung)und CLM-CR (18 km) den beobachtetenNiederschlag (Schwarb et al. 2001) deut-lich überschätzen. Sie bewirken eineKorrektur in der richtigen Richtung, fallenaber insgesamt zu gering aus. Offensicht-lich sind hierfür Schwächen des antrei-benden Globalmodells verantwortlich. Inden Sommermonaten ist die Überein-stimmung der Regionalmodelle mit denMessungen deutlich besser und beideRegionalmodelle korrigieren den zu ge-ringen Sommerniederschlag des Global-modells sinnvoll.

Sturmsimulationen

Vor allem Sturmzyklonen mit extre-men Windgeschwindigkeiten und Nie-derschlägen sind nach den Daten einergroßen Gebäudeversicherungsgesell-schaft im Land Baden-Württemberg für62 % der wetterbedingten Schäden ver-antwortlich. Sie entstehen im Regelfallbereits über dem Atlantik und erreichenvon Westen kommend Mitteleuropa. Fürdas Simulationsgebiet regionaler Klima-modelle bedeutet das, dass solcheSturmzyklonen über die Randwerte indas Modellgebiet hineinwandern. DieFähigkeit des globalen Modells, solchegroßräumigen Tiefdruckgebiete ent-stehen und sich entwickeln zu lassen,bestimmt die Häufigkeit und Intensitätvon Winterstürmen auch im Regional-modell. Kleinräumiges Extremwetter, vorallem durch konvektive Wettersysteme,muss dagegen durch regionale Modelleim Inneren des Modellgebiets realistischausgelöst werden.

Auch für die größeren Tiefdruckge-biete zeigt sich der Vorteil der Regional-isierung (Abb. 5) deutlich. Die Mittelge-birge zeichnen sich aufgrund der Ge-schwindigkeitsverstärkung bei derBergüberströmung deutlich ab. Die Ge-schwindigkeiten können dadurch in denHochlagen orkanartig werden und umdas Dreifache höher als in Tallagen aus-fallen.

Eine Zunahme der Sturmhäufigkeitzeichnet sich globalen Modellen zufolgebesonders in Nordeuropa einschließlich

der deutschen Küstenregionen ab. Derim Sommer bereits jetzt schwachwindigeMittelmeerraum wird demnach auch imWinter weniger Stürme zeigen. Süd-deutschland im Übergangsbereichdazwischen könnte verhältnismäßig we-nig Änderung erleben. Erste Analysender COSMO-CLM Szenarienrechnun-gen zeigen für die nächsten Jahrzehnteeine leichte Zunahme des Mittelwertes,aber keine signifikante Änderung derHäufigkeit hoher Windgeschwindigkei-ten. Diese Ergebnisse sind noch als vor-läufig zu betrachten und werden zur Zeitdurch weitere Modellrechnungen über-prüft.

Ausblick

Der 4. Sachstandsbericht des IPCChat dem Problem des Klimawandelsbesonders große Publizität in der Öffent-lichkeit verschafft. Die daraus resultieren-den Fragen danach, was in einzelnen Re-gionen und Orten zu erwarten ist, kannzum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesi-chert beantwortet werden. Globale undregionale Klimamodelle müssen vor-rangig mit Daten für das gut dokumentier-te derzeitige Klima verifiziert werden, umdarauf aufbauend belastbare Prognosenerstellen zu können. Globale Modellemüssen für das europäische Gebietinsbesondere sowohl hinsichtlich derHäufigkeiten von Zirkulationstypen mitNiederschlag, der Zyklonenklimatologieund der horizontalen Wassertransporteam westlichen Einströmrand verifiziertwerden.

Regionale Modelle sollten in der Lagesein, die regionalen Klimabesonderhei-ten und insbesondere die frontgebunde-nen und die konvektiven Niederschlägerealitätsnah wiederzugeben. ErheblicheFortschritte in dieser Richtung werdenzur Zeit im Programm „HerausforderungKlimawandel“ für Baden-Württembergdurch Validierung der Modelle und dieErhöhung ihrer räumlichen Auflösungunternommen. Kleinräumige Wetter-phänomene wie Gewitter, Tornados undHagel können derzeit in regionalen Kli-mamodellen noch nicht explizit simuliertwerden und erfordern vereinfachte Be-

Abb. 4: Jahresgang des mittlerenmonatlichen Niederschlags inSüdwest-Deutschland (1971-2000).Ausgezogene Kurve:Beobachtungen; UnterbrocheneLinien: CLM, REMO und ECHAM5.(Feldmann et al. 2008)

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Abb. 5: Linke Seite: Die Simulationeines hypothetischen Sturms imglobalen Klimamodell ECHAM 5 mit1,85 Grad Auflösung , was ca. 200km entspricht.Rechte Seite: COSMO-CLM mit0,088 Grad Auflösung. Die Farbskalades rechten Bildes gibt dieWindgeschwindigkeiten des Sturmsin m/s wieder.(Kunz et al. 2008)

Literatur

IPCC (2007a): Climate Change 2007: ThePhysical Science Basis. Contribution ofWorking Group I to the FourthAssessment Report of theIntergovernmental Panel on ClimateChange [Solomon, S., D. Qin, M.Manning, Z. Chen, M. Marquis, K.B.Averyt, M.Tignor and H.L. Miller (eds.)].Cambridge University Press, Cambridge,UK and New York, NY, USA.

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handlungen. Da ihr Einfluss groß seinkann, sind solche kleinräumigen Vorgän-ge und ihre Modelldarstellung durchausführliche Messprogramme zu verbes-sern, so wie es beispielsweise 2007 fürden Mittelgebirgsraum im Großexperi-ment COPS (Convective and Orographi-cally induced Precipitation Study) reali-siert wurde (Wulfmeyer et al. 2008).

Die Klimafolgenforschung erforderteine engere Kooperation zwischen Wis-

Science Basis. Contribution of WorkingGroup I to the Fourth Assessment Report ofthe Intergovernmental Panel on ClimateChange [Solomon, S., D. Qin, M. Manning,Z. Chen, M. Marquis, K.B. Averyt, M.Tignorand H.L. Miller (eds.)]. Cambridge UniversityPress, Cambridge, UK and New York, NY,USA.

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Wulfmeyer, V., A. Behrendt, H.-S. Bauer, C.Kottmeier, U. Corsmeier, G. Adrian, A. Blyth,G. Craig, U. Schumann, M. Hagen, S.Crewell, P. Di Girolamo, C. Flamant, M.Miller, A. Montani, S. Mobbs, E. Richard, M.W. Rotach, M. Arpagaus, H. Russchenberg,P. Schlüssel, M. König, V. Gärtner, R.Steinacker, M. Dorninger, D. Turner, T.Weckwerth, A. Hense and C. Simmer (2008):The Convective and Oro- graphically-inducedPrecipitation Study: A Research andDevelopment Project of the World WeatherResearch Program for Improving QuantitativePrecipitation Forecasting in Low-mountainRegions. Bull. Amer. Met. Soc., in print.

senschaftlern verschiedener Disziplinenund Politik, betroffenen Verbänden, In-dustrieunternehmen, Verwaltungen undBürgern, wobei die denkbaren Szenarienhinsichtlich ihrer Folgen und der Vorsor-gemaßnahmen eingehend zu untersu-chen sind.

In Ergänzung zu anderen laufendenoder bereits durchgeführten For-schungsprogrammen wurde hierzuunlängst ein Süddeutsches Klimabüroam Karlsruher Institut für Technologie(KIT) eingerichtet. Dieses Klimabüro sollin enger Kooperation mit den Einrichun-gen der Länder und des Bundes alsSchnittstelle zu Fragen des Klimawan-dels im gesamten süddeutschen Raumdienen.

Prof. Dr. Christoph KottmeierInstitut für Meteorologie und Klima-forschung (IMK)Tel.: (0721) 608 [email protected]

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KLARA, KLIWA, WETTREG - Klimaszenarien und ihreAuswirkung auf Baden-Württemberg

von Bernhard Bösch und Petra Adler

Wer sich mit der Klimatologie be-schäftigt, wird mit einer Fülle von Begrif-fen, Szenarien, Modellen, Berichten undErgebnissen konfrontiert. Für forstlicheFragestellungen ist es unumgänglich,sich zuerst ein Verständnis der Gesamt-problematik anzueignen.

Auf die Rolle des Weltklimarates(IPCC) und die Fortschritte bei der Ent-wicklung der globalen Zirkulationsmo-delle GCM (Global Climatic Models) wur-de in dem Beitrag von Kottmeier bereitseingegangen. Diese aufwändigen Klima-

simulationen liefern mögliche Progno-sen des Klimas unter bestimmten Annah-men über die Entwicklung der Weltbevöl-kerung, der ökonomisch-sozialen Ent-wicklung, der technologischenVeränderung, des Ressourcenbereichsund des Umweltmanagements. Dieinsgesamt 40 Szenarien werden in vierHauptgruppen A1, A2, B1 und B2 zu-sammengefasst. Die komplexen Modellesind unter dem Namen ECHAM1 bisECHAM5 bekannt, wobei ECHAM5/MPI-OM die aktuellste Variante bezeichnet.

„Global“ bedeutet, dass diese Mode-lle die gesamte Erde mit einer Rasterauf-lösung von ca. 250 x 250 km umspannen.In diesen groben Skalen ist eine Vorher-sage der Klimaentwicklung für kleinereRegionen nicht möglich, da die Topogra-phie der Erdoberfläche nur unzureichendwiedergegeben wird. Regionale Beson-derheiten werden nicht dargestellt.

Zur Bewertung regionaler Klimaent-wicklungen und regionaler Risiken undChancen müssen deshalb Verfahren an-gewandt werden, mit welchen die Ergeb-nisse aus den globalen Modellen übertra-gen werden können.

Regionalisierungsverfahren

Die Berechnung von Klimadaten auflokalen Skalen, welche deutlich unter derModellauflösung der GCMs liegen, wirdals „Downscaling“, also „herunterrech-nen“ bezeichnet. Da unter dem BegriffKlima Zeiträume verstanden werden, diedeutlich länger als ein Jahr sind, unddamit die Auflösung der Zeitskala be-schränkt ist, wird Downscaling in der Kli-matologie meist räumlich interpretiert:Als Informationstransfer von einer gro-ben auf eine feiner aufgelöste Skala.

Dabei werden zwei Vorgehensweisenunterschieden, um die Klimaparametervon der groben GCM-Skala auf regiona-

le Gitterpunkte herunterzurechnen:Unter „dynamischem Downscaling“

wird die Einbettung eines höher auf-gelösten dynamischen Modells in einGCM verstanden. Dynamisches Down-scaling orientiert sich an den bekanntenphysikalischen Prozessen der Atmos-phäre und entspricht damit von der Vor-gehensweise dem Ansatz der GCM-Mo-delle. Dabei werden die Informationendes GCM-Systems an den Rändern alsVorgabe für die lokalen Berechnungenübernommen. Aus diesem Grund sprichtman auch von „genesteten Systemen“.Ein bekannter Vertreter dieses Ansatzesist das vom Max-Planck-Institut für Me-teorologie entwickelte regionale Klima-modell (REMO).

Im Gegensatz dazu werden im „empi-rischen Downscaling“ statistische Me-thoden eingesetzt. Neben den grob auf-gelösten Klimadaten werden Zusatzinfor-mationen über das fein aufgelöste Feldbenötigt. Über die Berechnung der stat-istischen Zusammenhänge können nöti-ge Information in der fein aufgelöstenSkala hergeleitet werden (Abb. 2).

Downscaling lässt sich nicht nur zurVerfeinerung der Skalen bei Klimamo-delldaten verwenden. Der Deutsche Wet-terdienst (DWD) stellt mit Downscaling-Verfahren die Klimakarten aus den Wet-terdaten der Stationen her. Dazu werdendie auf Meereshöhe reduzierten Datenmathematisch den tatsächlichen Gelän-dehöhen angepasst.

Die empirischen Verfahren unterglie-dern sich weiter in Verfahren, die Wetter-generatoren einsetzen, die mit Wetterla-genklassen arbeiten oder die Transfer-funktionen verwenden. Das VerfahrenWETTREG, das in vielen Untersuch-ungen über die Auswirkungen der Klima-veränderung auf die Wasserwirtschafteingesetzt wird, arbeitet z.B. mit Wetter-lagen (Abb. 3).

Abb. 1: Das „Downscaling“ in einregionales Modell (Kliwa Heft 9)

Abb. 2: Schema zum empirischenDownscaling (Bisolli, Dittmann 2003)

grob aufgelöste

Klimadaten

Zusatzinformationen

über das hoch

aufgelöste Feld

fein

aufgelöste

Klimadaten

statistische

Beziehungen

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Der DWD bietet eine Wetterlagenklas-sifikation speziell für den deutschenRaum an. Es handelt sich um die Objek-tive Wetterlagenklassifikation (OWLK) mit40 definierten Klassen.

Die im deutschen Raum bekanntes-ten Vertreter der Regionalisierungsver-fahren sind das Modell STAR, entwickeltvon der Arbeitsgruppe Dr. Gerstengarbevom Potsdam-Institut für Klimafolgen-forschung (PIK), das Modell WETTREGvon der Firma Meteo-Research und Cli-mate & Environment Consulting (CEC) inZusammenarbeit mit der Freien Universi-tät Berlin und das Modell REMO vomMax-Planck-Institut für Meteorologie inHamburg (Abb. 4).

STAR

STAR ist ein statistisch basiertes re-gionales Klimamodell. Mit Clusterverfah-ren wird ein Zusammenhang zwischengroßräumigen Klimainformationen undden langjährigen Messreihen an den Kli-mastationen des DWD hergestellt. Dabeiist die Temperatur die Leitgröße, aus dersich alle anderen meteorologischen Grö-ßen berechnen. Aus dem übergeordne-ten GCM wird nur der Temperaturtrendübernommen. Der Vorteil ist dabei, dasssystematische Fehler aus dem globalenModell auf ein Minimum reduziert werdenkönnen.

WETTREG

WETTREG (wetterlagenbasierte Regi-onalisierungsmethode) fällt auch in dieKlasse der statistisch empirischen Ver-fahren. In WETTREG werden 40 Klima-und 32 Niederschlagsklassen eingesetzt.Für jede Jahreszeit werden zehn Wetter-lagen für das Temperatur- und acht fürdas Niederschlagsregime unterschieden.Aus den Wetterbeobachtungen kann dieHäufigkeit des Auftretens der einzelnenWetterlagen berechnet werden. Die übereinen Zufallsgenerator erzeugteAneinanderreihung von Wetterlagen wird,zusätzlich zu den Häufigkeiten, durchÜbergangswahrscheinlichkeiten zwi-schen zwei aufeinanderfolgenden Wetter-lagen gesteuert. Somit ist es möglich,sowohl heutige Wetterlagen zu reprodu-

zieren, und damit auch eine Überprüfungdes Modells durchzuführen, als auchkünftige lokale Klimabedingungen zuprognostizieren. Zur Prognose der zu-künftigen Wetterlagen werden die geän-derten Auftretenswahrscheinlichkeitenanhand der GCM-Prognosen ermitteltund dann als Basis für die Prognose über-nommen.

REMO

Im Gegensatz zu den anderen beidenModellen handelt es sich bei REMO umein dynamisches Modell, dessen Berech-nungen auch nicht an den Stationen desDWD erfolgen, sondern an unterschied-lichen Rasterpunkten mit Gitterweitenzwischen 10x10 und 18x18 km. REMOkann sowohl in die Modelle des IPCC(ECHAM4, ECHAM5), als auch in dasEuropamodell des DWD eingebettet wer-den. Die Prozesse werden in REMO unterEinbehaltung der thermodynamischenEnergie- und Massenerhaltungsglei-chungen berechnet, wobei die Atmos-phäre in 20 Schichten geteilt wurde.

Bewertung der Verfahren

Die „antreibenden“ Parameter stam-men bei allen drei Verfahren aus den über-geordneten GCM-Modellen. Allerdingsist die Verwendung und Dichte dieser In-formationen unterschiedlich: STAR be-nutzt nur den berechneten großräumigenTemperaturtrend, WETTREG analysiertdie Wetterlagen und simuliert die Szena-rien anhand der Auftretenswahrschein-

lichkeit. REMO wiederum übernimmt diegesamte Information der übergeordnetenKlimamodelle an den Modellrändern.

KLIWA

KLIWA ist die Abkürzung für dasKooperationsvorhaben „Klimaverände-rung und Konsequenzen für die Wasser-wirtschaft“. Baden-Württemberg undBayern sowie der DWD vereinbarten1998 eine längerfristige gebiets- undfachübergreifende Zusammenarbeit. Zieldes mittel- bis langfristigen Projektes istes, gesicherte Aussagen über die Auswir-kungen des Klimawandels auf denWasserhaushalt zu bekommen und ent-sprechende Handlungsempfehlungenauszuarbeiten. 2006 trat Rheinland-Pfalzals weiterer Partner dem Konsortium bei.

Abb. 3: Downscaling-Schema unterNutzung der Wetterlagenklassifi-kation (Bisolli, Dittmann 2003)

Abb. 4: Schema der unterschiedlichen Modelltypen (PIK Report No. 99)

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Regionale Klimamodelle haben eineerhebliche Auswirkung auf die Berech-nung des Wasserhaushaltes, da die Mo-dellierung des lokalen Niederschlagesdeutlich aufwändiger und schwieriger alsdie Prognose der Temperaturentwick-lung ist. Sie sind die Basis von noch fei-ner skalierten WasserhaushaltsmodellenWHM, LARSIM und ASGI.

Um sich einen Überblick über denEinfluss unterschiedlicher Szenarien undüber die Auswirkung unterschiedlicherRechenmodelle zu verschaffen, be-schlossen die Kooperationspartner 2001einen direkten Vergleich der drei VerfahrenREMO, STAR und WETTREG unter weit-gehend denselben Ausgangsbedingun-gen. Als globales GCM wurde ECHAM 4mit dem Szenario B2 ausgewählt. AlsMessdaten standen die Stationsdatendes DWD von 1951-2000 zur Verfügung.Die Verifikation wurde auf den Zeitraum1971-2000 festgelegt. Das Zukunftssze-nario sollte die Entwicklung des Klimas inder Periode 2021 – 2050 darstellen.

Ergebnisse

Die Temperaturzunahmen von 1,0°-1,2° C bei STAR sind etwas geringer alsbei den anderen beiden Modellen mit1,6°-1,9° C. Die Unterschiede resultierenhauptsächlich aus den Prognosen für dasWinterhalbjahr, wo STAR mit einer Zu-nahme von 1° C unter der Vorhersage von2° der beiden anderen Modelle liegt. Dieshat großen Einfluss auf die Zwischen-

speicherung von Niederschlag alsSchnee.

Mit einer Erhöhung der Niederschlä-ge um 8%, im Vergleich zu 3% von REMOund STAR, simuliert das WETTREG-Mo-dell die höchsten Niederschläge. Gravie-rend sind die Unterschiede bei der ge-trennten Betrachtung von Sommer- undWinterhalbjahr. Während WETTREG fürdas Sommerhalbjahr je nach Region eineAbnahme der Niederschläge von bis zu8% (im Mittel 4%) prognostiziert, weisenREMO und STAR auch im Sommer Zu-nahmen um 6% auf. Am größten sind dieUnterschiede jedoch im Winter, in demWETTREG in manchen Regionen, wie imSchwarzwald, auf Zunahmen von bis zu34% (22,5% im Mittel) kommt, währenddie beiden anderen Modelle kaum Verän-derungen prognostizieren.

Auch wenn die Ergebnisse dieser dreiVerfahren in Teilbereichen, insbesonderejedoch in der Prognose der Niederschlä-ge, merkliche Unterschiede aufweisen,geht der allgemeine Trend in die gleicheRichtung:1. im Vergleich der Periode 1960-1990

und 2030-2050 wird die Temperaturum ca. 1,7° C zunehmen, im Sommerum ca. 1,4° C, im Winter um 2° C.Insbesondere für die Monate Dez. –Feb. bedeutet dies, dass Niederschlä-ge öfter als Regen fallen werden.

2. Die Zahl der Sommertage mit Tempe-raturen > 25° C wird deutlich zuneh-men, dagegen wird die Anzahl anFrosttagen zurückgehen.

3. Die Winter werden milder, aber auchfeuchter. Das gilt insbesondere fürden Schwarzwald (hier differieren diePrognosen beträchtlich).

4. Die Westwetterlagen nehmen zu.5. Die Hochwassergefahr im Winter

steigt, da der Wechsel zwischenSchnee und Regen die Schneede-cken öfter auf- und abbaut.

Fazit

In der Gesamtwertung wurde vomKLIWA-Konsortium entschieden, dasWETTREG Verfahren für weitere Untersu-chungen mit Wasserhaushaltsmodellenzu Grunde zu legen. Aufgrund der gro-ßen Streuung ist nach Aussage allerModellierer eine erneute Erstellung vonregionalen Klimamodellen mit verbesser-ten Methoden erforderlich.

In den Abbildungen 5 bis 7 sind dieErgebnisse der WETTREG-Simulation fürdie Temperaturdifferenzen, die prozentu-alen Änderungen der Niederschlagssum-men und die Veränderung der mittlerenAnzahl von Trockentagen im Sommer-halbjahr abgebildet.

Auf der Basis von WETTREG wurdendaraufhin detailliertere Studien im Be-reich der Wasserwirtschaft durchgeführt,wie die Berechnung von Spannweitenund Änderungen für Temperaturen undNiederschläge, Berechnung von extre-men Trocken- und Nassperioden und dieModellierung von Abflüssen mit Wasser-haushaltsmodellen. Die Ergebnisse sind

Abb. 5: Temperaturdifferenz derJahresmittel (2021-2050)-(1971-2000) WETTREG (Kliwa Heft 9)

Abb. 7: Veränderung der mittlerenAnzahl von Trockentagen imSommerhalbjahr (Kliwa Heft 9)

Abb. 6: Prozentuale Änderung dermittleren Niederschlagssumme (Nov.Apr.) WETTREG (Kliwa Heft 9)

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in den KLIWA Heften 9-11 (www.kliwa.de)veröffentlicht.

KLARA

KLARA ist ein Verbundprojekt desUmweltministeriums Baden-Württem-berg zur Untersuchung des Klimawan-dels, seiner Auswirkungen, der Risikenund der Anpassungsmöglichkeiten. DasProjekt wurde von der Landesanstalt fürUmweltschutz (LfU), heute Landesan-stalt für Umwelt, Messungen und Natur-schutz Baden-Württemberg (LUBW),begleitet.

Die Ergebnisse von KLARA beruhenauf einer weiterentwickelten Version vonSTAR und stimmen nicht vollständig mitden Ergebnissen von KLIWA (beruhendauf WETTREG) überein.

Der Bericht befasst sich unter ande-rem mit der Analyse bestehender Ver-wundbarkeiten, der regionalen Ausprä-gung des Klimawandels sowie den Aus-wirkungen auf die menschlicheGesundheit, Land- und Forstwirtschaft,den Tourismus, den Naturschutz, dieWasserkraftnutzung und die Entwicklun-gen bei Extremereignissen mit großemSchadenspotenzial.

Zur Untersuchung von Klimaverän-derungen, speziell im Bereich der Forst-wirtschaft, ist es notwendig, zusätzlicheSimulationsmodelle einzusetzen, um dieWachstumsdynamik von Waldbestän-den in Abhängigkeiten von Klimavariab-len zu prognostizieren. Im KLARA wirddas am PIK entwickelte Simulationsmo-dell 4C (FORESEE- FORESt Ecosystemsin changing Environment) verwendet, einProzessmodell, das in Abhängigkeit vonden Ressourcen Licht, Wasser und Nähr-stoffe das Wachstum von Baumkohorten(Zusammenfassungen von Bäumen glei-chen Alters und gleicher Dimension) be-rechnet.

Die Eingangsgrößen sind Tagesmittelbzw. Summen der Temperatur, des Nie-derschlags, der Luftfeuchte und derStrahlung. Zur Abschätzung des Ein-flusses auf den Wald wurden Modell-bestände, in Anlehnung an die Alters-klassenverteilung der Bestände in Baden-Württemberg von 1990, in

Zusammenarbeit mit dem European Fo-rest Institute (EFI) an den Standorten derKlimastationen erzeugt. Für jedenModellbestand wurden Simulationen mitdem Modell 4C für das Basisszenario1951–2000 und für das Zukunftsszena-rio 2001-2050 durchgeführt.

Ergebnisse

Für die Fichte verbessert sich dieProduktivität im Westen und Nord-westen Baden-Württembergs, währendsie im Südosten zurückgeht (Abb. 8). FürBuche gibt es in wenigen Wuchsgebieteneinen Zuwachs der Produktivität, wie beider Fichte ist im Südosten eher mit einemRückgang zu rechnen. Dagegen zeigenKiefer und Eiche in fast allen Bereicheneine Steigerung des Zuwachses. Für denGesamtwald ist nach dieser Untersu-chung mit einer leichten Steigerung desZuwachses zu rechnen.

Diese Auswertungen geben nur Hin-weise auf Trends. Sie basieren auf relativgroben, agregierten Eingangsdaten undvereinfachten, abstrakten Modell-ansätzen. Die Ergebnisse entsprechen ineinigen Bereichen (z. B. die Produktivitätder Fichte in wärmeren Regionen Baden-Württembergs) nicht den Erfahrungender Forstpraxis. Darüber hinaus ist fest-zustellen, dass keine Risiken durchSchädlingsbefall, die sich in diesen Regi-onen auf die Entwicklung der Baumartenauswirken, in den Modellen enthaltensind. Die FVA wird auf der Basis ihres lan-

desweiten Versuchsflächennetzes wei-tergehende Untersuchungen durch-führen, die den Zusammenhang zwi-schen der Klimaentwicklung und demWachstum der Hauptbaumarten be-leuchten sollen.

Dr. Bernhard BöschFVA, Abt. Biometrie und InformatikTel.: (07 61) 40 18 - 1 [email protected]

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Abb. 8: Produktivität für Fichte (Alter60) und Buche (Alter 90) (PIK ReportNo. 99)

Literatur

Bissolli, P., Dittmann, E. (2003): ObjektiveWetterlagenklassen. Klimastatusberichtdes DWD 2002.

Matulla, C., Penlap, E.K., Storch, H.v.(2003): Empirisches Downscaling –Überblick und zwei Beispiele.Klimastatusbericht des DWD 2002.

KLIWA Heft 9: Regionale Klimaszenarien fürSüddeutschland, Abschätzung derAuswirkungen auf den Wasserhaushalt,100 S., Karlsruhe 2006.

KLIWA Heft 10: Klimaveränderung undKonsequenzen für die Wasserwirtschaft,Fachvorträge beim 3. KLIWA-Symposium am 25. und 26.10.2006 inKarlsruhe, 256 S., Karlsruhe 2007

KLIWA Heft 11: Zum Einfluss des Klimas aufden Bodensee, 99 S., Karlsruhe 2007

Bronstert, A., Kolokotronis, V., Schwandt, D.,Straub, H. (2006): Vergleich undhydrologische Wertung regionalerKlimaszenarien für Süddeutschland.Hydrologie und Wasserbewirtschaftung,50. Jg., Heft 6, Dez. 2006, 270-287.

PIK Report 99 (2005): KLARA - Klimawandel- Auswirkungen, Risiken, Anpassung,Ed.: Stock, M., Potsdam Institut fürKlimafolgenforschung (PIK)

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Risiko und Klimawandel

von Marc Hanewinkel

Derzeit herrscht nicht nur in derForstpraxis eine große Unsicherheitdarüber, in wieweit sich der prognostizier-te Klimawandel auf die biotischen undabiotischen Schäden im Wald auswirkenkönnte. Der neueste Bericht des Weltkli-marates (IPCC) geht von einer Zunahmevon Wetterextremen aus, worunter aucheine Zunahme von Starkwindereignissenfallen könnte. Allerdings ist eine Zunah-me der Windgeschwindigkeiten in denletzten Jahren nicht überall in Europanachweisbar (s. Beitrag von Albrecht etal. in diesem Heft). Die Statistiken überden Anfall zufälliger Nutzungen in denWäldern Baden-Württembergs belegeneinen deutlichen Anstieg der nicht plan-mäßig durchgeführten Nutzungen im öf-fentlichen Wald in Baden-Württemberg(FVA 2003). Auch Schelhaas et al. (2003)weisen eine generelle Zunahme vonSchadholz für die Wälder Europas in denletzten Jahrzehnten nach. Ziel des vorlie-genden Beitrages ist es anhand einerFallstudie zu demonstrieren, worauf beider Erfassung und Bewertung von Risikogeachtet werden sollte.

Ziele der Risikoanalyse

Ziele der Risikoanalyse sind zunächstdie Identifikation der wesentlichenSchadfaktoren (Sturm, Schnee, Insekten,Fäule usw). Danach wird die Eintritts-wahrscheinlichkeit und das Ausmaßanalysiert und prognostiziert. WährendErsteres, mit Ausnahme der äußerlichnicht erkennbaren Schäden (z. B. Fäule-befall) im forstlichen Bereich kein größe-res Problem darstellt, ist die Herleitungvon quantitativen Parametern, eine auf-wändige und komplexe Aufgabe. Dies giltumso mehr, wenn es darum geht, dieseQuantifizierung für sich ändernde Rah-menbedingungen, z. B. in Bezug auf dasKlima, vorzunehmen. Dies erfordert in derRegel die Einbindung von klimarelevan-ten Parametern in die Risikomodelle.

Hinzu kommt, dass die Datengrundlagefür eine fundierte Risikomodellierunghäufig denkbar schlecht ist. Im Betriebs-vollzug wurden in Baden-Württemberglaufende Risikoanfälle lange Zeit oftmalsnur auf Abteilungsebene verbucht. Dieserschwert eine detaillierte Risikoanalyse,da die den Schaden erklärenden Variablenwie Standortseinheiten, Baumarten-verteilung, Vorrat, Bestandeshöhen usw.über größere, inhomogene Flächen ge-mittelt werden müssen und damit anTrennschärfe verlieren. Nach großenSchadereignissen wie den Stürmen von1990 oder 1999, die eigentlich in großemUmfang wertvolles Datenmaterial für diewissenschaftliche Analyse der Schader-eignisse liefern, ist die betriebliche Ar-beitskapazität bei der Bewältigung derKatastrophe derart gebunden, dass häu-fig keine Zeit mehr für eine Analyse desSchadereignisses bleibt. Die Aufarbei-tung beschränkt sich damit auf die Ana-lyse von Teilaspekten oder auf einzelneFallstudien (z. B. Hinrichs 1994, König1995, Aldinger et al. 1996).

Methoden der Risikoanalyse

Als methodische Ansätze für die Ri-sikoanalyse und -prognose stehen ver-schiedene Verfahren zur Auswahl. Exper-tensysteme basieren meist auf Literatur-analysen oder Expertenbefragungen unddienen dazu, Waldbestände und/oderStandortseinheiten Risikoklassen zuzu-ordnen. Hierbei wird das gespeicherteExpertenwissen durch heuristische Re-geln verknüpft. Beispiele für solche Sys-teme in Mitteleuropa sind die von Rott-mann entwickelten für die Einordnungvon Waldbeständen auf ihre Anfälligkeitfür Sturmschäden (Rottmann 1986) oderSchneebruch-/druckschäden (Rottmann1985). Dass das Expertensystem vonRottmann kaum Eingang in die Praxisgefunden hat, ist wohl mit dem zumindestteilweise subjektiven Charakter der Her-

leitungsschlüssel für die Anfälligkeit beiverschiedenen Schadfaktoren zu erklä-ren.

Die häufigste Methode Risiko zu er-fassen, ist der Einsatz statistischer Mo-delle. Diese Modelle verwenden Datenvon Schadereignisse, um Risikoanfällezu prognostizieren oder um Beständenach ihrer Anfälligkeit zu klassifizieren. ImRahmen eines klassischen deterministi-schen Ansatzes werden dabei Über-gangswahrscheinlichkeiten für Alters-klassen und Bestandestypen auf definier-ten Standortseinheiten abgeleitet. DieTheorie hierzu wurde überwiegend vonSuzuki (1971) entwickelt. Dieser Ansatzwurde in großem Umfang in fichtendomi-nierten Wäldern Sachsens angewandt(Kurth et al. 1987).

Die Standardmethode Risiko für Wäl-der oder Waldbestände zu prognostizie-ren ist der Einsatz von Regressionsmo-dellen. Dabei wird der Schaden bzw. des-sen Eintrittswahrscheinlichkeit(abhängige Variable) in Abhängigkeit vonEigenschaften der untersuchten Waldflä-che (unabhängige Variablen) modelliert.Hierfür hat sich die logistische Regressi-on insbesondere für die Prognose vonWindwurfschäden als das Stand-ardverfahren herauskristallisiert (Hinrichs1994, König 1995, Fridman und Valinger1998, Valinger und Fridman 1997,1999,Jalkanen und Mattila 2000, Mitchell et al.2001). Eine Weiterentwicklung diesesmethodischen Ansatzes sind generali-sierte lineare Modelle (Kohnle et. al. 2008).Diese Technik hat sich bei der numeri-schen Analyse von Einflussfaktoren, diefür Sturmschäden relevant sind, be-währt. Die verschiedenen Einfluss-faktoren (unabhängige Variablen), die inStudien untersucht und als relevant iden-tifiziert wurden, variieren sehr stark. Hin-richs (1994) verwendet die Standard-Be-standes- und Standortsparameter wieBaumartenzusammensetzung, Mittelhö-he, Exposition, Stabilitätsindex (Sta-ndortseinheit) und Alter. König (1995) er-

Sturmrisiko besser verstehen

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gänzt diese durch den signifikanten Pa-rameter „Windgeschwindigkeit“. Fridmanund Valinger (1998) verwenden Stamm-volumen, Brusthöhendurchmesser, h/d-Verhältnis, Mittendurchmesser, Mittelhö-he, N/ha, G/ha, Volumenindex und Er-tragsklasse. Das von Jalkanen undMattila (2000) entwickelte logistischeRegressionsmodell zur Abschätzung derAnfälligkeit von Kiefern- und Fichtenbe-ständen für Windschäden verwendetMittendurchmesser, Bestandesalter, Artdes waldbaulichen Eingriffs und die Jah-restemperatursumme als signifikante er-klärende Variablen. Schlüsselvariablen imModell von Mitchell et al. (2001) sind dieStandortsqualität, die Ausrichtung derBestandesränder, die Zeit bis zum letztenEingriff und die topographische Exposi-tion. Neuere Untersuchungen von May-er et al (2005) zeigen, dass auch zuneh-mende Bodenversauerung zu einem An-stieg von Sturmschäden führen kann.Als Klassifikationsinstrumente fürSturmschäden ist die Treffsicherheit derRegressionsmodelle allerdings nicht im-mer hoch. Die Fähigkeit dieser ModelleSturmschäden vorherzusagen sinkt vorallem dann, wenn die Zahl der ge-schädigten Bestände deutlich von der derungeschädigten abweicht. Die Studie vonFridman und Valinger (1998) zeigt z. B.,dass mit dem Datensatz, der für das dortkonstruierte Modell verwendet wurde,der Anteil der geschädigten Beständedeutlich überschätzt wurde. Auch sindModelle, die auf lokal begrenzten Studi-en beruhen, von geringer Erklärungskraft.Insbesondere dann, wenn sie sich auf dieHauptsturmschadensgebiete beschrän-ken in denen häufig die Wind-geschwindigkeit so hoch und zugleich inihrer räumlichen Verteilung chaotischsind, dass es kaum gelingt, Zusammen-hänge zwischen bewirtschaftungsrele-vanten Parametern und Sturmschädenherzuleiten (Schütz et al. 2006). Abhilfeschaffen hier nur die Untersuchungenauf der Basis von Großrauminventuren(s. Beitrag von Kohnle et al. 2008).

Als Alternative zu den statistischenModellen verwenden Hanewinkel et al.(2004) ein künstliches neuronales Netzfür die Risikoprognose. Die Prognosefä-higkeit des neuronalen Netzes übersteigt

die der klassischen statistischen Ansät-ze insbesondere bei schwieriger Aus-gangsdatenlage.

Neben Expertensystemen und statis-tischen Modellen wurden mechanisti-sche oder empirisch-mechanistische Mo-delle wie HWIND (Peltola et al. 1999) oderFORESTGALES (Gardiner und Quine2000) zur Risikoerfassung entwickeltund bereits miteinander verglichen (Gar-diner et al. 2000). Diese Modelle, die aufdie physikalischen Grundlagen vonSturmbruch oder -wurf zurückgehen,benötigen einen hohen Aufwand für dieDatenerfassung und Modellierung. Me-chanische Umzieh- oder Rüttelversuche(„tree pulling, dynamic forced rocking“)sowie Versuche im Windkanal sind erfor-derlich, um die physikalischen Prozesse,die bei der Schädigung von Bäumendurch Wind auftreten, modellhaft zu er-fassen. Dennoch sind wohl allein diemechanistischen Modelle in der LageAuswirkungen unterschiedlicher wald-baulicher Eingriffe auf die Risikodisposi-tion abzubilden.

Komponentenmodelle werden entwi-ckelt, um die Risikoerfassung vom Ein-zelbaum bis auf ganze Waldlandschaftenzu integrieren (Talkkari et al. 2000). Mete-orologische Komponenten wie Windge-schwindigkeit oder die Modellierung vonLuftströmungen (König 1995, Lekes undDandul 2000) sollen die Leistungsfähig-keit der Modelle verbessern. Ansätze zurRisikomodellierung findet sich bei Milleret al. (2000). Dazu gehört auch das fürSchweden von Blennow und Sallnäs(2004) entwickelte Modell WINDA. EinProblem dieser Komponentenmodelleliegt darin, dass die wissenschaftlichenMöglichkeiten zur räumlich hochaufge-lösten Darstellung von Windgeschwin-digkeiten derzeit noch stark einge-schränkt sind (Kohnle et al. 2008).

Bewertung der Methoden

Fasst man die dargestellten Unter-suchungen im Hinblick auf eine möglicheVerwendung für eine Risikomodellierungunter sich ändernden klimatischen Be-dingungen zusammen, so kann festge-stellt werden, dass Expertensysteme

kaum geeignet sind, komplexe Zusam-menhänge wie sich ändernde Ausfalls-wahrscheinlichkeiten von Einzelbäumenoder Waldbeständen unter sich ändern-den klimatischen Bedingungen darzu-stellen. Am ehesten werden mechanisti-sche Modelle in der Lage sein, detailliertAuskunft über Sturmwurf- oderBruchgefahren von Einzelbäumen zugeben, da sie klimarelevante Einflussgrö-ßen wie kritische Wind-geschwindigkeiten enthalten. Ähnlichwie bei den Komponentenmodellen stelltsich hier auch die Schwierigkeit der räum-lich hoch aufgelösten Darstellung vonWindgeschwindigkeiten ein.

Statistische Modelle sind gut ein-setzbar, wenn sie auf einer regional brei-ten Datenbasis erstellt wurden und damitgroßräumig einsetzbar sind. Ein Beispielfür ein solches Modell ist das im folgen-den Beitrag von Kohnle et al. (2008) vor-gestellte inventurbasierte Sturmscha-densmodell. Um Trends der Schadent-wicklung zu untersuchen bedarf eslanger Zeitreihen. Diese Zeitreihen ermög-lichen es, die Abhängigkeit von Schad-faktoren vom zeitlichen Anfall des Scha-dens zu untersuchen. Darüber hinauswäre es vorteilhaft, wenn der Zusammen-hang zwischen Schadfaktoren wie z. B.bei Insekten- und Sturmschäden modell-haft dargestellt werden könnte. In der fol-genden Fallstudie werden die methodi-schen Ansätze, die zur Beantwortungdieser Fragen beitragen könnten, vorge-stellt.

Abb. 1: Untersuchungsgebiet imSüdschwarzwald, grau = Wald-flächen (Hanewinkel et al. 2008)

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Fallstudie Südschwarzwald

In der vorliegenden Fallstudie, die imRahmen des BMBF-Verbundprojektes„Zukunftsorientierte Waldwirtschaft“ imProjektverbund „Südlicher Schwarz-wald“ durchgeführt wurde, wurde eineZeitreihe von 77 Jahren von 1925 bis2001 für vier Staatsforstbetriebe im Süd-schwarzwald auf einer Fläche von rund12.000 ha untersucht (Abb.1).

Die Datenbasis umfasst Verbu-chungsdaten der Naturalbuchführung, inder Nutzungen auf Abteilungsebene injedem Jahr getrennt nach planmäßigenund zufälligen Nutzungen verbucht wur-den. Die zufälligen Nutzungen wurdengetrennt nach den Schadarten Sturm,Schneebruch und Insekten analysiert.Zusätzlich standen die periodisch erho-benen Daten der Forsteinrichtungsin-venturen auf Bestandesebene sowie his-torische Forstkarten, eine digitalisierteStandortskarte und ein digitales Gelän-demodell zur Verfügung. Insgesamt wur-den so mehr als 15.000 Datensätze ana-lysiert.

Eine statistische Modellierung wurdein drei Schritten durchgeführt: Zunächstwurde die Schadenseintrittswahr-scheinlichkeit für den Gesamtschadenund die drei Schadfaktoren ermittelt.Dann wurde die Höhe des Schadenanfallsmodelliert. Schließlich wurde die Abhän-gigkeit der Schadfaktoren vom zeitlichenAnfall des Schadens modelliert. Für dieModellierung wurden Techniken der lo-

gistischen Regression mit Standardre-gressionen und multivariaten autoregres-siven Techniken kombiniert. Im Projekt-gebiet waren Kalamitäten für einen Scha-densanfall von 3 m3/ha/Jahrverantwortlich. Abbildung 2 zeigt dieHöhe der Gesamtschäden im Projektge-biet über den gesamten Beobachtungs-zeitraum.

Die Verteilung der Schäden über dieZeit sowie in Abhängigkeit von Bestan-des- und Standortsparametern konntemit einem mittleren quadratischen Fehlervon 6,2 m3ha-1Jahr-1 modelliert werden.Neben Variablen wie zunehmender Vorrat(V) und Höhenlage (E) wirkten sich vor al-lem vernässende Standorte (N) erhöhendauf die Schadenseintrittswahrschein-lichkeit aus. Dies zeigt sich in Abbildung3. Auf die Höhe des Schadens wirktensich vor allem Variablen wie zunehmenderFichtenanteil (F) und die Zeit (Y) aus. DieAbbildung 4 zeigt eine Darstellung desansteigenden Gesamtschadens im Unter-suchungsgebiet über der Zeit. Die Analy-se von Autoregressionen zeigt, dassbeim Gesamtschaden bereits geschädig-te Abteilungen in einem Rahmen von 3bis 4 Jahren mit einer signifikant höherenWahrscheinlichkeit nochmals ge-schädigt werden, als ungeschädigte(Abb. 5 „total damage“).

Durch eine Kreuzkorrelationsanalysekonnte nachgewiesen werden, dass grö-ßere Sturmereignisse typischerweiseKäferschäden in einem Zeitraum von biszu 6 Jahren zur Folge haben (Abb. 5„storm vs. insects“). Größere Sturm- undSchneebruchereignisse haben die Ten-denz, sich mit einer Frequenz von 10-11Jahren (Abb. 5 „storm“) bzw. 15 Jahren(Abb. 5 „snow“) zu wiederholen. DiesePeriodizität der beiden Schadfaktoren„Sturm“ und „Schnee“ wurde mit Hilfeeiner Spektralanalyse bestätigt.

Schlussfolgerung

Die Zeitreihenanalyse von Schad-ereignissen kann zum Verständnis vonforstlichen Risikoprozessen beitragen.Zukünftig soll getestet werden, ob mitder Methodik auf der Basis automatisierterhobener Daten im Rahmen von FOFIS

(forstliches Führungsinformationssys-tem) bzw. FOGIS (forstliches GIS) Risiko-modelle als Bewirtschaftungshilfen fürden gesamten Staatswald Baden-Würt-temberg hergeleitet werden können. ImIdealfall müssten die analysierten Schad-verläufe für die Schadfaktoren mit klima-relevanten Parametern wie Temperatur,

Abb. 2: Gesamtschaden (in m3/Jahr/ha) im Projektgebiet von 1925 bis2001 (Hanewinkel et al. 2008)

Abb. 3: Jährl. Wahrscheinlichkeit fürGesamt- (total – durchgezogeneLinie) und Sturmschaden (storm -gestrichelte Linie), über der Höhen-lage (elevation) durchschnittl.Bestandesverhältnisse (s. VariablenY – SI) und für Standortseinheiten:1-3 = nicht vernässend, 4 = vernäss.(Hanewinkel et al. 2008)

Abb. 4: Gesamtschadenshöhedurchschnittlicher Bestands- undGeländeverhältnisse (s. Variablen E-V) im Untersuchungsgebiet inAbhängigkeit von der Zeit. Die Linienzeigen die Ausgleichsgerade sowiedie Vertrauensintervalle.(Hanewinkel et al. 2008)

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Windgeschwindigkeit usw. korreliertwerden, um die Trends auch unter ver-schiedenen Klimaszenarien fortschreibenzu können.

Abb. 5: Auto- und Kreuzkorrelationverschiedener Schadfaktoren imVergleich (Hanewinkel et al. 2008)- - - = Signifikanzniveau (p > 0,1)

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Prof. Dr. Marc HanewinkelFVA, Abt. Biometrie und InformatikTel.: (07 61) 40 18 - 2 [email protected]

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Klimawandel und Stürme über Europa – eineLiteraturübersicht

von Axel Albrecht, Dirk Schindler, Karin Grebhan, Ulrich Kohnle und Helmut Mayer

In der europäischen forstlichen Öf-fentlichkeit wird derzeit befürchtet, dassder Klimawandel in Zukunft zu erhöhtenSchäden in Wäldern durch meteorologi-sche Extremereignisse führen wird. FürEuropa werden – regional differenziert –neben häufigeren, längeren und intensi-veren Hitze- und Trockenperioden auchheftigere Stürme im Winterhalbjahr pro-gnostiziert.

Neben ihrer direkten Schadwirkungin Form von Sturmwurf und -bruch ver-ursachen Stürme betriebswirtschaftlicheSchäden, reduzieren die Bestandesvita-lität und begünstigen waldbauliche undwaldschutztechnische Folgeschäden.Zwischen 1950 und 2000 waren Stürmefür über 50% der durch abiotischeSchadursachen angefallenen Schad-holzmenge in Europa verantwortlich. Ver-änderte Sturmintensität und –häufigkeitkönnten Stabilitätsvorteile der Laubbäu-me in Frage stellen, sowie eine Überarbei-tung etablierter Waldbaustrategien undlangfristiger Produktionszeiträume erfor-dern. Die Auswirkungen von Temperatur-und CO2-Erhöhung werden von zahlrei-chen anderen Forschungsprojekten be-arbeitet, bleiben in unserem Beitrag alsoaußen vor. Aus Platzgründen wurde groß-teils auf das wissenschaftliche Zitierenverzichtet. Eine ausführliche Literaturlis-te mit den verwendeten 75 Referenzen istbeim Autor erhältlich.

Nordatlantische Oszillation

Den größten Einfluss auf die Zirkula-tionsmuster und somit die Zugbahn vonStürmen über der nordatlantisch-euro-päischen Region hat die NordatlantischeOszillation (NAO). Unter der NAO ver-steht man die Variabilität des Luftdrucksauf Meeresniveau zwischen dem Azo-renhoch und dem Islandtief. Die NAO übteinen dominanten Einfluss auf die Luft-

temperatur- und Niederschlagsverhält-nisse sowie das synoptisch-skaligeSturmgeschehen über dem Nordatlantikund über Europa aus. Da sie im Winterbesonders stark ausgeprägt ist, kommt esvon Dezember bis März zu Systemen vonTiefdruckgebieten und zu Zyklonen, diedie Hauptursachen extremer Windge-schwindigkeiten sind (Leckebusch et al.2006). Dieser winterliche Schwerpunkt istz. B. für Verhältnisse in der Schweiz retro-spektiv analysiert worden.

Verfügbare Daten undAuswertungsverfahren

Die Variabilität der bodennahen Wind-strömung lässt sich in Deutschland ausMessungen und Beobachtungen ablei-ten, die an einer großen Zahl von Statio-nen in verschiedenen Messnetzen desDeutschen Wetterdienstes (DWD) seit denfünfziger Jahren des 20. Jahrhundertsdurchgeführt werden. Während Windge-schwindigkeit (in m/s) und Windrichtung(in Grad) direkt gemessen werden, lässtsich auf der Grundlage der Beaufort-Skaladie Windstärke (in Bft) aus Beobachtun-gen von Windwirkungen ableiten. Ausverschiedenen Gründen liefern beide In-formationen – nicht nur in der Bundesre-publik Deutschland – wenig verlässlicheZeitreihendaten und eignen sich deshalbzur Analyse der Sturmvariabilität nur be-dingt. Alternativ werden deshalb häufigaus Luftdruckdaten rekonstruierte Wind-geschwindigkeitswerte herangezogen.Die Ableitung der Windgeschwindigkeitaus Luftdruckdaten ist jedoch nichtimmer verlässlich, insbesondere in topo-graphisch bewegtem Gelände.

Globale und regionale Klimamodelleund allgemeine Zirkulationsmodelle die-nen als Grundlage für teils komplexe Be-rechnungsschritte, mit deren Hilfe manAuswertungen zur Sturmhäufigkeit in

Vergangenheit und Zukunft erstellenkann. Häufig verwendete Daten für sol-che Berechnungen sind Reanalyseda-ten, die besondere Vorteile aufweisen(Bengtsson et al. 2006a, Bengtsson et al.2006b, Hanson et al. 2003, Hanson et al.2007, Leckebusch et al. 2007, Pinto et al.2006, Pinto et al. 2007a, Pinto et al.2007b).

Analysen, die mehrere verschiedeneKlimamodelle zur Grundlage haben (sog.Multi-Modell-Ensembles) erwiesen sichals vorteilhaft, da sie gegenüber einfa-chen Untersuchungen mit einem Klima-modell einen Stabilisierungseffekt habenund somit Unsicherheiten besser austa-rieren können.

Globale Klimamodelle oder Modelleder allgemeinen Zirkulation liefern dieRandbedingungen und den Antrieb fürregionale Klimamodelle (RCM). Verschie-dene solche RCMs mit gleicher GCM(Globale Klimamodelle)-Grundlage kön-nen dann recht unterschiedliche Ergeb-nisse in Bezug zu extremen Windge-schwindigkeiten liefern.

Zur Analyse der Sturmaktivität wer-den häufig Überschreitungen vonSchwellenwerten (z. B. 90-, 95-, 99-Per-zentilwerte oder Bft-Werte) von Zirkulati-on und Wind charakterisierenden Variab-len verwendet. Durch modellspezifischePerzentilwerte können extreme Absolut-werte der Windgeschwindigkeiten zwi-schen verschiedenen Modellen bzw. Git-terpunkten verglichen werden. Anhandvon Stations- und NCEP/NCAR-Reana-lysedaten konnte gezeigt werden, dass98-Perzentil-Windwerte gute lokaleSchwellenwerte darstellen, ab derenÜberschreiten Schäden durch Wind auf-treten. Werden neben Sturm- auch Scha-densanalysen durchgeführt, ist eine Nor-mierung von Winddaten mit lokalen kli-matischen Windextremen zu empfehlen,da dadurch Adaptations- und Akklimati-sierungseffekte berücksichtigt werden.

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Es ist anzumerken, dass mesoskaligeModelle noch nicht in der Lage sind,Böen zu reproduzieren. Neben physika-lischen Ansätzen werden Böen deshalbhäufig durch einen Böenfaktor darge-stellt, mit dem die mittlere Windge-schwindigkeit multipliziert wird.

Stürme gestern und heute

Zur Analyse der NAO- und Sturmva-riabilität über Europa in den letzten Jahr-zehnten und Jahrhunderten werden ver-schiedene Methoden und Datenquellenverwendet. Neben Stationsdaten (Jaco-beit et al. 2003), Modellsimulationen undhistorischen Dokumenten geben paläo-klimatische Indikatoren wie Jahresring-chronologien von Bäumen oder Seesalz-konzentrationen in Eisbohrkernen Auf-schluss.

Die Variabilität des Klimas in Europazwischen 1500 und 1900 wurde vor allemdurch interne Schwankungen des Klima-systems geprägt (Bengtsson et al.2006b).

Speziell die Sturmaktivität in den letz-ten 500 Jahren war jedoch bemerkens-wert stationär. Anhand von Modellsimu-lationen konnte allerdings gezeigt wer-den, dass es über dem Nordatlantikwährend des sog. „Maunder-Minimums“(1640-1715) in allen Jahreszeiten zu ei-ner häufigeren Verlagerung von Zyklo-nenbahnen und den damit verbundenenStürmen nach Süden kam. Bezogen aufden Zeitraum von 1659 bis 1999 und vordem Hintergrund langfristiger Schwan-kungen des mittleren Luftdrucks aufMeereshöhe ist die deutliche Zunahmeder westlichen Zirkulation im Winterhalb-jahr während der letzten Jahrzehnte kei-ne außergewöhnliche Erscheinung. Eineandere Studie konnte während des 20.Jahrhunderts keine signifikanten syste-matischen Änderungen des Sturmklimasin der nordatlantisch-europäischen Regi-on feststellen. Speziell über dem Nord-ostatlantik wurde in einer Untersuchungzunehmende Sturmaktivität gegen Endedes 20. Jahrhunderts festgestellt. DieseZunahme kann aber, bezogen auf denZeitraum 1875 bis 1995, zu einem gro-ßen Teil durch langfristige Luftdruck-

schwankungen auf Meereshöhe erklärtwerden. Im Gebiet der Schweiz nördlichder Alpen konnte sogar eine signifikanteAbnahme der Anzahl von Winterstürmenzwischen 1964 und 1994 aufgezeigtwerden. Für Italien wurde zwischen 1951und 1970 eine Abnahme, ab 1971 eineZunahme höherer Windgeschwindigkeitdiagnostiziert. Für die Niederlande wirdvon einer Abnahme der Sturmhäufigkeitum 5 bis 10 Prozent pro Dekade zwischen1962 und 2002 berichtet. Dieser Abnah-me steht auf der Basis von Reanalyseda-ten die Zunahme der Sturmhäufigkeit imgleichen Zeitraum von mindestens 20Prozent pro Dekade gegenüber. Die Au-toren führen die Diskrepanz der Ergeb-nisse auf Inhomogenitäten in den Reana-lysedaten zurück. Ebenso als Beispiel fürdie interne Variabilität des europäischenKlimas kann die Erkenntnis gelten, dass– ermittelt auf der Basis von Stationsluft-druckdaten für den Zeitraum zwischen1881 und 1998 – die Dekade zwischen1881 und 1890 die stürmischste in Nord-westeuropa war.

Stürme morgen

Zur Analyse der zukünftigen groß-räumigen Zirkulation in der Nordhemis-phäre und Sturmaktivität über der nord-atlantisch-europäischen Region wurdeeine Vielzahl von Modellsimulationendurchgeführt. Die Ergebnisse dieser Si-mulationen fallen nicht alle gleich aus, dadie den Modellsimulationen zugrundegelegten Klimawandelszenarien (z. B.:SRES A2, A1B1, B2) des Intergovern-mental Panel on Climate Change (IPCC)

neben den bereits genannten Gründeneinen Einfluss auf die Simulationsergeb-nisse haben. Die Studienlage ist zweige-teilt: Die Ergebnisse einer großen Anzahlvon Untersuchungen (Knippertz et al.2000, Leckebusch und Ulbrich 2004,Bengtsson et al. 2006a, Lambert undFyfe 2006, Leckebusch et al. 2006, Pin-to et al. 2006, Pinto et al. 2007a, Pinto etal. 2007b) lassen den Schluss zu, dassdie Anzahl extremer Stürme über dernordatlantisch-europäischen Regionsteigt und die Anzahl schwacher Tief-druckgebiete zurückgehen könnte. Dabeiist die Zunahme extremer Sturmereignis-se mit einer größeren Zahl intensivererTiefdruckgebiete verbunden. Zudem wirddie interannuelle Variabilität extremerStürme ansteigen und zu einem höherenSturmrisiko führen (Leckebusch et al.2007, Pinto et al. 2007a). Im Gegensatzdazu deuten die Ergebnisse weiterer Un-tersuchungen (Lambert 1995, Beersma etal. 1997, Zhang und Wang 1997, Kharinund Zwiers 2000, Finnis et al. 2007) aufeine Abnahme der Sturmaktivität überEuropa bzw. in der nördlichen Hemisphä-re hin.

Unterschiedliche Ergebnisse gibt esauch für die Zusammenhänge zwischenden zukünftigen Zugbahnen von Stür-men und der Sturmaktivität über Europa.Die Änderung der Sturmaktivität stehtdabei nicht immer im Zusammenhang miteiner Verlagerung der Zugbahnen vonStürmen. So wurde in einer Studiebeispielsweise keine zukünftige Nordver-lagerung der atlantischen Zugbahnenfestgestellt, wohl aber ein Zusam-menhang zwischen erhöhter Sturm-häufigkeit und ansteigenden Treib-

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hausgaskonzentrationen (Lambert undFyfe 2006). Es gibt jedoch auch Anhalts-punkte für eine Nordverlagerung derZugbahnen von Stürmen über dem Nord-atlantik sowie für eine Abschwächungder Zugbahnen über dem Mittelmeer-raum (Bengtsson et al. 2006b).

Im Hinblick auf die Saisonalität vonStürmen zeichnet sich tendenziell eineAbnahme von Stürmen in den Sommer-monaten Juni bis August ab (Walter et al.2006), während mehrheitlich mit einerZunahme von Winterstürmen von De-zember bis Februar gerechnet wird (Gior-gi et al. 2004, Walter et al. 2006, Benistonet al. 2007, Hanson et al. 2007, Pinto etal. 2007a, Pinto et al. 2007b). Weiter isteine leichte Verschiebungstendenz vonWinterstürmen in den Herbst (Oktober)zu beobachten (Hanson et al. 2003, Ul-brich 2008). In einer Studie treten imSommer allerdings deutliche Unterschie-de in den Modellergebnissen auf, da imSommer lokale Effekte und deren modell-mäßige Beschreibung an Bedeutunggewinnen (Giorgi et al. 2004).

Diskussion und Fazit

Obwohl Stürme der letzten 20 Jahreauch im deutschen Wald extreme Schä-den verursacht haben, gibt es keine kla-ren meteorologischen Hinweise auf einedeutliche Zunahme von Stürmen bisheute. Vielmehr scheint die phasenweiseinterne Variabilität der Sturmhäufigkeiteine gerichtete Entwicklung zu übertö-nen. Insbesondere konnte bislang keinanerkannter Kausalzusammenhang zwi-schen erhöhter Sturmhäufigkeit und an-

thropogenem Klimawandel hergestelltwerden. Auf die Problematik der unzurei-chenden Datenlage über Windgeschwin-digkeit und Windstärke muss nochmalshingewiesen werden: Die verfügbarenZeitreihen gemessener und beobachteterWinddaten sind relativ kurz, und es sindnoch nicht alle langfristigen, internenSchwankungen des Klimasystems voll-ständig erfasst (Hunt und Elliott 2006).Reanalysedaten decken nur den Zeitraumeines halben Jahrhunderts ab (Jacobeit etal. 2003).

Für Projektionen der Sturmaktivitätin die Zukunft durch globale Zirkulations-modelle und regionale Klimamodelle un-ter verschiedenen Klimawandelszenariengibt es keine methodischen Alternativen.Im Vergleich zur Prognose zukünftigerCO2-Konzentration und bodennaherLufttemperatur sind jedoch Resultateaus Untersuchungen zur zeitlichen Ent-wicklung von Stürmen von hoher Unsi-cherheit geprägt. Trotz widersprüchlicherErgebnisse zeichnet sich aber eine Ten-denz zu selteneren mittleren, aber häufi-geren heftigen Stürmen hin ab. Ebensowidersprüchlich sind die Ergebnisse inBezug zur Nordverlagerung der NAO,wobei hier eine größere Zahl der Untersu-chungen für eine Nordverschiebungspricht. Am belastbarsten ist die Aussa-ge, dass es nicht zu einer Verlagerung derStürme in den Sommer kommen wird,allenfalls Randbereiche der belaubtenZeit gestreift werden (Oktober).

Auf der Basis bisheriger Ergebnisseaus Modellsimulationen ist es schwierigzu beurteilen, ob und wie sich eine geän-derte nordatlantisch-europäische Sturm-aktivität auf Sturmschäden in Wäldernauswirken könnte, da Faktoren wie Land-nutzungsänderungen, Änderungen desBestandesalters und waldbaulicher Me-thoden schwer absehbar sind. Allgemeinist jedoch bekannt, dass marginale Ver-schiebungen in der Sturmaktivität zuüberproportional hohen Sturmschädenin Wäldern führen können und dass we-nige extreme Stürme sehr starke Schädenverursachen können. Allerdings könnenUntersuchungen zu Sturmschäden imWald vor dem Hintergrund des Klima-wandels auch gegensätzliche Ergebnis-se liefern.

Als Konsequenz für die forstlichePraxis ergibt sich, dass die Stabilitätsvor-teile der Laubbaumarten durch diederzeit verfügbaren Projektionen über dieEntwicklung starker Stürme als Extrem-wetterereignisse nicht in Frage zu stellensind. Für Investitionsentscheidungenwie Wertästung sollte darauf geachtetwerden, dass sie auf diejenigen Standor-te beschränkt werden, die stabil undnicht besonders windexponiert sind. Zuästende Individuen eines Bestandes soll-ten in ihrer Jugend ausreichend Wuchs-raum zur Entwicklung eines stabilen Wur-zelwerks haben. In Bezug zur Windexpo-sition ist anzumerken, dass nachModellprojektionen schadensauslösen-de Stürme in Mitteleuropa zukünftigweiterhin aus westlichen Richtungenkommen werden, da sich keine gravieren-den Veränderungen der meteorologi-schen Verhältnisse von Winterstürmenund Zyklonen abzeichnen. Weiterhin un-terstreichen historische Untersuchun-gen, dass nur wenige Stürme aus nicht-westlichen Richtungen kamen. Aufgrundder prognostizierten Nordverschiebungmitteleuropäischer Winterstürme lässtsich ableiten, dass Norddeutschland stär-ker von potenziellen Veränderungen imWindregime betroffen sein wird als Süd-deutschland. Bei der langfristig wirken-den waldbaulichen Maßnahme Baumar-tenwahl sollte berücksichtigt werden,dass Nadelbäume, allen voran Fichte unddann Douglasie, einer deutlich höherenWindwurfgefährdung als Laubbäumeausgesetzt sind. Als Maßnahme der all-gemeinen Risikovorsorge sollten in Be-ständen, die sich dem Hauptnutzungs-zeitpunkt nähern, ausreichende Naturver-jüngungsvorräte aufgebaut bzw.vorgehalten werden, damit im Falle desSturmschadens kostengünstig und zü-gig wiederbewaldet werden kann. Fallssich die Sturmintensität erhöhen sollte,wird insgesamt die Beeinflussbarkeit derSchäden durch waldbauliche Maßnah-men zurückgehen (Gardiner und Quine2000). Denn für das Auftreten von durchextrem hohe Windgeschwindigkeit verur-sachten Schäden ist zu vermuten, dasssie weniger vom waldbaulichen Zustandder Bestände geprägt werden, sonderneher durch den Verlauf der Sturmzugbahn

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bestimmt sind.Diese Schlussfolgerungen beziehen

sich nur auf die Betrachtung von Stür-men, nicht auf andere Erscheinungs-formen des Klimawandels wiez. B. die Zunahme der bodennahen Luft-temperatur und CO2-Konzentration. ImRahmen einer allgemeinen Risiko-vorsorge ist das Prinzip Vorsicht ratsam,um einen „strömungsplastischen“ undstabilen Wald zu formen. ÜberzogeneBefürchtungen vor exorbitant zuneh-menden Windwurf- und -bruchschädensind jedenfalls aufgrund der derzeitigen

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Informationslage nicht gerechtfertigt.Qualitäts- und wertleistungsorientierterWaldbau in Kombination mit standorts-gerechter Baumartendiversifizierung er-scheinen auch weiterhin sinnvoll. Auf-grund des engen Zusammenhangs zwi-schen Baumhöhe undSturmschadenswahrscheinlichkeit soll-ten dabei grundsätzlich Behand-lungskonzepte den Vorzug erhalten, diedie angestrebten Produktionsziele beimöglichst geringen Baumhöhen errei-chen. Ein generelles Umschwenken aufspezielle Waldbaustrategien für

Starkwindverhältnisse ist derzeit nichtgeboten.

Axel AlbrechtFVA, Abt. WaldwachstumTel.: (07 61) 40 18 - 2 [email protected]

Dr. Dirk SchindlerAlbert-Ludwigs-Universität Freiburg,Meteorologisches InstitutTel.: (07 61) 2 03 - 35 [email protected]

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Ein einzelbaumspezifisches Sturmschadensmodell:Grundlagen, Ergebnisse, Anwendung

von Ulrich Kohnle, Matthias Schmidt, Jürgen Bayer † und Gerald Kändler

Sturmschäden bildeten in der Vergan-genheit im langjährigen Mittel mit deutli-chem Abstand den größten naturalenRisikofaktor für mitteleuropäische Forst-betriebe. Daran dürfte sich auch in nähe-rer Zukunft nichts ändern: keines dergängigen regionalen Klimaszenariengeht davon aus, dass das Auftretenschadverursachender Starkwindereignis-se merklich abnimmt (Albrecht et al.,2008). Forstbetriebe müssen sich daherzwingend damit auseinandersetzen, wiesich entweder a) das Sturmschadensrisi-ko im Betrieb waldbaulich gezielt beein-flussen lässt oder wie sich b) die Wahleines bestimmten waldbaulichen Vorge-hens auf das Risiko auswirkt.

Hilfreich für die Entscheidungsfin-dung sind dabei Modelle, die es erlauben,unterschiedliche Szenarien zu verglei-chen. Zu beachten ist dabei, dass Modelledie komplexe Wirklichkeit grundsätzlichstark vereinfacht abbilden müssen, umhandhabbar zu sein. Trotz des Abstrakt-ionsgrades muss jedoch bei Modellen zurEntscheidungsunterstützung gewähr-leistet sein, dass sie die grundlegendenZusammenhänge korrekt abbilden unddazu in der Lage sind, realistische Prog-nosen zu liefern. Dies trifft für das im

Folgenden dargestellte Sturmschadens-modell zu, das vor kurzem an der FVAentwickelt wurde; eine ausführlichereDarstellung ist in Schmidt et al. (2006)enthalten.

Modellierungsgrundlagen

Hervorragende Möglichkeiten zurEntwicklung eines Sturmschadensmo-dells boten sich in Baden-Württembergmit der Durchführung der BWI II knappzwei Jahre nach dem Sturm „Lothar“ (De-zember 1999). Im Rahmen der Erhebungwurde geprüft, ob an den Stichproben-punkten Lothar Bäume geworfen Hatte.Die dem Sturm zum Opfer gefallenenProbebäume, deren Daten bei den Vorin-venturen erfasst worden waren, erhielteneinen entsprechenden Vermerk. Mit derBWI II lagen damit für knapp 7.000„Sturmopfer“ und gut 57.000 „Überle-bende“ einzelbaumspezifische Daten vor(Baumart, Höhe, Durchmesser). DieseDatenbasis wurde zur Entwicklung eines(statistischen) Sturmschadensmodellsverwendet.

Im Verlauf der Modellentwicklungkonnten bei der Anpassung eines gene-

ralisierten (verallgemeinerten) additivenModells (gam) verschiedene maßgebli-che Einflußfaktoren auf das Schadensri-siko eines Baumes bestimmt und quan-tifiziert werden: als statistisch signifikantzeigten sich Exponiertheit des Standorts(ausgedrückt über den sog. TOPEX-In-dex), Baumart und Baumhöhe. Etwasweniger stark abgesichert zeigte sich derEinfluss des h/d-Wertes bei gleichzeiti-ger Einbeziehung der Höhe als zusätzli-chen Faktor. Der Einfluss des Abstandeszum nächsten westlich vorgelagertenWaldaußenrand lag im Grenzbereich derstatistischen Absicherung: je nach ge-wählter Modellvariante und/oder Signifi-kanzschwelle lag diese Größe unterhalbder Signifikanzschwelle oder zeigte sichgrenzwertig signifikant.

Bedauerlicherweise sind für „Lothar“keine modellverwertbaren meteorologi-schen Parameter (z.B. Böenspitzenge-schwindigkeiten) für das Windfeld ver-fügbar: auf dem Feldberg fiel das Mess-gerät bereits bei den ersten Böen aus, sodass noch nicht einmal die mutmaßlichhöchsten Windgeschwindigkeiten inBaden-Württemberg bekannt sind. Fürdas Sturmschadensmodell musste dahernach einem Ersatz für die fehlenden me-

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teorologischen Parameter gesucht wer-den. Folgender Lösungsweg wurde ein-geschlagen: im Prinzip wurde versucht,aus den an den verschiedenen Inventur-punkten beobachteten Schäden die be-kannten schadrelevanten Faktoren(Baumart, Höhe etc.) „herauszurechnen“.Die dabei verbleibende nicht erklärteReststreuung wurde als direkte Ausprä-gung der Einflußgröße „Windfeld“ inter-pretiert und als räumlicher Trend über diegeographische Lage der Inventurpunktemodelliert.

Dieser Ansatz ist modellierungstech-nisch außerordentlich anspruchsvoll. Erverlangt eine synchrone Parametrisie-rung der Effekte der bekannten Einfluss-größen und der Modellierung des räum-lichen Trends der mit diesen Einflussgrö-ßen nicht erklärten Reststreuung.Erschwert wird dies dadurch, dass ver-schiedene Faktoren nicht-lineare Ein-flüsse haben. Im Ergebnis führt der ge-wählte Ansatz dazu, dass im fertigen Mo-dell an die Stelle der unbekanntenmeteorologischen Parameter die geogra-phische Lage als „Ersatz“-Parameter fürdie Charakteristik des „Lothar“-Windfel-des tritt.

Dadurch ergibt sich die Möglichkeit,durch Veränderungen von Koordinatenin der Modellgleichung Szenarien unter-schiedlicher Sturmstärke zu bilden: wirdbeispielsweise eine Schadprognose fürdie waldbaulichen Verhältnisse an PunktA unter Annahme einer Lothar-Stärkegetroffen, wie sie an Ort B aufgetreten ist,so werden einfach die Koordinaten vonOrt B in das Gleichungssystem für Ort Aeingesetzt. Mit den Koordinaten werdendann die damit verbundenen Windfeld-Charakteristika eingespeist, ohne siemesstechnisch erfasst zu haben.

Dieses Vorgehen liefert offenbar plau-sible Ergebnisse: die unter Annahme ei-ner durchschnittlichen Modell-Fichteprognostizierte räumlichen Muster derwahrscheinlichen Schäden (Abb. 1)stimmt gut mit den Durchschnittswertenim Forstbezirk der bei der „Revision

Wiederbewaldung“ erhobenen Sturm-schadflächen (also zu verjüngende Flä-chen) in den Beständen überein.

Ergebnisse

Umfangreiche Szenarienstudien zei-gen, dass die Modellresultate mit den ausPraxiserfahrungen und Fallstudien vor-liegenden Expertenerwartungen bezüg-lich der Bedeutung und Wirkung einzel-ner schadensbestimmender Faktorenübereinstimmen. Im Gegensatz zu Fall-studien, die immer nur für genau definier-te Verhältnisse und Faktoren gelten, istdas Sturmschadensmodell auf einer brei-ten, einheitlichen Datenbasis parametri-siert. Dadurch eignet es sich hervorra-gend für Prognoseszenarien, die Wirkungverschiedener Faktoren nicht nur qualita-tiv analysieren wollen, sondern das Ver-hältnis ihrer Wirkungen quantifizierenwollen.

Als Beispiel sind im Folgenden eini-ge Szenariostudien dargestellt, bei denennur ein Einflussfaktor variiert wird, wäh-rend alle anderen konstant gehalten wer-den:

Die Modellierung der Sturmscha-denswahrscheinlichkeiten für eine Mo-dell-Fichte auf Standorten mit landes-durchschnittlicher Exponiertheit bildetentlang eines vom Nordschwarzwaldzum Oberland verlaufenden NW-SE-

Abb. 1: Räumliches Muster derdurch das SturmschadensmodellprognostiziertenSchadenswahrscheinlichkeit für einedurchschnittliche Modellfichte beilandesdurchschnittlicherExponiertheit (links) undDurchschnittswerte der Anteile dernach Lothar in den Beständen zuverjüngenden Holzbodenfläche jeForstbezirk (rechts).

Abb. 2: Sturmschadenswahrscheinlichkeit einer durchschnittl. exponiertenFichte an verschiedenen Punkten im Lothar-Windfeld. Die linke Graphik zeigtdie analysierten Orte entlang eines vom Nordschwarzwald nach Ober-schwaben verlaufenden NW-SE-Transekts; die rechte Grafik die Schadens-wahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von der Baumhöhe am jeweiligen Ort.

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Transektes die erwarteten Veränderungenim Windfeld ab (Abb. 2): die vom Modellfür den Nordschwarzwald berechnetenhöchsten Schadrisiken stimmen mit dendort bekannten hohen Sturmstärkenüberein. Die Stärke des Lothar-Windfel-des war in der Lee-Lage des Nord-schwarzwaldes mit Sicherheit geringerausgeprägt und nahm grundsätzlich mitzunehmender SE-Lage in Baden-Württemberg ab. Gleichzeitig zeigt sich,dass an den verschiedenen Orten - beivariierender Risikostärke - die Schadens-wahrscheinlichkeit mit zunehmenderBaumhöhe ansteigt (Abb. 2).

Auch der Einfluss der Ausgesetztheiteines Standortes entspricht der Erwar-

tung (Abb. 3). Bei hohen TOPEX-Werten,die Standorten geringer Ausgesetztheitgegen die Hauptwindrichtung entspre-chen (z.B. Ebene, geschützte Mulden), tre-ten geringe Schadwahrscheinlichkeitenauf. Diese nehmen mit zunehmenderAusgesetztheit (sinkende TOPEX-Werte)zu und sind bei ausgeprägten Kuppenla-gen oder Standorten mit „Düsenwir-kung“ am höchsten.

Der Vergleich der Baumarten zeigtunter Annahme gleicher Bedingungendas höchste Schadensrisiko für dieBaumartengruppe Fichte (Abb. 4). Deut-lich geringeren Risiken ausgesetzt sindmit voneinander nicht signifikant ver-schiedenen Schadenswahrscheinlichkei-ten der Baumartengruppen Tanne/Doug-lasie, gefolgt von den Gruppen Kiefer/Lärche. Die geringsten Schadens-wahrscheinlichkeiten ordnet das Modellden Baumartengruppen Buche und Eichezu. Unbedingt zu berücksichtigen ist beider Interpretation der abgebildeten Sze-narien, dass die Schadenswahrschein-lichkeiten unter sonst gleichen Bedin-gungen simuliert wurden. Das bedeutet,dass die dargestellten Baumartenverglei-che zum Schadensrisiko beispielsweisenur für Bäume gleicher Höhe gelten. Dieunterschiedlichen Alters-Höhen-Bezie-hungen der Baumarten sindgegebenenfalls zusätzlich zu berück-sichtigen.

Anwendungsbeispiel

Der derzeitige Entwicklungsstanddes Sturmschadensmodells erlaubt ne-ben waldbaulichen Szenariostudien im

Abb. 3: Entwicklung derSchadwahrscheinlichkeit einerlandesdurchschnittlichen Modell-Fichte bei zunehmenderExponiertheit des Standortes; nichtexponiert: TOPEX 97,5 %; starkexponiert: TOPEX 2,5 % (dasSzenario gilt für den in Abb. 2 alsroten Punkt dargestellten Ort).

Fi

Ta / Dgl

Kie / Lä

Bu / Ei

Abb. 4: Entwicklung derSchadwahrscheinlichkeitunterschiedlicher Baumarten inAbhängigkeit ihrer Höhe (dasSzenario gilt für den in Abb. 2 alsroten Punkt dargestellten Ort).

Prinzip eine Anwendung im Rahmen derForsteinrichtungsplanung. Denkbar istdie quantifizierende Bewertung derSturmschadensrisiken vorhandener Be-stände unter Annahme bestimmterSturmerwartungen. Eine für die Bestän-de im Modellgebiet Altdorfer Wald (Lkr.Ravensburg) exemplarisch durchgeführteRisikobewertung zeigt, dass die erforder-lichen Eingangsgrößen für das Sturm-schadensmodell in der erforderlichenräumlichen Auflösung aus vorhandenenDatensätzen gewonnen bzw. qualifiziertgeschätzt werden können. Die Ausge-setztheit der Standorte (TOPEX) wird ineinem kleinräumigen Raster (30x30 Me-ter-Quadrate) automatisiert aus dem digi-talen Geländemodell berechnet. Baumar-ten-Zusammensetzung und Altersstufedieser Quadrate ergeben sich durch Ver-schneiden mit den Bestandesgeometrien(FOGIS). Höhe, Durchmesser und h/d-Werte der Bäume in den Quadraten wer-den qualifiziert aus Alters-Schätzfunkti-onen ermittelt, die auf der Basis der ge-bietsspezifischen BI-Daten parametrisiertsind.

In Abbildung 5 sind die Schadens-wahrscheinlichkeiten abgebildet, die sichbei Annahme eines Sturmes mit zweiunterschiedlichen Stärken ergeben: daserste Szenario stellt dar, welchem Risikodie derzeitigen Bestände unterliegen, fallssich „Lothar“ in der Stärke wiederholt, wie

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" 0,000106 - 0,050000

" 0,050001 - 0,100000

" 0,100001 - 0,150000

" 0,150001 - 0,200000

" 0,200001 - 0,250000

" 0,250001 - 0,300000

" 0,300001 - 0,350000

" 0,350001 - 0,400000

" 0,400001 - 0,450000

" 0,450001 - 0,500000

" 0,500001 - 0,550000

" 0,550001 - 0,600000

Risiko nimmt

zu

Abb. 5: Ergebnis der Modellierungder Sturmschadenswahrscheinlich-keit für Bestände im Altdorfer Wald(Lkr. Ravensburg) aufbauend aufForsteinrichtungsdaten (Stichtag01.01.2006) bei Unterstellung vonzwei Sturmszenarien: oben links: alleBestände; Wiederholung von Lothar1999 in gebietsspezifischer Stärke;oben rechst: alle Bestände; Lothar1999 in der Stärke der Nord-schwarzwald Lee-Lage (die Lageentspricht dem in Abb. 2 als roterPunkt dargestellten Ort); untenrechts: >60jährige Fichtenbeständeim WET Fichten-Mischwald; Lothar1999 in der Stärke derNordschwarzwald Lee-Lage.

Literatur

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1999. Das zweite Szenario zeigt die Kon-sequenzen, die sich ergeben würden, fallsim Modellgebiet ein Sturm in der Stärkeauftreten würde, mit der „Lothar“ dortbeobachtet wurde. Klar zu sehen ist, dassdie Schadenswahrscheinlichkeit bei An-nahme einer erhöhten Sturmstärke deut-lich ansteigt.

Bei Betrachtung der älteren Fichten-bestände (> 60jährig) wird deutlich, dasssie - obwohl zum gleichen WET Fichten-Mischwald gehörend - aufgrund ihrerBestandeshöhe und kleinräumigen topo-graphischen Situation offenbar deutlichunterschiedlichen Sturmschadensrisikenunterworfen sein können. Als Konse-quenz ließen sich aus dieser differenzier-ten Risikoeinschätzung der Bestände z.B. im Rahmen der Forsteinrichtungspla-nung innerhalb des WET nach Risiko-gruppen gestaffelte Nutzungsstrategienfür die Phase der Hauptnutzung ableiten.

Ausblick

Ingesamt kann festgestellt werden,dass das Sturmschadensmodell im der-zeitigen Entwicklungsstadium als Werk-zeug für waldbauliche Szenariostudienoder betriebliche Entscheidungshilfeneinsetzbar ist. Trotzdem bestehen natür-lich verschiedene Aspekte für eine Weiter-entwicklung. Trotz des statistischenKunstgriffs, mit dem räumlichen Trend

der unerklärten Streuung das Windfelddes Sturmes indirekt charakterisieren zukönnen, wäre für Szenariostudien anzu-streben, diesen „Ersatz“-Parameterdurch tatsächliche meteorologischeWindfeldparameter (z. B. Wind-/Böenge-schwindigkeit) zu ergänzen (Heneka et al.2006). Aufgrund der unzureichendenDatengrundlage für die BWI-Punkte istdie Modellierung der Bedeutung des Bo-dens als Wurzelankersubstrat noch nichtgelöst. An beiden Aspekten wird derzeitgearbeitet. Wünschenswert wäre eine Er-weiterung des bisher nur für unbelaubteVerhältnisse bei Winterstürmen parame-trisierten Modells an den belaubten As-pekt während der Vegetationszeit.

PD Dr. Ulrich KohnleFVA, Abt. WaldwachstumTel.: (07 61) 40 18 - 2 [email protected]

Dr. Matthias SchmidtNordwestdeutsche FVA, Sachg.Informatik&[email protected]

Dr. Gerald KändlerFVA, Abt. Biometrie & InformatikTel.: (07 61) 40 18 – 1 [email protected]

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Trockenstressrisiko für die Waldbestände in Baden-Württemberg

von Heike Puhlmann, Yvonne Morgenstern und Klaus von Wilpert

Die aktuellen Klimaprognosen sagenfür weite Teile Baden-Württembergs dieZunahme von Extremwetterlagen und – jenach Standort eine mehr oder wenigerstarke – Erhöhung des Trockenstressrisi-kos voraus. Diese Änderungen müssen indie langfristige Baumartenplanung unddie Entwicklung langfristiger waldbauli-cher Anpassungsstrategien einbezogenwerden. Um die Auswirkung des sich än-dernden Trockenstressrisikos auf Baum-wachstum und -vitalität abschätzen zukönnen, werden Wasserhaushaltsinfor-mationen im kleinräumigen Geländemaß-stab benötigt. Die Wasserverfügbarkeithängt neben den lokalen Witterungsbe-dingungen von den hydraulischen Bo-deneigenschaften und von Dichte, Baum-artenmischung und Wurzelraum derWaldbestände ab. Auf lokaler und klein-räumiger Ebene wird die Wasserverfüg-barkeit mittels physikalisch basierterWasserhaushaltsmodelle berechnet, inwelche diese Standortseigenschaften alsSteuergrößen eingehen. Das Trocken-stressrisiko, d.h. die Auftretenswahr-scheinlichkeit von Wassermangel, wirdüber statistische Auswertungen aus denModellergebnissen abgeleitet. Die Para-meter der so ermittelten Häufigkeitsver-teilungen von Wasserdefiziten werden

durch multiple Regressionsmodelle mitHilfe kartierter Informationen zu Gelän-de-, Boden- und Bestandeseigenschaf-ten sowie meteorologischen Größen aufgrößere Landschaften und Regionenübertragen. Unter der Berücksichtigungregionaler Klimaszenarien werden diedaraus erstellten Regressionsmodelleverwendet, um das Trockenstressrisikounter veränderten Klimabedingungenabzuschätzen.

Projektziele

Es soll ein Verfahren entwickelt wer-den, mit dem die Auftretenswahrschein-lichkeit von Wasserdefiziten für Bestän-de eingeschätzt werden kann. Das Ver-fahren soll zum einen die kleinräumigenStandortverhältnisse (Boden, Klima, Ge-ländesituation) berücksichtigen. Zum an-deren soll es auch ausreichend flexibelsein, um den Einfluss sich ändernder kli-matischer Standortbedingungen auf dieEntwicklung von Wasserdefiziten adä-quat abbilden zu können. Damit wollenwir einen Beitrag dazu leisten, die wald-bauliche Planung im Hinblick auf das(zukünftig unter Umständen erhöhte)Risiko von Trockenschäden zu verbes-

sern. Dieses Vorhaben soll in den folgen-den Teilzielen erreicht werden:1. Berechnung der Dynamik von Was-

serdefiziten auf der Basis einer phy-sikalisch begründeten Modellierungder Bodenwasserströmung,

2. Ableitung von Extremwertverteilun-gen für Wasserdefizitereignisse,

3. Schätzung der Verteilungsmomenteder Wasserdefizite aus Standortei-genschaften (Klima, Geländemor-phologie, Boden, Vegetation),

4. Erstellung von Risikokarten für dasAuftreten von Wassermangel unterZugrundelegung der derzeitigen so-wie der prognostizierten Klimaver-hältnisse.

Untersuchungsgebiete

Die oben genannten Teilziele werdenauf vier verschiedenen Untersuchungs-ebenen verfolgt (Abb. 1):• An vier Untersuchungsprofilen wird

der Bodenwasserhaushalt physika-lisch begründet modelliert, wobei fürdie Modelleichung aus bestehendenUntersuchungsprogrammen (Stoff-haushaltsmessnetze und Waldkli-mastationen in Baden-Württemberg)

Abb. 1: Verschiedene Untersuchungsebenen zur Beurteilung des Trockenstressrisikos

UntersuchungsregionenUntersuchungsflächenUntersuchungsprofile Land

Folgegefahren abschätzen lernen

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sämtliche Daten zur Verfügung ste-hen. Die modellierten Zeitreihen derBodenwassergehalte und Saug-spannungen (Kraft, mit welcher dasWasser im Boden gebunden ist) wer-den bezüglich des Auftretens vonWasserdefiziten ausgewertet. ÜberJahrringanalysen an Bohrkernen wer-den wachstumsrelevante kritischeSaugspannungen abgeleitet. Zeiten,in denen diese Grenzwerte unter-schritten werden, werden hinsichtlichihrer Häufigkeit, ihres Andauerns undder Wasserfehlmengen ausgewertetund über statistische Verteilungs-funktionen beschrieben.

• Auf ca. 80 m × 1000 m großen Unter-suchungsflächen im Umkreis derUntersuchungsprofile wird der Bo-denwasserhaushalt ebenfalls physi-kalisch begründet modelliert. Hierfürmüssen die benötigten Eingangsgrö-ßen aus Hilfsgrößen geschätzt bzw.auf den Flächen gemessen werden.Die modellierten Zeitreihen der Bo-denwassergehalte und Saugspan-nungen werden wie für die Untersu-chungsprofile hinsichtlich der Was-serdefizite statistisch ausgewertet. InRegressionsanalysen werden Zu-sammenhänge zwischen den Stand-ortseigenschaften und statistischenKenngrößen der Defizite abgeleitet.

• Für die 30-50 km² großen Untersu-chungsregionen, welche die Unter-suchungsflächen beinhalten, ist eineräumlich detaillierte Modellierung desBodenwasserhaushalts nicht mehrmöglich, da die benötigten Datennicht zur Verfügung stehen. Auf die-ser Untersuchungsebene werdenstatistische Regionalisierungsver-fahren entwickelt, um aus flächen-deckend vorliegenden Informationen(Digitales Geländemodell, Forstein-richtungskarten, Bodenkarten etc.)die Auftretenswahrscheinlichkeitvon Wasserdefiziten räumlich mög-lichst hochauflösend vorhersagen zukönnen.

• Die in den Untersuchungsregionenerarbeiteten Regionalisierungsansät-ze sollen letztlich auf die Landesflä-che von Baden-Württemberg über-tragen werden. Ziel ist die Erstellung

von Risikokarten für das Auftretenvon Wassermangel unter Annahmeder derzeitigen Klimaverhältnisseund verschiedener Szenarien für dieKlimaveränderung.

Erste Projektergebnisse

Die auf den verschiedenen Untersu-chungsebenen verwendeten Methodenund Modellansätze sowie erste Projekt-ergebnisse werden im Folgenden kurzumrissen.

Bodenwasserhaushalt an denUntersuchungsprofilen

An den Untersuchungsprofilen wur-de der Bodenwasserhaushalt mit einemphysikalisch begründeten Bodenwasser-strömungsmodell modelliert. Hierfür lie-gen seit 1996 kontinuierliche Messun-gen der Bodenwassergehalte und Saug-spannungen, der Klimagrößen, wieTemperatur, Niederschlag und andere,

sowie der Baumreaktionen vor. Die Mo-delle werden über den Vergleich mit dengemessenen Wassergehalten und Saug-spannungen geeicht (Zeitraum 1996-2007). Die Anwendung der validiertenModelle erfolgt für die Jahre 1970-2007und umfasst damit das Trockenjahr 1976,

Abb. 2: Zeitliche Entwicklung desBodenwassergehaltes und Definitionder UnterschreitungsmerkmaleDauer Tkrit und Fehlmenge dkrit

(Ridolfi et al. 2000)

Folgegefahren abschätzen lernen

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die relativ trockenen Jahre Anfang der1980er und 1990er Jahre sowie das Ex-tremtrockenjahr 2003.

Kritische Werte für dieWasserverfügbarkeit

Die modellierten Bodenwassergehal-te und Saugspannungen werden im Hin-blick auf die Wasserverfügbarkeit fürPflanzen ausgewertet. Wassermangeltritt auf, wenn die Bodenwasserspan-nung einen baumartenspezifischen kriti-schen Wert unterschreitet. Im Allgemei-nen können Pflanzen dem Boden bis zueiner Saugspannung von etwa 15.000hPa Wasser entziehen. Bereits ab einem

Wert von etwa 1.000 hPa schränken Bäu-me ihre Transpiration und damit ihrenStoffwechsel ein. Da dieser Wert sehrstark von der Baumart abhängt, leiten wirdiesen derzeit für die HauptbaumartenBuche und Fichte ab. Dazu wird an Bohr-spänen aus unmittelbarer Nähe der Un-tersuchungsprofile die innerjährlicheStruktur der Jahrringe untersucht. Dabeiwird aus den zeitlichen Variationen derJahrringstruktur auf die Dauer und dieIntensität von Trockenstress geschlos-sen. Über eine Korrelation mit den Ergeb-nissen der Bodenwassermodellierungwerden kritische Saugspannungen be-stimmt.

Häufigkeit und Intensität vonWasserdefiziten

Die für den Zeitraum 1970-2007modellierten Wassergehalte und Saug-

spannungen werden hinsichtlich derHäufigkeit, Dauer und Intensität von Tro-ckenstressereignissen analysiert. Ridol-fi et al. (2000) definieren folgende rele-vante Größen für das Eintreten von Tro-ckenstress: die Häufigkeit nkrit, mit der einkritischer Wassergehalt (abgeleitet ausder über die Jahrringanalysen abgeleite-ten kritischen Saugspannung) unter-schritten wird, die Dauer Tkrit einer sol-chen Unterschreitung und die mit diesereinhergehenden Wasserfehlmenge dkrit

(Abb. 2).Abbildung 3 zeigt beispielhaft die

modellierten Fehlmengen für das Unter-suchungsprofil Ochsenhausen. Deutlichzu erkennen ist die intensive und langandauernde Trockenphase im Jahr 2003.Des Weiteren wird ersichtlich, dass sichdie zeitliche Entwicklung von Wasser-mangel für verschiedene Durchwurzel-ungstiefen ganz unterschiedlich darstellt.Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, dasRisiko für Wassermangel in verschiede-nen Bodentiefen zu betrachten und nichtnur summarische Bilanzen über die ge-samte Durchwurzelungstiefe auszuwer-ten. Dies ist insbesondere dann vonBedeutung, wenn Wasserdefizite für ver-schiedene Baumarten mit sehr unter-schiedlicher Tiefendurchwurzelung ver-glichen werden sollen.

Aus den modellierten Zeitreihen derBodenwassergehalte und Saugspan-nungen werden verschiedene Wasser-defizitgrößen abgeleitet und statistischausgewertet. Die statistischen Kenn-größen werden anschließend in Be-ziehung zu verschiedenen Gebiets- undVegetationseigenschaften gesetzt, wasletztlich die flächige Schätzung dieser

Abb. 3: Anhand der Bodenwasser-haushaltsmodellierung berechneteFehlmenge (dkrit in Abb. 2) fürOchsenhausen

Abb. 4: Schätzung der Retentionsfunktion über die PTF von Teepe et al.(2003) (blaue Linien), aus Feldmessungen von Bodenwassergehalten undSaugspannungen (grüne Punkte) abgeleitete Retentionskurven (rote Linien)

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Parameter auf der Ebene der Untersu-chungsflächen möglich macht.

Modellierung derWasserdefizitdynamik

Die Modellierung des Bodenwasser-haushalts wird von den Untersuchungs-profilen auf ca. 1.000 m × 80 m großeUntersuchungsflächen ausgedehnt. Dafür die Untersuchungsflächen nur weni-ge gemessene Informationen bezüglichder Boden- und Vegetationseigenschaf-ten vorliegen und diese nicht in der benö-tigten räumlichen Dichte ermittelt werdenkönnen, ist die Modellparametrisierungmit Unsicherheiten behaftet. Um diesemUmstand Rechnung zu tragen, werdendie Bodeneigenschaften in den Untersu-chungsflächen nicht durch exakt gemes-sene Werte beschrieben, sondern durchHäufigkeitsverteilungen, welche einenmöglichen Wertebereich abdecken. Diesermöglicht es abzuschätzen, inwieweitunscharfe Angaben zu den Boden- undVegetationseigenschaften die modellier-ten Wassergehalte und Saugspannun-gen beeinflussen.

Verbesserte Schätzung derBodeneigenschaften

Für die Untersuchungsflächen liegenbisher keine gemessenen Informationenzu den bodenhydraulischen Eigenschaf-ten (Wasserspeicher- und -leitfähigkeit)vor. In solchen Fällen ist es üblich, dieseBodeneigenschaften über Pedotransfer-funktionen (PTF) aus einfacher zu erhe-

benden Kenngrößen wie Korngrößenver-teilung und Lagerungsdichte abzuleiten.Das nachfolgende Beispiel verdeutlichtdie Unsicherheiten, welche die Schät-

zung der Bodeneigenschaften über Pe-dotransferfunktionen mit sich bringt. Wirverwendeten eine weit verbreitete PTF(Teepe et al. 2003), um für das Untersu-chungsprofil Ochsenhausen den Boden-wasserhaushalt für den Zeitraum 1994bis 2003 zu modellieren. Diese PTFschätzt die Retentionskurve (Beziehungzwischen Bodenwassergehalt und Saug-spannung) im Wesentlichen aus derKorngrößenverteilung (Volumenanteilevon Sand, Schluff und Ton). Diese Anga-ben wurden der Profilbeschreibung der

Abb. 5: Tiefenprofile (Boxplots) vonHäufigkeiten, Dauer und Fehlmengenvon Perioden mit Wasser-mangel fürden Zeitraum 01.01.94 - 31.12.03unter Verwendung der PTF-Schätz-ung. Grüne Linien = Ergebnisse unterVerwendung der Feld-Retentionskurve

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forstlichen Standortsaufnahme entnom-men. Die Ungenauigkeiten in der Textur-schätzung am Bodenprofil schlagen sichin einer Auffächerung der mit der PTFberechneten Retentionskurven nieder(Abb. 4).

Für alle in Abbildung 4 abgebildetenRetentionskurven wurde der Bodenwas-serhaushalt modelliert und die Werte Tkrit,nkrit und dkrit (vgl. Abb. 2) abgeleitet. Alskritischer Grenzwert wurde dabei für jedeRetentionskurve der Wassergehalt beiSaugspannung von 1.000 hPa ermittelt.Die Abweichungen zwischen den Reten-tionskurven von Feldbeobachtungenund PTF-Schätzung (Abb. 4) führen zuerheblichen Unterschieden in den be-rechneten Wasserdefizitgrößen (Abb. 5).

Die aus den PTF-Modellierungen abge-leiteten Wasserdefizitgrößen variierenzudem erheblich. Der Vergleich der simu-lierten Tiefenprofile mit den Modellergeb-nissen auf der Grundlage der Feld-Reten-tionskurve zeigt, dass bis in 60 cm Bo-dentiefe die Dauer der einzelnenStressereignisse mit den PTF im Mittelsehr gut abgebildet wird, die Anzahl sol-cher Ereignisse (und damit auch die resul-tierende Fehlmenge) jedoch stark über-schätzt wird.

Dieses Beispiel zeigt, dass Pedo-transferfunktionen prinzipiell geeignetsind, bodenhydraulische Eingangsgrö-ßen für die Bodenwassermodellierungbereitzustellen, wenn keine Messwerteder Retentions- und Leitfähigkeitscha-rakteristika zur Verfügung stehen. Mit derVerwendung von Pedotransferfunktio-nen nehmen gleichzeitig aber die Unsi-cherheiten in den modellierten Wasserge-halten und Saugspannungen zu. Einübergeordnetes Ziel unserer Projektar-beit ist es, die Sicherheit von PTF-Schät-zungen zu verbessern. Hierfür ist auf denUntersuchungsflächen eine umfang-reiche Messkampagne vorgesehen, inwelcher entlang von Hangtransekten ver-einfachte Bodenprofilansprachen erfol-gen und die Eingangsgrößen in Pedo-transferfunktionen bestimmt werden (12Bodenprofile und 750 Bohrstockanaly-sen je Untersuchungsfläche). Zudemwerden an allen Profilen Bodenprobengewonnen, an denen im Labor in Aus-laufversuchen die Retentions- und Leit-fähigkeitscharakteristika bestimmt wer-

den (Abb. 6). Mit Hilfe dieser Daten kanndie verwendete Pedotransferfunktionvalidiert und gegebenenfalls durch Ein-beziehung geländemorphologischerGrößen (z.B. Reliefposition) verbessertwerden. Dies ermöglicht eine bessereSchätzung der bodenhydraulischen Ein-gangsgrößen bei der Bodenwassermo-dellierung für die Untersuchungsflächenund letztlich eine gesicherte Abschät-zung des Trockenstressrisikos.

Daten für die Modelleichung

Bei der Wasserhaushaltsmodellie-rung für größere Flächen besteht in allerRegel das Problem, adäquate Daten –räumlich und zeitlich genügend auflö-sende Messungen der Saugspannungenund/oder Bodenwassergehalte – für dieModelleichung zu gewinnen. Aufgrunddes hohen instrumentellen Aufwandeswerden in der Regel Zeitreihen an einigenwenigen Messpunkten erhoben, welchedie räumliche Heterogenität der Waldbe-stände nur unzureichend berücksichti-gen. Eine Alternative bietet das von Wöhr-le (2006) vorgestellte Verfahren der „zu-fällig wandernden Messplots“ (= ran-domised moving plots RMP), welchesdavon ausgeht, dass zahlreiche Kenngrö-ßen des Stoff- und Wasserhaushalts ei-nem saisonalen Muster folgen bezie-hungsweise extern angetrieben werden.Damit muss das zeitliche Muster nichtunbedingt am Messpunkt erfasst werden,sondern kann mit Hilfe von ortsunabhän-gigen „Globalvariablen“, die für die be-trachtete Fläche einheitlich wirksam sind(z. B. Strahlungsbilanz, Freilandnieder-schlag), erklärt werden. An den einzelnenMesspunkten kann daher auf die Erfas-sung der vollständigen Zeitreihe verzich-tet werden. Die dadurch frei werdendenMesskapazitäten werden in die Erfas-sung der räumlichen Heterogenität inves-tiert, indem man an vielen verschiedenenEinzelpunkten jeweils nur einen kurzenAusschnitt der Zeitreihe erfasst, um so dieAbweichung vom Globalmodell zu erklä-ren.

Wir verwenden das RMP-Verfahren,um die zeitliche und räumliche Variationder Bodenwassergehalte in den Untersu-

Abb. 7: Messung der Bodenwassergehalte entlang eines Transekts nach demKonzept der zufällig wandernden Messplots

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Abb. 6: Auslaufapparatur zursimultanen Bestimmung derRetentions- und der ungesättigtenLeitfähigkeitskurve an bis zu 10Bodenproben

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chungsflächen zu erfassen und damit dieDatengrundlage für die Eichung der Bo-denwasserhaushaltsmodelle zu verbes-sern. In jeder Untersuchungsfläche wer-den entlang eines Geländegradienten je12 RMP-Messkreise angelegt (Abb. 7).Auf jedem RMP-Messkreis werden für 31Bodenfeuchtesonden zufällige Messpo-

Abb. 8: Gemessene Bodenwassergehalte an 10 zufällig gewählten Messpositionen (untere Grafik), Messungen derGlobalvariablen Temperatur und Niederschlag (obere Grafik) sowie Luftfeuchte und Globalstrahlung (mittlere Grafik).In der unteren Grafik geben FDR-Li und FDR-Fi die Bodenwassergehalte an den zwei permanent installiertenMesspositionen an. Rechts oben die Lage der Bodenfeuchtesonden innerhalb des RMP-Messkreises (Arnstadt 2008).

sitionen festgelegt, an welchen über ei-nen Zeitraum von 14 Tagen zeitlich hochaufgelöst der Bodenwassergehalt in 10-30 cm Bodentiefe gemessen wird.Danach werden die Sonden auf ein neues,zufällig gewähltes RMP-Messfeld umge-setzt und dort werden die Messungenwieder 14 Tage lang durchgeführt. Dieses

Verfahren wird ein Jahr lang wiederholt,so dass auf jeder Untersuchungsfläche26×31 kurze Zeitreihen der Bodenwas-sergehalte erhalten werden können.

An jedem der 26×31 Messpunktewird ein Satz erklärender Einflussgrößen(Bodenaufbau, Steingehalt, Baumbe-stand usw.) aufgenommen, der die Über-

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tragung der Messwerte auf nicht gemes-sene Geländepositionen erlaubt. Zusätz-lich werden über den gesamten Zeitraumkontinuierlich Klima- und Bodenwasser-haushaltsgrößen an zwei permanent in-stallierten Messpunkten auf dem Tran-sekt gemessen. Mit Hilfe dieser Größen

Abb. 9: Verteilung der Boden-wassergehalte innerhalb eines RMP-Messkreises; ermittelt aus demGlobalmodell und den Abweichungender Bodenwassergehalte diesesGlobalmodells (Arnstadt 2008)

soll der mittlere Verlauf der Bodenwasser-gehalte in den Untersuchungsflächenund ihre räumliche Variabilität beschrie-ben werden. Abbildung 8 zeigt beispiel-haft die Messungen innerhalb einesRMP-Messkreises, die gemessenen Glo-balvariablen sowie die zufällige Anord-nung der Sondenpositionen.

Die Abweichungen der gemessenenBodenwassergehalte von der Schätzungdes Globalmodells können mit Hilfe ge-ostatistischer Verfahren räumlich inter-pretiert werden. Abbildung 9 zeigt denmittleren Bodenwassergehalt einer RMP-

Messperiode (14 Tage) in seinem räumli-chen Muster innerhalb des RMP-Mess-kreises.

Mit Hilfe der gewählten Messanord-nung kann sowohl die kleinräumige Vari-abilität der Bodenwassergehalte (inner-halb der RMP-Messkreise) als auch groß-räumige Trends (durch das Versetzen derRMP-Messkreise entlang der Transekte)erfasst werden. An allen zufälligen Mes-spunkten werden die Retentionskurvengeschätzt, um von den Wassergehalts-messungen auf die für den Trockenstressrelevanten Saugspannungen schließenzu können.

Die mit dem RMP-Verfahren erhobe-nen Daten dienen der Eichung der Bo-denwassermodelle auf den Untersu-chungsflächen. Analog zum Vorgehen fürdie Untersuchungsprofile werden dievalidierten Modelle für den Zeitraum1970-2007 angewandt und aus denModellergebnissen die statistischenMomente der Extremwertverteilungen fürdie Stressgrößen Dauer und Fehlmengebestimmt. Daraus werden raster-bezogene Karten (Raster 5-25 m) für dieHäufigkeit bestimmter Dauern/Fehlmen-

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Literatur

Arnstadt, T. (2008): Erfassung der Dynamikeiner Sättigungsfläche mit Hilfe zufälligwandernder Messfelder. Diplomarbeit.Internationales Hochschulinstitut Zittau.

Ridolfi, L., D’Odorico, P., Porporato, A. undRodriguez-Iturbe, I. (2000): Duration andfrequency of water stress in vegetation:An analytical model. Wat. Resour. Res.36 (8): 2297-2307.

Teepe, R., Dilling, H. und Beese, F. (2003):Estimating water retention curves offorest soils from soil texture and bulkdensity. J. Plant Nutr. Soil Sci. 166:111-119.

Wöhrle, N. (2006): Randomisiert wanderndeMessplots. Raum-Zeit-Modellierung vonParametern des Stoffhaushaltes inheterogenen Kalkbuchenwäldern.Freiburger Bodenkundl. Abh. 44. 145 S.

Abb. 10: Ausschnitt aus einem Color-Infrarot-Luftbild (links) undAuswertung bezüglichKronenschäden (rechts)

gen bzw. für die Dauern/Fehlmengen ei-ner bestimmter Häufigkeit über den ge-samten Bereich der Untersuchungs-flächen generiert.

Übertragung derRisikostatistik

Aufbauend auf die kartierten Boden-wasserdefizite im Bereich der Untersu-chungsflächen werden Zusammenhängezwischen Gebietseigenschaften und derAuftretenswahrscheinlichkeit von Was-sermangel abgeleitet und Regressions-modelle für statistische Kenngrößen desAuftretens von Bodenwasserdefiziten(Häufigkeit bestimmter Dauern/Fehlmen-gen bzw. für Dauern/Fehlmengen einerbestimmter Häufigkeit) erstellt. DiesenUntersuchungen liegt die Annahmezugrunde, dass die Ausprägung vonWasserdefiziten im Wesentlichen durchdie Geländemorphologie gesteuert wird,die wiederum die Klimabedingungensowie Boden- und Vegetationseigen-schaften überprägt. Mit Hilfe der zu ent-wickelnden Regionalisierungsverfahrenkönnen die statistischen Momente derVerteilungsfunktionen für die Auftretens-wahrscheinlichkeit von Wassermangelauch ohne aufwändige Modellierungendes Bodenwasserhaushalts abgeleitetwerden. Die erarbeiteten Regionalisie-rungsansätze werden anschließend ge-nutzt, um die Verteilungsmomente desWasserdefizits für weiter ausgedehnteUntersuchungsregionen zu berechnenund diese in Form von Trockenstresskar-ten zusammenzuführen. Diese Kartenweisen für die Modellregionen und Ba-den-Württemberg Areale mit erhöhterDürrewahrscheinlichkeit aus.

Validierung derRegionalisierungsansätze

2004 wurden in den Untersuchungs-regionen vollflächige Colorinfrarot-Luft-bild-Szenen aufgenommen (Abb. 10links). In einer Kooperation mit der Abteil-ung Fernerkundung und Landschafts-informationssysteme der UniversitätFreiburg wurden in diesen Luftbildern

abgestorbene Kronen und Kronenteile ineiner hohen räumlichen Auflösung (20 x20 cm) identifiziert (Abb. 10 rechts). Die-se Daten liefern eine wertvolle Grundlagefür die Validierung der Regionalisierungs-ansätze für das Auftreten von Trocken-stress.

Die bisherigen Auswertungen ver-deutlichen den großen Einfluss der Ge-ländemorphologie auf die Ausbreitungvon Trockenschäden im Kronenraum.Neben der Hangrichtung und der Expo-niertheit eines Geländepunktes ist derTopographische Feuchteindex eine sig-niufikante Erklärungsgröße für die beob-achteten Kronenschäden. Die erstelltenRegressionsmodelle, welche die Gelän-demorphologie sowie Boden- und Be-standeseigenschaften als erklärendeGröße einbeziehen, erklären nur etwa 50% der beobachteten Varianz in den Kro-nenschäden. Derzeit wird untersucht, in-wieweit das Einbeziehen von Wasser-haushaltsinformationen die Erklärungs-güte der Regressionsmodelle erhöht.

Ausblick

Übergeordnetes Ziel der vorgestell-ten Projektarbeiten ist die Erstellung vonverschiedenen Risikokarten für das Auf-treten von Trockenstress für die Waldbe-stände im Bundesland Baden-Württem-berg. Die kartierten Informationen wer-den den Besitzern und Verwaltungen

zusätzlich in Form einer langfristigen Pla-nungsgrundlage zur Verfügung gestellt,welche die Wahl geeigneter waldbau-licher Maßnahmen und Optionen fürWalbestände vereinfachen kann.

In der ersten Phase werden Risiko-karten zunächst für die derzeitigenbeziehungsweise die vergangenen Kli-mabedingungen entwickelt. Im weiterenProjektfortschritt werden diese Kartenunter Verwendung verschiedener Klimas-zenarien erstellt, um das sich änderndeTrockenstressrisiko unter dem Einflusseines sich ändernden Klimas abzubilden.

Dr. Heike PuhlmannFVA, Abt. Boden und UmweltTel.: (07 61) 40 18 - 2 [email protected]

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Forstinsekten im Klimawandel – alte Bekannte mit neuemPotenzial?

von Ralf Petercord, Holger Veit, Horst Delb und Hansjochen Schröter

Haben wir aufgrund des Klimawan-dels mit einer Zunahme von Insekten-schäden im Wald zu rechnen? Auf dieBeantwortung dieser Frage zielen dieaktuellen Untersuchungen der AbteilungWaldschutz an der Forstlichen Versuchs-und Forschungsanstalt (FVA) im Rahmendes Projekts zur Abschätzung der Klima-folgen.

Die genauen Auswirkungen des Kli-mawandels auf die Schadorganismen imWirkungsgefüge von Waldökosystemensind bisher weitestgehend unbekannt. Inder Literatur werden zumeist pauschaleAussagen getroffen, die von einer allge-meinen Förderung der Schadinsektenund -pilze durch die sich veränderndenWitterungsbedingungen (Temperaturan-stieg, Veränderung der Niederschlagsver-teilung, extreme Witterungsereignisse)ausgehen und damit generell eine höhe-re Gefährdung der Waldbeständezugrunde legen (FEEMERS et al., 2003;KROMP-KOLB, 2003). Quantitative Untersu-chungen auf Artniveau, die eine Beurtei-lung hinsichtlich der Wirkung auf dieWaldökosysteme ermöglichen würden,fehlen dagegen bisher weitgehend. Dieoffensichtliche Vernachlässigung dieserProblematik im Rahmen der gegenwärtig

Abb. 1: Zufällige Nutzungen durch Insektenschäden 1984 – 2007 für denGesamtwald Baden-Württemberg (Daten: LFV Baden-Württemberg)

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diskutierten Modelle zur Gefährdung derBaumarten durch den Klimawandel stellteinen nicht zu unterschätzenden Mangeldieser Modelle dar. Prognosen zur zu-künftigen Waldentwicklung und Arten-verteilung bedürfen jedoch einer gründ-lichen Analyse aller Einflüsse und Wech-selwirkungen, um der Komplexität dieserÖkosysteme gerecht zu werden. Auf derGrundlage bisheriger Erkenntnisse kön-nen diese daher nur sehr eingeschränktgetroffen werden.

Aktuelle Klimaprognosen

Aktuelle Prognosen zur Veränderungder regionalen Temperatur- und Nieder-schlagsverhältnisse gehen im Wesentli-chen für Deutschland im Flächenmittelvon einer weiteren Temperaturerhöhungund einer Abnahme der Niederschlags-mengen in den Sommermonaten sowieeiner Zunahme der Niederschlagsmen-gen im Winter aus. Weiterhin wird prog-nostiziert, dass die Häufigkeit von Ex-tremereignissen wie Orkanen, Starkre-gen, Hagelschauern und Dürreperiodenzunehmen wird (SPEKAT et al., 2007). Fürdas Ausmaß dieser Veränderungen exis-

tieren verschiedene Szenarien, die vonoptimistischen bis pessimistischen An-nahmen ausgehen. Allerdings sind Pro-gnosen der zukünftigen Klimaentwick-lung, die sich bisher auf die Veränderungvon Jahres- oder bestenfalls Jahreszei-ten bezogenen Durchschnittswerten be-schränken, nicht hinreichend genau, umaus ihnen Prognosen eines zukünftigenRisikos für Waldbestände durch Schad-insekten abzuleiten.

Witterung steuert diePopulationsdynamik

Für die Insekten sind die Witterungs-verläufe während ihrer artspezifischenEntwicklungsphasen von größter Bedeu-tung. Seit Anbeginn der geregeltenForstwirtschaft sind in ihren Auswirkun-gen verheerende Massenvermehrungen(Gradationen) z. B. des Buchdruckers(Ips typographus L.) dokumentiert (z.B.WELLENSTEIN, 1954, BECKER & SCHRÖTER,2001). Diese standen immer in Verbin-dung mit vorangegangenen Sturmschä-den oder traten in Zusammenhang mitSchneebruchereignissen oder Trocken-perioden auf (s. Abb.1). Die Häufigkeit, mitder diese Witterungsereignisse eingetre-ten sind, haben den Schadholzanfall inder Vergangenheit wesentlich bestimmtund werden diesen auch in der Zukunftmaßgeblich beeinflussen.

Sturmereignisse liefern das notwen-dige Brutmaterial und sind damit die In-itialzündung für Massenvermehrungendes Buchdruckers (SCHRÖTER et al., 1998).Erhöhte Temperaturen und geringe Nie-derschläge in der Vegetationszeit schwä-chen die potenziellen Wirtsbäume undbewirken gleichzeitig bei den wechsel-warmen Insekten eine Erhöhung der Ak-tivität. Dies kann zur Vorverlegung derSchwärmzeit und zur vorgezogenenAnlage der Brutsysteme führen.

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Abb. 2: Verbreitungsgebiet desEichenprozessionsspinners(Thaumetopoea processionea L.)1995 – 2007

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Gegebenenfalls verkürzt sich die Ent-wicklungszeit der einzelnen Stadien undauch der Aktivitätsradius der ge-schlechtsreifen Käfer kann sich erweitern.Die Generationenabfolge und die Aus-breitungsdynamik des Buchdruckerswird so über die Temperaturerhöhung inAbhängigkeit vom jeweiligen Reaktions-spektrum der Art verändert. Auch die zuerwartende Temperaturzunahme in denWintermonaten kann erhebliche Auswir-kungen auf die Vitalität der Käfer haben.Je nach Überwinterungsort, im Bodenoder in den Brutsystemen, kann die Win-termortalität zu- oder abnehmen und soden Gradationsverlauf abschwächenoder verstärken, dabei sind insbesondereauch die Auswirkungen auf den jeweili-gen Gegenspielerkomplex von besonde-rer Bedeutung (FEEMERS et al., 2003).

KomplexesMassenwechselgeschehen

Grundsätzlich kann der Verlauf derMassenwechsel bei den verschiedenenInsektenarten aber nicht allein auf denWitterungsverlauf zurückgeführt werden.Vielmehr gilt es, bei den Auswirkungendes Klimawandels auf die Insekten eineökosystembezogene Analyse vorzuneh-men. Der Massenwechsel der Forstinsek-ten, der unregelmäßig oder periodisch zuregionalen und überregionalen Kalamitä-ten führt, wird durch eine Vielzahl vonMassenwechselfaktoren bestimmt(SCHWERDTFEGER, 1941). Dabei handelt essich neben dem Witterungsverlauf in derjeweiligen Entwicklungsphase des In-sekts, auch um das zur Verfügung ste-hende Nahrungs- bzw. Brutraumange-bot und die Konkurrenzsituation mit an-deren Arten mit gleichen oder ähnlichenNahrungsspektren. Die Häufigkeit vonRäubern und Parasitoiden als potenziel-len Gegenspielern oder das Auftretenund die Virulenz von Krankheitserregernin der Insektenpopulation können we-sentlichen Einfluss auf die Massenver-mehrung nehmen. Zwischen diesen Fak-toren, die in ihrer Bedeutung für denMassenwechsel unterschiedlich stark zuwerten sind, gibt es zahlreiche Wechsel-wirkungen, so dass ein komplexes Wir-

kungsgefüge zugrunde gelegt werdenmuss (SCHWERDTFEGER, 1941). Auch in derVergangenheit hat es immer wieder Mas-senvermehrungen bestimmter Forstin-sekten gegeben und ebenso wie mannicht jedes Sturmereignis auf den Klima-wandel zurückführen kann, ist ein Zu-sammenhang zwischen den bereits zubeobachtenden Klimaveränderungenund den aktuell durch Insekten verur-sachten Waldschäden auf keinen Fallimmer zwingend belegbar. Dies gilt z.B.für den Grauen Lärchenwickler (Zeira-phera diniana GN.), der in den Alpenschon seit mehr als tausend Jahren regel-mäßige Gradationen durchläuft, was an-hand jahrringchronologischer Untersu-chungen nachgewiesen werden konnte(BALTENSWEILER und FISCHLIN, 1988; ESPER etal., 2007).

Reaktionen nachWitterungsextremen

Mit dem extrem trocken-warmenSommer 2003 und der Dürreperiode imFrühsommer 2006 lagen Witterungsex-treme vor, die exemplarisch für zukünfti-ge Witterungsverläufe stehen könntenund von denen wärmeliebende Arten mithohem Vermehrungspotenzial und derFähigkeit zur raschen Generationenab-folge (plurivoltine Arten) besonders pro-fitieren konnten (SCHRÖTER, 2004). Sie sinddie potenziellen „Gewinner“ des Klima-wandels. Differenzialdiagnostische Ana-lysen des aktuellen Schadgeschehensnach 2003 ermöglichen die Entwicklungvon Prognosemodellen zur zukünftigenRisikoabschätzung.

Grundsätzlich können Klimaverän-derungen über die Vermehrungsrate einerArt direkte und / oder über die Wirkungauf die Physiologie der jeweiligen Wirts-pflanzen indirekte Auswirkungen auf dieSchadinsekten haben. Auch potenzielleAntagonisten profitieren möglicherweisevon besseren Entwicklungsbedingun-gen, wodurch die Dynamik einer Gradati-on auch gebremst werden könnte. Beiden direkten Folgen kann zwischen Aus-breitungs- und Anpassungsprozessen(Migration und Adaption) unterschiedenwerden (KROMP-KOLB, 2003).

Migration

Einheimische Arten aber auch bishergebietsfremde, invasive Arten könnenbei veränderten Klimabedingungen neueLebensräume für sich erschließen bzw.konkurrenzfähiger werden. Durch dieseArealveränderungen kann sich die Ge-fährdungssituation in einer Region we-sentlich verändern. Ein aktuelles Beispielfür eine Anpassung liefert der Eichenpro-zessionsspinner (Thaumetopoea proces-sionea L.). Seit Mitte der 1990‘er Jahrewird diese wärmeliebende, auf Eiche spe-zialisierte, einheimische Schmetterlings-art zunehmend auffälliger und hat offen-sichtlich in folge der Witterungsverläufeihr Verbreitungsgebiet erweitert. War dieArt in der Vergangenheit auf einzelne dis-ponierte Wärmeinseln beschränkt, sokommt sie jetzt im gesamten Eichenver-breitungsgebiet Baden-Württembergsvor (BUB et al., 2006; DELB & VEIT; 2007). Esist zu erwarten, dass auch Insektenartenaus dem Mittelmeerraum, wie z.B. der Pi-nienprozessionsspinner (Thaumetopoeapityocampa DENIS & SCHIFF) über die Burg-undische Pforte zukünftig auch in dasRheintal nach Baden-Württemberg ein-wandern werden (FORSTER, 2006). Die ur-sprünglich mediterran an Linde vorkom-mende Malvenwanze (Oxycarenus lavate-rae FABR.) hat diesen Schritt bereitserfolgreich vollzogen. Erste Massenver-mehrungen sind aus der benachbartenSchweiz und auch aus dem Südwesten

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Abb. 3: „Larvenprozession“ desEichenprozessionsspinners(Thaumetopoea processionea L.)

Abb. 4: Technische Holzentwertungdurch den Stehendbefall desLaubnutzholzborkenkäfers(Trypodendron domesticum L.)

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Baden-Württembergs bekannt (FORSTER,2006). Anhand dieser Ausbreitungsdy-namik lassen sich beispielsweise artspe-zifische Temperaturgrenzen ermitteln.

Anpassung

Schadorganismen, speziell Insektenkönnen sich in Bezug auf ihre Vitalitätund Lebensdauer oder ihre Entwick-lungsdauer und Vermehrungsleistung ansich verändernde Umweltbedingungenvergleichsweise schnell anpassen.Darüber hinaus kann sich auch das Ver-halten einer Art in Bezug auf die Wirts-pflanzenwahl verändern.

Temperaturbedingte Anpassungser-scheinungen in Form von höheren Ent-wicklungsgeschwindigkeiten ließen sichaufgrund von Beobachtungen der letztenJahre beim Waldmaikäfer (Melolonthahippocastani FABR.) (DELB, 2004), verschie-denen rindenbrütenden Borkenkäferar-ten (SCHRÖTER et al., 2007) und auch beimLaubnutzholzborkenkäfer (Trypodend-ron domesticum L.) feststellen (PARINI &PETERCORD, 2006). So kommen beimWaldmaikäfer verstärkt Individuen miteiner verkürzten dreijährigen Entwick-lungsdauer vor, die zunehmend zur Aus-bildung von Nebenflugstämmen führen.Wo im Rahmen der Prognosegrabungenfrüher an einem Standort nur Engerlingedesselben Entwicklungsalters zu findenwaren, treten seit Mitte der 1990 er JahreEngerlinge mehrerer oder gar aller Ent-wicklungsstadien nebeneinander auf(MATTES & DELB; 2002).

Die rindenbrütenden Borkenkäfernutzen längere und wärmere Vegetati-onszeiten zur Vollendung mehrerer Gene-rationen im Jahr. Insbesondere der Buch-drucker zeigte in Baden-Württemberg2003 bis 2006 eine ausgeprägte Massen-vermehrung, die ihren Ursprung in gutenEntwicklungsbedingungen für die zwei-te Generation im Spätsommer 2003 hat-te (SCHRÖTER et al., 2007).

Auch der Laubnutzholzborkenkäfer,als holzbrütende Art, die bisher als se-kundär eingestuft wurde, ist offensicht-lich in der Lage unter zunehmend güns-tigeren Bedingungen eine zweite Genera-tion zu bilden und stehende Bäume zubefallen (PARINI & PETERCORD, 2006). DieserStehendbefall führt in aller Regel zu einermassiven Holzentwertung, selbst wennder betreffende Baum den Befall ohneäußerlich erkennbare Spuren überwallenkann (Abb. 4).

Der zunehmend erfolgreiche Befallder Douglasie durch den auf die Fichtespezialisierten Kupferstecher (Pityoge-nes chalcographus L.) und den Lärchen-borkenkäfer (Ips cembrae HEER.) stellt da-gegen eine direkte Anpassung einheimi-scher Arten auf eine ursprünglichfremdländische Wirtspflanze dar (SCHRÖ-TER, 2004). Möglicherweise ist aber auchdiese Anpassung auf die klimatischenVeränderungen zurückzuführen, da sie

erst in den letzten Jahren zunehmendbeobachtet wird, die Douglasie aberbereits seit Beginn des 20. Jahrhundertsverstärkt in unsere Wälder eingebrachtwurde.

Schwächung der Wirtspflanze

Lang anhaltende sommerliche Dürre-phasen mit sehr hohen Temperaturen unddie damit einhergehende physiologischeSchwächung von Bäumen hat die indi-rekte Förderung von Forstschädlingenzur Folge. Dies kann aktuell bei verschie-denen Prachtkäferarten beobachtet wer-den (DELB, 2005). So hat sich der Eichen-prachtkäfer seit Mitte der 1990er Jahre inBaden-Württemberg zu einem Dauer-schädling entwickelt, der im Ursachen-bündel der Eichenkomplexkrankheit eineentscheidende Rolle spielt (DELB, 2002).Der Buchenprachtkäfer (Abb. 5 & 6)durchläuft dagegen erst seit dem Extrem-sommer 2003 eine an vielen Orten imLand wahrnehmbare Gradation, bei dernoch nicht abzusehen ist, ob auch diesePrachtkäferart sich zum Dauerschädlingbei der Buche entwickeln und zuneh-mende Verluste verursachen wird (PETER-CORD et al. 2007).

Ausblick

Inwieweit der bereits eingetreteneund der noch zu erwartende Klimawandelsich in den nächsten Jahrzehnten auf dieForstinsekten auswirken wird, ist schwerabzuschätzen, ebenso das damit verbun-dene Risiko für die Waldwirtschaft.

Es lassen sich aber bereits heute eineReihe von Beispielen finden, die auf eineveränderte, sich verschärfende Gefähr-dungssituation durch Schaderreger inFolge des Klimawandels hinweisen.Womöglich werden auch früher bedeut-same Schädlinge aufgrund ihrer schlech-teren Anpassungsfähigkeit oder des ver-änderten Gegenspielerkomplexes zu-künftig zu „Klima-Verlierern“ derenwirtschaftliche Bedeutung immer mehrvernachlässigt werden kann. Letztlichmuss festgestellt werden, dass die öko-systemaren Zusammenhänge zwischen

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Abb. 6: Buchenprachtkäfer (Agrilusviridis L.): Larven und ihre Fraßgängeunter der Rinde

Abb. 5: Buchenprachtkäfer (Agrilusviridis L.): Weibchen bei der Eiablageauf der Buchenrinde

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Wirtspflanzen und Schadorganismensowie ihre Beeinflussung durch die Kli-mabedingungen noch bei weitem nichtausreichend geklärt sind, um fundiertemittel- oder gar langfristige Prognosen

einer zukünftigen Entwicklung oder einesGefährdungspotenzials herleiten zukönnen. Diese Fragestellungen eröffnenein weites und bedeutendes Untersu-chungsgebiet für die angewandte Wald-

schutz-Forschung. Die Fortführung bis-heriger Beobachtungen unterschied-lichster Arten und Schädlingspopulatio-nen sowie die Dokumentation derSchadauswirkungen bilden die Grundla-ge für zukünftige Strategien zur Ein-schätzung, Vorbeugung und Eindäm-mung der Risikopotenziale. In diesemZusammenhang kommt neben den vor-handenen langjährigen Zeitreihen derEntwicklung von Schädlingspopulatio-nen und der genaueren differenzialdiag-nostischen Analyse der Schadensent-wicklung bei den Hauptbaumarten nachdem extrem trocken-warmen Sommer2003 und der sommerlichen Dürreperio-de 2006 besondere Bedeutung zu.

Dr. Hansjochen SchröterFVA, Abteilung WaldschutzTel.: (07 61) 40 18 – 2 [email protected]

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Potenzielle Auswirkungen des Klimawandels auf boreal-montane Vogelarten

von Veronika Braunisch

Klimaveränderungen gelten nebendem Einfluss anthropogener Landnut-zung als eine Hauptursache für die in denvergangenen Jahrzehnten festgestelltenArealverschiebungen vieler Tier- undPflanzenarten (z. B. Brechtel et al. 1996,Berthold 1997, Ott 2000).

Arealverkleinerung boreal-montaner Arten

Im Europäischen Raum stehen denArealerweiterungen wärmeliebender Tier-arten in nördlichere geografische Breitenund größere Höhenlagen Arealverkleine-rungen von Tierarten der borealen odermontanen Zone gegenüber (Böcker et al.

1995, Gebhardt et al. 1996). Dabei sindvor allem solche Arten gefährdet, die auf-grund einer engen ökologischen Nischeein geringes Anpassungsvermögen be-sitzen, deren Vorkommen geografischisoliert sind und die nur ein geringesAusbreitungspotential haben (Hulme2005).

Dies gilt besonders für polare undmontane Arten, die bereits am Limit ihrerpotentiellen Verbreitung stehen (Parme-san 2006). In Baden-Württemberg wer-den negative Auswirkungen daher vorallem für die – häufig reliktären – Spezia-listen der winterkalten Schwarzwald-hochlagen erwartet. Hierzu zählen auchdie nach Anhang 1 Vogelschutzrichtliniegeschützten Vogelarten Auerhuhn (Te-

trao urogallus), Haselhuhn (Bonasa bona-sia), Dreizehenspecht (Picoides tridacty-lus), Sperlingskauz (Glaucidium passeri-num) und Raufußkauz (Aegolius fune-reus). Für sie kann die fortschreitendeKlimaerwärmung nicht nur zu einemquantitativen Verlust an nutzbarer Le-bensraumfläche und einer zunehmendenLebensraumverinselung führen. Auchdirekte Auswirkungen auf die Reproduk-tion und die Veränderungen interspezifi-scher Wechselwirkungen (z. B. erhöhtePrädatorendichten) können die Populati-onsentwicklung beeinträchtigen.

Indikatorart Auerhuhn

Um diesen Prozessen mit angepass-ten Schutzstrategien zu begegnen undpotentielle negative Auswirkungen zuminimieren, werden verstärkt Modelleeingesetzt, mit denen die Auswirkungendes Klimawandels flächenkonkret vor-hergesagt werden sollen (z. B. Araujo etal. 2004, Hulme 2005, Parmesan 2006).Dabei erschweren jedoch die verschie-denartigen Auswirkungen unterschiedli-cher Klimavariablen und deren Wechsel-wirkungen untereinander die Entwick-lung und Validierung solcherVorhersagemodelle (Araujo et al. 2005,Botkin et al. 2007).

Um einen hohen Grad der Zuverläs-sigkeit zu erreichen, sind umfassendeDatengrundlagen zur Verbreitung einerArt und deren raumzeitlicher Entwicklungnotwendig. Daneben müssen die Einflüs-se verschiedener Klimavariablen auf diejeweilige Art bekannt sein. Da solcheGrundlagen für wenige Arten in ausrei-chendem Maße zur Verfügung stehen,werden Vorhersagemodelle häufig an-hand von Indikatorarten entwickelt, dierepräsentativ für die Lebensraumansprü-che von Artengemein- schaften sind undsensibel auf Veränderungen der ökokli-Die sogenannte Rose beim Auerhahn (Foto: Erich Marek)

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matischen Nische reagieren (Smith1994, Parmesan 2003).

Modellierung potentiellerAuswirkungen

Unter den genannten Arten gilt dasAuerhuhn (Tetrao urogallus) als geeigne-ter Indikator für die Auswirkung von Kli-

maveränderungen auf die Hochlagenle-bensräume des Schwarzwaldes, da esgleichzeitig Indikatorart für strukturrei-che, zusammenhängende Waldlebens-räume borealer und montaner Prägung(Scherzinger 1989, Boag & Rolstad1991, Storch 1993, 1995, Schroth 1995,Cas & Adamic 1998, Graf 1998, Simber-loff 1998) und Schirmart für die genann-ten Bergwaldvogelarten (Suter et al.2002) ist. Aufgrund seiner Stellung imFokus der Naturschutzplanung liegen für

das Auerhuhn umfangreiche Daten-grundlagen vor. Verbreitungsgebiete undBestand wurden kontinuierlich und sys-tematisch über zwei Jahrzehnte hinwegerfasst. Zusätzlich, aufgrund des jagdge-schichtlich großen Interesses an dieserVogelart, liegen umfangreiche Daten zurhistorischen Verbreitung vor, anhandderer die raumzeitliche Entwicklung derAuerhuhnverbreitung innerhalb der ver-gangenen 100 Jahre rekonstruiert wer-den kann.

Der Klimawandel:Auswirkungen auf dasAuerhuhn

Klima und Witterungseinflüsse be-einflussen das Auerhuhn sowohl direktals auch indirekt. Hauptaspekte sind:

1. Lebensraumbedingungen,Lebensraumfläche undLebensraumverbundsituation

Aktuelle Untersuchungen aus demSchwarzwald bestätigen die Bedeutungvon Klimabedingungen für die Entwick-lung auerhuhnrelevanter Vegetations-strukturen und identifizierten insbe-sondere die Schneelagendauer als einerder Hauptprädiktoren für die Auerhuhn-verbreitung (Braunisch & Suchant 2007).Sie zeigten darüber hinaus, dass sich dasAuerhuhn im Schwarzwald bereits in ei-ner „Randlagensituation“ hinsichtlichseiner ökoklimatischen Gesamtnischebefindet und bereits ein Verschiebungs-trend der Art-Habitatbeziehung stattge-funden hat: D. h. ein Teil der PopulationAuerhenne

Telemetrie

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befindet sich bereits unter suboptimalenBedingungen (Braunisch et al., submit-ted), da ein weiteres „Aufwärtswandern“im Schwarzwald nicht möglich ist. Einfortgesetzter Erwärmungstrend könntenicht nur zu einer weiteren Arealverklei-nerung führen, sondern durch den Weg-fall kleinerer Habitatinseln auch die Le-bensraumverbundsituation und damit dielangfristige Überlebenswahrscheinlich-keit der Gesamtpopulation gefährden.

2. Reproduktionserfolg

Der Reproduktionserfolg des Auer-huhns ist maßgeblich von den Witte-rungsbedingungen im Frühjahr undFrühsommer abhängig (Moss et al. 2001).Frühe und gleichbleibende Temperatur-anstiege im April führen zu einer gestei-gerten Nahrungsverfügbarkeit für dieHennen und erhöhen so deren Repro-duktionserfolg. Regnerisches und kaltesWetter kurz nach dem Schlüpfen derKüken im Mai und Juni hat eine erhöhteKükenmortalität zur Folge (Scherzinger1982). Eine Häufung von Starknieder-schlägen und zunehmende Temperatur-einbrüche und Witterungsschwankun-gen im Frühsommer können die Repro-duktion langfristig beeinträchtigen.

3. Prädatoreneinfluss

Als eine Folge von Klimaerwär-mungsprozessen wird eine Vermehrungvon generalistischen Prädatoren (vor al-lem Fuchs, Dachs, Marder, Wildschwein)und eine Ausbreitung dieser Arten in die

Hochlagen erwartet. Eine solche Ver-schiebung des Räuber-Beute Verhältnis-ses in den Hochlagen kann, ins-besondere in Verbindung mit den ge-nannten Einflüssen auf Lebensraum undReproduktionserfolg, die Populations-entwicklung nachhaltig beeinträchtigen(Baines et al. 2004, Summers et al. 2004).

Schirmart Auerhuhn

Das Auerhuhn ist Leitart für Natur-schutzmaßnahmen in den Hochlagenle-bensräumen des Schwarzwaldes. Auf-grund seiner aktuellen Gefährdung sowieder Funktion als Schirmart für die ge-nannten Vogelarten wurde die Auswei-sung der EU-Vogelschutzgebiete hiermaßgeblich an der Auerhuhnverbreitungausgerichtet . Zusätzlich zu der Manage-mentplanerstellung für diese Gebietewird derzeit im Auftrag des Ministeriums

für Ernährung und Ländlichen Raum einschwarzwaldweiter Aktionsplan erstellt,der sowohl Maßnahmen zur langfristigenSicherung der Population als auch prio-ritäre Flächen für diese Maßnahmen de-finiert.

Vor dem Hintergrund umfangreicherMaßnahmen mit finanziellem Aufwandwird vermehrt die Frage laut, inwieweitdiese Maßnahmen bei fortschreitenderKlimaerwärmung langfristig sinnvollsind. Dabei werden die oben genanntenpotentiellen Folgen häufig pauschal ineinen linearen Zusammenhang mit demprognostizierten Ausmaß der Klimaer-wärmung gebracht. Die vielfältigen land-schaftsökologischen Faktoren, die aufdie Populationsentwicklung wirken unddie die klimainduzierten Auswirkungenteilweise kompensieren können, werdenhierbei nicht berücksichtigt.

Mit dem vorgestellten Projekt soll dieFrage nach den Auswirkungen der Klima-erwärmung differenziert beantwortetwerden: Auf Grundlage regionalisierter

Balzender Hahn (Foto: Erich Marek)

Das Gefieder als perfekte Tarnung bei der Auerhenne

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Klimamodelle und bestehender Daten-grundlagen und Forschungsergebnissewerden die Auswirkungen potentiellerVeränderungen verschiedener Klimavari-ablen auf die Lebensraumbedingungenund Populationsentwicklung quantifi-ziert und flächenkonkret dargestellt.Dabei wird zwischen verschiedenen Sze-narien der Klimaentwicklung unterschie-den. Mit Hilfe ökologischer Nischenmo-delle wird überprüft, ob und wie durch dieFokussierung auf eine Schirmart (Auer-huhn) umfassende Schutzstrategien fürdie dazugehörige Artengemeinschaft er-arbeitet werden können, für die die not-

wendigen Datengrundlagen zur Validie-rung von Prognosemodellen nicht vor-handen sind.

Management

Basierend auf den Ergebnissen wer-den adaptive Managementstrategien er-arbeitet sowie der strukturelle und finan-zielle Aufwand quantifiziert, mit demunter verschiedenen Entwicklungsszena-rien ausreichende Lebensraumbedingun-gen für die genannten Hochlagenartengesichert werden können.

Ziel des Projektes ist es, eine notwen-dige Grundlage für das zukünftige Ma-nagement der EU-Vogelschutzgebiete imSchwarzwald und deren Vernetzung zuliefern und die Frage zu beantworten, obund zu welchen Bedingungen es mög-lich sein wird, die genannten Hochlagen-Vogelarten des Schwarzwaldes langfris-tig zu erhalten.

Veronika BraunischFVA, Abt. Wald und GesellschaftTel.: (07 61) 40 18 - 4 [email protected]

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Waldbau und Klima – was tun?

von Helge von Gilsa

Der Sachstandsbericht der internati-onalen Expertengruppe der VereintenNationen zum Klimawandel (IPCC) lässtkeinen Zweifel an der durch Menschenverursachten Klimaänderung. Tempera-turanstieg, mehr und intensivere Stürmeund längere Trockenzeiten im Sommerwerden zur Gewissheit. Anders als in derLandwirtschaft überwiegen im Wald dieRisiken. Die langen Generationszyklenverhindern im Wald eine schnelle Anpas-sung an die sich ändernden Umweltbe-dingungen. So werden die Schädendurch Extremereignisse weiter zuneh-men. Lediglich bei der Waldbrandgefahrwird in Baden-Württemberg das Risikowegen des fortgeschrittenen Waldum-baus mit hohen Laubholz- und Naturver-jüngungsanteilen noch als gering einge-schätzt.

Insekten und Pilze treten nicht mehrnur als Schwächeparasiten auf, sondernneigen zur Massenvermehrung. InvasiveArten kommen hinzu. Der Borkenkäferprofitiert besonders vom früheren Vege-tationsbeginn, den wärmeren und trocke-neren Sommern und der Zunahme vonStörungen.

Der Anteil der zufälligen Nutzungenan der Gesamtnutzung hat sich zwar inden Jahren 2005 bis 2007 wieder unauf-fällig bei 24 % eingependelt, doch in ein-zelnen Regionen (Schwäbisch-Fränk-ischer Wald, Oberschwaben, Oberrhein)ist die Situation viel kritischer. In mehre-ren Landkreisen werden innerhalb einesJahrzehnts dramatische Fichtenrückgän-ge von mehr als 10 % beobachtet. Wasist nun zu tun?

Risikoeinschätzung

Es gibt waldbauliche Vorgehensmo-delle, die von der Einstellung geprägt sind,Risikokapital gehöre auf die Bank undnicht in den Wald. Die aktive Begrenzungder Umtriebszeit, der Oberhöhe und desaufstockenden Vorrats soll die Sicherheit

einer planmäßigen Forstwirtschaft erhö-hen und zugleich die Liquidität des Be-triebes durch vorübergehend erhöhteHiebssätze verbessern. Die entscheiden-den Fragen aber sind: Entsprechen dieseArten des Waldbaus den ökologischenErfordernissen, den gesetzlichen Vorga-ben, den Zertifizierungsstandards, denunstrittigen gesellschaftlichen Anforde-rungen und den Eigentümerzielsetzun-gen? Bodenreinertrags- oder Waldrein-ertragsmodellen sind eine klare Absagezu erteilen. Ohne differenzierter Risiko-einschätzung und Klärung der richtigenBaumartenwahl bleiben bei solch radika-len waldbaulichen Empfehlungen die Ri-siken auch im Folgebestand bestehen.Der Wald als Zentralressource und be-sonders der öffentliche Wald muss auchandere Zielsetzungen wie Natur-, Boden-, Trinkwasserschutz und Tourismus undErholung im Blick behalten.

Waldbaumodelle

Im öffentlichen Wald haben wir unsder naturnahen Waldwirtschaft ver-pflichtet. Die natürlichen Abläufe undSelbstregulierungsmechanismen vonWaldökosystemen sollen zur Erfüllungökologischer und ökonomischer Zielset-zungen weitgehend ausgenutzt werden.Der Rationalisierungsschub durch dieErfolge der naturnahen Waldwirtschaftund der „biologischen Automation“´ wa-ren in den letzten 25 Jahren gewaltig.Betriebswirtschaftlich erfolgreich zu ar-beiten ist dabei genauso wichtig, wie denAnliegen des Naturschutzes und demErholungsbedürfnis gerecht zu werden.

Waldwirtschaft wird dabei als konti-nuierliche Waldentwicklung und bestän-diges Weiterarbeiten mit gegenwärtigenBeständen und deren Verjüngungs-potential aufgefasst. Die gültigen Wald-baugrundsätze sind in der Richtlinie lan-desweiter Waldentwicklungstypen nie-dergelegt. Die langfristigen Waldent-

wicklungsziele werden bisher als stabile,regenerationskräftige, strukturreiche unddem Standort angepasste Wälder,möglichst als Dauerwälder mit wesentli-cher Beimischung mehrerer Baumarten,der lokalen natürlichen Waldgesellschaftbeschrieben. Es soll wertvolles, mö-glichst starkes Holz von hoher Holz-qualität, erzeugt werden.

Welches Vorgehensmodell ist nunangesichts der Zielsetzungen besser ge-eignet, um auf die Klimaveränderung an-gemessen zu reagieren? Wissen wirgenug, um richtig zu handeln? Ist einneues Waldbau-Konzept, also ein radika-ler Waldumbau notwendig, oder habenwir in Baden-Württemberg eine günsti-gere Ausgangslage als anderswo?

Situation in Baden-Württemberg

Tatsache ist, dass in Baden-Württemberg seit Mitte der 80er Jahremessbare Erfolge beim ökologischenWaldumbau verzeichnet werden. Mit derUmsetzung von wissenschaftlich abge-sicherten Produktionsprogrammen, dieim Kern die Stabilisierung von Einzelbäu-men zum Ziel haben, werden in der Pfle-ge und Durchforstung die Produktions-ziele schneller erreicht und die waldbau-liche Qualität weiter verbessert.

Der Laubbaumanteil, die Baumarten-vielfalt, der Strukturreichtum und dieMischung wurden erhöht und es wurdemit großer Konsequenz ein standorts-gerechter Waldbau betrieben. Große Er-folge wurden v. a. beim Waldumbau vonFichtenbeständen erreicht. UmfassendeVorbauprogramme gehören der Vergan-genheit an und die Naturverjüngung läuftauf großer Fläche. Zum Konzept des na-turnahen Waldbaus gehörte bereits dieverstärkte Vorsorge gegen denkbare Risi-ken. Eine profunde standortskundlicheKartierung und Beratung mit einer stren-geren Beurteilung der Standortsgerech-

Waldbau überdenken und anpassen

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Abb. 1: Entwicklung der Baumartenanteile im Öffentlichen Wald Baden-Württemberg – langfristige Zielsetzung 2010

tigkeit legten den Grundstein für diesenErfolg. Die langfristige regionaleWaldbauplanung wurde letztmalig An-fang der 90er Jahre überarbeitet und einanzustrebendes Baumartenverhältnisvon 50 % Laubbäumen zu 50 % Nadel-bäumen festgelegt. Bei der Fichte warbereits eine Abnahme um 9 % desFlächenanteils auf 29 % eingeplant.Bereits keine zwei Jahrzehnte später be-trägt ihr Anteil nur noch 32 %. Der Rück-gang der Fichte wird weitergehen, dennca. 50.000 ha Fichte stocken auf unge-eigneten oder eingeschränkt geeignetenStandorten. Dagegen sollte sich der Dou-glasienanteil, standortskundlich ange-passt, auf 6 % verdoppeln. Dieser ausdamaliger Sicht vorsichtige Ansatz wirdmit 4 % heute bei weitem nicht erreicht.

Klärungsbedarf

Eine radikale Neuausrichtung desWaldbaus erscheint also nicht notwen-dig. Aus heutiger Sicht sind für die Bewäl-tigung der notwendigen Maßnahmen zurAnpassung an die Klimaveränderungdennoch fünf Aspekte zu klären:1. Die Ausrichtung des Waldbaus auf

Wertholzerzeugung in strukturrei-chen Wäldern hat in den vergangenenJahrzehnten zu einer deutlichen Ver-änderung der Altersklassenvertei-lung geführt. Der Rückgang der Flä-che jüngerer Altersklassen und derAnstieg produktiverer, älterer Bestän-de erhöhte die wirtschaftliche Leis-tungsfähigkeit der Betriebe und denökologischen Wert der Wälder. Essind nun Klärungen notwendig, in-wieweit sich das Produktionsrisiko inAbhängigkeit von Schäden (z. B.Rückeschäden) oder auch der Vor-ratshaltung und spezifischer topo-graphischer oder standörtlicher Situ-ationen erhöht. Darauf aufbauendmüssen Empfehlungen zur Risikobe-grenzung erarbeitet werden.

2. Zwingende Voraussetzung für dieflächige Verjüngung der gewünsch-ten Baumarten ohne Wildschutz-maßnahmen ist eine angepassteWildbewirtschaftung. Die regionalzunehmenden Verbissschäden an

Eiche und Tanne müssen wieder aufein waldverträgliches Maß abgesenktwerden. Im Zuge des klimabedingtenWaldumbaus dürfen aufwendigeKulturmaßnahmen mit qualitätsgesi-cherten Forstpflanzen nicht demWildverbiss zum Opfer fallen.

3. Der klimabedingte Waldumbau ist miteiner Intensivierung der waldbauli-chen Arbeit verbunden. Mit demSchlagwort der „biologischen Auto-mation“ im naturnahen Waldbauwurde häufig suggeriert, dass diesermitarbeiterneutral und kostenlos zuhaben sei. Es braucht aber ortskundi-ge, auf der Fläche verankerte Mitar-beiter und Mitarbeiterinnen, die aus-reichend Zeit für das waldbaulicheUmsteuern haben, gut vorbereitetund in der Lage sind, ihre örtliche Er-fahrung einzubringen.

4. Die klimabezogenen Forschungsak-tivitäten der FVA müssen weiter inten-siviert werden. Klimaszenarien müs-sen auf ihre Folgewirkungen analy-siert und Handreichungen zurRisikoeinschätzung und zum Wald-umbau unter Klimagesichtspunktenerarbeitet werden. Die Möglichkeitenund Grenzen der einheimischenBaumarten sind ebenso wie dieChancen und Risiken fremdländi-scher Baumarten frei von jeglichenVorurteilen abzuwägen. Ein wichtigesErgebnis wird die neue Zielsetzungdes anzustrebenden Baumartenver-hältnisses innerhalb der Waldbestän-de sein.

5. Klimaschutz kostet Geld. Das giltnicht nur für die Forschung, sondernauch für den klimabedingten Wald-umbau. Die Mehrkosten für die Be-gründung und Pflege klimatoleranterund risikoreduzierter Mischwäldermüssen durch ein waldbaulichesSonderprogramm abgedeckt werden.Die Schädlingsvorsorge mit einemintensiven Monitoring (z. B. bei Bor-kenkäfer und Maikäfer) führenebenso wie Schutz- und Ausgleichs-maßnahmen (z. B. Bodenschutzkal-kung) zu einem erhöhten Finanz-bedarf.

Ausblick

Auch wenn wir heute noch nicht alleEntscheidungsparameter für den Wald-bau der Zukunft kennen, so können wirdoch mit Zuversicht nach vorne schauen.Mit dem gelungenen Wiederaufbau derdevastierten Wälder des 19. Jahrhun-derts und den Erfolgen eines ökologi-schen Waldumbaus können wir daraufvertrauen, über einen langen Zeitraumhinweg auch die neue Herausforderungdes klimabedingten Waldumbaus zu be-wältigen.

Helge von GilsaMinisterium Ländlicher Raum,Referat 55Tel.: (07 11) [email protected]

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Dynamisierte Einstufung der Baumarteneignung alsGrundlage für die waldbauliche Planung

von Hans-Gerd Michiels

Bei der Abschätzung der waldökolo-gischen Folgen des rezenten Klimawan-dels sehen sich Forstliche Standortskun-de und Waldbau einem sehr komplexenPhänomen gegenüber. Sicher ist, dassauf die veränderten Temperatur- undFeuchteregimes nicht nur die einzelnenBaumpopulationen reagieren werden,sondern auch ihre Konkurrenten in derBaum- und Strauchschicht, in der Bo-denvegetation und vor allem auch dieHerbivoren, Parasiten und Pathogene; z.T. letztere wiederum indirekt durch dieAusschaltung bzw. Förderung wichtigerGegenspieler. Insbesondere Massenver-mehrungen von Parasiten und Krank-heitserregern können die ökologischeFitness der Bäume, d. h. ihre Vitalität undKonkurrenzstärke, erheblich limitieren(Schröter & Petercord 2008). Für denWaldbau stellt sich zudem die Frage nachder Produktionsleistung der Bäume so-wie der Gesundheit, Qualität und Ver-wertbarkeit des nutzbaren Holzes.

In den europäischen Naturräumen istKlimawandel kein neues Phänomen,selbst für den kurzen Zeitraum seit derletzten Eiszeit sind deutliche Fluktuatio-nen der Jahresmitteltemperaturen nach-gewiesen worden. Die chronologischeAufarbeitung der Vegetationsgeschichtemit Methoden der Dendrochronologie,Pollen- und Großrestanalysen, in jünge-rer Zeit unterstützt durch Isoenzym- undDNA-Analysen, verschafft einen grobska-ligen Überblick über die Reaktionen derWaldvegetation auf frühere klimatischeVeränderungen. Arealkunde und Vegeta-tionsgeographie beschreiben die aus derVegetationsgeschichte resultierendenheutigen Vorkommen von Arten und Ve-getationstypen. Sie bilden eine Basis fürdie Ableitung von Standortsansprüchenund Konkurrenzrelationen. In Deutsch-land liegen ergänzend dazu die systema-tisch und einheitlich erhobenen Datender Bundeswaldinventuren (BWI) 1987

und 2002 vor. Für die Dokumentation vonReaktionen der Waldökosysteme aufWitterungsverläufe stehen Auswertun-gen der langjährigen Versuchs- undMonitoringreihen von Waldwachstums-forschung und Waldschutz zur Ver-fügung.

Zur Einschätzung der lokalen Stand-ortsbedingungen sind auf ca. 70 % derWaldfläche Baden-Württembergs diegroßmaßstäblichen Karten der forstlichenStandortsaufnahme verfügbar. Ihre Inhal-te sind über die Baumarteneignungs-Ta-bellen (BAE-Tabellen) für die forstlichenStandortseinheiten verknüpft mit denwaldbaulichen Erfahrungen, die regionalin Waldbau- und Waldentwicklungsty-pen-Richtlinien (WET) niedergelegt wur-den. Die BAE-Tabellen vermitteln u. a. einestandortsbezogene Risikoabschätzungunter den Verhältnissen der jüngeren Ver-gangenheit, wobei der Klimatrend derletzten 20 Jahre berücksichtigt wurde.Die Einstufung der Baumarteneignungwird gestützt durch Kenntnisse der Vege-tationsökologie, der Pflanzen-physiologie und der Pflanzengenetik (Al-dinger & Michiels 1997).

Ein noch unsicheres Planungskrite-rium ist das Klima, in dem sich unsereWaldbäume bewähren müssen. Der Inter-governmental Panel on ClimateChange (IPCC)-Bericht 2007 nennt eineReihe differierender Szenarien, die jeweilsmit einer eigenen Prognose-Unschärfeausgestattet sind. Gemeinsam ist die Vor-hersage eines globalen Temperaturan-stiegs, der bis zum Jahr 2100 zwischen1,8 und 6,4° C betragen könnte. Dieräumliche Verteilung dieses Temperatur-anstiegs soll aber uneinheitlich sein, denLandmassen der nördlichen Hemisphä-re wird eine überproportionale Zunahmevorhergesagt. Regionalspezifische Mo-delle versuchen, diese Szenarien fürSüddeutschland zu präzisieren (Kliwa2006). Art (linear-kontinuierlich, progres-

siv-kontinuierlich oder diskontinuierlich),Ausmaß und Geschwindigkeit der Erwär-mung bleiben also vorerst unsicher, ihreKenntnis ist aber eine Voraussetzung derwaldbaulichen Planung. Der Anstieg derJahresmitteltemperaturen erfolgte in Ba-den-Württemberg - parallel an allen Kli-mamessstationen - seit 1988 relativ ab-rupt. Zwischen den Messperioden 1960-1987 und 1988-2006 beträgt dieserAnstieg ca. 0,8-1,2 °C. Zuvor war im 20.Jahrhundert keine gerichtete Entwicklungbzw. nur eine Erholung vom Klimapessi-mum Ende des 19. Jahrhunderts zu be-obachten. Sprunghafte Veränderungender thermischen Wuchsbedingungenwerden für die Vitalität der Baumpopula-tionen als nachteilig vermutet. Relativie-rend ist dazu jedoch zu bemerken, dassdie Schwankungsamplitude der Monats-mittel in Mitteleuropa schon immer ge-waltig war (z. B. 16 °C für den Februar,Messstation Karlsruhe 1900-1999). Diesberuht auf der hohen Variabilität der Luft-temperatur in Abhängigkeit von der Her-kunft der Luftmassen, die unseren Raumerreichen.

Neben der Temperatur ist auch dieNiederschlagsmenge und -verteilungeine wichtige regionale Klimakenngröße.Auch hier sind die Szenarien nicht ein-heitlich, z. T. wird ein Rückgang der Nie-derschläge für die Sommermonate prog-nostiziert, während im Jahresmittel keineVerminderung oder gar eine Zunahmeerwartet wird (Kliwa 2006). Eine geringfü-gige Abnahme der Niederschläge imFrühsommer (Mai/Juni) ist in den letzten20 Jahren in einigen Gebieten Baden-Württembergs verzeichnet worden.

Meist wird auch die Zunahme derHäufigkeit extremer Witterungslagenvorhergesagt. Einzelne extreme Witte-rungsereignisse sind nach bisherigenAussagen nicht räumlich und zeitlichprognostizierbar. Witterungsanomalienwirken auf das Waldökosystem umso

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stärker, je seltener sie auftreten und jestärker sie von dem bisherigen Variations-rahmen des Witterungsmerkmals abwei-chen. Bei sehr seltenen Ereignissen kannkeine Anpassung der Pflanzenindividu-en erfolgen (z. B. in Südwestdeutschlandim extremen Trockenjahr 2003), bei regel-mäßigen Ereignissen passt sich die Vege-tation hingegen an. Dies giltbeispielsweise für den mediterranenRaum mit seinen regelmäßig gering aus-fallenden Sommer-Niederschlägen. Wit-terungsextreme wirken als auslösendeFaktoren für Absterbeprozesse, wenn sieauf nicht angepasste Individuen treffen,oder wenn sich die betroffene Populati-on insgesamt am Rande ihrer potenziel-len Verbreitung befindet. In diesen Fällenerfolgt die Schädigung nicht direkt, son-dern den letztlich letalen Schadfaktoren(z. B. Käfer, Pilze) wird der Weg bereitet.Randpopulationen, die durch regelmäßi-gen Trockenstress und Parasitenbefallgeschwächt sind, sind dafür besondersdisponiert (Dobbertin et al. 2005). Für dasBaumindividuum gilt dabei auch ein ho-hes Lebensalter als Risikomerkmal. Esgibt Hinweise darauf, dass sich die Ab-sterbevorgänge nach Witterungs-extremen in Populationen am Arealrandvon solchen im Arealzentrum unterschei-den; es werden jeweils unterschiedlichebestandessoziologische Gruppen (Herr-schende, Nachwachsende, Wartende,Jungwuchs) betroffen. Eine Quelle fürÜberraschungseffekte kann die Popu-lationsentwicklung von Pathogenen bie-ten, insbesondere wenn diese aufgrundder Klimaverschiebung neu einwandern.

Zur Beurteilung der möglichen Fol-gen des erwarteten Klimawandels für denWald müssen die analytisch oder empi-risch gewonnenen wissenschaftlichenKenntnisse zu den noch unscharfen Kli-ma-Prognosen in Beziehung gesetztwerden. Es gilt auf der Basis der verfüg-baren Klima-Szenarien Modelle zu kon-struieren, welche die möglichen Entwick-lungen zutreffend abbilden.

Herleitung und Darstellung

Einer der am häufigsten diskutiertenAspekte des Klimawandels bezieht sich

auf Veränderungen an den Verbreitungs-grenzen der Baumarten. NatürlicheVerbreitungsgrenzen werden nicht nurdurch die abiotischen Wuchsbedingun-gen, sondern auch durch interspezifischeKonkurrenz und Pathogene mitbestimmt.Die aktuellen Verbreitungsgrenzen sindResultat der regionalen Standorts- undVegetationsgeschichte, und in den meis-ten Fällen von der historischen Nutzungder Wälder erheblich beeinflusst.

Die physiologische Anpassung anden Standort spielt für die Arealbildungvon Gehölzarten eine wesentliche Rolle.Sie wird unter natürlichen Bedingungenaber erst durch die damit einhergehendeEntfaltung von Konkurrenzstärke imÖkosystem wirksam. Die Kenntnis derphysiologischen Belastbarkeit einer re-präsentativen Zahl von Baumindividuenerlaubt die Definition von physiologi-schen Grenzwerten für Teilpopulationenoder gar für die Gesamtpopulation einerArt. Anpassungen auf wiederkehrende,durch die Umwelt induzierte Belastun-gen erfolgen beim Individuum morpholo-gisch und physiologisch während seinerLebensspanne (z. B. durch Begrenzungder Wuchshöhe). In den Populationenerfolgen sie parallel durch Selektion deram besten angepassten Genotypen undim Ökosystem interspezifisch durch Art-wechsel bei Verschiebung derKonkurrenzverhältnisse. Rein physiolo-gisch bedingte Verbreitungsgrenzen vonBaumarten finden wir deshalb in denWäldern fast nirgendwo realisiert (Aus-nahmen in Grenzbereichen des Gehölz-wachstums: z. B. Baumgrenze in Hoch-mooren). Aus diesem Grund ist auch einschlagartig allein durch physiologischeUrsachen bedingter Ausfall einer größe-ren Teilpopulation einer Baumart in Mit-teleuropa selten.

Eine Möglichkeit zur Abschätzungdes ökologischen Potenzials von Baum-populationen ist die Analyse ihrer reali-sierten geographischen Vorkommen. DerAnsatz, diese mittels ausgewählterStandortsfaktoren in der Form von Öko-grammen zu beschreiben, ist seit langemeine Grundlage der Vegetationsgeogra-phie und -ökologie. Ein solches Verfahrenhat Kölling (2007) gewählt, der mit derJahresmitteltemperatur und dem mittle-

ren Jahresniederschlag einen klimatischdefinierten Existenzbereich als „Klima-hülle“ beschreibt. Die Daten wurdendurch Auswertung von Verbreitungskar-ten von Baumarten bzw. Waldgesell-schaften gewonnen und mit einem regi-onalisierten Klimamodell verschnitten.

Grenzen der Methode

1. Die Aussagekraft derDatengrundlagen

Werden kleinmaßstäbliche Karten derpotenziellen natürlichen Waldvegetation(pnV) (z. B. Bohn & Neuhäusl 2003) ver-wendet, wird damit das ökologische Po-tenzial einzelner Arten unterschätzt. Diesist z. B. bei der Fichte der Fall, die ihrephysiologische Tauglichkeit und wald-bauliche Anbaueignung in Mitteleuropaauch auf Flächen bewiesen hat, auf denensie in der pnV fehlt oder aber nur als ak-zessorische Baumart auftritt. Bei derKonstruktion der Klimahüllen aus aktuel-len Verbreitungskarten (z. B. der FloraEuropaea) stellt sich hingegen mehr dieFrage nach der Vollständigkeit der Erfas-sung. Heutige Artvorkommen geben dasErgebnis der Vegetationsgeschichtewieder, unter Einschluss der waldbauli-chen Bemühungen der Vergangenheit.Wenn eine Baumpopulation nutzungsge-schichtlich an ihrer Ausbreitung gehin-dert wurde, wird ihr Potenzial ebenfalls zugering eingeschätzt. Zusätzlich lässt sichinnerhalb eines Verbreitungsareals dieVitalität und damit die Überlebensfähig-keit einer Baumart durch waldbaulicheMaßnahmen steuern. Gerade dies ist ei-nes der ureigensten Handlungsfelder derforstwissenschaftlichen DisziplinenWaldbau und Waldwachstum. Es ist alsonicht ausgeschlossen, dass mit ange-passten Formen der Bewirtschaftung die„Klimahülle“ von Baumarten gedehntwerden kann.

2. Die sachliche und räumlicheGültigkeit der Darstellung

Wenn das betrachtete Areal weiträu-mig ist und auch boreale, hyperozeani-sche oder mediterrane Klimaräume mit

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einbezieht, treten vegetationswirksamestandortsökologische Phänomene auf,die mit Jahresniederschlag und -tempe-ratur nicht hinreichend beschrieben sind.Dies gilt insbesondere für die Wirkungsehr niedriger absoluter Winterkälte odersehr ausgeprägter Sommertrockenheitauf die Vegetation, oder aber auch aufwichtige pathogene Organismen. Hierliegen Ökosystem-Beziehungen vor, dieaußerhalb des mitteleuropäischen Erfah-rungsbereiches liegen. Derartige vegeta-tionsökologische Situationen könnendeswegen leicht falsch interpretiert wer-den, wenn sie in einer Klimahülle nur mitden Faktoren Jahresmitteltemperaturoder Jahresniederschlagsumme erschei-nen und davon abgeleitete Aussagen aufunsere Wuchsräume übertragen werden.

3. Die Begrenztheit der Aussage

Die Ansätze berücksichtigen in allenFällen zunächst nur das Vorkommen derBaumart. Das Vorkommen selbst beinhal-tet jedoch noch keine Aussagen überKonkurrenzstärke, Wuchsleistung,durchschnittliche und maximal erreich-bare Lebensdauer der Individuen, Ge-sundheitszustand und Mortalitätsraten.Alle diese Merkmale sind wichtig, um dieVitalität einer Population zu beschreiben.Ein Klimamodell auf Rasterbasis berück-sichtigt lokale Mesoklimate nicht ausrei-chend, was bei Baumpopulationen am

klimatischen Arealrand durchaus not-wendig wäre (z. B. Beachtung des„Schluchtwald“-Effektes = hohe Luft-feuchte in engen Tälern).

Weil der Boden mit seinem Wasser-haushalt nicht einbezogen wird, fehltauch die notwendige Betrachtung derörtlichen standortsökologischen Ein-nischung. So kann eine Baumart wie dieSchwarzerle zwar in mediterranen Klima-typen vorkommen, bleibt dort aber striktauf grundwassernahe Wälder be-schränkt. Allein mit der Darstellung derKlimahülle fällt daher die stand-ortsökologische Beschreibung sehr un-vollständig aus, was beachtet werdenmuss, wenn daraus Schlussfolgerungenformuliert werden.

4. Die Betrachtung derPopulationen auf Artniveau

Die Ebene der „Art“ (Spezies) ist fürdie ökologische Betrachtung fallweisebereits zu grob, weil in Teilarealen ökolo-gische Rassen auftreten können. In die-sen Fällen verhalten sich die Teilpopula-tionen gegenüber Klima- und Witte-rungsphänomenen nicht einheitlich. Soscheinen mediterrane Buchen generellProbleme mit der Frosthärte zu haben.Wieweit dies für die jeweils gesamte Teil-population gilt, also die Frage, obvielleicht einzelne frostharte Individuenauch in mediterranen Teilpopulationender Buche existieren, ist noch nicht ge-klärt. Ebenso wenig die Frage, ob in un-seren heimischen Buchen-PopulationenAnpassungspotenziale an mediterrano-ide Hitze- oder Trockenperioden schlum-mern.

Schwellenwerte derBaumartenverbreitung

Die Verknüpfung der Daten einerGroßrauminventur (z. B. BWI II) mit wich-tigen Klimakennwerten bietet eine weite-re Möglichkeit, mit vertretbarem Aufwandeine ausreichend große Datenbasis zurKlärung von Fragen nach Verbreitungs-mustern und ökologischen Grenzenforstlich relevanter Baumarten zu unter-suchen. Mit statistischen Modellen las-

sen sich dafür Wahrscheinlichkeitsfunk-tionen für das Vorkommen berechnen undSchwellenwerte herleiten.

Abbildung 1 zeigt das Ergebnis einersolchen Berechnung an einem Beispielfür die Fichte. Aufgetragen ist die Vertei-lung der berechneten Wahrscheinlichkeitdes Auftretens (0 = 0 %; 1 = 100 %) überder Mitteltemperatur der Vegetationszeit(Mai-September); die Boxplots (rot) ge-ben den 50 %-Wertebereich, die„Schwänze“ den 99 %-Wertebereich an.Im Bereich von Sommermitteln zwischen9,5 und 11,5 °C, das entspricht etwa derhochmontanen Höhenstufe, ist dieWahrscheinlichkeit des Auftretens derFichte nahe dem Wert n = 1, d. h. sie be-siedelt - bei geringer Streuung - prak-tisch alle Standorte. Auch im montanenHöhenbereich (- 13,0 °C) ist sie nochbeinahe omnipräsent. Im Submontanzeigt sich hingegen bereits ein Absinkender berechneten Vorkommen, bei höhererStreubreite, d. h. die Kombinationen derStandortsfaktoren teilen sich in Fichten-günstige und Fichten-ungünstige Berei-che. Diese Tendenz verstärkt sich im Kol-lin mit Temperaturen in der Vegetations-zeit zwischen 14,5 und 16,0 °C. Oberhalbdieses Wertebereichs, d. h. im unterstenKollin und im Planar, sinkt die Vorkom-menswahrscheinlichkeit der Fichte mar-kant ab und liegt oberhalb 17 °C, dasentspricht einem Jahresmittel von ca.10,5 °C, nahe dem Nullpunkt.

Abb. 1: Berechnete Wahrscheinlich-keit des Vorkommens der Fichte inAbhängigkeit von der Mittel-Temperatur in der VegetationszeitMai-September (BWI II)

Abb. 2: Berechnete Wahrscheinlich-keit des Vorkommens der Fichte inAbhängigkeit von der Niederschlags-summe in der Vegetationszeit Mai-September (BWI II)

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Eine regionale oder zonale Nieder-schlagsgrenze der Fichte lässt sich fürBaden-Württemberg auf diesem Wegenicht nachweisen (Abb. 2). Ein Schwel-lenwert der Verbreitung wird nach Anga-ben ostdeutscher und Schweizer Kolle-gen bei einer Niederschlagssumme in derVegetationszeit (Vz) von 250 mm vermu-tet, die Sommer-Niederschläge liegenaber selbst in den niederschlagsarmenLandesanteilen Baden-Württembergsnahe bei 300 mm/Vz.

Die Interpretation dieser Schwellenunterliegt teilweise den gleichen Vorbe-halten, wie sie schon für die genanntenKlimahüllen formuliert wurden. Die dar-gestellten Zustände sind das Ergebnis derWaldgeschichte, also der nacheiszeitli-chen Entwicklung der Waldökosysteme,die zumindest in den letzten Jahrhunder-ten stark der menschlichen Steuerungunterlag. Absolute physiologische Gren-zen von Baumarten können darauskeinesfalls abgeleitet werden, immerhinergeben sich für ökologische GrenzenAnhaltswerte, die aber einer weiteren kau-salen Klärung bedürfen.

Hierfür geben die Betrachtung derVorratsentwicklung (Abb. 3) und die derFlächenausstattung der Altersklassen(Abb. 4) Hinweise auf die Struktur undVitalität von Baumpopulationen entlangvon Temperaturgradienten. Die gewählteDarstellung zeigt einen Vergleich der kol-linen mit der montanen Höhenstufe be-züglich der Entwicklung zwischen 1987und 2002. Bei der Gegenüberstellungvon periodischen Zuwächsen und Ab-gängen stellt sich ein deutlicher Biomas-sezuwachs der Buche dar, und zwar aus-geprägter in den montanen als in denkollinen Lagen. Die Fichte hat in der mon-tanen Stufe ihre Biomasse etwa gehalten,während in der kollinen Zone eine deut-liche Abnahme erkennbar ist. Die Alters-klassenverteilung der Fichte zeigtebenfalls deutliche Besonderheiten derHöhenzonierung. In der kollinen Höhen-stufe ist die Fichte nur bis zur V. Alters-klasse mit bedeutsamer Fläche ausge-stattet, ältere Bestände gibt es kaum.Dagegen reicht in der montanen Höhen-stufe die Flächenausstattung bis in dieVIII. Altersklasse. Die Bestände der war-men Tieflagen werden also nicht sehr alt.

Zudem ist die Konstanz der Verjüngungin der kollinen Höhenstufe unterbrochen,erkennbar am starken Rückgang der I. Al-tersklasse.

Auch bei diesen Daten muss einedetaillierte Analyse folgen, welche derFaktoren Sturm, Insekten und Dürre denRückgang der Fichte in der kollinen Hö-henstufe überproportional verursachthaben. Bei dem hohen Prozentsatz au-ßerplanmäßiger Nutzungen in diesenGebieten darf die waldbauliche Steue-rung als nachrangig betrachten werden(vgl. Stahl & Gauckler 2007). Beim Rück-gang der Verjüngungszahlen ist zu prü-fen, in welchem Maße vorauseilenderwaldbaulicher Vollzug beziehungsweisefehlende Investitionsbereitschaft demKlimawandel bereits vorweg geht.

Entsprechende Auswertungen wur-den auch für die anderen in der BWI II er-fassten Wirtschaftsbaumarten durchge-führt. Für die Buche haben die Ergebnis-

se gezeigt, dass sich derzeit in Baden-Württemberg keine klimatischen Grenz-werte nachweisen lassen. Sie steht inweiten Teilen Baden-Württembergs inihrem ökologischen Optimum, wobeiderzeit noch ihre Bestockungsanteileund Produktivität von der kollinen bis zurhochmontane Stufe hin abnehmen.

Nach den Untersuchungen französi-scher Kollegen scheinen semiaride Som-mermonate (Juni/Juli), dass heißt Mittel-werte der monatlichen Niederschlägevon unter 50 mm, der Verbreitung derBuche ein Limit zu setzen (Badeau et al.2004).

Abb. 3: Durchschnittlicherperiodischer Zuwachs (linke Säulen)und Abgang (rechte Säulen) derHauptbaumarten im Zeitraum 1987-2002, Vergleich der kollinen und dermontanen Höhenstufe Baden-Württembergs (BWI II)

Abb. 4: Altersklassenverteilung der Fichte im Vergleich der Jahre 1987 (linkeSäulen) und 2002 (rechte Säulen) sowie der kollinen mit der montanenHöhenstufe in Baden-Württemberg (BWI II)

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Trotz der Mängel stellen großräumigepflanzengeographische Ansätze bisherden anschaulichsten Weg dar, um raschzu einer Abschätzung der Wirkung vonKlimaveränderungen auf die Waldöko-systeme zu kommen. Im FVA-Projekt„Klimatische Grenzen für den Waldbaumit Buche und Fichte“ werden fundierteAussagen zu Vitalität, Mortalität und

Wachstum von Buche und Fichte entlangder Klimagradienten in Baden-Württem-berg hergeleitet. Damit ist das Ziel ver-bunden, Kriterien der Baumarteneig-nung, die bisher nur wenig quantifizier-bar waren, einer verbesserten, quantitativabgesicherten Bewertung zuzuführen.Weil die Klimaprognosen den aktuellenKlimarahmen Baden-Württembergs ver-lassen, werden auf diese Prognosen aus-gerichtete waldbauliche Empfehlungennur mit der Erweiterung des geographi-schen Betrachtungsraumes möglich sein.Dabei müssen besonders Regionen me-diterraner Klimatypen einbezogenwerden.

LangfristigeBaumarteneignung

Die seitherige Einstufung der Baum-arteneignung beruhte auf der Annahme,dass ein Bestand im Laufe seiner Ge-schichte keine gerichteten Klimaverände-rungen erfährt, d. h. dass die Temperatur-werte im langjährigen Mittel den Bereichvon ca. ± 1 °C um den Mittelwert derReferenzperiode nicht verlassen. Mit derTemperaturerhöhung entsteht für dieforstliche Standortskunde eine neuartigeAufgabe, denn nun soll sie nicht nur dieaktuelle BAE beurteilen, sondern dieseauch für weit in der Zukunft liegendePhasen der Bestandesentwicklung dyna-misch einschätzen.

Ein erster Ansatz einer dynamisiertenBAE-Bewertung ist die Darstellung deraktuellen und zukünftigen räumlichenVerteilung von den erwähnten Schwel-lenwerten der BAE. Ihre Fixierung stehtderzeit noch auf schwachem Funda-ment, so dass die vorgestellten Ergebnis-se mehr der Darstellung methodischerAnsätze dienen und konkrete Hand-lungsempfehlungen allenfalls vorläufiggezogen werden können. Abbildung 5visualisiert die aktuelle Verbreitung derFichte in Baden-Württemberg nach denAufnahmeflächen der BWI II (rote+gelbeRasterquadrate) und zeigt, in welchenRäumen bei einer Erwärmung um 4 °C bis2100 nach den bisherigen waldbaulichenRealisierungen eine herkömmliche Be-wirtschaftung des WET Fichten-Misch-

wald nicht mehr möglich sein wird (gelbeRasterquadrate). Die Darstellung resul-tiert aus einer Abfrage und Abbildungeines Grenzwertes für den Fichten-An-bau auf der Basis der Temperatur in derVegetationszeit (Monate V-IX) von 17 °C.

Für die Buche muss die vergleichba-re Darstellung die regionale Nieder-schlagshöhe mit einbeziehen, weil dieBuche dort gegenüber Reduktionen be-sonders sensibel ist. Abbildung 6 zeigt,dass bei einer Erwärmung um 4 °C undgleichzeitiger Reduktion der Nieder-schlagssumme in der Vegetationszeit um10 % auch die Buche in den warm-tro-ckensten Naturräumen Baden-Würt-tembergs, insbesondere im nördlichenOberrheinischen Tiefland und im kollinenNeckarland, ihre Standortstauglichkeitverlieren würde.

Damit in der forstlichen Planung auchdie zukünftige BAE angemessen bewer-tet wird, müssen die BAE-Tabellen umdas Kriterium der Klimalabilität erweitertwerden. Das Kriterium der Klimalabilitätvon Baumarten wird auf die klimatischenVerhältnisse hin geprüft, der die heutigenBestände der Hauptnutzungs-, derDurchforstungs- (Df) und der Jungbe-standsphase (JB) ausgesetzt sein wer-den. Die zeitliche Staffelung dieses Risi-kokriteriums wird in 4 Klassen (K) ausge-wiesen, die sich wie folgt definieren:• K 0, klimastabil: voraussichtlich kei-

ne Schwellenwert-Überschreitungbis ins Jahr 2100, keine Anpassungder aktuellen BAE-Bewertung not-wendig.

Abb. 5: Modellierte Wuchs- undVerlustflächen der Fichte

Klimatische dynBAE dynBAE Wärmestufe Wärmestufe

Ausgangslage (1961-90) 2010 2030 Prog 2050 Prog 2100

+ 1 °C + 1,5 °C + 2,5 °C + 4,5 °C

10 - 11 planar 12,5 - 13,5 14,5 - 15,5

8,5 - 10 kollin 11 - 12,5 13 - 14,5

7 - 8,5 submontan 9,5 - 11 11,5 - 13

5,5 - 7 montan 8 - 9,5 10 - 11,5

4 - 5,5 hochmontan 6,5 - 8 8,5 - 10

3 - 4 subalpin 5,5 - 6,5 7,5 - 8,5

Standortskundl.

Höhenstufebei T °C /a

0 klimastabil: bis 2100 keine Überschreitung Schwellenwert 10,5 °C/a

1 langfristig klimalabil: in 40-90 Jahren Überschr. Schwellenw. 10,5 °C/a

2 klimalabil: bis in 40 Jahren Überschr. Schwellenw. 10,5 °C/a

3 hochgradig klimalabil: aktuelle Überschr. Schwellenw. 10,5 °C/a

Wärme-

stufe

T °C /a

Legende: Risikozonen (Rz) 0 bis 3

Tab. 1: Dynamisierte BAE-Bewert-ung: Einstufung der Klimastabilitätder Fichte bei T/Vz +4,5 °C (Basis1961-90): Anstieg Temp. T um +2,5°Cbis 2050, um +4,5 °C bis 2100; ohneReduktion Niederschlag, inAbhängigkeit von der aktuellenJahresmitteltemp. und Höhenstufe

Klimatische dynBAE dynBAE Wärmest. Wärmest.

Ausgangslage (1961-90) 2010 2030 Prog 2050 Prog 2100

+ 1 °C + 1,5 °C + 2,5 °C + 4,5 °C

10 - 11 < 350 planar 12,5 - 13,5 14,5 - 15,5

> 350

8,5 - 10 < 350 kollin 11 - 12,5 13 - 14,5

> 350

7 - 8,5 < 350 submontan 9,5 - 11 11,5 - 13

> 350

5,5 - 7 montan 8 - 9,5 10 - 11,5

4 - 5,5 hochmontan 6,5 - 8 8,5 - 10

3 - 4 subalpin 5,5 - 6,5 7,5 - 8,5

1 langfristig klimalabil: in 40 - 90 Jahren Überschr. Schwellenw. 10,5 °C/a

2 klimalabil: bis in 40 Jahren Überschr. Schwellenw. 10,5 °C/a

Legende: Risikiozonen (Rz) 0 bis 2

bei T °C /aWärme-

stufe

T °C /a

Standortsk.

Höhenstufe

Nieder-

schlagstyp

mm/Vz

0 klimastabil: bis 2100 keine Überschreitung Schwellenwert 10,5 °C/a

Tab. 2: Dynamisierte BAE-Bewert-ung: Einstufung der Klimastabilitätder Buche bei T/Vz +4,5 °C (Basis1961-90): Anstieg Temp. T um +2,5°Cbis 2050, um +4,5 °C bis 2100; ohneReduktion Niederschlag, inAbhängigkeit von der aktuellenJahresmitteltemp. und Höhenstufe

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• K 1, langfr. klimalabil: Schwellenwert-Überschreitung in 40 bis 90 Jahren,JB- und Df-Bestände werden be-troffen. Die Baumart ist bei günstigs-ter Konkurrenz- und Leistungsbe-wertung auf dem Standort in der Ge-samtbewertung „möglich“, sonst„wenig geeignet“ oder „ungeeignet“.

• K 2, klimalabil: Schwellenwert-Über-schreitung bis in 40 Jahren; d.h. auchBestände der Hauptnutzung nochbetroffen; Risiko hoch, Vitalität (Kon-kurrenzstärke, Leistung) vermindert,auch auf bislang günstigen Standor-ten nur noch „wenig geeignet“.

• K 3, hochgradig klimalabil: bereits ak-tuelle Schwellenwert-Überschrei-tung. Ausschlusskriterium für dieBaumart (Gesamtbewertung = „unge-eignet“).Die für eine zeitlich gestaffelte Dar-

stellung der Baumarteneignung eigent-lich entscheidenden Grundfragen sindder unterstellte Verlauf der Klimaentwick-lung und die Fixierung der Risikoschwel-len. Hier mögen zwei Beispiele für Bucheund Fichte stehen (Tab. 1 und 2), in denendas Risikokriterium der BAE für diestandortskundlichen Höhenstufen Ba-den-Württembergs abgebildet wird.Jeweils vorausgesetzt wird in den Dar-stellungen ein Anstieg der mittleren Jah-restemperatur bis zum Jahr 2100 von 4,5°C, ausgehend von der Periode 1961-90.Dies entspricht ungefähr dem IPCC-Sze-nario A2. Die Planung 2010 wird bereitsauf einem Niveau von 1 °C Erhöhungstarten, dies folgt aus der Temperaturent-

wicklung des Mess-Zeitraumes 1991-2007. Bis zum Jahr 2030 wird eine wei-tere Zunahme der mittleren Jahrestempe-ratur um 0,5 °C, bis 2050 um weitere 1 °Cunterstellt.

Die Fichte ist mit dem Grenzwert dermittleren Jahrestemperatur von 10,5° Cberechnet. Es ist zu beachten, dass die-ser Schwellenwert von 10,5 °C nahe derabsoluten aktuellen Verbreitungsgrenzeliegt, und dass für die Fichte bereits bei8,5 °C und noch einmal bei 9,5 °C Vitali-täts-Schwellenwerte erkennbar sind (Mi-chiels & Wagner, in prep.; vgl. Lebour-geois 2006). Das Ergebnis zeigt deutlich,welche Dramatik für die Zukunft der Fich-te einer derartigen Temperaturentwick-lung innewohnt. Auswirkungen könntensich langfristig bis in die montane Hö-henstufe hinein zeigen.

Für die Buche ist die Methodik derFixierung klimatischer Grenzwerte nochunsicherer, weil sie in einer Kombinationvon Temperatur und Niederschlagsver-hältnissen resultieren, die in Baden-Württemberg in der aktuellen Messperio-de 1961-90 nirgendwo vorliegen. Spani-sche, französische und italienischePopulationen der Buche, die weiter inmediterrane Klimaräume vorstoßen, sindmit den mitteleuropäischen genetischwahrscheinlich nicht identisch (Musch etal. 2007). Die gewählten Grenzwerte, 13°C für niederschlagsreiche Räume mit >350 mm/Vz, und 12 °C bei < 350 mm N/Vz sind erste Anhaltswerte (vgl. Kölling2007). Sollte sich auch der Niederschlagin der Vegetationszeit deutlich vermin-dern, wie das in manchen Klimaszenari-en prognostiziert wird, würden sich die-se Temperaturgrenzen noch verschärfen.

Basierend auf den skizzierten Risiko-klassen kann eine angepasste waldbau-liche Planung und Behandlung aufbau-en (Kohnle et al. 2008). Wenn zukünftigbesser abgesicherte Klimaprognosenund präzisierte waldökologische Er-kenntnisse vorliegen werden, sind dieseEmpfehlungen zu aktualisieren. Es mussdas Ziel der dynamisierten BAE-Bewer-tung sein, angesichts der Unsicherheitender Klimaprognosen, waldbauliche Steu-erungsmöglichkeiten in Reaktion auf diedann tatsächlich eintretende klimatischeSituation zu erhalten.

Abb. 6: Modellierte Wuchs- undVerlustflächen der Buche

Literatur

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Bohn, U., Neuhäusl, R., unter Mitarbeit vonHettwer, C., Gollub, G. & Weber, H.(2000/2003): Karte der natürlichenVegetation Europas/Map of the NaturalVegetation of Europe. Maßstab/Scale 1 :2 500 000.Teil 1: Erläuterungstext mit CD-ROM;Teil 2: Legende; Teil 3: Karten. Münster(Landwirtschaftsverlag).

Dobbertin, M., Wohlgemuth, Th., Feldmeyer-Christe, E., Graf, U., Mayer, P.,Zimmermann, N., Rigling, A. (2005): Thedecline of Pinus sylvestris L. forests inthe Swiss Rhone Valley - a result ofdrought stress? Phyton 45 (4), 153-156.

Kliwa (Hrsg.) (2006): RegionaleKlimaszenarien für Süddeutschland.Kliwa-Berichte Heft 9.

Kölling, Ch. (2007): Klimahüllen für 27Baumarten. AFZ/Der Wald 23, 1242-45.

Kohnle, U., Hein, S., Michiels, H.-G. (2008):Waldbauliche Handlungsmöglichkeitenangesichts des Klimawandels. FVAeinblick+ . 01/08: 50-53.

Lebourgeois, F. (2006): Reponse au climat dusapin (Abies alba Mill.) et de l’ epicéa(Picea abies (L.) Karst) dans le reseaurenecofor. Revue forestière francaise 18/5, 419-433.

Michiels, H.-G., Wagner, U. (in prep.):Revealing ecological patterns of foresttrees distribution from German forestsurvey data - a methodologicalcontribution.

Musch, B., Valadon, A., Petit, R. (2007): L’histoire du hêtre au Quaternaire: unnouvel eclairage et des enseignementspour l’avenir. Rendez-vous techniquesde l’ONF, hors-serie 2, 59-65.

Schröter, H., Petercord, R. (2008): FVA-einblick+ 01/2008: 36-39.

Stahl, S. & Gauckler, St. (2007): Wie fit sinddie Fichtenwälder in Oberschwaben fürden Klimawandel? AFZ/Der Wald 23,1250-55.

Dr. Hans-Gerd MichielsFVA, Abt. WaldökologieTel.: (07 61) 40 18 – 1 [email protected]

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Waldbauliche Handlungsmöglichkeiten angesichts desKlimawandels

von Ulrich Kohnle, Sebastian Hein und Hans-Gerd Michiels

Entscheidungsgrundlagen

In Anbetracht der Diskussionen unddes Kenntnisstandes um Klima- undUmweltwandel sind Strategien zum sinn-vollen Umgang mit dem Wandel offen-kundig zwingend erforderlich. Weil Ver-änderungen längerfristig erwartet werdenbzw. längerfristig wirksam sein dürften,gilt dies in besonderem Maße für wald-bauliche Strategien: Zum einen muss sichwaldbauliches Handeln in besonderemMaße an langfristigen Zielen oder Erwar-tungen ausrichten und zum anderenmüssen aufgrund der langen forstlichenProduktionsdauer für die Zukunft erwar-tete Veränderungen in angemessenerWeise bei heutigen Entscheidungen be-rücksichtigt werden.

Das Zauberwort ist „in angemessenerWeise“ – auch im Zusammenhang mitKlimawandel. Es gilt zu einer abgewoge-nen waldbaulichen Strategie zu kommen,die weder die Unsicherheiten der Prog-nosen negiert, noch gesichertes Wissenüber die Beziehungen zwischen Bäumenund relevanten Standorts- und Witte-rungsfaktoren ignoriert.

Zusätzlich zu den Unschärfen derKlima- und Witterungsprognosen beste-hen weitere Unsicherheiten bezüglichdes Reaktionsmusters der Baumpopula-tionen auf die erwarteten Umweltverän-derungen. Allerdings steht hier der Wald-bau aufgrund des umfangreichen wachs-tums- und standortskundlichen Wissensalles andere als mit leeren Händen da:Berücksichtigt man, dass diese Kenntnis-se aus der Vergangenheit stammen, dienicht vollständig in die Zukunft übertrag-bar sind, lassen sich daraus durchausbelastbare und entscheidungsrelevanteErwartungen ableiten. Dies enthebt je-doch keinesfalls der Notwendigkeit, dieaktuell verfügbaren Entscheidungs-grundlagen durch gezielte Untersuchun-gen zur Klimaanpassungsfähigkeit von

Bäumen weiter zu verbessern.Eine seriöse Anpassung waldbauli-

cher Strategien muss den Prognoseun-sicherheiten (v. a. Klimaänderung) zumeinen dadurch angemessen Rechnungtragen, dass die Ausrichtung auf Zeitho-rizonte beschränkt wird, bei denen nochvertretbare Prognoseunsicherheiten auf-treten. Dabei kann es sich zum gegenwär-tigen Zeitpunkt allenfalls um einige Jahr-zehnte handeln, aber keinesfalls um Jahr-hunderte! Zum anderen verbieten sichvor dem Hintergrund unsicherer Progno-se radikale Wechsel. Vielmehr gilt es fle-xible Strategien zu entwickeln, die einekontinuierliche Anpassung ermöglichen.

Insbesondere bei markanten Ände-rungsraten von Witterungsabläufen ist esplausibel, zumindest von einer Verstär-kung bereits vorhandener Risikopotenzi-ale auszugehen. Gegebenenfalls musssogar mit dem Auftreten neuer Risiko-faktoren gerechnet werden. Waldbauli-che Strategien müssen daher zukünftigverstärkt ihr Augenmerk auf den Umgangund die Begrenzung naturaler Risikopo-tenziale richten.

Von der Baumarteneignungzur Baumartenwahl

Die Wahl der Baumart bzw. Baumar-tenmischung wirkt sich entscheidendsowohl auf die Angepasstheit eines Be-standes als auch auf seine Anpassungs-fähigkeit aus. Im Grundsatz gilt dabeiauch vor dem Hintergrund anzunehmen-der Klimaveränderungen das Prinzip derstandortsangepassten Baumartenwahlweiter. Veränderungen ergeben sichdaraus, dass die Baumarten-Eignungs-beurteilungen hinsichtlich der erwartetenÄnderungsraten angepasst („dynami-siert“) werden (Michiels 2008). Zusätzlichist verstärkt Wert darauf zu legen, dassbestehende Freiheiten bei der Baumar-

tenwahl dahingehend zu nutzen sind,dass prinzipiell nur solche Baumarten ge-wählt werden, deren Ansprüche in dennächsten drei bis vier Jahrzehnten invollem Umfang erfüllt werden. Baumar-ten, für die vorauszusehen ist, dass sieam jeweiligen Standort in den nächstendrei bis vier Jahrzehnten den Grenzbe-reich ihrer Ansprüche erreichen, solltennicht aktiv gewählt werden. Bestände ausBaumarten, die an ihren Wuchsortenbereits jetzt als „klimalabil“ (Michiels2008) eingestuft werden, sind mittelfris-tig in standortsgerechte Bestockungenumzubauen.

Unter Berücksichtigung der gebote-nen standörtlichen und regionalen Diffe-renzierung lassen sich unter Annahmeeiner zunehmend mediterranen Klimatö-nung gegenwärtig exemplarisch folgen-de Tendenzen bei den Hauptbaumartenabschätzen. Dargestellt sind grob skiz-zierte Verallgemeinerungen landesweiterTendenzen. Bei der Baumartenwahlselbst sind selbstverständlich zusätzlichdie spezifischen Merkmale des jeweiligenStandorts zu berücksichtigen (z. B. Bo-denwasserhaushalt):

Fichte, Douglasie, Tanne

Das natürliche Areal der Fichte hatzwar boreal-kontinental-subalpinen Kli-macharakter. Ihr künstlicher Anbau zeigtjedoch, dass die Baumart bei ausreichen-der Wasserversorgung auch in klimati-schen Übergangssituationen besteWuchsleistungen erbringt. Unter gravie-rend wärmeren Verhältnissen wirkt jedochdas Temperaturregime an sich begrenz-end und kann nicht mehr durch entspre-chende Wasserversorgung ausgeglichenwerden. So gibt es beispielsweise in Ge-bieten mit mediterranem Temperaturre-gime auch bei bester standörtlicher Was-serversorgung keine Beispiele für erfolg-reichen Waldbau mit der Fichte. Es

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zeichnet sich daher deutlich ab, dass derFichte in den wärmeren, tiefer gelegenenBereichen Baden-Württembergs größe-re Flächenanteile verloren gehen. Als voll-wertige, leistungsfähige Nadelbaum-Al-ternative bietet sich die Douglasie an.Innerhalb des natürlichen Tannengebie-tes empfiehlt sich bis auf weiteres aucheine Verschiebung zur Tanne, die hin-sichtlich wärmerer Witterungsregime einetwas höheres Anpassungs- und gerin-geres Risikopotenzial als die Fichte ver-spricht. Die Möglichkeiten für Douglasieund Tanne dürften sich zudem im hoch-montanen Bereich verbessern.

Kiefer, Lärche

Als Baumart mit ausgeprägt konti-nentalem, borealem Arealcharakter fehltdie Waldkiefer typischerweise im medi-terranen Raum. Ihr dürfte deshalb auch inZukunft keine größere Bedeutung zu-kommen. Ähnliches gilt für die europäi-sche Lärche. Wesentlich günstiger ist indiesem Zusammenhang, zumindest aufKarbonatböden, die Prognose für dieSchwarzkiefer. Die für die nächsten Jahr-zehnte erwarteten klimatischen Verände-rungsraten lassen jedoch vorerst nochkeine verstärkte Hinwendung zu dieserBaumart erforderlich erscheinen.

Buche, Eiche, Esche, Ahorn

Mit Ausnahme im planaren Bereichsind für die Buche in den nächsten Jahr-zehnten grundsätzlich noch keine kriti-schen Verhältnisse zu erwarten. Ihre über-ragende Konkurrenzstärke in naturnahenWäldern wird sich in Baden-Württem-berg, dessen Waldflächen sich überwie-gend in der submontan-montanen Hö-henstufe befinden, noch verstärken. Inwärmeren, tiefer gelegenen Bereichen(kollin) ist es jedoch bei geringen Som-mer-Niederschlägen aus Gründen derVorsicht angezeigt, verstärkt Traubenei-che als Beimischung zu konzipieren.Günstige Prognosen zeichnen sich auchfür die Esche ab. Auch die Klimaelastizi-tät des Bergahorns erscheint noch nichtausgereizt, sie wird im Vergleich zurEsche aber als etwas geringer einge-schätzt. Dagegen dürfte der Spitzahorn

aufgrund seines im Schwerpunkt konti-nentalen natürlichen Areals keine großenErweiterungen seiner Potenziale erfah-ren. Ansonsten bieten sich noch Esskas-tanie, Sommer- und Winterlinde, Hainbu-che, Vogelkirsche und Elsbeere für eine Er-weiterung ihrer Bestockungsfläche an.

Verjüngung

Grundsätzlich ist anzustreben, dassin den Waldentwicklungstypen (WET)Baumarten mit ungünstiger Klimaprog-nose nur in untergeordnetem Umfang beider Bestandesbegründung berücksich-tigt werden, bzw. Verjüngungen mit geeig-neten Baumarten angereichert werden.Bei der waldbautechnischen Umsetzungder genannten Prinzipien im Zuge derBaumartenwahl ist dabei grundsätzlichzu unterscheiden, ob ein Bestand aus Na-turverjüngung oder reiner Pflanzung be-gründet wird:

Pflanzung

Sofern zum Zeitpunkt der Bestandes-begründung keine nennenswerten Natur-verjüngungsvorräte vorhanden sind, be-stehen bei der Baumartenwahl die vollenFreiheitsgrade. In diesem Falle solltenausschließlich Baumarten gewählt wer-den, für die aufgrund der dynamisiertenEignungsbeurteilung in den nächstenJahrzehnten keine besonderen Problemeerwartet werden. Um angestrebte Mi-schungen möglichst wirtschaftlich undstabil umsetzen und erhalten zu können,ist generell von flächigen Einzelmi-schungen abzusehen. Unter Berücksich-tigung der standortsspezifischen Kon-kurrenzverhältnisse sind Mischungenvorzugsweise horst- bis kleinbestands-weise umzusetzen.

Naturverjüngung

a) Werden die in Naturverjüngungenvorhandenen Baumarten auf derGrundlage der dynamisierten Eig-nungsbeurteilung als geeignet ange-sprochen, erübrigen sich besonderezusätzliche Maßnahmen. Vergleich-bares gilt, wenn der in der Wuchsdy-

namik dominierenden, klimageeigne-ten Baumart eine weniger geeigneteBaumart beigemischt ist.

b) Dominiert dagegen in gemischtenNaturverjüngungen eine Baumart mitungünstiger Klimaprognose übereine aktuell wuchsunterlegene Baum-art mit günstiger Prognose, so ist die-se durch geeignete Maßnahmen derMischwuchsregulierung in maßgeb-lichen Anteilen zu sichern. Im Regel-fall ist dies durch flächige Entmi-schung zugunsten der wuchsunter-legenen Baumart sicher zu stellen.

c) Im ungünstigsten Fall besteht dieNaturverjüngung vollständig ausBaumarten mit kritischer Prognose.Dann müssen durch künstliche Ein-bringung Anteile geeigneter Baumar-ten geschaffen werden. Im Regelfalldürfte dies durch Auspflanzung vonBereichen geschehen, in denengegebenenfalls vor der Pflanzung dievorhandene Naturverjüngung zu-rückgenommen wird (Gruppen- bisHorstgröße). Pflegekonzepte, die ei-ner frühzeitigen Vitalisierung Rech-nung tragen, leisten hier einen Beitragzur Reduktion der naturalen Risikenfür die Bestände.

Stabilisierung aufEinzelbaumebene

Im Prinzip ist anzunehmen, dassBäume mit guter Kronen- und Wurzel-entwicklung grundsätzlich höhere Stabi-litäts- und Anpassungspotenziale besit-zen als unter starkem Konkurrenzdruckstehende Bäume. Durch gezielt fortge-führte Standraumerweiterungen werdendie für die Hauptzuwachs- bzw. Stabili-tätsträger angestrebten günstigenStandraumkonstellationen geschaffen,erhalten oder verbessert. Besonders zubetonen ist die Bedeutung frühzeitigausreichender Standräume für die Bewur-zelung: Konkurrenzbedingte Einschrän-kungen der Wurzelentwicklung in der frü-hen Jugend sind in späteren Entwick-lungsphasen nur noch sehr einge-schränkt kompensierbar. Die Umsetzungder Stabilisierungsziele erfolgt entspre-chend dem in den WET verbindlich fest-

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gelegte Prinzip der Z-Baum-orientiertenAuslesedurchforstung (MLR 1997, MLR1999) – es bestehen derzeit keine An-haltspunkte dafür, dass die vor dem Hin-tergrund der Klimaänderung anzustre-bende Einzelbaum-Vitalisierung durchandere Pflegekonzepte wirkungsvollererreicht werden kann.

Um dem Anliegen der Stabilisierungund Vitalisierung in besonderem MaßeRechnung zu tragen, empfiehlt es sich,zum einen die Vitalität als Auswahlkrite-rium zu betonen. Zweckmäßigerweisesollten Bäume unterhalb der Kraftklassen1 & 2 nicht in das Z-Baumkollektiv einbe-zogen werden. Zum anderen erscheint esempfehlenswert, die Anzahl der Z-Bäumean der Untergrenze der Rahmenwerte derWET zu orientieren und diese betont zubegünstigen. Der Vollständigkeit halbersei in diesem Zusammenhang festgehal-ten, dass eine Durchforstung ohne ein-deutige Markierung der zu begünstigen-den Z-Bäume nicht den Kriterien einerZ-Baum-orientierten Auslesedurch-forstung entspricht!

Stabilisierung aufBestandesebene

Mischbestandswirtschaft

Insbesondere bei unsicherer Beurtei-lung der Baumarteneignung bietet dieMischbestandswirtschaft die Möglich-keit, Betriebsrisiken auf mehrere Baumar-ten mit unterschiedlichen naturalen Risi-ken zu verteilen. Aus ertragswirtschaftli-cher Sicht ist dabei ein akzeptablerKompromiss anzustreben zwischen a)

dem Gewinn an Betriebssicherheit durchBeteiligung einer stabileren aber wenigerertragreichen Baumart, und b) dem Ver-zicht auf potenziell maximalen Ertragdurch Einschränkung einer ertragreiche-ren, aber vergleichsweise stärker risiko-behafteten Baumart.

Die Ausgestaltung der Mischungs-form spielt eine zentrale Rolle beim erfor-derlichen Ausgleich zwischen dem wirt-schaftlichem Aufwand und dem Gewinnbezüglich Anpassungs- und Risikopo-tenzial: Je stärker die zu mischendenBaumarten in ihrer Konkurrenzkraft diffe-rieren, umso aufwendiger wird es, diewuchsunterlegene Baumart in kleinräu-migen Mischungen zu erhalten. Als wald-bauliche Konsequenz ergibt sich daher,dass zunehmende Unterschiede in derKonkurrenzkraft größerflächige Mi-schungsformen bedingen. Der Erhalt ei-ner aktuell wuchsunterlegenen Mi-schungsbaumart in kleinräumigen Mi-schungsformen ist zu aufwendig bzw.gefährdet die dauerhafte Sicherung die-ser Baumart.

Effiziente (rasche) Erreichungvon Produktionszielen

Bei der Mehrzahl der wichtigsten na-turalen Risikofaktoren wie Sturm, Fäulenund Borkenkäfer nimmt das Risikopoten-zial mit der Höhe bzw. dem Alter der Bäu-me zu. Bei der Realisierung betrieblicherProduktionsziele (z. B. Zieldurchmesser)sind daher solche Durchforstungskon-zepte grundsätzlich vorteilhafter zu beur-teilen, die es ermöglichen, diese Ziele in-nerhalb vergleichsweise kurzer Zeiträumemit Bäumen geringerer Höhe zu errei-

chen. Ungünstig sind Konzepte, die fürdasselbe Dimensionsziel zu einer unnö-tigen Verlängerung der Produktionszei-ten führen. Damit werden die Bäume zumeinen den Risikofaktoren über einen län-geren Zeitraum ausgesetzt und zum an-deren steigen aufgrund der größerenBaumhöhen viele Risiken (z. B. Sturm)überproportional stark an.

Waldbauliche Produktionsmodelle,die angestrebte Produktionszielemöglichst frühzeitig erreichen, erschei-nen vor dem Hintergrund von Umwelt-veränderungen im Übrigen auch dadurchbesonders vorteilhaft, dass sie in beson-derem Maße das hohe physiologischeund morphologische Anpassungspo-tenzial jüngerer Bestände nutzen.

Begrenzung von Endhöhen/Vorräten

Zur Begrenzung höhen- bzw. alters-gebundener Risiken und zur Verringerungbeispielsweise von Wasserkonkurrenzkann es sinnvoll sein, in älteren Bestän-den die Endhöhen bzw. die Vorratshal-tung zu begrenzen. Entscheidend wirdsein, dass die Einführung solcher Be-grenzungen nicht der subjektiven Belie-bigkeit unterliegt, sondern im Rahmeneiner gesamtbetrieblichen Entscheidungqualifiziert abgewogen werden. Hierfürist im Rahmen der Forsteinrichtung eingeeignetes Indikatorenbündel zu entwi-ckeln.

Ein wesentlicher Aspekt bei risikobe-dingten Begrenzungen von Endhöhenoder Vorräten ist die Einhaltung rechtli-cher Vorgaben und eigentümerspezifi-scher Richtlinien. Im öffentlichen Wald,insbesondere im Staatswald, bedeutetdies, dass neben den Vorgaben für ord-nungsgemäße Forstwirtschaft sowie derPEFC-Zertifizierung die Prinzipien dernaturnahen Waldwirtschaft (MLR 1993)nicht verlassen werden dürfen. Allerdingssollten die vorhandenen Spielräumekonsequent genutzt werden.

Verjüngungsvorräte als „Risiko-Versicherung“

Günstig ist es, wenn insbesondere instärker risikobehafteten Beständen oder

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Bestandesphasen Verjüngungsvorräte(vorzugsweise aus Naturverjüngung)aufgebaut sind. Sie dienen im Schadens-fall als Fundament für eine rasche undwirtschaftliche Wiederbewaldung.Grundsätzlich kann davon ausgegangenwerden, dass die gültigen waldbaulichenPrinzipien wirkungsvoll diesem Ziel die-nen: Unter dem Einfluss von Pflegekon-zepten mit frühzeitiger Standraumerwei-terung der Hauptzuwachs- und Stabili-tätsträger sowie der Begrenzung derVorratshaltung in reiferen Bestandespha-sen auf ein sinnvolles, risikoangepasstesNiveau, ergeben sich in aller Regel Struk-turen, bei denen bereits ab mittleren Be-standesaltern die Dynamik der Naturver-jüngung einsetzt – angepasste Wildbe-stände vorausgesetzt. Selbstver-ständlich erfolgen zu solch frühen Zeit-punkten außer der Schlagpflege als ob-ligatem Bestandteil der Holzernte nochkeine Maßnahmen zur Pflege oder Förde-rung von Verjüngungsvorräten.

Verstärkte Berücksichtigungvon Risiken bei der Planung

Die erwartete Klimaveränderung führtzusätzlich zu den bestehenden Risiko-faktoren nahezu zwangsläufig zu gestei-gerten Risikobelastungen der an heutigeUmweltverhältnisse angepassten Be-stände. Anpassungsvermögen der Wäl-der sowie Erfolg von Forstbetrieben wer-den ganz wesentlich davon abhängen,dass es gelingt, naturale Risikofaktorennoch stärker als bisher ins Zentrum wald-baulicher Strategien zu rücken. Prinzipi-ell behalten Aspekte wie beispielsweiseHolzqualität oder Sortenertrag für denBetriebserfolg auch weiterhin große Be-deutung. Es ist jedoch wahrscheinlich,dass zukünftig der angemessene Um-gang mit naturalen Risikofaktoren für denBetriebserfolg eine vergleichsweise grö-ßere Rolle spielen dürfte. Vor diesem Hin-tergrund scheint es erforderlich, dass dievon der Forsteinrichtung entwickeltewaldbauliche Planung und die daraufaufgebauten betriebsspezifischen Be-handlungskonzepte stärker als bisherKonsequenzen aus der differenziertenbestandesspezifischen Risikoneigung

der Bestände ziehen müssen.Prinzipiell bietet der Grundsatz der

standortsgerechten Baumartenwahl inVerbindung mit den Behandlungs- undEntwicklungszielen der WET eine guteGrundlage zur Berücksichtigung stand-ortsgebundener Risikoaspekte in derwaldbaulichen Planung. Vor dem Hinter-grund der erwarteten zunehmenden Risi-kobelastung erscheint es jedoch zweck-mäßig, dieses bereits vorhandene Instru-mentarium der Forsteinrichtung weiter zuentwickeln. Einen möglichen Ansatz-punkt könnte die Ausweisung differen-zierter Risikostraten innerhalb eines WETbieten.

Grundlage für die Zuordnung vonBeständen eines WET zu unterschiedli-chen Risikostraten wäre die Beurteilungder Risikofaktoren in ihrer bestandesspe-zifischen Ausprägung. Ein wichtiges Kri-terium für die Beurteilung der bestandes-bezogenen Risikoneigung könnte dieunter den Aspekten der erwarteten Kli-maveränderung dynamisierte, standorts-kundliche Eignungsbeurteilung derBaumarten des Bestandes sein. Zusätz-lich wären „klassische“ Risikofaktoren indie Beurteilung einzubeziehen wiebeispielsweise die topographische Situ-ation eines Bestandes (z. B. besonderssturmgefährdete Kuppenlage) oder risi-korelevante Bestandesmerkmale (Sturm-anriss, Borkenkäferbefall, Rückeschäden,Trocknissrisse, Kernfäule etc.). Da sich diebestandesspezifische Ausprägung ver-schiedener Risikofaktoren im Lauf derZeit ändern kann (z. B. unvorhergesehe-ne Klimaveränderung, Kalamitäten, Holz-ernte), sollte die Risikobeurteilung derBestände regelmäßig aktualisiert werden.

Als Konsequenz aus der unter-schiedlichen Risikoneigung der Bestän-de erscheint es für die betriebliche Ge-samtplanung zweckmäßig, innerhalb derwaldbaulichen Bandbreite des jeweiligenWET nach Risikostraten differenziertePflege- und Nutzungskonzepte abzulei-ten. Um keine unangemessene pla-nungssystematische Komplexität zuprovozieren, wäre eine Beschränkung aufwenige, markant verschiedene Stratenanzustreben. Vorgeschlagen wird daherdie Bildung von zwei Risikostraten inner-halb eines WET: ein Stratum für Bestän-

de mit normaler (geringer) Risikobelas-tung und ein Stratum für Bestände miterhöhten (überdurchschnittlichen) Risi-ken; zu letzterem gehören auch Bestän-de aus Baumarten, die regional bzw. hö-henzonal als „langfristig klimalabil“ (Mi-chiels 2008) eingeschätzt werden.

Für die Anpassung der Pflege- undNutzungskonzepte an die Risikostratenerscheint die Orientierung an folgendem,allgemein anwendbaren Grundprinzipsinnvoll und ausreichend:

Der obere Rahmen WET-spezifischmöglicher Produktionsdauer bzw. Di-mensionsziele (Zielstärke) sollte nur inBeständen mit geringer (normaler) Risi-koneigung angestrebt werden. Bei inner-halb eines WET überdurchschnittlich ri-sikogeneigten Beständen tragen dage-gen reduzierte Dimensionsziele inVerbindung mit verkürzten Produktions-zeiträumen zu einer verbesserten Risiko-anpassung bei.

PD Dr. Ulrich KohnleFVA, Abt. WaldwachstumTel.: (07 61) 40 18 - 2 [email protected]

Dr. Hans-Gerd MichielsFVA, Abt. WaldökologieTel.: (07 61) 40 18 - 1 [email protected]

Literatur

Michiels, H.-G. (2008): DynamisierteEinstufung der Baumarteneignung alsGrundlage für die waldbauliche Planung.FVA einblick+ . 01/08: 44-49.

MLR (1993): Wald, Ökologie und Naturschutz- Leistungsbilanz und Ökologieprogrammder Landesforstverwaltung Baden-Württemberg. Ministerium fürLändlichen Raum, Ernährung,Landwirtschaft und Forsten Baden-Württemberg, Stuttgart, 128 S.

MLR (1997): Richtlinien zurJungbestandspflege. MinisteriumLändlicher Raum Baden-Württemberg,Stuttgart, 16 S.

MLR (1999): Richtlinie landesweiterWaldentwicklungstypen. MinisteriumLändlicher Raum Baden-Württemberg,Stuttgart, 54 S.

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Die Rolle des Waldes im CO2-Haushalt des Landes Baden-Württemberg

von Christoph Hartebrodt

Es steht außer Zweifel, dass Verände-rungen im CO2-Haushalt der Erde zu ei-ner Veränderung des Klimas führen. DerWald nimmt in dreifacher Hinsicht einewichtige Rolle im Klimawandel ein: Er istBetroffener und Helfer, kann aber auch(Mit-) Verursacher sein. Die Rolle des Wal-des und die künftigen Bewirtschaf-tungsstrategien müssen daher differen-ziert betrachtet werden.

In diesem Beitrag sollen die drei we-sentlichen Rollen des Waldes und derenWirkungen auf den Kohlenstoffhaushalterörtert werden. Abschließend soll kurzauf Wechselwirkungen zur Holz-wirtschaft eingegangen werden.

Wald als Betroffener

Nach einheitlicher Expertenmeinungwerden klimatische Extremereignisse anHäufigkeit und Intensität zunehmen (sie-he Literatur in Hartebrodt et al. 2007).Dabei richtet sich das Augenmerk zuneh-mend auf das Risiko Trockenheit und inderen Folge auf biotische Schäden (insb.Borkenkäfer), unter bestimmten stand-örtlichen Gegebenheiten auch auf abio-tische Schäden wie Trocknis oder Feuer.Betrachtet man die Entwicklung der letz-ten zwei Jahrzehnte, wird deutlich, dassdie Phasen ohne einen relevanten Ein-

fluss von Zwangsnutzungen immer kür-zer werden. Insofern darf erwartet wer-den, dass die Forstwirtschaft künftig eher„mit der Katastrophe“ wirtschaften mussals, wie bisher üblich, ihre Management-strategien auf einen sogenannten„Normalzustand“ auszurichten (siehehierzu Hartebrodt 2008).

In waldbaulicher und ökologischerHinsicht gibt es eine Vielzahl an nega-tiven, neutralen und zumindest partiellpositiven Folgen von solchen, leider zu-nehmend häufiger auftretenden Groß-schadereignissen. Für die ökonomischeDimension der Waldwirtschaft hingegenkann aufgrund der bisherigen Ent-wicklungen gefolgert werden, dass unge-plante Einschläge, im Vergleich zu einemplanmäßigen Betriebsablauf, in jedemFall negative Effekte aufweisen (vgl. u. a.Hartebrodt 2004).

Wald als Helfer

Auch die „Helferrolle“ des Waldes istviel diskutiert. Sicher ist, dass die WälderBaden-Württembergs in der Vergangen-heit in relevantem Umfang CO2 ge-speichert haben. Zwischen der Bundes-waldinventur (BWI) I und der BWI II wur-den knapp 7 % der CO2-Emissionen desLandes gespeichert (Pistorius 2007).

Damit liegen die hiesigen Wälder im euro-päischen Trend. Jannsens et al. (2003)publizieren eine Rate von 7-12 % derEmissionen, schließen jedoch andere bi-ogene Speicher (z. B. Grünlandböden)mit ein. Die Wälder Baden-Württembergshaben damit eine – auch ge-samtgesellschaftlich – relevante Senken-wirkung entfaltet. Sicher ist, dass Wälderin kurz- bis mittelfristigen Zeiträumenweiterhin als CO2-Senke genutzt werdenkönnen. Allerdings gilt hier für Baden-Württemberg, das ein rekordverdächtighohes Holzvorratsniveau aufweist, dassdie „Speicher-Bäume nicht mehr in denHimmel“ wachsen werden. So lassennahe liegende Abhängigkeiten zwischenBaumhöhe und Sturmrisiko erkennen,dass mit einer Zunahme der Durch-

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schnittshöhen und Vorratsanreicherungmöglicherweise der Grundstein für denWechsel in die Verursacherrolle gelegtwird.

Wald als Verursacher

Nimmt man die Tatsache zur Kennt-nis, dass das Risiko von kalamitätsbe-dingten Waldverlusten eher zu- als ab-nimmt, kann dauerhaft nicht ausge-schlossen werden, dass auch Wälder inBaden-Württemberg zu CO2-Emittentenwerden. Schon eine besitzartenbezoge-ne Betrachtung der Ergebnisse der Vor-ratsentwicklung zwischen der BWI I undII zeigt, wie „labil“ die Vorratsbilanz seinkann. Zweifelsfrei hat der Gesamtwald inBaden-Württemberg zwischen 1987 und2002 einen Vorratsaufbau erfahren. Esgibt aber durchaus Besitzarten, die indieser Periode einen Vorratsverlust erken-nen lassen. So hat beispielsweise imStaatswald das Sturmereignis Lothar inKombination mit einem zuvor planmäßighohen Holzeinschlag dazu geführt, dassdie Vorräte leicht zurückgegangen sind(Tab. 1).

Auch wenn dies bisher nur einSchlaglicht ist und im Staatswald dieserVerlust in der Sturmfolgezeit (nach 2002)durch Einschlagszurückhaltung längstwieder kompensiert wurde, zeigt diesdoch, dass das Szenario Vorratsverlustauch im Land Baden-Württemberg denk-bar ist.

Allerdings greift die alleinige Betrach-tung des Waldspeichers zu kurz, da inBäumen gespeicherter Kohlenstoff nichtzum Zeitpunkt der Ernte emittiert wird.Daher gilt es, den Produktlebenszyklusvon Holz im Gesamten zu betrachten.

Wald als CO2-Speicher

Die heimischen Wälder haben einenBeitrag zur Kompensation der CO2-Emis-sionen geleistet. Aufgrund der Tatsache,dass hierbei praktisch keine Primärener-gie zugeführt werden muss, ist dieseSpeicherform zunächst einmal sehr effi-zient. Auf die Dauer ist aber zu berück-sichtigen, dass alle Waldökosysteme ei-nem Fließgleichgewichtszustand zustre-ben, in dem dann kein zusätzlicherKohlenstoff mehr eingelagert werden

kann. Der Speichereffekt im Wald ist da-her endlich und nicht wiederholbar.

Fasst man die jüngsten Erkenntnisseder Sturmschadensforschung verein-facht zusammen, kann festgestellt wer-den, dass die Sturmschadenswahr-scheinlichkeit mit zunehmender Baum-höhe, letztere normalerweise mit höherenVorräten verknüpft, zunimmt. Die mit demKlimawandel verbundene höhere Sturm-häufigkeit kann dazu beitragen, dass dastheoretisch erreichbare maximale Spei-chervolumen in einer Region oder in ei-nem Land eher früher als später erreichtwird. Das theoretisch maximale Speicher-volumen unter verschiedenen Risikos-zenarien kann derzeit nicht sicher quan-tifiziert werden. Insofern sind Aussagenüber das verbleibende Rest-Speicherpo-tenzial in Baden-Württemberg nichtmöglich. Festzuhalten bleibt aber, dassWechselwirkungen zum Klimawandelbestehen, und dass es sich um eine end-liche Wirkung handelt (Abb. 1).

Die Rolle von Holzprodukten

Aktuell wird diskutiert, auch die Holz-produkte in die Betrachtung mit ein-zubeziehen. Dies ist sinnvoll, da die Wald-Sphäre und die Technosphäre sehr engmiteinander verbunden sind (Abb. 2, ausHartebrodt und Pistorius 2007). Richtigist, dass in Holzprodukten der Effekt derCO2-Speicherung in Wäldern verlängertwerden kann. Je nach Holzprodukt kön-nen dabei unterschiedliche, bei langlebi-gen Produkten recht beachtliche Zeiträu-me der Verlängerung des Speichereffek-tes eintreten. So beträgt die

Abb. 1: Mögliche Wechselwirkungenzwischen theoretischerVorratsanreicherung und Zunahmeder Sturmwahrscheinlichkeit und –intensität

Jahr

1987 350 336 354 384 384 352

2002 331 342 435 462 350 367

Vorratsfestmeter [m³/ha]

Staats-

wald

Kommunal-

wald

Klein-

privatwald

Groß-

privatwald

Gesamt-

wald

Mittlerer

Privatwald

Tab. 1: Entwicklung der Holzvorrätein den einzelnen Waldbesitzarten imVergleich der BWI I und II

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„Halbwertszeit“ von Bauholz 36 Jahre,bei Möbeln immerhin noch 24 Jahre.Papier verbleibt nur ca. 2 Jahre im Pro-duktkreislauf und verlängert die Spei-cherwirkung nur unwesentlich (Pistorius2007).

Durch Veränderungen im „Produkt-mix“, z. B. einer intensiveren Nutzung vonHolz zu Bauzwecken, also in einer Form,in der das CO2 wesentlich länger der At-mosphäre entzogen wird, kann diese

Wirkung deutlich erhöht werden. Trotz-dem lassen Simulationsergebnisse er-kennen, dass auch der Produktspeicher inder Tendenz zur Sättigung neigt. Ins-gesamt haben wir es auch hier mit einerendlichen Funktion zu tun.

Die Substitutionseffekte

Damit bleibt abschließend der Sub-stitutionseffekt, also der Austausch vonProdukten und Energieträgern, die unterEinsatz von oder als fossile Energieträger

Abb. 2: Holzflüsse im Ökosystem undin der Technosphäre

einen Ausstoß von CO2 auslösen. DieMaterial- und Energiesubstitution sinddie einzigen Effekte, die dauerhaft wie-derholt werden können, solange es nichtgelingt, gänzlich auf den Einsatz vonnicht erneuerbaren Materialien und Ener-gieträgern zu verzichten. Aus heutigerSicht scheint dies bei der Energieallenfalls noch theoretisch denkbar zusein, beim Material wohl kaum. Im Bereichder Substitutionswirkung kann es durchNutzung der Ressource Holz dauerhaftgelingen, einen positiven Beitrag zurCO2-Reduktion zu leisten.

Simulationsergebnisse

Pistorius (2007) vergleicht drei kurz-fristige Nutzungsszenarien (der Jahre2002 bis 2012) hinsichtlich ihrer Effekteauf die Speicherung im Wald, auf Pro-dukte und Substitutionseffekte. BeiNutzungsszenario 1, einer vollständigenNutzung aller zuwachsenden Holz-mengen gemäß den Ergebnissen derBWI II bzw. der darauf aufbauenden Holz-aufkommensprognosen schneidet CO2-bilanziell am schlechtesten ab. HohenSubstitutionseffekten von ungef. 17 Mio.t C steht eine weitgehende Konstanzbeim Produkt- und Waldspeicher gegen-über. Das zweite Szenario „Aufgabe derHolznutzung“ führt zwar zu einer maxi-malen Erhöhung der C-Volumina in denWäldern (plus ungefähr 36 Mio. t), löstaber eine markante Reduktion von Koh-lenstoff im Produktspeicher und einedeutliche Verminderung der Substituti-onseffekte aus. Das dritte Szenario, eineFortführung der bisherigen Bewirtschaf-

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Literatur

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Hartebrodt, C., Pistorius, T., (2007): Die Rolledes Waldes und der Forstwirtschaft imKohlenstoff-Haushalt des Landes BadenWürttemberg. Vortragsfolien zum Vortraggehalten auf der Tagung: „Der Beitragder Land- und Forstwirtschaft zurMinderung von Treibhausgasemissionenin Baden-Württemberg“. 27.02.2007,Universität Hohenheim.

Janssens, I. A., A. Freibauer, P. Ciais, P.Smith, G.J. Nabuurs, G. Folberth, B.Schlamadinger, R.W.A. Hutjes, R.Ceulemans, E.-D Schulze, R. Valentini,A.J. Dolman (2003): „Europe’s terrestrialbiosphere absorbs 7 to 12% of Europeananthropogenic CO2 emissions“. Science300: S. 1538-1542.

Pistorius, T. (2007): Untersuchungen zur Rolledes Waldes und der Forstwirtschaft imKohlenstoffhaushalt des Landes Baden-Württemberg. In: Berichte FreiburgerForstliche Forschung. Heft 73, 182 S.

tung, nimmt eine intermediäre Rolle ein.Zwar liegt die Speicherung im Wald umetwa 6 Mio. t unter dem Niveau, das beieiner Aufgabe der Nutzung erreicht wer-den könnte, etwa 4 Mio. t dieses Niveau-unterschieds werden aber durch eineweitgehende Aufrechterhaltung vonSubstitutionseffekten und Speicherungin Holzprodukten weitgehend kom-pensiert. Die Szenarien „Bisherige Nut-zung“ und „Nutzungsverzicht“ kommensich damit CO2-bilanziell vergleichsweisenahe. Eine Fortführung der bisherigenBewirtschaftung führt damit also nicht zusubstanziellen Einbußen in der Frage derC-Bilanz, ermöglicht aber im Gegensatzzur Variante „Nutzungsverzicht“ im er-heblichem Umfang die Nutzung anderergesellschaftlich wichtiger Wald-funktionen.

Die Situation außerhalb derCO2-Sphäre

Es ist nach wie vor richtig, dass Waldnicht allein auf dessen monetäre Dimen-sion reduziert werden darf.

Gleichermaßen darf man aber in der Zu-kunft ebesowenig den Fehler begehenWald ausschließlich auf seine Kohlen-stoffdioxid-Bilanz zu reduzieren.Kohlenstoffspeicherung ist nur ein Zielvon vielen im Rahmen der Wald-bewirtschaftung. Auf den ersten Blickmuss (aus Sicht der Forstwirtschaftvielleicht schmerzlich) festgestellt wer-den, dass auf kurz- bis mittelfristige Sicht(aber nur in dieser Zeitdimension und mitpermanent steigendem Risiko) der Wald-speicher aufgrund fehlender Transforma-tionsverluste die effizienteste Speicher-form ist. Gleichwohl muss festgehaltenwerden, dass eine Reduktion auf dieseWaldfunktion alle anderen Waldfunktio-nen verhindert, die mit einer Nutzung desnachwachsenden Rohstoffs Holz einher-gehen. Hier kann auf die bereits zahlreichvorhandenen Clusterstudien verwiesenwerden, die die erhebliche gesamt-gesellschaftliche Bedeutung der Forst-und Holzwirtschaft eindrücklich belegen.Die meisten der dort beschriebenen Ef-fekte sind mit einer einseitigen Bevorzu-gung der Speicherwirkung von Wäldernnicht vereinbar.

Fazit

In der abschließenden Gesamt-betrachtung müssen Fragen der Kohlen-stoffbilanz immer zusammen mitvolkswirtschaftlichen und gesellschaft-lichen Aspekten betrachtet sowie disku-tiert werden. Wie in vielen anderen Le-bensbereichen gilt auch hier: Ein Königs-weg, bei dem alle Ziele maximal erreichtwerden können, existiert in dieser Fragebedauerlicherweise nicht.

Dr. Christoph HartebrodtFVA, Abt. ForstökonomieTel.: (07 61) 40 18 -2 [email protected]

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Abmilderung des Klimawandels durch Forstwirtschaft?Nutzung von Bioenergie in Baden-Württemberg

von Frank Brodbeck

Der Europäische Rat beschloss beimEU-Frühjahrsgipfel ein Reduktionszielfür Treibhausgasemissionen von 20 %bis zum Jahr 2020 (bezogen auf das Ba-sisjahr 1990). Sofern andere Industrie-staaten vergleichbare Ziele vereinbaren,will sich die Europäische Union zu einerReduktion um 30 % (EU 2007), Deutsch-land sogar um 40 % (BMU 2005), ver-pflichten. Baden-Württemberg unter-stützt diese Ziele unter anderem mit sei-nem „Klimaschutzkonzept 2010“ (UMBa-Wü 2005). Bis 2005 wurde deutsch-landweit bereits eine Einsparung um 18,7% erreicht (UBA 2007). Um die genann-ten ehrgeizigen Klimaschutzziele zu er-reichen, setzt man auf die „Drei E“:• Einsparen,• Effizienz steigern und• Erneuerbare Energien.

Drei mal 20 bis 2020

Die Ziele der Europäischen Unionlassen sich auch in der plakativen Formel„Drei mal 20 bis 2020“ (BARROSO 2008)zusammenfassen:• Reduktion der Emissionen bis 2020

um 20 %• Energieeffizienz bis 2020 um 20 %

steigern• Anteil der erneuerbaren Energien bis

2020 auf 20 % anhebenInsgesamt hatten die erneuerbaren

Energien 2007 einen Anteil von rund 8,4% am gesamten EndenergieverbrauchDeutschlands. Der Anteil der erneuerba-ren Energien am gesamten Stromver-brauch konnte von rund 11,5 % im Jahr2006 auf rund 14 % im Jahr 2007 gestei-gert werden. Bei der Wärmebereitstellung

lag der Beitrag der erneuerbaren Energi-en in Deutschland 2007 bei 6,5 % (BMU2008). Hierbei hatte die Nutzung von bi-ogenen Festbrennstoffen (hauptsächlichHolz) mit über 80 % den größten Anteil(FNR 2008).

Während also Holz als erneuerbareEnergie für die Wärmebereitstellung einesehr große Rolle spielt, sind im Bereichder Strombereitstellung Wasserkraft undWindenergie mit zusammen über 70 %die wichtigsten erneuerbaren Energie-quellen (BMU 2007). Bei den biogenenKraftstoffen, die 2006 immerhin 6,6 %des gesamten Kraftstoffverbrauchs aus-machten, spielt Holz praktisch keine Rol-le. Dieser Sektor wird von Biodiesel, Pflan-zenöl und Bioethanol, aus zumeist ein-jährigen Pflanzen, bestimmt.

Während die Nutzungspotentiale fürWasserkraft in Deutschland weitgehendausgeschöpft sind, gibt es im Bereich derWindenergie, Sonnenenergie und Bio-masse noch erhebliche Steigerungspo-tentiale, so dass sich der weitere Ausbauder erneuerbaren Energien hauptsäch-lich auf diese Sektoren stützen wird(BMU 2007). So schätzt das Öko-Institut(2004), dass erneuerbare Energien bis insJahr 2030 22 % des Energiebedarfs de-cken könnten, wobei Biomasse mit gut14 % den Löwenanteil stellen wird.

Hohe Flexibilität

Ein Vorteil der Biomasse gegenüberanderen Formen der erneuerbaren Ener-gie, liegt in der hohen Flexibilität derNutzung. So kann Biomasse je nach Er-fordernis für die Strom-, Wärme-, undKraftstoffbereitstellung eingesetzt wer-den. Außerdem kann Biomasse entwederdirekt nach mechanischer Aufbereitung(Holzhackschnitzel, Pflanzenöl), nachchemischer Umwandlung (Synthesegas,Pflanzenmethylester), oder biologischer

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Umwandlung (z.B. Biogas) energetischgenutzt werden (LUBW 2006).

Holzige Biomasse stammt bisherüberwiegend aus Wald- und Industrie-restholz, Altholz und Landschaftspflege-holz, das auch weiterhin von der Holz-werkstoff- sowie der Papier- und Zell-stoffindustrie stark nachgefragt wird.Daher muss die Forstwirtschaft der Fra-ge nachgehen, wie die Versorgung derAbnehmer für die energetische undstoffliche Verwertung von Holz langfris-tig gesichert werden kann, ohne dass eszu Angebotsengpässen kommt. Eineverstärkte Nutzung der Potentiale imWald ist sicher möglich, aber durch denGrundsatz der Nachhaltigkeit sind derBiomassenutzung aus Wald bestimmteGrenzen gesetzt. Zusätzliche Biomassekann zwar auch auf Flächen außerhalbvon Wald erzeugt werden, allerdingsmuss hier die Biomasse mit der Nah-rungs- und Futtermittelproduktion umdie begrenzten Anbauflächen konkurrie-ren. Darüber hinaus besteht eine Konkur-

renz zwischen der stofflichen und ener-getischen Nutzung von Biomasse. Auchinnerhalb der energetischen Nutzunggibt es verschiedene, miteinander kon-kurrierende Nutzungspfade von Biomas-se wie Biodiesel aus Rapsöl, Bioethanolaus Getreide oder Zucker, Biogas ausSilomais oder thermischer Nutzung vonHolz.

Situation in Baden-Württemberg

Für Baden-Württemberg soll ein „Bi-omasse-Aktionsplan“ (MLR 2006) diestoffliche und energetische Nutzung vonBiomasse voranbringen. In diesem Akti-onsplan wird auch die derzeitige Nutzungvon Bioenergie im Land dem Nutzungs-potential gegenübergestellt: so lag imJahr 2004 der Anteil der Bioenergie amgesamten Primärenergieverbrauch (PEV)in Baden-Württemberg nur bei rund 2 %.Demgegenüber wird das gesamte Bioen-ergiepotenzial im Land auf 8-10 % desPEV geschätzt. Diese Schätzung gehtdavon aus, dass der Anteil der landwirt-

schaftlich genutzten Ackerfläche für denAnbau von nachwachsenden Rohstoffen(Winterraps, Silomais, Energiegetreideu.a.) von 5 % im Jahr 2005 auf 10-15 %gesteigert werden kann. Dazu sollen vorallem Stilllegungs- und freiwerdendeFlächen aus der Futtermittelproduktionzukünftig mit Energiepflanzen (auchschnellwachsende Baumarten inKurzumtrieb) bestellt werden. 2007 wa-ren in Baden-Württemberg 41.000 haAckerland stillgelegt (STALA 2007).Wenn man davon ausgeht, dass überwie-gend ertragsschwache Flächen stillgelegt

Holzenergie: Quellen, Bereit-stellungs- und Nutzungsformen

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werden und hierfür Hektarerträge von 7-8 t Trockensubstanz pro Jahr zugrundelegt, könnten bei Nutzung aller Still-legungsflächen in Baden-Württembergfür die Anlage von Kurzumtriebsplanta-gen rund 290.000-330.000 t atro Bio-masse pro Jahr zusätzlich erzeugt wer-den. Bei einem Heizwert von 4,9 kWh/kg(Laubholz, Wassergehalt 0%) entsprichtdies einer Energiemenge von rund 1,4 bis1,6 TWh. Die Anlage und Bewirtschaf-tung von Kurzumtriebsplantagen in Ba-den-Württemberg soll anhand einesForschungsprojekts des MLR mit einem

Volumen von 500.000 EUR für die Jahre2008-2012 vorangetrieben werden. Zieldes Projekts ist die Beratung beim An-bau, sowie die wissenschaftliche Beglei-tung von ca. 250 ha Kurzumtriebsflächenin fünf verschiedenen Wuchsgebieten imLand. Die Erfahrungen aus diesem Pro-jekt sollen zukünftig für lokal angepass-te Anbau- und Bewirtschaftungsemp-fehlungen genutzt werden. Weitere Aus-künfte zu dem Projekt erteilt dasLandwirtschaftliche TechnologiezentrumAugustenberg, Außenstelle Forchheim,Tel. 0721/9518-30 (zuständig für die Re-

gierungsbezirke Stuttgart und Karlsruhe),oder die Forstliche Versuchs- und For-schungsanstalt in Freiburg, Tel. 0761/4018-205 (Regierungsbezirke Freiburgund Tübingen).

Nutzungsreserven

Das zweite große Potential zur Stei-gerung des Bioenergie-Anteils liegt in derMobilisierung von Nutzungsreserven imWald. Der Holzeinschlag über alle Wald-besitzarten in Baden-Württemberg lag imJahr 2006 bei circa 8,3 Millionen Festme-ter (MLR 2007). Dem steht ein nachhalti-ges Nutzungspotential von 11,5 Millio-nen Festmeter gegenüber (Prognose2008 bis 2017) (BMELV 2008). Das freie,leicht verfügbare Potential an Energieholzaus Wald liegt dabei nach unterschiedli-chen Schätzungen zwischen 2,2 Mio.Festmeter (MLR 2006) und 2,6 Mio. Fest-meter (Hepperle et al. 2007) jährlich. Umdie Nachfrage nach Holz zu steigern undsomit das Energieholzpotential aus demWald zu mobilisieren, fördert das Land ineinem speziellen Programm seit 1994bisher 209 Hackschnitzelheizanlagen(Gesamtleistung 306 Megawatt (MW)) mitknapp 14 Mio. Euro. Der jährliche Brenn-stoffbedarf dieser Anlagen liegt bei835.000 Schüttraummeter (FD Freiburg2008). Für die Betreiber solcherHeiz(kraft)werke und bei der Planungneuer Anlagen sind Informationen überdie tatsächliche Verfügbarkeit von Ener-gieholz, sowie die räumliche und zeitlicheVerteilung des Energieholzanfalls, einewichtige Planungsgröße. Um hier zuver-lässige Daten zu liefern, entwickelt die

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Literatur

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Hepperle, F.; Sauter, U.H.; Becker, G.; Hehn,M. (2007): „Weiterentwicklung GIS-kompatibler Prognosemodelle fürWaldenergieholz auf der Grundlage

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LUBW (2006): Umweltdaten 2006 Baden-Württemberg. Landesanstalt für Umwelt,Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg, Karlsruhe.

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Öko-Institut (2004): Stoffstromanalyse zurnachhaltigen energetischen Nutzung vonBiomasse. Endbericht. Verbundprojektgefördert vom BMU im Rahmen des ZIP,Projektträger: FZ Jülich.

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UM Ba-Wü (2005): Klimaschutz 2010 – Konzeptfür Baden-Württemberg. UmweltministeriumBaden-Württemberg, Stuttgart.

Wilpert, K. von; Schäffer, J.; Zirlewagen, D.(2007): Erhöhte Nutzungsintensität undStandortsnachhaltigkeit. FVA-Einblick Nr. 3,Jahrgang 11. Freiburg.

WM Ba-Wü (2002): Holzenergie-Fibel:Holzenergienutzung, Technik, Planung undGenehmigung. WirtschaftsministeriumBaden-Württemberg, Stuttgart.

FVA in Zusammenarbeit mit dem Institutfür Forstbenutzung und Arbeitswissen-schaften der Universität Freiburg ein Pro-gnosemodell zur Abschätzung des Ener-gieholzpotentials, die sogenannte „Frei-burger Methode“ (Hepperle 2007). DieWeiterentwicklung der „Freiburger Me-thode“ beinhaltet unter anderem die Inte-gration einer Wachstumssimulation, umauch längerfristige Prognosen zum Ener-gieholzpotential, die über den Forstein-richtungszeitraum von 10 Jahren hinaus-gehen, zu ermöglichen. Auf Basis diesesModells wird eine Software entwickelt,mit deren Hilfe Entscheider auf regiona-ler Ebene (Landkreise,Heiz(kraft)werksbetreiber; etc.) unter Ein-bezug aller relevanten Restriktionen denEnergieholzanfall aus den einbezogenenWaldgebieten abschätzen können.

Eine intensivere Nutzung von Ener-gieholz aus dem Wald bedeutet auch ei-nen verstärkten Entzug von Biomasseaus dem Bestand und somit einen Ent-zug von essentiellen Nährelementen ausdem Waldökosystem. Die Nachhaltigkeitder Waldwirtschaft ist bei intensivierterHolznutzung nur gewährleistet, wenn diePufferfähigkeit der Standorte nicht über-schritten oder der Nährstoffexport kom-pensiert wird (von Wilpert et al. 2007). Indiesem Zusammenhang erarbeitet dieFVA in einem Kooperationsvorhaben mitder EnBW (Energie Baden-Württemberg)ein Holzbiomasse-Holzasche-Kreislauf-konzept.

In einer gemeinsamen Studie der FVAmit der Pacific Northwest Research Sta-tion (PNW) in Portland, Oregon, die aufder Basis eines Joint Venture Agree-ments mit dem US-Forest Service durch-

geführt wird, werden wesentliche räum-liche Eigenschaften von Energieholz-märkten und Energieholzpotenzialen mitHilfe von regionalökonomischen Metho-den untersucht.

Die hier vorgestellten Forschungsak-tivitäten sind Teil des Forschungskon-zepts der FVA zum Thema „Energie aus

Holz“. Dieses Thema ist unter anderemein Arbeitsschwerpunkt der FVA.

Dr. Frank BrodbeckFVA, Abt. WaldnutzungTel.: (07 61) 40 18 -2 [email protected]

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09.10.2008Kurhaus CasinoBaden-Baden

Wald & Klima – was tun?

Schlüsselfragen des eintägigenKlimakongresses, der durch einenstarken Praxisbezug auch interes-sierte Laien ansprechen möchte,sind unter anderem: Welche Risi-ken und Auswirkungen haben ex-treme Witterungsereignisse undanhaltend milde Witterung auf dasÖkosystem Wald? Welche Abmil-derungs- und Anpassungsmög-lichkeiten bieten die Forstwirt-schaft und Forstgenetik beim Kli-mawandel? Wie wird der Wald derZukunft in Südwestdeutschlandaussehen? - Die fachlichen Kurz-vorträge werden durch studenti-sche Vorführungen ergänzt unddurch gemeinsame Diskussionenvertieft.

Den Einführungsvortrag hält ZDF-Meteorologe Dieter Walch. Er gehtdarauf ein, wie weit das heutigeWitterungsgeschehen überhauptvon bisherigen Erfahrungswertenabweicht und was uns die Zukunftbringt.

Veranstalter:Ministerium für Ernährung undLändlichen RaumBaden-Württemberg

Weitere Informationen:Elli [email protected]. (07 61) 40 18 - 1 90Kaisu [email protected]. (07 61) 40 18 - 3 71oder im Internetwww.fva-bw.de

24.-27.09.2008, Albert-Ludwigs-Universität FreiburgForstwissenschaftliche Tagung 2008Ressourcenknappheit undKlimaänderung: Herausforderungenfür die ForstwissenschaftDie weltweite Verknappung von Rohstoffen und Energie,der fortschreitende Klimawandel, die gewachsenenAnforderungen an die Bereitstellung des Rohstoffes Holzund andere vielfältige konfliktbeladene gesellschaftlicheAnsprüche an den Wald stellen die forstwissenschaftlicheForschung vor neue große Herausforderungen.

Die Forstwissenschaftliche Tagung 2008 bietet einePlattform für forstwissenschaftliche und benachbarteDisziplinen: in Plenunmsveranstaltungen, vierVortragsreihen und zwei Foren besteht die Gelegenheit zurDarstellung und Diskussion des aktuellenForschungsstands. Zum Abschluss der Veranstaltungfinden geführte Exkursionen statt, die zur Ergänzung undVertiefung der Tagungsthemen beitragen.Alle weiteren Informationen zur Tagung und zumBegleitprogramm finden Sie unter www.fowitagung2008.de

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Forstliche Versuchs-und ForschungsanstaltBaden-Württemberg

Wonnhaldestr. 4D-79100 Freiburg

Tel.: + 49 (0)7 61 40 18 -0Fax: + 49 (0)7 61 40 18 -3 33E-Mail: [email protected]: www.fva-bw.de

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FORSTLICHE VERSUCHS- UND FORSCHUNGSANSTALT

Baden-Württemberg

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Wald und Klima