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8/3/2019 Gaddafi ist tot – Gedanken für Libyen http://slidepdf.com/reader/full/gaddafi-ist-tot-gedanken-fuer-libyen 1/3 Gaddafi ist tot – Gedanken für Libyen John Lanta Er ist so gestorben, wie er es angekündigt hatte: im Kampf. Sein Sprecher Ibrahim Moussa blieb bis zuletzt in seiner Nähe, mit vielen anderen Getreuen, und wurde gefangengenommen. Manche Namen, wie der des Ex-Oberkommandierenden der Libyschen Armee, Abu Bakr Yunis Jaber, stehen jetzt auf den Listen der getöteten Anhänger Gaddafis. Der »Oberst«, wie sich Gaddafi stets (korrekt) titulieren ließ, muss versucht haben, die Zahl der Opfer in den letzten Stunden möglichst gering zu halten, denn die Verteidiger seiner Geburtsstadt Sirte zogen sich plötzlich überall zurück – und er selbst setzte sich in einen Konvoi: ungefähr das Gefährlichste, was man angesichts des laufenden Nato-Luftwaffeneinsatzes in dieser Lage tun kann. Zum Schluss sei alles ganz schnell gegangen, berichteten denn auch die überraschten Ex-Aufständischen, die jetzt offiziell die libysche Armee darstellen. Der Konvoi kam am Vormittag nach übereinstimmenden Berichten unter Beschuss aus der Luft, Gaddafi wurde verletzt – und starb in den Händen seiner Widersacher; ob er auch durch ihre Hände starb, wird sicherlich noch geklärt – das üble Youtube-Video  deutet darauf hin. Youtube-Videos und Fotos sowie verschiedene Berichte deuten jedoch inzwischen darauf hin, dass es unter Aufständischen und Sympathisanten Uneinigkeit gab, wie mit Gaddafi zu verfahren sei. Das lässt Böses ahnen für den inneren Zustand dieser Milizen, die mit weniger prominenten Gegnern kaum besser verfahren werden. Denn seit mehreren tausend Jahren ist es weltweit üblich, dass der feindliche Anführer nicht irgendwo auf der Straße erschlagen (oder erschossen) wird, sondern zum eigenen Chef geschleppt wird, der diese besondere Leistung dann mit einer freundlichen Belohnung (Beförderung et cetera) würdigt – und so ganz nebenbei die Disziplin der Truppe fördert. Und niemand wird behaupten wollen, die Nato-unterstützten »Ex-Aufständischen« hätten nicht zumindest geahnt, Gaddafis Anwesenheit am Ort könnte den geradezu heldenhaften Widerstand seiner Anhänger motiviert haben. Wenn jedoch eine derart wichtige Beute in Aussicht steht, dann muss die Führung entsprechende Sicherheitsvorkehrungen treffen – oder sie ist

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Gaddafi ist tot – Gedanken für Libyen

John Lanta

Er ist so gestorben, wie er es angekündigt hatte: im Kampf. Sein Sprecher Ibrahim Moussablieb bis zuletzt in seiner Nähe, mit vielen anderen Getreuen, und wurde gefangengenommen.

Manche Namen, wie der des Ex-Oberkommandierenden der Libyschen Armee, Abu Bakr

Yunis Jaber, stehen jetzt auf den Listen der getöteten Anhänger Gaddafis. Der »Oberst«, wie

sich Gaddafi stets (korrekt) titulieren ließ, muss versucht haben, die Zahl der Opfer in den

letzten Stunden möglichst gering zu halten, denn die Verteidiger seiner Geburtsstadt Sirte

zogen sich plötzlich überall zurück – und er selbst setzte sich in einen Konvoi: ungefähr das

Gefährlichste, was man angesichts des laufenden Nato-Luftwaffeneinsatzes in dieser Lage tun

kann. Zum Schluss sei alles ganz schnell gegangen, berichteten denn auch die überraschten

Ex-Aufständischen, die jetzt offiziell die libysche Armee darstellen. Der Konvoi kam am

Vormittag nach übereinstimmenden Berichten unter Beschuss aus der Luft, Gaddafi wurde

verletzt – und starb in den Händen seiner Widersacher; ob er auch durch ihre Hände starb,wird sicherlich noch geklärt – das üble Youtube-Video  deutet darauf hin.

Youtube-Videos und Fotos sowie verschiedene Berichte deuten jedoch inzwischen darauf hin, dasses unter Aufständischen und Sympathisanten Uneinigkeit gab, wie mit Gaddafi zu verfahren sei.Das lässt Böses ahnen für den inneren Zustand dieser Milizen, die mit weniger prominentenGegnern kaum besser verfahren werden. Denn seit mehreren tausend Jahren ist es weltweit üblich,dass der feindliche Anführer nicht irgendwo auf der Straße erschlagen (oder erschossen) wird,sondern zum eigenen Chef geschleppt wird, der diese besondere Leistung dann mit einer freundlichen Belohnung (Beförderung et cetera) würdigt – und so ganz nebenbei die Disziplin der Truppe fördert. Und niemand wird behaupten wollen, die Nato-unterstützten »Ex-Aufständischen«

hätten nicht zumindest geahnt, Gaddafis Anwesenheit am Ort könnte den geradezu heldenhaftenWiderstand seiner Anhänger motiviert haben. Wenn jedoch eine derart wichtige Beute in Aussichtsteht, dann muss die Führung entsprechende Sicherheitsvorkehrungen treffen – oder sie ist

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zumindest ausgesprochen chaotisch, wenn nicht gar: verbrecherisch.

Was bedeutet dies für Libyen? Eine Klärung dieser Frage setzt Kenntnis der Vorgeschichte voraus.Gaddafi gehört in die lange Reihe der Machthaber (Saddam Hussein et cetera), die mit mehr oder weniger diskreter Hilfe des Westens an die Macht gelangten – und dann begannen, sich für die

 berechtigten Eigeninteressen ihres Landes einzusetzen. Dabei nahmen sie hohes persönliches Risikoin Kauf – und einen jahrzehntelangen Abwehrkampf gegen Einmischungs- undUnterwanderungsversuche von außen. Was das für ein kleines Land bedeutet, können wir uns inDeutschland nicht vorstellen – aber die Schweiz lernt schon... In Deutschland kennen wir Unterwanderung durch mafiöse transatlantische Strukturen in einem größeren Rahmen durchaus,

schließlich haben wir (nur als kleines, aber spektakuläres Beispiel) Aufstieg und Fall der Sumpfblüte Guttenberg noch nicht vergessen.

Was weder die Schweiz noch Deutschland kennen, ist ein blutiger Abwehrkampf gegenFremdbestimmung, jedenfalls nicht nach 1945. Gaddafi hat stets wacker gekämpft – und er hattePech: Libyen ist, anders als Kuba, reich an Öl und Gas. Was der politisch motivierte Machtwille inWashington nicht vermochte, das bewegte die nackte Gier, auch in Paris und London. (Demokratie-Vorkämpfer Sarkozy ist am Widerstandswillen der Libyer fast gescheitert, jetzt scheitert er an der Euro- und Finanzkrise: Der Geschichte ist’s fast egal.)

Libyen und Gaddafi mussten sich, vor allem in den 90er Jahren, von außen gesponserte Aufständeund Attentatsversuche ebenso gefallen lassen wie ein ständiges Trommelfeuer negativer westlicher Rhetorik. Dass in dieser Lage weder Rechtsstaatlichkeit noch Demokratie gedeihen können, ist klar 

 – und damit auch das Propagandafeuer aus Nato-Hauptstädten entkräftet. Denn wer ernsthaftwünscht, dass Recht und Freiheit gewinnen, setzt nur solche Mittel ein, die diese Werte verkörpern

 – also auf keinen Fall: Waffen und Geheimdienste. Kurz: Gaddafi ließ morden und foltern,Tausende kamen um, doch seine Regierung wankte nicht. Das allein ist kein Qualitätsbeweis; wer mit Libyen zu tun hatte, bekam Korruption, Ineffizienz und eine gewisse Arroganz, gepaart mitchaotischem Vorgehen, durchaus zu spüren.

Dabei wäre Gaddafi sicherlich beratbar gewesen: Wie außer ihm vielleicht nur noch Venezuelassterbender Stern Hugo Chávez und wenige andere Staats- und Regierungschefs hat er sich weltweitengagiert, Freunde gesucht und unterstützt, sie großzügig eingeladen. In Afrika feierte Gaddafiechte Erfolge. Mag später auch Eitelkeit öfters eine Rolle gespielt haben, Gaddafis Blick nachaußen war zunächst offen und ernsthaft. Nicht alle haben es ihm gedankt.

Auch Gaddafis Söhne haben sich intensiv im Ausland umgesehen, sogar die Teilnahme an der Formel 1 durch Team-Sponsoring wurde noch vor wenigen Jahren erwogen. Doch die Versuchewurden ausspioniert – die westlich dominierten Cliquen erreichten eine Ablehnung durch dieumstrittene FIA.

2003, in der Befürchtung, die USA könnten auch das libysche, tatsächlich vorhandeneAtomprogramm ebenso attackieren wie das vorgeschobene, nicht existente von Iraks SaddamHussein, öffnete sich Gaddafi durch seinen Sohn Saif und seinen abtrünnigen Geheimdienstchef Moussa Koussa gegenüber dem britischen MI6. Die folgende, gnädige Wiederaufnahme in denwestlichen Club wurde 2007 gekrönt: durch einen Vertrag mit Frankreich für Bau und Lieferungeines Atomkraftwerks. Die USA waren mehr als stinksauer – und es kam nicht mehr dazu. Hier darf vermutet werden, dass es lange dauern wird, bis solche Pläne wieder reifen können. Im Januar war es dann soweit. Ein lokaler Streit nahe Bengasi führte sofort zu Schießereien. Vor dem erstenSchuss trainierten schon Jäger der dänischen Luftwaffe auf einer italienischen Basis. Diese Tatsacheund die Geschwindigkeit, mit der sich der Terror auf Libyens Straßen ausbreitete, lassen eindeutigauf starke Unterstützung von außen schließen.

Die UNO, die schon mit der Sicherheitsratsresolution 1973 für die Einrichtung der »Flugverbotszone« (erneut) gezeigt hat, dass sie nicht unparteiisch ist (sein kann), bleibtmitverantwortlich für eine neue weltweite Unsicherheit. Überall auf dem Globus denken

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Beobachter, Fachleute und Regierungen darüber nach, dass nun kein Land mehr sicher ist: Mächtigeglobale Akteure destabilisieren einen Staat, erwirken nach der neuen Doktrin und Rechtslage der Schutzverantwortung (»responsibility to protect«) einen genehmen Beschluss des Sicherheitsrates – und unser Planet schlittert in eine Lage, wie sie vor Schaffung dieser Weltvertretung aller Staatenexistierte: das unkontrollierte, uneingeschränkte Recht des Stärkeren.

So wird Libyen lange nicht zur Ruhe kommen: Schon gibt es glaubwürdige Berichte über willkürliche Inhaftierungen, Folter und Morde durch die neuen Machthaber. Niemand kann diesverhindern, da ja die Nutznießer der neuen Lage seit Beginn der Gewalt in Libyen ihrerseits allesverhindern (werden), was ihre Kontrolle einschränken könnte.

Sicher ist auch: Der Tod Gaddafis ist nicht das Ende des libyschen Widerstands gegen die Nato-gestützten Truppen des »Nationalen Übergangsrates«. Dass eine Situation wie im Irak entsteht, istfür die Zukunft keineswegs auszuschließen, ja sogar wahrscheinlich – jedoch nur möglich, wennfremde Mächte mithelfen. Einige der verbliebenen überlebenden Anhänger des alten Regimeswerden sicherlich zum neuen überlaufen, andere in den schweigenden Untergrund gehen. Die nichtso kleine dritte Gruppe wird heimlich und mehr oder weniger gewaltsam gegen die neuenStrukturen von Regierung und Verwaltung ankämpfen, die in Washington, Paris und London

überwacht werden.Könnte Washington selbst ein Interesse daran haben, Libyen instabil zu halten? Selbstverständlich.Denn nur, wenn die neue Regierung täglich ums Überleben kämpft, bleibt sie in der schwachenVerhandlungsposition, die sich die Siegermächte wünschen. Konkret: Diese Schurken-Politik sichert wohlfeile Öl- und Gas-Verträge. Diesen Zusammenhang haben inzwischen sogar mancheAufständische entdeckt – und verschiedenste Konsequenzen gezogen, bis hin zur Rückkehr inGaddafis Truppe.

Instabilität ist in Libyen vergleichsweise preiswert zu haben. Denn was Gaddafi an der Macht hielt,ein kunstvolles Ränkespiel mit widerstreitenden Stammesinteressen zum Beispiel, das schwächtnun seine Nachfolger, denen die Autorität des Ermordeten fehlt. Hinzu kommen ideologische

Streitigkeiten mit der islamischen Bewegung und ihren radikalen Flügeln von al-Qaida bis hin zualten Afghanistan-Kämpfern und sonstigen »Salafisten«. Und überall stecken westlicheGeheimdienste unter den Bärten. Schließlich geht es um ethnische Auseinandersetzungen. Der flehentliche Appell eines libyschen Familienvaters aus einem Höhlenversteck heraus, der in denAugen der Aufständischen aussah wie ein schwarzafrikanischer Gaddafi-Söldner, bleibt in denOhren. Zigtausende flohen schon vor Monaten aus dem Land, wer dablieb, lebt gefährlich. Undnicht zuletzt gibt es zu wenig Menschen, die etwas anderes kennen als die Herrschaft Gaddafis: 20Prozent der Bevölkerung. War nun der 1969 gestürzte König ein Muster an Demokratie? Auchnicht: Libyen hat in seiner wechselvollen Geschichte selten eine Chance bekommen. Und je weiter zurück der Blick reicht: Das Gebiet des heutigen Libyen zeigt über viele Jahrhunderte eine Abfolgevon zunächst stärkeren und dann schwächeren Fremdherrschaften, denen Jahre innerer Unruhenfolgten – bis zum nächsten Fremdherrscher. Gaddafis Herrschaft könnte so noch als vergleichsweiseruhige Blütezeit in die Geschichte eingehen.

Jetzt ist Gaddafi tot – und Libyen geht es auch nicht gut. Besserung ist kaum in Sicht, schon gar nicht vom gebeutelten Westen, der soeben über die Klippe strauchelt und droht, viele und vieles mitsich zu reißen.

Die westliche Propaganda-Maschine zeigt Jubelbilder aus Libyen, die hatten wir auch schon 2003aus Bagdad und 2001 aus Kabul. Das läßt fürchten.

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