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(Aus der Neurologischen Abteilung des St~dtischen Wenzel-Haneke-Krankenhauses Breslau. -- Prim~rarzt: Prof. Dr. 0. l~oerster.) Ganglienzellver~inderungen im Riickenmarksgrau nach Hinterwurzeldurchschneidung. Von O. Gagel. Mit 14 Textabbildungen. (Eingegangen am 10. September 1930.) Den Ausgangspunkt fiir vorliegende Untersuchungen bildete der Nachweis yon efferenten Nervenfasern in den Hinterwurzeln des Men- schen, der in einer friiheren Arbeit lu" 2 erbracht wurde. Naturgem/~l~ erhob sich die Frage nach den Ursprungsst/~tten dieser efferenten ttinter- wurzelfasern. Ich bediente mich zur Erforschung dieser Zentren der retrograden Reaktion, die schon friiher zur LSsung der gleichen Frage yon der Ken Kur@schen Schule angewandt wurde. Ohne noch einmal genauer auf die Arbeiten Ken Kur@s s einzugehen, mSchte ich nur kurz erwKhnen, dal~ dieser Autor pathologische Ver/s an den Zellen der Intermedi/~rzone land und in diesen die Ursprungszellen fiir die efferenten Hinterwurzelfasern sieht. Es soll daher zun~chst mit den Befunden begonnen werden, die sich an den Zellen der Intermedi/s nachweisen liel~en. Dann erst sollen die degenerativen Ver/s an den anderen Zelltypen des Riickenmarkgraus Erw/s linden, die mir ftir die Frage der retrograden Zellvergnderung nach Sch/~digung eines Axons yon prinzipieller Bedeutung erscheinen. Ffir die Untersuchung standen mir eine operative Hinterwurzel- durchschneidung am Menschen und zwei experimentelle Hinterwurzel- durchschneidungen an Macacen zur Verfiigung. ])as betreffende l~iicken- marksegment und auch die Nachbarsegmente wurden in Serien ge- schnitten und jeder dritte Schnitt mit Thionin nach Nissl gefi~rbt. Die Schnittdicke der einzelnen Pr~parate betrug 20/t. Das fibrige Rficken- mark wurde nach der Marchimethode verarbeitet, um eine evtl. Mit- schgdigung yon anderen Fasersystemen aufzudecken, die fiir die De- generation der Zellen in der Intermedi/~rzone in Betracht kommen k6nnten. 24*

Ganglienzellveränderungen im Rückenmarksgrau nach Hinterwurzeldurchschneidung

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Page 1: Ganglienzellveränderungen im Rückenmarksgrau nach Hinterwurzeldurchschneidung

(Aus der Neurologischen Abteilung des St~dtischen Wenzel-Haneke-Krankenhauses Breslau. - - Prim~rarzt: Prof. Dr. 0. l~oerster.)

Ganglienzellver~inderungen im Riickenmarksgrau nach Hinterwurzeldurchschneidung.

Von O. Gagel.

Mit 14 Textabbildungen.

(Eingegangen am 10. September 1930.)

Den Ausgangspunkt fiir vorliegende Untersuchungen bildete der Nachweis yon efferenten Nervenfasern in den Hinterwurzeln des Men- schen, der in einer friiheren Arbeit lu" 2 erbracht wurde. Naturgem/~l~ erhob sich die Frage nach den Ursprungsst/~tten dieser efferenten t t in ter - wurzelfasern. Ich bediente mich zur Erforschung dieser Zentren der retrograden Reaktion, die schon friiher zur LSsung der gleichen Frage yon der K e n Kur@schen Schule angewandt wurde. Ohne noch einmal genauer auf die Arbei ten K e n Kur@s s einzugehen, mSchte ich nur kurz erwKhnen, dal~ dieser Autor pathologische Ver/s an den Zellen der Intermedi/~rzone l and und in diesen die Ursprungszellen fiir die efferenten Hinterwurzelfasern sieht. Es soll daher zun~chst mi t den Befunden begonnen werden, die sich an den Zellen der Intermedi/s nachweisen liel~en. Dann erst sollen die degenerativen Ver/s an den anderen Zell typen des Riickenmarkgraus Erw/s linden, die mir ftir die Frage der re t rograden Zellvergnderung nach Sch/~digung eines Axons yon prinzipieller Bedeutung erscheinen.

Ffir die Untersuchung s tanden mir eine operative Hinterwurzel- durchschneidung am Menschen und zwei experimentelle Hinterwurzel- durchschneidungen an Macacen zur Verfiigung. ])as betreffende l~iicken- marksegment und auch die Nachbarsegmente wurden in Serien ge- schnitten und jeder dri t te Schnit t mi t Thionin nach Niss l gefi~rbt. Die Schnittdicke der einzelnen Pr~parate betrug 20/t . Das fibrige Rficken- mark wurde nach der Marchimethode verarbeitet, u m eine evtl. Mit- schgdigung yon anderen Fasersys temen aufzudecken, die fiir die De- generation der Zellen in der Intermedi/~rzone in Bet racht kommen k6nnten.

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372 O. Gagel : Ganglienzellver~nderungen

Bei der operativen Hinterwurzeldurchschneidung liegt keine isolierte Hinterwurzeldurchschneidung vor, sondern es wurden auch beide Vorderseitenstr/tnge mit durchschnitten. Es handelte sich u m eine 56j~hrige Patientin, die infolge einer Ca-metastase in der Lendenwirbel- s~ule mi t Druck auf die Cauda equina fiber sehr s tarke Schmerzen in beiden unteren Extremit~tten zu klagen hatte . Prof. O. Foerster ffihrte zur Beseitigung der unertr/s Schmerzen eine doppelseitige Vorder- seitenstrangdurchschneidung in H6he des 3. Thoracalsegmentes aus.

A b b . 1. G e g e n d d e r I n t e r m e d i ~ r z o n e v o m 6. C e r v i c a l s e g m e n t ( M e n s c h ) .

a = Z e l l e n d e r S u b s t a n t i a r e t i c u l a r i s , b = Z e l l e n d e r I n t e r m e d i ~ r z o n e , c = M o t o r i s c h e V o r d e r h o r n - g a n g l i e n z e t t e n , d = g r a u e C o m m i s s u r .

U m sich Zugang zu der Gegend der Vorderseitenstr/s zu verschaffen, muf3te er die beiden hinteren Wurzeln des 2. Thoracalsegmentes durch- schneiden. Die Pat ient in kam 29 Tage nach der Durchschneidung ad exi tum.

Bevor ich auf die Befunde, welche an den Zellen der Intermedi/~r- zone erhoben werden konnten, n~her eingehe, m6chte ich kurz die nor- male Zellstruktur an H a n d eines Mikrophotogrammes schildern. Unter Intermedi/~rzone versteht man ein Gebiet vom Grau, das zwischen Vorder- und Hinterhorn zu beiden Seiten des Zentralkanals gelegen ist (Bruce 4, Gagel 5, Jakobsohn 6, Poljak 7, Massaza s, Waldeyer ~ (s. Abb. 1). Man tr iff t dort auf 1/~ngliche, h/s bipolar bzw. spitzdreieckig er-

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im Riickenmarksgrau nach Hinterwurzeldurchschneidung. 373

Abb. 2. Zelle a u s de r I n t e rmed i~ rzone (Mensch). ~Nissl-Bild.

Abb. 3. t~bers ichtsbi ld eines Rhesusri~ckenmarkes in HShe des R i i c k e n m a r k s e g m e n t e s , in d e m die h in te re Wrtrzel duxchschn i t t en war . Z e i t d a u e r zwischen Durchschne idung u n d Tod 11 Tage . Die Zah l der In te rmed i~rze l l en i s t au f de r Sei te der B in t e rwurze ldu rchschne idung deu t l i ch ve r r i nge r t . Die Seite der D u r c h s c h n e i d u n g i s t an de r degener ie r t en Hin te rwurze l D .H. e rkennt l ich , N i s s l - F ~ r b u n g .

scheinende Ze|len mi t schmalem Protoplasmasaum und relat iv grol~em, ovalem bzw. rundem Kern mi t deutl ichem KernkSrperchen. I)er Ke rn zeigt h~ufig Kernfa l ten (s. Abb. 2). Die Nisslgranula sind feinstaubig und nur selten yon etwas grSberen KSrnern durchmischt. Die Zellen liegen zuweilen zu zweien bis dreien zusammen.

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374 O. Gagel: Ganglienzellver~nderungen

An diesen Zellen selbst waren bei erw~hntem Falle keinerlei patho- logische Ver~nderungen nachweisbar. Auffallend war nur die relat iv geringe Zahl dieser Zellen in dem Segment der Hinterwurzeldurchschnei- dung verglichen mi t einem NormMsegment aus der entsprechenden H6he. Aber es fehlte eine deutliche Gliareaktion, so dab dieser Beobach- tung keine gr6t3ere Bedeutung zukommt .

Ein Rhesusaffe, bei dem von Prof. Foerster eine isolierte Hinterwurzel durchschnit ten war und bei dem sich so eine Vergleichsm6glichkeit mit

Abb. 4. Gegend der Intermedi~irzonc aus dem :Riickenmarksegment der Hinterwm'zeldurchsehnei- dung (Macacus). neutliche Abnahme der Intermedi~trzellen attf der Durchschneidungsseite D. Einige degenerierte Zellexemplare sind schon bei dieser schwachen YergrSBerung zu sehen. Zeitdauer

zwischen Durchschneidung und Tod 7 Tage. Nissl-Bild.

der gesunden Seite ergab, wurde 11 Tage naeh der Durchschneidung get6tet . Wit das Mikrophotogramm (Abb. 3), das einen Riickenmarks- querschnit t aus dem Segment der Hinterwurzeldurchschneidung dar- stellt, Mar wiedergibt, besteht ein deutlicher Unterschied in der Zellzahl der Intermedigrzellen auf der Durehsehneidungs- und Normalseite. Dieser Unterschied war auch auf den iibrigen Pr~paraten der Serie mehr oder weniger deutlich vorhanden. Leider waren aber an den er- hal tenen Intermedi~rzellen keine deutlichen Ver~nderungen nachweis- bar und es fehlte in dem Ausfallsbezirk die entsprechende Gliareaktion. DaB eine Abnahme der Zellzahl ohne Gliareaktion einhergehen kann,

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im Rtickenmarksgrau nach Hinterwurzeldurchschneidung. 375

erscheint mir aber sehr fraglich, so dab auch dieser Befund nur mi t Vorsicht zu verwerten ist.

U m eine akute Ver/~nderung der Intermedi/~rzellen nachzuweisen, wurde bei einem anderen Affen der Zei tpunkt zwischen Durchschneidung und TStung des Tieres noch kiirzer gew/s (7 Tage). Wie ein Pr~para t aus dem Durehschneidungssegment zeigt (s. Abb. 4), findet sich wieder eine deutliche Abnahme der Zellen der Intermedi/irzone auf der Durch- sehneidungsseite. Aui~erdem sind aber schon bei schwaeher VergrSl~e- rung Zellen erkennbar , die eine AuflSsung der Nisslgranula und einen

Abb. 5. Detailbild aus der Intermedi~rzone der Durchschneidungsseite gibt mehrere degenerierte Zellexemplare wieder (Macacus). Nissl-F~irbung.

geschrumpften, an den Rand geriickten Kern zeigen. Des weiteren sind Zellen zu sehen mi t nur ganz schwach f~rbbarem Protoplasma. Diese Verh/~ltnisse sind noch besser in der folgenden Abb. 5 erkennbar , die einen Ausschnit t der Intermedi/~rzone bei st/~rkerer VergrSl~erung wieder- gibt. Dieser Befund spricht schon eher daftir, dab die Zellen der In te r - medi/~rzone mi t den Hinterwurzelfasern in irgend einer Beziehung stehen mfissen. Er erscheint mir aber noch nicht beweisend dafiir, dab diese Zellen die Ursprungszellen der efferenten Fasern in den Hinter - wurzeln darstel |en. Zum Verst~ndnis meiner Bedenken mul~ ich zweck- m/~l~ig zuerst die Befunde, welche ich an anderen Zelltypen des Riicken- markgraus erheben konnte, anfiihren.

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376 O. Gagel : Ganglienzellver~nderungen

Beim Menschen sowie bei den beiden Affen waren n~mlich auch Ver/~nderungen an den Vorderhornzellen nachweisbar, und zwar nur in dem Durchschneidungssegment, bei den experimentel len einseitigen Durchschneidungen nur auf der Durchsehneidungsseite. Das Mikro- photogramm Abb. 6 stellt das Vorderhorn des Segmentes der Hinter- wurzeldurchschneidung beim Menschen dar. Man sieht deutlich eine Zelle, deren Nisslstruktur vol lkommen aufgelSst ist und deren Kern Hyperchromasie zeigt. Der Kern ist an den Zellrand geriickt. Aul~er- dem ist noch ein weiteres pathologisch ver~ndertes Zellexemplar zu sehen. Das gleiche Bild bietet das Vorderhorn (Abb. 7), das ebenfalls aus

Abb. 6. Vorderhorn aus dem Segment der Hinterwurzeldurchschneidung (Mensch). Zwei degene- rierte Vorderhornzellen deutlich unterseheidbar. Zeitdauer mvische~ Durchschneidung und Tod

28 Tage. Nissl-F~rbung.

dem Riickenmarkssegment der Hinterwurzeldurehschneidung s tammt . Auf Abb. 7a, die eine motorische Vorderhornzelle aus dem Segment der t t interwurzeldurchschneidung bei s tarker VergrSl~erung darstellt , ist sehr .deutlich die Aufbl~hung und Abrundung des Zelleibes, die Auf- 15sung der Nisslgranula und die Schrumpfung des an den R a n d geriickten Zellkerns zu erkennen, also dasselbe Bild wie bei einer re t rograden De- generation. Es sei nochmals ausdriieklich vermerkt , dal~ der erw~hnte Befund auf s/~mtlichen Pr/ iparaten des Segmentes der Hinterwurzel- durchsehneidung zu erheben war, w/s Ver~nderungen an den Vorderhornzellen in anderen Segmenten fehlten, denn es kSnnte der E inwand erhoben werden, dab diese Zellver~nderungen dureh die Krebs-Kachexie der Kranken bedingt seien. ])as Mikrophotogramm

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Abb. 7. u arts dem Segment der ~interwurzeldurchschneidung (Mensch). Mehrere degenerierte u deutlieh unterscheidbar. Zeitdauer zwischen Durchschneidung und

Tod 28 Tage. Nissl-Ftirbung.

Abb. 7a.~ Motorisehe VorderhornzeUe aus dem Segment der Hinterwurzeldurehsehneidung (Mensch) bei starker Yergri~13erung. Sie zeigt Aufbl[thung des Zelleibes, Aufl5sung der Nissl-Granula und

einen an den Rand geriickten und geschrumpften Zenkern. _Nissl-Bild.

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378 O. Gagel: Ganglienzellveranderungen

(Abb. 8), das aus dem Segment der Hinterwurzeldurchschneidung yon dem Affen, bei dem der Zei tpunkt zwischen Durchschneidung und Tod 7 Tage betrug, s tammt, zeigt in dem Vorderhorn eine Zelle mit deutlich degenerativerVer/~nderung. Der Zelleib ist aufgebl/~ht, dieNissl-Granula sind verwasehen, der Zellkern ist an den R a n d geriickt und geschrumpft. Bei dem anderen Allen war ganz der gleiche Befund zu erheben.

Schwere degenerative Ver/~nderungen waren desgleichen an den Clarkesehen Zellen zu finden. Diese waren in allen 3 F/~llen sowohl

Abb. 8. Vorderhorn aus dem Segment der Hinterwurzeldurchschneidung (Macacus). Eine degene- rierte Ganglienzelle deutlieh erkennbar. Zeitdauer zwischen Dta'chschneidung und Tod 7 Tage.

~issl-F~iI'bung.

beim Menschen wie bei beiden Affen vorhanden, doch waren sie am deutliehsten bei den letzteren zu erkennen und zwar bei dem Tiere, dessen Lebensdauer naeh der Durchschneidung 7 Tage betrug. Die Ver/~nderungen waren an den Zellen in dem oral yon der Durchsehnei- dungsstelle gelegenen Segment naehzuweisen und zwar an den Zellen beider Clarkescher S/~ulen, wenn auch die S/~ule der Durchsehneidungs- seite mehr degenerierte Zellexemplare aufwies. Die Abb. 9, die dem Ri ickenmarkssegment oberhalb der Hinterwurzeldurchsehneidung ent- n o m m e n ist, 1/~$t den Zentralkanal und dorsal yon ihm zu beiden Seiten die Clarkeschen S/~ulen erkennen. Die eine Clarkesche S~ule enth/~lt 3 Zellexemplare, die Aufbl/~hung des Zelleibes, AuflSsung der Nissl-

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Abb. 9. Clarkesche S~ulen aus dem Segment oberhalb der HintcrwtLrzeldarchschneidlmg (Macacus). Ill der einen S~iule sind 3 degenerierte Ganglienzellen zu erkennen. Zeitdauer zwischen Durch-

schneidung und Tod 7 Tage. Nissl-F~rbung.

Abb. 10. Zellen der Clarkeschen Situle bei starkerer VergrSBerung. Die AuflSsung der ~lissl- Granula und die Blahung der Ganglienzellen sind an 4 Exemplaren deutlich zu sehen (Macacus).

.Nissl-F~irbung.

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380 O. Gagel : Ganglienzellver~nderungen

Granula und Schrumpfung und Hyperchromas ie des Zellkernes zeigen. Deutlicher noeh fiihrt diese Ver/~nderung die Abb. 10 vor Augen, welche ebenfalls eine Clarkesche S/~ule aus dem Segment der Hinterwurzel- durchschneidung bei st/~rkerer VergrSBerung wiedergibt. Allerdings er innert normali ter das Strukturbi ld der Zellen der Clarkeschen S/~ulen nach Spielmeyer schon an und ffir sich in mancher Hinsicht an die bei retrograder Degeneration beobachteten Zellver~nderungen. Die hier mitgeteil ten Zellver~nderungen unterscheiden sieh aber doch wesentlich vom Bride der normalen Clarkeschen Zelle.

SchlieBlich waren noch in allen 3 F/s degenerat ive Ver~nderungen an den grol~en Zellen des Hinterhorns nachzuweisen. Es soll aber zu-

Abb. 11. GroBe Zelle aus dem H i n t e r h o r n (IClensch).

n/~chst die Topik und normale S t ruk tur dieser Zellen erw~hnt werden, da dieser Zelltyp weniger bekann t sein diirfte. Die Zellen liegen zu einer Gruppe yon 3 4 an der Hinterhornspi tze, umgeben mi t einzelnen Exemplaren das bauchige Hinterhorn und sammeln sich zu einer klei- neren Gruppe ventra l yon der Substant ia gelat inosa Rolandi (Jakob- sohn, Massaza, Gagel). Die Zellform ist wenig typisch, zuweilen 1/~ng- lich, dann wieder mehr multipolar. Hinsichtl ich der GrSl~e stehbn sie etwa in einer Stufe mit den Vorderhornzellen des Thorakalmarkes. Die Nissl- Granula sind aber nicht so regelm/il~ig, wie bei den Vorderhorn- zellen, sondern feine KSrnchen wechseln mi t grSberen KSrnern ab (Abb. 11). I m Alter weisen diese Zellen h/s Lipoidpigment auf. Der ovale bzw. runde Zellkern enth/s ein deutliches KernkSrperehen. Das Mikrophotogramm Abb. 12, das eine groBe Hinterhornzel le aus dem Segment der Hinterwurzeldurehschneidung des Menschen wiedergibt, 1/~Bt deutlich die Aufbl/~hung des Zelleibes und AuflSsung der Nissl-

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im Riickenmarksgrau nach Hinterwurzeldurchschneidung. 381

Abb. 12. Groi]e Hinterhornzelle (Mensch), die Aufbl~hung des Zelleibes, Aufl6sung der Nissl- Granula, an Randriicken und Schrumpfung des Zellkernes zeigt. Zeitdauer zwischen Durch-

schneidung und Tod 29 Tage. l~issl-Bild.

Abb. 13. Hinterhorn aus dem Segment der Hinterwurzeldurchschneidung (Mensch). Abnahme der groflen Zellen des Hinterhorns. Die noch vorhandenen Zellen zeigen degenerative Ver~nderungen.

Granula erkennen. Der Zellkern ist an den Rand geriickt und geschrumpft . Das (~bersichtsbild 13 v o m Hinterhorn 1/~Bt die Abnahme der groBen Hinterhornzellen im Segment der Hinterwurzeldurchschneidung er- kennen. Weniger deutlich sind die degenerativen Ver~nderungen an

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382 O. Gagel: Ganglienzellver~nderungen

den groBen Itinterhornzellen bei der sehwaehen Vergr6gerung zu sehen. Endlich fiihrt das Mikrophotogramm 14, das aus dem Rtickenmarks- segment der Hinterwurzeldurchschneidung vom Affen mit 7t/igiger Lebensdauer nach der Operation s t ammt , die AuflSsung der Nissl- Granula und die Schrumpfung des an den Rand geriickten Zellkernes einer groften Hinterhornzelle vor Augen.

Die angefiihrten Befunde lehren, dab gr61~te Vorsicht bei der Ver- wer tung der retrograden Zellreaktion zwecks Feststellung der zu einer bes t immten Nervenfaser gehSrigen Ursprungszelle am Platze ist. Die Durchschneidung einer Nervenfaser fiihrt n~mlich, wie gezeigt, nieht nur zu degenerativen Veri~nderungen an der einer Nervenfaser zu- geordneten Ursprungszelle, sondern kann auch an allen denjenigen Zellen,

Abb. 14. Groi]e Zelle des Hinterhorns (Macacus), die AuflSsung der Nissl-Granula und Hcrandriicken des Zellkernes und 8chrumpfung dessetben zeigt. Nissl-Bild.

die mi t der betreffenden Nervenfaser in Synapse treten, degenerative Ver/~nderungen hervorrufen. Beweisend hierfiir diirften die Ver- /s an den typisch motorischen Vorderhornzellen bei den beiden Allen sein, die nur als transneuronal zu deuten sind, wenn m a n nicht annehmen will, dab von den motorischen Ganglienzellen des Vorderhornes s tammende Nervenfasern durch die hintere Wurzel austreten, wofiir jeder Anha l t spunk t fehlt. Die VerKnderungen an den motorisehen Vorderhornzellen des Menschen sind im vorl iegendem Falle nicht so beweisend fiir eine t ransneuronale Degeneration, da das Segment der Hinterwurzeldurchschneidung unmit te lbar oral an das Segment der Vordersei tenstrangdurehschneidung grenzt und so yon den motorischen Vorderhornganglienzellen dieses letzteren Segmentes sehri~g absteigende Vorderwurzelfasern durchsehni t ten sein kSnnten. Diese

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im Riickenmarksgrau nach Hinterwurzeldurchschneidung. 383

Sch~ligung der Vorderwurzelfasern wiirde dann eine retrograde De- generation an den Vorderhornzellen nach sich ziehen.

Man kSnnte gegen die bei den beiden Allen erhobenen Befunde ein- wenden, daB bei der Isolierung der hinteren yon der vorderen Wurzel ein Zug an der vorderen Wurzel ausgeiibt worden sei, der zu den Ver- Knderungen an den motorischen Vorderhornzellen fiihrte. I)as ist aber bei der versteckten Lage der vorderen Wurzeln beim Affen, die yon der hinteren vSllig getrennt liegen, so gut wie ausgeschlossen. Fiir die degenerativen Ver~nderungen an den Hinterhorn- und Clarkeschen Zellen kann obiger Einwand iiberhaupt nicht geltend gemacht werden, da diese nach der allgemeinen Anschauung weder mit der vorderen noch mit der hinteren Wurzel in direktem Zusammenhang stehen. Beachtens- werterweise finden sich diese Ver~nderungen an den Clarkeschen Zellen am deuthchsten nicht im Operationssegment, sondern in dem n~chst- hSheren. Dieser Befund steht in ausgezeichneter ~-bereinstimmung mit der bereits seit langer Zeit vertretenen Auffassung, dab die in ein Segment eintretenden Hinterwurzelfasern ihren Kontak t mit der Clarkeschen Zells~ule erst in den n~chsthSheren Segmenten linden. Die Ver~nderungen an den Clarkeschen Zellen und den groBen Zellen des Hinterhorns mfissen als transneuronal aufgefaBt werden, denn sowohl die Untersuchung mit der Marchimethode nach Hinterwurzeldurch- schneidung als auch das Silberbild sprechen fiir eine Endigung der Hinterwurzelfasern an den angefiihrten Ganghenzellgruppen. Es kSnnen daher auch die Ver~nderungen an den mittelgroBen Zellen der Intermedi~rzone, die sich nicht von denen der angefiihrten Zellen unterscheiden, nicht als beweisend da/iir angesehen werden, daft die mittel- groflen Zellen der Intermedidrzone tatsdchlich die Ursprungsstdtte der e//erenten Hinterwurzel/asern darstellen. Es besteht die MSghchkeit, dab es sich bei diesen Zellen ebenfalls um transneuronale Ver/~nderungen handelt. Der gleiche Einwand kann gegen die Befunde Ken KurUs erhoben werden, der ja noeh mit grSBeren Zeitabst/~nden zwischen der Hinter- wurzeldurchschneidung und der T5tung gearbeitet hat. Es soll yon unserer Seite versucht werden, in weiteren Experimenten die Zeitdauer zwisehen Durchschneidung und Tod so zu verkiirzen, dab vielleicht eine Degeneration nur an den Ursprungszellen der efferenten Hinter- wurzelfasern zu erzielen ist bei Ausschaltung der transneuronalen ])e- generation. Es ist aber fraglich, ob das zum Ziele fiihren wird.

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384 O. Gagel: Ganglienzellveri~nderungen im Rtickenmarksgrau.

sympathischen Fasern in den hinteren Riickenmarkswurzeln der Lumbalsegmente. Pfltigers Arch. 218, H. 5/6. - - 4 Bruce, Distribution of the cells in the Intermedio- lateral Tract of the spinal cord. Trans. roy. Soe. Edinbourgh 1906. - - 5 Gagel, 0., Zur Histologie und Topographie der vegetat iven Zentren im Rtickenmark. Z. Anat. 85, H. 1/2. - - 6 Jakobsohn, (]ber die Kerne des menschlichen Riickenmarks. Arch. zu den Abh. preu0. Akad. Wiss., Physik.-math. K1. 1908. - - 7 PoljaIc, S., Ober die Intermedi~rzone im Riickenmark der S/s und ihr Verh~ltnis zu dem vegetat iven System. Zagreb 1924. - - s Massaza, A., La ci toarchitet tonica del midollo spinale unano. Archives d 'Anat . I, 323 410 (1922); 2, 1--56 (1923); 3, 115--189 (1924). - - 9 Waldeyer, Das Gorillariickenmark. Abh. preul3. Akad. Wiss., Physik.-math. K1. 1888; Berlin 1889. - - 10 Spielmeyer, W., Histopathologie des Nervensystems. Berlin 1922.