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Gedanken zur Vermögensbesteuerung Author(s): Heinz Haller Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 36, H. 2 (1977), pp. 222-248 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40911377 . Accessed: 15/06/2014 14:43 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 188.72.126.181 on Sun, 15 Jun 2014 14:43:19 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Gedanken zur Vermögensbesteuerung

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Gedanken zur VermögensbesteuerungAuthor(s): Heinz HallerSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 36, H. 2 (1977), pp. 222-248Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40911377 .

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Gedanken zur Vermögensbesteuerung von

Heinz Haller

I

Daß wichtige Länder mit voll entwickelter Einkommensbesteuerung die Vermögensteuer im nominellen Sinn, von der hier ausschließlich die Rede sein soll, nicht in ihrem Steuerbukett haben, sie also nicht als „Ergänzungs- steuer" der Einkommensteuer verwenden, läßt erkennen, daß es sich um eine umstrittene Steuer handelt. Der Verzicht auf die Vermögensteuer kann auf die beträchtlichen Schwierigkeiten technischer Art, die mit dieser Steuer ver- knüpft sind (Unmöglichkeit einer gleichmäßigen Erfassung und Bewertung der verschiedenen Vermögensarten), zurückzuführen sein, doch dies ist nur einer der möglichen Gründe. Genauso naheliegend ist die Vermutung, daß es an einer ausreichenden Motivation für die Erhebung einer Vermögensteuer fehlt, daß m.a. W. die zur Begründung der Vermögensteuer in Betracht kom- menden Argumente nicht als stichhaltig anerkannt werden.

Es ist in der Tat schwierig, eine überzeugende Begründung dafür zu geben, daß eine Vermögensteuer im Eahmen einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit erforderlich sei. Wird das Periodeneinkommen unter Ein- beziehung der eruierbaren realen Elemente zur Grundlage der Besteuerung gemacht, so scheint das die Bedürfnisbefriedigung bestimmende wirtschaft- liche Potential voll erfaßt zu sein. Auch die Vermögenserträge, sowohl die in Geld anfallenden als auch die errechenbaren (Unternehmergewinne), sind im Periodeneinkommen enthalten, Realerträge (Nutzungen) in der Regel zwar nur bei Eigen wohnungen(-heimen), doch sind ja auch reale Arbeitserträge (häusliche Dienste) nicht einbezogen. Soll nun auf der Basis der im Eigentum des Steuerpflichtigen befindlichen Nettovermögenswerte eine zusätzliche Steuer erhoben werden, die ebenfalls aus dem Periodeneinkommen zu ent- richten ist, so kann dies nur mit der Begründung geschehen, im Falle des Vor- handenseins von Vermögen liege ein Leistungsfähigkeitselement vor, das mit dem Periodeneinkommen nicht erfaßbar sei. Worin kann dieses zusätzliche Leistungsfähigkeitselement gesehen werden?

Seit jeher wird auf zwei Tatbestände hingewiesen, aus denen sich eine zusätzliche Leistungsfähigkeit ergeben soll. Zum einen wird gesagt, das aus Vermögen stammende Einkommen weise besondere Qualitäten auf, die als

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leistungsfähigkeitsteigernd berücksichtigt werden müßten; zum anderen wird behauptet, die Existenz des Vermögens als solche erweitere das Bedürf- nisbefriedigungspotential, verschaffe also zusätzliche Leistungsfähigkeit, un- abhängig von den Vermögenserträgen (die ja bereits im Eahmen der Ein- kommensteuer erfaßt werden) 1. Alle weiteren zugunsten der Vermögensteuer vorgebrachten Argumente haben, soweit wir sehen, nichts mit zusätzlicher Leistungsfähigkeit zu tun, sondern mit der Erfassung der im Kahmen der Einkommensbesteuerung „angepeilten" Leistungsfähigkeit: Der Vermögen- steuer wird eine Lückenschließungsfunktion zugewiesen. Sie soll der Einkom- mensteuer entgehende reale Vermögenserträge (Nutzungen) in die Steuer- belastung hereinholen, evtl. auch ersatzweise sonstige im Kahmen der Ein- kommensteuer nicht erfaßbare Einkommenselemente, die zu Vermögenser- höhungen geführt haben, und schließlich soll sie eine bessere Kontrolle der Einkommensbesteuerung ermöglichen. Diesen Argumenten ist gemeinsam, daß sie nicht als tragende Pfeiler für die Kechtfertigung der Vermögensteuer verwendet werden, sondern nur als zusätzliche Befürwortungsargumente. Besonders überzeugend sind sie nicht, was sich aus folgenden Erwägungen ergibt. Diejenigen realen Vermögensobjekte, deren in Form von Nutzungen anfallende Erträge bei der Einkommensteuer nicht erfaßt werden können, entgehen weitgehend auch der Vermögensteuer (wertvolle Gebrauchsgegen- stände; die einzige wesentliche Ausnahme bilden Baugrundstücke). Bei der sog. Nachhol Wirkung2 wird nie genau angegeben, welche Einkommensele- mente wenigstens vermögensteuerlich erfaßt werden könnten, wofür ja Vor- aussetzung wäre, daß sie sich als zusätzliche Vermögen niederschlagen wür- den. Die These von der Kontrollfunktion schließlich dürfte deswegen weit- gehend ins Leere gehen, weil diejenigen Steuerpflichtigen, die bei der Ein- kommensteuer lückenhafte Angaben machen, auch bei der Vermögensteuer bei ihren Deklarationen entsprechende Vorsicht walten lassen dürften3. So- fern eine ausgebaute Buchführung vorhanden ist (also im unternehmerischen Bereich), benötigt man jedoch die Kontrolle durch die Vermögensteuer nicht.

1 Siehe etwa B.B.Gemper: Die Vermögensteuer im Rahmen der modernen allgemeinen Einkommensteuer. Eine steuerwirtschaftliche Betrachtung, als Beitrag zur Gesamtsteuerreform, Berlin 1971, S. 204, und neuestens: E.Raths: Bedeutung und Rechtfertigung der Vermögensteuer in historischer und heutiger Sicht, Zürich 1977, S. 173f. 2 Diese wurde insbesondere vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesmini- sterium der Finanzen erwähnt (siehe Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesmini- sterium der Finanzen: Entschließungen, Stellungnahmen und Gutachten, Tübingen 1974, S. 371) und von der Steuerreformkommission aufgegriffen, jedoch etwas eigen- artig interpretiert (siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen [Hrsg.]: Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Schriftenreihe des Bundesministe- riums der Finanzen, Heft 17, Bonn 1971, S. 633 f. Hier findet sich [S. 635] auch noch die Auffassung, eine der Funktionen der Vermögensteuer bestehe darin, voraus- erhobene Erbschaftsteuer zu sein. Das zur Begründung angeführte Argument, die Vermögensteuer gehe zu Lasten des Vermögens - über eine Reduktion der Vermö- gensbildung - gilt keineswegs generell.). 3 Vgl. hierzu CT. Sandford, J. R.M.W Ulis und D.J. Ironside: An Annual Wealth Tax, London 1975, S. 13. Das dort zugunsten der Vermögensteuer erwähnte ,, efficiency "-Argument (S. 7 u. 12f.) mag (als Nebenargument) eine gewisse Bedeu- tung haben, wenn die Einführung einer Vermögensteuer es ermöglicht, eine „incen- tive"-gefährdende Einkommensteuerbelastung abzubauen.

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Wenden wir uns nun den beiden entscheidenden, mit zusätzlicher Lei- stungsfähigkeit operierenden Argumenten zu. Bei der ersten Rechtfertigungs- variante ist zu fragen, worin die besonderen Qualitäten der Vermögensein- kommen bestehen. Hier gibt es zwei verschiedene Antworten. Die eine lautet: Bei Vermögenseinkommen handelt es sich um Einkommen aus einer selb- ständigen, von der Arbeitskraft, ja von der Existenz des Eigentümers unab- hängigen Einkommensquelle, um sog. fundiertes Einkommen. Die zweite Antwort ist: Vermögenseinkommen ist „mühelos" erzielbares Einkommen, es stellt sich ein, ohne daß man Arbeitszeit und Arbeitsmühe aufwenden muß. Beide Antworten haben insofern ein gemeinsames Element, als die beiden hervorgehobenen Eigenschaften von Vermögenseinkommen auf die Verwer- tung eines sachlichen Produktionsfaktors zurückgehen. Es sind also Eigen- schaften der Einkommensquelle, die die genannten Vorteile der Vermögens- einkommen zeitigen. Es stellt sich somit sofort die Frage, ob es berechtigt ist, daß aus bestimmten Qualitäten des aus Vermögen fließenden Einkommens eine besondere Leistungsfähigkeit abgeleitet wird.

Hebt man beim „Fundiertheits" -Tatbestand darauf ab, daß das Ein- kommen beständiger und sicherer fließe als das Arbeitseinkommen, weil der Bezug nicht von den Beeinträchtigungen der Arbeitskraft und ihren Verwer- tungsmöglichkeiten beeinflußt werde, so sieht man sich beim Bemühen um den Nachweis einer besonderen (zusätzlichen) Leistungsfähigkeit vor zwei Schwierigkeiten gestellt. Würde man die Beständigkeit des Einkommenszu- flusses zum Indiz einer besonderen Leistungsfähigkeit machen, so müßte man zahlreiche Belastungsdifferenzierungen vornehmen, und zwar bei allen Ein- kommensarten4. Bei den Arbeitseinkommen gibt es eine ungeheure Spann- weite zwischen den Staatsbeamten mit ihren Versorgungsansprüchen und Gelegenheitsarbeitern. Bei den Vermögens- und gemischten (unternehmeri- schen) Einkommen ist es nicht anders. Erträge und Gewinne können längere Zeit ausbleiben, vielleicht sogar auf Dauer. Den Extremfall stellen Vermögen dar, deren Konservierungsaufwand in keinem Verhältnis zu geldlichen oder Nutzungserträgen steht, an denen man aber aus Traditionsgebundenheit festhält. Auch der Hinweis darauf, daß eine typische Verschiedenheit zwischen Arbeits- und Vermögenseinkommen hinsichtlich der Beständigkeit und Sicherheit des Einkommenszuflusses gegeben sei, nützt heute nicht mehr viel, und damit kommen wir auf die zweite Schwierigkeit. Die Einkommen der Arbeitnehmer sind in den meisten Ländern, die eine hochentwickelte Wirt- schaft und eine voll ausgebaute Einkommensbesteuerung aufweisen, über obligatorische Versicherungen, deren Leistungen in der Regel noch durch Staatszuschüsse angehoben werden, gegen die verschiedenen Risiken ein- schließlich altersbedingter Minderung oder Aufzehrung der Arbeitskraft so abgesichert, daß ein ständiger Einkommenszufluß, wenn auch nicht von gleichbleibender Höhe, gewährleistet ist. Daß die Absicherung hier stärker sein kann als diejenige über Geld Vermögensbildung, hat sich in der Bundes-

4 Vgl. hierzu F. Neumark: Probleme und Methoden einer qualitativen Diffe- renzierung (Differentiation) der steuerlichen Einkommensbelastung, in: F. Neumark : Wirtschafts- und Finanzprobleme des Interventionsstaates, Tübingen 1961, S. 395 ff.

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republik anläßlich der Währungsreform gezeigt. Die Vermögenseinkommen, insbesondere aus Geldvermögen, aber auch aus unternehmerisch genutztem Vermögen, sind zahlreichen Risiken ausgesetzt, was hier nicht näher ausge- führt zu werden braucht. Auf diese Zusammenhänge ist seit langem immer wieder hingewiesen worden5. Die Konsequenz liegt nahe, auch einen typi- schen „Fundiertheits' '-Unterschied nicht mehr anzuerkennen. In einem Punkt ist natürlich der Eigentümer von Vermögen überlegen: Er kann im Notfall auf das Vermögen selbst zurückgreifen, er verfügt also über eine zu- sätzliche Sicherheitsreserve ; doch dieser Vorteil ergibt sich aus der Existenz des Vermögens, nicht aus einer besonderen Qualität des Vermögenseinkom- mens.

Der Tatbestand, daß reines Vermögenseinkommen „mühelos4 ' erzielt werden kann, also ohne Zeit- und Kraftaufwand, ist nicht zu bestreiten. Reicht es zur Sicherung einer auskömmlichen Existenz aus, so kann gänzlich auf Erwerbsarbeit verzichtet werden, und der glückliche Vermögenseinkom- mensbezieher kann völlig frei über seine Zeit verfügen, also all das tun, was ihm Freude macht. Ob er sich für das Freizeitmaximum entscheidet, hängt ganz von seinen Präferenzen ab. Der Drang zur erwerbswirtschaftlichen Be- tätigung kann so groß sein, daß er im üblichen Umfang arbeitet, obwohl er kein Arbeitseinkommen benötigt. Der Vermögenslose ist auf ein Arbeitsein- kommen angewiesen, die Erreichung des Freizeitmaximums ist ihm also ver- wehrt. Gleichwohl kann auch er, sofern er qualifizierte und entsprechend gut belohnte Arbeit anzubieten hat6, in beschränkterem Rahmen zwischen Er- werbsarbeit und Freizeit wählen. Das gleiche gilt für den Eigentümer eines Vermögens, dessen Ertrag zwar keine auskömmliche Existenz ermöglicht, wohl aber einen beachtlichen Zuschuß für die Erreichung einer solchen Exi- stenz erbringt. Der Vorteil eines Vermögenseinkommens von einer bestimm- ten, ins Gewicht fallenden Höhe ab besteht also darin, daß der Spielraum für die Entscheidung zugunsten zusätzlicher Freizeit ausgeweitet wird. Bei hohen Vermögenseinkommen erweitert sich dieser Spielraum bis zum Freizeitmaxi- mum. Bei Angewiesensein auf Arbeitseinkommen ist immer nur ein be- schränkter Spielraum vorhanden, der entweder auf gehobener Qualifikation oder einem (beachtlichen, aber nicht sehr hohen) Vermögenseinkommen oder auf beiden Umständen beruht. Wieviel von dem jeweiligen Spielraum in An- spruch genommen wird, ist unbestimmt und kann in den einzelnen Fällen sehr unterschiedlich sein.

Wohl kann man sagen, daß mit dem reinen Vermögenseinkommen als solchem kein Freizeitverzicht verbunden ist, doch braucht sich daraus, wie ausgeführt, kein Freizeitgewinn zu ergeben. Es wird nur die Chance für einen Freizeitgewinn ausgeweitet, dies trifft jedoch auch zu für höher qualifizierte und besser bezahlte Arbeit. Soll man aber die verbesserte Chance für die Ent- scheidung zugunsten von mehr Freizeit als Indiz zusätzlicher Leistungsfähig- keit betrachten und deswegen eine zusätzliche Belastung vornehmen? Wenn man dies tun wollte, so müßte man die durch höhere Qualifikation verbesserte

5 Vgl. z.B. B.B.Gemper: aaO., S. 213; ferner W. Bickel : Die Vermögenssteuern in der Schweiz, in: Public Finance, Vol. XV, 1960, Nr. 3/4, S. 267. 6 Hierauf weist insbesondere E.Raths hin (s. E.Raths: aaO., S. 184). 15 Finanzarchiv N. F. 36 Heft 2

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Chance gleich behandeln wie diejenige, die durch ein ins Gewicht fallendes Vermögenseinkommen erzeugt wird.

Würde man im Eahmen der Einkommensbesteuerung den durch frei- willig verkürzte Erwerbsarbeitszeit entstehenden Freizeitvorteil nach Maß- gabe der (auf Grund einer „Normal' '-Arbeitszeit zu ermittelnden) zusätzlichen Freizeit berücksichtigen durch Hinzurechnen eines preisgegebenen Arbeits- einkommens, so würde man die tatsächlich gegebene zusätzliche Leistungs- fähigkeit erfassen. Es dürfte unbestreitbar sein, daß jemand, der bei wesent- lich geringerer Arbeitszeit ein gleiches Einkommen erzielt wie ein anderer, ein höheres „Bedürfnisbefriedigungspotential" besitzt, da er mehr von der knap- pen Freizeit zur Verfügung hat und damit bei gleicher materieller Versorgung ,,mehr vom Leben" (man könnte hier auch unter Verwendung des beliebten Modeworts von höherer „Lebensqualität" sprechen); eine höhere Steuerbe- lastung erscheint also angemessen. Eine Zusatzbesteuerung in dieser Form, die wir an anderer Stelle als theoretisch richtig bezeichnet haben7, scheitert leider daran, daß sie nicht praktikabel ist wegen der zu großen Schwierigkei- ten bei der Ermittlung der angemessen erscheinenden Zusatzeinkommen. Eine generelle vermögensteuerliche Zusatzbelastung wegen der durch Ver- mögenseinkommen bewirkten Chancenerweiterung für die Entscheidung zu- gunsten zusätzlicher Freizeit erscheint jedoch unangemessen. Dies gilt auch für eine generelle Zusatzbelastung von Vermögenseinkommen im Rahmen der Einkommensbesteuerung durch schematische Verwendung fiktiver Zu- schläge oder höherer Steuersätze und ihr Gegenstück, die Entlastung von Arbeitseinkommen oder generell von „earned income" vermittelst Abschlä- gen oder Steuerermäßigungen. Eine Entsprechung zu tatsächlichen Freizeit- Vor- oder -Nachteilen kann mit diesen Methoden nicht herbeigeführt werden. Die „Freizeitunterschiede" sind nicht durch die Art der Einkommen vorbe- stimmt. Bei sehr hohen Vermögenseinkommen, bei deren Vorliegen die Er- werbsarbeit eine gänzlich freiwillige Angelegenheit ist, kann man allerdings sagen, daß in jedem Fall ein Vorteil gegeben ist, der in der Einkommenshöhe allein nicht zum Ausdruck kommt. Wenn hier Erwerbsarbeit geleistet wird, so kann dies nur auf eine besondere Freude an solcher Arbeit zurückgehen, während man im Normalfall unterstellen kann, daß „Brotarbeit" mit Ar- beitsleid verbunden ist. Hierauf wird nochmals zurückzukommen sein.

Man kann nun die soeben behandelten Zusammenhänge auch von einem ganz anderen Standpunkt aus betrachten. Man kann sagen, nicht das Ver- mögenseinkommen, sondern das Vorhandensein des Vermögens ist die ent- scheidende Voraussetzung dafür, daß man den Zwang zur Erwerbsarbeit mil- dern kann. Vermögen gibt, wie bereits erwähnt, schon dadurch zusätzliche „Versorgungssicherheit", daß man es aufzehren kann. Die Art der Verwer- tung und die Höhe des erzielten Vermögenseinkommens sind zwar nicht ohne Bedeutung, doch hängt an ihnen nicht der einzige Vorteil, den Vermögen verschafft. Es ist daher auch nicht richtig, zusätzliche Leistungsfähigkeit aus dem Auftreten von Vermögenseinkommen, oder allgemeiner: von Vermögens- erträgen, herzuleiten. Weder kann stichhaltig mit dem sichereren Fließen von

7 Siehe H. Haller : Die Steuern. Grundlinien eines rationalen Steuersystems, 2. Aufl., Tübingen 1971, S. 46ff.

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Vermögensei nkommen argumentiert werden, noch lassen sich eindeutige Schlüsse auf Freizeitvorteile ziehen. Ob solche auftreten, ist im Einzelfall un- sicher, und hinsichtlich der Chancen ist nicht allein das Vermögenseinkom- men von Bedeutung. Wenn von zusätzlicher Leistungsfähigkeit die Kede ist, so kann diese nur aus der Existenz des Vermögens abgeleitet werden. Damit sind wir beim zweiten „klassischen" Rechtfertigungsargument der Vermögen- steuer, das u.E. allein haltbar ist.8.

Wenn man über Vermögen verfügt, so ergeben sich hieraus in der Tat Vorteile verschiedenster Art. Zunächst ist auch mit einem kleinen Vermögen eine (zusätzliche) Versorgungssicherung gegeben. Deren Umfang wächst mit der Größe des Vermögens. Versorgungssicherung durch Vermögen verschafft aber wirtschaftliche Unabhängigkeit in dem Sinne, daß kein Zwang mehr bestellt, Erwerbsarbeit „um jeden Preis" zu übernehmen. Man verfügt über einen längeren Atem und ist notfalls in der Lage zuzuwarten, bis sich günsti- gere Chancen für die er werbs wirtschaftlich e Verwertung der vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten bieten. Mit zunehmender Größe des Vermögens und damit der Vermögenserträge (in geldlicher oder realer Form) wächst, wie ausgeführt, der Spielraum, sich für eine reduzierte Arbeitszeit zu entscheiden, das „Freizeitpotential" weitet sich aus. Von einer bestimmten Höhe des Ver- mögens ab eröffnen sich weitere Möglichkeiten. Man ist in der Lage, sich „unternehmerisch" zu betätigen, also selbständig und auf eigenes Risiko für den Markt zu produzieren. Mit der eigenen Vermögensbasis wird man ent- sprechend kreditwürdig, kann sich also für die selbständige Produktion erfor- derliches „Fremdkapital" beschaffen. Der wirtschaftliche Entscheidungs- spielraum ist bedeutend vergrößert, unabhängig davon, ob man ihn nutzt oder nicht. Es kommt hinzu, daß man als Vermögenseigentümer auch noch Freude am Besitz empfinden, oder, anders ausgedrückt, ein „Besitzbedürfnis" befriedigen kann, sofern man ein solches hat. Bei allen Gebrauchsvermögens- objekten (bis zum Wohnhaus) wird sich in der Regel eine besondere Bedürf- nisbefriedigung aus dem Eigenbesitz ergeben: Man kann mit den Dingen nach eigenem Gutdünken umgehen, ist an keine, u.U. kleinliche und lästige Vorschriften gebunden, die ein Vermieter oder Verpächter macht. Das Ver- fügen über Eigenes verschafft einen zusätzlichen Freiheitsspielraum. Ein Be- sitzbedürfnis in abstrakter Form kann bei jeder Art von Vermögensbesitz befriedigt werden. Schließlich kann das Vorhandensein von Vermögen auch als eine Art von Selbstbestätigung oder Selbstverwirklichung aufgefaßt wer- den: Man hat teil an wirtschaftlichen Werten, die den Augenblick über- dauern. Möglicherweise bringt man auch noch das gesellschaftliche Ansehen mit dem Vermögensbesitz in Verbindung. Kann man sich anders nicht her- vortun, so wenigstens als Eigentümer von Vermögen. Zumindest gehört man zur Schicht der Besitzenden und kann dies da und dort zur Geltung bringen.

Zusammenfassend kann man in jedem Fall sagen, daß mit der Höhe des

8 Auf dieses Argument stützen sich u. a. F. K. Mann (siehe F. K. Mann : Ver- mögensteuer, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., Bd. VIII, Jena 1928, S. 610), W. Bickel (siehe W. Bichei: Die Vermögenssteuern in der Schweiz, aaO., S. 266) und F. Neumark (siehe F. Neumark: Grundsätze gerechter und ökono- misch rationaler Steuerpolitik, Tübingen 1970, S. 137 f.).

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Vermögens die Sicherheit im wirtschaftlichen Sinn und die Unabhängigkeit wachsen. Die wirtschaftlichen Entscheidungsspielräume werden ausgeweitet, der Entscheidungsspielraum über Art und Umfang der Erwerbsarbeit und über die Art der Beteiligung am Erwerbsprozeß überhaupt. Auf die hier dar- gelegten Vorteile, die Vermögensbesitz bietet, ist schon vielfach hingewiesen worden9. Hier geht es um die Frage, ob nur sie von Bedeutung sind, wenn mit Hilfe der Vermögensteuer eine zusätzliche Leistungsfähigkeit, die in der Höhe des Periodeneinkommens nicht zum Ausdruck kommt, erfaßt und be- lastet werden soll. U.E. ist diese Frage eindeutig zu bejahen. Mit besonderen Qualitäten des Vermögenseinkommens (das in jedem Fall bei der Einkom- mensteuer mitheranzuziehen ist) kann man nicht argumentieren. Die Gründe dafür wurden oben erörtert. Man kommt in größte Schwierigkeiten, wenn man eine zusätzliche vermögensteuerliche Belastung mit beständigerem und sichererem Zufluß des Vermögenseinkommens begründen will, und hinsicht- lich der Begründung durch Hinweis auf die „Mühelosigkeit" des Vermögens- einkommens steht es nicht anders. Hier könnte man noch erwähnen, daß jedes aus überdurchschnittlicher Qualifikation stammende Einkommen eben- falls „mühelos" erworben wird. Dies ergibt sich aus der Definition eines sol- chen (Zusatz-)Einkommens. Weder im Fall des ohne zusätzliche Arbeitszeit und -mühe erzielten Qualifikationseinkommens noch beim „mühelosen" Ver- mögen seinkommen kann man auf einen effektiven zusätzlichen Freizeitge- winn schließen; man kann nur sagen, der Entscheidungsspielraum zugunsten zusätzlicher Freizeit sei größer. Ist Vermögen vorhanden, so resultiert das zusätzliche „Freizeitpotential" aus der Verfügbarkeit über Vermögen, das jede beliebige Verwertungsmöglichkeit bietet. Ob momentan geldliche Ver- mögens °,r träge anfallen und in welchem Umfang, ist von sekundärer Bedeu- tung. Die Existenz des Vermögens selbst verschafft auch den zusätzlichen Entscheidungsspielraum in Richtung Freizeit, neben den anderen genannten Vorteilen. Nachdem diese Erkenntnis gesichert sein dürfte, ist nun aber eine zweite entscheidende Frage auf zuwerf en, nämlich die, ob man nicht schon im Zusammenhang mit der Bildung des Vermögens bzw. des Eigentums als sol- chem für die Vorteile, die man als Eigentümer aus der Existenz des Vermö- gens zieht, steuerlich „bezahlen" mußte, was ja wohl bedeuten würde, daß man diese Vorteile nicht noch einmal geltend machen könnte zur Begründung einer vermögensteuerlichen Belastung. Dieser Frage ist nun nachzugehen.

II

Zu Vermögen gelangen kann man auf dreifache Art (von illegalen Wegen wird hier abgesehen) : a) durch Bildung von Ersparnissen, b) über Erbschaften oder Schenkungen und schließlich c) für den Fall, daß schon ein Vermögens- stock vorhanden ist, über Wertsteigerungen von Vermögensobjekten. Am Rande erwähnt sei noch der Erwerb eines Vermögens durch Spiel- und Glücksgewinne, auf den hier nicht weiter eingegangen werden soll. Zwischen

9 Siehe z.B. E.Küng: Eigentum und Eigentumspolitik, Tübingen - Zürich 1964, S. 5 ff.; F. Neumark: Grundsätze gerechter und ökonomisch rationaler Steuer- politik, aaO., S. 138.

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der Vermögensbildung durch Sparen und dem Vermögenszugang durch Erb- schaft, Schenkung oder Wertsteigerungen besteht natürlich ein grundlegen- der Unterschied: Bei der Ersparnisbildung liegt ein eigenes Bemühen vor; in den anderen Fällen fließt einem das Vermögen zu durch die Gunst der Um- stände, ohne eigenes Hinzutun. Etwas konkreter formuliert: Die Vermögens- bildung über Ersparnis kostet etwas, nämlich einen Teil des aus dem Ein- kommen möglichen Konsums, der Vermögenszugang in den anderen Fällen stellt ein Geschenk dar; er ergibt sich, ohne daß irgendetwas geopfert oder aufgegeben werden muß. Die Vorteile, die das Eigentum an Vermögen ver- schafft, müssen also bei der Vermögensbildung durch Sparen erkauft werden, bei den übrigen Vermögenszugängen nicht. Dieser Unterschied: Erkaufen oder einfaches Zufallen dieser Vermögensvorteile, ist für eine vermögensteuer- liche Zusatzbelastung wegen dieser Vorteile von gravierender Bedeutung10. Würde man im Eahmen der Einkommensbesteuerung die Verzichte, die der Sparer zur Erlangung der Vermögensvorteile auf sich nehmen mußte, durch entsprechende Minderbelastung (z.B. Herausnahme der gesparten Einkom- mensteile aus dem steuerbaren Einkommen) berücksichtigen, so könnte man bei allen Vermögenseigentümern eine Vermögensbesteuerung vornehmen, die die aus den Vermögensvorteilen erwachsende Leistungsfähigkeit treffen soll. Durch die Steuerbegünstigung der Ersparnis wäre dem ,, Opfer", das die Spa- rer im Gegensatz zu den Beschenkten auf sich nehmen müssen, Rechnung getragen. Nun sprechen aber gewichtige Gründe dafür, die Ersparnis nicht generell aus der Steuerbelastung herauszunehmen, andererseits sind auch die Vermögenszugänge durch Erbschaft oder Schenkung einer Steuerbelastung unterworfen und zum Teil auch die Vermögenszugänge durch Wertsteigerun- gen, so daß überlegt werden muß, ob in diesen Fällen nicht auch schon etwas von den Vermögensvorteilen abgegolten ist. Die Verhältnisse sind also kom- plizierterer Natur, und es erweist sich als notwendig, die drei unterschiedenen Fälle etwas eingehender zu betrachten.

Zu a): Die Freistellung gesparter Einkommensteile von der Einkom- mensbesteuerung stellt eine alte Forderung dar, die aber in der Regel nicht wegen der vermögensteuerlichen Belastung des gebildeten Vermögens ge- stellt wurde, sondern wegen der nachträglichen Belastung der Vermögens- erträge. Das Argument lautet11: Ein Nicht-Sparer kann sein gesamtes Ein- kommen nach Steuer konsumieren. Ein Sparer mit gleichem Einkommen hat, wenn es keine Steuerbegünstigung des Sparens gibt, die gleiche Steuer zu zah- len und hat dabei einen geringeren Konsum, die Steuer bewirkt also für ihn

10 Hierauf hat J.Koulis schon 1949 hingewiesen (siehe J.Koulis: Soziale Ge- staltung der Besteuerung oder volkswirtschaftliche Steuerpolitik?, Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Heft 136, Tübingen 1949, S. 50). Vgl. hierzu auch CT. Sandfordn. a.: An Annual Wealth Tax, aaO., S. 280. Dort wird (allerdings im Zusammenhang mit einer Vermögenssubstanzbesteuerung zu Umverteilungszwek- ken) auf den gravierenden Unterschied zwischen selbst erarbeitetem und ohne eige- nes Hinzutun zufallendem Vermögen hingewiesen. Die Steuerreformkommission vertritt die Auffassung, für die Vermögensbesteuerung sei es gleichgültig, wie man zu Vermögen gelangt ist, ohne hierfür eine Begründung zu geben (siehe Bundes- ministerium für Wirtschaft und Finanzen [Hrsg.]: Gutachten der Steuerreformkom- mission 1971, aaO., S. 633). 11 Siehe hierzu H. Haller: aaO., S. 53 ff.

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eine höhere relative Konsumeinbuße. Später muß er zudem die Erträgnisse aus dem gebildeten Vermögen versteuern, was bei dem Nicht-Sparer nicht der Fall ist. Die sich aus der Besteuerung der Ersparnis und der später an- fallenden Vermögenserträge ergebende „Doppelbelastung" ist zu vermeiden. Da man auf die Mitbesteuerung der Vermögenserträge nicht verzichten kann (das gesamte Periodeneinkommen muß herangezogen werden), läßt sich die Doppelbelastung nur vermeiden durch Freistellung der Ersparnis.

Die Argumentation ist deswegen nicht haltbar, weil unterstellt wird, die Ersparnisbildung stelle einen Verzicht auf Bedürfnisbefriedigung dar. Tat- sächlich wird nur verzichtet auf kurzfristigen (in der Einkommensverwen- dungsperiode selbst sich vollziehenden) Konsum. Bei freier Entscheidung über die Einkommensverwendung wird stets die bei gegebenem Einkommen höchste erreichbare Bedürfnisbefriedigung angestrebt. Dem Sparer verschafft der Verzicht auf kurzfristigen Konsum mehr Bedürfnisbefriedigung als die volle konsumtive Verwendung des Nettoeinkommens in der betreifenden Periode. Auch der Kauf von Gebrauchsgütern, die jahrelang ihre Nutzungen abgeben, stellt bereits Sparen dar, und zwar handelt es sich hier um Sach- sparen. Zwischen dem Sparen in Form der Anschaffung von ,, semi-durables" und dem Geldsparen auf lange Sicht, das schließlich zur Anschaffung von Objekten des Erwerbs Vermögens führen kann, gibt es eine stufenlose Über- gangsskala. Immer sind Sparen und Vermögensbildung in irgendeiner Form gegeben. Vermögen wird stets in dem Umfang und mit der Fristigkeit gebil- det, die man für die Erreichung des Bedürfnisbefriedigungsmaximums für erforderlich hält. Die Vorteile, die man sich aus der Vermögensbildung ver- spricht, sind oben näher dargelegt worden. Das Verschaffen dieser Vorteile für künftige Perioden führt eben die Bedürfnisbefriedigung über die Erspar- nisbildung herbei. Verfolgt man mit der Einkommensbesteuerung das Ziel, das gesamte sich aus dem Periodeneinkommen ergebende Bedürfnisbefriedi- gungspotential zum Maßstab der Belastung zu machen, so kann kein Ein- kommensteil ausgeklammert werden, denn jeder trägt zur Bedürfnisbefriedi- gung mit bei. Dies gilt allerdings nur, wenn frei über die Verwendung des Ein- kommens entschieden werden kann. Soweit der Staat die Verwendung vor- schreibt, kann nicht präferenzgemäß entschieden werden. Dies trifft zu für Zwangsversicherungsbeiträge. Wenn später die Vermögenserträge mit zur Einkommensbesteuerung herangezogen werden, führt dies nicht zu einer Doppelbelastung. Wenn man sich für Vermögensbildung entscheidet, so hat man selbstverständlich auch die aus der Vermögensquelle fließenden Erträge in Form von Geld oder Vermögensnutzungen im Auge. Der Vorteil in der Sparperiode, der mehr wiegt als der entgangene ,, Gegenwartskonsum", ist die Schaffung der Quelle für spätere reale und geldliche Zusatzeinkommen. Aus der Vermögensbildung ergeben sich aber all die sonstigen Vorteile, die Ver- mögen vermittelt und die man bei der Entscheidung bewertet. Man kann auch sagen: Die Maximierung der Bedürfnisbefriedigung in der Einkommens- verwendungsperiode wird erreicht vermittelst einer Mischung aus Gegen- wartskonsum und Verschaffung von Vorteilen aus der Vermögensbildung, die dem Konsum künftiger Perioden zugutekommen können, aber nicht müssen (in jeder kommenden Periode kann ja wieder der Konsum verschoben werden).

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Was man in jedem Fall durch Verzicht auf Gegenwartskonsum erlangt, ist der Zuwachs an ökonomischer Sicherheit und Entscheidungsfreiheit.

Auch noch aus einem zweiten Grund erscheint es angemessen, bei der Einkommensbesteuerung das gesamte Periodeneinkommen zur Grundlage der Besteuerung zu machen: Man sollte die Steuerbelastung nicht abhängig machen von den Präferenzen und den präferenzgemäßen Dispositionen des Steuerpflichtigen. Wenn eine bestimmte Einkommensverwendungsart zu einer steuerlichen Entlastung führt, so erhalten diejenigen einen Vorteil, die eine starke Präferenz zugunsten der betreffenden Einkommensverwendung aufweisen. Da diese Einkommensverwendung „verbilligt" wird, wird auch generell vermehrt zu ihren Gunsten entschieden. Nur wenn die Steuerbela- stung auf der Basis des Gesamteinkommens erfolgt und die Aufteilung in Gegenwartskonsum und Ersparnisbildung irrelevant bleibt, kommt es zu einer präferenzunabhängigen Besteuerung und zu einer Vermeidung der, , »Ausweichtendenz4 ' .

Ci

O D A o

Abb. 1

In Abb. 1 sind diese Zusammenhänge schematisch dargestellt. Die Ge- rade AB gibt an, wie ein Einkommen vor Steuer Y = O A = OB auf Gegen- wartskonsum C (senkrechte Achse) und Ersparnis S (waagrechte Achse) auf- geteilt werden kann. Ein wenig an Sparen interessierter, „kurzfristig" denken- der Einkommensempfänger würde ohne Steuerbelastung den Punkt Kj (Be- rührungspunkt mit der ,, Versorgungsindifferenzlinie'

' vom höchsten erreich- baren Niveau) realisieren. Ein langfristig denkender, an Sparen sehr stark in- teressierter Einkommensempfänger würde sich für den Punkt Lt entscheiden. Wird das gesamte Einkommen besteuert, so kommt es zu einer Reduktion auf das verfügbare Einkommen OD = OE ; die möglichen Dispositionspunkte liegen also auf der Geraden DE, die parallel zu AB verläuft. Der konsumfreu- dige Einkommensbezieher entscheidet sich auf Grund seiner im Verlauf der Indifferenzlinien zum Ausdruck kommenden Präferenzen für Punkt K2, der

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Sparfreudige wählt den Punkt L2. Es ist vereinfachend angenommen, daß die Einkommensreduktion durch die Steuer die Kelation von Konsum zu Er- sparnis in beiden Fällen unverändert läßt (Kj und K2 bzw. Lt und L2 liegen auf dem gleichen Fahrstrahl). Wird nur das konsumierte Einkommen be- steuert, so kommt es bei ausschließlicher Einkommensverwendung zugunsten der Ersparnis zu keiner Reduktion, bei ausschließlich konsumtiver Verwen- dung zur Reduktion BF, die möglichen C/S-Kombinationen nach Steuer lie- gen also auf der Geraden AF12. Die Position des konsumfreudigen Einkom- mensempfängers verschlechtert sich, er kommt auf Punkt K3 zu liegen. Der sparfreudige Einkommensempfänger stellt sich dagegen besser: Sein neuer Berührungspunkt L3 liegt auf einer Indifferenzlinie, die oberhalb der durch L2 gehenden Indifferenzlinie verläuft. Gleichzeitig zeigt es sich, daß beide Einkommensempfänger ihre Aufteilung zugunsten der Ersparnis ändern: So- wohl der Punkt K3 wie der Punkt L3 liegen auf Fahrstrahlen (Vektoren), die flacher verlaufen als diejenigen für die Punkte Kx und K2 bzw. Lx und L2.

Die unterschiedlichen Präferenzen entscheiden über die Höhe der Steuer- belastung, die bei gleichem Einkommen einheitlich sein sollte. Es ergibt sich außerdem eine Umdisposition zugunsten der Ersparnis, weil diese als steuer- frei verbilligt wird. Stoßen beide Arten der Bedürfnisbefriedigung auf die gleiche Steuerbelastung, so kommt es zu keiner ,, Steueraus weich4 '-Substitu- tion.

Werden nun auf Grund der vorstehenden Überlegungen gesparte Ein- kommensteile genauso besteuert wie konsumierte, so bedeutet dies, daß sich der Sparer die Vorteile, die ihm die Ersparnis- (Vermögens-)bildung verschafft und die ihm Bedürfnisbefriedigung gewähren, mit „versteuertem Geld" erwer- ben muß. Es drängt sich also unweigerlich die Frage auf, ob neben der (selbst- verständlich notwendigen) späteren Besteuerung der Vermögenserträge noch eine Dauerbelastung des selbst ersparten Vermögens gerechtfertigt werden kann wegen der Vorteile, die der Vermögensbesitz gewährt. Diese Vorteile erwirbt der Sparer unter - vielleicht sehr schwer fallendem - Verzicht auf Gegenwartskonsum, weil sie ihm so wichtig sind, daß er sich für die Ersparnis entscheidet. Den Erwerb dei Vorteile rechnet man ihm als Bedürfnisbefriedi- gung an, obgleich kein Konsum vorliegt, an den man ja zunächst denkt, wenn es um Bedürfnisbefriedigung geht. Obwohl man unterstellt, daß er mit seiner Entscheidung zugunsten einer bestimmten Sparquote seine Bedürfnisbefrie- digung maximiert, darf nicht übersehen werden, daß jede Ersparnis eine Ver- ringerung des Gegenwartskonsums bedeutet. Vergleicht man einen Sparer mit einem Nur-Konsumenten von gleichem Einkommen, so kann man sagen, die beiden erreichen bei unterschiedlicher Verwendung ihres Einkommens das gleiche Bedürfnisbefriedigungsniveau, doch besteht eben ein Unterschied insofern, als der Sparer im Umfang der Ersparnis statt Gegenwartskonsum Vermögensvorteile erhält. Beim Nur-Konsumenten gibt es lediglich die Steuerbelastung in der Einkommensperiode, eine „Nachbelastung" scheidet

12 Der auf das konsumierte Einkommen angewandte Steuersatz wird hier als höher angenommen als der Steuersatz, der auf das Gesamteinkommen anzuwenden wäre, was aber keineswegs so sein muß.

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aus. Mit vollem Kecht kann der Sparer verlangen, daß auch bei ihm eine Nachbelastung nicht in Frage komme, denn für den Erwerb der Vorteile aus Vermögen sei er ja bereits belastet. Die Vorteile sind, um dies nochmals zu sagen, mit Gegenwartskonsum bezahlt und trotzdem besteuert worden, da ihr Erwerb als Bedürfnisbefriedigung rechnet 13. Eine Gleichbehandlung des Nur- Konsumenten und des Sparers dürfte nur dann gegeben sein, wenn auch für den Sparer die ,, Steuerrechnung" nach Entrichtung der Einkommensteuer abgeschlossen ist. Spätere Vermögenserträge sind als Bestandteil des Perio- deneinkommens - wie schon mehrfach betont - zu versteuern. Es ist aber nicht berechtigt, die erworbenen Vorteile als permanenten zusätzlichen Be- steuerungsgrund zu betrachten.

Der Konsumverzicht, der bei der Ersparnis die Kehrseite der Medaille ist, spielt nun allerdings keineswegs immer die gleiche Eolle. Bei niedrigen Einkommen wird oft der kleinste Konsumverzicht recht schwer fallen, und man wird sich nur zugunsten einer Ersparnis entscheiden, wenn ein sehr starkes Bedürfnis nach wirtschaftlicher Sicherheit vorhanden ist, das hier ganz im Vordergrund stehen dürfte. Je stärker die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung ausgebaut sind und Zwangsbeiträge geleistet werden müs- sen, desto weniger wird das Sicherheitsbedürfnis zu freiwilligem Sparen drän- gen. Von einer bestimmten Einkommenshöhe ab werden die anderen Vor- teile, die man sich aus Vermögensbesitz verspricht, zum Zuge kommen. Aber auch noch in mittleren Einkommensbereichen wird sehr genau erwogen wer- den, wie weit man mit dem Sparen gehen soll in Anbetracht der mit ihm ver- bundenen Kürzung des Gegenwartskonsums. Anders sieht es in den hohen und sehr hohen Einkommensregionen aus. Von einer bestimmten Einkom- menshöhe ab kann man annähernd damit rechnen, daß die Einkommen über- wiegend gespart werden, weil die Erhöhung der Konsumausgaben nur noch in verhältnismäßig engen Grenzen sinnvoll möglich ist. Natürlich gibt es auch in solchen Bereichen Verschwender, die von der Hand in den Mund leben, doch ist dieser Fall atypisch. Der Gegenwartskonsum im strengen Sinn, also unter Ausschluß der Anschaffung dauerhafter Konsumgüter, stößt zwar kei- neswegs an absolute Grenzen ; so können etwa in beliebigem Umfang Bedien- stete gehalten, Festlichkeiten veranstaltet werden und dergleichen mehr, doch wahrscheinlicher ist eine überwiegende Einkommensverwendung, die in irgendeiner Form mit Vermögensbildung verbunden ist. Wenn nicht gerade eine Sammlerleidenschaft vorliegt, der beliebig gefrönt werden kann, was zur Anschaffung kostbarer Gebrauchsvermögenswerte führt, wird das erwerbs- wirtschaftlich nutzbare Vermögen vergrößert. Man kann ohne wesentliche Übertreibung sagen, daß bei sehr hohen Einkommen die Ersparnis „automa- tisch" anfällt, daß es also kaum mehr Sinn hat, von einem Konsumverzicht zu sprechen. Kann man nun hieraus die Konsequenz ziehen, die durch die automatische Ersparnis erworbenen Vermögensvorteile seien, obwohl die Ersparnis besteuert wird, und zwar angesichts der Einkommensteuerprogres- sion sehr hoch, später vermögensteuerlich zu belasten, weil es sich um eine Vermögensbildung ohne Anstrengung, ohne spürbares Opfer handle?

13 Siehe hierzu H. Haller: aaO., S. 43.

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Zweifellos bestellt ein gravierender Unterschied zwischen einem Sparen, das mit einem spürbaren Zurückdrängen des Gegenwartskonsums verbunden ist (als Grenzfall drastisch umschrieben mit „Vom-Mund-Absparen"), und einem solchen, das sich wegen völliger konsumtiver Sättigung von selbst er- gibt als einzig sinnvolle Möglichkeit der Einkommensverwendung und Be- dürfnisbefriedigung. Wenn das „Verdienst" der Sparenden nur darin besteht, kein Prasser oder Verschwender zu sein, kann man eben nicht mehr sagen, daß zugunsten der Esparnis irgendetwas geopfert wird. Die Vermögensbildung ist dann die einzige Form der aus dem Einkommen noch möglichen Bedürfnis- befriedigung. Einkommen von der Höhe, bei der „automatisches" Sparen auftritt, werden überwiegend aus Vermögensverwertung stammen, die Vor- teile aus dem Vermögenseigentum vermehren sich also gewissermaßen von selbst. Damit aber nähert sich dieser Fall demjenigen stark an, in dem Ver- mögen durch Erbschaft, Schenkung usw. zufließt. Den Vermögenszugang kann man auch betrachten als „mühelos" oder „unverdient". Zwar werden auch hier die gesparten Einkommensteile versteuert, die zusätzlich erworbe- nen Vermögensvorteile werden also mit „versteuertem Geld gekauft", doch es bleibt immer der entscheidende Unterschied zum „mühevollen" Sparen, daß man zur Erlangung der Vorteile auf nichts verzichtet hat. Aus diesem Grund kann man die Konsequenz ziehen, daß trotz Besteuerung der Vermögens- bildung eine permanente Steuerbelastung des Vermögens selbst in Anbetracht der mit dem Vermögen verbundenen Vorteile in diesem Fall angemessen ist14. Es soll nicht verkannt werden, daß auch bei sehr hohen Einkommen Spai zwänge auftreten können. So kann z.B. ein Unternehmer mit einem Mil- lionengewinn jahrelang auf die Erhöhung seines persönlichen Lebensstan- dards verzichten müssen, weil die technische Entwicklung ihn zu hohen Inve- stitionen zwingt. Würde er sie unterlassen, so würde er durch die Konkurrenz ausgeschaltet. Ein solcher Unternehmer könnte sich jedoch dem konkreten Zwang entziehen, indem er sein Vermögen anders anlegen würde. Fälle dieser Art ändern nichts an der grundsätzlichen Beurteilung der Vermögensbildung aus sehr hohen Einkommen. Generell wird davon gesprochen werden können, daß sich die Vermögensvermehrung mehr oder weniger von selbst ergibt, ähn- lich wie bei Erbschaften usw.

Bisher sind wir davon ausgegangen, daß gesparte Einkommensteile -

systemgerecht - bei der Einkommensteuer mit versteuert werden müssen. Dies trifft nun in der Kegel nicht vollständig zu. Es gibt Steuerfreiheit für staatlich angeordnete „Zwangsersparnisse" zugunsten späterer Versorgungs- ansprüche, und es gibt in einer Reihe von Ländern in beschränktem Rahmen Abzugsmöglichkeiten für freiwillige Ersparnisse in verschiedenen Formen für „Vorsorgezwecke". Daß im ersten Fall Steuerfreiheit angemessen ist, wurde bereits erwähnt. Die Entstehung der Versorgungsansprüche ist auch nicht identisch mit Vermögensbildung, obwohl eine Versorgungssicherung gegeben ist. Bei der Begünstigung der freiwilligen Ersparnisse ist der Rahmen in der

14 Würde es bei der Einkommensbesteuerung keinen „Plafond" geben, würde also die Progression unbegrenzt weiter gehen, so würden allerdings die zuwachsenden Vermögensvorteile steuerlich so teuer „erkauft", daß eine nachträgliche vermögen- steuerliche Belastung nicht angebracht erschiene.

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Regel so eng gezogen, daß man kaum sagen kann, die Einbeziehung der Er- sparnis in die Einkommensbesteuerung werde wesentlich durchlöchert. (Es soll hier nicht auf Einzelheiten der Regelungen eingegangen werden, auch nicht für die Bundesrepublik.) Schließlich gibt es noch Sparförderung durch Prämiengewährung für einkommensschwache Schichten in relativ engen Grenzen. Auch diese Begünstigung des „Schwerstsparens" kann nicht als gra- vierende Durchbrechung der prinzipiellen steuerlichen Behandlung der Er- sparnis betrachtet werden.

Nun gibt es aber noch einen anderen Punkt, der in diesem Zusammen- hang zu beachten ist. In denjenigen Ländern, die eine generelle indirekte Steuer in Form der Mehrwertsteuer erheben, ist diese Steuer als Verbrauch- steuer gestaltet. Die Investitionsgüter sind nur formell in die Besteuerung einbezogen, die für sie entrichtete Mehrwertsteuer kann in der Anschaffungs- periode voll als Vorsteuer abgezogen werden, so daß die Nettoinvestition un- belastet bleibt. Dies hat zur Folge, daß im Rahmen der indirekten Besteue- rung diejenigen Einkommensteile, die für die Investitionsfinanzierung ver- wendet werden, keiner Belastung unterliegen. "Während die für (kurz- und langlebige) Konsumgüter ausgegebenen Einkommensteile auf steuerbelastete Güter stoßen, so daß man real für sein Geld weniger erhält, ist dies bei den für Investitionsgüter verwendeten Einkommensteilen nicht der Fall. Den Haupt- vorteil aus dieser Teilentlastung haben die ihre Gewinne für Investitionen ver- wendenden Unternehmer, also (bei typisierender Betrachtung) die Bezieher hoher Einkommen. Für die Geld- und Wertpapiersparer kann sich allerdings auch ein Vorteil ergeben in Form eines höheren Zins-(Dividenden-)ertrags. Sparer, die Gebrauchsvermögen anschaffen, profitieren dagegen nichts. Ge- nerell kann man sagen, daß das Sparen aus hohen Einkommen, das mit zu- nehmender Einkommenshöhe zum automatischen Sparen hin tendiert, im Rahmen der indirekten Besteuerung am meisten verschont wird. Welches Gewicht dieser „indirekten Steuerbefreiung der Ersparnis" zukommt, hängt von der Relation zwischen Einkommensbesteuerung und Mehrwertbesteue- rung ab. Liegt der Schwerpunkt bei der Mehrwertsteuer, was für gewisse Län- der gilt, so macht sich die Entlastung auch bei starker Einkommensteuerpro- gression deutlich bemerkbar.

Als Fazit unserer Überlegungen zur Berechtigung der Vermögensteuer für den Fall der Vermögensbildung aus Ersparnis kann festgehalten werden, daß bei prinzipieller Einbeziehung der gesparten Einkommensteile in die Ein- kommensbesteuerung eine Besteuerung des gebildeten Vermögens wegen der sich aus Vermögensbesitz ergebenden Vorteile dann nicht angebracht er- scheint, wenn es sich bei der Ersparnis um echten Konsumverzicht handelt. Mit der einkommensteuerlichen Belastung solcher Ersparnis sind die erwor- benen Vorteile als Bedürfnisbefriedigung in der Sparperiode bereits besteu- ert. Bei Ersparnisbildung aus sehr hohen Einkommen, die sich mangels weite- rer Ausdehnungsfähigkeit konsumtiver Einkommensnutzung „automatisch" ergibt, erscheint dagegen die Besteuerung des gebildeten Vermögens ange- bracht. Dies besonders auch noch unter Berücksichtigung der Vorteile im Rahmen der indirekten Besteuerung. Auf die zu ziehenden Konsequenzen wird noch zurückzukommen sein.

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Zu b): Wenn jemandem Vermögen durch Erbschaft oder Schenkung zu- fließt, so sind die Vorteile, die der Vermögenszugang vermittelt, nicht durch Konsumverzicht erkauft; dieser schon früher erwähnte Grundtatbestand muß zunächst noch einmal hervorgehoben werden. Wird keine Erbschaft- steuer erhoben- auch diesen Fall gibt es gelegentlich noch -, so geht das Ver- mögen ungeschmälert an den Erben mitsamt den Vermögensvorteilen (Ent- sprechendes gilt beim Fehlen einer Schenkungsteuer für den Beschenkten). Besteht die Erbschaftsteuer in einer Nachlaßsteuer (die als Ersatz für eine Vermögensteuer erhoben werden mag), so geht zwar das Vermögen geschmä- lert an den (die) Erben, doch wird nicht der Empfänger nach Maßgabe des ihm zugegangenen Vermögens belastet. Er erhält einfach weniger, doch was er erhält, wird nicht durch eine Steuer geschmälert. In diesen Fällen kann man eindeutig sagen, das Vermögen fließe ohne jedes vorausgegangene Opfer (Konsumverzicht) und ohne jede Steuerbelastung zu. Hieraus kann die Kon- sequenz gezogen werden, daß die sich aus den Vermögensvorteilen ergebende zusätzliche Leistungsfähigkeit - bei gleichzeitiger laufender Besteuerung der Vermögenserträge - zur Grundlage einer Vermögensteuerbelastung zu machen ist.

Wird eine Erbanfallsteuer erhoben, so hängt die Bewertung der vorge- nommenen Besteuerung im Zusammenhang mit unserer Fragestellung von der Interpretation der Erbanfallsteuer ab. Man mag sich auf den Standpunkt stellen, der Sachverhalt sei der gleiche wie bei der Erhebung einer Nachlaß- steuer, entscheidend sei nur, daß dem Erben ein bestimmtes Nettovermögen (Vermögen nach Abzug der Steuer) zufließe. Man fragt dann nicht nach dem Sinn der gestaffelten Steuerbelastung und der Steuererhebung beim Erben. Es zählt nur, daß ein bestimmtes Nettovermögen zugegangen ist. Man macht sich die Betrachtung hierbei aber doch etwas zu einfach, denn die Steuer- erhebung beim Erben und die Staffelung nach der Höhe des Erbes (zu dieser kommt noch eine solche nach dem Verwandtschaftsgrad hinzu, die aber hier vernachlässigt werden soll) wird ja nicht von ungefähr vorgenommen. Es gibt außerdem Freibeträge, die bei naher Verwandtschaft oft sehr erheblich sind. Ohne daß die ganze nicht unkomplizierte Problematik der Erbanfallbesteue- rung aufgerollt wird, kann gesagt werden, daß die Belastungsstaffelung für die vom Erben erhobene Steuer im wesentlichen auf dem Leistungsfähigkeits- gedanken beruht. Der Zugang des Erbes wird als Entstehung einer Leistungs- fähigkeit sui generis interpretiert ; entsprechend wird eine Besteuerung beim Erben mit speziellen Freibeträgen und einem Progressionstarif besonderer Prägung vorgenommen, wobei davon ausgegangen wird, daß ähnlich wie beim Einkommen auf diese Weise ein bei unterschiedlichen Erbschaftshöhen etwa gleich belastendes ,, Steueropfer" erreicht werde. Betrachtet man die Dinge so, dann kann man sagen, die durch die Erbschaft zufallenden Ver- mögensvorteile seien in gewisser Weise auch steuerlich „bezahlt", oder anders ausgedrückt, man erhalte sie nicht unbesteuert. Es bleibt aber dann immer noch der Tatbestand, daß man zu den Vorteilen gekommen ist ohne jeglichen Konsumverzicht. Es wächst einem ohne vorausgegangene eigene Bemühung ein „Bedürfnisbefriedigungspotential" (spätere Vermögenserträge, sonstige Vorteile aus dem Vermögen) zu, und auf diesen Zuwachs an Leistungsfähig-

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keit ist die Steuerbelastung gerichtet. Bei der Besteuerung gesparter Ein- kommensteile handelt es sich um die Belastung einer bestimmten Form der Nutzung eines vorhandenen „Bedürfnisbefriedigungspotentials". Indem die Ersparnis als Bedürfnisbefriedigungselement bewertet und demgemäß in die Steuerbelastung einbezogen wird, sind die durch sie erworbenen Vermögens- vorteile als definitiv belastet zu betrachten, eine spätere vermögensteuerliche Belastung erscheint also unangemessen. Beim Erbzugang wird zwar auch eine Steuer entrichtet, doch bleibt immer noch ein Nettozugang an Vermögen und damit eines „Leistungsfähigkeitspotentials", das nichts mit Bedürfnis- befriedigung verschaffender und daher besteuerter Nutzung eigenen Einkom- mens zu tun hat. Liegt eine gänzlich oder annähernd automatische Ersparnis vor, so ist allerdings, wie früher schon erwähnt, kaum mehr ein Unterschied zum Erbfall gegeben, und zwar deswegen nicht, weil die Vermögensvorteile praktisch ohne Opfer erlangt werden, was fast gleichbedeutend mit einem „unverdienten" Zuwachsen eines „Leistungsfähigkeitspotentials" ist. Zwar wird hier die Ersparnis auch als Element der Bedürfnisbefriedigung belastet, doch liegt, da der Konsum nicht mehr ausdehnungsfähig ist, ein Vermögens- zugang ohne jedes Opfer vor, die Steuerbelastung vermindert lediglich den Vermögenszuwachs. Man kann auch sagen, das Bedürfnisbefriedigungsopfer durch die Steuer ist verschwindend gering, so daß diese wirkt wie eine Erb- schaftsteuer beim Erbzugang.

Betrachtet man, was natürlich auch möglich ist und durch die sog. Rein- vermögenszugangstheorie nahegelegt wird, den Erbzugang als Einkommens- element, so kommt man zu der Konsequenz, daß die Leistungsfähigkeit im Sinne eines Bedürfnisbefriedigungspotentials, die sich aus dem laufenden Einkommen ergibt, durch diesen Einkommenszugang sprunghaft erhöht wird. Wollte man die Besteuerung einkommensteuerlich abwickeln, so müßte man zunächst eine zeitliche Verteilung vornehmen. Da das zugegangene Ver- mögen selbstverständlich auch konsumtiv genutzt, also aufgezehrt werden kann, wäre seine Konservierung als neuer Sparakt zu interpretieren. Die Be- steuerung des Vermögens im Rahmen der Einkommensbesteuerung erschiene dann als Belastung eines gesparten Einkommensteils oder, anders ausge- drückt, der Bedürfnisbefriedigung aus Ersparnis, genau wie bei der normalen Einkommensbesteuerung. Die Konsequenz für unsere Fragestellung wäre, daß eine Vermögensteuerbelastung zur Berücksichtigung der Vorteile aus Vermögensbesitz nicht angemessen erschiene, weil die Bedürfnisbefriedigung aus dem Sparakt bereits besteuert wäre, die ja gerade aus dem Erwerb dieser Vorteile resultiert.

Eine solche Betrachtung erscheint nicht akzeptabel. Würde man generell das Nicht- Aufzehren von Vermögen, also das Unterlassen eines Entsparens, als Sparakt betrachten, so wäre der Rechtfertigung der Vermögensteuer jeg- licher Boden entzogen. Gleichgültig, wie man zu den Vermögensvorteilen kommt, ob durch mühsames Sparen, automatisches Sparen, Erbschaft, Schenkung oder Wertsteigerung - wenn die Vermeidung von Entsparen schon Sparen bedeutet, so heißt das, daß man Periode für Periode für die Ver- mögensvorteile „zahlt", indem man nicht entspart. Die tiefgreifenden Unter- schiede hinsichtlich der Art und Weise, wie man zu Vermögen kommt, wür-

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den völlig verwischt. Wenn jemand ohne Sparen zu Vermögen kommt, so kann nicht so getan werden, als ob er gespart hätte15. Sicher wird des öfteren ein Erbe teilweise oder auch ganz aufgezehrt, mag es aus einer Notlage heraus oder aus Verschwendungssucht geschehen ; das ändert aber nichts daran, daß Vermögen zugegangen ist, das man nicht selbst gebildet hat. Es ist ein Unter- schied, ob man zusätzliches Einkommen erhält, das man vielleicht teilweise für Vermögensbildung verwendet, oder ob einem Vermögen zufällt, das ein anderer gebildet hat. Im zweiten Fall erhält man die Vermögensvorteile mit- geliefert und verschafft sie sich nicht erst dadurch, daß man das Vermögen nicht aufzehrt. Mit dem Aufzehren des Vermögens verschwinden die Vermö- gensvorteile und damit der Anlaß für eine Vermögensbesteuerung natürlich in jedem Fall. Für die Vermögensbesteuerung ist relevant, wie man zu dem Vermögen gelangt ist, ob durch „opfervolle" Ersparnis oder nicht. Bei der Erbschaft trifft das ,, nicht" zu, und die Besteuerung beim Zugang der Erb- schaft kann nicht so interpretiert werden, als ob es sich um eine Besteuerung selbst ersparten Vermögens handeln würde. Tatsächlich werden Erbschaften ja auch aus einer Reihe von Gründen nicht wie zusätzliche Einkommen be- steuert. Trotzdem erschien es notwendig, den theoretischen Fall der Einglie- derung von Erbschaften in die Einkommensbesteuerung in die Betrachtung einzubeziehen. Auch wenn man die Erbanfallsteuer nicht gleich einordnet wie eine Nachlaßsteuer, also das zugegangene Nettoerbe nicht nur als „un- verdienten" Vermögenszugang betrachtet, wird man sagen müssen, daß die Erbanfallsteuer nicht wie eine Einkommensteuer interpretiert werden kann. Es ist dann festzustellen, daß bei ererbtem Vermögen die Erfassung der er- worbenen Vermögensvorteile vermittelst einer Vermögensteuer prinzipiell richtig erscheint.

Zu c): Beim Vermögenszugang durch Wertsteigerung vorhandenen Ver- mögens, mit dem wir uns nun noch befassen müssen16, unterscheidet man bekanntlich zwischen Fällen mit realisierter (durch Verkauf geldmäßig aus- gewiesener) und solchen mit unrealisierter (nur auf Grund von Verkaufserlö- sen vergleichbarer Objekte vermuteter oder vom Vermögensertrag her be- rechneter) Wertsteigerung. Da nicht realisierte Wertsteigerungen wegen der enormen technischen Probleme, die sich ergeben, praktisch nirgends zur Grundlage einer Besteuerung gemacht werden - gegen eine solche Besteue- rung können auch grundsätzliche Einwände vorgebracht werden, die aber hier nicht zu erörtern sind -, ist eindeutig klar, daß die Vorteile aus dem ohne eigenes Hinzutun zugewachsenen Vermögen berechtigter Anlaß für eine ver- mögensteuerliche Belastung sind17. Es muß aber gleich darauf hingewiesen

15 Wir haben früher die Auffassung vertreten, Verzicht auf konsumtive Ver- wendung von Vermögen, das man nicht selbst erspart hat, sondern als Erbe oder Beschenkter empfangen, sei einer Ersparnisbildung gleichzustellen (siehe H. Haller : aaO., S. 43 und 347). An dieser Auffassung können wir nicht mehr festhalten.

16 Vgl. zur Problematik der steuerlichen Behandlung von Wertzuwächsen beim Vermögen unter spezieller Abstellung auf Grundvermögen Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Gutachten über Probleme und Lösungsmög- lichkeiten einer Bodenwertzuwachsbesteuerung, Schriftenreihe des Bundesministe- riums der Finanzen, Heft 22, Bonn 1976. 17 Auch wenn die Wertsteigerung auf besondere Tüchtigkeit des Vermögens-

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werden, daß die Erfassung der Wertsteigerung im Kahnien der Vermögens- besteuerung grundsätzlich die gleichen Probleme mit sich bringt wie bei einer unmittelbaren Wertzuwachs besteuerung (sei sie selbständig, sei sie in die Einkommensbesteuerung integriert). Die Vermögensbewertung kann nur in größeren Abständen vorgenommen werden, Wertzuwächse sind also keines- falls adäquat erfaßbar, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten der Wert- ermittlung.

Bei realisierten Wertzuwächsen ist festzustellen, daß sie generell nur bruchstückhaft und in einzelnen Ländern in sehr verschiedener Weise unmit- telbar (als zusätzliche Einkommen) einer Besteuerung unterworfen werden. Auch wenn man die realisierten Wertzuwächse als Einkommenselemente be- trachtet und sie mit einer Steuer belastet, erscheint eine vermögensteuerliche Belastung gerechtfertigt, solange das in Geld umgewandelte Vermögen be- stehen bleibt. Dies dürfte die Regel sein, und zwar wird das Vermögen nicht als reines Geldvermögen (Bankguthaben) gehalten, sondern in anderes Ver- mögen umgewandelt (Wertpapier-, Beteiligungs-, Realvermögen). Ebenso- wenig wie bei der Erbschaft kann man dieses Halten als Ersparnis (Verzicht auf Vermögensaufzehrung) interpretieren. Die Steuer stellt also nicht eine Belastung nicht-konsumtiver Einkommensverwendung dar, sondern ist ihrem Charakter nach mit der Erbanfallsteuer zu vergleichen. Der einfache Tatbestand ist, daß dem Vermögenseigentümer in Geld ausgewiesenes und damit exakt erfaßbares zusätzliches Vermögen zugeflossen ist und daß der Staat einen Teil davon als Steuer abzweigt. Der Rest bleibt dem Eigentümer als Zusatzvermögen, das er ohne Sparen erlangt hat. Mit der erhobenen Steuer werden nicht jene zusätzlichen Vermögensvorteile getroffen, die dem Sparer bei Einbeziehung der gesparten Einkommensteile in die Einkommens- besteuerung als Bedürfnisbefriedigungselement angerechnet werden. Der Fall ist somit gleich zu beurteilen wie derjenige einer Erbschaft oder Schenkung: Durch die Steuer werden die aus dem Vermögen nach Steuerabzug erwach- senden zusätzlichen Vermögensvorteile nicht ,, vorwegbelastet", eine ver- mögensteuerliche Belastung erscheint somit angemessen.

III

Die genauere Betrachtung der drei wesentlichen Arten, zu Vermögen zu gelangen, nämlich Ersparnisbildung, Erbschaft oder Schenkung sowie Wert- steigerung, führte uns zu folgenden Ergebnissen:

Bei normaler, d.h. auf echtem Konsumverzicht beruhender, Ersparnis sind die für eine Vermögensbesteuerung relevanten Vermögensvorteile be- reits in der Sparperiode als Bedürfnisbefriedigung aus Sparen (Erlangen die- ser Vorteile) voll versteuert, so daß eine vermögensteuerliche Dauerbelastung (Besteuerung des gebildeten Vermögens wegen dieser Vorteile) nicht ange-

eigentümers zurückgeht - gesteigerte Erträge führen zu einem höheren Ertragswert einer Unternehmung -, ist der Vermögenszugang doch von gänzlich anderer Art als derjenige durch Sparen, ergibt sich also insofern „ohne eigenes Hinzutun", außer- dem bleibt er als solcher unbesteuert.

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messen ist. Die Besteuerung der Vermögenserträge als Geld- oder Nutzungser- träge (bei letzteren, soweit technisch und aufwandmäßig möglich) ist immer erforderlich, weil das Periodeneinkommen als „Bedürfnisbefriedigungspoten- tial" stets voll heranzuziehen ist. Bei den Vermögensvorteilen, die hier nicht Anlaß für eine permanente Vermögensbesteuerung sind, handelt es sich darum, daß man eine zusätzliche Einkommensg'weZ/e zur Verfügung hat und noch einige weitere wesentliche, unter I dargelegte Positionsverbesserungen erfährt.

Liegt „automatische" Ersparnisbildung vor, so kann dagegen aus den oben dargelegten Gründen nicht mehr gesagt werden, die Mitbesteuerung der gesparten Einkommensteile im Rahmen der Einkommensteuer sei so zu wer- ten, daß eine vermögensteuerliche Dauerbelastung unangemessen sei. Die Steuer beeinträchtigt auch bei hoher Belastung den Konsumstandard in kei- ner Weise, sondern schmälert nur die Ersparnisbildung, die sich als einzig mögliche Form der Einkommens Verwendung zwangsläufig ergibt. Die Situa- tion ist damit kaum mehr verschieden von derjenigen, die bei einem Erbzu- gang gegeben ist. Wenn man auf gar nichts mehr verzichten muß zugunsten der Ersparnis, so belastet einen die Besteuerung der gesparten Einkommens- teile praktisch kaum mehr. Führt die Steuerbelastung noch zu einer gewissen Konsumreduktion, so muß man noch etwas opfern für den Erwerb der Ver- mögensvorteile.

Fließt einem Vermögen durch Erbschaft oder Schenkung zu, so kann man, um es so zu formulieren, die Erbschaft- (Schenkung-) Steuer aus dem Ver- mögen entrichten, ohne daß der Konsum (aus dem laufenden Einkommen) im geringsten tangiert wird. Der Netto- Vermögenszugang vermittelt Vermögens- vorteile, für deren Erlangung man praktisch kein Opfer erbracht hat. Durch die Entrichtung der Steuer verliert man zwar einen Teil des Vermögens, aber von Belastung einer nicht-konsumtiven Bedürfnisbefriedigung kann nicht die Rede sein. Die Konstruktion einer Ersparnis als Vermeidung der Ver- mögensaufzehrung ist gekünstelt. Auch hier erscheint, und zwar erst recht, eine Vermögensteuerbelastung angebracht.

Im Fall des Vermögenszugangs durch Wertsteigerung ist bei nicht reali- sierter Wertsteigerung angesichts des Fehlens einer Besteuerung von vorn- herein klar, daß eine Vermögensteuerbelastung der zuwachsenden Vermögens- werte angezeigt ist. Wieweit sie zu verwirklichen ist, ist allerdings eine offene Frage. Bei realisierten Wertsteigerungen ist eine gleiche Beurteilung am Platz wie bei Erbschaften oder Schenkungen, eine Vermögensteuerbelastung er- scheint also angemessen.

Kann man nun die Konsequenz ziehen, im Fall der Vermögensbildung auf Grund echten Konsumverzichts sei das gebildete Vermögen nicht ver- mögensteuerlich zu belasten, wohl aber bei Vermögensbildung vermittelst „automatischer" Ersparnis und bei den Vermögenszuflüssen durch Erbschaft, Schenkung und Wertsteigerung?

Man sieht sofort, daß eine solche Differenzierung praktisch nicht möglich ist. Man kann Vermögen für vermögensteuerliche Zwecke nicht nach der Art der Vermögensbildung bzw. des Vermögenszugangs klassifizieren und für bestimmte Kategorien eine Vermögensteuer erheben, für andere nicht. Es

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wäre auch völlig unmöglich anzugeben, in welchen Fällen wirklich „automa- tische" Ersparnis vorläge. Es ist demnach eine andere Lösung anzustreben, die die hier herausgearbeiteten Gesichtspunkte berücksichtigt. Eine solche ,,deus ex machina' '-Lösung dürfte darin bestehen, daß man bei Vermögen von einer beachtlichen Höbe ab eine Vermögensbesteuerung vornimmt, und zwar aus der Erwägung heraus, daß bei großen Vermögen diejenigen Arten der Vermögensbildung bzw. des Vermögenszugangs wesentlich beteiligt sind, bei deren Vorliegen eine Vermögensbesteuerung angemessen erscheint. Wenn ein großes Vermögen vorliegt, so kann angenommen werden, daß es nicht durch ausschließlichen Konsumverzicht im geschilderten Sinne gebildet wurde. Ein solcher mag beteiligt sein, inbesondere in der Anfangsphase der Vermögensbildung, doch man kommt durch ihn allein nicht zu einem großen Vermögen.

Man kann diese Lösung auch umgekehrt skizzieren und sagen, daß bei einer Vermögensteuer sehr hohe Freibeträge gewährt werden müssen, so daß Vermögen, die wirklich mit Konsumverzicht gebildet sind, ferner Vermögen, die auf kleinere Erbschaften und bescheidene Wertsteigerungen zurückgehen, außerhalb der Steuerbelastung bleiben.

Eine Vermögensteuerbelastung aller Vermögen mit geringen Freibeträ- gen läßt sich, dies dürften die vorgetragenen Überlegungen gezeigt haben, nicht befürworten. Ein Verzicht auf jede Vermögensbesteuerung erscheint ebensowenig angebracht. Die Schwierigkeit bei der hier vorgeschlagenen Lösung besteht natürlich darin, die richtige Grenzziehung zu finden, d.h. praktisch die hohen Freibeträge festzulegen, die gewährt werden sollten. Wie in so vielen Steuerfragen ist auch hier wieder zu sagen, daß die Entscheidung nur auf politischem Wege getroffen werden kann. Wissenschaftlich kann nicht ermittelt werden, von welcher Vermögenshöhe ab die Steuerbelastung einzusetzen hat. Es ist jedoch schon viel wert, wenn man sich klar darüber ist, daß die Freibeträge von ansehnlicher Höhe sein, d.h. weit über denjenigen Beträgen liegen sollten, die heute in der Regel gewährt werden. Nur so bekommt man die normalen Sparer aus der Steuerbelastung heraus, und diese Forde- rung muß, wenn die hier vorgetragenen Überlegungen richtig sind, gestellt werden.

IV

Nachdem die für die Rechtfertigung der Vermögensteuer relevant er- scheinenden grundsätzlichen Überlegungen angestellt und Konsequenzen hinsichtlich der Art einer als angemessen zu betrachtenden Vermögensbe- steuerung gezogen sind, soll nochmals auf die Bedeutung und steuerliche Be- rücksichtigung des ,, Freizeitvorteils" zurückgekommen werden, nicht zuletzt deswegen, weil wir selbst bisher die Meinung vertreten haben18, die Vermö- gensteuer sei im wesentlichen mit dem aus Vermögensbesitz resultierenden zusätzlichen Freizeitvorteil zu begründen. Die hier vorgetragenen Überle- gungen führten zu dem Ergebnis, daß der Vermögensbesitz als solcher neben anderen gewichtigen Vorteilen eine größere Entscheidungsfreiheit zugunsten

18 Siehe H. Haller: aaO., S. 346 ff.

16 Finanzarchiv N. F. 36 Heft 2

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der Freizeit verschafft, die bei großen Vermögen bis zum Freizeitmaximum reicht, daß sich aber eine zusätzliche Entscheidungsfreiheit auch aus einem aus qualifizierter Arbeit stammenden hohen Einkommen ergibt. In beiden Fällen kann jedoch nicht gesagt werden, in welchem Maße konkret zusätzliche Freizeit in Anspruch genommen wird. Ferner ist es wichtig zu berücksichti- gen, auf welche Weise man zu der größeren Entscheidungsfreiheit zugunsten der Freizeit gelangt. Wird Vermögen gebildet durch echten Konsumverzicht und verschafft man sich die für die Erzielung eines hohen Einkommens erfor- derliche Qualifikation durch Inkaufnahme beträchtlicher Ausbildungskosten, die entsprechenden Konsumverzicht erfordern, so ist die Situation anders als bei Vermögenszufluß ohne echtes Sparen und bei Qualifikation auf Grund an- geborener Begabung oder vermittels einer Ausbildung, deren Aufwand man nicht selbst trägt. Hat man sich die zusätzlichen Chancen mit eigenem ver- steuerten Einkommen verschafft, so ist eine nachfolgende permanente Be- steuerung nicht angebracht; bei Verschaffung durch Verbesserung der Quali- fikation hätte man hierfür auch keinerlei Ansatzpunkt, es sei denn, man würde zu einer „Fähigkeitsbesteuerung" übergehen, was wohl von niemand ernsthaft erwogen werden dürfte.

Würde bei der Einkommensbesteuerung die über das ,, Normalmaß" hinaus in Anspruch genommene Freizeit als Einkommenselement in die Be- messungsgrundlage einbezogen, so gäbe es, wie früher schon dargelegt, keinen Freizeitvorteil bei der Besteuerung. Bei gleichem sonstigen Einkommen hätte derjenige, der überdurchschnittliche Freizeit zur Verfügung hätte, also nicht normal lang arbeiten würde, mehr Steuer zu bezahlen, und jemand mit gerin- gerem Einkommen müßte bei entsprechender Anrechnung der zusätzlichen Freizeit eine gleich hohe Steuer entrichten, wenn das ,, Freizeiteinkommen" gerade der Differenz entspräche.

G

A.

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Abb. 2

In welcher Weise die Einbeziehung der Freizeit in die Berechnung des steuerlichen Einkommens gleiche Belastungsverhältnisse schafft und die Steuerbelastung unabhängig von der im Einzelfall vorliegenden Freizeit- präferenz macht, ist in Abb. 2 dargestellt. In waagrechter Richtung ist die Freizeit aufgetragen, und zwar nur von der „Normalfreizeit" N ab bis zum

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Freizeitmaximum M, in senkrechter Kichtung das bei der jeweiligen Freizeit erreichbare ,, gütermäßige" Einkommen G (die Werte sind wiederum nur für den Bereich N-M berücksichtigt). Unter der Annahme, daß jede Zeiteinheit (Stunde) gleich viel an gütermäßigem Einkommen bringt bzw. (als Freizeit) kostet, ergeben sich Geraden für die G/F-Kombinationen, die realisiert wer- den können. Die Personen A und C sollen nun beide auf der gleichen, relativ flach verlaufenden und ein entsprechend niedriges ,, Einkommenspotential" anzeigenden Geraden liegen, B und D auf einer steileren Geraden. Die Punkte A, C, B und D stellen die Berührungspunkte der Versorgungsindifferenzlinien, die das Versorgungsniveau einschließlich Freizeitnutzen angeben (für die Ver- sorgung gleichwertige G/F-Kombinationen), mit den Geraden dar, die die realisierbaren Kombinationen wiedergeben; sie sind also die Punkte der höchsten erreichbaren Bedürfnisbefriedigung. Für die Personen A und B lie- gen die Berührungspunkte A und B gerade so, daß sie eine Entscheidung zu- gunsten der Normalfreizeit anzeigen (sie befinden sich senkrecht über Punkt N). Die Punkte C und D für die Personen C und D zeigen an, daß zusätzliche Freizeit gewählt wird.

Vergleichen wir nun die Situation der Personen A und D, so sehen wir, daß das gütermäßige Einkommen beider gleich ist, daß jedoch D über zusätz- liche Freizeit im Umfang AD verfügt. Werden beide gleich besteuert, so wird D zu gering belastet, weil die Freizeit nicht bewertet wird. Wir sehen, daß D sein gütermäßiges Einkommen von AN auf BN ausdehnen könnte, wenn er gleich lange wie A und B, also „normal" arbeiten würde. Wird ihm ein güter- mäßiges Einkommen von AB, das er sich zugunsten der Freizeit entgehen läßt, zugerechnet, so ergibt sich für ihn die gleiche Steuerbelastung wie für B, der auf die zusätzliche Freizeit verzichtet. Diese Behandlung erscheint kor- rekt, denn er hat das gleiche „Einkommenspotential" wie B und nützt dies nur anders. Wenn er auf das gütermäßige Einkommen BA verzichtet, so ist ihm die zusätzliche Freizeit AD für die Bedürfnisbefriedigung wertvoller als das entgangene gütermäßige Einkommen.

Vergleichen wir die Situation der Personen A und C, so stellen wir fest, daß C ein niedrigeres gütermäßiges Einkommen hat als A, und zwar im Um- fang AC Besteuert man nur das gütermäßige Einkommen, so wird C geringer belastet als A. Rechnet man ihm dagegen das Einkommen AC zu, auf das er zugunsten der zusätzlichen Freizeit C'C verzichtet hat, so kommt er auf die gleiche Steuerbelastung, und dies erscheint auch wieder korrekt, weil er das gleiche „Einkommenspotential" besitzt wie A.

Nur wenn das bei normaler Arbeitszeit erreichbare gütermäßige Ein- kommen zur Bemessungsgrundlage gemacht wird, ergibt sich eine Steuerbe- lastung, die unabhängig ist von den Freizeitpräferenzen der einzelnen. Eine präferenzunabhängige, nur am „Potential" orientierte Besteuerung sollte aber immer angestrebt werden. Nur bei einer solchen Besteuerung gibt es keine Vorteile und kein „Ausweichen". Die Anpassung an die Situation nach der Besteuerung wird dann anders aussehen als bei ausschließlicher Belastung nach dem Maßstab des gütermäßigen Einkommens: Da die Freizeit nicht mehr durch Nicht-Besteuerung verbilligt ist, wird sie nur noch in reduziertem Umfang in Anspruch genommen.

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O M' A p

Abb. 3

Die Wirkung der beiden Besteuerungsarten wird noch deutlicher ersicht- lich, wenn die gleiche schematische Darstellung wie in Abb. 1 verwendet wird, wie dies in Abb. 3 der Fall ist. Es wird hier unterschieden zwischen ei- nem auf hohe gütermäßige Versorgung Bedachten (G) und einem ,, Freizeit- fanatiker" (F). Von den Versorgungspunkten ohne Steuer (G1 und Fx) gelan- gen die beiden bei ausschließlicher (proportionaler) Besteuerung des güter- mäßigen Einkommens auf die Punkte G3 und F3, während bsi gleichmäßiger Besteuerung des Güter- und des Freizeit-,, Bezugs" die Punkte G2 und F2 er- reicht werden. Man sieht wieder, daß die präferenzabhängige einseitige Be- steuerung den Freizeitliebhaber begünstigt. Bei dieser Besteuerung passen sich auch beide durch Übergang zu mehr Freizeit an. Zu bemerken ist noch, daß hier BO das gütermäßige Einkommen bei eben noch erträglicher Mini- malfreizeit darstellt, während OA die nicht erreichbare Maximalfreizeit wie- dergibt. Diese ist nicht erreichbar bei einseitiger Besteuerung des gütermäßi- gen Einkommens, weil ja eine bestimmte gütermäßige Mindestversorgung unerläßlich ist. Sie ist aber erst recht nicht erreichbar bei gleichmäßiger Be- steuerung des Gütereinkommens und der Freizeit, weil die Steuer MM' in je- dem Fall zu zahlen ist, so daß bereits wegen der (vom Ausmaß der Freizeit unabhängigen) Steuerzahlung auf die Freizeit menge M'A verzichtet werden muß, aber schließlich muß der Steuerzahler ja auch noch leben! Hier stoßen wir auf die öfters belächelte Konsequenz der die Freizeit miteinbeziehenden Besteuerung, daß das ,, dolce far niente" nicht mehr zugelassen wird.

Der Forderung nach Einbeziehung der Freizeit bei der Einkommens- foesteuerung in der angegebenen Weise kann die Steuerpraxis nicht nach- kommen, weil man bei der Berechnung des „entgangenen" Einkommens auf nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen würde. Man könnte wohl nur in wenigen Fällen eindeutige Aussagen darüber machen, um wieviel das Einkommen bei Verzicht auf zusätzliche Freizeit höher wäre. Das Problem ist auch deswegen äußerst kompliziert, weil die zusätzliche Freizeit nicht nur in Stunden gemessen werden kann. Wenn dem so ist, so sind natürlich die Vorteile, die man sich verschaffen kann durch Ausweitung des Entscheidungs-

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G

c .

o a F

Abb. 4

Spielraums zugunsten der Freizeit, größer, als sie es bei Mitbesteuerung der Freizeit wären. Verschafft man sich die Vorteile auf Grund eigenen Bemühens, d.h. durch Konsumverzicht zugunsten der Vermögensbildung oder der Ver- besserung der Arbeitsqualifikation, so wird trotzdem kein Anlaß bestehen, eine permanente Belastung vorzunehmen. Die Vorteile sind, um es nochmals zu sagen, mit besteuertem Geld zu Lasten des Konsums erkauft. Im Fall der Steigerung der Qualifikation wäre, wie erwähnt, auch gar keine Basis für eine Zusatzbelastung gegeben.

Zu diesem Fall ist aber nun noch zu bemerken, daß der Entscheidungs- spielraum prinzipiell nicht so stark ausgeweitet wird wie durch Vermögens- besitz, zumindest, soweit dieser ein beachtliches Ausmaß hat. Die Abb. 4 und 5 sollen diesen Unterschied deutlich machen. Beide Figuren zeigen mögliche G/F-Kombinationen vom Freizeitminimum bis zum Freizeitmaximum. Abb. 4 stellt den Fall der Einkommenserhöhung durch Verbesserung der Qualifika- tion dar. Ursprünglich sei die Gerade AB gegeben, nach der Qualifikations- erhöhung die Gerade AC. Die entsprechenden Geraden nach Steuer (bei ein- seitiger Besteuerung) seien AB' und AC. Nach der Erhöhung wird mehr Frei- zeit gewählt, wobei die Steuer den Vektor jeweils noch etwas zugunsten von F modifiziert. Der Freizeitzuwachs hält sich aber in Grenzen.

In Abb. 5 ist der Fall einer Einkommensverbesserung durch Vermögens- zugang wiedergegeben. Die ursprünglich vorliegende, die Sachgüter-Freizeit- Kombinationen aufweisende Gerade AB wird durch einen Vermögenszugang, der ein ohne jede Freizeiteinbuße erzielbares Vermögenseinkommen in Höhe von AC ermöglicht, parallel nach oben in die Position CD verschoben. Die entsprechenden Geraden nach Steuer sind AB' und CD' (der Abstand CC zeigt die aus dem Vermögenseinkommen zu entrichtende Steuer an). Hier ist schon in der Ausgangssituation eine etwas stärkere „Freizeitneigung" ange- nommen als im Fall der Abb. 4. Durch die unterstellte drastische Situations- verbesserung infolge Vermögenszugangs wird bewirkt, daß der Einkommens-

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G D

' o a F

Abb. 5

empfänger auf der C'D'-Geraden den Punkt C wählt, sich also für das Frei- zeitmaximum entscheidet. Der Entscheidungsspielraum ist hier so stark aus- geweitet, daß der Verzicht auf jede Erwerbsarbeit möglich ist. Bei ausschließ- lich qualifikationsbedingter Verbesserung der Lage ist diese Möglichkeit nicht gegeben.

Der in Abb. 5 festgehaltene Fall ist durchaus nicht unrealistisch. Er kann sich z.B. ergeben, wenn eine Person mit relativ bescheidenem Arbeitseinkom- men und beachtlicher Freizeitneigung ein großes Erbe empfängt. Der Fall der Abb. 4 dürfte dagegen kaum in Reinheit auftreten, weil nach der Einkom- menssteigerung das gütermäßige Einkommen höchstwahrscheinlich nicht voll für Gegenwartskonsum ausgegeben werden wird. Es kommt also die Vermö- gensbildung ins Spiel, zunächst auf Grund spürbaren Konsumverzichts, spä- ter vielleicht - bei weiter steigendem Einkommen - in Form immer ,, leichter" werdender, sich mehr und mehr auf das „Automatische" hinzubewegender Ersparnisbildung.

Die Möglichkeit, auf Erwerbsarbeit völlig zu verzichten, also das Frei- zeitmaximum in Anspruch zu nehmen, wäre im Fall der Abb. 5 auch noch ge- geben, wenn die Freizeit bei der Besteuerung miteinbezogen würde; es wäre dann nur der die Freizeit Wählende gegenüber einer Person mit gleichem - auch gleich aus vermögensmäßigen und qualifikationsbedingten Elementen zusammengesetztem - Einkommenspotential, die sich für normale oder gar extrem hohe Arbeitszeit entscheiden würde, nicht begünstigt. Die Mitberück- sichtigung von (überdurchschnittlicher) Freizeit bei der Einkommensbesteue- rung beseitigt also - dies zu erkennen ist entscheidend wichtig - die Vorzugs- position, die sich aus großem Vermögensbesitz ergibt, nicht. Die Erwerbsar- beit ist von einer bestimmten Höhe des Vermögens (und entsprechend des Vermögenseinkommens) an eine rein freiwillige Angelegenheit. Wird die über- durchschnittliche Freizeit mitbesteuert, so zahlt zwar der das Freizeitmaxi-

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mum Wählende gleich viel Steuer wie der voll Arbeitende, er erhält also kei- nen steuerlichen „Freizeitvorteü", doch bleibt der Vorteil, überhaupt das Freizeitmaximum (u.U. bei sehr hohem gütermäßigen Einkommen) wählen zu können. Dies ist nur dem möglich, der über entsprechendes Vermögen ver- fügt, nicht jedoch dem nur höher Qualifizierten ohne Vermögen.

Wir sind oben zu dem Ergebnis gekommen, eine Vermögensbesteuerung für hohe Vermögen sei angebracht, weil sich ein hohes Vermögen nicht allein aus „Konsumverzicht" bilden läßt und somit die Vorteile, die der Vermögens- besitz verschafft, in diesem Fall nicht unter Opfern aus versteuertem Einkom- men erworben worden sind, jedenfalls bei weitem nicht voll. Wir haben nun nochmals den speziellen Vorteil eines hohen Vermögens, den völligen Verzicht auf Erwerbsarbeit zu ermöglichen, präzisiert und haben dabei festgestellt, daß durch die Einbeziehung der Freizeit in die Einkommensbesteuerung an diesem Vorteil nichts geändert wird. Das Freizeitmaximum bleibt bei hohem Vermögen erreichbar, auch wenn zusätzliche Freizeit bei der Einkommensbe- steuerung als Einkommen gerechnet wird. Es wird dadurch nur eine steuer- liche Gleichbehandlung der „Bevorzugten" geschaffen; der an Erwerbsarbeit aus irgendwelchen Gründen Interessierte und sich daher für sie Entschei- dende wird nicht diskriminiert, mehr nicht. Daraus ist die Konsequenz zu ziehen, daß die (ja nicht realisierbare) Mitbesteuerung der zusätzlichen Frei- zeit gar keinen Ersatz darstellen könnte für eine Vermögensbesteuerung.

Da völlige Entscheidungsfreiheit im Hinblick auf Erwerbsarbeit bzw. Freizeitgenuß und nicht erwerbswirtschaftliche Betätigung erst bei einem relativ hohen Vermögen gegeben ist, kann man sagen, daß dieser Tatbestand ein zusätzliches Argument dafür liefert, eine Vermögensbesteuerung nur für Vermögen von einer bestimmten Höhe ab vorzunehmen. Bei kleineren Ver- mögen weitet sich der Entscheidungsspielraum für die Freizeit zwar aus, bei hohen Vermögen ist jedoch eine völlig neuartige Situation gegeben. Es liegt ein Unterschied qualitativer Art vor zwischen erweitertem Freizeitspielraum und der Möglichkeit, auf Erwerbsarbeit völlig zu verzichten, sich also unab- hängig von jeglichen wirtschaftlichen Erwägungen seinen Interessen zu wid- men.

Faktisch wird von dem bis zum Freizeitmaximum reichenden Potential in sehr unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht, doch darauf kommt es nicht an. Der voll Arbeitende ist wegen des Fehlens der ,, Freizeitbesteuerung" zwar benachteiligt gegenüber den anderen Eigentümern von entsprechend hohem Vermögen, er nimmt diese Benachteiligung jedoch freiwillig auf sich. Ist durch ein hohes Vermögenseinkommen bereits eine sehr auskömmliche Versorgung garantiert, so bedeutet ein Mehr an Freizeit, daß dafür kaum mehr ein spürbares Opfer (durch vermindertes gütermäßiges Einkommen) gebracht werden muß, und umgekehrt ist durch Freizeitverzicht kaum mehr eine spürbare Erhöhung des gütermäßig bedingten Lebensstandards zu errei- chen. Ob das Einkommen unter Einschluß oder unter Ausschluß der Freizeit besteuert wird, spielt keine wesentliche Rolle mehr.

Wenn hohes Vermögen vermögensteuerlich belastet wird, so wird der entscheidende Freizeitvorteil neben den anderen aus dem Vermögensbesitz fließenden Vorteilen zur Grundlage einer Steuerbelastung gemacht, wobei

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unterstellt wird, daß hohes Vermögen zumindest in einem erheblichen Grad nicht durch „eigene Anstrengung" im ausgeführten Sinn erworben wurde.

Zum Schluß sei erwähnt, daß man zur Begründung einer Vermögens- besteuerung natürlich sehr viel einfachere Argumente heranziehen kann als die hier ausgebreiteten. So kann man z. B. sagen: Wenn der Staat Privateigen- tum an Vermögen und entsprechende Vermögenseinkommen zuläßt, so steht es ihm frei, einen Teil des Vermögenseinkommens an sich zu ziehen über eine besondere Vermögensbesteuerung. Sieht man die Dinge so, so erscheinen die vorstehenden Überlegungen vielleicht spitzfindig. Wir sind davon ausgegan- gen, daß die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung privates Eigentum an Vermögen nicht als ein vom Staat gewährtes Privileg behandelt, für das man zu zahlen hat, daß vielmehr privates Eigentum einen selbstverständlichen Grundpfeiler jener Ordnung darstellt. Dann wird aber die stichhaltige Be- gründung einer Vermögensteuer schwierig, und man wird nicht darum herumkommen, so komplizierte Erwägungen anzustellen, wie sie hier vor- getragen worden sind.

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