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Gefangen in Zentral-City

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Nr. 181Gefangen in Zentral-CityDie wichtigsten Männer des Vereinten Imperiums - von Häschern gejagt!von William Voltz

Am 10. Mai des Jahres 2328 irdischer Zeitrechnung schließen Perry Rhodan, der Großadministrator desVereinten Imperiums der Menschheit, und seine galaktischen Verbündeten mit den völlig geschlagenen Bluesvom Planeten Gatas einen Friedensvertrag.Das Ende der galaxisweiten Auseinandersetzung mit den Gatasern bedeutet einen wichtigen Wendepunkt in derGeschichte aller Völker der Milchstraße, denn nun, da die gefährliche Bedrohung für den Bestand von PerryRhodans Galaktischer Allianz nicht mehr existiert, muß es sich erst erweisen, ob die G. A. auch inFriedenszeiten einen inneren Zusammenhalt besitzt. Perry Rhodan hat sich von dieser Allianz offensichtlichzuviel erhofft, denn kaum ist der galaktische Krieg beendet, da beginnen die Verbündeten ihre eigenenInteressen zu verfolgen. Wirren entstehen, und selbst Nachkommen von Terranern, die auf fremden Welten eineneue Heimat gefunden haben, beginnen sich aus dem Verband des Vereinten Imperiums zu lösen. Wiegefährlich die neue Lage ist, hat Atlan, der unsterbliche Arkonide, längst erkannt, als er behauptete, der größteGegner des Menschen sei der Mensch selbst!Perry Rhodan und seine Leute kommen jedoch nicht mehr dazu, sich rechtzeitig auf diese neue Situationeinzustellen. Die Plophoser, Abkömmlinge terranischer Kolonisten, vernichten das stolze Flaggschiff desSolaren Imperiums und überwältigen Perry Rhodan, Atlan, Reginald Bull, Melbar Kasom und Andre Noir.Die wichtigsten Männer des Imperiums sind somit aus dem galaktischen Geschehen ausgeschaltet -GEFANGEN IN ZENTRAL-CITY!

Die Hautpersonen des Romans:Perry Rhodan, Atlan, Reginald Bull, André Noir und Melbar Kasom - Die Gefangenen des Obmanns von Plophos.Al Jiggers - Ein gefährlicher Mann.Con Perton - Kommandant der PHOENIX.Iratio Hondro - Er nennt sich »Obmann« - doch er ist ein grausamer Diktator.Mackers - Gefängniswächter von Zentral-City.

Greendoor!Das ist das Dröhnen von Raumschiffstriebwerken,

das Summen von Lufttaxen, das Stampfen,Brummen, Pfeifen und Kreischen gewaltigerIndustrieanlagen, das Klirren gläserner Bauwerke,die von Roboterkolonnen in die Höhe getriebenwerden.

Das ist das Donnern und Zischen modernsterStraßenfahrzeuge, das Blinken und Glitzern einesunübersehbaren Meeres von Kontrolllampen, daspausenlose Tröpfeln und Schäumen in denausgedehnten Laboratorien.

Das ist das Hasten einer Masse von Menschen, istdas Knallen ihrer metallbeschlagenen Stiefelsohlenauf Stahl, Beton und Glas.

Greendoor!Das ist der brodelnde Atem der Hölle, ist ein

Dschungel aus Bäumen, Blumen, Lianen, Sträuchern,Gräsern und verfilztem Gestrüpp.

Das ist ein erbarmungsloser Kampf der Pflanzenuntereinander, ein Anstürmen der Natur gegen diesich immer weiter ausdehnende Niederlassung derPlophoser.

Greendoor!Hölle und Paradies zugleich. Schauplatz

menschlichen Triumphes und menschlicherNiedertracht. Ein wilder, schrecklicher Planet. EineWelt im Untergang und im Aufbruch, ein riesigesAmphitheater, in dessen weitem Rund Tod, Gewaltund Kampf die Hauptdarsteller sind.

1.

»Es gibt nur ein Spiel, das einen richtigen Mannbefriedigen kann: das Spiel mit menschlichenFiguren. Nur wenn man dieses Gefühluneingeschränkter Macht über die Mitmenschenerfahren hat, kann man von sich behaupten, gelebt zuhaben. Man muß die Menschen benutzen, sie anbestimmte Stellen schicken können, sie ganz nachihren Fähigkeiten einsetzen und ohne die geringstenSkrupel ihr Leben fordern, wenn es sein muß.«

»Ja«, sagte Plog und grinste einfältig. Auf seineneingefallenen Wangen erschien ein schwaches Rot -wie immer, wenn der Obmann mit ihm sprach.

»Du bist ein Narr, Plog«, sagte der Obmann. »Dubist der einzige Mann, der nicht ebenso nach Machtstrebt.«

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»Natürlich«, sagte Plog und schlug sich vorVergnügen auf die dürren Oberschenkel.

»Mit dir zu sprechen«, sagte der Obmann, »ist einbesonderes Vergnügen. Von dir weiß ich mitBestimmtheit, daß du mir nicht aus dem Bewußtseinheraus zustimmst, ein Widerspruch könnte dirgefährlich werden. Du bist der einzige meinerMänner, auf den ich mich vollkommen verlassenkann - aber du bist ein Idiot.«

Plog hüpfte durch die kleine Zentrale und schrievor Begeisterung. Sein gelber Umhang wirbeltehinter ihm her, denn er war viel zu schmächtig, umihn ausfüllen zu können.

»Wie alt bist du, Plog?« fragte der Obmann.Sofort wurde der Narr ruhig. Seine glanzlosen

Augen richteten sich aufden Obmann, als müßten siedie Antwort auf diese Frage im Gesicht desGegenübers ergründen.

»Hundert«, meinte Plog.»Nein«, sagte der Obmann.»Zweihundert«, sagte Plog.»Etwas über Dreißig«, berichtigte der Obmann.

»Und du hast nur noch fünf oder sechs Jahre zuleben, weil du krank bist.«

»Krank?« brüllte Plog. »Dreihundert Jahre krank.«»Sei still!« befahl der Obmann und wandte sich

den Kontrollen des kleinen Raumschiffes zu. »Ichmuß arbeiten.«

Kichernd zog sich Plog in eine Ecke zurück. Erwar nur 1,50 Meter groß und wog siebzig Pfund. Erwar dürr, krank und verrückt. Unter normalenUmständen wäre er bereits gestorben, aber derObmann ließ nichts unversucht, um das Leben desIdioten zu retten.

Plog war die einzige Schwäche des Obmanns.Kein Mensch konnte oft mit dem Obmann zusammensein, ohne nicht eine Giftinjektion zu erhalten, derenWirkung nach vier Wochen durch ein Gegengiftaufgehoben werden mußte, über das nur der Obmannverfügte. Plog bildete die einzige Ausnahme.

Iratio Hondro, Obmann und Ministerpräsident desEugaul-Systems, hielt sich für berufen, die MachtRhodans und des Vereinten Imperiums innerhalb derGalaxis zu brechen. Hondro war einer dergrausamsten Diktatoren, die die terranischeKolonisationsgeschichte erlebt hatte - darübertäuschte auch die Ansicht einiger seiner Anhängernicht hinweg, die in ihm einen demokratischenStaatsmann sahen. Hondro war alles andere alsdemokratisch. Hondro war der Alleinherrscher überdie Plophoser. Die Mittel, mit der er seine Herrschaftaufrechterhielt und festigte, waren verbrecherisch.

Hondro war 52 Jahre alt, mittelgroß, breit undwuchtig gebaut. Gekraustes Grauhaar bedeckteseinen eckigen Schädel.

»Wir haben den Verband bald erreicht«, sagte er

und wandte sich zu Plog um. »Perton wird uns wieein stolzer Flottenadmiral empfangen. Eines Tageswird dieser Bursche das Gegengift nicht erhalten, erist mir zu unsicher.«

»Pfft!« machte Plog und wies mit demausgestreckten Daumen auf den Boden.

*

Die Tür ging diesmal nicht mit einem Ruck auf, sieglitt nur langsam zur Seite, als sei der Eintretendenicht in der Lage, sie schnell zu öffnen. Ihr Wächterhatte die Eigenart, die Tür aufzustoßen.

Der Mann, der zu ihnen hereinkam, war ConPerton, der Kommandant des zwanzig Schiffe starkenplophosischen Verbandes.

»Wie ich hörte, haben Sie versucht, den Wächtermit Hilfe Ihrer paranormalen Begabung zubeeinflussen«, wandte er sich an Andre Noir, denHypno-Mutanten.

»Ist er aus Stein?« erkundigte sich Noirgleichgültig.

Perton lächelte. »Ich bewundere dieses Anzeichenvon Humor in Ihrer Situation«, sagte er. »Seien Sieversichert, daß wir von Anfang an alle Vorkehrungengetroffen haben, um Ihre Psi-Kräfte auszuschalten.«

Noir gab dem Plophoser keine Antwort. Er blicktedurch ihn hindurch. Perton wandte sich an Rhodan,der mit Atlan am kleinen Tisch in der Mitte desRaumes saß. Kasom lag wie üblich am Boden, Bullyund Noir in den Betten.

Der riesenhafte Ertruser knüpfte eineFünfliterflasche vom Gürtel seiner Kombination,setzte sie an die Lippen, trank, schnaufte laut undrülpste.

Perton errötete, verkniff sich aber eine Bemerkung.Er hatte schon herausgefunden, daß ihn der Rieseprovozieren wollte. Am Anfang hatte er mit demGedanken gespielt, Kasom die Flasche mit Alkoholabzunehmen, doch da er sich nicht vorstellen konnte,daß eines der Besatzungsmitglieder diesem Auftragnachgekommen wäre, ohne den Ertruser vorher miteinem Paralysator zu betäuben, hatte er denGefangenen im Besitz der Flasche gelassen.

»In einigen Minuten haben wir die Ehre, denObmann an Bord der PHOENIX zu begrüßen«, sagtePerton zu Rhodan. »Die Nachricht über IhreGefangennahme hat ihn sehr erfreut. Er wirdpersönlich über Ihr weiteres Schicksal entscheiden.«

»Wird er mit uns sprechen?« fragte Atlan.»Natürlich«, sagte Perton. »Geben Sie sich jedoch

nicht der Hoffnung hin, ihn überrumpeln zu können.Seine Leibwache wird jeden noch so geschicktenVersuch vereiteln.«

»Vielleicht stellt er noch gute Männer ein«, meinteKasom.

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Perton schaute ihn gereizt an, sagte jedoch nichts.Rhodan spürte, daß der plophosische Kommandant

vor dem sogenannten Obmann Furcht hatte.Wahrscheinlich war sich Perton dieses Gefühls nichtbewußt, aber Rhodans wachsamen Augen entgingnichts. Das Zucken der Augenbrauen, dasHochziehen der Lippen, alles deutete auf diezunehmende Nervosität Pertons hin. Perton schiensich zwar geehrt zu fühlen, aber er wünschte sichwahrscheinlich im geheimen, daß der Obmann vieleLichtjahre von ihm entfernt bleiben möge.

»Ich möchte, daß Sie sich bereit halten«, sagtePerton. »Vergessen Sie nicht, daß Sie noch einigeZeit an Bord dieses Schiffes sein werden. Es hängtvon Ihnen ab, ob diese Zeit einigermaßen erträglichsein wird oder nicht.«

Rhodan verstand den tieferen Sinn dieser Wortegenau. Es war absurd, aber Perton befürchtete, daß erdurch irgendeine Bemerkung der Gefangenen beimObmann in Mißkredit geraten könnte. Diese Furchtbewog ihn, den Männern einen ebenso unsinnigenwie einseitigen Handel vorzuschlagen.

»Wir sind bereit, den Obmann zu empfangen«,erklärte Kasom. »Wir werden ein Schild mit unserenBesuchszeiten vor die Tür hängen.«

Einen Augenblick schien es so, als würde Pertonden größten Fehler seines Lebens begehen und sichunbewaffnet in die Nähe von Kasoms Riesenfäustewagen, doch er beherrschte sich und verließ dieKabine. Diesmal knallte die Tür hinter ihm zu.

»Ach«, meinte Kasom grinsend und tätschelte dieFünfliterflasche. »Dieses Fläschchen ist wirklich daseinzig Angenehme an Bord.«

»Hören Sie auf zu trinken, Kasom!« ordnete Atlanan. »Wenn dieser Obmann hier auftaucht, werden wireinen klaren Kopf benötigen.«

»Denken Sie, diese drei Tropfen machen michblau, Sir?« fragte Kasom beleidigt.

Sie lachten, bis Rhodans Stimme das Gelächterunterbrach.

»Bisher sah es so aus, als wollten uns diePlophoser aus irgendeinem Grund am Lebenerhalten«, sagte er. »Jetzt habe ich eine andereTheorie.«

»Wir sollen getötet werden«, vermutete Bullydeprimiert.

»Das steht nicht fest«, erwiderte Rhodan. »DerObmann wird darüber entscheiden. Perton hattelediglich den Befehl, uns festzusetzen. Alles anderebleibt dem Anführer der Plophoser überlassen. Alsokommt alles darauf an, wie unsere Begegnung mitihm verläuft.«

Da sie den Obmann nicht kannten, war esschwierig, einen Plan für ihr weiteres Vorgehen zuschmieden. Alles hing davon ab, was für ein Menschdieser Obmann war.

Je intelligenter und besessener dieser Plophoserwar, desto schwieriger mußte es sein, mit ihm einenHandel abzuschließen. Rhodan konnte nichtvorhersagen, ob es überhaupt möglich war, denObmann einzuschüchtern. Drohungen mochten ihnunsicher machen, sie konnten aber auch bewirken,daß er eine Hinrichtung der Gefangenen veranlaßte.

Deshalb konnten sie sich erst dann über ihrVerhalten gegenüber dem Obmann einigen, wenn sieihn gesehen und gesprochen hatten.

Dann konnte es allerdings bereits zu spät sein.»Ich glaube nicht, daß er mit sich handeln lassen

wird«, sagte Atlan. »Schließlich ist er terranischerAbstammung. Ich weiß aus langjähriger Erfahrung,daß ein entschlossener Terraner selten von seinemVorhaben abgeht. Wenn der Obmann alsobeschlossen haben sollte, uns zu töten, wird er es tun,ganz gleich, was wir mit ihm sprechen.«

In ihr nachdenkliches Schweigen hinein erklangendie Schritte des Wächters vor der Tür. Gleich daraufwurde die Tür aufgerissen. Der Wächter kam herein,er richtete einen Paralysator auf die Gefangenen.

»Aufstehen!« rief er. »Sie kommen jetzt in dieZentrale.«

Rhodan schob den Stuhl ein Stück zurück underhob sich. »Es sieht so aus, als sei unser Freundbereits an Bord eingetroffen«, sagte er.

Dann stieg er über Kasom hinweg und ging aufden Ausgang zu.

*

Wie ein silberner Bleistift schoß das kleine Schiffdes Obmanns durch den Raum. Hier, imSternengewühl des Milchstraßenzentrums, war eineOrtung durch fremde Raumschiffe fast unmöglich.Die Störungen, die von den vielen Sonnen ausgingen,waren so stark, daß sogar der überdimensionaleRaum davon betroffen wurde.

Außer der kleinen Zentrale verfügte das Schiffnoch über einen Mannschaftsraum und eineTriebwerksstation. Im Mannschaftsraum hielt sichder größte Teil von Hondros Leibwache auf. Eswaren jahrelang geschulte Spezialisten, die demObmann auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren.Das lag weniger an ihrer Überzeugung als an derTatsache, daß auch sie in regelmäßigen Abständendie rettenden Gegeninjektionen erhalten mußten, diedas eingespritzte Gift unschädlich machten.

Zwei Mitglieder der Leibwache benötigten keinGegenmittel. Sie mußten auch kein Gift erhalten, umabhängig gemacht zu werden. Es warenKampfroboter mit besonderen Fähigkeiten. In ihrerWirkungskraft übertrafen sie alle Modelle desImperiums. Der Obmann sorgte dafür, daß seineKonstrukteure auf dem Gebiet der Robotik Phantasie

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entwickelten.Hondro hatte die Funkverbindung mit dem

plophosischen Verband aufgenommen. Er schaltetedas Lineartriebwerk aus und drang mit dem Schiff indas Normaluniversum ein. Mit sich ständigverringernder Geschwindigkeit näherte er sich denSchiffen, die im freien Fall durch den Raum flogen.

»Plog«, befahl er. »Gib den Leibwächtern dieAnweisung, daß sie sich bereit machen sollen. Mankann nicht vorsichtig genug sein. Auch das Betreteneigener Schiffe ist für einen mächtigen Manngefährlich.«

Plog schüttelte sich wie ein durchnäßter Hund undtanzte aus der Zentrale.

Die kräftigen Hände des Obmanns umschlossendie Steuerung. Bald würde ihn ein Traktorstrahl derPHOENIX erfassen und sicher zu dem großen Schiffbringen. Bei dem Gedanken an Perton mußte Hondrolächeln. Er konnte sich vorstellen, daß derRaumfahrer bereits jetzt nervös in der Zentrale derPHOENIX auf und ab ging.

Für Hondro war es ein wohltuender Gedanke, daßsein Name bei anderen Männern Furcht undUnsicherheit auslöste. Seit er seinen Vorgängergetötet und die Macht im Eugaul-Systemübernommen hatte, war er darauf bedacht gewesen,seine persönliche Sicherheit vor alle anderenProbleme zu stellen. Hondro war überzeugt davon,daß er die Plophoser für unbegrenzte Zeit regierenkonnte.

Diese Überzeugung resultierte jedoch nicht nur ausdem Bewußtsein seiner Macht.

Wenn Hondro nicht gewaltsam getötet wurde,konnte er ewig leben.

Er trug einen Zellaktivator.Einen jener sechs, die Perry Rhodans

Suchkommandos bisher noch nicht entdeckt hatten.

*

Schritte trommelten über den metallenen Laufsteg,der zur Kommandobühne führte. Vier große,breitschultrige Männer postierten sich mitzusammengekniffenen Augen zu beiden Seiten desAbgangs. Ihre Gesichter glichen Masken. Sie zeigtendie Angespanntheit von Raubtieren auf der Jagd.

Zwei Kampfroboter kamen herein. Klein,gedrungen, ohne Kopf und Arme, aber mit einerReihe beweglicher Tentakel rund um den Körper.Das tiefschwarze Material, aus dem sie geschaffenwaren, zeigte keinen Glanz. Nur an einer Stellewurde die matte Farbe von einem leuchtenden rotenV unterbrochen.

Einer der Roboter blieb oben am Abgang stehen,der andere kam herunter in die Zentrale.

Es war totenstill.

Rhodan beobachtete, daß Con Perton nervös dieFinger verkrampfte. Kasom lehnte wie einflegelhafter Junge gegen einen Schaltschrank undwippte mit dem rechten Fuß den Takt zu einerunbekannten Melodie.

Auf Atlans Gesicht lag ein schwer zu deutendesLächeln.

Dann kam er - der Obmann!Flankiert von zwei weiteren Leibwächtern,

erschien er auf der Kommandobühne. Obwohl einerseiner Begleiter ihn fast verdeckte, sah Rhodansofort, daß da ein Mann mit großer Entschlußkraftherankam. Die festen Schritte drücktenSelbstbewußtsein aus, das breite, harte Gesicht zeigteRücksichtslosigkeit.

Die vier Leibwächter, die zuerst gekommen waren,glitten lautlos den Abgang hinab und verteilten sichin der Zentrale. Obwohl das alles mit großerUnauffälligkeit vor sich ging, blieb die Wirkung aufdie Besatzung der Zentrale nicht aus.

Rhodan sah, wie Perton sich straffte.Der Obmann blieb oben am Abgang stehen und

blickte in die Zentrale der PHOENIX herunter. SeinBlick strich über die versammelten Männer hinweg,als könnte er mit einem einmaligen Hinsehen all ihreGedanken erfassen.

Rhodan beobachtete den Obmann. Das Gesichtdrückte keine überragende Intelligenz aus, aberdieser Mann besaß angeborene Schlauheit und einensicheren Instinkt für jede Situation.

Der Obmann ging den Abgang herab, die beidenLeibwächter blieben an seiner Seite. IhreRaubvogelblicke schienen jeden der Anwesenden zudurchbohren.

Der Plophoser hatte sich mit einer Gardegefährlicher Männer umgeben. Das mußte nichtunbedingt ein Zeichen der Schwäche sein. Rhodansah, daß Perton vor Aufregung kaum ruhig stehenkonnte.

Hondro blieb vor Perton stehen und musterte ihnmehrere Sekunden lang. Der Kommandant fühltesich dabei offensichtlich nicht wohl.

»Ich gratuliere Ihnen«, sagte Hondro mitkraftvoller Stimme. »Ich gratuliere Ihnen und allenanderen.« Perton schluckte krampfhaft. Röte überzogsein Gesicht. »Danke, Sir!« krächzte er. Hondroschob eine Hand nachlässig in den Hosenbund undging an Perton vorbei auf Rhodan zu.

»Auf diesen Augenblick habe ich seit Jahrengewartet«, sagte er ruhig. »Ich wußte, daß wir Sieeines Tages erwischen würden, Rhodan.«

»Ich kenne Sie nicht«, entgegnete Rhodan. »Wersind Sie?«

»Iratio Hondro, Regierender Ministerpräsident desEugaul-Systems«, erklärte Hondro mit einerspöttischen Verbeugung. »Der Mann, der Sie besiegt

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und Ihrer Diktatur ein Ende gemacht hat.«Die Stimme des Obmanns war hart. Jeder in der

Zentrale hörte sie.»Diktatur?« wiederholte Rhodan. »Ich glaube, Sie

verwechseln die Staatsform des Eugaul-Systems mitder des Vereinten Imperiums.«

»Es ist Diktatur, wenn man den Kolonien keineFreiheit gibt«, sagte Hondro. »Gewiß, wir hattenunsere Souveränität, wir durften entscheiden, solangees unsere eigene Welt betraf. Im Weltraum jedochhatten wir nichts zu sagen. Dort herrschte nur PerryRhodan. Dort traf er die Entscheidungen. Er traf sieohne uns, Ja, er fragte uns noch nicht einmal. Dashatte er nicht nötig. Das nenne ich Diktatur,Rhodan.«

Rhodan spürte den Haß, der ihm aus diesenWorten entgegenschlug.

Diese Bitterkeit mußte sich auch auf anderenKolonien ausgebreitet haben. Aus derUnzufriedenheit der Kolonisten wuchs allmählich derWunsch, die Situation, die sie für würdelos hielten,zu ändern.

Schließlich waren auch die Kolonisten Terraner.»Dieser alte Mann«, fuhr Hondro fort und deutete

mit ausgestrecktem Arm auf Atlan, »machte dengrößten Fehler in der Geschichte der Galaxis, als erIhnen die Macht über das Reich der Arkonidenübertrug. Er hatte nicht das Recht, diesesVermächtnis an Sie zu übertragen, an eine einzelnePerson.«

Für Rhodan stand es fest, daß dieser Mann dieMacht des Imperiums von sich abschütteln wollte.Sicher gab es auch auf anderen Welten, die vor zwei-bis dreihundert Jahren kolonisiert worden waren,ähnliche Pläne. Die Plophoser wußten zum Großteilkaum noch etwas von Terra, für sie war esunverständlich, daß sie sich nach den WünschenRhodans richten sollten, soweit es Entscheidungenim Weltraum betraf.

»Denken Sie etwa, daß Sie Ihre Unsterblichkeitberechtigt, sich über alle anderen hinwegzusetzen?«fragte Hondro zornig. Er begann sein Uniformhemd,aufzuknöpfen und zog einen ovalen Gegenstanddarunter hervor, den er an einer Kette um den Halstrug.

»Ein Zellaktivator!« rief Hondro. »Ich binunsterblich - genau wie Sie. Nur gewaltsamer Todkann meinem Leben ein Ende bereiten.« Hondro warAktivatorträger! Das machte ihn noch gefährlicher.Er konnte auf weite Sicht planen, er hatte Zeit, ruhigabzuwarten, bis der geeignete Moment zumZuschlagen gekommen war.

Der Obmann verschränkte die Arme vor der Brustund blickte Rhodan herausfordernd an. »Wir sindnicht länger daran interessiert, uns von Ihnen odereinem anderen Mann des Imperiums Vorschriften

machen zu lassen. Dieser uralte Arkonide, mit demSie eine gefühlsbetonte Freundschaft verbindet, istsowieso überflüssig. Er hat soviel Weisheit in sichhineingefressen, daß er davon überläuft undjedermann mit seiner Erfahrung beglücken möchte.«Hondro machte eine energische Handbewegung.»Schluß damit! Ihre Zeit ist vorüber, Rhodan.«

»Der uralte Arkonide hat mich vor diesemAugenblick schon lange gewarnt«, sagte Rhodan. »Erhat gewußt, daß man Männern wie Ihnen keineGelegenheit zur Entfaltung geben darf, wenn manden Frieden innerhalb einer Rasse sichern will. Ichwar jedoch zu human, um Atlans Vorschläge in dieTat umzusetzen.«

Ja, überlegte Rhodan, auch Hondro war einfleischgewordener Fehler seiner vor mehr als 200Jahren getroffenen Entscheidung, den Kolonien dieMöglichkeit zu geben, sich unbeeinflußt zuentwickeln. Die autarken Welten waren in der Lagegewesen, in aller Stille ihre eigenenRegierungssysteme zu entwickeln, Industrienaufzubauen und wiederum eigene Planeten zukolonisieren.

»Humanität ist im Weltraum verkehrt am Platz«,erklärte Hondro ironisch. »Ihre Ideale haben sichüberlebt, Rhodan. Sie sind ein alter, verbrauchterMann, ohne geistige Beweglichkeit.«

»Sie verdanken es diesem Mann, den Siebeschimpfen, daß Sie hier stehen«, mischte sichAtlan ein. »Vergessen Sie nicht, daß es Rhodan ist,der die Menschheit in den Weltraum geführt hat.«

»Die Larve der Schlupfwespe interessiert sichnicht dafür, daß der Gastkörper, den sie frißt, ihr dasLeben ermöglicht«, meinte Hondro kalt. »Vorbei istvorbei. Geschichte wird immer in der Gegenwartgemacht. In dieser Gegenwart, Rhodan, sind Siebestenfalls noch ein Fossil, ein Überbleibsel.«

Atlan wolle zu einer Antwort ansetzen, dochRhodans Seitenblick ließ ihn verstummen. Rhodanerkannte, daß man mit diesem Mann nicht diskutierenkonnte. Hondro war von der Richtigkeit seiner Ideenüberzeugt. Sein Handeln gegen die Terraner wurdevon einer Mischung aus Haß, Neid und Eigenliebebestimmt.

Hondro wandte sich an Andre Noir.»Sie sind vermutlich der Mutant?« Es war eher

eine Feststellung als eine Frage.»Ja«, sagte Noir gleichmütig.»Über welche paranormalen Eigenschaften

verfügen Sie?«»Soll das ein Verhör sein?« brauste Noir auf.»Antworten Sie ihm, Andre«, befahl Rhodan.»Also gut«, erwiderte Noir mürrisch. »Ich bin

Hypno. Es ist mir möglich, andere Lebewesen gegenihren eigenen Willen zu Taten zu beeinflussen, diesie unter normalen Umständen nie begehen würden.«

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»Ausgezeichnet«, sagte Hondro anerkennend.»Solche Männer benötige ich.«

Noir betrachtete ihn verächtlich. »Denken Sieetwa, ich würde für Sie arbeiten?«

Hondro lachte dröhnend. »Ich bin überzeugtdavon«, sagte er. »Sie tragen einen Zellaktivator.Wenn Sie nicht auf meine Vorschläge eingehen, mußich Ihnen das Gerät abnehmen. Sie wissen, was dasfür Sie bedeutet. Der körperliche Zerfall wird schnelleinsetzen. Ihr Leben wird innerhalb von Tagenbeendet sein.«

Noir sah ein, daß ihm nichts weiter übrig blieb, alsauf die Forderungen des Obmanns zum Scheineinzugehen, wenn er nicht den lebensnotwendigenAktivator verlieren wollte.

»Sie gewinnen«, sagte er.In Hondros Gesicht erschien ein listiger Ausdruck.

»Ich durchschaue Sie, Noir. Sie beabsichtigen, mirbei passender Gelegenheit eine Falle zu stellen. Daswird Ihnen nicht gelingen. Ich bin ein vorsichtigerMann. Ich werde Sie dazu zwingen, mir treu ergebenzu sein. Ebenso treu wie meine anderenLeibwächter.«

Noir schaute unsicher zu Rhodan hinüber, derjedoch nur resigniert nickte. Eine dumpfe Ahnungsagte Noir, daß der Obmann irgendeine Teufelei mitihm vorhatte.

2.

Die Spritze glitzerte im Licht derDeckenbeleuchtung. Zwei der Leibwächter Hondroshielten Noir an den Armen fest.

»Es ist besser, wenn Sie sich während derInjektion ruhig verhalten«, sagte der Obmann. »Sieverstehen das sicher. Manche sträuben sich undspielen verrückt. Deshalb lasse ich Sie festhalten.Selbst tapfere Männer unterliegen oft der Reaktionihres Unterbewußtseins.«

Hondro drückte die Luft aus der Nadel, bis einTropfen der giftigen Flüssigkeit erschien.

»Vielleicht erleichtert es Sie, zu erfahren, daß auchich einmal eine derartige Injektion erhielt«, berichteteHondro. »Von meinem Vorgänger. Der Mann warjedoch sehr leichtsinnig. Er gab mir die Gelegenheit,an das Gegengift heranzukommen. Als er starb, warich zweiunddreißig Jahre alt. Ich übernahm denverwaisten Posten des Ministerpräsidenten desEugaul-Systems, zusammen mit einigen gutenVorsätzen.«

Hondro kam langsam auf Noir zu. Die Griffe derbeiden Wächter wurden stärker. Hondro knöpfteNoirs Jackenärmel auf und rollte ihn bedächtig nachoben.

»Dieses Gift wurde übrigens von den GalaktischenMedizinern, den Aras, entwickelt«,-erklärte Hondro.

»Alle vier Wochen müssen Sie jetzt dasAufhalteserum bekommen, wenn Sie nicht einenqualvollen Tod sterben wollen. Nur ich besitze diesesSerum.«

Hondros kräftige Hände spannten Noirs Oberarman.

»Seltsam«, sagte er. »Welche Macht in dieserkleinen Nadel steckt.«

Mit Widerwillen erkannte Noir, daß der Obmannbei dieser Handlung Befriedigung empfand. FürHondro waren die Injektionen bereits zu einer Artrituellen Handlung geworden, mit der er seine Machtfestigte.

Der Mutant wußte, daß jede Gegenwehr sinnloswar.

Mit einem kurzen Ruck trieb Hondro die Nadel indas Fleisch von Noirs Oberarm. Noir fuhr nichtzurück. Bedächtig drückte Hondro die Spritze aus.Dann zog er die Nadel zurück. Er atmete tief.

»Laßt ihn los!« befahl er.Noir kam frei. Er fühle sich etwas schwindlig, aber

dies war nicht auf die Injektion zurückzuführen.Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging Hondro

hinaus.Langsam wickelte Noir den Ärmel herunter. Die

beiden Wächter beobachteten ihn. Noir fühlte tief inseinem Innern eine nie gekannte Verzweiflung. Erwar diesem Unmenschen jetzt vollkommenausgeliefert.

»Jetzt gehören Sie zu uns«, sagte einer derWächter. »In vier Wochen benötigen Sie die ersteGegeninjektion.« Es schien ihm Freude zu bereiten,daß nun ein weiterer Mann sein eigenes Schicksalteilte.

»Vielleicht sind diese Injektionen nur ein Trick«,meinte Noir.

»Ein Trick?« Der Wächter lachte zynisch. »Dasglaubten bereits andere. Als sie sahen, daß sie sichtäuschten, war es bereits zu spät für sie.«

»Was wird nun mit uns geschehen?« fragte Noir.»Sie kommen alle nach Greendoor. Dort wartet Al

bereits auf Sie. Al Jiggers. Er wird sich mit Ihnenbeschäftigen. Wenn er mit Ihnen fertig ist, werdenSie und Ihre Freunde brauchbare plophosischeBürger sein.«

Jiggers, wiederholte Noir in Gedanken.Das war ein Name, den er sich einprägen mußte.

3.

Dreitausend Flammenwerfer und ebenso vieleSäuresprüher bildeten einen Ring um Zentral-City,die Hauptstadt von Greendoor. Über die Hälfte dieserautomatischen Geräte waren ständig in Tätigkeit, umdie vordringende Pflanzenwelt zu vernichten.

An den Grenzen der Stadt war die Luft verpestet

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vom Gestank verschmorter Drenhols, Paruppkas undFegranzers. Eine meterhohe Humusschicht bildeteeinen Gürtel um die gesamte Stadt. Er bestand ausden Überresten der zerstörten Pflanzen und aus denÜberresten von Plophosern, die nicht geglaubt hatten,daß Pflanzen gefährlicher als Raubtiere sein können.

Zentral-City reichte auf der einen Seite bis an dieUfer eines großen Ozeans, auf der anderen Seitewaren die Erbauer bis in die Flanken desHochgebirges vorgedrungen, das die Stadt vomInnenland trennte. Weder die Berge noch das Meerbildeten für die Pflanzen ein Hindernis.

Immerhin verminderten sie den Druck einerungestümen Natur so weit, daß Zentral-City zursichersten Stadt auf Greendoor geworden war. Es gabnoch andere Städte, Städte, die stündlich um ihreExistenz ringen mußten.

Zentral-City wurde nicht allein vonFlammenwerfern und Säuresprühern geschützt.Ganze Kolonnen von Kampfrobotern, eigens fürdiesen Zweck geschaffen, waren ständig an derArbeit, Lücken in den Wald und um die Stadt zutreiben. Mit Strahlwaffen ausgerüstete Gleiterschwebten über der Stadt, um sofort einzugreifen,wenn es nötig sein sollte.

Über dem Wald sah man sie selten. Es war füreinen Piloten lebensgefährlich, über dem Wald zufliegen. Die Paruppkas hatten eine tödliche Methode,die Gleiter zum Absturz zu bringen. Mit einer ansWunderbare grenzenden Sicherheit schleuderten siedicke, klebrige Samenkörner nach den Flugzeugen.Die Körner drangen in die Düsenöffnungen derTriebwerke ein und wurden dort zu einer festen,unzerstörbaren Substanz.

Das befallene Flugzeug stürzte ab, eine sichereBeute der Drenhols, die mit ihren Peitschenarmen dieBesatzung töteten, nachdem sie den Gleiter mit Säureübersprüht hatten.

Die Drenhols waren die vorherrschendePflanzenart auf Greendoor. Dank seinerÜberlegenheit hatte sich dieser Baum überallausbreiten können. Er war in der Lage, eineblitzschnelle Ortsveränderung vorzunehmen, indemer seine mächtigen Wurzeln aus der Erde löste undsich darauf fortbewegte.

Die Drenhols lebten mit unzähligen kleinerenPflanzen in Symbiose. Aber sie besaßen auch Feinde.Außer den Paruppkas und Fegranzers existiertennoch Hunderte von anderen Pflanzen, die um ihrLeben kämpften. Da die Tierwelt fast vollständigausgerottet war, hatten sich die Pflanzen daraufeingestellt, von ihren eigenen Artgenossen zu leben.

So war Zentral-City von einer Hölle umgeben, diesich ständig in Bewegung befand. Wer in denDschungel geriet, war praktisch verloren. Nur wer ingroßer Höhe über die Urwälder flog, hatte keine

Gefahr zu befürchten. Kein Mensch dachte daran,den Dschungel zu betreten. Er schienundurchdringlich.

Verschiedene Forscherteams hatten es gewagt, mitFahrzeugen und Schutzanzügen in den Waldvorzustoßen, aber nur wenige warenzurückgekommen. Ihre Berichte verhinderten, daßweitere Wissenschaftler ihrem Beispiel folgten.

Die üppige Pflanzenwelt beruhte auf der extremenUmlaufbahn Greendoors um die Doppelsonne mitdem Namen Zwillinge. Zusammen mit drei weiterenPlaneten schlängelte sich Greendoor zwischen diesenSonnen hindurch. GewaltigeTemperaturschwankungen waren die Folgen, einmalherrschte auf Greendoor glühende Hitze, dann,sobald die Welt sich auf ihren Weg in die äußerenRegionen des Systems machte, gab es jahrelangeEiszeiten.

Während der Eiszeiten starb der Großteil allerPflanzen, um nach Einbruch der Hitzeperiode nochverschwenderischer als zuvor zu wuchern. Mit jederEiszeit vermehrte sich die Zahl der überlebendenDrenhols. Die Bäume verstanden es, sich in dierelativ warmen Zonen Greendoors zurückzuziehen.Zwar machten die Plophoser während dieser ZeitJagd auf sie, aber bisher war es nicht gelungen, sieauszurotten.

Greendoor wurde von den ehemaligen Plophosernseit über hundert Jahren besiedelt, die Städte warennoch im Aufbau begriffen. Der Planet hatte diegünstige Schwerkraft von 0,97 Gravos. SeineOberfläche besaß ausgedehnte Meere undKontinente. Die Atmosphäre war sauerstoffreich,während der Hitzeperioden jedoch unerträglichschwül in den meisten Gegenden. Doch der Menschist anpassungsfähig wie kaum ein anderesintelligentes Lebewesen der Milchstraße. So hattensich die Plophoser fest auf Greendoor niedergelassen- es war ihr geheimer Stützpunkt, wo sie in allerRuhe eine gigantische Industrie aufbauen konnten.

Auf Greendoor entstanden vor allem dieEmotio-Strahler, mit deren Hilfe die Plophoserandere Völker und Rassen zu bekämpfen gedachten.

Der Obmann hatte den Plophosern glaubhaftdargestellt, daß die Milchstraße nur darauf wartete,von ihnen erobert zu werden. Der Großteil derBevölkerung aller plophosischen Planeten sah inIratio Hondro den Mann, der sie in ungeahnte Höhenführen würde. Die wenigsten wußten von denPraktiken, die Hondro anwandte.

Für die Plophoser war Perry Rhodan eine Legende.Hondro hingegen war Realität. Er war ein Mann, mitdem man reden konnte. Er zeigte sich oft, sprach vielund gab sich als der kleine Mann, der durchTüchtigkeit und Fleiß Karriere gemacht hat.

Rhodan und Terra, diese beiden Begriffe

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bedeuteten für einen Plophoser wenig.Hondro wußte das. Er nutzte es für seine Zwecke

aus.

4.

Sie zeigten ihm alles.Sie führten ihn auf Greendoor herum, als sei diese

Welt eine riesige Ausstellung. Er sah dieFabrikationsstätten von Raumschiffstriebwerken,Raumschiffszellen, Waffen aller Art und andererGüter der Schwerindustrie. Er flog über die Städtedahin, die zum Teil unterirdisch angelegt waren, under kreiste hoch über den schrecklichen Wäldern.

Immer waren der Obmann und seine Leibwache inder Nähe. Sachlich schilderte Hondro demGefangenen, was in den verschiedenen Städtengeschah. Niemals klang Stolz aus seiner Stimme,niemals Triumph, aber er war von ständigerAggressivität erfüllt, er schien jedes Bauwerk als eineWaffe gegen das Imperium zu betrachten.

Allmählich gewann Rhodan ein Bild davon, werdieser Mann war. Hondro war terranischer als jederTerraner. Er war härter, brutaler, schlauer undwiderstandsfähiger als jeder Terraner. Nur so war esihm möglich, dieses aufstrebende Volk anzuführen.

»Wir werden Sie nun zu den vier anderenGefangenen bringen«, sagte Hondro, als sie inZentral-City angekommen waren. »Dies ist dieHauptstadt. Hier werden Sie und Ihre Begleiterzunächst einmal bleiben, bis ich entschieden habe,was mit Ihnen geschieht.«

Vor ungefähr sechs Stunden waren sie mit derPHOENIX auf Greendoor gelandet. Rhodan warüberrascht gewesen, welche Sicherheitsmaßnahmendabei getroffen wurden. Das Absperrnetz um dieseWelt war dem im Solaren System zumindestebenbürtig.

Kasom, Atlan, Bully und Noir waren weggebrachtworden, während Rhodan von Hondro aufgefordertwurde, Greendoor zu besichtigen.

Nun, sechs Stunden später, hatte Rhodan einenkurzen, aber nachhaltigen Eindruck von denVerhältnissen auf Greendoor gewonnen.

Der Gleiter, den sie benutzt hatten, war auf demprivaten Landeplatz des Obmanns in Zentral-Citygelandet. Als Rhodan durch die Luke nach draußenkletterte, sah er, daß sie sich auf dem Dach eineshohen Gebäudes befanden.

Hondro und seine Leibwache kamen aus derFlugmaschine. Der Wind, der ununterbrochen vomMeer herankam, ließ die Umhänge der Plophoserflattern. Vor Rhodan breitete sich die HauptstadtGreendoors aus.

Soweit Rhodan sehen konnte, war diese Stadthermetisch abgeschlossen. Hinter ihm lag der Ozean,

auf der anderen Seite das Hochgebirge. Und überallwar der Wald, der undurchdringliche Wald. OhneFluggeräte gab es aus dieser Stadt kein Entkommen.

»Sehen Sie sich gut um«, empfahl ihm Hondro.»Hier werden Sie für einige Zeit bleiben.«

»Das kommt darauf an«, entgegnete Rhodanzweideutig.

Hondro lachte sorglos. »Sie sind zu klug, um anFlucht zu denken. Sie rechnen mit Hilfe. Die werdenSie nicht bekommen. Das Imperium ist imZusammenbruch begriffen. Inzwischen sind dieBilder der zerstörten CREST fast überall zu sehengewesen. Die Galaxis hält Sie für tot. Es fehlt dieordnende Hand. Überall bricht Krieg aus. DieAkonen haben sich mit einigen Blues-Völkern zueinem Waffenbund zusammengetan.«

Damit hatte Rhodan gerechnet. Doch er hoffte, daßMercant und Tifflor zusammen mit den anderenVerantwortlichen das Imperium halten konnten.

»Kommen Sie!« rief Hondro von der anderen Seitedes Daches. »Wir wollen hineingehen.«

Er verschwand durch eine Tür. Ein Leibwächterpackte Rhodan unsanft am Arm und führte ihn überdas Dach. Ein letzter Blick zeigte Rhodan, daß diesesGebäude etwa dreihundert Meter vom Stadtrandentfernt war.

Hondros Wächter zerrte ihn durch die Tür in einenerleuchteten Lift hinein. Hondro und der übrige Teilseiner Leibwache waren bereits dort versammelt. DerObmann grinste, als sich der Aufzug in Bewegungsetzte.

»Unsere Wege trennen sich vorerst«, erklärte erRhodan. »Jiggers wird sich von nun an mit Ihnenbeschäftigen. Reizen Sie ihn nicht unnötig, er ist einleicht erregbarer Mann.«

Der Lift hielt an, die Tür glitt zur Seite. Hondrolächelte und ging hinaus. Zwei der Wächter bliebenbei Rhodan. Als Hondro verschwunden und derAufzug wieder geschlossen war, nahm die Tragflächedie Fahrt wieder auf. Es ging weiter nach unten.

Die Wächter sprachen nicht. Rhodan legte auchkeinen Wert auf eine Unterhaltung mit diesenMännern.

Wieder hielt der Lift Als er offenstand, versetztendie Wächter Rhodan einen Stoß, daß erhinaustaumelte. Er stand jetzt in einer flachen Halle,deren Wände von mehreren Türen unterbrochenwaren.

»Dort hinüber!« wurde Rhodan angebrüllt.Rhodan setzte sich in Bewegung. Hondros Männer

waren bewaffnet, es hatte keinen Sinn, sich gegenihre Rücksichtslosigkeit aufzulehnen.

Sie durchquerten die Halle. Rhodan ahnte, daß siesich im Keller des Gebäudes befanden. Nirgendwowaren Fenster. Wände und Decken war nur weißgetüncht, die Türen bestanden aus rostfreiem Metall.

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Eine Reihe quadratischer Deckenleuchten erhellte dieHalle. Der Boden war mit Plastik übergossen.

»Halt!« kommandierte einer der Plophoser.Sie waren vor einer Tür angekommen. Die

Wächter öffneten und trieben Rhodan in einendunklen Gang hinein. Es fiel genügend Licht von derHalle herein, so daß Rhodan sah, daß das Mauerwerkhier nicht verputzt war. Der Boden war feucht, und esroch nach Abwässern.

Die beiden Wächter schalteten Scheinwerfer ein.Die Lichter erhellten eine geisterhafte Umgebung.Der unterirdische Gang war gewölbt, an den feuchtenMauern klebten Schimmelpilze. Die Schritte derMänner klangen hohl. Rhodan begann zu befürchten,daß man ihn irgendwo hier unten einsperren würde.

Der Gang mündete in einen großen Raum. DieWächter schaltete zwei Wandlichter ein. Der Raum,den sie betraten, war wesentlich sauberer als derGang, durch den sie hierhergekommen waren. VierTüren waren zu sehen.

Die Wächter führten Rhodan auf eine zu undöffneten.

Ein älterer Mann hockte in einem winzigenZimmer. Als Rhodan mit den beiden Plophosernhereinkam, stand er auf und sah Rhodanerwartungsvoll an. Seine Augen waren trübe, als seier schon Jahre nicht mehr in der Sonne gewesen. Ertrug einen grauen Anzug und machte einenungepflegten Eindruck.

»Das ist Mackers«, sagte einer der Wächter.»Wenn Sie etwas wollen, müssen Sie sich an ihnwenden.«

Mackers entblößte seinen zahnlosen Mund undlächelte boshaft. Rhodan schätzte sein Alter aufsechzig Jahre.

Mackers schloß eine Tür auf der anderen Seite desRaumes auf. Die Wächter schoben Rhodan weiter,bis er in den nebenliegenden Raum getreten war.Dieses Zimmer war freundlich eingerichtet und hellbeleuchtet. Fünf Betten standen darin, ein großerTisch und fünf Stühle. Eine kleine Toilette war durcheinen Mauervorsprung abgeteilt.

Auf jedem der Stühle hockte ein Mann. Siebetrachteten Rhodan alle mit brennenden Augen.Rhodan kannte diesen Blick. Er würde ihn früheroder später auch bekommen.

In diesen Blicken lag unstillbare Sehnsucht nachFreiheit.

Es war der Blick von Gefangenen, die an Fluchtdachten.

*

»Vier Wochen«, sagte Noir müde. »Vier WochenZeit, um herauszufinden, ob ich stark genug bin, demObmann Widerstand zu leisten.«

Kasom, der den Stuhl unter sich fast zerdrückte,erhob sich mit einem Ruck.

»In vier Wochen«, behauptete er, »sind wir nichtmehr hier. Wir werden fliehen.« Er wandte sich anRhodan. »Sie hatten Gelegenheit, Zentral-City zusehen, Sir. Sicher haben Sie sich Gedanken darübergemacht, wie wir eine Flucht bewerkstelligenkönnten.«

Rhodan deutete auf die Tür. »Dort draußen hocktMackers«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß er einWächter ist. Er ist eine Art Betreuer. Hondro weißgenau, daß eine Flucht praktisch unmöglich ist.«

»Flucht«, sagte Andre Noir nachdenklich. »Beieiner Flucht würde ich mit jedem Meter, den ichmich von Hondro entferne, dem Tod näher kommen.Dachten Sie auch daran, Kasom?«

»Es tut mir leid«, entschuldigte sich der Ertruser.»Natürlich liegt Ihr Fall anders. Sie benötigen in vierWochen eine Gegeninjektion. Wir können Sie Ihnennicht beschaffen.«

»Niemand kann Andre die Entscheidungabnehmen«, warf Bully ein. »Es liegt an ihm, ob ersich an einer Flucht beteiligt oder nicht«

Rhodan stellte fest, daß die Männer bereits ganzoffen über eine Fluchtmöglichkeit sprachen. Es warsinnlos, sie davon abzubringen. Das Gerede von einerFlucht, die wahrscheinlich nie stattfinden würde, waram besten geeignet, die Männer vor Resignation zubewahren.

»Wenn wir fliehen, dann nur zusammen«, erklärteNoir fest. »Vier Wochen sind eine lange Zeit. Eswird sich eine Lösung finden.«

Kasom löste die Fünfliterflasche vom Gürtel undsetzte sie an den Mund. Im gleichen Augenblick kamMackers herein. Er hatte ein Bündel Decken untermArm, die offensichtlich für den zuletzt eingeliefertenRhodan gedacht waren.

Mackers öffnete den zahnlosen Mund und schautefasziniert auf Kasom.

»Was trinken Sie da?« fragte er krächzend.Kasom verschluckte sich, hustete und übersprühte

dabei den Alten mit einem Alkoholregen.Mackers schnüffelte. In seine Augen trat ein

gieriger Glanz.»Schnaps«, stellte er fest.Kasom machte einen Schritt auf ihn zu. Sofort

hatte Mackers eine Waffe in der Hand. Der Ertruserblieb stehen.

»Nicht aufregen«, sagte er hastig.Mackers sagte: »Alkoholgenuß ist auf Greendoor

verboten. Ich muß Ihnen diese Flasche abnehmen.«»Dieses Verbot mag für Sie Gültigkeit besitzen«,

erklärte Kasom gedehnt. »Ich bin auf diesemPlaneten nur Gast.«

Mackers strich nervös über seine Stirn. Sein Mundverzog sich, als Kasom einen weiteren Schluck nahm

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und behaglich seufzte.Mackers hob die Waffe.»Die Flasche her!« befahl er grimmig.»Ich schätze, daß Sie die Flasche für Ihren privaten

Gebrauch sicherstellen wollen«, behauptete Kasomungerührt. »Darüber werde ich beim ObmannBeschwerde einlegen.«

Mackers begann zu zittern. Seine Gefühleschwankten zwischen Begehren und Furcht. DieFurcht siegte. Mackers war ein alter Mann. Auch alteMänner liebten das Leben. Wer sich jedoch Befehlendes Obmanns widersetzte, mußte damit rechnen, hartbestraft zu werden.

Mackers änderte seine Taktik.»Verkaufen Sie mir die Flasche«, schlug er vor.Rhodan hatte längst erkannt, daß der Ertruser einen

bestimmten Plan verfolgte. Er folgte derUnterhaltung gespannt, bereit, dann einzugreifen,wenn der USO-Spezialist einen Fehler beging.

»Verkaufen?« wiederholte Kasom. Er roch amFlaschenhals, lächelte verklärt und nahm einenweiteren Schluck. Mackers betrachtete ihn inhilfloser Wut. Kasom setzte die Flasche ab undschüttelte sie nachdenklich. Daran, daß einigeTropfen überschwappten, erkannte man, daß dieFlasche noch nicht weit geleert war.

»Nein«, sagte Kasom. »Ich würde gegen einVerbot verstoßen, wenn ich Ihnen die Flasche gäbe.«

Mackers blickte sich vorsichtig um. »Niemandbraucht es zu erfahren«, sagte er. »Ich kann Ihnenwährend Ihrer Gefangenschaft in manchen Dingenbehilflich sein. Ich kann gutes Essen besorgen,Informationen beschaffen und diesen Raum besserheizen.«

Kasom klopfte mit dem Zeigefinger gegen dieFlasche.

»Das ersetzt gutes Essen und heizt besser als jedeKlimaanlage. Informationen benötigen wir nicht.«

»Zum Teufel mit Ihnen!« zischte Mackers.»Nennen Sie Ihren Preis !«

»Wohin führt der unterirdische Gang?« fragteKasom.

Mackers blickte ihn verdutzt an, dann legte er denKopf in den Nacken und begann zu lachen.

Geduldig wartete Kasom, bis sich der Plophoserberuhigt hatte.

»Sie denken an Flucht«, stellte Mackers fest. »Siedenken an Flucht, obwohl die Stadt ein einzigesGefängnis ist, dessen Ausgänge alle in die Hölleführen.« Er zögerte. »Der Gang führt in den großenKellerraum, durch den Sie gekommen sind. Dieandere Abzweigung mündet in die Abwässerkanäle.«

»Danke«, sagte Kasom und warf Mackers dieFlasche zu.

Geschickt fing der Plophoser die begehrte Wareauf und schob sie unter die Jacke. Sein Gesicht wurde

besorgt.»Sie meinten doch nicht im Ernst, daß Sie fliehen

wollen?« fragte er. »Der Obmann würde mich schwerbestrafen, wenn Ihnen etwas zustößt.«

»Niemand erwähnte etwas von Flucht«, sagteKasom.

Das Gesicht des alten Mannes veränderte sich.Resignation war darin zu erkennen.

»Viele politische Widersacher des Obmanns habenbereits versucht, von hier aus zu fliehen«, berichteteer. »Sie sind alle tot. Denken Sie daran. Zwar wirderzählt, daß sich im Dschungel einigeWiderstandskämpfer aufhalten, doch wer die Wälderkennt, weiß, daß das unmöglich ist. Wenn Ihnen IhrLeben lieb ist, bleiben Sie in diesem Raum.«

Mit diesen Worten ging der Alte hinaus. ImGefängnis blieb es kurze Zeit still.

»Er wird sich betrinken«, sagte Kasom schließlich.Rhodan hörte Mitleid aus der Stimme des Ertrusers

heraus. Mitleid mit diesem alten Mann, der einsamund ohne Illusionen unter der Erde eines gefährlichenPlaneten lebte.

»Die Abwässerkanäle«, sagte Bully. »Das ist unserWeg in die Freiheit.«

Am anderen Ende des Tisches erhob sich Atlan.Der Arkonide hatte bisher beharrlich geschwiegen.

»Nicht so hastig, meine Freunde«, sagte er. »Ichglaube, wir haben etwas Wichtiges übersehen: dieTatsache, daß uns der Obmann nur ziemlichnachlässig bewachen läßt.«

»Mackers ist im Vorraum«, erinnerte Bully.»Er ist alt«, sagte Atlan. »Alt und haltlos.«»Alle Zugänge nach oben dürften abgesperrt sein«,

sagte Noir.Der Arkonide schüttelte den Kopf. »Der Grund,

warum wir anscheinend kaum bewacht werden, istein anderer.« Er machte eine alles umfassendeBewegung. »Hondro weiß genau, daß es hier einfachkeine Fluchtmöglichkeit gibt. Wir könnten vielleichtMackers überwinden und in die Abwässerkanälevordringen, aber wir kämen nicht weit Der Obmannweiß, daß wir an Flucht denken. Er kennt uns. Aberer weiß, daß auch wir nichts Unmögliches tunkönnen. Deshalb genügt Mackers. Deshalb werdenwir nicht fliehen.«

»Der Admiral hat recht«, stimmte Rhodan zu.»Mackers' Worte besagten deutlich, daß jederFluchtversuch einem Selbstmord gleichkäme.Vielleicht erwartet der Obmann sogar, daß wirausbrechen.«

»Selbstmord oder nicht!« rief Bullyleidenschaftich. »Sollen wir untätig hier warten, bisdieser größenwahnsinnige Diktator unseren Todbeschließt und den Henker schickt?«

»Stimmen wir doch ab«, schlug Andre Noir vor.»Einverstanden«, sagte Rhodan.

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Es stellte sich heraus, daß Kasom, Bully und Noirfür einen Fluchtversuch waren, Rhodan und Atlandagegen. Rhodan sprach sich dafür aus, eine bessereGelegenheit abzuwarten, aber Kasom und Bulldrängten auf sofortiges Handeln.

»Also gut«, sagte Rhodan schließlich. »Wie siehtIhr Plan aus, Kasom?«

*

Eine Parade kleiner, grüner Männer spazierte vorMackers auf der Tischplatte herum. Das Wunderbarean ihnen war die scheinbare Schwerelosigkeit, mitder sie sich bewegten.

Mackers beobachtete sie einige Zeit, dann wischteer mit der Hand über die Platte. Die Figurenverschwanden, und ein rosa Elefant schwebte vorMackers' Augen.

Auf der kleinen Bank neben Mackers lag KasomsFlasche. Vor Mackers stand ein Becher auf demTisch. Mackers packte die Flasche, spähte in dieÖffnung hinein, als könnte er erkennen, wieviel sichnoch darin befand und schenkte den Becher zumelftenmal voll.

Während er trank, kam aus dem Gefängnis einmerkwürdiges Geräusch. Es hörte sich an, alstrommle jemand mit den Fäusten gegen die Tür.

»Ruhe!« befahl Mackers mit unsicherer Stimme.»Wollt ihr die Männer aus den oberen Stockwerkenalarmieren?« Es fiel ihm ein, daß dies tatsächlichpassieren könnte. Die Folge würde sein, daß HondrosMänner ihn betrunken vorfinden würden.

Schwankend stand Mackers auf. DieGliederschmerzen, unter denen er litt, warenverschwunden.

Mackers ging bis dicht an die Tür und legte einOhr dagegen. Das Poltern kam einwandfrei von denGefangenen. Mackers fluchte vor sich hin. Er zogseine Waffe aus dem Gürtel und schloß denGefangenenraum auf.

Im gleichen Augenblick, als er die Tür aufzog,wurde er gepackt und mühelos vom Bodenabgehoben. Die Waffe fiel zu Boden. Schwindelüberkam Mackers. Blitzschnell wurde er in denanliegenden Raum gerissen. Eine Hand, die dreimalso groß wie Mackers eigene war, preßte sich aufseinen Mund.

»Nicht schreien!« wurde ihm befohlen.Mackers fühlte sich viel zu elend, um überhaupt

einen Ton von sich zu geben. Er wurde zu Bodengesetzt und torkelte auf den Tisch zu. Er fand Haltund versuchte etwas von der Umgebung zu erkennen.

»Es nützt euch wenig, mich zu überrumpeln«,sagte er lallend. »Ihr kommt nicht weit.«

Die Gefangenen wickelten ihn in ihre Decken undverschnürten ihn sorgfältig. Zuletzt bekam er einen

Knebel. Unsanft wurde er auf ein Bett gelegt.Perry Rhodan nahm seine Waffe an sich.»Bestellen Sie dem Obmann die besten Grüße von

uns«, sagte er zu Mackers.»Hrrmmmph!« machte Mackers, sein Gesicht lief

rot an. »Hrrmmmmph!«Er war plötzlich wieder nüchtern. Natürlich

würden die Flüchtlinge nicht weit kommen, aber demObmann würde es nicht gefallen, daß er sichbetrunken hatte.

Mackers beobachtete, wie die Gefangenenhinausgingen. Er würde sie auf jeden Fallwiedersehen.

Lebend oder tot.

*

Im Vorraum nahm Kasom seine Flasche wieder ansich und befestigte sie am Gürtel. Mackers' Bechersteckte er in die Tasche.

Durch den großen Raum vor Mackers' Zimmergelangten sie in den unterirdischen Gang. Sofortschlug ihnen stickige Luft entgegen. Rhodanbedauerte, daß sie keinen Scheinwerfer bei sichhatten, denn hier unten war es vollkommen dunkel.

Mackers' kleiner Strahler war ihre einzige Waffe.»Wir werden uns im Labyrinth der

Abwässeranlagen verirren, sobald wir darineingedrungen sind«, prophezeite Atlan. »Ich schlagevor, daß wir umkehren, solange noch Zeit ist.«

»Nein«, widersprach Rhodan. »Jetzt haben wir dieSache begonnen und werden versuchen, sie zu Endezu führen.«

Seine Finger berührten die glitschige Wand desGanges. Die rechte Hand mit der Waffe von sichgestreckt, tastete sich Rhodan weiter. Die anderenfolgten dicht hinter ihm.

Nach mehreren Minuten stießen sie auf die Tür,die ins Innere des Gebäudes führte. Sie warverschlossen. Jetzt blieb ihnen nur noch der Weg indie unterirdischen Anlagen von Zentral-City.

Es war ein Weg in Dunkelheit und feuchte Kälte.Ein Weg, der geradewegs auf unbekannte

Gefahren zuführte.

5.

Zwei Pflanzenarten hatten sich die plophosischenAnsiedlungen auf Greendoor zunutze gemacht. Einedavon war ein Riesenstaubpilz, der nach seiner Reifeaufplatzte und Millionen von Sporen durchÜberdruck in die Luft schleuderte. Der Wind triebdie Sporen weiter, bis ein Regenguß sie auf denBoden spülte. Die meisten der Sporen landetennatürlich im Wald. Dort hatten sie keine Chance sichzu entwickeln, denn der gnadenlose Kampf zwischen

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den Raubpflanzen machte auch vor einemPilzsprößling nicht halt.

Viele tausend Sporen wurden jedoch auch in dieAbwässeranlagen von Zentral-City und den anderenStädten gespült. Der Riesenstaubpilz nutzte die sichihm bietende Gelegenheit, seine Art zu erhalten.

Er änderte seinen Lebenszyklus, wie unzähligeandere Pflanzen vor ihm.

Überleben um jeden Preis, das galt auch für denPilz.

Die Sporen blieben irgendwo im Schlick hängenund wuchsen fern vom Sonnenlicht auf. Sobald diePilze eine gewisse Größe erreicht hatten, die ihnenein Überleben an der Oberfläche zu erleichternschien, lösten sie sich wie auf einen geheimen Impulsaus dem Bodenschlamm und ließen sich mit denAbwässern aufs Meer hinaus treiben.

Die jungen Pilze waren hohl, daher vermochten sieauf dem Meer dahinzutreiben. Während der Zeit ihrerLoslösung sah das Meer stellenweise aus, als sei esmit Hunderten von Bojen bestückt. Nur ein Drittelder Pilze wurde an Land gespült, die anderen saugtensich mit der Zeit voll Wasser und gingen unter.

Die Überlebenden, die das Ufer erreichten, fielenzum Großteil den Drenhols und anderen Pflanzenzum Opfer. Ein Teil jedoch setzte sich fest, wuchsund wuchs, bis das Stadium erreicht war, an dem derRiesenstaubpilz explodierte und seinerseits wiederMillionen von Sporen in die Luft schleuderte.

Der Riesenstaubpilz war jedoch der harmlosesteBewohner der Kanalanlagen.

Noch eine andere Pflanze zog es vor, ihrEntwicklungsstadium unter der Oberfläche zuerleben.

Die Plophoser nannten diese Pflanze Schnellkraut.Ausgewachsen war diese Pflanze relativ harmlos,denn sie blieb bewegungsunfähig und begnügte sichdamit, Blätter, die von anderen Pflanzen abfielen, mitHilfe ihrer klebrigen Stiele aufzufangen undallmählich aufzulösen.

Die Samenkapseln des Schnellkrautes jedochverfügten über gefährliche Eigenschaften.

Sobald sie von der Hauptpflanze abfielen, begannihre Wanderung. Ein Gespinst hauchdünner Fäden,die sich bei Bedarf zusammenzogen oder dehnten,umgab die Samenkapsel. Zog sich die Kapselzusammen, wurde sie zu einer natürlichen Feder, diesich bei der blitzschnellen Ausdehnung derKapselfäden mehrere Meter fortschnellen konnte.Auf diese Weise wanderten die Samenkapselnmeilenweit über Greendoor. Tausende kamen um,aber Tausende erreichten auch einen Platz, wo siesich niederlassen und wachsen konnten. SeitErrichtung der plophosischen Siedlungen zähltenauch die Kanalsysteme der Städte zu bevorzugtenAufenthaltsplätzen des Schnellkrautsamens.

Die Kapseln klafften in ihrer Ruhelage nach derOberseite auf, um sich auf diese Weise Nahrung zubeschaffen. Insekten, Nagetiere und Riesenstaubpilzefielen den zuschnappenden Kapseln am häufigstenzum Opfer. In diesem Stadium begannen die Kapselnzu wachsen. Sie dehnten sich, bis aus ihrem Innerneine neue Schnellkrautpflanze hervorzuwuchernbegann. Die Kapsel erfüllte nun ihren letzten Zweck.Sie diente der jungen Pflanze als Boot, auf dem diesedurch die Kanäle ins Freie schwamm. Wie dieRiesenstaubpilze hatte auch das Schnellkraut auf demMeer große Verluste, aber unzählige Pflanzenschiffegelangten ans Ufer. Noch einmal schnellten sich dieKapseln mit ihrer kostbaren Last voran; als seien sievon Todeszuckungen geplagt, arbeiteten sie sich indie Wälder, um dort zu verfaulen, während ihrPassagier bereits neue Samenknollen zu produzierenbegann.

Hunderte winziger, aber unbedeutenderPflanzenparasiten hatten sich ebenfalls in denAbwässeranlagen eingefunden und sich dorteingewöhnt Oft genug kam es vor, daß die Plophoserdie verstopften Abflüsse mit Säurebädern undFlammenwerfern säubern mußten, so dicht wuchertenunzählige Arten von Pilzen, Flechten und Moosen inder Sicherheit, unter der Oberfläche.

Die Abwässeranlagen bildeten die Vorhut desDschungels, denn überall, wo sich ihm die geringsteGelegenheit bot, faßte er Fuß.

6.

Sie hatten etwa hundert Meter zurückgelegt, alsPerry Rhodan stehenblieb. Der üble Geruch, der siebereits die ganze Strecke über begleitet hatte, warinzwischen zu kaum erträglichem Gestank geworden.Die Wände, an denen sie sich entlangtasteten, warenrissig, feucht und kalt. Mit den Füßen wateten dieFlüchtlinge durch die ersten Wasserlachen.

Kasom, der direkt hinter Rhodan ging, packte denGroßadministrator am Arm.

»Was ist passiert, Sir?« flüsterte er.»Sauerstoffmangel«, erklärte Rhodan. »Die Luft

wird noch schlechter werden.«»Irgendwo muß es Abzugs- und

Belüftungsschächte geben«, meinte der Ertruser.»Früher oder später werden wir dort angelangen.«

Rhodan hörte die anderen ebenfalls herankommen.Er fragte sich, ob er es verantworten konnte, dieMänner weiter in den Kanal eindringen zu lassen.

»Warum gehen wir nicht weiter?« klang BullysStimme ungeduldig aus der Dunkelheit.

Rhodan, erklärte ihm, weshalb er angehalten hatte.»Wenn es schlimmer wird, können wir noch

immer umkehren«, sagte Bully. »Meine Nase warnoch nie empfindlich. Gehen wir also.«

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Rhodan hörte, daß Kasom zustimmend brummte.Ihre Füße scharrten auf dem feuchten Boden.Irgendwo war ein Plätschern zu hören.

»Wir müssen dicht hintereinander bleiben«,ordnete Rhodan an. »Es kann sein, daßSickerschächte oder andere Löcher im Boden sind.Da ich vorangehe, könnte ich abstürzen. Kasom, eswird besser sein, wenn Sie sich mit einer Hand anmeiner Schulter festhalten, damit Sie mich notfallshochziehen können.«

Gleich darauf spürte er, wie sich die mächtigeHand des Ertrusers auf seine Schulter legte. In dieserSituation wirkte es beruhigend, einen Mann mitsolchen Kräften bei sich zu haben.

»Gut«, sagte Rhodan. »Weiter jetzt!«Rhodan schlug kein besonders schnelles Tempo

ein. Er hielt es für besser, auf ihre Sicherheit zuachten, als blindlings durch die Gänge zu rennen.

Bei jedem Schritt tastete er den Untergrund mitden Füßen ab. Es wurde immer feuchter. Die Zahlder Lachen nahm zu. Von der unsichtbaren Deckefielen Tropfen auf die Männer herunter.

Kleine Tiere huschten zwischen ihnen umher, ausihren Verstecken aufgejagt. Wo es jedoch Tiere gab,mußte auch Sauerstoff sein.

Ein Rauschen drang an Rhodans Ohren, dasständig an Lautstärke zunahm, je weiter sie kamen.

»Glauben Sie, daß das ein Kanal ist?« fragteKasom hinter ihm. Er mußte seine Stimme nichtheben, um das Geräusch zu übertönen.

»Wir werden sehen«, erwiderte Rhodan. »HaltenSie mich gut fest.«

Nachdem sie weitere fünfzig Meter zurückgelegthatten, stießen Rhodans Füße auf etwas Hartes. Erblieb stehen und bückte sich.

»Ein Metallgitter«, informierte er die anderen.»Offensichtlich fließt darunter ein Kanal durch.«

Sie hörten das Rauschen und Plätschern desWassers. Ein Laut, als bewege jemand ein rostigesScharnier, kam aus der Tiefe. Rhodan erschauerte.Der Gestank war jetzt so schlimm, daß Rhodanglaubte, inmitten eines Berges von Müll zu stecken.

Rhodan steckte Mackers' kleine Waffe in dieTasche und begann das Gitter abzutasten. Es war eineArt Rost, offensichtlich dafür bestimmt, größereGegenstände, die den Kanal verstopfen konnten,aufzuhalten.

Rhodan überwand seinen Widerwillen gegen dasglitschige Metall und suchte nach einem Schloß odereinem Riegel.

»Nichts«, sagte er nach einiger Zeit. »Wir kommenhier nicht durch.«

»Lassen Sie mich einmal probieren, Sir«, schlugKasom vor.

Rhodan trat zur Seite. Der Ertruser packte denRost mit beiden Händen Dann hob er an. Knirschend

gab das Gitter nach. Kasom lachte triumphierend.»Halt!« befahl Rhodan hastig. »Lassen Sie es

liegen. Wenn uns die Plophoser mit Scheinwerfernfolgen, sehen sie genau, in welche Richtung wir unsgewandt haben.«

Kasom knurrte enttäuscht.Sie gingen weiter. Ein Tier sprang Rhodan an und

verbiß sich in seiner Hose. Er schleuderte es miteinem Tritt davon. Kreischend prallte es gegen dieWand.

Der Weg durch die vollkommene Finsternis warschwieriger, als er angenommen hatte.

Rhodan wußte jedoch, daß er sich auf seineGefährten verlassen konnte. Solange er weiterging,würde sich keiner von ihnen aufgeben.

Plötzlich griff Rhodans Hand, die an der Wandentlang glitt, ins Leere. Sofort blieb er stehen.Behutsam suchte er die Umgebung ab, aber nurhinter sich fand er festen Halt. Genau im rechtenWinkel mußte ein Seitenarm der Kanalisation in dieErde hineinführen. Rhodan schilderte den anderenseine Entdeckung.

»Vielleicht gibt es auch auf der anderen SeiteAbgänge«, meinte Noir.

»Bleibt auf euren Plätzen«, sagte Rhodan. »Ichwerde mit Kasom untersuchen, was hier los ist.«

Gemeinsam bewegten sie sich durch die Nacht:Kasom, der wuchtige Ertruser und Rhodan, derschlankeTerraner.

Nachdem sie eine Minute ständig nach rechtsgegangen waren, hielt Kasom an.

»Die Mauer, Sir«, sagte er erleichtert. »Ich glaube,der Gang, durch den wir kamen, gabelt sich an dieserStelle. Es liegt an uns, ob wir rechts oder linksweitergehen.«

»Rechts«, entschied Rhodan.Sie riefen die übrigen und setzten ihre Flucht fort.

Etwas später passierten sie eine Stelle, an der derKanal zum Teil eingebrochen war. Sie mußten überTrümmer hinwegklettern und durch einen Seestinkender Brühe waten, bis sie ihr altes Tempowieder aufnehmen konnten. Rhodan, der bis zu denKnien im Wasser gestanden hatte, fühlte den Stoffseiner Hose an den Waden kleben.

Er hatte den Eindruck, als sei es jetzt wärmergeworden. Es war möglich, daß Zentral-Cityunterirdisch beheizt wurde. Vielleicht gingen sie indiesem Augenblick unter einem der großenHeiztunnel entlang, wie sie bei den Städtenterranischer Bauart üblich waren.

Rings um sie war jetzt ununterbrochen dasGeräusch fließenden Wassers. Kurz darauf stießensie auf den ersten eigentlichen Kanal. Er war in derMitte vertieft, eine Metallrinne führte hindurch. Zubeiden Seiten der Rinne verlief eine Art Laufsteg.Die beiden Stege standen jedoch unter Wasser.

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Schlick, Algen und andere Parasiten hatten sichdarauf festgesetzt. Dadurch wurde der Untergrundschlüpfrig. Der Steg, über den sie gingen, besaß keinGeländer auf der Seite der Rinne, aber die tastendenHände der Männer fanden in regelmäßigenAbständen Griffe, die in die Wand eingelassenwaren.

Aus unzähligen kleinen Seitenkanälen floß ständigWasser in die Hauptrinne. Bereits nach mehrerenMetern waren die Flüchtlinge vollkommendurchnäßt. Zu seiner Erleichterung stellte Rhodanfest, daß diese Abwässer bereits irgendeinenFilterungsprozeß durchgemacht hatten, so daß derGestank erträglich blieb. Bakterien würden in derFlüssigkeit kaum enthalten sein, denn auch diePlophoser waren darauf bedacht, ihre Städte keimfreizu halten.

Aber auch sie konnten bestimmt nicht vermeiden,daß sich hier unten Bakterien entwickelten und ineiner idealen Umgebung gut gediehen.

Hinter ihnen wurde das Rauschen lauter. Esschien, als sei unverhofft ein großer Wasserfall inTätigkeit geraten. Das Geräusch kam schnell näher.

»Festhalten!« rief Rhodan.Er klammerte sich mit beiden Händen an einen

Griff und stemmte die Füße in den Winkel zwischenWand und Boden.

Sekunden später sah er seine Vermutung, daß eineAbwasserflut durch den Kanal spülte, bestätigt. EineMasse von Schaum aus Chemikalien und Schmutzraste heran. Rhodan nahm einen Atemzug und hieltdie Luft an. Im gleichen Augenblick prallte dasWasser gegen seinen Körper, riß seine Füße aus dernotdürftigen Verankerung und drohte ihnmitzuspülen. Entschlossen hielt Rhodan sich amGriff fest. In seinen Ohren rauschte und dröhnte es.Jeden Augenblick glaubte er, nach Luft schnappenoder den Griff gehenlassen zu müssen. Die erste Flutwar vorüber. Rhodan konnte kurz Luft holen, obwohldas Wasser noch immer bis zum Hals reichte.

»Alles in Ordnung, Sir?« fragte Kasomsdröhnende Stimme.

»Ja«, brachte Rhodan hervor. Für den Ertruserbedeutete es keine große Anstrengung, der Gewaltdes Wassers zu widerstehen.

»Ich habe einen der Männer am Kragen«, gabKasom bekannt. »Wenn ich ihn nicht festgehaltenhätte, wäre er weggeschwemmt worden.«

»Ich werde ersticken, wenn Sie mich nicht baldloslassen, Kasom«, sprudelte Bullys unverkennbareStimme.

In Sekundenschnelle sank das Wasser. Die Männerkonnten wieder auf eigenen Beinen stehen. IhreKleider waren naß und schwer. Trotzdem setzteRhodan die Flucht unverzüglich fort.

Der Boden wurde ständig unebener. Schlamm und

Abfallreste bedeckten die beiden seitlichen Stege undfüllten die Rinne aus. Bis zu den Knöcheln versankendie Füße darin.

Plötzlich stieß Rhodan gegen etwas Weiches, dassofort nachgab. Er bückte sich und tastete den Bodenab. Vor ihm schwamm etwas im Wasser. Es mußteirgendein schwammiges Gebilde sein. Rhodan konntenicht wissen, daß es sich um einen jungenRiesenstaubpilz handelte.

»Ich habe etwas gefunden«, informierte er seineBegleiter. »Es saß am Boden fest, scheint aber zuschwimmen.« Seine Hände untersuchten denrätselhaften Gegenstand. »Es ist schwer unter Wasserzu drücken. Vielleicht handelt es sich um einenSchwimmkörper. Wir werden ihn mitnehmen. EineRettungsboje kann nichts schaden.«

Er gab den Pilz, der jetzt schon einen halben Meterdurchmaß, an Kasom weiter, der ihn mit seinenriesigen Händen betastete.

»Ich glaube, es ist eine Pflanze, Sir«, meinte derErtruser.

»Eine Pflanze?« klang Atlans Stimme auf. »Hierunten?«

»Du hast die Pflanzenwelt dieses Planeten nichtsehen können, Admiral«, sagte Rhodan.

Sie gingen weiter. Eine Weile schwiegen sie, jederhing eigenen Gedanken nach. Nur das Platschen ihrerFüße im Wasser und das ununterbrochene Rauschender Kanäle war zu hören. Aus einem kleinenSeitenkanal wurden sie mit säurehaltiger Flüssigkeitübersprüht, aber sie ertrugen das Brennen auf derHaut, ohne ein Wort darüber zu verlieren.

An einem Staufeld vorbei gelangten sie in einentiefer gelegenen Kanal. Meterhoher Schaum hattesich über dem Schutzschild der Stauanlage gebildet.Durch das Wirbeln des abfließenden Wassers wurdendie Flüchtlinge buchstäblich, in Schaum gebadet.

Kasom hockte sich mitten auf den Stauschutz undklammerte, sich mit einer Hand fest. Diefreigebliebene Hand benutzte er als Kran. EinenMann nach dem anderen hob er in den tieferen Kanalhinab. In der vollkommenen Dunkelheit war dies eineebenso schwierige wie gefährliche Aufgabe. Einverkehrter Tritt - und Kasom würde abstürzen.

Nachdem sie alle den Kanal gewechselt hatten,folgte der Ertruser. Schaumbrocken wirbelten hinterihnen her.

Rhodan dachte an Mackers' Waffe in seinerTasche. Es war zweifelhaft, ob sie noch funktionierte,nachdem sie mehrere Male naß geworden war.

Da sie bis auf Kasom alle einen Zellaktivatorbesaßen, würde es lange dauern, bis sie Anzeichenvon Erschöpfung zeigten. Der Ertruser hatteseinerseits unerschöpfliche Energiereserven inseinem mächtigen Körper, so daß sie keine Pauseeinzulegen brauchten.

15

Das Problem, das Rhodan am meisten beschäftigte,war die Frage, wo sie schließlich herauskommenwürden. Es gab unzählige Möglichkeiten, aber keineschien besonders vielversprechend zu sein. Ob sieaufs Meer hinausgetrieben wurden oder durch einenLuftschacht an die Oberfläche gelangten, immer warihr Leben in Gefahr.

Die Vorstellung von der Größe Zentral-Citys ließRhodan frösteln. Meilenweit erstreckten sich dieseunterirdischen Anlagen. Sie bildeten einausgedehntes Labyrinth, ein überdimensionalesSpinnennetz voller Tücken und Gefahren. Siekonnten sich verirren und Tage um Tage durchKanäle kriechen, ohne ein Ziel zu erreichen.

Wenige Minuten, nachdem sie den tieferen Kanalbetreten hatten, entdeckten sie eine ganzeAnsammlung junger Riesenstaubpilze. Rhodanwatete direkt in das Beet hinein. Er sorgte dafür, daßjeder der Männer eine der mysteriösen Pflanzenerhielt. Auch er befestigte eine davon am Gürtel.

Die Wirkung des Heiztunnels hatte spürbarnachgelassen. Die Kleider an Rhodans Oberkörperbegann nur langsam zu trocknen. Unten wurde erständig neu durchnäßt. Praktisch fror erununterbrochen, aber er hatte keine Zeit sich darüberSorgen zu machen. Seine ganze Aufmerksamkeitwurde von der Umgebung in Anspruch genommen.

Noirs Aufschrei kam so unerwartet, daß Rhodanzusammenfuhr. Er blieb sofort stehen. Noir stöhnteund fluchte gleichzeitig.

»Was ist?« erkundigte sich Rhodan.»Ich weiß nicht«, sagte Noir unsicher. »Ich bin in

eine Falle getreten.«»Falle?« Rhodan wischte mit beiden Händen über

sein naßkaltes Gesicht.»Etwas hat zugeschnappt«, berichtete Noir. »Mein

Fuß hängt jetzt drin, und ich kriege ihn nicht los.«Es war nicht anzunehmen, daß die Plophoser hier

unten Fallen für rattenähnliche Tiere aufgestellthatten. Um diese zu bekämpfen, gab es weitauswirksamere Mittel.

»Wo sind Sie?« erkundigte sich Rhodan.»Hinter Atlan und Kasom«, antwortete Noir.Rhodan hörte, daß sich einer der Männer im

knöcheltiefen Wasser bewegte.»Ich sehe nach, was es ist«, meldete sich Atlan.Geduldig warteten sie, bis der Arkonide den

Untergrund abgesucht hatte.»Fühlt sich an wie eine Muschel«, sagte Atlan

schließlich. »Ein ziemlich großes Ding.«Bully lachte. »Pflanzen und Muscheln. Allmählich

klingt das verrückt.«»Wir wissen nicht, was es wirklich ist«, sagte

Rhodan.»Es hält Noirs Fuß fest umschlossen und sitzt

seinerseits im Schlamm fest«, verkündete Atlan.

»Außen ist es knochenhart, aber an den Öffnungenweicher.«

»Haben Sie starke Schmerzen, Andre?« erkundigtdsich Rhodan.

Noir gab ein glucksendes Geräusch von sich. »EinFußbad ist angenehmer«, meinte er mit erzwungenerFröhlichkeit. Sie hörten ihn mit den Zähnenknirschen.

»Wenn wir nur ein Licht hätten«, meinte Kasom.Rhodan überlegte, wie er dem Mutanten helfen

konnte.»Ist der Fuß in Ordnung?« fragte er denHypno.»Ich spüre ihn«, erklärte Noir trocken. »Er ist also

noch dran.«»Kasom«, befahl Atlan. »Kommen Sie zu mir, und

versuchen Sie, ob Sie Noir befreien können.«Kasom ging zurück. Es hörte sich an, als sei ein

Schaufelraddampfer auf dem Weg. Der Ertruserbückte sich und untersuchte Noirs Bein mit dereigenartigen Muschel.

»Ich werde versuchen, das Ding aufzubrechen«,sagte er.

Wasser spritzte auf, Kasom schnaubte wie eineDampfmaschine. Ein Ächzen drang über seineLippen, dann ein resignierter Fluch.

»Wie zugeschweißt«, sagte er. »Dabei ist diesesDing nicht größer als eine Kinderbadewanne.«

Wieder machte er sich an Noir zu schaffen.Atemlos lauschten die anderen. Nur an denGeräuschen konnten sie ungefähr feststellen, was inder Finsternis geschah.

Es gab einen Ruck. Kasom und Noir fielengemeinsam in die Rinne. Prustend und hustendkletterten sie daraus hervor.

»Sind Sie frei, Andre?« fragte Rhodanhoffnungsvoll.

Noir schüttelte sich wie ein nasser Hund. »ZumTeil«, sagte er müde. »Das Ding ist vom Bodenlosgebrochen, aber mein Fuß sitzt noch fest. Dasbedeutet, daß ich jetzt eine Badewanne mit mirschleppen muß.«

»Es ist schwer«, sagte Kasom. »Er kann nicht gutdamit gehen.«

Rhodan zog Mackers' Waffe aus der Tasche.Vielleicht war sie gegen Feuchtigkeit unempfindlichund funktionierte noch. Sie konnten Noir nicht mitdiesem Gewicht am Fuß weiterlaufen lassen.

»Ich werde probieren, ob ich die Muschelzerschießen kann«, sagte er. Er steuerte in dieRichtung, wo er Noir vermutete. Nach zwei Schrittenspürte er, wie sich etwas über seiner rechten Wadeschloß.

Er begriff sofort, was geschehen war.Wie Noir war er in eine Falle gestolpert. Etwas

hockte hier unten im Schlamm und lauerte auf Opfer.Was immer es war, es schien gefährlich zu sein.

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Die anderen wurde ruhig. Sie schienen zu ahnen,daß etwas passiert war.

»Kommen Sie herüber, Kasom«, sagte Rhodan.»Ich sitze ebenfalls fest. Seien Sie jedoch vorsichtig.Es scheint noch mehr von diesen Muscheln hier zugeben.«

Es trat nur selten ein, daß mehrereSchnellkrautsamenkapseln sich am gleichen Ortniederließen. Meistens verteilten sie sich über diegesamte Länge eines Kanals. Es war Pech für dieMänner des Imperiums, daß sie ausgerechnet an einerStelle waren, wo mehrere Kapseln lagen.

Noch bevor sie überhaupt ins Freie gekommenwaren, bedrohten die Vorboten des Dschungels vonGreendoor bereits ihre Sicherheit.

7.

»Bitte eintreten«, sagte die Tür, nachdem sichJiggers identifiziert hatte.

Der kleingewachsene Agent von Plophos trat vonder Netzhautkontrolle zurück und wandte sich demEingang zu. Er glitt lautlos in den hellen Raum, dersich vor ihm ausbreitete. Mit einem Schnappenschloß hinter ihm die Tür.

»Nehmen Sie doch Platz«, forderte ein SesselJiggers auf.

Jiggers' Gesicht zeigte keine Überraschung. AberHondro, der hinter einem mächtigen Schreibtisch saßund über ihn hinweg den besten Agenten vonPlophos anschaute, lächelte unmerklich.

»Solche Kleinigkeiten tragen dazu bei, daß man eshier aushalten kann«, sagte Hondro zur Begrüßung.»Dieses Zimmer ist mein Arbeitsraum aufGreendoor.«

Jiggers ließ sich im Sessel nieder und verschwandfast zwischen den hohen Lehnen.

Hondro drehte eine kleine Karteikarte zwischenden Fingern umher. Er betrachtete Jiggers mit einerMischung aus Wohlwollen und Neugier.

»Sie haben Ihre letzte Gegeninjektion vor fast vierWochen erhalten«, sagte er. »Beunruhigt Sie es nicht,daß Sie bisher noch nicht dazu aufgefordert wurden,sich für die fällige zu melden?«

»Nein, Sir«, sagte Al.»Und warum?«»Ich bin Ihr Agent«, sagte Jiggers gelassen.

»Wahrscheinlich einer der besten. Ich habe keinenFehler gemacht. Es besteht also kein Grund für Sie,mir die Injektion zu verweigern.«

Hondro lachte vergnügt.»Sie gefallen mir«, sagte er zu Jiggers. »Ich habe

große Pläne mit Ihnen, sobald es uns gelungen ist,das Imperium endgültig zu zerschlagen.«

»Gut, Sir«, sagte Al gleichmütig.Hondro schob einen Stapel Papiere vor sich über

den Tisch auf Jiggers zu. Es war ihm anzusehen, daßer kein Freund von Schreibarbeiten war. Der Obmannergriff gern die Initiative, aber er war kein Mann, dereine Sache vom Schreibtisch aus regelte.

»Darin ist ein ganzer Fragenkomplex behandelt«,sagte er zu Al. »Sie werden feststellen, daß vielePunkte unklar sind, vor allem solche, die unsereFreunde vom Vereinigten Imperium betreffen. Siewissen, daß es wichtig ist, Informationen über dieterranische Militärstärke zu erhalten.« Er winkteunwillig ab. »Uns interessiert nicht dieImperiumsflotte, denn sie wird beim ersten Angriffzerbröckeln. Die Verbündeten der Terraner beginnenbereits unsicher zu werden. Unsere Propagandaarbeitet fabelhaft. Was wir jedoch unbedingt wissenmüssen, sind alle Dinge, die Terra selbst betreffen.Nur von dort droht uns Gefahr und ernsthafterWiderstand.«

Jiggers hörte schweigend zu. Er hatte dieEllenbogen auf die Armlehnen gestützt und stieß dieZeigefinger gegeneinander.

»Wir haben fünf der wichtigsten Männer desImperiums in unseren Händen. Rhodan, Atlan undBull sind unter ihnen. Das bedeutet, daß wir allewichtigen Informationen praktisch auf Greendoorkonserviert haben. Wir müssen diese Konserven nunöffnen.«

»Ja, Sir«, sagte Jiggers. Ein schwaches Aufblitzenin seinen Augen zeigte sein Interesse.

»Sie werden sich um die Gefangenen kümmern,Al«, sagte der Regierende Ministerpräsident desEugaul-Systems, gleichzeitig Diktator über vieleandere, von Plophosern besiedelte Welten. »DieLücken in diesen Papieren werden Sie mit ihremWissen ausfüllen.«

Jiggers nickte knapp.Hondro stand auf. Mit wuchtigen Bewegungen

kam er um den Tisch herum.»Verhören Sie sie mit allen Mitteln«, sagte

Hondro.»Ja, Sir«, sagte Jiggers.»Keine Toten«, warnte der Obmann. »Ich kann

diese Männer notfalls als Druckmittel gegen Terraeinsetzen. Sind sie tot, nützen sie uns im geeignetenAugenblick wenig.«

»Es gibt auch lebendige Tote«, meinte Jiggers.»Gut«, sagte Hondro. »Fangen Sie sofort an. Ich

baue meine nächsten Pläne auf der Überzeugung auf,daß Sie alles erfahren werden, was uns interessiert.Und zwar schnell erfahren.«

»Sie können sich auf mich verlassen«, sagteJiggers.

Als er aufstand, sagte der Sessel: »AufWiedersehen, Sir!«

Jiggers verabschiedete sich und verließ den Raum.Draußen angekommen, ging er zum nächsten

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Sprechgerät und rief sein Büro an.Er ordnete an, daß drei seiner Männer alles für das

Verhör vorbereiten sollten. Dann fuhr er mit dem Liftin die Tiefe.

Als er im Keller ankam, mußte er feststellen, daßMackers nicht im Vorzimmer des Gefängnisses war.Eine steile Falte bildete sich auf Als Stirn.

Er zog eine winzige, aber sehr wirkungsvolleStrahlwaffe und trat die Tür zum Gefängnisraum auf.

»Hrmph!« machte Mackers in verzweifeltemBemühen, den Knebel aus dem Mund zu stoßen.

Jiggers steckte die Waffe weg und befreite denAlten.

Mackers' Augendeckel flatterten. Zitternd wandteer sich an Al.

»Sie haben mich über ...«, begann er.Jiggers stoppte ihn mit einer Handbewegung.»Wann sind sie verschwunden?« fragte er.»Vor einer Stunde«, berichtete Mackers kleinlaut.

»Vielleicht ist es auch schon länger her. Sie sprachendavon, daß sie den Kanal benutzen würden.«

Jiggers schlug ihm zweimal ins Gesicht. Mackersbegann zu wimmern. Todesfurcht sprach aus seinenAugen.

»Wenn sie bei der Flucht sterben sollten, werde ichIhre Bestrafung persönlich vornehmen«, versprachAl.

Er gab Mackers einen Stoß, daß der alte Mann aufsBett fiel und erschrocken aufschrie.

Jiggers hastete in den großen Kellerraum zurück.Schnell fand er die Sprechanlage. Zunächst rief erdas Büro des Obmanns an. Er schilderte Hondo, wasgeschehen war.

»Sie haben keine Chance«, sagte der Obmann.»Sie können sterben«, erklärte Jiggers. »Das

wollten Sie vermeiden.Wir müssen sie finden, bevor sie getötet werden.«»Ich werde Alarm geben«, versprach Hondro.

»Alle Austrittsschächte der Kanalisation müssenbewacht werden. Wer soll die Verfolgungübernehmen?«

»Meine Männer und ich«, sagte Al schnell.»Gut«, sagte Hondro. »Wir werden in Verbindung

bleiben. Sie werden wahrscheinlich nie aus diesemIrrgarten herausfinden.«

Jiggers rief sein Büro an und befahl seinemStellvertreter, eine Gruppe von dreißig Mann mitSpezialausrüstungen in den Keller zu schicken.

»Es muß schnell gehen«, forderte er. »Beeilen Siesich.«

Danach kehrte Jiggers ins Gefängnis zurück.Mackers hockte niedergeschlagen im Vorraum amTisch. Er hatte den Kopf in beide Hände gestützt. AlJiggers hob witternd den Kopf.

»Es riecht nach Alkohol« stellte er fest. »HabenSie getrunken?«

Mackers schüttelte den Kopf.Mit zwei Schritten war Jiggers am Tisch und riß

ihn von Mackers weg. Mackers sackte nach vorn. DerAgent baute sich vor ihm auf.

»Was ist?« sagte er mit gefährlicher Ruhe. »HabenSie getrunken?«

»Ein wenig«, erwiderte Mackers bebend.»Schnaps«, sagte Al verächtlich. »Sie haben sich

mit Schnaps kaufen lassen.«Mackers hatte Glück, daß kurz darauf die ersten

Männer des Suchkommandos eintrafen. Jiggerswurde dadurch von ihm abgelenkt. Als der Agent mitseinen Begleitern in die Kanalisation eindrang, saßMackers noch immer auf dem Stuhl. Sein Gesichtwar geschwollen. Jiggers war ein brutaler Mann. Erführte seine Erfolge auf die Tatsache zurück, daß erhärter war als seine Gegner. Darauf baute er auchjetzt.

Wenn die Flüchtlinge noch am Leben waren,zweifelte er nicht daran, daß er sie innerhalb kurzerZeit fangen würde.

8.

Am 10. Oktober 2328, dem gleichen Tag, an demRhodan und seine Begleiter auf Greendoorflüchteten, war die Situation innerhalb der Galaxisverworrener denn je.

Die Nachricht vom Absturz der CREST hatteüberall Bestürzung, aber auch Frohlockenhervorgerufen. Man war allgemein davon überzeugt,daß Perry Rhodan nicht mehr am Leben war. Dabisher auch Atlan und Bull nicht an derÖffentlichkeit erschienen waren, nahm man an, daßdiese beiden Männer ebenfalls an Bord der CRESTgewesen waren und den Tod gefunden hatten.

Alle Dementis, die von Mercant und Tifflorherausgegeben wurden, konnten nicht verhindern,daß das Chaos sich immer weiter ausbreitete. DieBerichte der beiden Terraner klangen unglaubwürdig,denn sie konnten durch ein Auftreten der dreiwichtigsten Männer nicht unterstrichen werden.

Der Zerfall des. Vereinigten Imperiums begannnun endgültig. Überall fehlte die lenkende Hand. Dieeinzelnen Kolonialsysteme begannen stärker alsbisher auf eigene Faust zu handeln. Sie zeigtendeutlich, daß sie nicht länger an einerZusammenarbeit mit Terra interessiert waren. Dieführenden Männer in den Kolonien gingen ihreeigenen Wege.

Vielleicht hätten Rhodan und Atlan die Situationdurch ein rasches und entschlossenes Eingreifen nochändern können - doch sie blieben verschwunden.

Von einer wesentlich unangenehmeren Seite alsdie Kolonisten zeigten sich jedoch die Akonen,Arkoniden und Springer. Die Akonen trugen dazu

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bei, daß sich der Krieg der Blues-Völker in denwestlichen Teil der Galaxis verlagerte. Die Männervom Blauen System schickten sogenannteFreischärlertrupps zur Unterstützung der Blues aus.Das zeigte deutlich, daß die Akonen in den Blues diezukünftigen Herren der Milchstraße sahen. Die Blueswaren noch immer stark genug, um das Erbe Terrasanzutreten.

Die Springer hingegen hatten weniger militärischeals geschäftliche Ambitionen. Wer gut bezahlte,erhielt Waffen. Modernste Massenvernichtungsmittelund Verteidigungsanlagen wechselten den Besitzer.Die Blues erhielten dadurch Waffen, die sie durcheigene Forschung in Jahrzehnten nicht hättenentwickeln können.

Es wurde immer schwerer, die Grenzen dereinzelnen Kämpfe festzulegen. An unzähligen Stelleninnerhalb der Galaxis wurden Raumschlachtenausgetragen. Revolten brachen aus. Planeten wurdenerobert und riesige Städte dem Erdbodengleichgemacht.

Jeder, der eine Waffe tragen und ein Raumschiffbetreten konnte, schien unterwegs zu sein, um denAufruhr noch zu verstärken. Lediglich imSolar-System blieb es ruhig. Dorthin wagte sich keineinziges Schiff.

Inmitten des galaktischen Krieges war die Erdeeine Insel des Friedens. Aber diese Ruhe täuschte.Mercant und Tifflor blieben nicht untätig. Sie warensich darüber im klaren, daß der Zerfall desImperiums unter den gegenwärtigen Umständen nichtmehr aufzuhalten war. Deshalb beschränkten sie sichdarauf, die Erde gegen jeden Angriff aus dem Raumabzusichern.

Ein Teil der Schiffe wurde von der Suche nachRhodan zurückbeordert.

Das Solar-System machte sich bereit, jedenGegner zurückzuschlagen, der es wagen sollte, bisdorthin vorzustoßen.

Ein Imperium, das von Perry Rhodan in dreiJahrhunderten aufgebaut worden war, zerfielinnerhalb von Tagen. Es gab unzählige starkeKampfgruppen, von denen jede eigene Interessenverfolgte.

Aber nicht nur Terra hielt sich vorerst noch ausden Streitigkeiten heraus. Auch auf Plophos war esmerkwürdig ruhig. Es schien, als warte man unterden Kolonisten auf den entscheidenden Augenblick.

Nur der Obmann kannte den genauen Zeitpunkt, dadie Plophoser losschlagen würden. Alle Trümpfewaren in ihrer Hand.

9.

Eine Hand griff aus der Dunkelheit undumklammerte seinen Arm.

»Sind Sie das, Kasom?« fragte Rhodan.»Ja, Sir«, bestätigte der Ertruser mit dröhnender

Stimme. »Ich werde mich um Ihren Fuß kümmern.«Rhodan spürte, wie die großen Hände des

USO-Spezialisten an seinem Körper hinabglitten.Gleich darauf begann Kasom an der vermeintlichenMuschel zu zerren. Kasom ging nicht gerade sanftmit Rhodans Bein um. Nach kurzer Zeit löste sich dereigenartige Gegenstand vom Boden und Rhodankonnte genau wie Noir seinen Fuß heben, der jedochnach wie vor in der Falle steckte.

»Nehmen Sie Mackers' Waffe«, sagte Rhodan.»Vielleicht funktioniert sie trotz derNässeeinwirkung.«

»Das ist gefährlich, Sir«, mahnte der Riese. »Siekönnen dabei Ihren Fuß verlieren.«

»Tasten Sie den Rand der Muschel ab«, befahlRhodan. »Wenn ich mich nicht bewege, können Sieaus kurzer Entfernung auch in der Dunkelheit denRand treffen, ohne mich dabei zu verletzen.«

Atlan watete durch die Dunkelheit heran.»Geben Sie einen Probeschuß ab, Melbar«, sagte

er. »Wir wollen sehen, ob das Ding überhauptfunktioniert.«

Kasom drückte in die Richtung ab, aus der siegekommen waren. Ein bleistiftdünner Strahl, der sichbald fächerförmig auszudehnen begann, erhellte fürwenige Augenblicke den Kanal. Das wenige, was dieMänner von ihrer Umgebung zu sehen bekamen,genügte, um ihre Stimmung auf den Tiefpunkt zubringen.

Die Seitenwände waren von zentimeterdickemDreck bedeckt. Von der Decke hingen schmierige,tropfende Fäden. Die beiden Stege wurden vomüberquellenden Schlamm aus der Rinne überzogen.Überall lag Unrat herum. Rhodan konnte für einenkurzen Augenblick das Ding an seinem Fuß sehen.

Es war knapp einen halben Meter lang, aber nurhalb so breit. Seine Form glich der einer großenBanane. Direkt neben Rhodans Fuß wucherte eingelber Stengel aus der Muschel.

Als es wieder dunkel wurde, packte Rhodan denAuswuchs. Es schien sich um eine primitive Pflanzezu handeln, die in der Muschel wuchs. Nein, das warunmöglich. Wenn dieses Ding bei ihm zuschnappte,dann würde es auch keinen anderen Gast dulden.Rhodan dachte an die Möglichkeit einer Symbiose,aber die Wahrheit würde er wohl nie erfahren.

»Die Waffe funktioniert, Sir«, sagte Kasom nacheiner Weile. Es schien ihm schwerzufallen, denAuftrag durchzuführen.

»Zögern Sie nicht«, ermunterte ihn Rhodan. »Wirkönnen nicht länger warten.« Je länger sein Fuß inder Falle blieb, desto heftiger wurde der Druck, dendie Muschel auf ihn ausübte. Sie schien kräftig genugzu sein, um ihm das Bein unterhalb der Wade

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abzuschnüren. Noir erging es wahrscheinlich nichtviel besser.

Für Rhodans Begriffe verstrichen mindestens zweiMinuten, bevor Kasom schoß. Unterhalb von Rhodanbegann es zu glühen, als habe sich Elmsfeuer anseine Beine geheftet. Hitze stieg auf. Rhodan blicktean sich herab. Er sah die Umrisse des riesigenErtrusers direkt vor sich. Das Ding um seinen Fußleuchtete giftgrün. Es schien eigene Leuchtkräfte zubesitzen.

An einer Seite begann es jedoch raschabzudunkeln. Kasom kam vom Boden hoch undatmete erleichtert auf.

»Ich glaube, ich habe gut gezielt«, sagte er.Da zog sich die Muschel an Rhodans Bein

zusammen. Der große Terraner mußte die Zähneaufeinanderbeißen, um nicht vor Schmerzen zustöhnen. Das Blut wich aus seinem Kopf, er fühlte,daß ihm kalter Schweiß ausbrach.

Kasom schien zu merken, daß etwas nicht stimmte.Er bewegte sich unruhig. Die Muschel begannplötzlich am Fuß Rhodans zu zerren.

»Das Ding will weg!« rief Rhodan überrascht. »Esversucht sich zu bewegen.«

Es gab einen schmatzenden Laut, dann kamRhodans Fuß frei. Etwas plumpste ins Wasserzurück, als er blitzschnell das Bein hob. RasendeSchmerzen tobten in dem verletzten Fuß.

»Platsch!« machte es in der Dunkelheit. »Platsch!Platsch! Platsch!«

Rhodans Nackenhaare richteten sich hoch. Er hattedas sichere Gefühl, daß diese seltsame Muschel dabeiwar, sich von ihnen zu entfernen. Es hörte sich an, alsverschwände das Ding mit weiten Sprüngen.

»Nun Sie, Noir«, sagte er gefaßt.Der Erfolg verlieh Kasom Sicherheit und Ruhe.

Innerhalb einer Minute war auch Noir frei. Kasombrachte Rhodan die Waffe zurück.

»Sicher gibt es hier noch mehr von diesenBiestern«, vermutete er. »Wie sollen wir uns vorihnen sichern?«

»Wir müssen noch vorsichtiger sein«, sagteRhodan. »Mehr können wir im Augenblick nichttun.«

Allmählich begann das Blut wieder prickelnd inden alten Bahnen zu zirkulieren. Behutsam humpelteRhodan an die Spitze und befahl den Aufbruch. Noirund er waren zwar unverletzt geblieben, aber dasGehen machte ihnen zunächst noch Schwierigkeiten.

Mindestens eine Stunde gingen sie weiter, ohnedaß es zu einem weiteren Zwischenfall kam. NurBully stieß einmal auf eine Muschel, doch er traf sieseitwärts und konnte den Fuß in Sicherheit bringen,bevor sie zuschnappte.

Zweimal teilte sich der Kanal. Rhodan hielt sichimmer rechts, denn nur so konnten sie hoffen, einmal

irgendwo herauszukommen. Da sie jedes Zeitgefühlverloren hatten, wußten sie nicht, wieviel Stunden siebereits durch das Labyrinth der Abwässeranlagenirrten.

Unerwartet wurde der Kanal, durch den sie gingen,von einer Sperre unterbrochen. Rhodans Hand stießauf Metall. Das Wasser fand weiter unten Durchlaß,doch das Gitter in der Sperre war viel zu klein, umdie Männer durchzulässen.

»Wir kommen nicht weiter«, rief Rhodan seinenGefährten zu.

Zu seinen Füßen schwammen unzählige Pilze, diesich ebenfalls vor dem Gitter stauten. Er glaubte,auch einige Muscheln zu fühlen, die seine Beinestreiften, sich jedoch überraschend passiv verhielten.

Kasom untersuchte die Sperre.»Sie ist nicht immer in dieser Stellung«, sagte er

nach einer Weile. »Offensichtlich wird sie nurherabgesenkt, wenn größere Gegenständeaufgefangen werden sollen.«

»Sie haben unsere Flucht entdeckt«, meinte Atlan.»Jetzt sperren sie die Kanäle.«

»Ich habe einen Seitengang entdeckt«, meldetesich Bully. »Er ist jedoch ebenfalls versperrt.«

Rhodan arbeitete sich durch die schwimmendenPilze zu dem untersetzten Terraner. Der seitlicheKanal war nicht groß, sein Durchmesser betrug nurzwei Meter. Nachdem Rhodan zehn Schritte in ihneingedrungen war, stieß er auf eine geschlosseneMetallwand.

»Hier ist ein Hebel oder irgend etwas, das sich soanfühlt!« rief Noir vom Hauptkanal. »Vielleichtwurde er für Notfälle angebracht, wenn dieautomatische Regelung einmal ausfallen sollte.«

»Vorsicht, Noir!« warnte Atlan. »Bewegen Sie ihnnicht.«

Rhodan beeilte sich, in die Nähe des Mutanten zukommen. Noir ergriff ihn am Arm und führte ihn aufden Hebel zu. Rhodans ausgestreckte Hand bekameinen Metallgriff zu fassen. Er versuchte, ihnbehutsam nach oben oder unten zu drücken. Erwackelte etwas, gab jedoch nicht nach. Rhodanverstärkte den Druck.

Plötzlich gab der Hebel mit einem Ruck nach undrastete ein Stück weiter oben ein. Ein Knirschen, alsrieben zwei rauhe Metallflächen gegeneinander,drang an die Ohren der Männer. Das Geräusch ließRhodan frösteln.

»Die Sperren öffnen sich!« rief Kasom.Vom Seitengang kam Wasser geschossen, es ergoß

sich mit unverhoffter Wucht über die Männer.Rhodan wurde von den Beinen gerissen und fiel indie aufschäumende stinkende Flut. Kasom schrielaut, seine Stimme schien von oben zu kommen.Erschreckt vermutete Rhodan, daß der Ertruser sichvon der Sperre des Hauptkanals mit in die Höhe hatte

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ziehen lassen.Der Seitengang mußte unter Wasser gestanden

haben. Als Rhodan die Absperrungen geöffnet hatte,waren die Abwässer blitzschnell in den Hauptgangeingedrungen. Die Flut schien kein Ende zu nehmen.Inmitten Hunderten von Pilzen wurde Rhodan durchdas Wasser gewirbelt. Es blieb ihm nichts anderesübrig, als sich verzweifelt an einen Pilz zu klammern,um nicht zu ertrinken. An Schwimmen war unterdiesen Verhältnissen nicht zu denken.

Dann wurde er mit dem Wasser davongespült.Etwas Hartes und Spitzes riß eine tiefe Wunde in seinBein. Sein Kopf war in Schaum gehüllt, jedesmal,wenn er nach Luft schnappte, atmete er dieschmutzige Brühe in sich hinein. Magenkrämpfeschüttelten ihn. Immer schneller wurde erdavongetragen. Er wußte nicht, wo die anderenwaren. Wahrscheinlich schwammen sie gleich ihm inrasender Fahrt durch den Kanal, einem unbekanntenZiel entgegen.

Ständig stieß er irgendwo an, aber seine nach Haltsuchenden Hände glitten überall ab, fanden an diesennassen, glitschigen Stellen keinen Vorsprung oderGriff, wo sie sich festklammern konnten.

Einmal prallte er mit einem anderen Mannzusammen, aber er wußte nicht, wer es war, der einenkrächzenden Ruf ausstieß und dann wieder vonWasser und Dunkelheit verschluckt wurde.

Es wurde so plötzlich hell, daß Rhodan geblendetdie Augen schloß, die sich wieder an Licht gewöhnenmußten. Das Wasser, in dem er schwamm, wurderuhiger.

Schließlich konnte er seine Umgebung erkennen.Seinen Augen bot sich ein phantastisches Bild.Er schwamm mitten auf dem Meer. Um ihn herum

trieben Tausende von Pilzen und Muscheln. Direkthinter ihm ragten die Abwässerkanäle vonZentral-City Hunderte von Metern ins Meer hinein.Die Stadt selbst erhob sich wie eine hochgetürmteBurg am Ufer.

Die Strömung führte Rhodan rasch von ihr weg. Ererkannte, daß er in einer ausgedehnten Buchtschwamm. Auf der anderen Seite konnte er einendunklen Strich erkennen. Das war das Ufer jenseitsder Stadt. Dort begann der Urwald von Greendoor.Am Horizont sah er etwas, das tiefliegenden Wolkenähnelte, aber es waren die Hochgebirge, die dasInnenland vom Ozean trennten.

Wenn Rhodan den Kopf wandte, sah er aufs Meerhinaus. Das Licht der beiden Sonnen spiegelte sichauf der ruhigen Wasseroberfläche. Entschlossenwälzte sich Rhodan auf den Pilz und begann mit denBeinen zu schwimmen.

Auf diese Weise arbeitete er sich immer näher andas entfernte Ufer heran.

*

Die Bewußtlosigkeit schien nur einen kurzenAugenblick angehalten zu haben. Dies war dieeinzige Erklärung für die Tatsache, daß er noch amLeben war. Der Pilz, den er am Gürtel befestigt hatte,hielt ihn über Wasser.

Reginald Bull erinnerte sich, daß er Sekunden nachdem Einbruch des Wassers gegen die Wandgeschleudert und bewußtlos geworden war. Jetzt warer der Gewalt der Fluten hilflos ausgeliefert. DieBenommenheit im Kopf ließ allmählich nach. Erhatte soviel Wasser geschluckt, daß er sich übergebenmußte. Seine Augen tränten vor Anstrengung.

Er hoffte, daß es die anderen weniger hart erwischthatte. Die Fluten trugen ihn einem unbekannten Zielentgegen. Vielleicht war Rhodan oder ein andererganz in seiner Nähe, ohne daß er es wußte.Bedauernd dachte er an Gucky. Der Mausbiber hätteihn rasch aus dieser mißlichen Lage befreien können.Doch Gucky war vermutlich jetzt irgendwo in derGalaxis auf der Suche nach seinen Freunden.

Bully holte einen zweiten Pilz zu sich heran. Erklemmte die beiden Hohlkörper unter die Arme undwurde so über Wasser gehalten.

Ohne Gegenwehr ließ er sich davontragen. Ab undzu spürte er Grund unter den Füßen, aber dieStrömung riß ihn jedesmal weiter.

Nach längerer Zeit glaubte er einen Lichtschimmervor sich zu erkennen. Er kniff die Augen zu, umbesser zu sehen. Ein heller Fleck wurde sichtbar. Ertrieb genau darauf zu. Noch einmal nahm seineGeschwindigkeit zu, als strebe das Wasser mit allerMacht dem Tageslicht entgegen. Bully rutschte überein Rohr hinweg und zog den Kopf ein, als er dieUmrisse eines Gitters erkannte.

Gleich darauf war er im Freien. Links und rechtsvon ihm ragten Felsen steil in die Höhe. Weiter vornschien das offene Meer zu liegen. Nachdem er sichan die Helligkeit gewöhnt hatte, sah Bully weitereEinzelheiten. Der Kanalaustritt war offensichtlich indie Klippen hineingesprengt worden. Er war nureiner von vielen. Als Bully auf das Meerzuschwamm, erkannte er andere Kanalarme, die inregelmäßigen Abständen in den Ozean hinausführten.Nur dort, wo sich Felsen befanden, hatten diePlophoser auf eine künstliche Verlängerung ihrerKanäle verzichtet und sich auf eine in die Klippengesprengte Öffnung beschränkt. Bully wurde gegeneinen vorstehenden Felsen geschwemmt und hieltsich daran fest.

Mit großer Anstrengung gelang es ihm, sich ausdem Wasser zu ziehen. Schwärme von Insektenhatten sich auf den von der Doppelsonne erwärmtenSteinen niedergelassen. Der Geruch der Abwässer

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hatte sie angezogen.Auf allen vieren kroch Bully etwas höher. Jetzt

hatte er einen Ausblick auf die gesamte Umgebung.Hinter ihm ragte Zentral-City in die Höhe. Dieriesige Stadt sah eindrucksvoll aus. Vor ihm breitetesich eine Bucht aus, ein natürlicher Hafen, der jedochfür die raumfahrende Rasse der Plophoservollkommen nutzlos war. Auf der anderen Seite derBucht, dort, wo sich Zentral-City noch nichtausgebreitet hatte, begann der Wald.

Bully stöhnte leise und wollte sich erheben.»Liegenbleiben!« rief ihm jemand warnend zu.Bully fuhr herum. Das verschmierte, hagere

Gesicht, das zwischen den Felsen zu ihmherabblickte, gehörte Atlan.

»Sieh nach oben!« sagte der Arkonide.Noch völlig verwirrt, wälzte sich Bully auf den

Rücken und blickte in den Himmel.Schräg über ihnen schwebte ein plophosischer

Fluggleiter.»Er sucht schon einige Zeit die Gegend ab«,

berichtete Atlan. »Weiter vorn sind noch zwei.Anscheinend warten sie darauf, daß wir hierirgendwo auftauchen.«

Bully blickte sich suchend um.»Wo sind die anderen?« fragte er.Atlan kam langsam auf ihn zugekrochen. »Keine

Ahnung«, sagte er. »Das Wasser wird sie irgendwoaus einem Kanal gespült haben.«

Bully nickte zum Meer hinaus. »Ob sie dort sind?«erkundigte er sich.

Der Arkonide antwortete: »Wahrscheinlich - undwir werden ebenfalls hier verschwinden.«

Bully strich über sein von Schmutz verklebtesHaar. Dankbar spürte er die wärmende Kraft derDoppelsonne auf seinem vor Kälte fast steifenKörper.

»Wohin sollen wir uns wenden?« fragte er.»Wir durchschwimmen die Bucht«, sagte Atlan.

»Ich nehme an, daß sich Perry dorthin wenden wird.Hier ist es zu gefährlich. Früher oder später werdendie ersten Gleiter zwischen den Felsen landen und dieKanäle absuchen.«

Reginald Bull blickte an sich herab. Was er sah,wirkte nicht gerade ermutigend. Die Überreste seinerKleidung, vom Gürtel nur noch mühsamzusammengehalten, hingen in Fetzen an seinemKörper. Überall hatte er blaue Flecken. An der Hüftezeigte sich ein blutender Riß. Er hatte überhauptnicht gespürt, daß er sich eine Verletzung zugezogenhatte. Er riß einen Streifen Stoff aus der Hose undband ihn notdürftig um die Wunde.

»Auf der anderen Seite der Bucht beginnt derDschungel«, sagte er zu Atlan. »Was Perry unsdarüber berichtet hat, klang nicht gerade verlockend.Warum bleiben wir nicht hier und versuchen in der

Stadt Unterschlupf zu finden?«Atlan machte eine bezeichnende Geste auf Bullys

Bekleidung.»In diesem Zustand?« erkundigte er sich spöttisch.

»Jeder würde uns sofort als das erkennen, was wirsind.«

Unablässig kreiste der Gleiter über dem Meer.»Können uns die Plophoser nicht sehen?« fragte

Bully besorgt.»Tausende von Pilzen schwimmen durch die

Bucht«, erwiederte Atlan. »Wir brauchen uns nurunter sie zu mischen, um nicht entdeckt zu werden.«

Mehrere Minuten lagen sie schweigend fünf Metervoneinander entfernt zwischen den heißen Felsen.Unter ihnen plätscherte der Ausfluß des Kanals.

»Ich glaube, wir brauchen nicht länger zu warten«,sagte Atlan schließlich. »Die anderen scheinen nichthier herauszukommen.«

Mit diesen Worten robbte der Arkonide an Bullyvorüber, aufs Wasser zu. Bully hörte das Gurgeln desWassers, als Atlan darin eintauchte und setzte sichebenfalls in Bewegung. Nur Atlans Kopf ragte überdie Meeresoberfläche, kaum von einem der vielenPilze zu unterscheiden, die überallherumschwammen.

Entschlossen ließ sich auch Bully in die Tiefegleiten. Kurz darauf schwammen sie nebeneinanderaufs offene Meer hinaus. Bully warf einenmißtrauischen Blick zum Gleiter empor, der jedochnach wie vor ruhig seine Kreise zog. Für dieBesatzung der Flugmaschine mußten die Pilze wiestecknadelkopfgroße Punkte erscheinen. Der Kopfeines Mannes war schwer davon zu unterscheiden.

Bully grinste befriedigt und blickte zurück zurStadt. Da sah er etwas anderes, das ihn erschreckte.

»Admiral!« rief er.Atlan hörte mit den Schwimmbewegungen auf und

schaute in die angegebene Richtung.Unterhalb der Stadt, von einer kleinen Pier, lösten

sich drei moderne Schiffe und nahmen Kurs auf dieKlippen.

»Sie denken an alles«, erklärte Atlan. »Los jetzt,Bully! Wir müssen von hier verschwunden sein,bevor sie eintreffen.«

Bullys stämmige Beine wirbelten durchs Wasser.Er war froh, daß sie der schmutzigen Brühe derKanäle entkommen waren. Atlan erwies sich alsschneller und geschickter Schwimmer. Bully hatteMühe, sich auf gleicher Höhe zu halten.

Entlang der Küste konnte er jetzt die anderenGleiter sehen. Und hinter ihnen, in der Doppelsonneglitzernd, rasten die plophosischen Suchboote heran.

*

Angespannt lauschte Melbar Kasom in die

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Dunkelheit. Außer dem nachlassenden Plätschern desWassers war nichts zu hören. Langsam kletterte derertrusische Riese an der Sperre hinab. Das letzteStück mußte er mit einem Sprung überwinden. Miteinem Platscher landete er im noch knietiefenWasser.

Eine Stimme fragte: »Wer ist das?«»Noir!« entfuhr es Kasom erleichtert. »Ich dachte,

alle seien davongespült worden.«»Ich klammerte mich am Hebel fest«, erklärte

Noir. »Dann zappelte ich im Wasser wie ein Fisch ander Angel. Dabei habe ich fast den Hebel aus derVerankerung gerissen.«

In anderer Lage hätte Kasom sicher über Noirsfarbige Schilderung des Abenteuers gelächelt. Dochjetzt war aller Humor von ihm gewichen. Rhodan,Atlan und Bull waren irgendwo in den Kanälenverschwunden. Kasom fühlte sich plötzlich müde undverbraucht. Was war der Dienst für das Imperiumeigentlich anderes als ein ständiges Wettrennen mitdem Tod?

Zum Teufel damit, dachte er ergrimmt, ich mußaufhören, hier unten Trübsal zu blasen, schließlichhabe ich mir diese Arbeit ausgesucht, und bisherhatte ich auch keinen Grund, mich darüber zubeschweren.

Er watete auf Noir zu, bis er ihn berühren konnte.»Das Wasser ist gesunken«, sagte er gelassen. »Sie

können den Griff loslassen.«Noir stemmte sich gegen Kasoms Arm.»Was werden wir jetzt unternehmen?« fragte er.

»Haben Sie einen Plan?«»Wir versuchen die anderen einzuholen«, erklärte

der Ertruser. Noir war ein Mann mit großemSelbstvertrauen und einer Erfahrung, die die Kasomsum fast drei Jahrhunderte übertraf. Trotzdem schiender Mutant in diesem Augenblick die FührerschaftKasoms stillschweigend anzuerkennen.

Vielleicht, überlegte der Ertruser, mußte man erstso lange mit dem Tod kämpfen wie Noir und dieanderen Aktivatorträger, um der tödlichen Gefahr mitGelassenheit und Mut zu begegnen.

Noir begann bereits auf die Sperre zuzustreben.Kasom gab sich einen Ruck und folgte ihm. Siefolgten der Strömung der Abwässer. Der Kanal teiltesich noch dreimal, aber sie hielten sich immer rechts.

»Sie sind verdammt schnell, Kasom«, seufzte Noireinige Zeit später. »Ich wäre Ihnen dankbar, wennSie Ihre Riesenschritte etwas verkürzen könnten, sodaß auch ein Durchschnittsbürger auf Ihrer Fährtebleiben kann.«

Kasom verlangsamte das Tempo. Seit einigenMinuten glaubte er, einen frischen Luftzug zu spüren.Aber das konnte auch eine Täuschung sein. Er hoffte,daß jetzt kein weiterer Wasserschwall über siehinwegfluten würde, denn hier gab es nichts, woran

sie sich klammern konnten.»Licht!« rief Noir aus und kam an Kasoms Seite.»Tatsächlich«, stimmte Kasom zu. »Dort vorn ist

der Kanal wahrscheinlich am Ende angelangt. Ichspüre bereits frische Luft.«

Er fühlte, daß ihn neue Zuversicht überkam. Eswar schon ein großer Erfolg, daß sie überhaupt einenAusgang aus diesem Labyrinth gefunden hatten. Noirbeschleunigte seine Geschwindigkeit. Die Aussichtauf frische Luft schien ihn zu beflügeln.

Es wurde zunehmend heller. Bald konnten siedurch den Kanalausgang aufs Meer hinaussehen.

Da blieb Kasom ruckartig stehen.»Was ist los?« fragte Noir gespannt.»Ein Boot«, flüsterte Kasom. »Ich glaube, ein

Schiff glitt dort draußen vorüber.«Eng an die Wand gepreßt, gingen sie weiter.

Weiter vorn sahen sie, daß Kasoms scharfe Augensich nicht getäuscht hatten. Vor dem Kanalaustrittpatrouillierte ein plophosisches Suchboot. Zweiweitere kreuzten in der ausgedehnten Bucht, die sichvor den beiden Flüchtlingen ausbreitete. Betroffenbetrachtete Kasom das Schiff, das in einerEntfernung von etwa fünfhundert Metern langsamdurchs Wasser glitt.

»Was nun?« fragte Noir ruhig.»Hier können wir auf keinen Fall bleiben«,

erwiderte der USO-Mann. »Sie suchen uns, daranbesteht kein Zweifel. Wahrscheinlich werden sieauch bald durch die Kanäle kommen.«

Noir wischte hartgetrockneten Schmutz aus demGesicht. Er sah aus wie ein heruntergekommenerTramp. In seinen Augen jedoch leuchteteEntschlossenheit, die einmal begonnene Fluchtfortzusetzen.

»Hoffentlich haben sie noch keinen von unserwischt«, äußerte Kasom.

»Sobald wir herausschwimmen, werden sie unsentdecken«, prophezeite Noir trübsinnig.

Kasom überlegte einen Augenblick. Für Männer,die in seiner Nähe weilten, wirkte der Ertruser wieein Fels, und sein augenblickliches Aussehenverstärkte diesen Eindruck noch.

»Ich habe eine Idee«, sagte er zu Noir. Er löste denPilz vom Gürtel und begann mit seinen kräftigenFingern ein Loch hineinzukratzen. Noir sah ihmgespannt zu. Der Ertruser arbeitete schweigend, diemächtigen Muskeln seiner Oberarme spannten sich,als er das Fleisch in großen Fetzen aus dem Pilz riß.Schließlich hatte er eine Höhlung durch die Pflanzegegraben.

»So könnten wir es schaffen«, sagte er.»Was haben Sie vor, Kasom?« wollte der Hypno

wissen.Der Spezialist zeigte auf die überall

herumschwimmenden Pilze. »Sie können unmöglich

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jeden einzelnen Pilz untersuchen«, erklärte er. »Dasist unsere Chance.« Mit diesen Worten zog er denausgehöhlten Stengel ein Stück über den Kopf. Durchdie groteske Kopfbekleidung sah er noch wilder ausals zuvor.

»Ich glaube, die Plophoser würden bei Ihrembloßen Anblick die Flucht ergreifen«, sagte Noir mitGalgenhumor.

Kasom nickte. Er hob einen weiteren Pilz aus demWasser und fertigte für den Mutanten ebenfalls eineTarnkappe an.

Noir stülpte den primitiven Hut über den Kopf undgrinste Kasom an.

»Vielleicht haben wir in diesem Augenblick eineneue Mode kreiert«, meinte er.

Kasom setzte sich in Bewegung, die Pflanzeschwankte auf seinem großen Schädel, als würde siejeden Augenblick herunterfallen. Doch Noir sah bald,daß seine Bedenken unnötig waren. Der Ertruserhatte gute Arbeit geleistet.

Bald war das Wasser tief genug, daß sieschwimmen konnten. Kasom ging in die Knie undtrieb mit weitausholenden Stößen aus dem Kanalhinaus. Er schien nicht die geringste Furcht zu haben.Noir ließ sich ins Wasser sinken und folgte ihm. Erwar nie ein besonders guter Schwimmer gewesen,aber er hoffte, daß er Kasom einholen konnte.

Ohne sich um das plophosische Schiff zukümmern, schwammen die beiden Männer in dieBucht hinaus. Gleich darauf sahen sie die Gleiter, dieüber dem Wasser kreisten.

Das alles deutete auf die Entschlossenheit derPlophoser hin, ihre Gefangenen auf jeden Fall wiederin die Hände zu bekommen. Noir kniff die Augenzusammen, um auf der spiegelnden Wasseroberflächebesser sehen zu können. Überall trieben Schwärmeder eigenartigen Pilze vorbei. Das verstärkte ihreAussicht, das andere Ende der Bucht zu erreichen.

Tollkühn steuerte Kasom direkt auf dasplophosische Boot zu. Noir war erleichtert, als dasSuchschiff abdrehte und Kurs auf einen anderenKanal nahm.

Inmitten des Wassers kam er sich verloren vor, esschien ihm mit einem Male aussichtslos zu sein,diese Flucht erfolgreich abzuschließen. Wohinkonnten sie sich auf dieser Welt schon wenden?

Kasom schien nicht von derartigen Gedankengeplagt zu werden. Zielstrebig schwamm er davon,ohne auch nur einen Blick zurück zu werfen.

10.

»Nichts«, sagte Jiggers. »Es sieht so aus, als hättensie sich in Luft aufgelöst.«

»Vielleicht sind sie in die andere Richtunggegangen«, meinte einer seiner Begleiter.

»Dann werden sie den Suchtrupps unter derinneren Stadt in die Hände fallen«, erinnerte Al. »Ichbin jedoch überzeugt, daß Rhodan Instinkt genugbesitzt, um den Ausgang zum Meer gefunden zuhaben. Ich glaube, die Flüchtlinge halten sichüberhaupt nicht mehr in den Abwässeranlagen auf.Sie sind draußen - in der Bucht.«

Hätte ein anderer als Al Jiggers die Vermutunggeäußert, er hätte Spott und Unglauben geerntet.Doch niemand wagte es, sich über eine Bemerkungdes Agenten lustig zu machen.

»Und die Suchboote?« fragte einer der Männer.»Sie müßten sie dann schon entdeckt haben.Außerdem haben wir Gleiter über der Bucht.«

»Die Gleiter können sie wohl kaum entdecken,wenn sie noch im Wasser sind«, meinte Al. »Für dieBoote war es wahrscheinlich schon zu spät.«

»Es bleibt ihnen aber nur ein Weg zur Fortsetzungder Flucht: sie müssen in den Dschungel eindringen«,mischte sich ein anderer ein.

»Das stimmt«, gab Jiggers zu. »Das macht mirSorgen. Wenn sie dann noch lange am Leben sind,werden wir Mühe haben, sie zu fangen.«

Über Sprechfunk nahm er Verbindung zu denanderen Sucheinheiten auf. Gleiter und Booteerhielten den Befehl, sich bei ihren Aktionen mehrauf das andere Ufer der Bucht zu konzentrieren. EinTeil der Suchmannschaften in den Abwässeranlagenwurde zurückgeschickt. Lediglich unter der innerenStadt kämmten die Plophoser weiterhin dieunterirdischen Kanäle durch.

Danach setzte sich Jiggers mit dem Obmann inVerbindung.

»Hallo, Al«, meldete sich Hondro. »Haben Siesie?«

»Nein«, sagte Jiggers knapp. »Wir sind jetzt kurzvor den Kanalausgängen, ohne eine Spur von ihnengefunden zu haben. Auch die Suchtruppen unter derinneren Stadt melden keinen Erfolg.«

Einen Augenblick war es still, nur das Rauschenim Empfänger war zu hören.

»Sie wissen, was es für uns bedeutet, diese Männerlebend in unsere Gewalt zu bekommen, Al«, sagteder Obmann schließlich.

»Ja«, sagte Jiggers. In seiner Stimme schwangÄrger über die Ungeduld Hondros mit, aber er hütetesich, diesem Ärger durch eine Bemerkung Luft zumachen.

»Wie wollen Sie weiter vorgehen?« erkundigtesich Hondro.

»Wir werden unsere Aufmerksamkeit auf dieandere Seite der Bucht konzentrieren«, erklärteJiggers. »Ich nehme an, daß sie in den Dschungeleindringen wollen.«

»Soll das ein Witz sein?« erkundigte sich Hondro.»So verrückt kann Rhodan gar nicht sein, daß er ein

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solches Risiko eingeht. Er würde dabei das Lebenseiner Begleiter aufs Spiel setzen.«

»Die Flüchtlinge haben nichts mehr zu verlieren,Sir«, sagte Jiggers. »Das weiß Rhodan. Er wird allesauf eine Karte setzen, auch wenn er letzten Endesaufgeben muß.«

Hondros Stimme zeigte zum erstenmal Anzeichenvon Unruhe. »Was, wenn Rhodans Gruppe überhauptnicht durch die Abwässeranlagen flüchtete?«

»Wo sollten die Männer sonst sein?« fragte Alüberrascht.

»Hier, in der Stadt«, antwortete Hondro.»Unmöglich!« entfuhr es Jiggers. »Bedenken Sie,

durch wieviel Kontrollen sie müßten, um nur in dieoberen Stockwerke des Hauptgebäudes zu gelangen.«

»Ja«, sagte Hondro. »Ich denke, Sie haben recht,Al. Setzen Sie die Suche fort.«

»Gut«, bestätigte Jiggers.»Noch etwas«, sagte der Obmann sanft.»Sir?«»Denken Sie an die fällige Gegeninjektion - das

hilft.«

11.

Die farbige Wand, die sich fast bis zum Ufervorgeschoben hatte, erschien vom Wasser ausundurchdringlich. Wahrscheinlich war sie das auch.Zum erstenmal sah Rhodan den Dschungel vonGreendoor aus einer Entfernung von nur hundertMetern. Seine Füße spürten bereits Grund unter sich.Er hatte das Ufer erreicht.

Er schaute zurück. Zentral-City lag in Lichtgebadet auf der anderen Seite der Bucht. Von hieraus wirkte die Hauptstadt Greendoors wenigerbeeindruckend als vom Dach des Hauptgebäudes.Wahrscheinlich wurde dieser Eindruck von der Nähedes Waldes hervorgerufen, von der unheilvollenDrohung, die von diesem Urwald ausging.

Die höchsten Bäume reichten fast zweihundertMeter hoch, obwohl sie als Einzelwesen in diesemGewirr von Pflanzen kaum zu unterscheiden waren.

Neben diesem Urbild natürlicher Evolution wirkteZentral-City schwach, obwohl es in Wirklichkeit dieStadt war, die sich immer weiter ausdehnte unddiesen Dschungel langsam aber sicher besiegenwürde.

Inmitten der Bucht sah Rhodan jetzt Suchbooteauftauchen, aber sie konnten ihn nicht mehrerreichen. Die Gleiter waren ebenfalls noch da, aberallem Anschein nach hatten die Besatzungen bishernoch keinen Erfolg gehabt.

Rhodan stand bis zur Brust im Wasser und blicktenachdenklich auf den Dschungel. Mackers' kleineWaffe war das einzige, was er gegen die wildeVegetation einsetzen konnte. Das war wenig, selbst

bei größtem Optimismus sehr, sehr wenig.Rhodan wußte jedoch, daß ihm die plophosischen

Suchmannschaften bald die Entscheidung abnehmenwürden. Sie würden ihn zum Handeln zwingen. Undobwohl der schlanke Terraner noch zögerte, wußte erbereits genau, was er tun würde.

Er würde, die Gefahr mißachtend, das Meerverlassen und im Dschungel ein Versteck suchen. Erhoffte, daß bald Atlan oder Bully, Noir und Kasomhier auftauchten, denn zusammen hatten sieimmerhin eine bessere Chance, eventuelle Angriffeder Pflanzen zu überstehen.

Hier, in der Nähe des Ufers,war das Wasserangenehm warm. Es bedeutete eine Wohltat fürRhodans strapazierten Körper. Aus dem Dschungelklangen unerklärliche Geräusche herüber. Es hörtesich an, als sei diese Wand aus Pflanzen in ständigerBewegung, als kämpfe sie ununterbrochengegeneinander um jeden Fußbreit deslebenswichtigen Bodens.

Da teilte sich die bisher ruhige Wasseroberflächeneben Rhodan und ein nur fingerdicker, aber endloserscheinender Pflanzenstengel krümmte sichzusammen, rollte in konvulsivischen Zuckungen demUfer zu. In der Spitze war ein zappelnder Fisch zuerkennen, der der Umklammerung der natürlichenAngel nicht mehr entgehen konnte. Fisch und Stengelverschwanden im Wald, so daß es Rhodan unmöglichwar, die Pflanze zu sehen, die ihre Wurzeln alsAngelruten ausgebildet hatte.

Gleich darauf peitschte die dünne Wurzel durchdie Luft und tauchte wieder ins Wasser. Nun lag siedort unten, auf neue Beute lauernd. Rhodan fragtesich, wieviel Wurzeln unter der Oberflächeverborgen sein mochten. Zum Glück konnten sie ihmnicht gefährlich werden.

Vorsichtig watete Rhodan dem Ufer entgegen.Unzählige Pilze wuchsen in unmittelbarer Nähe desWassers. Von vielen waren nur noch die Überreste zusehen, alles andere schien irgendwelchenRaubpflanzen zum Opfer gefallen zu sein.

Auf den Dächern der riesigen Pilze wuchertenandere Pflanzen, die tiefe Narben im Pilzfleischzurückließen. Jeder zweite Pilzstengel war vonLianen umschlungen, die mit wechselndem Erfolgversuchten, die schwere Beute in den Wald zu zerren.

Das Ufer war von Schleif-, Kratz- und Hiebspurenaufgewühlt, es bildete einen schmalen GürtelNiemandsland, um das heftige Kämpfe ausgetragenwurden. Die Nähe des Salzwassers verhindertejedoch, daß der Wald bis zum Meer vordrang.

Rhodan, der erschreckt die Umgebungbeobachtete, sah phänomenale Vorgänge,Geschehnisse, die wieder einmal die ungeheureAnpassungsfähigkeit der verschiedenenLebensformen zeigte.

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Unter jedem Riesenstaubpilz wuchsen kleinePflanzen, die ihre Raubtätigkeit darauf beschränkten,kurze Stiele, an deren Ende sich ein Dorn befand, ausdem Sand ragen zu lassen. Sobald der Pilz Fleischverlor - und er verlor sehr oft, denn auf seinem Dachwurden wütende Kämpfe um die Vorherrschaftdieses relativ sicheren Platzes ausgetragen -versuchte die Dornenpflanze dieses Pilzfleischaufzuspießen. War ihr das gelungen, zog sie sichblitzschnell unter die Oberfläche zurück. Die Beutelag nun am Boden, wurde jedoch systematisch vonunten aufgelöst.

Rhodan blickte zurück. Die Suchboote nähertensich allmählich diesem Ufer. Auch die Gleiteränderten ihren Kurs und steuerten auf die andereSeite der Bucht zu. Rhodan erkannte, daß ihm nichtmehr viel Zeit blieb. Er mußte schnell einenverhältnismäßig sicheren Platz finden.

Seine suchenden Augen entdeckten einen riesigenPilz, einen uralten Burschen, dessen von Narbenübersäter Stengel vielleicht drei Meter durchmaß. EinMeter davon wurde jedoch von Lianen,Schmarotzern, Abfällen und Moosen gebildet. DasDach hatte einen Durchmesser von zehn Metern.

Es war dunkelbraun und von Aushöhlungenübersät. Ein kleiner Wald wucherte dort oben. Wieein Netz von Telefondrähten spannten sich zwischendem Pilzstengel und dem Wald unzähligeSchlingpflanzen und Lianen. Doch nichts vermochteden Pilzgiganten zu erschüttern.

Rhodan verließ das Wasser und setzte vorsichtigden Fuß aufs Land. Ein harmlos aussehendes,tellergroßes Blatt segelte auf ihn zu. Leicht wie eineFeder landete es auf seiner Schulter. Im gleichenAugenblick fühlte Rhodan, daß eine ätzendeFlüssigkeit über seinen Rücken lief. Mit einem Ruckriß er das Blatt ab. Es schwebte aufs Meer undversank. Rhodan hatte eine blutende Wundezurückbehalten.

Er achtete darauf, daß er nicht in eine derDornenpflanzen trat. Von einem kleineren Pilz fieleine Liane auf ihn herab und versuchte ihn zuumschlingen. Rhodan streifte sie ab und steuerte aufden Riesenpilz zu.

Wieder flog ein Blatt auf ihn zu, doch diesmal warer auf der Hut. Er wich dem gefährlichen Segler ausund beobachtete, daß dieser sich auf einem Pilzniederließ.

Unangefochten erreichte Rhodan den großen Pilz.Das ausgedehnte Dach warf einen riesigen Schatten.Gleich einem Vorhang hingen Äste und Wurzelnanderer Pflanzen daran herab.

Rhodan biß die Zähne aufeinander und teilte dasDurcheinander mit den Händen. So erreichte er deneigentlichen Stengel. Auch für einen schlechterenKletterer als Rhodan wäre es keine große Leistung

gewesen, am Stengel hinaufzuklettern. Die Lianen,die sich wie ein Gitter verwuchert hatten, bildeteneine regelrechte Leiter. Schnell klomm Rhodan in dieHöhe. Er spürte, daß Schlingpflanzen nach ihmtasteten, ihn festhalten wollten, aber ihre Kraftreichte nicht aus, um sein Vorwärtsdringen zuunterbinden. Er kam direkt unterhalb des Daches an.Hier stank es.entsetzlich. Ein gutes Drittel des Pilzesschien in Fäulnis übergegangen zu sein. Rhodansuchte sich eine starke Liane aus, die bis zum Randdes Daches führte. Daran hangelte er sich weiter.Seine Füße hingen nach unten, großartiges Ziel fürSchlingpflanzen aller Art.

Zunächst war es nur eine. Geschmeidig ließ siesich mitziehen. Dann wurde Rhodans rechter Fuß voneiner weitaus stärkeren umschlungen, die sofort zuzerren begann. Um das Gleichgewicht zu behalten,mußte Rhodan einen Augenblick ruhig unter demDach hängen bleiben. Diese Pause nutzten dreiweitere Ausläufer unbekannter Pflanzen, um sich umdie Hälfte des Terraners zu schlängeln.

Trotzdem kam er noch gut voran. Als er die Hälftedes Weges zurückgelegt hatte, war er von mindestenseinem Dutzend Pflanzenarmen umschlungen. Ererkannte, daß er unter diesen Umständen sein Zielnicht erreichen konnte. Zum Glück zogen die Lianenin verschiedene Richtungen, so daß sich ihreWirkung zum Teil aufhob. Eine erwies sich alsbesonders unangenehm, denn ihre Berührungverursachte ein schmerzendes Brennen auf der Haut.

Rhodan nahm immer mehr die Form eines großenKokons an. Er hielt sich nur mit einer Hand fest, mitder anderen gelang es ihm, Mackers' Waffe zuziehen, die schon einmal ihre Unempfindlichkeitgegenüber dem Wasser bewiesen hatte. Rhodanhoffte, daß sie auch diesmal funktionieren würde. Erschoß. Der gebündelte Energiestrahl zerschnitt dengrößten Teil der Lianen sofort. Rhodan schob dieWaffe zurück und setzte seinen Weg fort. Bevor sichneue Taue um ihn legten, erreichte er den Rand desPilzdaches.

Er schwang sich hinauf und landete zwischen wildwuchernden Pflanzen. Sofort richtete er sich auf, umgegen eventuelle Angreifer gewappnet zu sein.Hastig strebte er auf den Mittelpunkt des Daches zu.Stellenweise war der Boden hart wie Beton, aber esgab auch verfaulte Plätze, wo Rhodan bei jedemSchritt einbrach.

Er fand eine Senke, die bequem drei oder mehrmenschliche Körper aufnehmen konnte. Dort ließ ersich nieder, nachdem er vorsichtshalber dieUmgebung kontrolliert hatte.

Vorerst schien er, in Sicherheit zu sein. Zumerstenmal verspürte er Durst und Hunger. Eine Weileblieb er bewegungslos liegen, um neue Kräfte zuschöpfen, dann erhob er sich, um aufs Meer hinaus

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zu sehen.Was er sah, ließ seinen Puls rasen.Am Ufer entlang rannten zwei Männer um ihr

Leben. Einer von ihnen war Atlan, der andere, einedreckverschmierte, verwahrloste Gestalt, schienBully zu sein.

Hinter ihnen kam das Verfolgertrio. Drei riesigeBäume, die sich auf ihren Wurzeln fortbewegten wieTausendfüßler, holten mit unwahrscheinlichemTempo immer weiter auf. Von jedem Baum, keinerwar kleiner als hundert Meter, baumelten unzähligePeitschenarme herunter. Ab und zu schnellten die mitDornen bewehrten Tentakel durch die Luft, um diebeiden Männer zu erreichen. Aber noch war dieEntfernung zu groß.

Doch die Bäume bildeten nicht die einzige Gefahr.Die Gleiter hatten das Ufer fast erreicht, während dieSuchboote sich ungefähr in der Mitte der Buchtbefanden.

Rhodan stand wie eine Statue auf dem Pilz.Was konnte er unternehmen, um den beiden

Freunden das Leben zu retten?Verzweifelt versuchten Atlan und Bully den

Abstand zwischen sich und den Drenhols zuvergrößern, aber die Pflanzen hatten den müdenBeinen der Männer Hunderte von beweglichenWurzeln entgegenzusetzen, auf denen sie mit derGeschwindigkeit eines Raupenpanzersvorwärtskrochen.

Es war der phantastischste Anblick, den Rhodanjemals erlebt hatte. Die Bäume schienen einemAlptraum zu entstammen, der Vision einesWahnsinnigen.

Rhodan fühlte sich ausgehöhlt und müde. ImVergleich zu den Gefahren, die hier lauerten,erschien ihm die Gefangenschaft bei den Plophosernwie ein angenehmer Urlaub.

So stand er und mußte hilflos zusehen, wie dieDrenhols immer näher an Atlan und Bullyherankamen.

*

Bully richtete sich auf und sprühte eine kleineFontäne Meerwasser aus dem Mund. Dann rannte erans Ufer.

»Langsam«, mahnte Atlan. »Wir wissen nicht, wasuns an Land erwartet.«

Bully streckte sich unternehmungslustig. Allein dieTatsache, daß sie den Plophosern entkommen waren,verstärkte seine Zuversicht beträchtlich.

Er tappte über den Sand, während das Wasser vonseinen Kleidern tropfte. Gleich darauf stieß er einenspitzen Schrei aus und begann wie ein Verrückterumherzuspringen.

Atlan, der nun ebenfalls an Land gekommen war,

sah ihm teils belustigt, teils besorgt zu.»Ein Kaktus«, informierte ihn Bully. »Ich bin in

einen Kaktus getreten.«»Hier?« erkundigte sich Atlan. »Ich dachte,

Kakteen bevorzugten trockene Landstriche.«Bully hüpfte auf einem Bein herum, während er

mit beiden Händen den verletzten Fuß umklammerte.Atlan sah, daß überall um die Pilze herum kleine, mitDornen bewehrte Stengel wuchsen. Offensichtlichwar Bully in seiner Voreiligkeit auf eine Pflanzegetreten und gestochen worden.

»Kaktus oder nicht«, knurrte Bully gereizt. »Aufjeden Fall gehören diese Dinger ausgerottet.« Erblickte sich suchend um. »Sieht so aus, als seien wirdie ersten, die hier angekommen sind.«

»Wir müssen uns in der Nähe des Ufers einVersteck suchen«, schlug Atlan vor. »So können wiruns gegen eine Entdeckung absichern undgleichzeitig das Meer beobachten.«

Bully betrachtete mißtrauisch den nahenDschungel. »An Verstecken scheint es hier nicht zumangeln«, meinte er. »Kommt nur darauf an, wielange wir am Leben bleiben, wenn wir einesaufgesucht haben.«

Das war allerdings ein schwerwiegender Einwand.Atlan konnte sich vorstellen, daß dieser Wald eineAnsammlung von tödlichen Gefahren darstellte. Nurmit größter Vorsicht hatten sie vielleicht eineMöglichkeit zu überleben.

Bully hatte seine Hüpferei unverhofftunterbrochen. Er stand wie erstarrt da und blickte mitoffenem Mund auf etwas, was sich hinter AtlansRücken abspielte. Am Ausdruck in Bullys Gesichterkannte Atlan, daß der Terraner vom Entsetzengepackt war.

Atlan fuhr herum. Über den Strand kamen dreiBäume auf sie zu. Dabei peitschten dieRiesenpflanzen mit tentakelförmigen Ästen durch dieLuft. Spitze Dornen waren an den beweglichen Ästenzu erkennen.

Atlan faßte sich als erster.»Los!« schrie er alarmiert.Wie unter einem elektrischen Schlag zuckte der

untersetzte Terraner zusammen. Dann jedoch schiener zu begreifen, was sich um ihn herum abspielte.Seine Beine setzten sich in Bewegung.

Atlan wartete nicht länger. So schnell er konnte,stürmte er zwischen den Pilzen dahin. Er, derArkonide, der länger als jeder Terraner gelebt hatte,mußte wieder einmal erkennen, daß der Weltraumauch für ihn noch Überraschungen bereithielt.

Es war unfaßbar, daß sich derart hohe Bäume aufihren Wurzeln fortbewegen konnten. Das machtediese Riesen zu den Herren des Dschungels vonGreendoor. Wahrscheinlich hatten diese Pflanzen dieFähigkeit der Fortbewegung unter dem Druck der

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unzähligen Gegner entwickelt.Atlan schaute hastig zurück. Die Drenhols waren

inzwischen näher an sie herangekommen. Siewalzten andere Pflanzen einfach nieder.

Atlan stellte fest, daß sie von den Räubern baldeingeholt werden mußten. Sie besaßen nicht dieKräfte, um auf die Dauer einen genügend großenAbstand zwischen sich und den Verfolgern zu halten.

Hinzu kamen die Gefahren, die ihnen von denanderen Pflanzen drohten. Ständig mußten ihreAugen den Boden nach den Stachelpflanzenabsuchen.

Der Gedanke, daß plötzlich vor ihnen weitereBäume aus dem Wald brechen könnten, bereiteteAtlan die größten Sorgen.

Etwas zischte hinter seinem Rücken zu Boden.Einer der dornenbewehrten Peitschenäste hatte ihnnur knapp verfehlt. Verzweifelt bemühte sich derArkonide, noch schneller zu rennen. Schräg hintersich hörte er das angestrengte Keuchen Bullys.

»Ins Wasser!« schrie da eine Stimme. »Flüchtet insWasser!«

Atlan blickte auf und sah in etwa dreißig MeterEntfernung Rhodan auf dem Dach eines gewaltigenPilzes stehen. Der große Terraner war trotz seinesheruntergekommenen Aussehens sofort zu erkennen.

Atlan begriff schnell. Das Meer war ihre einzigeChance. Warum war er nicht selbst auf diesenGedanken gekommen?

Er änderte seine Richtung und warf sich förmlichins Wasser. Bully folgte eine Sekunde später. Halbschwimmend, halb vorwärtsstampfend, gewannen sieeinen größeren Abstand vom Ufer.

Die drei Drenhols verhielten am Strand. Ihregefährlichen Peitschenäste schlugen ins Wasser.

Bully rang nach Atem.»Das war knapp«, ächzte er mühsam. »Zum Glück

folgert sie uns nicht ins Wasser.«Rhodan hatte längst wieder in einer Senke auf dem

Pilz Deckung genommen, um von den Bäumen nichtentdeckt zu werden. Die gefährlichen Pflanzenstanden bewegungslos am Ufer. Es sah fast so aus,als beobachteten sie ihre entkommene Beute.

Doch wie konnten sie das ...?Woher wußten die Bäume, daß sie noch immer da

waren? Atlan wußte, daß es unsinnig war, denGiganten Sehfähigkeit zuzuschreiben. Sie mußtenirgendeine andere Methode haben, mit deren Hilfe siebewegliche Ziele verfolgen konnten.

»Es sieht so aus, als wollten sich die Ungeheuerdort niederlassen«, sagte Bully. »Was sollen wir tun?Die polophosischen Schiffe kommen übers Meer. DieGleiter nähern sich entlang der Küste. Sie werden unsbald entdecken.«

»Wenn sie näher kommen, tauchen wir unter«,entschied Atlan. »Im Augenblick können wir nicht

ans Land zurück.«Zwei Pilze kamen auf sie zugeschwommen. Dabei

verursachten sie mehr Wellen und Geräusche alsAtlan ihrer Größe entsprechend erwartet hätte.Mißtrauisch beobachtete er die beiden Pflanzen. AufGreendoor mußte man mit allem rechnen.

»Guten Abend, Sir«, sagte der vordere der beidenPilze. »Warum gehen Sie nicht an Land, wenn Ihnendie Plophoser so dicht auf den Fersen sind?«

*

»Da sind wir«, erklärte Noir, dem die VerblüffungAtlans und Bullys nicht entging. Er tauchte aus demWasser, und der Pilz über seinem Kopf begann zuwackeln. Nun erhob sich auch Kasom.

Atlan atmete erleichtert auf. Noch waren sie alleam Leben. Er war sicher, daß Rhodan die AnkunftKasoms und Noirs ebenfalls bemerkt hatte.

»Wir können nicht ans Ufer«, sagte er. »DieBäume lauern auf uns.«

In knappen Worten erklärte er den beidenMännern, was vorgefallen war. Er zeigte ihnenRhodans Versteck.

»Man könnte behaupten, daß diese Bäume übereine schwache Intelligenz verfügen. Auf jeden Fallbenehmen sie sich ungewöhnlich.«

Kasom deutete hinter sich.»Wir müssen uns bald etwas einfallen lassen«,

meinte er. Er streifte den Pilzhut vom Kopf undschleuderte ihn ins Wasser.

»Noir«, wandte sich Atlan an den Hypno.»Können Sie die Bäume verjagen?«

Noir schüttelte skeptisch den Kopf. »Ich glaubenicht, daß sie auf paranormale Fähigkeitenansprechen«, meinte er. »Bei Tieren hatte ich schonErfolg - aber hier?«

»Versuchen Sie es«, drängte nun auch Kasom.»Wir haben nicht viel Zeit zum Diskutieren.«

Noir begann sich zu konzentrieren. Zunächstspürte er keinen Widerstand, seine parapsychischenKräfte strömten ungehindert über die Bäume hinweg.Plötzlich jedoch war der typische Widerstand, derdumpfe Druck in Noirs Gehirn, der charakteristischfür den Aufprall einer Psi-Strömung war. DieMutanten nannten das Negativ-Kontakt. Dieses Wortbesagte, daß nur ein Partner, nämlich der MutantPsi-Strömungen erzeugte, während der Empfängersich passiv verhielt.

Der Negativ-Kontakt zu den Drenhols warausgesprochen schwach - aber er war da. Fast hätteNoir die Kontrolle über seine Kräfte verloren, soüberrascht war er im ersten Augenblick.

Er nickte kurz, damit die gespannt wartendenMänner Bescheid wußten.

Bully fluchte leise vor sich hin, was deutlich

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bewies, daß er nie an einen Erfolg von Noirs Aktiongeglaubt hatte - und auch jetzt nicht daran glaubte.

Noir begann seine Gedankenbefehle in immerkürzeren Abständen auszustrahlen. Er hütete sich,direkte Anweisungen zu geben. Er begnügte sichdamit, die Bäume mit Gedankensymbolen zumGehen zu veranlassen. Seine Augen verengten sich.Als er schon nicht mehr an einen Erfolg dachte,begann einer der Bäume sich zu bewegen.

Dann, als hätten sie es sich überlegt, machten dieDrenhols kehrt und strebten dem Dschungelentgegen.

»Geschafft!« rief Atlan erleichtert. »Jetzt nichtswie weg hier.«

Im gleichen Augenblick entstand neben ihnen eineFontäne. Wasser wurde nach oben geschleudert.

»Sie haben uns entdeckt!« rief Bully außer sich.»Sie schießen auf uns.«

Atlan fuhr herum und schaute aufs Meer. Eines derSuchboote brauste mit Höchstgeschwindigkeit auf siezu. Der Schuß sollte wahrscheinlich nur als Warnungdienen und sie zur Kapitulation veranlassen.

Doch Atlan dachte nicht daran, sich jetzt zuergeben.

»Los!« sagte er.Mit kräftigen Schwimmstößen überwanden sie die

kurze Entfernung zum Ufer. Dann rasten sie mitlangen Sätzen über den Sand. Jetzt war es ihnengleichgültig, ob sie in eine der Dornenpflanzentraten. Im Augenblick galt es nur, die Plophoserabzuschütteln.

Der Dschungel kam immer näher. Das Suchbootfeuerte wieder eine Salve ab. Unmittelbar nebenihnen wühlte ein Treffer eine meterlange Furche inden Boden. Dann waren sie zwischen den Pilzenverschwunden, unsichtbar für die Augen derVerfolger. Je näher sie dem eigentlichen Waldkamen, desto deutlicher wurden breite Pfade, dieoffensichtlich von.den Bäumen benutzt wurden, diesich auf ihren Wurzeln fortbewegen konnten. Zwarhingen überall Schlingpflanzen, aber die Vegetationschien die Wege der Drenhols zu meiden.

Rhodan fiel dem Arkoniden ein. DerGroßadministrator lag noch immer auf demRiesenpilz. Dort war er vorläufig sicher.

Ein durchdringendes Knirschen drang an AtlansGehör. Das plophosische Schiff war am Strandaufgelaufen. Er konnte sich vorstellen, daß jetztMänner mit Lähmungsstrahlern bewaffnetheraussprangen und ausschwärmten.

Atlan lächelte. Hoffentlich wurde den Plophosernvom Dschungel ein heißer Empfang bereitet.

12.

Es geschah nicht sehr oft, daß Al Jiggers so etwas

wie Gemütsbewegung zeigte. Doch als der kurzeFunkspruch vom Suchboot eintraf, daß man dieFlüchtlinge am Ufer entdeckt hätte, versetzte derAgent dem Piloten des Gleiters einen heftigen Schlagauf die Schulter.

»Los!« rief er aufgeregt. »Wir landen in der Nähedes Schiffes.«

Nachdem sich herausgestellt hatte, daß dieFlüchtlinge nicht mehr im Labyrinth derAbwässeranlagen waren, hatte Jiggers einem Gleiterdie Landung befohlen und war an Bord gegangen.Von hier oben hatte er die Verfolgung gelenkt.

Rasch stellte er Verbindung mit dem Hauptquartierdes Obmanns her.

»Wir haben sie«, sagte er zufrieden, nachdem sichHondro gemeldet hatte. »Eines der Suchboote hat sieentdeckt.«

»Gut«, sagte Hondro kurz. »Leben sie alle ?«Jiggers stellte fest, daß der Obmann ihn

mißverstand. Hondro war offenbar der Meinung, daßdie Männer des Imperiums bereits wieder in ihrenHänden waren. Er erklärte Hondro den richtigenSachverhalt.

»Sie sind im Dschungel untergetaucht«, riefHondro wütend. »Sie wissen, was das unterUmständen bedeuten kann, Al.«

»Das ist mir klar«, sagte Jiggers scharf. »Immerhinwissen wir jetzt, wo wir sie zu suchen haben. Ichhabe sofort alle Schiffe und Gleiter ans Uferbeordert. Ich selbst werde mit diesem Flugschifflanden und die Verfolgung leiten.«

»Seien Sie vorsichtig, Al«, warnte Hondro. »Ichmöchte nicht unzählige Männer bei dieser Aktionverlieren.«

Jiggers war wütend. Er wußte jedoch, daß esvollkommen sinnlos war, wenn er mit Hondroargumentierte.

»Wir sind gut ausgerüstet«, sagte er schließlich.»Rhodan und seine Begleiter werden hingegen nichtweit kommen. Sie werden bald froh sein, wenn siesich wieder in Gefangenschaft begeben dürfen.«

»An Ihrer Stelle wäre ich nicht so sicher«,entgegnete Hondro und unterbrach die Verbindung.

Jiggers schaltete ab und beugte sich über denPiloten, um besser sehen zu können. Unten am Uferverließen die ersten Männer bereits das Schiff, ummit der Verfolgung zu beginnen. Nach JiggersBegriffen ging das alles viel zu langsam.

»Können Sie nicht schneller fliegen?« fuhr er denPiloten an.

Der Mann wandte sich um und sagte ruhig: »Daswäre sinnlos. Wir setzen bereits zur Landung an.«

Jiggers musterte ihn wütend. Der Gleiter sank jetztschnell tiefer. Ungeduldig sah Jiggers das Ufer näherkommen. Der Pilot setzte den Gleiter unmittelbarneben dem Suchboot auf.

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Jiggers stülpte die Schutzmaske über und drängtezum Ausstieg. Als erster verließ er den Gleiter. Nochimmer quollen Männer aus dem Schiff.

Jiggers packte den ersten am Arm, der in seineNähe kam und schrie: »In welcher Richtung sind sieverschwunden?«

Der Mann zeigte kurz auf den Wald vor Jiggersund riß sich los, um den anderen zu folgen. DerAgent blickte kurz zum Gleiter zurück. Mit einerHandbewegung rief er die Besatzung zu sich heran.

In diesem Augenblick hatte Jiggers die Gefahrendes Dschungels von Greendoor völlig vergessen.Fanatisch konzentrierte er sich auf seine Aufgabe.Das lag nicht allein daran, daß Jiggers eingefühlsarmer Mann war. Auch Al Jiggers wollteleben. Das konnte er jedoch nur, wenn er dasGegenserum vom Obmann erhielt.

Ein feiner Tausch, dachte Jiggers sarkastisch. Fünfwertvolle Gefangene gegen vier Wochen Leben.

13.

In den letzten Minuten hatten sich die Ereignisseförmlich überstürzt. Kaum, daß er Atlan und Bullyzugerufen hatte, tauchten auch Kasom und Noir imMeer auf. Rhodan beobachtete, wie sich die Drenholsnach kurzer Zeit zurückzogen und im Waldverschwanden. Er hätte gern gewußt, was die Bäumezu ihrem Rückzug veranlaßt hatte. Sein Versuch,telepathischen Kontakt mit Noir aufzunehmen,schlug fehl. Entweder war der Hypno zu erschöpft,oder er konzentrierte sich auf etwas anderes.

Gleich darauf wurden die vier Männer vom erstender Plophoserschiffe entdeckt. Rhodan schätzte, daßder Schuß vom Schiff nur zur Einschüchterunggedacht war.

Die Flüchtlinge erreichten den Wald undverschwanden darin. Rhodan erkannte, daß er imAugenblick keine Möglichkeit besaß, ihnen zufolgen. Zu dicht war das Schiff bereitsherangekommen. Wäre er jetzt vom Pilz geklettert,man hätte ihn unweigerlich entdeckt.

Kaum hatte der Bug des Bootes sich festgesetzt,sprangen bereits die ersten Plophoser von Bord undstürmten auf den Wald zu. Trotzdem sah Rhodan,daß einige der Männer zögerten. Zu tief war dieFurcht vor den Gefahren des Dschungels in ihnenverwurzelt.

Weitere Schiffe und Gleiter kamen heran. Dererste Gleiter landete wenige Augenblicke, nachdemdas führende Boot aufgelaufen war.

Ein auffallend kleiner Mann tauchte zuerst in derLuke des ersten Gleiters auf. Rhodan stellte fest, daßdie meisten der Plophoser Schutzmasken trugen, dieoffensichtlich dazu bestimmt waren, das Gesichtgegen Angriffe von Pflanzen zu schützen.

Niemand kümmerte sich um die unmittelbareUmgebung. Rhodan war im Augenblick völlig sicher.Ja, die Plophoser lenkten sogar die Aufmerksamkeitmöglicher Gegner aus dem Dschungel von ihm ab.

Doch seine eigene Sicherheit allein konnte ihnnicht beruhigen. Niedergedrückt dachte er an Atlan,Bully, Kasom und Noir. Für diese vier Männer sah esjetzt schlecht aus. Wenn nicht ein Wunder geschah,mußten sie entweder den Weg in die Gefangenschafterneut antreten, oder sie wurden von räuberischenPflanzen überfallen.

Ein weiteres Schiff legte an, mindestens sechsGleiter setzten im gleichen Augenblick zur Landungan. Innerhalb weniger Minuten würde es hier amStrand von Plophosern wimmeln. Sicher hatten siebereits hochwertige Suchgeräte angefordert. Dochdarüber machte sich Rhodan keine Sorgen. Diebesten Geräte mußten in diesem Dschungel versagen,wo praktisch alles ständig in Bewegung war, wo manden Impuls eines Gerätes ebenso auf einen Menschenwie auf eine Pflanze zurückführen konnte.

Außerdem blieb den Plophosern nichts anderesübrig, als selbst größte Vorsicht walten zu lassen. Siekonnten nicht blindlings hinter den Flüchtlingenfolgen.

Rhodan beobachtete, daß der kleine Plophoser ander Spitze einer Gruppe von acht Mann nun ebenfallsim Wald untertauchte. Aus den nachkommendenSchiffen und Gleitern kamen weitere Männer, um indie Suchaktion einzugreifen. Unter normalenUmständen hätten die vier Männer keine Chance desEntkommens gehabt, aber der Urwald von Greendoorbot viele Verstecke.

Rhodan kroch tiefer in die Senke hinein und legtesich auf den Rücken. Wenn man ihn nicht durchZufall fand, konnte er hier noch Stunden bleiben. Erhoffte, daß nur wenige Plophoser bei den Schiffenund gelandeten Flugmaschinen als Wächterzurückbleiben würden. Vielleicht kam dann derAugenblick, da er zum Gegenschlag ansetzen konnte.Immerhin besaß er noch Mackers' kleine Waffe. Vorallem jedoch wurde er von der Entschlossenheit einesMannes beseelt, der nichts mehr zu verlieren hat.Einen kurzen Augenblick dachte Rhodan an dasVereinigte Imperium, das wohl nur noch dem Namennach existierte. Er fragte sich, warum er nichtverzweifelt darüber war, alles verloren zu haben.Wahrscheinlich war er zu sehr in eigeneSchwierigkeiten verwickelt.

Plophos, überlegte er, das war unter Umständender Name, der an die Stelle Terras treten würde.

Oder konnten sich die ehemaligen terranischenKolonisten auch nicht halten, wenn es ihnen einmalgelungen war, die Macht innerhalb der Galaxis zuübernehmen?

Gab es überhaupt eine Rasse, die in der Lage war,

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immer weiter fortzuschreiten, immer tiefer insUniversum einzudringen? Tausende vonSternenreichen waren schon zerfallen, man wußtenichts mehr über sie, sie waren nicht einmal mehrLegende.

Würde auch der Name Terras eines Tagesvergessen sein, würde es keine Menschen mehrzwischen den Sternen geben?

14.

Am Strand wurde es allmählich ruhiger. Der Lärmder plophosischen Suchmannschaften warverklungen. Rhodan kroch aus der Senke im Pilzdachhervor, um die Umgebung zu beobachten. DerDschungel hatte die Plophoser verschluckt, siewürden jetzt versuchen, ihre entflohenen Gefangenenzu finden.

Rhodan richtete seine Aufmerksamkeit zum Ufer.Drei Schiffe hatten dort angelegt. Weiter entferntwaren die Gleiter gelandet. Plophoser patrouilliertenzwischen Dschungel und Meer. Rhodan resignierte.Der Kommandant dieses Unternehmens hatte beialler Eile nicht den Fehler gemacht, Schiffe undGleiter unbewacht zurückzulassen.

Immer mehr mußte Rhodan einsehen, daß dieseNachkommen von Terranern gefährliche Gegnerwaren. Ihre Mentalität glich denen anderer Menschenvollkommen. Von diesem Standpunkt mußte erausgehen.

Rhodan arbeitete sich weiter auf den Rand desDaches zu. Er achtete darauf, daß er sich nur dannbewegte, wenn er sicher sein konnte, von keinem deraufmerksamen Wächter entdeckt zu werden.Natürlich konzentrierten sich die Plophoser auf denWald, weil sie nur von dort eine Überraschungerwarteten.

Rhodan war sich darüber im klaren, daß eine sogünstige Gelegenheit, den Pilz zu verlassen,innerhalb der nächsten Stunden nicht wiederkehrenwürde.

Seine Hände tasteten unterhalb des Daches nacheiner Liane, an der er sich auf den Boden herablassenkonnte.

Da spürte er ein schwaches Zittern, das durch denPilz lief. Sofort zog er sich zurück.

Woher kam die Erschütterung?Geschah etwas unterhalb des Daches, was er von

hier oben nicht sehen konnte? Hatten sich von deranderen Seite Plophoser genähert, die nun am Stengelempor kletterten? Rhodan glitt hastig in die Senkezurück und zog die erbeutete Waffe.

Wieder vibrierte der Pilz, diesmal wesentlichstärker. Rhodan hatte den Eindruck, als kämen dieErschütterungen aus dem Innern des Daches. Diephantastischsten Gedanken schossen durch seinen

Kopf. Er dachte an die Möglichkeit, daß sich etwasim Pilzfleisch eingenistet haben könnte, das nungewaltsam hervorbrach.

Der Riesenstaubpilz schien anzuschwellen, seinezernarbte Außenhülle spannte sich an, die Pflanzen,die auf ihr wuchsen, schwankten hin und her, als seistarker Wind aufgekommen. Angespannt verfolgteRhodan die mysteriösen Vorgänge.

Er konnte nichts tun, als mit gezogener Waffe inder Vertiefung liegen und abwarten. Der Pilz begannGeräusche von sich zu geben.

Plupp! machte der Pilz. Plupp! Plupp! Plupp!Pluppupupup!

Das gesamte Dach des Pilzes schien plötzlich unterSpannung zu stehen, wie das Dach eines Zeltes, unterdas heftiger Sturm gefahren war.

Der Riesenstaubpilz, den sich Rhodan als Versteckausgesucht hatte, war alt-, wahrscheinlich einer derältesten seiner Art, die auf Greendoor existierten.Selbst für andere Pflanzen war es zu schwierig, ihn inBedrängnis zu bringen. Größere Gegner hielten sichan kleineren Pilzen schadlos, die sich leichtbezwingen ließen.

Der Pilzpatriarch war schon lange überreif.Millionen von Sporen warteten in seinem Innerndarauf, in die Luft geschleudert zu werden. Doch deruralte Gigant hatte Schwierigkeiten, denn seinezernarbte, überwucherte Haut war zäh undunnachgiebig. Sosehr sich der Pilz schon abgemühthatte, bisher war ihm die erlösende Explosion, mitderen Hilfe er sich des Samens entledigte, nichtgelungen.

Nun hatte er unerwartete Hilfe erhalten. RhodansKörpergewicht und seine Bewegungen hatten dasgeschafft, was der Pflanze die ganze Zeit über nichtgelungen war. Überall dort, wo er noch nicht vonFäulnis angegriffen war, spannte sich der Pilz, bereit,seine letzte Samenladung in die Luft zu werfen.

Doch davon wußte Rhodan nichts. Er ahnte nicht,was auf ihn zukam. Noch immer dachte er über dieHerkunft der Vibration nach. Er dachte an See- undErdbeben, an Plophoser und wilde Tiere.

Vorsichtig richtete er sich etwas auf, um zum Uferblicken zu können. Dabei stützte er sich auf dieEllenbogen. Die Oberfläche des Pilzes wurde immerunruhiger.

Am Strand hatte sich nichts verändert. Nach wievor gingen die Wächter ihre Runden, immer wiederzum Dschungel blickend. Da explodierte der Pilz! Erplatzte an drei Stellen, der Überdruck, der in seinemInnern geherrscht hatte, entlud sich.

Alles ging so schnell, daß Rhodan kaum Zeit blieb,um irgendwie zu reagieren. Die Senke, die er sich alsDeckung ausgesucht hatte, barst mit einem trockenenKnall auseinander. Eingehüllt in Tausende vonSporen wurde Rhodan in die Höhe gerissen. Er war

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jedoch zu schwer, um von der Gewalt der Explosionhöher als einen Meter geschleudert zu werden. DerSamen um ihn herum glich einer Nebelschicht, diedie Aussicht auf die Umgebung versperrte.

Dann stürzte Rhodan in den Pilz hinein, riß diejetzt schlaffen Häute mit sich und brach durch dasdicke Dach hindurch. Nur das Gewirr vonSchlingpflanzen und Lianen hielt ihn auf. Das trugsich in Bruchteilen von Sekunden zu. Viel zubenommen, um irgend etwas zu tun, klammerte sichRhodan instinktiv fest. Um ihn herum herrschteDämmerlicht, aber er hatte ein Gefühl, als würde seinrechtes Bein im Freien hängen.

Sein erster Gedanke galt den Plophosern. DieExplosion mußte die Wächter auf den Pilzaufmerksam gemacht haben. Vielleicht hatten sie diePflanze schon umringt und warteten mitangeschlagenen Waffen darauf, daß sie Rhodanfestnehmen konnten.

*

Der Knall, mit dem das gewaltige Gewächs seinenSamen in die Atmosphäre hinaufwarf, ließ Kretnangwie alle anderen Wächter zusammenfahren. Er rißsich herum, um den vermeintlichen Schützen zuentdecken. Da sah er das in Samenstaub gehüllteDach eines riesigen Staubpilzes. Erleichtert ließ erdie Waffe sinken.

»Donnerwetter!« rief ein anderer Plophoserbeeindruckt. »Das ist der größte Pilz, den ich jemalsgesehen habe.«

Kretnang nickte. »Wahrscheinlich war dies seineletzte Samenentladung. Er ist vollkommen in sichzusammengerutscht.«

Sie beobachteten, wie ein Teil der Sporen zuBoden sank. Wesentlich mehr jedoch wurden vomWind davongetrieben. Allmählich lichtete sich dieSamenwolke, und der eigentliche Pilz wurde sichtbar.

Kretnang riß ungläubig die Augen auf.Unterhalb des Pilzdaches hing ein menschliches

Bein heraus. Ein Bein, das langsam pendelte und voneiner zerlumpten Hose umgeben war. Kretnangschloß einen Augenblick die Augen, um sie dannwieder zu öffnen. Nein, er hatte sich nicht getäuscht.Aus dem Pilz hing ein Bein.

Kretnang war kein besonders schneller Denker.Außerdem verschlug ihm die grenzenloseÜberraschung die Sprache. Dann jedoch färbte sichsein Gesicht rot. Wo ein Bein war, mußte auch derübrige Körper zu finden sein.

Kretnang begann vor Aufregung zu zittern.Jemand hockte dort im Pilz. Wahrscheinlich war er

durch die Explosion verletzt oder sogar getötetworden. Kretnang überlegte fieberhaft. Im erstenAugenblick dachte er daran, die anderen auf seine

Entdeckung aufmerksam zu machen. Doch er änderteseinen Entschluß, als er sah, daß sich die übrigenWächter schon nicht mehr um das alltäglicheEreignis kümmerten.

Kretnang witterte eine Chance. Wenn dieses Beineinem entflohenen Gefangenen gehörte, dann konnteer diesen Mann festnehmen. Eine solche Tat würdedie Anerkennung seiner Vorgesetzten finden. Nichtnur das, unter Umständen erfuhr der Obmann davonund ließ ihn befördern.

Kretnang vergewisserte sich, daß ihn die anderennicht beobachteten, dann ging er mit gespielterGleichgültigkeit auf den Pilz zu. Für die Männerzwischen den Gleitern mußte es aussehen, als würdeer sich für den Pilz interessieren.

Systematisch arbeitete sich Kretnang an dasGewächs heran. Das Bein bewegte sich jetzt heftiger,ein sicheres Zeichen dafür, daß der Mann noch amLeben war. Kretnangs Herzschlag wurde schneller.Fest umklammerte er seine Waffe.

Endlich kam er unterhalb des Pilzdaches an undspähte in das Gewirr von Schlingpflanzen hinein.

Er blickte genau in die Mündung eines winzigenThermostrahlers, der von dort oben auf ihn gerichtetwurde.

Eine Stimme, die so gelassen klang, daß sieKretnang nie vergessen würde, sagte: »KeineBewegung, mein Freund!«

Angesichts der tödlichen Drohung blieb demPlophoser nichts anderes übrig als zu gehorchen. Ersah in die Verästelung hinauf und bemerkte eineverwahrloste Gestalt, in deren hagerem Gesicht zweihelle Augen hervorstachen. Diese Augen waren festauf Kretnang gerichtet. Er konnte sich nicht erinnern,jemals so angeblickt worden zu sein. Das machte ihnunsicher. Gleichzeitig wurde Angst in ihm wach,nicht nur vor dem Fremden, sondern auch vor denVorgesetzten, die für seinen Alleingang nach diesemErgebnis wenig Verständnis zeigen würden.

»Komm langsam um den Pilz herum«, wurde ihmbefohlen. »Halte auf der anderen Seite des Stengelsan, so daß dich die Burschen am Ufer nicht sehenkönnen.«

Gehorsam trottete Kretnang, sein Mißgeschickinnerlich verfluchend, an den angewiesenen Platz.

»So«, sagte der Unbekannte zufrieden. »Nun gibmir deine Waffe nach oben, aber schön vorsichtig.«

Kretnang schluckte. Behutsam drehte er denParalysator mit dem Schaft nach oben und reichte ihnhinauf.

»Sehr schön«, lobte der Mann, als sei Kretnang einSchüler, dem eine besonders gute Tat geglückt war.

Mit unglücklicher Miene wartete Kretnang darauf,was nun geschehen würde. Er rechnete damit, daß ervon dem Unbekannten umgebracht wurde. SeineHände waren feucht geworden. Das Gefühl, daß jeder

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Atemzug der letzte sein könnte, ließ ihn nicht mehrlos. Trotzdem wagte er nicht, etwas gegen diesenunheimlichen Fremden zu unternehmen.

»Jetzt kletterst du zu mir herauf«, befahl dieStimme über ihm.

Jetzt wußte Kretnang überhaupt nicht mehr woraner war. Was sollte das nun bedeuten? Warum schoßihn der Flüchtling nicht einfach von dort obennieder? Kretnang begann wieder zu hoffen. Erwandte sich um und stieg am Pilz empor. Mit demLauf des Paralysators steuerte der Terraner ihn in diegewünschte Richtung. Schließlich kroch Kretnang insInnere des teilweise aufgebrochenen Daches. DerGestank der Fäulnis ließ ihn fast das Bewußtseinverlieren.

Da schoß der Unbekannte. Kretnang fühlte, daßseine Glieder steif wurden. Unfähig, noch etwas zutun, sackte er zusammen. Er ahnte, daß der Gegnerjetzt auf ihn zukam. Aber was wollte dieserWahnsinnige? Wußte er nicht, daß ihn dort unten einbewaffnetes Empfangskomitee erwartete?

Ein Gesicht beugte sich über Kretnang. Ein wildes,ungepflegtes Gesicht »Sie gestatten, daß ich mir IhreUniform ausleihe«, sagte der Mann höflich.

Systematisch begann ihn der andere zu entkleiden.Er beeilte sich nicht sehr, vergeudete aber auch keineZeit. Endlich war er fertig und bedeckte Kretnang mitden alten Lumpen, die er zuvor am Körper getragenhatte.

»Ein schlechter Tausch«, gab er zu. »Aber freuenSie sich, daß Sie noch am Leben sind.«

Ich wäre lieber tot, dachte Kretnang.Noch einmal überprüfte der Widersacher seine

neue Kleidung. Er schien zufrieden zu sein, denn erlächelte Kretnang freundlich zu.

»Leben Sie wohl«, sagte er. »Sie haben demVereinigten Imperium einen großen Diensterwiesen.«

Geh' zum Teufel, dachte Kretnang wütend undbedauerte, daß er diesen primitiven Wunsch nicht inlaute Worte kleiden konnte.

Der Terraner verschwand. Mit Entsetzen dachteKretnang daran, was dieser Mann vorhaben konnte.Wahrscheinlich wollte er sich unerkannt unter dieWachen mischen und mit einem Gleiter fliehen.

Doch dann beruhigte sich der Plophoser etwas. Einsolches Vorhaben in die Tat umzusetzen, war einfachunmöglich. Der Unbekannte handelte aus reinerVerzweiflung.

Und diese Verzweiflung des anderen ließ Kretnangsein eigenes Los etwas erträglicher empfinden.

*

Als sich Perry Rhodan auf den festen Bodenherunterließ, hatte er keinen Plan. Er wußte nicht,

wie er weiter vorgehen sollte. Das mußte er inschneller Anpassung an die jeweilige Lageentscheiden. Er war sich darüber im klaren, daß ernicht die geringste Chance hatte, einen Gleiter zuerbeuten.

Er mußte es jedoch versuchen. Nachdem ihn derPlophoser entdeckt hatte, war ihm keine andere Wahlgeblieben, als diesen unauffällig auszuschalten. ZumGlück hatte der leichtsinnige Mann die übrigenWächter nicht alarmiert.

Mit gesenktem Gesicht kam Rhodan um den Pilzherum und schlenderte langsam dem Ufer entgegen.Er mußte auf jeden Fall verhindern, daß einer derPlophoser sein Gesicht sah. Nicht nur, daß es mitdem des Bewußtlosen im Pilz keine Ähnlichkeitbesaß, Rhodan hatte auch einen starken Bart, der mitDreck verschmiert war.

Er kam allmählich an das erste Suchboot heran,ohne daß sich jemand um ihn gekümmert hätte. DiePlophoser richteten ihre Aufmerksamkeit auf denDschungel und gingen schweigend ihre Runden.

Rhodan sah ein, daß zwischen ihm und denGleitern zuviel Wächter patrouillierten. Er konnte dieFlugzeuge nicht erreichen. Sofort änderte er seinenPlan. Er beschloß, auf eines der Schiffe zu gehen.Dort konnte er sich verstecken und mußte nur warten,bis er unentdeckt nach Zentral-Cityzurücktransportiert wurde. Was danach kam, war imAugenblick weniger wichtig. Er mußte die sich ihmbietende Chance wahrnehmen.

Schritt für Schritt näherten er sich demplophosischen Schiff. Das leise Plätschern derWellen, die gegen die Bootswandungen schlugen,übertönte das Knirschen seiner Schritte im Sand.

Der Landesteg war noch ausgefahren. MitErleichterung setzte Rhodan den Fuß darauf. Allesschien unerwartet gut zu klappen. Ohne sichumzublicken, stieg Rhodan zum Boot hinauf.

»Kretnang!« rief da jemand.Die Zuversicht, die inzwischen in Rhodan wach

geworden war, erstarb. Trotzdem zwang er sich zumWeitergehen. Vielleicht war er mit diesem Anrufnicht gemeint.

»Kretnang!« rief es wieder. »Was soll dasbedeuten? Willst du deinen Posten verlassen?«

Rhodan blieb stehen. Er war verloren. Daran gabes keinen Zweifel. Zum zweitenmal war er denPlophosern in die Hände gefallen.

Er drehte sich langsam um, als müßte er überlegen,was nun zu tun blieb. Im gleichen Augenblick, da eraufblickte und den überraschten Männern am Strandsein Gesicht zeigte, riß er den erbeuteten Paralysatorhoch und begann zu schießen.

Auch allein war Perry Rhodan ein ungemeingefährlicher Gegner.

Aber er konnte keine Wunder vollbringen.

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Sie erwischten ihn zwei Minuten später, nachdemer den ersten Schuß abgegeben hatte. Als er nacheinem Treffer eines Lähmungsstrahlers zu Bodenging, lagen am Ufer sieben bewegungslosePlophoser.

Rhodan war wieder Gefangener Iratio Hondros,des Ministerpräsidenten vom Eugaul-System.

15.

Wie aus dem Nichts fuhr der Peitschenarm derDrenhol über den Weg und warf den an der Spitzegehenden Bully zu Boden. Der breitschultrigeTerraner stieß einen erstickten Hilferuf aus, dannrollte er auf den Rücken und blieb liegen.Augenblicklich wurde sein Körper von grünenRanken umschlungen.

Krachend schob sich die Drenhol selbst auf denWeg hinaus. Im Innern des Dschungels herrschteimmer Halbdunkel, denn die Doppelsonne vermochtenicht das dichte Gespinst zu durchdringen, das derWald wie ein Dach über sich gebildet hatte. Nur dieDrenhols ragten über diesen Wald hinweg, undkleinere Pflanzen, die das Glück hatten, sich alsSchmarotzer in den oberen Ästen der Riesenbäumefestzusetzen.

Der Boden schien zu vibrieren. Es rauschte undknackte, aber die Drenhol schob sich unaufhaltsamvorwärts. Bully hatte offensichtlich das Bewußtseinverloren.

»Noir!« flüsterte Atlan eindringlich. »Noir! HelfenSie ihm.«

Der Arkonide war sich darüber im klaren, daß erfast Unmögliches von Noir forderte. Vor ihnen einübermächtiger Gegner, gefährlicher und räuberischerals jede andere Pflanze auf Greendoor - und derHypno sollte sich konzentrieren.

Doch Noir war kein Mann, der seine Freunde imStich ließ. Das Leben Reginald Bulls stand auf demSpiel. Das Risiko, den Bewußtlosen aus derGefahrenzone zu schleifen, war für die Männer zugroß. Die Drenhol hätte wieder zugeschlagen.

Atlan und Kasom gingen etwas zurück, währendNoir zwischen ihnen und dem Baum anhielt.

Einen Vorteil hatte die Nähe der Drenhol: andereGewächse des Dschungels zogen sich zurück, flohenvor dem schrecklichsten aller Gegner. Blütenschlossen sich, Blätter krampften sich zusammen,Fangarme, die lauernd über den Boden ausgebreitetlagen, wurden blitzschnell wieder eingerollt, undsegelnde Blätter änderten ihre Bahn, als wüßten sie,was sie erwartete, wenn sie sich mit dem Giganteneinließen.

Gewaltsam seine Blicke von Bully lösend, richteteer die paranormalen Strömungen gegen die Drenhol.Zu seiner Überraschung gelang diesmal der Kontakt

wesentlich schneller als bei den drei Bäumen amStrand. Ja, es schien Noir, als sei dieser Gegnerbesonders aufnahmefähig.

Wieder ruhiger, ließ der Hypno seine Psi-Kräfteauf die Pflanze einwirken. Für ihn, der einen oftgeübten Vorgang wiederholte, war das nichtsAußergewöhnliches, aber das Ziel, das er sichausgesucht hatte, war unglaublicher als alle anderen,auf die er sich jemals konzentriert hatte.

Ein nicht sehr großer Terraner stand etwa fünfzigMeter vor einem Baumriesen und versuchte, diesenin seine geistige Gewalt zu zwingen. Ein Mensch aufder Erde hätte bei dieser Vorstellung wahrscheinlichgelacht, doch dem Mutanten war nicht zum Lachenzumute. Für ihn - und nicht nur für ihn - ging es umLeben und Tod.

Allmählich begann die Drenhol das Peitschen mitihren Tentakeln einzustellen.

Da schoß Kasom an Noir vorbei und rannte aufBully zu. Als handele es sich um einen leeren Sack,hob Kasom den Ohnmächtigen vom Boden auf undzog ihn über die Schulter. Mit einem kurzen Blickhinter sich stürmte der Ertruser wieder zurück.Erleichtert grinste er Noir zu.

»Gut, André«, brachte Atlan über spröde Lippen.»Wir haben Bully in Sicherheit.«

Mit einer Handbewegung deutete Noir an, daß ernoch nicht fertig war. Er hielt den Baum weiter in dergeistigen Umklammerung. Er stellte fest, daß er denRiesen steuern konnte. Je länger er die Drenhol unterKontrolle behielt, desto besser wurde er mit ihr fertig.

Endlich konnte er es riskieren, sie auf Psi-Basis zuhalten und gleichzeitig mit den anderen zu sprechen.

»Ich habe sie festgenagelt«, sagte er zu Atlan. Ausseinen Worten sprach Stolz, aber auch Müdigkeit.

Atlan lauschte in den Dschungel hinein, um zuhören, ob die Verfolger näher gekommen waren.Aber es war unmöglich, inmitten dieser grünen Hölleeinzelne Geräusche zu unterscheiden.

Kasom bemühte sich um Bully, der wieder zu sichgekommen war. Sekunden später stand der zäheTerraner wieder auf den Beinen. Zornig blickte er zuseinem Bezwinger hinüber.

»Schicken Sie den Baum weg, André«, sagteAtlan.

Noir schüttelte schweigend den Kopf.»Ich habe ihn fest«, sagte er betont. »Verstehen

Sie, Admiral: dieser Baum wird jetzt von mirbeherrscht und wird uns nichts tun.«

Bully schaute ihn entgeistert an, als habe er einenWahnsinnigen vor sich.

»Sind Sie übergeschnappt?« erkundigte er sich.Noir lächelte. Er wußte, daß man Bullys

Äußerungen nicht tragisch nehmen durfte. Unterdiesen Umständen ganz und gar nicht.

»Keineswegs«, sagte er. »Der Baum wird

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vielleicht meinen Befehlen nachkommen.«Atlan beobachtete mißtrauisch die regungslose

Drenhol. Noir mochte recht haben, aber ein gewissesUnbehagen blieb gegenüber dem Riesen dochbestehen.

»Was haben Sie vor, Andre?« fragte er gespannt.Der Mutant machte eine weit ausholende Geste.»Hier sind wir ständig gefährdet«, sagte er. »Wir

müssen damit rechnen, daß ich andere Pflanzen, dieweitaus primitiver als diese Bäume sind, nichtparapsychologisch beeinflussen kann. Das bedeutet,daß wir uns absichern müssen.«

Atlan ahnte, daß der Hypno bereits gewisseVorstellungen über ihr weiteres Vorgehen hatte, abernoch nicht darüber sprechen wollte. Der Arkonidehielt es jedoch für besser, wenn er über die Pläneseiner Begleiter informiert war. Die Erfahrung, die erauf unzähligen fremden Welten gesammelt hatte, ließihn die Dinge aus einem anderen Blickwinkel sehenals diese Männer. Trotzdem wollte er Noir nichtdrängen, denn er wußte, daß dies den Mutantenerheblich stören würde.

Doch da sprach Noir von selbst.»Ich glaube, daß es zwischen diesen Bäumen eine

Verständigungsmöglichkeit gibt«, sagte er.In Atlans hagerem Gesicht war nichts von der

Überraschung zu sehen, die Noirs Bemerkung in ihmhervorgerufen hatte. Wie kein zweiter vermochte sichder Unsterbliche zu beherrschen.

»Erklären Sie das«, sagte er.Einen Augenblick sah Noir etwas hilflos aus - und

da sah Atlan die Grenzen, die zwischen ihm unddiesem Mutanten standen. Nie würde er ganz diePsi-Fähigkeit eines Mutanten begreifen können. Undfür Noir schien es ungemein schwierig, seineFähigkeit zu erläutern. Es erging ihm wie einemFarbenblinden, der einem Menschen mit normalenAugen niemals erklären kann, wie er die Farbensieht.

»Es ist eine Art der Verständigung auf Psi-Basis«,sagte Noir betont.

»Unglaubhaft«, bemerkte Atlan knapp. »Siedenken doch nicht, daß diese Pflanzen mutiert sind?«

»Oh, doch«, erwiderte Noir rasch. »IhreFähigkeiten der Fortbewegung sind ebenso die Folgeeiner sprunghaften Mutation wie ihre Peitschenäste.«

»Dabei handelt es sich um äußerlicheVeränderungen«, gab Bully zu bedenken.

»Ich schätze, daß diese Bäume die Fähigkeit einerVerständigung miteinander schon besaßen, als ihreWurzeln noch fest mit dem Erdreich verwachsenwaren. Sie können sich ihren Artgenossenverständlich machen, das steht fest.«

Wenn Atlan über den dämmrigen Weg zu derbewegungslosen Pflanze hinübersah, erschien ihmNoirs Behauptung reiner Unsinn, aber der Hypno war

kein Mann, der aus einem bloßen Verdacht herausetwas behauptete. Noir schien gerade dieseVerständigungsmöglichkeit der Drenholsuntereinander zu seinen Zwecken ausnutzen zuwollen.

»Nehmen wir an, daß Sie recht haben«, sagte Atlanruhig. »Was haben Sie mit Ihrem Opfer vor?«

Noir grinste jetzt.»Das Pflänzchen wird zu unserem Dolmetscher

ernannt«, erklärte Noir. »Es wird uns helfen, mitseinen Artgenossen in einer zwar umständlichen,aber doch gut funktionierenden Verbindung zubleiben. Vor allem werden wir dadurch alle Angriffedieser Bäume verhindern können.«

»Das ist aber noch nicht alles«, vermutete Atlan.»Keineswegs. Wir haben jetzt eine

Transportmöglichkeit und ein relativ sicheresVersteck, wo uns die Plophoser nicht so schnellaufstöbern werden.«

Obwohl Noir nocht nicht gesagt hatte, wohin er sieführen wollte, begann Atlan zu ahnen, was dieserMann für einen Plan ausgedacht hatte. Ein Plan, wieer nur im Gehirn eines Terraners entstehen konnte:tollkühn, unglaublich und verrückt.

Als hätte Noir seine Gedanken erraten, deutete erauf die Drenhol und sagte gelassen: »Der Baum wirduns aufnehmen.«

Sofort begann Bully zu protestieren. Sein Körperzeigte noch Spuren des blitzartigen Angriffes. Für ihnwar es unfaßbar, daß Noir nun darauf bestand, daß ersich wieder in die Nähe des Monstrums wagen sollte.

»Das ist alles Unsinn«, sagte er mürrisch. »Vonmir aus können Sie in den Wipfel des Baumesklettern, Andre - ich werde zu Fuß flüchten.«

»Wer sagt, daß wir in den Ästen hocken sollen wiealte Krähen?« fragte Noir humorvoll. »Wir werdenuns im Baum niederlassen.«

»Ha, ha«, machte Bully rauh.»Noir«, mischte sich Atlan ein. »Spannen Sie uns

nicht länger auf die Folter. Die Plophoser könnenjeden Augenblick auftauchen, und Sie geben unsRätsel zu lösen.«

»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte der Mutant. »ImInnern des Riesen sind mehrere große Hohlräume,die im allgemeinen von Pflanzen bewohnt werden,die mit dem Baum in Symbiose leben.«

»Die alten Mieter werden herausgeworfen unddurch uns ersetzt«, sagte Kasom trocken.

»So ist es«, bestätigte Noir. »Dann wird uns imStamm des Baumes nichts mehr schaden können.«

»Natürlich gehen Sie als erster«, schlug Bully vor.Noir antwortete nicht, sondern setzte sich in

Richtung auf die Drenhol in Bewegung. Er schiennicht die geringste Furcht zu haben.

»Halten Sie ihn auf, Kasom«, rief Bully aufgeregt.»Sehen Sie nicht, daß er Selbstmord begehen will.«

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»Warten Sie, Melbar!« fuhr Atlans Stimmedazwischen. »Warten Sie noch einen Augenblick.«

Sie sahen, daß Noir ungehindert immer näher andas Ungeheuer herankam. Kein Peitschenarm hobsich drohend, keine Wurzel kroch über den Boden.Die Drenhol schien sich nichts aus NoirsAnwesenheit zu machen.

Der Mutant kletterte geschickt über die Wurzelnhinweg und erreichte schließlich den eigentlichenStamm. Er winkte den anderen zu. Bully und Atlansahen sich an. Kasom knurrte undeutlich.

Wahrscheinlich hätten sie noch längere. Zeitgezögert, aber ein immer lauter werdendes Geräuschim Hintergrund gab den Ausschlag.

»Die Plophoser!« zischte Atlan. Der Lärm derVerfolger war jetzt deutlich von den Geräuschen desDschungels zu unterscheiden. Ein großer Truppmußte sich durch den Dschungel arbeiten. DiePlophoser schienen den gleichen Drenhol-Weg zubenutzen, der auch die Flüchtlinge hierher geführthatte.

Auch Noir hörte den Lärm und wurde unruhig.»Beeilt euch«, rief er den drei Männern zu. »Der

Baum ist jetzt völlig harmlos.«Beinahe gleichzeitig rannten sie los. Vor ihnen

zwängte sich Noir in großer Eile durch ein Astloch,dessen Durchmesser über einen Meter betrug. Siesahen ihn im Innern des Baumes verschwinden. DieDrenhol reagierte überhaupt nicht.

Trotz des eingeschalteten Mikrogravitatorserreichte Kasom die Wurzeln zuerst. Dann hielt erplötzlich an. Sein Gesicht verfinsterte sich.

»Sir«, sagte er hastig, »ich passe nicht durch diesesMauseloch.«

Zu seinem Entsetzen mußte Atlan feststellen, daßder Ertruser recht hatte. Für Kasom war esunmöglich, in den Baum zu gelangen - jedenfallsnicht von dieser Seite aus.

»Auf der anderen Seite des Stammes sindbestimmt weitere Offnungen«, sagte er. »Suchen Siedanach.«

Gleich einer Gemse hüpfte Kasom über dieweitverzweigten Wurzeln der Drenhol. Inzwischenhatte Bully das Astloch erreicht und folgte demMutanten.

Atlan blickte zurück. Die ersten plophosischenUniformen waren bereits undeutlich; zu erkennen.Das fahle Licht schützte ihn selbst noch vor einervorzeitigen Entdeckung. Kasom, der trotz seinesgewaltigen Körpers flink wie eine Katze war,verschwand hinter der Biegung des Stammes. EineWurzel zerbrach unter dem Gewicht seines Körpers.

Atlan war fast bei der Öffnung angekommen, dadrang das Triumphgeschrei der Verfolger an seinGehör. Sie hatten ihn gesehen. Doch ihre Rufeerstarben, als sie mit ansehen mußten, wie ihr

sicheres Opfer im Innern einer Drenhol verschwand.

16.

Al Jiggers hielt so unverhofft an daß die hinter ihmheranstürmenden Männer gegen ihn prallten. DasGeschrei verstummte hinter Jiggers. Al stand in demRuf, daß ihn nichts überraschen konnte.

Doch einhundert Meter von ihm entfernt, geradenoch sichtbar, kletterte einer der Flüchtlingeunbehelligt in eine Drenhol. Jiggers verbrachte diemeiste Zeit auf Plophos, aber er besaß auch aufGreendoor ein Büro und wußte genau über denDschungel Bescheid. Wer sich ohneSicherheitsmaßnahmen und unbewaffnet einemsolchen Baum näherte, war ein toter Mann.

Die Drenhols hatten auf Greendoor mehrKolonisten getötet als alle anderen Pflanzenzusammen. Sie waren unbarmherzige Gegner.

»Das ist doch nicht möglich«, sagte einer derMännern neben Jiggers. »Sie sind im Baumverschwunden, Sir.«

»Sie?« wiederholte Jiggers scharf. »Wir haben nureinen gesehen. Noch wissen wir nicht, ob auch dieanderen dort drinnen sind. Vor allem haben wir jetztRhodan wieder in unseren Händen.«

Vor wenigen Augenblicken war Jiggers von denMännern am Strand über die Geschehnisse durchSprechfunk unterrichtet worden. Es sah ganz so aus,als sollte Al die Gegeninjektion auch diesmal wiedererhalten.

Aber Al Jiggers war kein Mann, der halbe Sachenmachte. Er hatte Rhodan. Er wollte aber auch dieanderen. Sie waren nicht weniger wichtig.

Doch jetzt hatte die Flucht einen unerwartetenVerlauf genommen. Zumindest einer derEntkommenen hockte im Stamm der Drenhol undwartete darauf, daß die Gefahr vorüberging.

Über Sprechfunk setzte sich Jiggers mit denanderen Mannschaften zusammen. Er erteilte denBefehl, daß sich alle Männer hier einfinden sollten.Nur mit einer großen Streitmacht konnten sie gegendie Drenhols bestehen.

»Flammenwerfer vor!« rief Jiggers dann.Die Plophoser um ihn herum machten Platz, um

die Soldaten mit den schweren Waffen in die vordereLinie zu lassen. Da setzte sich die Drenhol inBewegung.

Ungeduldig trieb Jiggers die Männer an.»Zielt auf den Baum dort vorn«, befahl er. »Wir

werden die Burschen ausräuchern.«Bevor jedoch ein einziger Schuß abgegeben

werden konnte, stampften drei weitere Drenhols aufden Weg und versperrten die Sicht auf den Baum mitden Flüchtlingen.

»Feuer!« schrie Al. »Wir müssen den Pfad

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freimachen!«Aus drei Flammenwerfern loderten Feuerzungen

hervor. Um sie herum fingen die kleineren Pflanzensofort an zu brennen. Dann wurden die Drenholsgetroffen.

Jiggers versuchte, durch Qualm und Flammenetwas zu erkennen. Zwei der drei Gegner kamen ausdem Rauchvorhang. Ihre Peitschenarme wirbeltendurch die Luft. Unwillkürlich wichen die Soldatenzurück.

Die dritte Drenhol war schwer getroffen worden.Sie stand in Flammen. Ihre Äste zuckten und wandensich am Stamm entlang. Die Wurzeln vibrierten, alswollten sie in blinder Panik davonstürzen. Der riesigeBaum machte einen Sprung und sackte dannkrachend in den Dschungel, unzählige Sträucher undBlüten mit sich reißend.

»Feuer!« schrie Al erregt.Neben ihm spien die Flammenwerfer Tod und

Verderben. Die beiden Drenhols waren bereits sonahe herangekommen, daß ihre Tentakeläste fast biszu den vorderen Soldaten reichten. Doch dann hülltesie ein neuer Flammenstoß ein und machte ihremVormarsch ein Ende.

Die erste Drenhol kippte zur Seite, ihre Wurzeln,die noch immer zuckten, ragten in die Höhe.

Der zweite Baum stand schwankend auf dem Weg.Dann begann er sich zu neigen. Die Flammen warenblitzschnell bis zum Wipfel vorgedrungen, so daß derBaum wie eine überdimensionale Fackel wirkte.Ringsum begann sich der Brand auszubreiten.

»Er fällt auf uns!« schrie eine entsetzte Stimme.Sekunden später wollten die Plophoser entsetzt

davonstürmen, doch Jiggers Stimme hielt sie aufihren Plätzen.

»Schießt!« rief er. »Schießt, bis das Monstrumauseinanderbricht.«

Verzweifelt eröffneten dieBedienungsmannschaften der großen Flammenwerferabermals das Feuer. Die Drenhol wankte, als sei sieeinem heftigen Orkan ausgesetzt. Noch immer sah esso aus, als sollte sie mit unverminderter Wucht aufdie Männer fallen.

Doch der konzentrierte Beschuß änderte dieFallrichtung. Die Drenhol drehte sich um die eigeneAchse und fiel in das Chaos, das vom zuerstgestürzten Gegner verursacht worden war.

Jiggers schaute in die Flammenwand, die sich vorihnen ausbreitete. Sie mußten hindurch, bald würdees zu spät sein.

Irgendwo hinter dem sich ausbreitenden Brandwaren die Flüchtlinge.

»Folgt mir!« rief er. Ohne zu zögern, rannte er inden beißenden Rauch hinein, gefolgt von derSuchmannschaft.

17.

Atlan spähte über den Rand der Öffnung auf denWeg hinaus. Die Plophoser blieben im respektvollenAbstand stehen. Gleich darauf sah der Arkonide, daßsie Flammenwerfer heranschleppten. Noir und Bully,die neben ihm kauerten, beobachteten es ebenfalls.

»Flammenwerfer«, stellte Bully verbittert fest.Der Baum, in den sie geschlüpft waren, begann

sich vom Schauplatz zu entfernen.Der ganze Stamm begann zu schwanken. Atlan

versuchte sich an die Bewegungen anzupassen. ImInnern des Baumes stank es fürchterlich. Die mit derDrenhol in Symbiose lebenden Pflanzen hatten in derAushöhlung den Geruch nach Moder und Verwesungzurückgelassen.

Der Arkonide dachte voller Sorge an Kasom. Womochte der Ertruser sein?

Hatte er ebenfalls einen Einschlupf gefunden?Die Ereignisse hinter ihnen nahmen seine

Aufmerksamkeit wieder in Anspruch. DreiRiesenbäume hatten sich den Plophosern in den Weggestellt. Da blitzten zum erstenmal dieFlammenwerfer auf. Instinktiv schloß Atlan dieAugen.

Erleichtert dachte er daran, daß sich ihr Trägerständig weiter vom Kampfplatz entfernte. DiePlophoser mußten sich erst mit anderen Drenholsherumschlagen, bevor sie die Verfolgung fortsetzenkonnten.

Als Atlan die Augen aufschlug, sah er Noir nebensich lächeln.

»Das ist unsere Streitmacht«, erklärte der Mutantund zeigte auf den brennenden Weg hinaus.

Der Unsterbliche blickte ihn ungläubig an.»Wollen Sie behaupten, daß Sie das veranlaßt

haben?«»Ja«, sagte Noir bescheiden. »Ich konnte unseren

Baum dazu bringen, daß er einige seiner Artgenossen um Hilfe rief.«

Atlan schüttelte den Kopf. Die Anwesenheit derBäume bewies, daß der Mutant die Wahrheit sprach.Trotzdem erschien es unglaublich. Flammen undRauch versperrten ihnen die Aussicht auf diePlophoser.

Doch Atlan zweifelte nicht daran, daß dieVerfolgung fortgesetzt wurde. Denn dieNachkommen ehemaliger Kolonisten waren nichtweniger hartnäckig als die Terraner selbst. DerArkonide war sich darüber im klaren, was das zubedeuten hatte. Etwas bitter dachte er an dieWarnungen, die er oft genug gegenüber Rhodanausgesprochen hatte. Immer wieder hatte er denTerraner darauf hingewiesen, daß sich eines Tagesverschiedene Kolonien selbständig machen würden.

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Dieser Vorgang konnte nicht ohne Kämpfe abgehen.»Wohin bringt uns der Baum?« drang Bullys

Stimme in seine Gedanken.Atlan wandte sich an Noir.»Wissen Sie darüber Bescheid?« fragte er den

Hypno.»Nein«, erwiderte Noir ruhig. »Ich weiß nur, daß

wir hier vorläufig sicher sind.«

*

Auf der anderen Seite des Stammes schienen dieWurzeln noch dichter zu sein.

Kasom zwängte sich zwischen den Verzweigungenhindurch und ließ seine Blicke über den Stammschweifen. Da entdeckte er direkt über einerhochgelagerten Wurzel eine Öffnung, die zwarschmal, aber dafür über zwei Meter lang war. Daswar seine Chance. Mit der Gewandtheit eines Affenturnte Kasom über die Wurzeln. Niemand hätte demschweren Mann diese Beweglichkeit zugetraut.

Er gelangte unterhalb des natürlichen Eingangs anund umklammerte den Rand mit beiden Händen.Ohne Kraftanstrengung zog er sich hoch. Er schwangdas linke Bein ins Innere und ließ den Körperlangsam hinterher gleiten.

Erst als er sich voll streckte, fühlte er den Boden.Das Loch mußte tief in den Stamm hinabreichen.Kasom ließ den Rand los und sprang in die Tiefe.

Kaum hatte er den Boden berührt, da wurde er vonhinten umschlungen und durch die Höhlung gezerrt.Im ersten Augenblick war er so erschrocken, daß ernicht reagieren konnte.

Es sah so aus, als sei die Aushöhlung bereitsbewohnt. Der erste Mieter hatte offenbar nicht dieAbsicht, sich von Kasom vertreiben zu lassen, imGegenteil - er schien den Ertruser als willkommeneAbwechslung auf seiner Speisekarte zu betrachten.

Kasom wurde von einer ätzenden Flüssigkeitbesprüht, die anscheinend den Zweck hatte, ihn alsMahlzeit zu präparieren. Da es innerhalb des Baumessowieso dunkel war, schloß Kasom die Augen, umsie vor der Säure zu schützen.

Gummiartige Äste schlangen sich um KasomsKörper und zerrten ihn auf die Hauptpflanze zu. DerBewohner der Baumhöhle schien nicht gerade kleinzu sein, denn als Kasom den Mittelpunkt derRaubpflanze erreicht hatte, spürte er, daß er auf einknollenförmiges Gewächs von fast zwei MeterDurchmesser hinabgezogen wurde.

Kasom knurrte bösartig und packte einen Tentakel,der ihn um die Hüfte herum festhielt. Mit beidenHänden preßte er den biegsamen Ast zusammen, biser brach. Das Knollengewächs gab schmatzendeGeräusche von sich. Kasom wurde erneut einerSäuredusche unterzogen. Offenbar glaubte die

fleischfressende Pflanze, daß ihr Opfer noch nichtgenügend ermattet war.

Da verlor Kasom die Beherrschung. Mit einemwütenden Aufschrei sprang er auf den Räuber hinauf,der sich unter ihm aufblähte. Tentakel zuckten aufihn zu, fingerten über seine Schulter und tasteten sichum die Beine. Doch Kasom hatte die Kräfte einesElefanten. Mit bloßen Händen zerfetzte er dieRanken, die sich um ihn legten. Mit den Füßentrampelte er auf dem Gewächs herum.

Innerhalb einer Minute war der Kampf beendet.Der Gegner des Ertrusers ließ von seinem Vorhabenab und zog die noch funktionierenden Tentakel insInnere des Knollens zurück. Dann schloß sich dasGewächs und wurde steinhart.

Kasom gab das Getrampel auf, da er damit keinenErfolg erzielen konnte. Er hatte den Räubergeschlagen. Fortan würden sie in Koexistenzmiteinander auskommen.

Der USO-Spezialist schüttelte sich. Von seinerKleidung war jetzt kaum noch etwas übrig. Doch dasbelastete den Ertruser wenig. Ohne zu zögern trug erÄste und Humus zusammen. In kurzer Zeit hatte ereinen Hügel geschaffen, den er erklettern konnte. Sowar es ihm möglich, aus der Öffnung ins Freie zublicken.

Kasom stieg in die Höhe und schaute aus demStamm. Was er sah, trug nicht gerade dazu bei, seineStimmung zu verbessern. Um ihn herum brannte derDschungel an mehreren Stellen. Doch das war nichtschlimm. Viel niederschmetternder war es für denErtruser, eine Reihe von Plophosern zu sehen, dieden Baum umringt hatten und ihre Flammenwerferschußfertig machten.

18.

»Dort vorn ist der Baum!« rief Jiggers völlig außerAtem. »Los, umstellt ihn.«

Seine Männer rannten im weiten Bogen um dieDrenhol herum. Bisher hatte der Baum noch keineweitere Verstärkung bekommen. Diesen Augenblickmußten sie ausnutzen. Wütend schlug die Drenholmit ihren Peitschenästen um sich.

Einer der Soldaten wurde getroffen und fielschreiend zu Boden. Schweiß lief über Jiggers'Gesicht, doch er kümmerte sich nicht darum. Er warwie ein Besessener.

Sogar die Gedanken an den Obmann waren indiesem Augenblick in ihm vollkommenausgeschaltet.

Aus unbekannten Gründen erreichte die verfolgteDrenhol nicht die übliche Geschwindigkeit. Esgelang den Plophosern, mit einigen Flammenwerfernauf die andere Seite zu kommen. Gehetzt blickte sichAl Jiggers um. Wenn jetzt andere Bäume

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auftauchten, würden viele Männer den Tod finden.Auch er war gefährdet.

Auf der anderen Seite traten die Flammenwerferbereits in Tätigkeit. Die Drenhol zögerte und hielt an.Offensichtlich wußte der Baum nicht, wohin er sichwenden sollte. Ein weiterer Plophoser fiel einemSchlag seiner Äste zum Opfer.

Da begann der Stamm zu brennen. Al gab einentriumphierenden Schrei von sich. Jetzt blieb denFlüchtlingen nichts anderes übrig, als den Baum zuverlassen. Sie waren verloren. Wenn sie nichtverbrennen wollten, mußten sie aufgeben. Jiggersließ das Feuer einstellen. Er wollte die Terraner nichttot, das war nicht im Sinne des Obmanns.

Da sah er drei Gestalten aus den Flammenauftauchen. Sie rannten mit erhobenen Händen aufdie Plophoser zu. Jiggers warf den Kopf in denNacken.

Die Jagd war am Ende angelangt. Sie hatten dieGefangenen wieder in ihrer Gewalt.

Da warf sich die brennende Drenhol herum undraste wie von Schmerzen getrieben in den Dschungelhinein. Ihre Reaktion kam so unverhofft, daß denSoldaten hinter dem Baum keine Zeit zum Handelnblieb. Sie wurden von dem Giganten einfachniedergewalzt.

»Verfolgung einstellen!« schrie Jiggers. Sie hattenjetzt vier Gefangene wieder in ihren Händen. Derfünfte hielt sich innerhalb einer in Flammenstehenden Drenhol auf und würde früher oder späterebenfalls gefangen werden.

Langsam kamen die drei Flüchtlinge auf Jiggerszu. Die Flucht hatte auf ihren Körpern Spurenhinterlassen. Jiggers war überzeugt, noch nie inseinem Leben so müde Männer gesehen zu haben.Die Kleidung der drei bestand nur noch aus Fetzen.

Direkt vor ihm blieben sie stehen.»Nun«, sagte Jiggers höhnisch, »alles war

umsonst.«Der große, schlanke Mann, der Perry Rhodan so

ähnlich sah - das mußte Atlan sein.»Nichts ist umsonst«, sagte der Arkonide. Seine

Stimme klang rauh.Jiggers winkte seinen Männern.»Fesselt sie!« befahl er.Er wartete, bis die Anordnung ausgeführt war.

Seine Augen glitzerten. Er gab sich keine Mühe,seine Freude zu verbergen.

»Das alles hätten Sie sich ersparen können«, sagteer zu Atlan.

Der Arkonide lächelte - und dieses Lächelnbrachte Jiggers aus dem Gleichgewicht. Für ihn wares unfaßbar, daß ein Mann in einer solchen Lagelachen konnte, so unbeschwert und gelassen lachen.

Aus Atlans Reaktion sprach seine tausendjährigeErfahrung. Er wußte, daß Rassen kamen und gingen,

daß Sternenreiche aufblühten und zerbrachen. Für ihnwar Al Jiggers ein Nichts, ein Sandkorn in derGalaxis.

Jiggers fühlte die Überlegenheit des Arkoniden.Die Wut überwältigte ihn. Mit einem Schritt war erbei Atlan und schlug ihm ins Gesicht. Bully wolltesich auf den Plophoser stürzen.

»Nein«, sagte Atlan ruhig.Jiggers bebte vor Zorn. Er ließ die drei

Gefangenen zusammenbinden, dann brachen sie auf.Al Jiggers fieberte bereits jetzt dem Verhör

entgegen. Er würde den Stolz dieser Männer brechen,das schwor er sich.

19.

Der Duft nach Seife hing noch in der Luft, dieFenster waren noch vom heißen Dampf beschlagen,als Iratio Hondro den kleinen Raum betrat. In seinerBegleitung war ein Krüppel, der offensichtlichverrückt war.

Hondro ließ die Tür offen. Im Gang war seineLeibwache postiert.

Schweigend musterte der Obmann die vierGefangenen, die jetzt sauber gewaschen in neuenKleidern vor ihm standen. Man sah ihnen kaum an,daß sie vor wenigen Stunden noch schwere Strapazenhinter sich gebracht hatten. Das verdankten sie denZellaktivatoren. Hondro, selbst Besitzer eines dieserGeräte, war vom Zustand der vier Männer nichtüberrascht.

Ein Kampfroboter rollte herein und blieb nebender Tür stehen. Seine Waffenarme zeigten drohendauf die Gefangenen.

»Sie sehen«, begann Hondro, »daß es für Sie keineChance gibt. Der beste Wächter, den ich mirvorstellen kann, ist Greendoor selbst. Von dieserWelt gibt es kein Entkommen.«

Rhodan strich die Kleider glatt, die man ihmgegeben hatte.

»Es war nur ein Versuch«, sagte er.»Ich bewundere Ihren Mut«, sagte Hondro. »Aber

ich verstehe nicht, warum Sie Ihr Leben aufs Spielgesetzt haben. Inzwischen wurde dafür gesorgt, daßdie Nachricht von Ihrem Tod in der Galaxisverbreitet wurde. Man rechnet nicht mit IhrerRückkehr. Ich glaube noch nicht einmal, daß mannach Ihnen sucht.«

»Immerhin haben wir einen Mann durchgebracht«,sagte Rhodan.

»Den Ertruser?« Hondro lachte gelangweilt. DerKrüppel, der zusammen mit ihm hereingekommenwar, ging um Bully herum und versetzte ihm leichteFaustschläge. »Wir werden den Mann in einigenStunden ebenfalls wieder festnehmen, wenn er bisdahin noch am Leben sein sollte.« Er wandte sich an

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den Narren. »Laß sie in Ruhe, Plog.«Der Krüppel kicherte und kehrte zu Hondro zurück.»Finden Sie sich damit ab, daß Ihr Imperiumzusammenbrechen wird, Rhodan«, sagte Hondro.»Wir sind die neuen Herren der Galaxis. Undglauben Sie mir: Iratio Hondro wird nicht diegleichen Fehler begehen, die einem Perry Rhodanunterliefen.«Damit drehte er sich um und ging hinaus, gefolgt vondem Idioten und dem Roboter. Die Tür schlug hinterihm zu.»Armer Kasom«, meinte Atlan.»Vielleicht kommt er durch«, sagte Noir vollerOptimismus. »Die Bäume werden sich nicht gegenihn stellen.«Rhodan beteiligte sich nicht an der Unterhaltung. Erdachte an das Vereinigte Imperium und an die Erde.Das schien nun alles vorbei zu sein. Ihr eigenesSchicksal war ungewiß. Wahrscheinlich ließ sie derObmann töten, sobald er sie nicht mehr benötigte.Rhodan ging zum Fenster und blickte hinaus. Siemußten sich in den oberen Stockwerken desGebäudes befinden, denn Zentral-City breitete sichunter ihm aus.

Rhodan blickte auf die junge Stadt, sah ihre kühnenBauwerke, die denen der Erde nicht nachstanden.Wie Vogelschwärme glitten Lufttaxis über denGebäuden dahin. Überall war Leben, überall war dieKraft der Plophoser zu sehen.Weit im Hintergrund glaubte er den Dschungel zuerkennen. Zentral-City und der Wald, wilde Naturund Zivilisation, alles lag dicht beieinander.Dreihundert Jahre hatte Rhodan das Wachsen desImperiums verfolgt, dreihundert Jahre hatte er für dieMenschheit gekämpft. Und nun? Zu seinemErstaunen fühlte er keine Resignation. Er hoffte nochimmer.Atlan würde sicher darüber lächeln, wenn er eserfuhr. Für den Arkoniden war Hoffnung in einemsolchen Augenblick vollkommen sinnlos.Rhodan erkannte, daß er so lange an eine Wendeglauben würde, bis er eines Tages sterben würde.Er war Terraner.Und Terraner geben nicht auf.

E N D E

Seit dem 2. November 2328 kursiert die Nachricht in der Galaxis, daß Perry Rhodan, Atlan und Reginald Bullbei der Vernichtung des Flaggschiffes CREST ums Leben gekommen wären.Die Beweise für diese Nachricht scheinen erdrückend, doch die Galaktische Abwehr will es genau wissen undverfolgt jede Spur.Im Zuge dieser Maßnahmen erhält Arthur Konstantin einen Befehl, und DREI VON DER GALAKTISCHENABWEHR setzen alles auf eine Karte!

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