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D ie Akte umfasst 321 Blatt. Rund sechs Jahrzehnte lang lag sie unbe- achtet in den Beständen des Bun- desnachrichtendienstes (BND). Dabei hät- te sie Aufmerksamkeit verdient gehabt: Ihr Inhalt fügt der deutschen Nachkriegs- geschichte ein ebenso spektakuläres wie mysteriöses Kapitel hinzu. In den bislang geheimen Unterlagen ist von einem Zusammenschluss von rund 2000 ehemaligen Offizieren die Rede, die ab 1949 den Aufbau einer deutschen Ar- mee betrieben, aus Veteranen der Wehr- macht und der Waffen-SS. Sie trafen ihre Vorbereitungen ohne ein Mandat der Bun- desregierung, ohne Kenntnis des Parla- ments und nach Aktenlage zunächst auch unter Umgehung der alliierten Besatzungs- mächte. Das Bündnis der Offiziere a.D. wollte die junge Bundesrepublik in diesem frühen Stadium des Kalten Krieges gegen östliche Angreifer verteidigen. Zugleich schwebte ihm ein Einsatz im Inland vor, gegen Kom- munisten, für den Fall eines Bürgerkriegs. Es sammelte Informationen über Politiker linker Provenienz wie den Sozialdemokra- ten Fritz Erler, es bespitzelte Studenten wie Joachim Peckert, der in den Siebziger- jahren Botschaftsrat an der Bonner Ver- tretung in Moskau wurde. Das neue Wissen um die alte Seilschaft ist einem Zufallsfund zu verdanken. Als Mitarbeiter der Unabhängigen Historiker- kommission, die im Auftrag des BND des- sen Frühgeschichte erforscht, sichtete der Wissenschaftler Agilolf Keßelring auch Akten der Organisation Gehlen (Org), des Vorläufers des deutschen Auslands- geheimdienstes. Und die Akte mit dem seltsamen Titel „Versicherungen“ wäre wohl unberührt geblieben, wenn der Historiker nicht gehofft hätte, aus vergilb- ten Policen die Anzahl aller BND-Mit- arbeiter ermitteln zu können. Doch statt Versicherungspapieren hob Keßelring ei- nen geheimen Schatz, der als bislang be- deutendster Fund der 2011 eingesetzten Historikerkommission gelten darf. Seine darauf beruhende Studie erscheint diese Woche*. Die Akte ist zwar erkennbar unvollstän- dig, daher ist Vorsicht bei der Bewertung angebracht. Aber nach jetzigem Stand zeugt ihr Inhalt davon, wie leicht es in den ersten Jahren der Bonner Republik war, demokratische und rechtsstaatliche Stan- dards zu unterlaufen. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) erfuhr den Papieren zufolge erst 1951 von der Existenz der Truppe altgedienter Wehrmachtsoffiziere. Und offenkundig * Agilolf Keßelring: „Die Organisation Gehlen und die Verteidigung Westdeutschlands. Alte Elitedivisionen und neue Militärstrukturen 1949–1953“. Marburg (Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968, Studien, Nr. 3). sah er davon ab, den paramilitärischen Verband zu zerschlagen. Im Kriegsfall, so heißt es in der Akte, sollte die Armee 40 000 Kämpfer umfassen, und wie ernst das Unterfangen zu nehmen ist, lässt sich auch daraus ableiten, dass führende Köpfe der späteren Bundeswehr involviert waren: Allen voran Albert Schnez, der den geheimen Offiziersbund maßgeblich aufbaute. Schnez, Jahrgang 1911 und Oberst im Zweiten Weltkrieg, machte auch in der 1955 gegründeten Bundeswehr Karriere. Ende der Fünfzigerjahre gehörte er zum Umfeld des damaligen Wehrministers Franz Josef Strauß (CSU); unter Kanzler Willy Brandt und Verteidigungsminister Helmut Schmidt (beide SPD) diente er spä- ter als Heeresinspekteur. In den Unterlagen der Organisation Gehlen finden sich Äu- ßerungen von Schnez, wonach auch Hans Speidel, ab 1957 NATO-Oberbefehlshaber der alliierten Landstreitkräfte in Mittel- europa, und Adolf Heusinger, erster Gene- ralinspekteur der Bundeswehr, das Projekt einer klandestinen Armee unterstützten. Historiker Keßelring hat einen besonde- ren Zugang zur Militärgeschichte: Sein Großvater Albert war im „Dritten Reich“ Generalfeldmarschall und Oberbefehls- haber Süd, Schnez als „General des Trans- portwesens“ in Italien dessen Untergebe- ner. Beide zählten zu jenen Offizieren, die versuchten, eine Teilkapitulation in Italien zu verhindern. Mit seinem Protagonisten Schnez geht Keßelring jr. gnädig um: Dessen Verbin- dungen ins rechte Milieu erwähnt er mit keinem Wort, das Bespitzeln von angeb- lich oder tatsächlich Linken rechtfertigt er als „Sicherheitsüberprüfungen“. Auf Nach- frage erklärt der Historiker, er werde diese Aspekte in einer umfangreichen Monogra- Kanzler Adenauer 1953 Reinhard Gehlen Der Generalmajor leitete bis 1945 die Spionageabteilung Fremde Heere Ost. Nach seiner Kriegs- gefangenschaft (Foto aus seiner Akte) ließen ihn die Amerikaner den BND aufbauen. 47 DER SPIEGEL 20 / 2014 Adenauer und die Geheimarmee Zeitgeschichte Ehemalige Offiziere bauten ab 1949 eigenmächtig eine Armee aus Veteranen der Wehrmacht und der SS auf. Warum duldete der Kanzler die Truppe? FOTOS: ERICH LESSING / AKG (O.); US ARMY SIGNAL CORPS PD (U.)

Geheimarmee - SPIEGEL 20-2014

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Page 1: Geheimarmee - SPIEGEL 20-2014

Die Akte umfasst 321 Blatt. Rundsechs Jahrzehnte lang lag sie unbe-achtet in den Beständen des Bun-

desnachrichtendienstes (BND). Dabei hät-te sie Aufmerksamkeit verdient gehabt: IhrInhalt fügt der deutschen Nachkriegs -geschichte ein ebenso spektakuläres wiemysteriöses Kapitel hinzu.

In den bislang geheimen Unterlagen istvon einem Zusammenschluss von rund2000 ehemaligen Offizieren die Rede, dieab 1949 den Aufbau einer deutschen Ar-mee betrieben, aus Veteranen der Wehr-macht und der Waffen-SS. Sie trafen ihreVorbereitungen ohne ein Mandat der Bun-desregierung, ohne Kenntnis des Parla-ments und nach Aktenlage zunächst auchunter Umgehung der alliierten Besatzungs-mächte.

Das Bündnis der Offiziere a.D. wolltedie junge Bundesrepublik in diesem frühenStadium des Kalten Krieges gegen östlicheAngreifer verteidigen. Zugleich schwebteihm ein Einsatz im Inland vor, gegen Kom-munisten, für den Fall eines Bürgerkriegs.Es sammelte Informationen über Politikerlinker Provenienz wie den Sozialdemokra-ten Fritz Erler, es bespitzelte Studentenwie Joachim Peckert, der in den Siebziger-jahren Botschaftsrat an der Bonner Ver-tretung in Moskau wurde.

Das neue Wissen um die alte Seilschaftist einem Zufallsfund zu verdanken. AlsMitarbeiter der Unabhängigen Historiker-kommission, die im Auftrag des BND des-sen Frühgeschichte erforscht, sichtete derWissenschaftler Agilolf Keßelring auchAkten der Organisation Gehlen (Org), desVorläufers des deutschen Auslands -geheimdienstes. Und die Akte mit demseltsamen Titel „Versicherungen“ wärewohl unberührt geblieben, wenn der Historiker nicht gehofft hätte, aus vergilb-ten Policen die Anzahl aller BND-Mit -arbeiter ermitteln zu können. Doch stattVersicherungspapieren hob Keßelring ei-nen geheimen Schatz, der als bislang be-deutendster Fund der 2011 eingesetztenHistorikerkommission gelten darf. Seinedarauf beruhende Studie erscheint dieseWoche*.

Die Akte ist zwar erkennbar unvollstän-dig, daher ist Vorsicht bei der Bewertungangebracht. Aber nach jetzigem Standzeugt ihr Inhalt davon, wie leicht es in denersten Jahren der Bonner Republik war,demokratische und rechtsstaatliche Stan-dards zu unterlaufen.

Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU)erfuhr den Papieren zufolge erst 1951 vonder Existenz der Truppe altgedienterWehrmachtsoffiziere. Und offenkundig

* Agilolf Keßelring: „Die Organisation Gehlen und dieVerteidigung Westdeutschlands. Alte Elitedivisionen undneue Militärstrukturen 1949–1953“. Marburg (UnabhängigeHistorikerkommission zur Erforschung der Geschichte desBundesnachrichtendienstes 1945–1968, Studien, Nr. 3).

sah er davon ab, den paramilitärischenVerband zu zerschlagen.

Im Kriegsfall, so heißt es in der Akte,sollte die Armee 40000 Kämpfer umfassen,und wie ernst das Unterfangen zu nehmenist, lässt sich auch daraus ableiten, dassführende Köpfe der späteren Bundeswehrinvolviert waren: Allen voran AlbertSchnez, der den geheimen Offiziersbundmaßgeblich aufbaute.

Schnez, Jahrgang 1911 und Oberst imZweiten Weltkrieg, machte auch in der1955 gegründeten Bundeswehr Karriere.Ende der Fünfzigerjahre gehörte er zumUmfeld des damaligen Wehrministers

Franz Josef Strauß (CSU); unter KanzlerWilly Brandt und VerteidigungsministerHelmut Schmidt (beide SPD) diente er spä-ter als Heeres inspekteur. In den Unterlagender Organisation Gehlen finden sich Äu-ßerungen von Schnez, wonach auch HansSpeidel, ab 1957 NATO-Oberbefehlshaberder alliierten Landstreitkräfte in Mittel -europa, und Adolf Heusinger, erster Gene -ralinspekteur der Bundeswehr, das Projekteiner klandestinen Armee unterstützten.

Historiker Keßelring hat einen besonde-ren Zugang zur Militärgeschichte: SeinGroßvater Albert war im „Dritten Reich“Generalfeldmarschall und Oberbefehls -haber Süd, Schnez als „General des Trans-portwesens“ in Italien dessen Untergebe-ner. Beide zählten zu jenen Offizieren, dieversuchten, eine Teilkapitulation in Italienzu verhindern.

Mit seinem Protagonisten Schnez gehtKeßelring jr. gnädig um: Dessen Verbin-dungen ins rechte Milieu erwähnt er mitkeinem Wort, das Bespitzeln von angeb-lich oder tatsächlich Linken rechtfertigt erals „Sicherheitsüberprüfungen“. Auf Nach-frage erklärt der Historiker, er werde dieseAspekte in einer umfangreichen Monogra-

Kanzler Adenauer 1953

Reinhard Gehlen

Der Generalmajor

leitete bis 1945 die

Spionageabteilung

Fremde Heere Ost.

Nach seiner Kriegs -

gefangenschaft

(Foto aus seiner

Akte) ließen ihn

die Amerikaner

den BND aufbauen.

47DER SPIEGEL 20 / 2014

Adenauer und die Geheimarmee

Zeitgeschichte Ehemalige Offiziere bauten ab 1949 eigenmächtigeine Armee aus Veteranen der Wehrmacht

und der SS auf. Warum duldete der Kanzler die Truppe?

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Deutschland

fie im nächsten Jahr behandeln. Da derBND auf Antrag des SPIEGEL die Akte„Versicherungen“ kürzlich freigegeben hat,ist es möglich, sich ein eigenes Bild vonder Schattenarmee zu machen.

Demzufolge hatte alles im Raum Stutt-gart begonnen, wo Schnez nach der Wäh-rungsreform mit Holz, Textilien und Haus-haltswaren handelte. Nebenher organisier-te der knapp 40-Jährige Kameradschafts-abende für Veteranen der 25. Infanterie -division, der Schnez einst angehört hatte.Man half einander, unterstützte Witwenund Waisen von Kameraden und sprachüber alte wie neue Zeiten.

Dabei kreisten die Debatten immer wie-der um die Frage: Was tun, wenn die Rus-sen kommen oder deren ostdeutsche Ver-bündete? Die Bundesrepublik war nochwehrlos, und die Amerikaner hatten nach1945 viele GIs aus Europa abgezogen.

Zunächst erwogen die Männer umSchnez, sich überrollen zu lassen und hin-ter der Front einen Partisanenkampf zuführen. Dann beschlossen sie, das Abset-zen ins Ausland vorzubereiten. Schnezwolle „die deutsche wehrfähige Mann-schaft einem plötzlichen Zugriff aus demOsten entziehen und sie jenseits der deut-schen Grenzen in Sicherheit bringen“,schrieb später ein Mitarbeiter der Organi-sation Gehlen. Vom Ausland aus wollteman die Bundesrepublik freikämpfen.

Der schwäbische Beamtensohn Schnezgründete eine Art Selbsthilfeorganisation,die rasch Zulauf erfuhr, obwohl sie gegenalliiertes Recht verstieß. Militärische oder„militärähnliche“ Organisationen warenverboten; wer zuwiderhandelte, riskierteeine lebenslange Freiheitsstrafe.

Spätestens ab 1950 nahm die Armee Ge-stalt an: Schnez warb Spenden bei Unter-nehmern und gleichgesinnten Exoffizierenein, kontaktierte Veteranenverbände an-derer Divisionen, besprach mit Speditio-nen, welche Fahrzeuge diese im Ernstfallzur Verfügung stellen konnten, und arbei-tete an einen Alarmplan.

Um Waffen kümmerte sich Anton Gras-ser, ein ehemaliger General der Infanterie,der zunächst in Schnez’ Firma angestelltwar. 1950 wechselte er ins Innenministe -rium nach Bonn – und machte Karriere:Grasser übernahm als Generalinspekteurdie Koordination der Bereitschaftspolizeiender Länder im Kriegsfall. Aus deren Be-ständen wollte Grasser die Truppe im Ernst-fall ausstatten. Dafür, dass der damalige In-nenminister Robert Lehr über diese Pläneinformiert war, gibt es keinen Hinweis.

Schnez wollte eine Kaderorganisationehemaliger Offiziere gründen, am liebstenkomplette Stäbe von Elitedivisionen derWehrmacht, die bei einem Angriff schnelleinsatzfähig wären. Den Listen in der Aktezufolge hatten die Männer alle einen Job:Es waren Kaufleute, Angestellte, Vertreter,

ein Kohlenhändler, ein Kriminalrat, einRechtsanwalt, ein Gewerbelehrer, sogarein Oberbürgermeister. Antikommunistenwaren sie vermutlich alle, mancher wirdaus Abenteuerlust mitgemacht haben. ZuGeneralleutnant a.D. Hermann Hölter fin-det sich der Hinweis, er fühle sich „in einerreinen Bürotätigkeit nicht glücklich“.

Die meisten aus der stillen Reservewohnten in Süddeutschland. In Übersich-ten führt ein Rudolf von Bünau, Generalder Infanterie a.D., von Stuttgart aus einen„Gruppenstab“. Weitere Untergliederun-gen gab es in Ulm (Generalleutnant a.D.Hans Wagner), Heilbronn (Generalleut-nant a. D. Alfred Reinhardt), Karlsruhe(Generalmajor a.D. Werner Kampfhenkel),Freiburg (Generalmajor a.D. Wilhelm Na-gel) und etlichen Städten mehr.

Schnez’ Datei ist nicht überliefert, abersie soll nach seinen Angaben 10000 Namenumfasst haben, was dem Stammpersonalvon drei Divisionen entsprach. Aus Ge-heimhaltungsgründen weihte die Spitzeder wehrhaften Bewegung zunächst nur2000 Offiziere ein; dass die anderen mit-ziehen würden, daran hatte Schnez jedochkeinen Zweifel. An Kandidaten für die

Mannschaften schien kein Mangel: Schließ-lich verfügten genügend deutsche Männerüber Kriegserfahrung.

Offen blieb die Frage, wohin man sichim Ernstfall absetzen konnte. Schnez ver-handelte mit Schweizer Stellen, doch de-ren Reaktion fiel „sehr zurückhaltend“ aus.Später plante er, gegebenenfalls bis nachSpanien zu ziehen, um von dort aus ander Seite der Amerikaner zu kämpfen.

Zeitgenossen beschreiben Schnez alsenergischen Organisator, der mit der Atti-tüde eines barocken Fürsten auftrat. Erhatte Kontakte zum Bund Deutscher Ju-gend und zum Technischen Dienst, zweiGruppen vom rechten Rand, die sich aufeinen Partisanenkrieg gegen die Sowjetsvorbereiteten. Berührungsängste mit Alt-nazis waren ihm fremd.

Der Exoffizier unterhielt einen soge-nannten Abwehrapparat, der seine Aufga-be darin sah, Kandidaten für das „Unter-nehmen Versicherungen“ zu überprüfenund auch sonst Verdächtiges festhielt. Zueinem Kriminalrat K. wurde notiert: „in-telligent, jung, Halbjude“.

Schnez verhandelte mit dem ehemali-gen SS-Obersturmbannführer Otto Skor-

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Verteidigungsminister Schmidt, Heeresinspekteur Schnez 1970: Falls die Russen kommen

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zeny, wie aus US-Akten hervorgeht, dieder SPIEGEL eingesehen hat. Skorzeny wareiner der Nazihelden des Zweiten Welt-kriegs, nachdem er 1943 mit einemKommando unternehmen den vom italie-nischen König festgesetzten Duce BenitoMussolini befreit hatte. Der ehemalige SS-Mann verfolgte ähnliche Pläne wie Schnez.Im Fe bruar 1951 vereinbarten beide, „imschwäbischen Raum sofort mit der gemein-samen Arbeit“ zu beginnen. Was darauswurde, ist bislang nicht bekannt.

Auf der Suche nach der Finanzierungeines hauptamtlichen Apparats bat Schnezim Sommer 1951 den westdeutschen Ge-heimdienst um Hilfe. Bei einem Treffenam 24. Juli 1951 bot er dessen Chef Gehlenseine Schattenarmee an: zur „militärischenVerwendung“ oder „einfach als Kräfte -potential“, sei es für eine deutsche Exil -regierung oder die Westalliierten.

Laut einem Vermerk der OrganisationGehlen bestanden zwischen Schnez undReinhard Gehlen „seit langem Bezie -hungen freundschaftlicher Art“. Den Unterlagen zufolge erfuhr der Geheim-dienst jedoch wohl erst im Frühjahr 1951 von dem Geheimkorps. Die Org führte Schnez als „Sonderverbindung“ unterdem wenig schmeichelhaften Decknamen„Schnepfe“.

Ein Jahr zuvor wäre die BegeisterungGehlens über Schnez’ Angebot vermutlichgrößer gewesen, denn nach Ausbruch desKoreakrieges 1950 hatten Bonn und Wa-shington erwogen, „Angehörige ehemali-ger deutscher Elitedivisionen im Katastro-phenfall zu sammeln, zu bewaffnen undden alliierten Verteidigungstruppen zuzu-schlagen“. Inzwischen hatte sich die Lagejedoch etwas entspannt, und Adenauerwar von dieser Idee abgekommen. Er setz-

te auf die Westintegration der Bonner Re-publik und den Aufbau einer Bundeswehr.Die illegale Schnez-Truppe gefährdete einesolche Politik; flöge sie auf, drohte ein in-ternationaler Skandal.

Dennoch verzichtete Adenauer darauf,gegen die Schnez-Organisation vorzuge-hen. Scheute er den Konflikt mit den Ve-teranen von Wehrmacht und Waffen-SS?

In der Org gab es Bedenken, zumindestmit Blick auf Skorzeny. Ein Abteilungslei-ter warf die Frage auf, ob man es sich „leis-ten könne“, den Kampf gegen Skorzenyaufzunehmen. So steht es in einer weiterenBND-Akte, die der SPIEGEL ausgewertethat. Der Org-Mann schlug vor, zunächst„die SS“ zu fragen: „Sie ist ein Faktor, undwir sollten vor einem Entschluss die dorti-gen Auffassungen eingehend sondieren.“Offenbar übten Netzwerke von Alt- undExnazis Anfang der Fünfzigerjahre erheb-lichen Einfluss aus.

Andererseits zeichnete sich 1951 ab,dass bis zur Gründung einer Bundeswehrnoch Jahre vergehen würden – was ausAdenauers Sicht nahelegte, vorerst dieLoyalität von Schnez und Kameraden fürden Fall der Fälle zu sichern. Vermutlichdeshalb bekam Gehlen vom Kanzleramteinen zweifachen Auftrag: „Betreuungund Überwachung der Gruppe.“

Konrad Adenauer scheint in dieser Pha-se sowohl die amerikanischen Verbünde-

ten wie auch die Opposition informiert zuhaben. Jedenfalls findet sich über CarloSchmid, Mitglied des SPD-Parteivorstands,der Hinweis, er sei „im Bilde“.

Gehlens Leute hielten nun ständig Kon-takt zu Schnez. Gehlen und Schnez ver-einbarten eine „Klärung von Personal aufGegenseitigkeit“, was eine Umschreibungdafür war, dass man sich beim Bespitzelnhelfen wollte. Sein Abwehrapparat, prahlteSchnez, sei „besonders gut organisiert“.

Fortan gingen bei der Org sogenannteWarnlisten ein, mit Namen ehemaliger Soldaten, die sich in sowjetischer Kriegs-gefangenschaft angeblich „unwürdig be-nommen“ hatten. Die Schnez-Leute unter-stellten den Männern, zum Hitler-GegnerSowjetunion übergelaufen zu sein. Odersie meldeten „kommunistisch verdächtigePersonen im Raum Stuttgart“.

Der von Schnez erhoffte Geldsegenblieb allerdings aus. Gehlen ließ ihm nurkleine Beträge zukommen, und auch dasendete im Herbst 1953. Zwei Jahre späterwurden die ersten 101 Freiwilligen der Bun-deswehr vereidigt – die Schnez-Truppewurde mit der Wiederbewaffnung der Bun-desrepublik überflüssig.

Bis wann die Schattenarmee des Schwa-ben existierte, ist nicht bekannt. Die Ab-wicklung erfolgte geräuschlos.

Schnez verstarb 2007, ohne je öffentlichAuskunft über diese Phase seines Lebensgegeben zu haben. Seine Unterlagen zum„Unternehmen Versicherung“ sind ver-schollen; die Papiere der Org wandertenins geheime Archiv des BND.

Vermutlich wurden sie dort bewusst un-ter dem irreführenden Titel „Versicherun-gen“ abgelegt – in der Hoffnung, dass sichso nie jemand dafür interessieren werde.

Klaus WiegrefeFO

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Otto Skorzeny

Der SS-Mann war

an der Be freiung

des fest gesetzten

Musso lini 1943

beteiligt gewesen.

Die Aufnahme

zeigt ihn 1947 als

Gefangenen in

Nürnberg.