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Gelb ist das neue Orange

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Reportage über eine Tankstellenkunst aus dem Magazin Transhelvetica

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Gelb ist das neue Orange

Pratteln

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Gelb ist das neue Orange – Pratteln

Der Einstieg ins Werk beginnt wenige Minuten vor der Ausfahrt zur Stadt Basel, vorausgesetzt der Betrachter nähert sich motorisiert auf der A2. Während ganz Europa in Autos und Lastwagen monoton an ihr vorbei rauscht, schwebt die Raststätte Pratteln wie ein gelbes Raumschiff über der sechsspurigen Autobahn. Gegen vierzig Millio-nen Menschen donnern jährlich unter ihr durch, deshalb nennt man die Raststätte, die auf einer Autobahnbrücke wenige Kilometer von der deutsch-schweizerischen Gren-ze entfernt liegt, auch das «Tor zur Schweiz». Damit ist die Raststätte bei Basel das wohl meist gesehene Bau- und seit dem Jahr 2000 auch Kunstwerk des Landes.

Boxenstopp im KonsumtempelDoch zuerst ein Blick zurück: Pferde-wechselstation – so hiessen früher Wirts- häuser an den Landstrassen, welche sich im Laufe der Zeit zu modernen Raststät-ten an den Autobahnen entwickelt ha-ben. In den 1930er-Jahren dienten sie der Versorgung im Eisenbahn- und Fern-güterverkehr. Man konnte belegte Bro-te kaufen oder auch einkehren. Im Zuge der Massenmotorisierung der 1960er-Jahre kamen Raststätten auf, welche die wachsende Zahl der PKW-Reisenden bedienten. Das erste Brückenrestaurant der Welt wurde im Jahr 1957 in den USA gebaut: an der Interstate-44-Autobahn in Vinita, Oklahoma. Heute ist das älteste Brückenrestaurant gleichzeitig das grösste McDonalds-Restaurant der Welt. In Europa wurde das erste Brückenrestaurant im Jahr 1959 in Italien gebaut. Seit den 1990er-Jahren erweiterte sich das Verkaufsan-gebot zusehends; die ehemaligen Pferdewechselstationen fungieren mehr und mehr auch als Supermärkte. Pratteln passt perfekt in diese neue Welt. Der 100 Meter lange «Fressbalken» – der auf beiden Seiten auch zu Fuss erreichbar ist – scheint ein kleines Universum, eine Welt für sich zu sein. Hier gilt: Konsum ist die neue Rast. Pro Jahr legen hier drei Millionen Reisende einen Boxenstopp ein und konsumieren dabei unter anderem 2,5 Tonnen To-blerone sowie 533 000 Tassen Kaffee. An 365 Tagen im Jahr, von 7 bis 22 Uhr, warten rund 6000 verschiedene Artikel und 200 Mitarbeitende auf die Reisenden. Und diese scheinen vielfältige Bedürfnisse zu haben: Nebst den üblichen Verdächtigen einer Raststätte, wie dem Buffet-Restaurant Passaggio oder dem Kiosk, finden wir

in Pratteln Blumen, Zigarren, Uhren, Schmuck und sogar Dessous sowie erotische Spielwaren.

Vom Zeitgeist geprägtDie Raststätte wurde im Jahr 1978 eröffnet. Die Wirt-schaftskrisen und die Rezession der 1970er-Jahre brachten nicht nur einen wirtschaftlichen und gesell-schaftlichen Umbruch mit sich, sie veränderten auch die Architektur. In den 1960er-Jahren prägten die Studen-ten- und Hippiebewegungen, aber auch die spektakuläre Mondlandung und technische Innovationen wie der erste Personal-Computer die Architektur. Es wurde mit neuen Techniken, Materialien und Oberflächen experimentiert. Die Farbpaletten der Pop-Art, geschwungene Linien und

runde Kanten spiegelten den Zeitgeist an den Fassaden und vor allem in der In-nenarchitektur. Als Beispiel sei der rote Panton-Stuhl aus Kunststoff genannt, entworfen von Verner Panton. In der Folgezeit, den 1970er-Jahren, entwi-ckelte sich dagegen kein klar definierter Charakter. Die Ölkrisen und das teurer werdende Material beendeten auch den gedankenlosen Umgang mit Kunststoff. Denkt man an die 1970er-Bauten, kom-men einem vor allem energiefressende Abrisskandidaten mit ihren kleinen

Fenstern und dominanten Betonfassaden in den Sinn. Heute werden viele Gebäude aus dieser Zeit verändert.

Umgestaltung in zwei AktenUmgestaltungspläne tauchten in Pratteln bereits kurz nach der Eröffnung der Raststätte auf. Dabei griff der Architekt Angelo Casoni auf die Popfarben und weichen Kanten der 1960er-Jahre zurück und verkleidete die Be-tonfassade mit 56 bullaugenartigen Fenstern aus Glas-faser und Polyester. Als Farben schlug er damals Gelb oder Orange vor. Entschieden haben sich die Betreiber für Orange: Mit der Begründung, es sei appetitanregend und dazu noch heimeliger als Gelb.Gut zwanzig Jahre später bekam die Raststätte eine zwei-te Umkleidung: Heute trotzt die ehemals orange Raststät-te in leuchtendem Gelb der grauen Autobahnatmosphäre.

Die legendäre orange Autobahnraststätte Pratteln an der A2 bei Basel verdankt ihren gelben Anstrich einem Künstler aus L.A. Eine Geschichte über das Alltags- reisen zwischen Land und Stadt und wieso Konsum die neue Rast zu sein scheint.

Drei Millionen Reisende legen hier

einen Boxen- stopp ein.

Text Ellen Girod, Bild Marcus Gossolt & Maurus Hofer

Trotzen der grauen Autobahn:Die Bullaugen der Raststätte Pratteln. →

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Wenn’s passt

Irgendwo auf unseren transhelvetischen Pfaden sind wir den Menschen, die hinter dem Schweizer Modelabel erfolg ste-cken, begegnet und haben Ideen ausgetauscht. Von unserem Plan, eine Reportage über das Kunstwerk Pratteln zu verfassen, waren sie sofort begeistert und haben kurzerhand ihr Fotoshoo-ting verlegt. Der Kontrast zwischen diesem Ort im Nirgendwo und den weichen Maschen faszinierte uns gleichermassen.

Diesen Anstrich erhielt sie nach der Ausschreibung eines internationalen Kunstwettbewerbs im Jahr 2000. Mit diesem Wettbewerb wollten die Betreiber nicht primär die Fassade sanieren, sondern den Bau offiziell in ein Kunstwerk verwandeln. Eingeladen wurden renommier-te Künstler wie Douglas Gordon, Pipilotti Rist oder Jeff Koons. Aus den eingereichten Projekten entschied sich die Jury – bestehend aus Kunsthistorikern und Kuratoren aus New York, Amsterdam und Bonn – für den kalifor-nischen Künstler Jorge Pardo. Seine Idee war schlicht: Orange mit Gelb zu übermalen. 15 Maler, 1700 Kilo-gramm gelbe Farbe und zweieinhalb Monate später war sein Projekt – pünktlich zur Art Basel 2000 – umgesetzt. Und alle fragten sich: «Warum Gelb?» Wollte er damit das satte Gelb der kalifornischen Sonne an die A2 bringen? Assoziierte er den gelben Anstrich mit den in den USA üb-lichen McDonalds-Brückenrestaurants? Nichts davon ist wahr. Pardos Antwort an die Basler Zeitung: «Weil es die einfachste Lösung ist und das Vorhandene respektiert, dahinter steht kein tiefsinniger Gedanke.» Keine tiefsinnigen Gedanken sollten beim Sinnieren über eine Raststätte kommen. Denn die Rast ist mittlerweile so beschleunigt wie die Reise. Im Zeitraffer kommen die Reisenden und gehen. Den leeren Tank mit ein paar Litern Bleifrei 98 füllen, den müden Kopf mit einem Espresso wecken. Von den täglich im Schnitt 8000 anhaltenden Reisenden bleiben die meisten nur zehn Minuten, manche bis zu einer Stunde. Niemand bleibt hier lange, weil nie-mand angekommen ist. Dabei wäre die Raststätte ein Ort, an dem uns weder ein Termin noch ein Kunde erwarten. Eine Pause zwischen Stadt und Land. Ein Moment der Besinnung irgendwo im Nirgendwo. ●

Ellen Girod ist freie Journalistin und hörte auf dem Parkplatz der Raststätte Pratteln «Roadhouse Blues» von The Doors, während sie das Kommen und Gehen der Reisenden beobachtete.twitter.com/ellengirod

Wunderbarer Kontrast: «Bonnet & Echarpe à la laine mouche» aus erfolg-Maschen vor dem Pratteln-Kunstwerk.

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Wussten Sie, dass auf der Autobahn- raststätte Pratteln pro Jahr ...

2 995 394 Autosanhalten.

26 MillionenLiter Benzin getankt werden.

2 041 051 Mal die Toiletten besucht werden.

9,5 Tonnen Pommes frites verzehrt werden.

108,7 TonnenOrangen für frischen Orangensaft bestellt werden.

533 000 Tassen Kaffee getrunkenwerden.

9600 Rosengekauft werden.

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Ménage à trois: Shirt – Hemd – Shirt; alles von erfolg.

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Pratteln by bike: Die Wollmütze und das Merinoshirthalten erfolgreich jedem Fahrtwind stand.

Zwischen den Fahrten: Mit dem «Pull en vogue» von erfolgmacht man sogar bei Lockerungsübungen eine gute Figur.

Coffee to go: Auch zu Fuss kann man im Pull ajoure «Barbe à Papa» nach Pratteln pilgern.

Let’s dance, baby! Wer kann schon einer Frau mit orangen Haaren im Merinorollirock widerstehen?

Die beschleunigte Rast:Im Rollkragen- und Stick-

Pullover «Entre-deux» von erfolg stilvoll geniessen.

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erfolg kann man kaufen:

Basel: Spalenberg 36Bern: Gerechtigkeitsgasse 53 (TOKU)Luzern: Hofstrasse / ZürichstrasseZürich: IM VIADUKT 21 & Löwenstrasse 2

erfolg im Fabrikladen: Traxler AG, Unterdorf 7, Bichelsee

Online-Shop: erfolg-label.ch

erfolg label AG Bichelsee 071 970 06 47 [email protected]

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Sympathische erfolg-Geschichten: Raglanpullover und Raglanjacke «Les tapisseries de Sophie».

Erfolgsgeschichten

Die erfolg-Geschichte begann vor rund zwanzig Jahren mit Unterhosen. Sandrine Voegelin und Esther Hunziker, zwei Mode-gestalterinnen, nahmen sich in ihrem Ate-lier den Unterhosen ihrer Freunde an. Es galt, dem flimmrigen Modegehabe und der asiatischen Massenproduktion ein Pamphlet entgegenzuhalten und diesen Trends mit Einfachheit, Qualität und Ex-klusivität zu begegnen. Zu den Unterhosen kamen weitere Klei-dungsstücke hinzu, die neben den Freun-den auch die Freunde der Freunde und bald fast ganz Basel zu begeistern ver-mochten.Seit Beginn war die Fabrikation in der Schweiz Teil der Ideologie, und auf der Su-che nach der geeigneten Manufaktur be- gegnete man Rolf Traxler, der auch «der letzte Stricker der Schweiz» genannt wird. Auf seinen Maschinen in Bichelsee wer-den die erfolg-Modelle noch heute ge-fertigt und soweit es das Produkt zulässt, bestehen die Textilien aus nicht-syntheti-schen, reinen Maschen. Seit drei Jahren setzt sich Rolf Traxler persönlich für den Fortbestand der zeitlosen Mode ein.

Beschwingt von dieser Geschichte ha-ben wir uns entschlossen, in Zukunft in erfolg-Unterhosen und -Shirts durch die Schweiz zu ziehen und nach weiteren Er-folgsmenschen und -geschichten zu su-chen. Die Trouvaillen werden wir in einer neuen Rubrik festhalten.