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Wie veränderte Münzgeld die Gesellschaft? Für einen Historiker macht es wenig Sinn, die Hauptzüge der Geschich- te der Münzprägung zu verfolgen, ohne danach zu fragen, welche Bedeu- tung die Existenz von Münzprägung hatte. Münzen sind eine besonders gut verwendbare Form von Geld, aber wenn man ihre historische Bedeu- tung einschätzen will, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, daß sie nicht seine einzige Form sind. Geld kann in Hinblick auf seine verschiedenen Funktionen als eine Hortung von Reichtum, als Wertmaß und als Zah- lungs- oder Tauschmittel definiert werden (Polanyi 1968). Bestimmte Güter, insbesondere Metalle oder Getreide, übernahmen schon lange vor Einführung der Münzprägung einige dieser Funktionen oder alle von ihnen. Die Verwendung von Gütern und Besitz zum Horten von Reichtum ist so banal, daß man aus ihr keinen Hinweis auf den Gebrauch von Geld ge- winnen kann; beeindruckt ist man aber in jedem Fall von der Tatsache, wie weit verbreitet Wertmaße in frühen Gesellschaften mit Schriftkultur waren. Kaum etwa fünfhundert Jahre nach Einführung der Schrift am Ende des 4. Jts. v.Chr. stoßen wir schon auf Aufzeichnungen solcher Maße in Babylonien und Ägypten (Foster 1977; Powell 1990; Chassinat 1921). Wertmaße muß es aber nicht unbedingt überall in Gesellschaften mit Schriftkultur gegeben haben; es finden sich z.B. keine Spuren von ihnen in den mykenischen Linear-B-Texten (Finley 1981: 206). Es ist allerdings möglich, daß wir durch die äußerst eigentümliche Beschaffenheit der Ar- chive, die wir besitzen, zu falschen Schlüssen gelangen (den Linear-B-Tä- felchen fehlt ebenso fast jeder Hinweis auf Handel, doch möchte daraus niemand auf das Fehlen von Handel schließen) (Uchitel 1988). Wertmaße können bei ihrer eigentlichen Funktion stehenbleiben.Aus einem relativ gut dokumentierten ägyptischen Kontext aus der Mitte des 2. Jts. v.Chr. geht nicht hervor, daß Güter, die als Wertmaß verwendet wur- den – wie Kupfer, Silber oder Getreide – auch als Tauschmittel dienten (Janssen 1975). Sie wurden nur dazu benutzt, um zu rechnerischen Ent- sprechungen beim Tauschhandel zu gelangen, aber sie spielten bei den Transaktionen physisch keine Rolle, es sei denn, sie selbst wurden von einer Seite als Tauschobjekt eingebracht. Die mesopotamische Kultur bil- det dazu einen auffallenden Gegensatz. Schon von ca. 2300 v.Chr. an wur- den dort Silber und Getreide nicht nur als Wertmaß benutzt, sondern auch als Tauschmittel. In den am besten dokumentierten Kontexten für Han- delsgeschäfte treten beachtliche Finessen zutage. So deckt z.B. eine detail- lierte Studie über Ur in der Zeit zwischen 2000 bis 1700 v.Chr. den Ge- brauch von Silber für Verkäufe, Löhne/Zuteilungen, Pachten, Steuern, Geld 14

Geld in der Antiken Welt

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Münzkunde ist faszinierend und gerade für den Liebhaber des Antiken ein besonderes Wissensgebiet, denn neue Funde erweitern ständig unser Bild der antiken Welt. Christopher Howgego stellt in seinem Band umfassend und kenntnisreich die Bedeutung des Münzgeldes in der gesamten antiken WeIt vor: vom Persischen Großreich über die hellenistische Staatenwelt bis zum römischen Imperium. Dabei werden sowohl die ökonomischen wie auch politischen Strukturen deutlich und man erfährt: Auch für Kunst, Kultur und Religion waren die Münzen von großer Bedeutung.

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Wie veränderte Münzgeld die Gesellschaft?

Für einen Historiker macht es wenig Sinn, die Hauptzüge der Geschich-te der Münzprägung zu verfolgen, ohne danach zu fragen, welche Bedeu-tung die Existenz von Münzprägung hatte. Münzen sind eine besondersgut verwendbare Form von Geld, aber wenn man ihre historische Bedeu-tung einschätzen will, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, daß sie nichtseine einzige Form sind. Geld kann in Hinblick auf seine verschiedenenFunktionen als eine Hortung von Reichtum, als Wertmaß und als Zah-lungs- oder Tauschmittel definiert werden (Polanyi 1968). BestimmteGüter, insbesondere Metalle oder Getreide, übernahmen schon lange vorEinführung der Münzprägung einige dieser Funktionen oder alle vonihnen.

Die Verwendung von Gütern und Besitz zum Horten von Reichtum istso banal, daß man aus ihr keinen Hinweis auf den Gebrauch von Geld ge-winnen kann; beeindruckt ist man aber in jedem Fall von der Tatsache, wieweit verbreitet Wertmaße in frühen Gesellschaften mit Schriftkulturwaren. Kaum etwa fünfhundert Jahre nach Einführung der Schrift amEnde des 4. Jts. v.Chr. stoßen wir schon auf Aufzeichnungen solcher Maßein Babylonien und Ägypten (Foster 1977; Powell 1990; Chassinat 1921).Wertmaße muß es aber nicht unbedingt überall in Gesellschaften mitSchriftkultur gegeben haben; es finden sich z.B. keine Spuren von ihnen inden mykenischen Linear-B-Texten (Finley 1981: 206). Es ist allerdingsmöglich, daß wir durch die äußerst eigentümliche Beschaffenheit der Ar-chive, die wir besitzen, zu falschen Schlüssen gelangen (den Linear-B-Tä-felchen fehlt ebenso fast jeder Hinweis auf Handel, doch möchte darausniemand auf das Fehlen von Handel schließen) (Uchitel 1988).

Wertmaße können bei ihrer eigentlichen Funktion stehenbleiben. Auseinem relativ gut dokumentierten ägyptischen Kontext aus der Mitte des2. Jts. v.Chr. geht nicht hervor, daß Güter, die als Wertmaß verwendet wur-den – wie Kupfer, Silber oder Getreide – auch als Tauschmittel dienten(Janssen 1975). Sie wurden nur dazu benutzt, um zu rechnerischen Ent-sprechungen beim Tauschhandel zu gelangen, aber sie spielten bei denTransaktionen physisch keine Rolle, es sei denn, sie selbst wurden voneiner Seite als Tauschobjekt eingebracht. Die mesopotamische Kultur bil-det dazu einen auffallenden Gegensatz. Schon von ca. 2300 v.Chr. an wur-den dort Silber und Getreide nicht nur als Wertmaß benutzt, sondern auchals Tauschmittel. In den am besten dokumentierten Kontexten für Han-delsgeschäfte treten beachtliche Finessen zutage. So deckt z.B. eine detail-lierte Studie über Ur in der Zeit zwischen 2000 bis 1700 v.Chr. den Ge-brauch von Silber für Verkäufe, Löhne/Zuteilungen, Pachten, Steuern,

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Darlehen (mit Zinszahlungen in Silber) und Schenkungen auf. Silber wardas wichtigste Mittel, um Handelsexpeditionen zu finanzieren, und sowohldie Tempel als auch der Palast griffen auf Kaufleute zurück, um Einkünftein Naturalien in Silber umzuwechseln, das dann im Schatzhaus gehortetwurde (van der Mieroop 1992).

Die Form, in der Silber in einigen Zusammenhängen als Geld benutztwurde, fällt beinahe unter die Definition von Münzgeld. Gelegentlichwurde das Silber nämlich nach einem identifizierbaren Standard unter-teilt. Es gab kleine Brocken, Spiralen, Ringe, unregelmäßige Barren undähnliches, aber nicht in allen Fällen (Powell 1978; Bivar 1971). Um 730v.Chr. wurden in Südostanatolien große gegossene Barren mit den Nameneines lokalen Herrschers in Aramäisch versehen (Barrekub) (Balmuth1971; Furtwängler 1986: 157), und eine assyrische Urkunde aus dem Jahr 694 v.Chr., die das Bauprogramm des Sennacherib in Ninive be-schreibt, erwähnt in einem Gleichnis das Gießen von Halbschekel-Stücken (Luckenbill 1924: 109, Sp. VII, 18).

Unser Bild vom Geld vor dem Einsetzen von Münzprägung in der grie-chischen Welt ist viel weniger klar. Wie schon bemerkt, fehlt ein Hinweisauf Geld in den mykenischen Dokumenten. Die homerischen Zeugnissesind problematisch, weil sie sich auf die verschiedenen Epochen ihrertatsächlichen Entstehung beziehen (von der Vorpalastzeit Mykenes biszum späten 8. Jh. v.Chr.) und mündlich tradiert wurden. Sie reflektiereneher die heroische Selbstdarstellung einer Elite als allgemeinverbindlicheVerhaltensmuster (Sherratt 1990). Auf jeden Fall enthüllt Homer eineWelt, die verstehbar wird, wenn man sie als Gesellschaft ansieht, in derwechselseitiger Austausch (Gabentausch) und hierarchische Verteilungvorherrschten. Bestimmte Arten von Gütern zirkulierten in eng definier-ten Zusammenhängen. Geschenke, die unter den Mitgliedern der höch-sten Klasse ausgetauscht wurden, umfaßten kunstvoll gearbeitete Metall-objekte, Vieh und Frauen (Morris 1986: 9). Fleisch und ähnliche Produkte(Häute und Textilien) wurden anscheinend von oben kontrolliert und diegesellschaftliche Stufenleiter herab verteilt (Redfield 1986: 35). In dieserWelt findet sich keine Spur von Geld als Tauschmittel, und es scheint auchnicht viel Raum dafür gegeben zu haben, obwohl in einigen Zusammen-hängen Vieh als Wertmaß diente (Finley 1981: 236; Macrakis 1984).

Wir können also den Prozeß, wie das Geld in der griechischen Welt auf-kam, nicht verfolgen. Ethnographische Zeugnisse favorisieren die Vorstel-lung, daß das Geld aus herrschenden Wertesystemen entstand und dazubenutzt wurde, um z.B. Prestige oder soziale Muster zu vermitteln. Dabeiwurde anscheinend kein einziger Fall bekannt, wo Geld sich aus demTauschhandel entwickelt hätte (Crump 1981: 54, 88–90, 114–5; Humphrey

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1985). Es ist jedoch möglich, daß uns die Anthropologie in dieser Hinsichtin die falsche Richtung führt, weil sie das Aufkommen des Geldes nur fürrelativ ‚rückständige‘ Gesellschaften bezeugen konnte, die in Kontakt miteiner Umwelt existieren, in der Geld schon das dominierende Tauschmit-tel ist. Die Anthropologie ist nützlich, um uns unsere eigenen kulturellenVoraussetzungen offenzulegen und auf alternative Modelle hinzuweisen.Sie deckt Möglichkeiten auf, aber sie kann keine entscheidende Antwortauf die Frage geben, wie sich Geld in Griechenland tatsächlich entwickelthat. Dagegen ist die ökonomische Theorie imstande zu zeigen, wie sich imPrinzip Geld aus dem Tauschhandel heraus entwickelt haben könnte, undes wäre unklug, diese Möglichkeit zu verwerfen, besonders angesichts derAllgegenwart von Tauschgeschäften (Anderlini und Sabourian 1992;Humphrey und Hugh-Jones 1992).

Mit Hilfe anthropologischer Modelle wurde die These aufgestellt, daßsich in der griechischen Welt die Geldwirtschaft in den Sphären von Hei-rat (Mitgift), Rache (Buße) und Gabentausch entwickelt hätte. Davon, sowird argumentiert, seien staatliche Zahlungen, Liturgien und soziale Lei-stungen abgeleitet worden (von Reden, in Vorbereitung; Seaford 1994:191–234). Dieser Ansatz ist sicher hilfreich, wenn man den Anfang derGeldwirtschaft in einem rein griechischen Zusammenhang anders als mitTauschhandel erklären will; trotzdem ist es ebensogut möglich, daß dieVerwendung von Geld im Nahen Osten eine Anregung gab. Für die Zeitder Einführung von Münzprägung scheinen Mitgift, Bußgelder und Ge-schenke nur eine unzureichende Erklärung abzugeben, wenn es um dieFragen geht, warum gemünztes Geld normalerweise, oder sogar aus-schließlich, von Staaten geprägt wurde (siehe S.3–5) und warum Münzenbereits von Anfang an zwischen Staaten zirkulierten (siehe S.110–2).

Eine differenzierte Analyse von Bereichen, in denen Geld verwendetwurde, könnte dazu führen, ein hervorstechendes Merkmal zu verschlei-ern, daß nämlich ein und dieselbe Art von konkretem Gegenstand – ge-prägte Münzen – allmählich dazu genutzt wurde, als Bindeglied in einemweiten Feld von Bereichen zu fungieren. Der Gebrauch von Münzgeldführte vermutlich zu einem Transfer von Werten und Ideen zwischen Be-reichen wie Mitgift, Buße, Geschenk, Zahlungen von und an den Staat wieauch kommerziellem Austausch. In der Tat ist es wichtig zu fragen, warumein einziges Tauschmittel allmählich in all diesen Bereichen in Gebrauchkam. Die Verwendung von Münzen durch den Staat bei seinen Zahlungenbeantwortet die Frage vermutlich zu einem Teil, denn um wirksam zu sein,mußten die Zahlungen auch von dem Empfänger genutzt werden können.Einige dieser Empfänger werden in der Lage gewesen sein, die Münzen anden Staat zurückzugeben, um Verpflichtungen wie Zwangsbeiträgen, Steu-

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ern oder Bußgeldern nachzukommen; es ist aber verführerisch, die Ver-wendungsfähigkeit der Münzen für den wirtschaftlichen Austausch alsStütze des ganzen Systems anzusehen.

Was auch immer diese Entwicklungen einschlossen, es scheint, daß die griechische Welt schon entscheidende Schritte in Richtung auf denGebrauch von Geld unternommen hatte, bevor die Münzprägung einge-führt wurde. Etymologien, spätere schriftliche Berichte von zweifelhaf-tem Wert und einige archäologische Funde legen – allerdings, ohne Be-weiskraft zu besitzen – die Vermutung nahe, daß vor der Einführung derMünzprägung Eisenspitzen als eine Form von Zahlungsmittel in Umlaufwaren. Andere Gebrauchsgegenstände, wie Dreifüße oder Kessel, mö-gen in einigen Gebieten demselben Zweck gedient haben (Kraay 1976:213–5). Funde von Gold-, Silber- und Elektronstäben in griechischenFundzusammenhängen aus der Zeit um 700 v.Chr. oder früher, die nacheinem Standardgewicht justiert waren, könnten möglicherweise ein Indizfür die Verwendung kostbarer Metalle als Geld in irgendeiner Form sein(Furtwängler 1986: 156). Die Gesetzgebung des Solon enthüllt, daß vorEinsetzen der Münzprägung administrative Unterabteilungen der atti-schen Phylen (Naukrarien) zu einigen Zwecken mit Silber handelten(Aristoteles, Ath. Pol. 8, 3). Die Einführung der Münzprägung ist an sichein Indiz dafür, daß Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr dem homeri-schen Muster entsprachen. Münzprägung war aber, wie wir gesehenhaben, schon in zeitlich früheren Zusammenhängen des MittlerenOstens beinahe ‚erfunden‘ worden (siehe S. 14–5). Es ist aber nicht sosehr die ‚Erfindung‘ der Münzprägung, sondern ihre schnelle Ausbrei-tung, die ein überzeugendes Indiz für die Umgestaltung der griechischenWelt darstellt und die eine Erklärung erfordert.

Ähnlichkeiten im Charakter und im Verhalten der Münzprägung in dergesamten griechischen Welt legen es nachdrücklich nahe, daß wir mitRecht den Versuch unternehmen, Münzprägung als einheitliches Phäno-men zu interpretieren. Der unmittelbare Zusammenhang, in den Münz-prägung eingebettet wurde, und die Art und Weise der Verwendung vonMünzen werden sich von Ort zu Ort unterschieden haben. So ist das Vor-kommen von Kleingeld von Gebiet zu Gebiet nicht einheitlich (siehe S.5–8), und Süditalien machte sich eine besondere Methode bei der Her-stellung seiner ‚incusen‘ Münzen zu eigen [12]. Dennoch herrscht der Ein-druck von Gleichartigkeit vor. Mit einigen Ausnahmen war reines Silberdas bevorzugte Metall; die nach Standard geprägten großen Münzen vari-ierten in dem engen Spielraum zwischen 12 g und 17,2 g. Die Münzen wur-den von Staaten emittiert, und die ausgebenden Autoritäten waren an-hand von Typen zu erkennen, die zumindest in der Tendenz unverändert

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blieben (Kraay 1976: 317). Daher erscheint eine Erklärung, die von einerweitgehenden Übereinstimmung ausgeht, angemessen.

In gewisser Hinsicht wurde die Geschwindigkeit, mit der sich die Münz-prägung ausbreitete, durch die Auswanderung der Ostgriechen angesichtsder persischen Expansion, durch die Bewahrung von Verbindungen zwi-schen Mutterstadt und Kolonie wie auch durch Formen des wechselseiti-gen Austausches innerhalb der mediterranen Welt, der bis in das 8. Jh.v.Chr. und weiter zurückreichte, möglich gemacht (Purcell 1991; Sherratund Sherrat 1993). Derartige Verbindungen mögen eine Vorbedingung fürdie rasche Verbreitung der Münzprägung gewesen sein, aber sie erklärensie nicht. Der Austausch von Waren, das gilt auch für Handel, erfordertekeine Münzprägung (siehe Kapitel 5).

Der kulturelle Hintergrund für die Ausbreitung der Münzprägung be-stand in einer griechischen Welt, in der die Wechselbeziehungen gleichbe-rechtigter Staatswesen2 sowohl unbeabsichtigt als auch durch vorsätzlicheKonkurrenz dazu führten, die weitreichende Aneignung einer ganzen Pa-lette von Phänomenen zu sichern, die von militärischen Techniken undpolitischen Strukturen bis hin zu speziellen Fertigkeiten und Vorliebenreichte (Snodgrass 1986). In diesem Prozeß war die polis eine Schlüs-selinstitution. Obwohl sie nicht in allen Regionen vorherrschte, etablierteihr Einfluß als kulturelles Gebilde gewisse Normen. Man kann sich leichtein gewisses Maß an Wettbewerb bei der Entscheidung, die städtischeIdentität durch die Produktion von Münzen geltend zu machen, vorstel-len. Es ist richtig, daß eine beträchtliche Anzahl von Gemeinden entwedernur selten oder überhaupt nicht Münzen prägte und vermutlich auf solcheGeldstücke angewiesen war, die an anderen Orten geprägt wurden. ZumBeispiel prägten nur 60 von jenen 250 Staaten, die zwischen 480 und 400v.Chr. Tribute an Athen zahlten, ihre eigenen Münzen (Nixon und Price1990: 156). Dennoch gab es eine deutliche Tendenz, daß reiche Staateneigene Münzen prägten, wobei mit dem ‚politischen‘ Charakter der Münz-prägung gerechnet werden muß (siehe Kapitel 3). Wenn auch die Wechsel-beziehungen gleichberechtigter Staatswesen einen entscheidenden Hinter-grund für die rasche Ausbreitung der Münzprägung bildeten, so scheint

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2 „Der Begriff der gleichrangigen politischen Interaktion bezeichnet die gesam-te Palette eines wechselseitigen Austauschs – darin eingeschlossen sind Nachah-mung und Anlehnung, Wettbewerb, Kriegsführung und der Austausch von mate-riellen Gütern und Informationen –, der zwischen autonomen, d.h. selbstverwalte-ten und in diesem Sinne politisch unabhängigen, sozio-politischen Einheitenstattfindet, die nebeneinander oder nahe beieinander innerhalb einer geschlosse-nen geographischen Region oder in einigen Fällen weiter entfernt voneinander sie-deln“ (Renfrew 1986: 1).

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auch dies wiederum nicht für die Beantwortung der Frage auszureichen,warum besonders die Münzprägung zu einer der Erscheinungen wurde,die für die griechische Welt charakteristisch waren.

Die Erklärung findet man eher in dem aufnahmebereiten Boden, derdurch die radikale Umgestaltung der polis im 6. Jh. v.Chr. bereitet wurde.Die Wechselbeziehungen zwischen wirtschaftlichen, sozialen und politi-schen Veränderungen waren vielschichtig. Die Ausbreitung der Münzprä-gung könnte einerseits durch solche Umschwünge verursacht worden seinund andererseits als Motor in diesem Prozeß gewirkt haben.

Auf der ökonomischen Ebene war der bedeutsamste Aspekt der Um-wandlung der polis das Wachstum des Marktaustausches („Commoditiza-tion“) (vgl. Appadurai 1986). Die zentrale Periode für diese Entwicklungwird von den Historikern unterschiedlich in die Zeit zwischen 700 bis nach500 v.Chr. datiert, je nachdem, ob sie das Schwergewicht ihrer Argumenta-tion auf die archäologischen Zeugnisse für interregionalen Handel oderauf die Fortdauer schriftlicher Äußerungen über den Abscheu vor Handelund Märkten legen (Morris 1986; Redfield 1986). Durch die Annahme,daß es einen tiefgreifenden Wandel gegeben habe, wird die Existenz vonElementen des Marktaustausches in früher Zeit nicht geleugnet. SolcheElemente waren nachweislich in den klassischen ‚redistributiven Wirt-schaften‘ der alten Kulturen des Nahen Orients vorhanden (Yoffe 1981).Ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Beziehungsgeflecht („Reziprozität“),Redistribution und Marktaustausch dienten dabei äußerst hilfreich als‚Idealtypen‘, um die vorherrschenden ökonomischen Aktivitäten zu cha-rakterisieren. Die verschiedenen Kategorien konnten auch nebeneinanderexistieren und haben es auch getan. So sind in der athenischen Gesell-schaft des 5. und 4. Jhs. v.Chr. wichtige Elemente von Gegenseitigkeit/Ga-bentausch anzutreffen; die zinslosen Eranos-Anleihen sind hierfür einüberzeugendes Beispiel (Millett 1991: 109–59). Der Markt aber gewanneine neue zentrale Bedeutung, die – wie sich argumentieren läßt – durchdie Entwicklung der agora in dem Zeitraum zwischen 700 und 600 v.Chr.symbolisiert wird (Morris 1991: 40; Snodgrass 1991: 10–1). Die Überzeu-gungskraft dieser Symbolik hängt von unserer Einschätzung ab, ob deragora von Anfang an eine kommerzielle Rolle zukam und ob ihre wirt-schaftliche Rolle, wann immer sie sich entwickelte, eine tatsächliche Zu-nahme von Marktaustausch oder einfach eine Verlagerung des Handelsdarstellte (von Reden, in Vorbereitung: 105–6). Daß die entwickelte agoraauch politische, juristische, soziale und religiöse Rollen neben ihrer Funk-tion als Marktplatz hatte, spricht nicht gegen den Symbolwert, sondern er-innert uns an die unentwirrbaren Verknüpfungen zwischen allen diesenAspekten.

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Das Vordringen des Markthandels befreite den Wohlstand aus den ab-geschlossenen aristokratischen Sphären des Gabentausches. Dieser Vor-gang barg eine soziale Komponente in sich, besonders weil Reichtum jetztzum entscheidenden Kriterium in der gesellschaftlichen Hierarchie wurde(in Athen seit der Zeit des Solon). Wohlstand konnte nun eine Bedrohungfür die überkommenen familiären bzw. kultischen Machtfundamente auf-bauen (vgl. Redfield 1986; Davies 1984: 105–14).

Der Schlag gegen die aristokratische Patronage war auf der politischenEbene mit einer Stärkung der zentralisierten Macht der polis als Staat ver-bunden. Die Bürgerschaft wurde unter dem Dach der polis von Grund aufreorganisiert – man denke nur an die Reformen des Kleisthenes in Athen(Murray 1990). Die Beziehungen der Gewalten untereinander wurdennun in Form einer Verfassung genau festgelegt. Auf diese Weise wurde einWeg zur Demokratie beschritten, den einige Städte einschlugen, andereaber nicht. Das Wachsen staatlicher Autorität könnte an sich für dasMünzgeld vorteilhaft gewesen sein, da es vom Staat ausgegeben und bis zu einem gewissen Grad durch ihn reguliert und garantiert wurde (vonReden, in Vorbereitung a). Die Entwicklung des Münzgeldes war einAspekt einer umfassenden Tendenz des archaischen Zeitalters, nämlichWertmaßstäbe zu definieren und zu kodifizieren, um so Normen einzu-führen, die erzwungen werden konnten (Austin und Vidal-Naquet 1977:56–8). Aufgrund dieses Zusammenhangs kann man den semantischen Zu-sammenhang zwischen nomisma (Münze) und nomos (Gesetz) verstehen(Will 1955: 9–10).

Man mag versucht sein, die Frage „Wie veränderte Münzgeld die Ge-sellschaft?“ mit einem Hinweis darauf zu beantworten, um wieviel kom-plexer die Wirtschaft wurde. Dabei könnte man auf das Bankdepositum(bei dem die Bank mit dem Geld arbeitet, das ein Klient hinterlegt hat) alsein konkretes Beispiel für eine Finanzform hinweisen, die sich nur infolgeder Einführung des Münzgeldes herausbilden konnte, insbesondere, wennman davon ausgeht, daß dieses aus dem Geldwechsel hervorging (Bogaert1966: 135–44; 1968: 305). Wie dem auch sei, dies könnte schon eine Über-schätzung der Entwicklung sein (Millett 1991: 203–6), und in jedem Falltrifft eine solche Antwort sicherlich nicht den wichtigsten Gesichtspunkt.Ein beachtlich ausgeklügeltes System bei der Verwendung von Geldwurde von den großen redistributiven Ökonomien des Nahen Ostensschon lange vor Einführung der Münzprägung erreicht (siehe S.14–5). Esist vielleicht ebensowenig treffend, die Frage zu stellen, ob aus der be-grenzten Nominalstruktur der frühen Münzprägung geschlossen werdenkann, daß sie nicht darauf ausgerichtet war, den Kleinhandel zu erleich-tern (siehe S. 5–8). Vielmehr stand die Ausbreitung der Münzprägung in

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einem komplexen Verhältnis zu der wachsenden Bedeutung des Markt-austausches. Kleinhandel entwickelte sich von selbst. Die Ausbreitung derMünzprägung förderte – so läßt sich argumentieren – den Prozeß derGüteranhäufung sowie den sozialen und politischen Umbruch, durch densie wiederum weiteren Antrieb erhielt. Wenn man die Ursachen und dieBedeutung der Ausbreitung von Münzprägung in der radikalen Verände-rung der griechischen polis sieht, kann man zufriedenstellend erklären,warum sie lange ein im wesentlichen griechisches Phänomen blieb (sieheS.1–2). Dieser weite Blickwinkel provoziert bedeutsame Fragen: Kann dieEntwicklung der Münzprägung eine Erklärung dafür bieten, warum diegriechische Gesellschaft weniger ‚feudal‘ war als etwa die persische? Inwelchem Ausmaß hing das Funktionieren der athenischen Demokratievon der Münzprägung ab?

Der Gebrauch von Münzgeld: Athen

Unsere Einsichten über das Aufkommen des Münzgebrauchs hängenstark von dem Überleben schriftlicher Zeugnisse ab. Aus dem Fehlen vondokumentarischen Zeugnissen erklärt sich, weshalb es möglich ist, weitauseinanderliegende Ansichten über Themen wie die Funktion der frühenElektronprägungen oder die Verwendung von Münzen in ‚keltischen‘ Ge-sellschaften aufrechtzuerhalten. Detaillierte Darstellungen sind zur Zeitnur für Athen im 5. und 4. Jh. v.Chr. ebenso wie für die Römische Kaiser-zeit möglich. Wenn die papyrologischen Zeugnisse einmal aufgearbeitetsind, könnte die Liste leicht um das ptolemäische Ägypten erweitert wer-den.

Wahrscheinlich weitete das Aufkommen von Staatsbesoldungen inAthen den Gebrauch von Münzgeld in der Wirtschaft wesentlich aus,wobei es kaum eine Rolle spielt, wie die Situation vorher ausgesehen hat(Rutter 1981). Soldzahlungen für den Dienst in der Flotte und als Soldatwaren im wesentlichen eine Folge der ausgedehnten Unternehmungen inder Zeit des Delisch-Attischen Seebundes. Die generelle Besoldung desMilitärdienstes war aus früheren Unterstützungszahlungen vor dem Pelo-ponnesischen Krieg hervorgegangen. Enorme Summen dürften für mi-litärische Unternehmungen ausgegeben worden sein: 1200 Talente für dieUnterdrückung der Samischen Revolte von 440/39 v.Chr.; über 2000 Ta-lente für die Belagerung von Potideia von 432–430/29 v.Chr. Von den fünf-ziger Jahren des 5. Jhs. an besoldete man die Geschworenen (theoretischgab es an die 6000 von ihnen) und die Anwesenheit im Rat, ab 404/3 auchden Besuch der Volksversammlung. In den dreißiger Jahren des 4. Jhs.

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