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1 Gemeinsame Integrale ganzer Klassen von dynamischen Problemen (Veroffentlichungen der Sternwarte Munchen Bd. 5 Nr. 16) Von F. SCHMEIDLER, Munchen (Eingegangen 1962 Marz 16) Es wird gezeigt, dall HAMILTONSChe Systeme immer dann Integrale, die ganzen Klassen von Potential- funktionen gemeinsam sind, besitzen, wenn zyklische Koordinaten vorhanden sind. Mit Hilfe der van s. LIE entwickelten Theorie der Transformations- und Funktionengruppen werden allgemeine Kriterien aufgestellt. wie man erkennen kann, ob zyklische Koordinaten und Integrale entsprechender Art vorliegen. Die Anwendung der Theorie auf die Grundgleichungen der Stellardynamik liefert die Verifizierung der bisher bekannten Falle, in denen die Gleichung Integrale besitzt, die van der speziellen analytischen Form der Potentialfunktion unabhangig existieren. Es wird auI3erdem der Beweis erbracht, dall iiber die bekannten Falle hinaus keine Integrale dieser Art fur die Grundgleichung der Stellardynamik moglich sind. 1. Gemeinsame Integrale und zyklische Koordinaten Wenn ein kanonisches System von Differentialgleichungen eines dynamischen Problems eine zyk- lische Koordinate besitzt, von welcher die HAMILToNsche Funktion unabhangig ist, kann in bekannter Weise ein Integral des Systems unmittelbar angegeben werden; in diesem Fall ist die der zyklische Ko- ordinate kanonisch konjugierte GroBe wahrend der Bewegung konstant. Wenn die zyklische Koordi- nate eine der Lagekoordinaten ist oder wenn das System durch eine reine Punkttransformation in eine solche Gestalt gebracht werden kann, daB es eine zyklische Lagekoordinate besitzt, dann ist das ent- sprechende Integral in den Impulskoordinaten linear [I] ; es gilt auch die Umkehrung dieses Satzes. Die Bedeutung solcher Integrale geht weiter, als daB nur durch ihre Existenz jeweils ein Integral des Systems ohne weitere Rechnung gefunden werden kann. Sie sind insbesondere auch deswegen wich- tig, weil sie ganzen Klassen von dynamischen Gleichungssystemen gemeinsam sind, namlich allen denjenigen Systemen, in deren HAMILToNsChen Funktionen die betreffende zyklische Koordinate nicht, die ubrigen Koordinaten jedoch in vollig beliebiger Weise auftreten. Wohl das bekannteste Beispiel dieser Art sind die Flachenintegrale in der Dynamik eines Massenpunktes, die im Fall von Zentrdkraf- ten immer gelten, gleichgultig in welcher Weise die auBeren Krafte vom Radiusvektor abhangen. Die Gesamtheit aller Potentialfunktionen, die die Gultigkeit der Flachenintegrale zur Folge haben, unter- liegt also nur einer einzigen einschrankenden Symmetriebedingung, nach welcher eine Zentralkraft vor- liegen muB. In ganz entsprechender Weise gelten jeweils fur die Gesamtheit aller Potentialfunktionen, denen gewisse zyklische Koordinaten und damit gewisse in den ImpulsgroBen lineare Integrale ge- meinsam sind, bestimmte einschrankende Symmetriebedingungen allgemeiner Art, wahrend die spezielle Form der analytischen Abhangigkeit von den nichtzyklischen Koordinaten beliebig bleiben kann. Die allgemeine Aquivalenz zyklischer Lagekoordinaten mit der Existenz von Integralen, die in den ImpulsgroDen linear sind, ist im Theorem von LBVY [I] dahingehend interpretiert worden, daB in allen Fallen dieser Art sowohl die kinetische Energie T als auch die potentielle Energie U bei einer infi- nitesimalen Beriihrungstransformation invariant bleiben. Unter zusatzlicher Benutzung der von S. LIE entwickelten Theorie der Transformations- und Funktionengruppen ist es moglich, die Gesamtheit aller Falle, in denen zyklische Koordinaten und Integrale der beschriebenen generellen Bedeutung fur ganze Klassen von Problemen auftreten, zusammenfassend zu uberblicken. Gegeben sei ein System von Massenpunkten mit n freien Koordinaten x,, x2, . . ., x, und den dazu gehorigen kanonisch konjugierten Impulsgro5en pl, p2, - - ., p,,. Die kinetische und potentielle Energie sollen von der Zeit nicht explizit abhangen; der entgegengesetzte Fall laBt sich leicht in be- bekannter Weise durch Hinzunahme einer (n + 1)ten Koordinate x, = t auf die gemachte Voraus- setzung zuriickfiihren. Ferner sol1 die in der Regel erfiillte Voraussetzung gemacht werden, da5 die HAMILToNsChe Funktion H gleich der Summe T + U ist. Das System gehorcht also den 2 n kanonischen Differentialgleichungen aH (1) 4% - at axi dXi aH at api I -- -- mit H = T + U und i = I, 2, -, n. Astron. Nachr. Band 287 1

Gemeinsame Integrale ganzer Klassen von dynamischen Problemen

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Gemeinsame Integrale ganzer Klassen von dynamischen Problemen (Verof fen t l ichungen d e r S t e r n w a r t e Munchen Bd. 5 Nr. 16)

Von F. SCHMEIDLER, Munchen

(Eingegangen 1962 Marz 16)

Es wird gezeigt, dall HAMILTONSChe Systeme immer dann Integrale, die ganzen Klassen von Potential- funktionen gemeinsam sind, besitzen, wenn zyklische Koordinaten vorhanden sind. Mit Hilfe der van s. LIE entwickelten Theorie der Transformations- und Funktionengruppen werden allgemeine Kriterien aufgestellt. wie man erkennen kann, ob zyklische Koordinaten und Integrale entsprechender Art vorliegen. Die Anwendung der Theorie auf die Grundgleichungen der Stellardynamik liefert die Verifizierung der bisher bekannten Falle, in denen die Gleichung Integrale besitzt, die van der speziellen analytischen Form der Potentialfunktion unabhangig existieren. Es wird auI3erdem der Beweis erbracht, dall iiber die bekannten Falle hinaus keine Integrale dieser Art fur die Grundgleichung der Stellardynamik moglich sind.

1. Gemeinsame Integrale und zyklische Koordinaten Wenn ein kanonisches System von Differentialgleichungen eines dynamischen Problems eine zyk-

lische Koordinate besitzt, von welcher die HAMILToNsche Funktion unabhangig ist, kann in bekannter Weise ein Integral des Systems unmittelbar angegeben werden; in diesem Fall ist die der zyklische Ko- ordinate kanonisch konjugierte GroBe wahrend der Bewegung konstant. Wenn die zyklische Koordi- nate eine der Lagekoordinaten ist oder wenn das System durch eine reine Punkttransformation in eine solche Gestalt gebracht werden kann, daB es eine zyklische Lagekoordinate besitzt, dann ist das ent- sprechende Integral in den Impulskoordinaten linear [I] ; es gilt auch die Umkehrung dieses Satzes.

Die Bedeutung solcher Integrale geht weiter, als daB nur durch ihre Existenz jeweils ein Integral des Systems ohne weitere Rechnung gefunden werden kann. Sie sind insbesondere auch deswegen wich- tig, weil sie ganzen Klassen von dynamischen Gleichungssystemen gemeinsam sind, namlich allen denjenigen Systemen, in deren HAMILToNsChen Funktionen die betreffende zyklische Koordinate nicht, die ubrigen Koordinaten jedoch in vollig beliebiger Weise auftreten. Wohl das bekannteste Beispiel dieser Art sind die Flachenintegrale in der Dynamik eines Massenpunktes, die im Fall von Zentrdkraf- ten immer gelten, gleichgultig in welcher Weise die auBeren Krafte vom Radiusvektor abhangen. Die Gesamtheit aller Potentialfunktionen, die die Gultigkeit der Flachenintegrale zur Folge haben, unter- liegt also nur einer einzigen einschrankenden Symmetriebedingung, nach welcher eine Zentralkraft vor- liegen muB. In ganz entsprechender Weise gelten jeweils fur die Gesamtheit aller Potentialfunktionen, denen gewisse zyklische Koordinaten und damit gewisse in den ImpulsgroBen lineare Integrale ge- meinsam sind, bestimmte einschrankende Symmetriebedingungen allgemeiner Art, wahrend die spezielle Form der analytischen Abhangigkeit von den nichtzyklischen Koordinaten beliebig bleiben kann.

Die allgemeine Aquivalenz zyklischer Lagekoordinaten mit der Existenz von Integralen, die in den ImpulsgroDen linear sind, ist im Theorem von LBVY [I] dahingehend interpretiert worden, daB in allen Fallen dieser Art sowohl die kinetische Energie T als auch die potentielle Energie U bei einer infi- nitesimalen Beriihrungstransformation invariant bleiben. Unter zusatzlicher Benutzung der von S. LIE entwickelten Theorie der Transformations- und Funktionengruppen ist es moglich, die Gesamtheit aller Falle, in denen zyklische Koordinaten und Integrale der beschriebenen generellen Bedeutung fur ganze Klassen von Problemen auftreten, zusammenfassend zu uberblicken.

Gegeben sei ein System von Massenpunkten mit n freien Koordinaten x,, x2, . . ., x, und den dazu gehorigen kanonisch konjugierten Impulsgro5en p l , p2, - - ., p,,. Die kinetische und potentielle Energie sollen von der Zeit nicht explizit abhangen; der entgegengesetzte Fall laBt sich leicht in be- bekannter Weise durch Hinzunahme einer (n + 1)ten Koordinate x, = t auf die gemachte Voraus- setzung zuriickfiihren. Ferner sol1 die in der Regel erfiillte Voraussetzung gemacht werden, da5 die HAMILToNsChe Funktion H gleich der Summe T + U ist. Das System gehorcht also den 2 n kanonischen Differen tialgleichungen

aH (1) 4% -

at axi dXi aH at api I

-- --

mit H = T + U und i = I, 2, -, n. Astron. Nachr. Band 287 1

2 F. SCHMEIDLER : Gemeinsame Integrale ganzer Klassen von dynamischen Problemen

Wenn man das bekannte PoIssoNsche Klammersymbol fur zwei beliebige Funktionen v und y der Vari- ablen xi, $i einfiihrt :

dann sind die Losungen des kanonischen Systems (I) identisch rnit den Losungen der partiellen Diffe- rentialgleichung

aH a f (3)

fur die unbekannte Funktion f . Man erkennt unmittelbar, daB das System (I) die charakteristischen Differentialgleichungen von (3) darstellt, woraus die aufgestellte Behauptung hervorgeht.

Wenn eine der Lagekoordinaten, etwa x,, zyklisch ist, dann gilt aH aT au ax, axl ax,

(4) -- - - + - = o ,

und nach (I) ist p1 = const. einIntegra1 des Systems. Unter Benutzung des Klammersymbols (2) konnte man statt (4) auch schreiben

Wenn zwar keine der Lagekoordinaten xi zyklisch ist, das System (I) aber durch eine reine Punkttrans- formation in eine solche Gestalt gebracht werden kann, daB es eine zyklische Koordinate besitzt, dann existiert nach eingangs gemachten Bemerkungen ein in den pi lineares Integral P ; nach (3) mu13 daher

( T P I ) + (U Pl ) = 0 - ( 5 )

( H P ) = (T P ) + ( U P ) = o

( T P) = ( U P ) = o

(6)

(7)

gelten und angesichts der Tatsache, daB U nur von den Lagekoordinaten abhangt, hat (6) notwendig

zur Folge. Die Funktion f = P erfiillt also nicht nur (3), sondern sogar die beiden Gleichungen (7). Auf die spezielle analytische Form der Abhangigkeit der Funktionen T und U von den ubrigen, nicht- zyklischen Koordinaten kommt es dabei nicht an. Es besteht also der allgemeine Satz 1 : Wenn ein System (I) eine zyklische Lagekoordinate besitzt oder durch eine reine Punkttrans- formation in die Gestalt eines Systems mit einer zyklischen Koordinate gebracht werden kann, exi- stiert ein in den $i hea re r Ausdruck P, der ein Integral von (I) ist und dessen Klammerausdruck (2 ) sowohl mit T als auch rnit U verschwindet. Dieses Integral P ist allen Systemen (I) gemeinsam, deren HAMILToNsche Funktion H in beliebiger Weise von den nichtzyklischen Koordinaten abhangt.

Es ist unmittelbar ersichtlich, daB auch die Umkehrung des Satzes I richtig ist. Man erkennt ferner, daI3 er nicht mehr als eine andersartige Formulierung des Theorems von LEVY [I] ist, weil aus ihm die Aussage folgt, dai3 die beiden Funktionen T und U die infinitesimale Beruhrungstransformation ( P f ) gestatten.

2. Ein allgemeines Kriterium Ob der in Satz I diskutierte Fall in einem bestimmten Problem vorliegt oder nicht, kann man

immer entscheiden, ohne das betreffende System (I) wirklich integrieren zu miissen. Aus (7) folgt, dai3 sowohl f = T als auch f = U die partielle Differentialgleichung

erfiillen, falls ein in den p j lineares Integral P existiert. Nach dem Theorem von POISSON ist in diesem Fall auch der Klammerausdruck ( T U ) , der nach (2) zu bilden ist, ein Integral von (8) und ebenso jede weitere Funktion, die man aus T , U und ( T U) durch Klammerbildung gewinnen kann. Aus dieser Tatsache kann man rnit Hilfe der LIEschen Theorie der Funktionengruppen [ z ] ein Kriterium ableiten, ob ein bestimmtes System der Form (I) eine zyklische Koordinate und ein ihm aquivalentes Integral, das in den pi linear ist, besitzt oder nicht.

Wenn man aus den beiden Funktionen T und U den Klammerausdruck ( T U) nach ( 2 ) bildet, ergibt sich moglicherweise eine Funktion, die durch T und U allein ausgedruckt werden kann und in- folgedessen kein neues Integral von (8) darstellt. In diesem Fall bilden nach LIE die beiden Funktionen T und U eine zweigliedrige Funktionengruppe. In der Regel wird sich aber durch die Klammerbildung eine von T und U unabhangige, neue Funktion ergeben. Fiigt man diese zu T und U hinzu, dann kann man aus den nunmehr vorliegenden drei Funktionen alle moglichen Kombinationen von Klammeraus- driicken bilden; erneut stellen nach dem Theorem von POISSON alle diese neu erhaltenen Funktionen

( P f ) = 0 (8)

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Integrale von (8) dar, doch werden sich unter ihnen einige befinden, die von den ursprunglichen drei Funktionen T , U und (T U ) nicht unabhangig sind. Die unabhangigen unter den neuen Funktionen fugt man wieder hinzu und wiederholt den ProzeB der Bildung aller moglichen Klammerausdriicke der nunmehr vorliegenden Funktionen. Da es in den 2 n Variablen xi, $i nicht mehr als 2 12 unabhangige Funktionen geben kann, muB das Verfahren nach endlich vielen Schritten zu einem System von Funk- tionen fuhren derart, daB alle daraus durch Klammerbildung gewonnenen zusatzlichen Funktionen von den ursprunglichen Funktionen abhangig sind ; diese bilden dann nach LIE eine Funktionengruppe. Wenn es sich dabei um genau 2 n Funktionen handelt, ist die Tatsache, daB sie eine Funktionengruppe bilden, trivial; es gibt aber auch Funktionengruppen von weniger als z n Gliedern.

Nach dem Fundamentaltheorem der LIEschen Theorie der Funktionengruppen gibt es zu jeder (2 n - 7)-gliedrigen Funktionengruppe ul, u2 - - ., uUzn-, genau 7 weitere Funktionen v,, v2 *-. v,, deren Klammerausdriicke ( 2 ) mit jeder der Funktionen zt verschwinden, die also die 2 n - Y partiellen Dif- ferentialgleichungen

erfullen. Dieser Satz 1aBt sich auf die Gleichung (8) und die aus den beiden Funktionen T und U durch sukzessive Klammerbildung herstellbare Funktionengruppe anwenden.

Wenn die aus T und U in der beschriebenen Weise durch fortgesetzte Klammerbildung erhaltene Funktionengruppe aus genau z n Gliedern besteht, gibt es nach dem Fundamentaltheorem keine Funk- tion P derart, daB die Gleichung (8) sowohl von T als auch von U erfullt werden kann; es gibt also in diesem Fall auch keine zyklische Koordinate des Systems (I), weder in der unmittelbar angeschriebenen Form noch in der durch irgendeine Punkttransformation herstellbaren Form von (I). Wenn hingegen die aus T und U gewinnbare Funktionengruppe aus weniger als 2 n, etwa aus 2 n - Y Gliedern be- steht, gibt es 7 Funktionen Pl, Pz, . . ., P,, deren Klammerausdrucke sowohl rnit T. als auch mit U verschwinden ; in diesem Fall existieren Y zyklische Koordinaten des Systems (I). Es besteht demnach der allgemeine

Satz 2: Wenn ein System der Form (I) entweder unmittelbar oder nach einer geeigneten Punkttrans- formation 7 zyklische Koordinaten besitzt, dann bilden die Funktionen T und U zusammen rnit allen aus ihnen durch sukzessiveKlammerbildung herstellbaren unabhangigen Funktionen eine (2 n - r ) -gliedrige Funktionengruppe. Alle Funktionen, deren Klammerausdrucke sowohl rnit T als auch rnit U ver- schwinden, sind dann Integrale von (I) und jedem dieser Integrale entspricht eine zyklische Koordi- nate. Wiederum sind alle diese Integrale allen Systemen der Form (I) gemeinsam, deren HAMILTONSChe Funktionen nicht von den zyklischen Koordinaten, aber von den nichtzyklischen Koordinaten in vol- lig beliebiger Weise abhangen.

Selbstverstandlich betrifft der Satz z nicht diejenigen Faille, in denen ein System (I) durch Trans- formationen, die keine reinen Punkttransformationen sind, in eine solche Form gebracht werden kann, daB zyklische Koordinaten auftreten. Solche Transformationen gibt es vielmehr in jedem Fall, weil man z. B. nur etwa 2 n - I beliebige Losungen von (3) und eine beliebige (2 n)te Funktion als neue Koordinaten einzufuhren braucht; in diesen Koordinaten lautet die Losung von (I) so, daD 2 n - I der Koordinaten konstant, also die jeweils kanonisch konjugierten GroBen zyklisch sind.

(ul f) = (24, f) = - * * = (u2*-, f) L 0 (9)

3. Bestimmung aller Potentialfunktionen mit gemeinsamen Integralen In vielen Fallen ist die Frage nach der Existenz der in den Satzen I und 2 diskutierten gemeinsamen

Integrale von ganzen Klassen dynamischer Probleme in der Form gestellt, daB ein analytischer Ausdruck fur die kinetische Energie T vorgegeben ist und nach allen moglichen Formen der Potentialfunktion U gefragt wird, bei denen zyklische Koordinaten und damit nach Satz I gemeinsame Integrale der beschrie- benen Art auftreten. Auch diese Frage kann mit Hilfe der oben gegebenen Ausfiihrungen beantwortet werden.

In allen Fallen, in denen Integrale der beschriebenen Eigenschaften existieren, sind sie allen solchen Potentialfunktionen gemeinsam, die nicht von allen Lagekoordinaten, sondern nur von gewissen un- abhangigen Funktionen der Lagekoordinaten abhangen ; in der Praxis bedeutet das, daB die Potential- funktion gewisse Symmetriebedingungen erfullt. Integrale der besprochenen Art sind demnach allen denjenigen dynamischen Problemen gemeinsam, welche die betreffenden Symmetriebedingungen er- fullen, ohne daB weitergehende Aussagen iiber die Potentialfunktion bekannt zu sein brauchen.

Nach Satz I und z existiert in allen diesen Fallen mindestens ein in den $ i lineares Integral P , dessen Klammerausdruck ( z ) sowohl rnit T als auch rnit U verschwindet. Wenn man also die Gesamt- heit aller Funktionen P, die in den pi linear sind und die partielle Differentialgleichung

4 F. SCHMEIDLER : Gemeinsame Integrale ganzer Klassen von dynamischen Problemen

erfullen, durch Integration von (10) ermittelt, hat man einen sofortigen Uberblick uber alle moglichen Falle von Integralen genereller Art. Da diese Integrale das ganze System (7) erfullen mussen, konnen sie nur Losungen solcher dynamischer Probleme sein, deren Potentialfunktion die Gleichung

erfullt ; umgekehrt sind allen Potentialfunktionen, die (11) befriedigen, auch die entsprechenden Inte- grale P gemeinsam. Da (11) als partielle Differentialgleichung von jeder beliebigen Funktion von TZ - I unabhangigen Integralen erfullt wird, darf die Potentialfunktion U nicht von allen Lagekoordinaten abhangen, sondern nur von solchen Funktionen, die Integrale von (11) sind; die allgemeine Symmetrie- bedingung, die die Potentialfunktion erfullen muB, lautet also

(Pf) = 0 (11)

u = v(Ji, J z , . . ., Jn-1) , (12)

wo eine willkurliche Funktion seiner Argumente ist und J1, J z , . . ., JnUI beliebige unabhangige Integrale von (11) sind.

Zu bemerken ist noch, daB es durchaus nicht notwendig zu jeder beliebigen Funktion T Faille der besprochenen Art zu geben braucht. Zwar gibt es immer Losungen der Gleichung (IO), aber in jedem Einzelfall mu0 gepruft werden, ob sich unter den Losungen von (10) Ausdriicke P befinden, die in den Impulskoordinaten pi linear sind.

4. Anwendung auf die Dynamik der Sternsysteme Integrale der besprochenen generellen Art sind bekannt in der Stellardynamik, welche die Haufig-

keitsfunktion der als Massenpunkte gedachten Sterne eines Sternsystems durch die partielle Differen- tialdeichune

beschreibt, in der U die im System wirkende potentielle Energie bedeutet. Die Integrale von (13) sind nach dem Theorem von JEANS und CHARLIER identisch rnit den Integralen der kanonischen Bewegungs. gleichungen eines Massenpunktes, der unter dem EinfluB der herrschenden Krafte im System steht.

Es ist eine Reihe von Fallen bekannt, in denen die Gleichung (13) Integrale besitzt, die sehr all- gemeinen Klassen von Potentialfunktionen gemeinsam sind ; genannt seien die Falle eines zylinder- symmetrischen oder kugelsymmetrischen Potentials, in denen die Existenz der entsprechenden Flachen- integrale unmittelbar schon aus der Tatsache der betreffenden Symmetrieeigenschaft allein folgt. Die in der vorliegenden Arbeit entwickelte Theorie macht es moglich, diese Falle unter einem allgemeinen Gesichtspunkt zu uberblicken. Dabei wird sich ergeben, daB die bisher bekannten gemeinsamen Integrale der Gleichung (13) bereits alle moglichen Falle reprasentieren und daB es keine weiteren Integrale von (13) mehr geben kann, die ohne nahere Spezialisierung der Potentialfunktion U gelten.

Unter formaler Hinzunahme der Zeit t als zusatzliche Lagekoordinate 1aBt sich (13) rnit Hilfe des Klammerausdrucks (2) in der allgemeinen Form solcher Differentialgleichungen (3) schreiben, die den kanonischen Systemen der Gestalt (I) aquivalent sind

0 ( H f ) =--- +-- +--+ ~ - - ~ ~ - - ~ - ~ - - - ~ = aH af aH af aH af aH a f aH a f aH af aH af aH a f a p at au ax av ay aw ax at a p ax au ay av a Z aw

mit H = # + - ( U ~ + V ~ + W ~ ) + U ; I

2

dabei ist 9 eine zur Zeitkoordinate t kanonisch konjugierte ImpulsgroBe, deren Einfuhrung bei dieser Schreibweise notwendig ist. Auf die Gleichung (14) kann die oben entwickelte Theorie unmittelbar angewendet werden.

Nach Satz I ist jedes Integral von (14), welches in genereller Weise ganzen Klassen von Potential- funktionen gemeinsam ist, in den ImpulsgroBen linear und hat die Eigenschaft, daB sein Klammeraus- druck mit T verschwindet. Es miissen also alle Integrale der Gleichung

(T f ) = o mit (15) I

2 T = p + - (u2 + v2 + w2)

aufgesucht werden, die sich in der Form

f = n p + E . u + r v + 5 w (16)

schreiben lassen ; dabei hangen die rnit griechischen Buchstaben bezeichneten Faktoren der Impuls- groBen in (16) nur von den vier Lagekoordinaten t , x, y , z ab. Setzt man den Ausdruck (16) in (15) ein,

F. SCHMEIDLER : Gemeinsame Integrale ganzer Klassen von dynamischen Problemen 5

dann erhalt man die Gleichung

ax

(17)

deren linke Seite in den ImpulsgroBen ein Polynom zweiter Ordnung ist, dessen Glieder alle einzeln ver- schwinden mussen.

Man erkennt unmittelbar, daB (17) einige triviale Losungen besitzt. Eine solche ist z. B. n = 1 , t = q = g = o . (18)

Folglich ist nach (16) ein Integral von (15) durch f = fi gegeben. Ein Integral von (14) und damit auch von (13) ist dieser Ausdruck dann, wenn die partielle Ableitung der HAMILTONschen Funktion H von der Zeit verschwindet ; der Fall des durch (18) gegebenen Integrals ist also allen denjenigen Potential- funktionen gemeinsam, die nicht explizit von der Zeit abhangen, von den Raumkoordinaten jedoch ganz beliebig. Es ist damit der bekannte Fall der stationaren Losungen von (13) wiedergefunden.

Eine andere triviale Losung von (17) ist durch die drei gleichwertigen Faille

bzw. bzw. 1 5 = 1 , n = q = g = o ,

q = 1 , n = t = c = o , [ = 1 , n = t = ? j = o

gegeben, die nach (16) zu den Integralen

der Gleichung (15) fuhren. Die Integrale (20) befriedigen die Gleichung (14) dann und nur dann, wenn die BedinKungen

f = H bzw. f = V bzw. f = w (20)

V "

aH - 0 bzw. -= 0 - 0 . bzw. -- aH aH -- ax aY aZ

erfiillt sind ; sie bedeuten, daB die Potentialfunktion von einer der drei Raumkoordinaten unabhangig ist, daB also in Wirklichkeit ein ebenes Problem vorliegt.

zweiten Grades betrachtet und alle einzelnen Glieder gleich Null setzt ; so ergibt sich das System Die Gesamtheit aller Losungen von (17) erhalt man, indem man die linke Seite als Polynom

= 0 , an at a7 ag at at at at

-=-- _ _ - _ -

Aus den Gleichungen (21) und (22) folgt, daB n = const. sein muB; da der Fall n # o schon durch (18) erledigt ist, kann fur die weitere Diskussion n = o angenommen werden.

Aus den YGleichungen (23) und (24) findet man durch weitere Differentiation leicht, daB samtliche zweiten Ableitungen der drei Funktionen 5, q, 5 verschwinden; die einzigen moglichen Losungen sind daher

bzw. bzw.

1 I

[ = y , q = - x , c = o , E = o , q = z , c = - y , t=-- Z , q = o , c = x .

, (25)

Diese Losungen fuhren zu den drei Integralen ~ = Y + - x v bzw. f = Z v - y W bzw. ~ = X W - Z U

der Gleichung (IS), also zu den Flaichenintegralen. Sie sind dann und nur dann auch Integrale von (I3), wenn das Potential U die Bedingung der Zylindersymmetrie (esbesteht dann eines der Flachenintegrale) oder der Kugelsymmetrie (es bestehen dann alle drei Flachenintegrale) erfullt. Der Fall, daB zwei Flachenintegrale erfiillt sind, hat ebenfalls die Kugelsymmetrie zur Folge, weil nach dem PoIssoNschen Theorem das dritte Flachenintegral in jedem Fall eine Konsequenz der beiden anderen ist.

6 F. SCHMEIDLER : Gemeinsame Integrale ganzer Klassen von dynamischen Problemen

Es sind also alle bisher bekannten Faille verifiziert worden, in denen die Grundgleichung der Stel- lardynamik Integrale genereller Art besitzt, die ohne genauere Spezialisierung der Potentialfunktion angegeben werden konnen. Zusatzlich ist der Beweis erbracht worden, daS es keine weiteren Faille dieser Art geben kann und daS weitere Integrale der Gleichung (13) erst gefunden werden konnen, wenn nahere Angaben uber die Potentialfunktion gemacht werden.

Zusatzbemerkung bei der Korrektur : Kurz ehe ich die Korrekturen dieser Arbeit bekam, erschienen zwei Veroffentlichungen von

LYNDEN-BELL [3] iiber die von ihni als ,,lokale" Integrale bezeichneten Losungen der Grundgleichung der Stellardynamik. Die in der vorliegenden Arbeit betrachteten Integrale stellen nicht mehr als einen engen Spezialfall der von LYNDEN-BELL in sehr schoner und ubersichtlichen Weise diskutierten Klasse von Integralen dar. Dennoch glaube ich, daI3 meine Arbeit eine sachlich unabhangige Berechtigung be- halt, weil in ihr mit Hilfe der LIEschen Theorie der Funktionengruppen ein Kriterium abgeleitet und angewendet ist, wann der engere Spezialfall zyklischer Koordinaten und ihnen entsprechender Integrale vorliegt.

Literatur [I] E. T. w ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ , A t r e i t t i s e on the analytical dynamics of particles and rigid bodies. 4th edition 1936, p. 328ff. [ z ] S. LIE, Theorie der Transformationsgruppen. 2. Abschnitt. Leipzig 1890, p. 178ff. [3] D. LYNDEN-BELL, Stellar dynamics. Only isolating integrals should be used in Jeans' theorem. Monthly

Not. Royal Astr. SOC. 124. 1 (1962). D. LYNDEN-BELL, Stellar dynamics. Potentials with isolating integrals. Monthly Not. Royal Astr. SOC. 124. 95 (1962).