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ZUCHT R 4 top  agrar  9/2010 Genomische Zuchtwerte:   Jetzt geht’s los! Die deutsche Holstein-Zucht steht   mit der Einführung der genomischen  Zuchtwerte vor massiven Veränderun- gen. Profitieren Züchter und Milch- viehhalter von der Entwicklung? W ie ein Wirbelsturm verändert die  genomische Selektion derzeit die  deutsche  Holstein-Zucht.  Keine  Woche, in der nicht neue Schlagzeilen aus  der Zuchtszene die Runde machen: „OHG  schließt  Bullenmütter-Prüfung.  Master- rind beendet den konventionellen Testein- satz.“ Oder zuletzt: „Fast 40 % der Warte- bullen geschlachtet“. Die genomische Se- lektion  ist  also  angekommen  in  der  deutschen  Holstein-Zucht  und  sorgt  für  einen  gravierenden  Umbruch  in  den  Zuchtprogrammen. Neue Zuchtwerte im August Und ab Mitte August können auch die  hiesigen Züchter und Milchviehhalter die  genomisch getesteten Jungbullen nutzen.  Erstmals wurden die genomischen Zucht- werte (gZW) der Jungbullen in Deutsch- land veröffentlicht. Bisher hatten sie nur  die Möglichkeit für viel Geld (ca. 200 €)  ihre weiblichen Tiere untersuchen zu las- sen,  jetzt  können  die  deutschen  Milch- viehhalter  auch  Jungbullen  mit  genomi- schem Zuchtwert einsetzen.  Die Vorteile der genomischen Selektion  sind  klar:  Schnellerer  Zuchtfortschritt  durch  ein  kürzeres  Generationsintervall,  höhere  Sicherheiten  der  Zuchtwerte  bei  jungen  Bullen  im  Vergleich  zu  früheren  Testbullen  (Übersicht  1)  sowie  gezieltere  Suche von potenziellen Bullenmüttern. Zudem  können  die  Zuchtorganisatio- nen  nun  deutlich  mehr  Bullen  vorab  tes- ten. Waren es bislang rund 1 000 Bullen, die  jährlich  getestet  wurden,  rechnet  das  Re- chenzentrum vit in Verden damit, dass die  deutschen  Besamungsstationen  in  diesem  Jahr schon 10 000 männliche Kälber geno- misch  testen  werden.  Allein  die  Rinder- Union West (RUW) wird pro Jahr ca. 1 000  männliche Kälber genomisch testen.  Dass jetzt auch die Züchter und Milch- viehhalter hierzulande profitieren, hat erst  der  Zusammenschluss  der  europäischen  Zuchtverbände  aus  Deutschland,  Frank- reich, den Niederlanden und Skandinavien  unter dem Namen EuroGenomics möglich  gemacht. Durch den Zusammenschluss hat  sich  die  Lernstichprobe  (Kontrollgruppe  von  Bullen  mit  genomischem  Zuchtwert)  für Deutschland auf 17 000 Bullen erhöht.  Die genomischen Zuchtwerte sind so deut- lich sicherer geworden.  Haar- oder Blutproben Um den genomischen Zuchtwert zu er- mitteln,  wird  genetisches  Material  (Blut,  Gewebe, Haare) der potenziellen Vererber  untersucht. Die DNA des Bullen wird ei- ner  „Rasterfahndung“  unterzogen.  Nach  der  Untersuchung  errechnet  das  Rechen- zentrum vit in Verden mit Hilfe einer Lern- stichprobe und den Daten, die ein Chip ab- gelesen hat, den Zuchtwert des jeweiligen  Tieres (s. top agrar 3/2009 R 20). Die Listen mit den genomischen Jung- bullen  werden  künftig  jeden  zweiten  Dienstag im Monat aktualisiert. Bei den  Der Jungbulle Malindo (RUW) ist Deutschlands höchster Mascol- Sohn und seit August verfügbar. 0 10 20 30 40 50 60 70 80 RZD Kvmat. Kvpat. RZR RZN RZE RZS RZM Sicherheit in % Merkmale Quelle: vit Zugewinn an Sicherheit durch die genomische Untersuchung Sicherheit des Pedigree-Index Übers. 1: Die Sicherheit der Zucht- werte von Jungbullen legt zu Durch die geno- mische Selektion haben sich die Sicherheiten der Zuchtwerte von Jungbullen teil- weise verdoppelt.

Genomische Zuchtwerte: Jetzt geht’s los! · Z u c h t R 4 top agrar 9/2010 Genomische Zuchtwerte: Jetzt geht’s los! Die deutsche Holstein-Zucht steht mit der Einführung der genomischen

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Z u c h t

Genomische Zuchtwerte:  Jetzt geht’s los!

Die deutsche Holstein-Zucht steht  mit der Einführung der genomischen Zuchtwerte vor massiven Veränderun-gen. Profitieren Züchter und Milch-viehhalter von der Entwicklung?

Der Jungbulle Malindo (RUW) ist Deutschlands

höchster Mascol-Sohn und seit

August verfügbar.

Wie ein Wirbelsturm verändert die genomische Selektion derzeit die deutsche  Holstein-Zucht.  Keine 

Woche, in der nicht neue Schlagzeilen aus der Zuchtszene die Runde machen: „OHG schließt  Bullenmütter-Prüfung.  Master-rind beendet den konventionellen Testein-satz.“ Oder zuletzt: „Fast 40 % der Warte-bullen geschlachtet“. Die genomische Se-lektion  ist  also  angekommen  in  der deutschen  Holstein-Zucht  und  sorgt  für einen  gravierenden  Umbruch  in  den Zuchtprogrammen.

Neue Zuchtwerte im AugustUnd ab Mitte August können auch die 

hiesigen Züchter und Milchviehhalter die genomisch getesteten Jungbullen nutzen. Erstmals wurden die genomischen Zucht-werte (gZW) der Jungbullen in Deutsch-land veröffentlicht. Bisher hatten sie nur 

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die Möglichkeit für viel Geld (ca. 200 €) ihre weiblichen Tiere untersuchen zu las-sen,  jetzt  können  die  deutschen  Milch-viehhalter  auch  Jungbullen  mit  genomi-schem Zuchtwert einsetzen. 

Die Vorteile der genomischen Selektion sind  klar:  Schnellerer  Zuchtfortschritt durch  ein  kürzeres  Generationsintervall, höhere  Sicherheiten  der  Zuchtwerte  bei jungen  Bullen  im  Vergleich  zu  früheren Testbullen  (Übersicht  1)  sowie  gezieltere Suche von potenziellen Bullenmüttern.

Zudem  können  die  Zuchtorganisatio-

nen  nun  deutlich  mehr  Bullen  vorab  tes-ten. Waren es bislang rund 1 000 Bullen, die  jährlich getestet wurden,  rechnet das Re-chenzentrum vit in Verden damit, dass die deutschen Besamungsstationen  in diesem Jahr schon 10 000 männliche Kälber geno-misch  testen  werden.  Allein  die  Rinder-Union West (RUW) wird pro Jahr ca. 1 000 männliche Kälber genomisch testen. 

Dass jetzt auch die Züchter und Milch-viehhalter hierzulande profitieren, hat erst der  Zusammenschluss  der  europäischen Zuchtverbände  aus  Deutschland,  Frank-reich, den Niederlanden und Skandinavien unter dem Namen EuroGenomics möglich gemacht. Durch den Zusammenschluss hat sich  die  Lernstichprobe  (Kontrollgruppe von Bullen mit genomischem Zuchtwert) für Deutschland auf 17 000 Bullen erhöht. Die genomischen Zuchtwerte sind so deut-lich sicherer geworden. 

Haar- oder BlutprobenUm den genomischen Zuchtwert zu er-

mitteln,  wird  genetisches  Material  (Blut, Gewebe, Haare) der potenziellen Vererber untersucht. Die DNA des Bullen wird ei-ner  „Rasterfahndung“  unterzogen.  Nach der Untersuchung errechnet das Rechen-zentrum vit in Verden mit Hilfe einer Lern-stichprobe und den Daten, die ein Chip ab-gelesen hat, den Zuchtwert des jeweiligen Tieres (s. top agrar 3/2009 R 20).

Die Listen mit den genomischen Jung-bullen  werden  künftig  jeden  zweiten Dienstag im Monat aktualisiert. Bei den 

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RZDKvmat.Kvpat.RZRRZNRZERZSRZM

Sicherheit in %

Merkmale

Que

lle: v

it

Zugewinn an Sicherheit durch die genomische Untersuchung

Sicherheit des Pedigree-Index

Übers. 1: Die Sicherheit der Zucht­werte von Jungbullen legt zu

Durch die geno-mische Selektion haben sich die Sicherheiten der Zuchtwerte von Jungbullen teil-weise verdoppelt.

Page 2: Genomische Zuchtwerte: Jetzt geht’s los! · Z u c h t R 4 top agrar 9/2010 Genomische Zuchtwerte: Jetzt geht’s los! Die deutsche Holstein-Zucht steht mit der Einführung der genomischen

Fotos: Dammann (1), Heil (2), Leifker (3), privat (4), van Leeuwen (1)

Genomische Zuchtwerte aktuell im Internet

www.topagrar.com

Um den 17. August sollen die neuen genomischen Zuchtwerte veröffentlicht werden,  so  die  offizielle  Information vom Rechenzentrum vit in Verden, also etwa  zeitgleich  mit  Erscheinen  dieser top agrar-Ausgabe. 

Wir wollen Sie, liebe Leser, natürlich aktuell  informieren. Deshalb finden Sie die  neuen  Zuchtwerte  sofort  nach  der 

Veröffentlichung  im  Internet.  Exklusiv für Sie haben wir die besten genomisch getesteten Bullen zusammengestellt. 

Wir bieten Ihnen nicht nur das deut-sche Angebot an schwarz- und rotbun-ten „Genom-Bullen“, sondern auch das Angebot  der  Spermaimporteure.  Alle Bullen und weitere Informa tionen fin-den Sie unter www.topagrar.com/Zucht

  top  agrar  9/2010  R 5

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Z u c h t

nachkommengeprüften  Bullen  bleibt  es dagegen bei den drei gewohnten Schätz-terminen  pro  Jahr.  „Eine  kombinierte Liste  von  genomischen  Vererbern  und nachkommengeprüften  gibt  es  vorerst nicht.  Es  werden  zunächst  zwei  Listen veröffentlicht“, so das Rechenzentrum vit in Verden. 

Bullenmütter-Prüfung ist Geschichte

Für  die  Zuchtorganisationen  hat  die „genomische  Revolution“  aber  nicht  erst jetzt begonnen. Sie nutzen das Instrument genomischer Zuchtwerte bereits seit einem Jahr zur Vorselektion neuer Vererber und zur  Kontrolle  der  bereits  aufgestallten Test- und Wartebullen, mit weitreichenden Veränderungen der Zuchtprogramme.

So haben z. B. die Masterrind, die Weser-EmsUnion  (WEU)  und  die  Rinderzucht Schleswig-Holstein  (RSH)  ihre  konven-tionellen  Testbullenprogramme  bereits eingestellt.  „Testbullen  im  ursprüngli-chen Sinn gibt es nicht mehr. Alle Bullen, auch Jungbullen, haben  jetzt ei-nen Zuchtwert. Dementspre-chend  werden  auch  die 

R 6  top  agrar  9/2010

Jungbullen als einzelne Vererber vermark-tet“, sagt Dr. Josef Pott von der WEU. 

Aber nicht alle Stationen gehen mit so klarer  Linie  voran.  Die  RUW  will  bei-spielsweise  den  konventionellen Testein-satz  in  abgespeckter  Form  weiterführen: „Einzelbullen  können  sich  auch  bei  der 

genomischen  Selektion  weiter-hin nach oben wie unten ab-

setzen.  Entscheidend  ist 

nicht  nur  ein  hoher  genomischer  RZG, sondern auch das Pedigree spielt bei uns immer noch eine Rolle. Sonst hätten wir einen Bullen wie Gibor nie entdeckt“, gibt Dr.  Jürgen  Hartmann  von  der  RUW  zu Bedenken. Gibor hatte in den letzten Jah-ren die Einsatzlisten beherrscht, vor allem aufgrund seiner guten Fitness-Vererbung.

Vorerst  weiterführen  wollen  den Test-einsatz auch die OHG und der Verein Ost-friesischer Stammviehzüchter (VOST). 

Wartebullen geschlachtetDeutlich dezimiert haben die Stationen 

auch ihre Wartebullenbestände. Denn nach der  genomischen  Untersuchung  konnte man sich von potenziellen „Nieten“ schnel-ler  trennen, heißt es. Während es bei der RUW lediglich 15 % der Bullen waren, sol-len  andere  Stationen  wie  die  RSH  oder Masterrind ihren Bestand gleich um 30 bis 50 % reduziert haben (Übersicht 2). 

Ähnliche Rückgänge werden auch bei den  künftigen  Bullenankäufen  erwartet. Die RSH kündigte an, statt ca. 90 schwarz- und rotbunter Jungbullen künftig nur noch 55  Bullen  pro  Jahr  aufstallen  zu  wollen, die RUW 100 statt 130. Die Organisatio-nen selektieren also schärfer. 

Wurden vor der genomischen Selektion oft alle potenziellen Bullen aus einer An-paarung angekauft, sind es heute nur noch Bullen  mit  den  vielversprechendsten Zuchtwerten.  Manch  ein  Bullenzüchter geht jetzt sogar leer aus, da trotz guter Ab-stammung kein Bullenkalb die gewünsch-ten genomischen Zuchtwerte erreicht. Die Selektionsschärfe liegt verbreitet bei 1 von 10 männlichen Kälbern z. T. noch darüber. So  lässt  sich  der  Zuchtfortschritt  gegen-über  einem  klassischen  Zuchtprogramm um mehr als 30 % steigern (Übers. 3).

Der  Vorteil  für  die  Zuchtorganisatio-nen  liegt  auf  der  Hand.  Die  Gefahr,  wie früher die „Katze im Sack“ zu kaufen, ist sehr  gering,  da  das  Potenzial  des  Bullen durch die genomische Selektion schneller 

400

600

800

1000

1200

2010*2009200820072006

Anzahl Prüfbullen

Jahrgang*Prognose Quelle: ADR

Sbt + Rbt

Einführung der genomischen

Selektion

Übers. 2: Die Anzahl der Prüfbullen sinkt deutlich

Die deutschen Zuchtorganisatio-

nen stallen aufgrund der genomischen

Selektion deutlich weniger Bullen auf.

Grafi ken: Driemer

Weltweit neue Zuchtfi rmen

Die  genomische  Selektion  dürfte 

weltweit  den  Spermamarkt  revolutio-nieren. Erstes Indiz dafür sind die zahl-reichen  Neugründungen  von  Zuchtor-ganisationen  und  Zuchtprogrammen. Zu den bekannteren gehören AI Total in  den  Niederlanden,  KingStreetSires und SterlingSires aus Eng-land  oder  TAG  aus  den USA,  die  sich  vor  allem auf  die  Vermarktung  ge-nomischer Jungbullen spe-zialisiert haben.

Auch  in  Deutschland ist  bereits  Bewegung  im Markt.  So  haben  WWS Germany,  die  US-Besa-mungsgenossenschaften SelectSires  und Accelera-ted  Genetics  gemeinsam das  Unternehmen  Gene-Pool gegründet. GenePool kauft Embryonen aus ge-

Dr. Hermannleitet das neugramm Gene

nomisch untersuchten Kühen und Fär-sen in Europa an und überträgt diese in Partnerherden.

Die daraus stammenden Kälber wer-den alle genomisch untersucht. Die bes-ten männlichen Kälber werden bei der Besamungsstation  Göpel  Genetik  in 

Herleshausen  aufgestallt und  für  den  weltweiten Spermavertrieb  abge-samt.  Die  besten  weibli-chen  Tiere  werden  zum ET genutzt.  

„Inzwischen produzie-ren bereits die ersten vier Jungbullen  Sperma“,  so Dr.  Hermann  Niermann von GenePool. Vorteil des Zuchtprogrammes  soll der zusätzliche Zuchtfort-schritt  sein,  da  fast  nur mit  junger  Genetik  gear-beitet wird. 

Niermann e Zuchtpro-Pool.

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erkannt wird. „Mittelfristig werden wir die daraus resultierenden Überkapazitäten in 

mit  offiziellen  Zuchtwerten  deutlich  größer  geworden.  Denn  alle  bisherigen Wartebullen der  Jahrgänge 2006 bis  2008 haben jetzt einen Zuchtwert. Viele Zucht-experten sprechen daher auch von einem 

Übers. 3: Der ZuchtfortschSituation 1

400 Testbullenaus 1 600 (1:4)

Zuchtfortschritt je Jahr (RZG-Punkte) +2,36

Steigerung in % gegenüber klassischem Zuchtprogramm +0,7 %

Dr. Stefan Neuner, LfL Bayern, Institut für Tierzuc

Mit Hilfe der genomischen Selektion lässt sic

„Bullen-Tsunami“ in der Holstein-Zucht.„Die Herausforderung,  jetzt die richti-

Zuchtorganisationen  gar  nicht  absehen können,  in welchen Mengen die Jungbul-len eingesetzt werden. Die Einschätzungen der Organisationen liegen zwischen 20 und 30 % aller Besamungen. Doch blickt man 

ritt steigt um über 30 %Situation 2 Situation 3

  Weniger Testbullen, schärfer selektiert 

160 aus 1 600 (1:10)

wie 2 + Typisierung von Färsen (1/3 Bul-lenmutter: Färsen)

+3,07 +3,27

+30,9 % +39,7 %

ht 2010

h der Zuchtfortschritt beschleunigen.

in die USA, so erreichen die genomischen Jungbullen  inzwischen  Einsatzraten  von  50 % und mehr.

Für Dr. Hartmann, RUW, wäre dies nur schwer vorstellbar. „Unsere Landwirte ha-ben  jahrelang  auf  sichere Wiedereinsatz-bullen  wie  Gibor  oder  Carmano  gesetzt. 

»Die Bauern werden weiter

eher sichere, bewährte Bullen

bevorzugen«, schätzt Dr. Jürgen

Hartmann (RUW).

der  Bullenhaltung  abbauen  und  Kosten sparen“, so Dr. Josef Pott, WEU. 

Einsparungen  erhofft  sich  auch  die OHG.  Sie  beendet  die  Bullenmütter- Prüfung  im  September.  Das  eingesparte Geld  will  Geschäftsführer  Hans-Willi  Warder aber  in die Ausweitung der Typi-sierung  von  wertvollen  Bullenkälbern  stecken. Ein ähnliches Schicksal droht der Bullenmütter-Prüfung der Nordost-Gene-tik in Karkendamm.

Erst „Bullen-Flut“, dann „Bullen-Ebbe“

Und  noch  eine  Änderung  beschäftigt die  Stationen.  Mit  der  Einführung  der „Genomics“ ist das Angebot an Vererbern 

gen  Bullen  aus  der  Masse  an  Vererbern auszuwählen, ist riesig“, so Dr. Alfred Wei-dele, Rinderunion Baden-Württemberg. 

Auf  den  ersten  Blick  profitieren  die Milchviehhalter:  das  Angebot  wird  deut-lich  breiter,  hochwertiger  und  sicherer. Aber das täuscht, warnen schon die ersten aus der Zuchtszene. Schließlich werden in einem Jahr annähernd vier Bullenjahrgän-ge „verheizt“. Die Vererber, die ursprüng-lich erst 2011 oder 2012 auf dem Markt wä-ren, werden jetzt schon angeboten. 

Da zudem aufgrund der schärferen Se-lektion noch deutlich weniger Jungbullen aufgestallt werden, könnte 2011 die große „Ebbe“ kommen. Neue gute Bullen wür-den dann knapp, befürchten Insider. 

Ein  weiteres  Problem  ist,  dass  die 

1. Korrekturlauf

top  agrar  8/2009  R 7

Ich glaube kaum, dass sie jetzt zu Roulette-Bauern werden, die hauptsächlich auf ge-nomisch getestete Jungbullen setzen.“

Diese Meinung teilt auch Dr. Dettmar Frese von der Masterrind, der den Milch-viehhaltern empfiehlt, einen Mix aus 30 % genomischer  Jungbullen  und  70 %  nach-kommengeprüfter Bullen einzusetzen. 

Kritik  von  Seiten  einiger  Organisatio-nen  gibt  es  auch  an  der  Bullenauslese durch die genomische Selektion. Denn bis-lang  schneiden  besonders  die  Bullen  gut ab, die viele Verwandte mit hohem Zucht-wert in der Lernstichprobe haben, wie z. B. Söhne  und  Enkel  von  Shottle,  Goldwyn, Bolton oder O-Man. 

„Wir  sehen ganz klar die Gefahr, dass Outcross-Bullen eher die hoch gesteckten Zuchtwertziele  nicht  erreichen  und  so  gar  nicht  zum  Einsatz  kommen,“  sagt  Dr.  Hartmann.  Die  Folge:  Steigende  In-

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Z u c h t

»Bullenmütter mit Sonderbehandlung gibt es jetzt nicht mehr«, erklärt Alois Lodden kemper, Rinkerode.

Thomas Wiethege, Halver:»Die Kosten für uns Züchter steigen, aber die Erlöse sinken.«

zuchtgefahr. „Wir müssen daher das Ange-bot an genomischen Jungbullen breit auf-stellen.“ 

Für ihn liegt die Verantwortung bei den Zuchtorganisationen  dieser  Entwicklung entgegen zu wirken. Ansonsten sei es klar, dass die Landwirte auf die hohen Zucht-wert-Bullen fliegen und damit die Veren-gung der Blutlinien vorantreiben.

Töchterprüfung bleibt wichtig

Nicht  endgültig  beantworten  lässt  sich auch die Frage, ob sich die gZW in ein paar Jahren voll bestätigen oder, wie von eini-

R 8  top  agrar  9/2010

gen Züchtern befürchtet, überschätzt sind: „Es ist ganz klar, dass die Schätzformel für genomische  Zuchtwerte  ständig  nachjus-tiert werden muss. Das war und ist bei der konventionellen  Schätzformel  doch  auch der Fall und die genomische Schätzung ist noch eine relativ neue Technik“, macht Dr. Stefan Rensing vom vit klar. „Ob wir wirk-lich richtig liegen, werden wir wissen, wenn die  jetzigen  Jungbullen  in  ca.  vier  Jahren erstmals abgekalbte Töchter in der Nach-kommenprüfung  haben.  Denn  dann  ent-scheidet sich, ob der Bulle die Zuchtwerte bei  über  95 %  Sicherheit  bestätigt  oder nicht“, so Rensing.

Entscheidend  für  das  System  genomi-

scher  Zuchtwerte  ist  die  ständige  Nach-kommenprüfung  vor  allem  über  die Milchleistungsprüfung.  „Denn  ohne  die harten Leistungsdaten der Töchter  funk-tioniert das System auf Dauer nicht. Kon-kret: Wenn die Lernstichprobe nicht  lau-fend  durch  aktuelle  töchtergeprüfte Ver-erber ergänzt wird, verschleißt sie mit der Zeit und passt nicht mehr so gut zur aktu-tellen Population. Die Folge wären abneh-mende  Sicherheiten  der  genomischen Zuchtwerte“, so Rensing. 

Für hitzige Diskussionen innerhalb der deutschen Verbände sorgt auch die Frage, ob die Nachzuchtbewertung vor allem der bereits  geschlachteten  Wartebullen  noch 

Sind die Züchter die Verlierer?Viele Züchter betrachten die genomische Selektion mit Skepsis. Sie begrüßen zwar die höhere Sicherheit der Zuchtwerte. Aber der Aufwand für das Zuchtgeschäft steigt – und die Erlöse sinken. 

Für Alois Loddenkemper aus Rinkero-de  (Westfalen)  überwiegen  die  Vor-

teile  der  genomischen  Selektion:  „Die Zuchtwerte der Jungbullen sind sicherer und der Zuchtfortschritt steigt.“ Größtes Plus  der  „Genomics“  ist  für  den  Hol-stein-Züchter aber, dass sich leichter fest-stellen  lässt,  welche  Bullenmutter  wirk-lich hält was sie verspricht: „Bullenmüt-

ter  mit  Sonderbehandlung  dürften  jetzt der Vergangenheit angehören.“

Doch  nicht  alle  Züchter  sind  erfreut, über die neuen Möglichkeiten in der Rin-derzucht, wie Thomas Wiethege aus Halver im Sauerland: „Zurzeit ist es frustrierend: früher  konnte  ich  aus  einer  Spülung  drei oder vier männliche Kälber an die Zucht-organisationen verkaufen. Inzwischen sind Spülungen dabei, bei denen nicht mal ein Kalb verkauft werden kann.“

Schlechte Bezahlung in der Kritik

Der  engagierte  Züchter  hatte  in  den letzten  Jahren  jährlich  ca.  15  männliche Kälber  an  Zuchtorganisationen  weltweit verkauft. In diesem Jahr waren es erst zwei Kälber. Wiethege  glaubt  zwar  an  das  In-strument  genomische  Selektion,  dennoch ist  er  enttäuscht. Trotz  einer  hohen  Leis-tung von über 11 000 kg im Schnitt und ei-nem Top-Exterieur, ist die Ausbeute an po-tenziellen  Bullenkälbern  bislang  beschei-den.  „Ich  frage  mich  ernsthaft,  ob  das Spülen  und  Einpflanzen  von  Embryonen 

noch Sinn macht, schließlich entstehen so  Kosten von 500 bis 1 500 € pro Spülung, die ich ohne den Verkauf eines Kalbes kaum wieder einspielen kann“, so der Züchter.  

Andere Züchter bemängeln die schlech-te  Bezahlung  der  Kälber:  „Der  Züchter trägt  das  Risiko  und  die  Kosten  alleine“, kritisiert  Markus  Mock  aus  Markdorf  in Baden-Württemberg.  „Die  Ankaufpreise für die männlichen Kälber müssten höher sein, absolute Untergrenze wären 10 000 €. Wenn die Zuchtorganisationen hier nicht bald reagieren, werden etliche Züchter die Flinte ins Korn werfen“, so Mock.

Bislang  haben  die  Organisationen  auf die  Kritik  der  Züchter  nur  unzureichend reagiert, so zahlen die WEU und die RUW für einen Standardbullen (gRZG 130) in-zwischen ca. 6 000 € pro Tier. Bei absoluten Spitzenbullen  zahlt  die  OHG  immerhin zwischen 10 000 und 15 000 €. Die Vertrags-klauseln ändern sich aber laufend. Vor der genomischen  Selektion  lagen  die  Kauf-summen zwischen 1 500 und 4 000 €. 

Weiterer  Kritikpunkt:  Viele  Züchter 

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»Wir Züchter sind den Zucht-organisationen ausgeliefert.« Andreas Lohmöller, Listrup.

durchgeführt werden soll. Eini-ge  Verbände  wollen  aus  Kos-tengründen darauf verzichten.

Fazitn  Die  genomische  Selektion sorgt  für  einen  massiven  Um-bruch in der Zucht. Testbullen-programme werden eingestellt bzw.  abgespeckt,  die  Bullen-mütterprüfung aufgegeben.  n  Der  Milchviehhalter  kann mit genomisch getesteten Bul-len den Zuchtfortschritt in sei-ner Herde beschleunigen, denn 

die  Jungbullen  sind  in  ihrer Vererbung  sicherer  als  die  ur-sprünglichen  Testbullen.  Den-noch  sollten  nachkommenge-prüfte Bullen erste Wahl sein. n  Der Frust bei den Züchtern ist  derzeit  groß.  Schließlich bricht  mit  dem  Verkauf  von männlichen  Kälbern  an  die Stationen ein Teil des Einkom-mens  weg. Wenn  sich  die  Be-zahlung  für  die  wenigen  ver-käuflichen  Kälber  nicht  bes-sert, dürfte so mancher Züchter resigniert  das  Handtuch  wer-fen.   Ansgar Leifker j

fühlen  sich  den  Zuchtunter-nehmen ausgeliefert, denn die genomischen  Zuchtwerte  der männlichen Kälber erhält bis-lang zuerst die Besamungssta-tion.  Männliche  Kälber  kön-nen nur im Auftrag der Orga-nisationen untersucht werden. 

„Den  Wert  meines  Kalbes kennt  also  zunächst  nur  die Zuchtorganisation“, klagt An-dreas  Lohmöller  aus  Listrup im  Emsland.  Der  Schwarz-bunt-Züchter  und  Schaurich-ter wünscht sich mehr Wettbe-werb.  „Gut  wäre  es,  wenn  ich zuerst den genomischen Zucht-wert meines Kalbes kenne und dann  mit  den  Stationen  über einen Preis verhandeln kann.“ 

Doch  die  Organisationen schalten  bislang  auf  stur. Schließlich haben sie mehrere 

Millionen Euro in das Projekt „Genomics“  investiert  und wollen nun vorerst ihre Rechte an den Zuchtwerten sichern. 

Zumindest in Nordameri-ka dürfte sich dies schon bald ändern.  Dort  sehen  viele Züchter  dem  1.  März  2013 mit  Vorfreude  entgegen.  Ab diesem Tag  können  sie  auch ihre  männlichen  Kälber  ge-nomisch  untersuchen  lassen. „Viele  US-Stationen  sehen dieses  Datum  dagegen  mit gemischten  Gefühlen,  da  sie eine  Verteuerung  beim  Bul-lenankauf  befürchten“,  so  Dr. Hermann Niermann von  GenePool. Aber auch für die hiesigen  Züchter  wäre  dann der Weg frei, männliche Tiere in  den  USA  untersuchen  zu lassen.  Spätestens  dann,  so die  Erwartung,  müsste  auch im  Euro-Genomics-Gebiet die Untersuchung männlicher Tiere durch Züchter möglich sein. 

Dann  könnte  auch  jeder Deckbulle  einen  genomi-schen  Zuchtwert  erhalten. „Es wäre aber auch denkbar, dass  sich  Züchter  zusam-menschließen und gute Bul-len  gegen  Entgelt  bei  einer Besamungsstation  absamen lassen und das Sperma selbst vermarkten“, zeigt Dr. Nier-mann  eine  weitere  Option auf.  Dadurch  würde  der Spermamarkt mächtig in Be-wegung  kommen.  Ob  es  so kommt, bleibt offen.

In  Deutschland  werden vorerst nur jene Deckbullen mit genomischem Zuchtwert angeboten,  die  aufgrund  ihrer  niedrigen  Zuchtwerte nicht  von  den  Besamungs-stationen  aufgekauft  wer-den.   -al-

1. Korrekturlauf

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Z u c h t

So werden die Jungbullen vermarktet

Seit Mitte August bieten fast alle Zuchtorgannen genomische Jungbullen an.

Wie  sieht  das  Angebot  an  genomi-schen  Jungvererbern  demnächst 

aus? Wir haben die deutschen Organisa-tionen  und  Spermaimporteure  befragt. Fast alle Zuchtorganisationen fahren eine andere Strategie, z. T. stehen die Entschei-

R 10  top  agrar  9/2010

Der US-Bulle Super (CRI) konnte seinen genmit den ersten Nachkommen-Daten bestätige

dungen sogar noch aus. Selbst in den  Kooperationen TopQ  oder NOG wird unterschiedlich vor-gegangen.n  Die  Masterrind  wird  ihre „heißen“  Jungbullen,  wie  z. B. Boyle, Marnie, Spontan oder Ba-kombre,  als  einzelne  Vererber unter dem Markennamen „Mas-tergen“  vertreiben.  Die  Kosten für die Jungbullen sollen je nach Qualität  zwischen  4  und  17 €  liegen.  Ähnlich  will  auch  die RBW und WEU agieren.n  Die RSH und auch die ZBH in  Hessen  wollen  ihre  genomi-schen  Jungbullen  (Schaumura oder  Elburn  RF)  hingegen  in Produktlinien  vermarkten,  um den Landwirten die Auswahl zu erleichtern.  Dabei  werden  die Bullen nach Vererbungsschwer-punkten sortiert angeboten, wie z. B.  nach  Exterieur,  Nutzungs-dauer oder Outcross. Innerhalb dieser  Kategorien  wird  es  eine kleine  Auswahl  an  Bullen  ge-ben. Die Preise sollen sich zwi-schen 5 und 20 € bewegen,n  Die RUW schlägt noch einen anderen  Weg  ein.  Die  genomi-schen  Jungbullen  werden  hier unter  dem  Namen  RUW  Select und  SelectPlus  verkauft.  Im  Se-lectPlus-Pool  sind  nur  hochver-anlagte  Bullen  (ca.  10)  wie  z. B. Malindo,  Selayo  oder  Sterngold 

zu  finden,  die  nach  dem  konventionellen Testeinsatz für den freien Einsatz zur Ver-fügung stehen. Im „normalen“ Selectpool landen Jungbullen, die aufgrund ihrer viel-versprechenden  Gene  in  den  konventio-nellen Testeinsatz gehen. Die Preise liegen 

isatio-

omischen Zuchtwert n.

Boyle (Bolton x ShotMasterrind.

bei  7 €  für  die  „normalen“  genomischen Jungbullen, und 24 € für Spitzenbullen. n  Die  OHG  oder  der  VOST  haben  bis zum  Redaktionsschluss  noch  keine  Ent-scheidung getroffen. Die ostdeutschen Ver-bände RBB, RMV, RSA und LTR waren zu keiner Auskunft bereit. 

Importeure bieten wieder Jungbullen an

Aber nicht nur die deutschen Stationen bieten seit Mitte August genomische Jung-bullen  an.  Auch  die  Importeure  dürfen jetzt wieder Jungbullen in Deutschland an-bieten,  nachdem  der  Verkauf  von  so  ge-nannten Super Samplern  jahrelang durch das Tierzuchtgesetz untersagt war. Durch die offizielle Anerkennung der Zuchtwert-schätzung  aus  den  USA  oder  Kanada  ist jetzt ein Verkauf von ausländischen Jung-bullen in Deutschland wieder möglich. 

Allerdings  dürfen  die  Bullen  nur  mit den jeweiligen Länder-Zuchtwerten ange-boten werden. Denn eine Umrechnung der genomischen  Zuchtwerte  über  Interbull wird wohl auf absehbare Zeit nicht mög-lich sein. 

Daher  werden  US-Bullen  mit  US-Zuchtwert und kanadische Bullen mit ka-nadischem  Zuchtwert  angeboten.  Alle Spermaimporteure,  ob  ABS,  CRI,  WWS, Semex oder CRV scheinen auf die Einzel-tiervermarktung zu setzen.

Martin  Buschsieweke  von  Semex-Deutschland: „Wir werden wahrscheinlich acht bis zehn Jungbullen in unser Angebot aufnehmen, die wir in Deutschland anbie-ten  werden.“  Ähnlich  verfährt  auch  Hu-bertus  Wasmer  von  CRI-Genetics:  „Wir bieten zunächst  fünf Einzelbullen an, mit der Zeit wird die Bullenauswahl dann er-weitert.“  j

tle) zählt zu den Top-Jungbullen der