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Die dritte Generation Genomsequenzierer MICHAEL G ROß DNA-Molekülen, welche genau an dieser Stelle enden [9]. Technisch lässt sich der Kettenabbruch auf zwei verschie- dene Weisen erreichen: durch Verdau mit Endonucleasen, oder durch Synthese in Anwesenheit von blockierten Bau- steinen. In beiden Fällen erhält man für jede der vier DNA- Basen (A=Adenin, C=Cytosin, G=Guanin, T=Thymin) eine Mischung von Ketten, die mit dieser Base abbrechen, und die man dann mittels Elektrophorese nach ihrer Länge sor- tiert (Abbildung 1). Dieses Verfahren war sehr erfolgreich, als man in den 80er Jahren einzelne Gene klonierte und sequenzierte, und ließ sich mit der Einführung von Kapillarelektrophorese und Fluoreszenzmarkern auch effizienter gestalten, als es in seiner ursprünglichen Form war. Doch für Großprojekte wie das menschliche Genom trieb der hohe Materialbedarf die Kosten in astronomische Höhen. Der prominente Ge- nomforscher George Church verließ das Projekt unter Pro- test, als die Entscheidung fiel, das Genom mit dieser veral- teten Technik zu entschlüsseln, anstatt erst einmal in bes- sere Methoden zu investieren. Die zweite Generation Erst nach Abschluss der Entwurffassung des Humangenoms, im Jahr 2005, kamen Sequenzierverfahren der zweiten Ge- neration auf den Markt (Abbildung 2), die man für solche Genomprojekte eigentlich braucht. (In Medien, die noch nicht von der dritten Generation gehört haben, finden Sie für diese Technologien auch den Begriff „Next Generation Sequencing,“ der aber inzwischen nicht mehr eindeutig ist.) Mit verschiedenen Tricks gelang es konkurrierenden Fir- men, die zur Basen-Identifizierung eingesetzte Reaktion re- versibel zu machen, so dass man nach Auslesen einer Base einfach weiterlesen kann. Bei der zur Zeit marktbeherrschenden Solexa-Technik der US-Firma Illumina funktioniert das zum Beispiel so, dass man die Synthese eines komplementären Gegenstrangs zu der zu lesenden DNA mit Hilfe von Fluoreszenzmarkern an den eingebauten Basen verfolgt. Jedes markierte Nucleotid blockiert zwar zunächst die weitere Kettenverlängerung, doch kann man diese Blockade dann durch Abspaltung der Markierung aufheben und das nächste Nucleotid anhängen. Beim Pyrophosphat-Verfahren der Firma 454, mit dem das persönliche Genom von James Watson und das erste Ne- andertaler-Genom sequenziert wurden, dient das bei der Verknüpfung der DNA-Bausteine abgespaltene Pyrophos- phat als Signalgeber. Bei dem SOLiD-Verfahren von Applied Biosystems (inzwischen mit Invitrogen zu Life Technolo- Die lebende Zelle kann ihre genetische Gebrauchsanweisung von einem einzelnen DNA-Doppelstrang ablesen. Forscher brauchten zum Entziffern des Erbmaterials bisher vergleichs- weise riesige Mengen. Erst die jetzt vor der Einführung stehen- den Sequenzierer der dritten Generation können einzelne DNA-Moleküle direkt lesen, was weitreichende Auswirkungen auf Medizin und Gesellschaft haben wird. B ei der klassischen, in den 1970ern eingeführten San- ger-Methode, die auch noch zur Erstsequenzierung des menschlichen Genoms herhalten musste, benötigt man für jede einzelne Sprosse der DNA-Leiter eine Population von 184 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2011, 45, 184 – 187 DOI: 10.1002/ciuz.201100553 ABB. 1 DIE KETTENABBRUCHMETHODE Jede der vier Reaktionsmischungen enthält die zu sequenzierende DNA (Matrize), einen Primer, die Desoxynucleotidtriphosphatverbindungen (dATP etc.) und eines der vier Didesoxynucleosidtriphosphate (ddATP etc.). Die Verlängerung des Primers ergibt DNA-Ketten, die mit einem Didesoxynucleotid enden. Eine Gelelektrophorese der Fragmente ermittelt die Längen von Polynucleotidketten, deren terminale 3‘-Gruppen bekannt sind [10].

Genomsequenzierer. Die dritte Generation

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Die dritte Generation

GenomsequenziererMICHAEL GROß

DNA-Molekülen, welche genau an dieser Stelle enden [9].Technisch lässt sich der Kettenabbruch auf zwei verschie-dene Weisen erreichen: durch Verdau mit Endonucleasen,oder durch Synthese in Anwesenheit von blockierten Bau-steinen. In beiden Fällen erhält man für jede der vier DNA-Basen (A=Adenin, C=Cytosin, G=Guanin, T=Thymin) eineMischung von Ketten, die mit dieser Base abbrechen, unddie man dann mittels Elektrophorese nach ihrer Länge sor-tiert (Abbildung 1).

Dieses Verfahren war sehr erfolgreich, als man in den80er Jahren einzelne Gene klonierte und sequenzierte, undließ sich mit der Einführung von Kapillarelektrophoreseund Fluoreszenzmarkern auch effizienter gestalten, als es inseiner ursprünglichen Form war. Doch für Großprojektewie das menschliche Genom trieb der hohe Materialbedarfdie Kosten in astronomische Höhen. Der prominente Ge-nomforscher George Church verließ das Projekt unter Pro-test, als die Entscheidung fiel, das Genom mit dieser veral-teten Technik zu entschlüsseln, anstatt erst einmal in bes-sere Methoden zu investieren.

Die zweite GenerationErst nach Abschluss der Entwurffassung des Humangenoms,im Jahr 2005, kamen Sequenzierverfahren der zweiten Ge-neration auf den Markt (Abbildung 2), die man für solcheGenomprojekte eigentlich braucht. (In Medien, die nochnicht von der dritten Generation gehört haben, finden Siefür diese Technologien auch den Begriff „Next GenerationSequencing,“ der aber inzwischen nicht mehr eindeutig ist.)Mit verschiedenen Tricks gelang es konkurrierenden Fir-men, die zur Basen-Identifizierung eingesetzte Reaktion re-versibel zu machen, so dass man nach Auslesen einer Baseeinfach weiterlesen kann.

Bei der zur Zeit marktbeherrschenden Solexa-Technikder US-Firma Illumina funktioniert das zum Beispiel so, dassman die Synthese eines komplementären Gegenstrangs zuder zu lesenden DNA mit Hilfe von Fluoreszenzmarkern anden eingebauten Basen verfolgt. Jedes markierte Nucleotidblockiert zwar zunächst die weitere Kettenverlängerung,doch kann man diese Blockade dann durch Abspaltung derMarkierung aufheben und das nächste Nucleotid anhängen.

Beim Pyrophosphat-Verfahren der Firma 454, mit demdas persönliche Genom von James Watson und das erste Ne-andertaler-Genom sequenziert wurden, dient das bei derVerknüpfung der DNA-Bausteine abgespaltene Pyrophos-phat als Signalgeber. Bei dem SOLiD-Verfahren von AppliedBiosystems (inzwischen mit Invitrogen zu Life Technolo-

Die lebende Zelle kann ihre genetische Gebrauchsanweisungvon einem einzelnen DNA-Doppelstrang ablesen. Forscherbrauchten zum Entziffern des Erbmaterials bisher vergleichs-weise riesige Mengen. Erst die jetzt vor der Einführung stehen-den Sequenzierer der dritten Generation können einzelneDNA-Moleküle direkt lesen, was weitreichende Auswirkungenauf Medizin und Gesellschaft haben wird.

Bei der klassischen, in den 1970ern eingeführten San-ger-Methode, die auch noch zur Erstsequenzierung des

menschlichen Genoms herhalten musste, benötigt man fürjede einzelne Sprosse der DNA-Leiter eine Population von

184 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2011, 45, 184 – 187

DOI: 10.1002/ciuz.201100553

A B B . 1 D I E K E T T E N A B B R U C H M E T H O D E

Jede der vier Reaktionsmischungen enthält die zu sequenzierende DNA (Matrize),einen Primer, die Desoxynucleotidtriphosphatverbindungen (dATP etc.) und einesder vier Didesoxynucleosidtriphosphate (ddATP etc.). Die Verlängerung des Primersergibt DNA-Ketten, die mit einem Didesoxynucleotid enden. Eine Gelelektrophoreseder Fragmente ermittelt die Längen von Polynucleotidketten, deren terminale 3‘-Gruppen bekannt sind [10].

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gies fusioniert), baut man den Gegenstrang aus markiertenOligonucleotiden auf. In allen Fällen wird der Schwach-punkt des Sanger-Verfahrens, die Repräsentation jeder ein-zelnen Base durch eine Population von (mitunter sehr lan-gen) DNA-Molekülen vermieden.

Durch diese fundamentale Verbesserung, untermauertdurch integrierte Parallelisierung und Miniaturisierung desVerfahrens, konnten die Kosten eines menschlichen Ge-noms, die im ersten Durchgang noch in der Größenord-nung von Milliarden Euros lagen, bis auf fünfstellige Zahlenreduziert werden, und Experten peilen bereits das 1000-Dollar-Genom als realistisches Ziel an.

Um dieses zu erreichen, wird man allerdings nicht mehrauf die zur Zeit vorherrschenden Methoden der zweitenGeneration setzen, sondern auf eine dritte Generation vonVerfahren, die nicht nur DNA-Moleküle kontinuierlich le-sen können, sondern dabei auch, ebenso wie die Zelle, miteinem einzelnen DNA-Doppelstrang auskommen. Weitereangestrebte Merkmale der Sequenzierer der dritten Gene-ration sind benutzerfreundliche und kostengünstige elek-tronische Ausleseverfahren sowie die Möglichkeit des kon-tinuierlichen Auslesens langer DNA-Abschnitte.

Vorboten der dritten GenerationDas erste Einzelmolekülverfahren brachte die Firma HelicosBiosciences auf den Markt. Im August 2009 publizierte He-licos-Mitgründer Stephen Quake sein eigenes Genom, daser mit nur zwei Mitarbeitern analysiert hatte – das erstedurch Einzelmolekülmethoden entschlüsselte menschlicheGenom [1].

Das Helicos-Verfahren (Abbildung 3) beruht ebenso wiedas oben erwähnte Solexa-Verfahren auf der Beobachtungder Synthese eines komplementären Gegenstrangs zu demexistierenden DNA-Molekül. Hierzu verankert man die DNA-Moleküle auf einem Chip und bringt sie schrittweise mitden verschiedenen Reagentien in Kontakt. Man bietet ihnenjeweils nur eine Base an, und nach dem Kupplungsschrittwird die Fläche mit einem speziellen „DNA-Mikroskop“ fo-tografiert, wobei Lichtflecken anzeigen, an welchen der tau-senden von gleichzeitig (aber eben individuell) analysiertenMolekülen eine erfolgreiche Ankupplung einer neuen Basestattgefunden hat. Dieser Detektionsschritt erfordert extremaufwendige Optik und ein erschütterungsfreies Fundament(typischerweise eine Granitplatte), was das ganze Gerät un-handlicher und deutlich teurer macht als die im Momentvorherrschenden Instrumente der zweiten Generation.

Im Dezember 2010 brachte Life Technologies in Carls-bad, Kalifornien, einen Sequenzierer namens Ion PersonalGenomics Machine auf den Markt, der auf einem völlig neu-en Prinzip beruht. Die Start-up-Firma Ion Torrent, die erstim letzten Herbst von Life Technologies aufgekauft wurde,hatte dieses Verfahren entwickelt, das zwar nicht auf Ein-zelmolekülbasis funktioniert, aber gegenüber dem Helicos-Verfahren einen entscheidenden Vorteil hat. Erstmals zeich-net das Gerät direkt ein elektronisches Signal auf. Es misstdie Freisetzung eines einzelnen Wasserstoff-Ions bei der An-

kopplung eines Nucleotids, es handelt sich also praktischum ein höchst empfindliches pH-Meter. Die vier verschie-denen Nucleotide werden abwechselnd zur Reaktion an-geboten, und das elektronische Signal verrät ob keines, einsoder mehrere Exemplare eingebaut wurden. Falls dieselbeBase mehrmals hintereinander eingebaut wird, kann manaus der Stärke des Signals direkt ablesen, wie viele Proto-nen freigesetzt wurden. Dank dieser Errungenschaft kommtder neue Sequenzierer ohne aufwendige Fluoreszenz-Op-tik aus und kann als handliches (und relativ erschwingli-ches) Desktop-Gerät praktisch überall eingesetzt werden.

Die Firma Pacific Biosciences (PacBio) in Menlo Park inKalifornien hat ihren Einzelmolekül-Sequenzierer nach einermehrmonatigen Testphase am 27. April auf den Markt ge-bracht. Vorab hatten Forscher bereits Prototypen des Gerätsdazu benutzt, die Genome der Cholera-Erreger in Haiti imdirekten Vergleich mit solchen aus Asien und Lateinameri-ka zu sequenzieren, was mithalf, die Herkunft der Epidemieaufzuklären [2].

PacBio verwendet wie die meisten bereits existieren-den Verfahren ebenfalls Synthese-gestützte Sequenzierungund Fluoreszenz zur Detektion, hat dem Verfahren aber ei-nige clevere Verbesserungen abgerungen, die es vermutlichermöglichen werden, ohne den massiven instrumentellenAufwand des Heliscope-Verfahrens auszukommen.

Bei der PacBio-Technik findet die Synthese jedes ein-zelnen Strangs in je einer extrem kleinen Mulde mit einemDurchmesser im zweistelligen Nanometer-Bereich statt. Dadie Abmessungen kleiner sind als die Wellenlänge von sicht-barem Licht, kann dieses nur 20–30 nm tief eindringen undein Volumen von etwa 20 Zeptolitern (10–21 l) erreichen. Eingrößeres Beispiel des Phänomens sind die perforierten Ble-che in den Türen von Mikrowellenöfen, wo die millime-tergroßen Löcher die langwelligeren Mikrowellen abfangen.

Wenn sich in diesem winzigen Volumen nun ein Mole-kül des Enzyms DNA-Polymerase befindet und einen ein-zelnen DNA-Strang repliziert, bleibt kein Platz für andereMoleküle, welche zu Störsignalen führen könnten. Wenn al-

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Abb. 2 Sequen-zierautomatender 2. Generation

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so aus dieser Mulde ein Fluoreszenzsignal zurückkommt,handelt es sich garantiert um die gerade an der Kupp-lungsreaktion teilnehmende Base. Damit die wachsendeDNA-Kette kein Hintergrundrauschen erzeugt, ist der Fluo-reszenzmarker nicht wie bisher üblich an der Base selbst,sondern an einer der beiden Phosphatgruppen befestigt,die bei der Verlängerung eines Nucleinsäurestrangs als Py-rophosphat abgespalten werden.

Neue Verfahren entwickelt auch die Firma CompleteGenomics in Mountain View, Kalifornien, allerdings mit ei-nem anderen Geschäftsmodell. Complete Genomics willkeine Geräte verkaufen, sondern baut diese nur zur eigenenVerwendung im kommerziellen Service-Betrieb. Innovatio-nen im Bereich der Immobilisierung der zu sequenzieren-den DNA in Arrays bzw. „DNA Nanoballs“ haben es Com-plete Genomics ermöglicht, die Materialkosten bei der Se-quenzierung Ende 2009 bis auf $4400 zu drücken [3].

Streben nach PerfektionDer perfekte Sequenzierautomat, der alle an die dritte Ge-neration gestellten Erwartungen erfüllt, existiert allerdingsnoch nicht, und es ist noch unklar, welches der konkurrie-renden Verfahren diesen Perfektionsgrad zuerst erreichenwird.

Große Hoffnungen hat man bei der Firma Oxford Na-nopore, die als Spinout aus dem Labor des ChemikersHagan Bayley an der Universität Oxford hervorging. DieseFirma benutzt künstlich veränderte Versionen von biologi-schen Membranporen (Nanoporen) als elektronisches Zähl-gerät für die Identifizierung von abgetrennten Basen (Ab-bildung 4). Sie hat also sowohl von der synthesegestütztenSequenzierung als auch von der optischen Detektion Ab-schied genommen.

Vor zwei Jahren konnten Mitarbeiter der Firma zeigen,dass ihre Nanoporen nicht nur alle vier Basen zuverlässigvoneinander unterscheiden können, sondern dass sie zu-sätzlich auch methylierte Cytosine erkennen, was für dieAnalyse der regulatorischen Markierung von Genen, alsoder Epigenetik, von entscheidender Bedeutung ist [4].

Die Nanoporen bestehen aus dem Membranprotein Hä-molysin des Bakteriums Staphylococcus aureus, dessen In-nenraum die Forscher durch Einbau eines kovalent veran-kerten Cyclodextrin-Derivats zusätzlich verengt haben, umdie Diffusion von Nucleotiden durch die Pore zu verlang-samen. Baut man eine solche Nanopore in eine Membranzwischen zwei Flüssigkeitsbehältern ein und legt eine ge-ringe Spannung an, so fließt ein konstanter Strom durch diePore. Wandert ein DNA-Nucleotid durch die Pore, so wirdder Stromfluss rund eine Zwanzigstel Sekunde lang blo-ckiert, wobei der charakteristische Verlauf der Stromkurvees ermöglicht, die in dem Nucleotid enthaltene Base zuidentifizieren.

Der zweite, noch zu optimierende Teil der Nanoporen-Technik ist die Anbringung eines DNA-verdauenden En-zyms, welches die Nucleotide von einem Ende des Strangsher abtrennt und einzeln der Pore zuführt. Eine solche Nu-clease, die eine Nucleinsäure vom Ende her anknabbert,nennt man eine Exonuclease, im Gegensatz zu den bei derSanger-Methode verwendeten Endonucleasen, die mittenim Strang einen Schnitt machen.

Als interessante Alternative untersucht man in derGrundlagenforschung allerdings auch die Möglichkeit, die in-takte DNA durch eine Nanopore hindurchzufädeln. Eine ge-eignete Pore, welche die intakte DNA langsam genug durch-schleust, um Sequenzanalyse prinzipiell zu ermöglichen, ha-ben Forscher an der Universität von Kalifornien in SantaCruz vor kurzem gefunden [5]. Ein Verfahren, das geeignetist, die Basen der DNA während dieses Porendurchtritts zuidentifizieren, wurde allerdings noch nicht berichtet.

Mit dem Hinddurchfädeln intakter Einzelstränge durchNanoporen befasst sich auch die Arbeitsgruppe von JensGundlach an der University of Washington in Seattle. Dortbenutzt man das Protein Porin A aus Mycobacterium smeg-matis als so genannte MspA-Pore. Die Arbeitsgruppe konn-te vor kurzem zeigen, dass man den Durchtritt eines DNA-Einzelstrangs durch diese Pore durch Doppelstrangbildungan definierten Stellen stoppen kann [6]. Mittels der Messungdes Stromflusses durch die Pore können die Forscher auchidentifizieren, welches Nucleotid sich gerade in der Pore be-findet, doch wie man diese Methode an die Anforderungendes Sequenzierens langer DNA-Abschnitte mit hoher Ge-schwindigkeit anpassen könnte, ist noch nicht geklärt.

Aus rein wissenschaftlicher Perspektive interessant istauch der Ansatz der kleinen Firma VisiGen Biotechnologies,die inzwischen ebenfalls von Life Technologies aufgekauftwurde. Bei deren noch in der experimentellen Entwicklungbefindlichen Verfahren ist die DNA-Polymerase, welche denzu lesenden DNA-Strang mit einem komplementären Ge-genstrang ersetzt, an einen Quanten-Punkt gekoppelt, des-

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Position

1 2 3Cycle 1 - - GCycle 2 C C -Cycle 3 A A A Cycle 4 - - TCycle 5 C - - -Cycle X G G -

1

2

3

Abb. 3 Das Heli-cos-Verfahren

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sen optische Eigenschaften so empfindlich von der mole-kularen Umgebung abhängen, dass man im Prinzip unter-scheiden kann, welches der vier DNA-Nucleotide gerade imaktiven Zentrum der Polymerase andockt.

Ein fundamentales Problem bei dieser Vorgehensweiseist allerdings, dass die Polymerase auch nichtpassende Nu-cleotide zunächst einmal aufnimmt und dann nach Prüfungverwirft. Die Unterscheidung zwischen produktiven (alsodie DNA verlängernden) und unproduktiven Ereignissendürfte eine große Herausforderung bei der Weiterentwick-lung dieser Methode sein.

Auswirkungen auf Medizin und GesellschaftExperten rechnen damit, dass die Einführung eines preis-günstigen, kompakten und benutzerfreundlichen Sequen-zierautomaten der dritten Generation viele Bereiche derMedizin revolutionieren wird, darunter etwa die Krebsbe-handlung. Wenn Sequenzierautomaten erst in allen Kran-kenhäusern zur Verfügung stehen, können sie bei kniffligendiagnostischen Problemen zu Rate gezogen werden.

Dabei geht es keineswegs nur darum, bei Erbkrankhei-ten die verantwortliche Mutation zu finden. Auch die Zu-sammensetzung der Darmflora lässt sich durch massive Se-quenzierung studieren [7]. Und bei Tumoren kann der Ver-gleich zwischen entarteten und gesunden Zellen mithelfen,für jeden einzelnen Patienten eine spezifische Therapie mitmöglichst geringen Nebenwirkungen zu finden (sieheChiuZ Heft 1/2010, S. 8).

Eine große gesellschaftliche Herausforderung wird al-lerdings die damit erzeugte Informationsmenge. Die Pro-duktivität der Sequenzierer hat sich in den letzten 10 Jah-ren nicht nur exponentiell verbessert, sondern auch sehrviel schneller als die ebenfalls exponentielle Steigerung der Leistungsfähigkeit von Computern, die sich nach demMooreschen Gesetz „nur“ alle 18 Monate verdoppelt. FürGenomsequenzierer liegt die Verdoppelungszeit bei etwasechs Monaten.

Deshalb könnte der Speicherplatz für Genom-Informa-tion schon bald knapp werden, und neue Verfahren zurKomprimierung werden bereits entwickelt [8]. Doch dernächste Engpass zeichnet sich auch schon ab: wer soll die-se Informationsflut auswerten, analysieren, und darauf ach-ten, dass sie zugänglich bleibt, aber nicht in die falschenHände gerät? Werden wir Menschenkinder mit unserem be-grenzten Verstand und einer Politik, die schon heute die For-schung nicht mehr versteht, die Informationsflut, die ausunserer eigenen Biologie sprudelt, überhaupt handhabenkönnen?

ZusammenfassungDie lebende Zelle kann ihre genetische Gebrauchsanweisungvon einem einzelnen DNA-Doppelstrang ablesen. Forscherbrauchten zum Entziffern des Erbmaterials bisher vergleichs-weise riesige Mengen. Drastische Verbesserungen kamen erstnach der Erstsequenzierung des menschlichen Genoms zumEinsatz und führten zu einer hunderttausendfachen Verbes-

serung der Kosteneffizienz. Erst die jetzt vor der Einführungstehenden Sequenzierer der dritten Generation können ein-zelne DNA-Moleküle direkt lesen, was die Kosten weiter redu-zieren und dadurch weitreichende Auswirkungen auf Medi-zin und Gesellschaft haben wird.

SummaryAlthough the living cell can read its genetic information froma single molecule of DNA, researchers have used vast numbersof identical copies in traditional sequencing methods. Dra-matic improvements in sequencing technology only becameavailable after the first sequencing of the human genome wasfinished and led to a rapid drop in costs by five orders of mag-nitude. Instruments of the third generation, now reaching themarket, will for the first time read single molecules and reducecosts even further. The implications for medicine and societywill be profound.

Literatur[1] D. Pushkarev et al., Nature Biotechnol. 2009, 27, 847.[2] C. S. Chin et al., N. Engl. J. Med. 2011, 364, 33.[3] R. Drmanac et al., Science 2010, 327, 78.[4] J. Clarke et al., Nature Nanotechnol. 2009, 4, 265[5] K. R. Lieberman et al., J. Am. Chem. Soc. 2010, 132, 17961.[6] I. M. Derrington et al., Proc Natl. Acad. Sci. USA 2010, 107, 16060.[7] J. Quin et al., Nature 2010, 464, 59.[8] M. His-Yang Fritz et al., Genome Res. 2011, DOI

10.1101/gr.114819.110[9] E. Maier u. H. Lehrach, Chem. Unserer Zeit 1997, 31, 66-75.

[10] D. Voet, J.G.Voet u. C.W. Pratt Lehrbuch der Biochemie, Wiley-VCH,Weinheim 2002.

Der AutorMichael Groß studierte Chemie in Marburg undRegensburg, wo er 1993 promovierte. Anschließenderforschte er bis 2000 am Oxford Centre forMolecular Sciences die biophysikalische Chemie derProteine. Er ist jetzt freier Wissenschaftsjournalist inOxford und schreibt regelmäßig Beiträge u.a. für,Chemie in unserer Zeit, Nachrichten aus der Chemieund Spektrum der Wissenschaft, sowie populärwis-senschaftliche Bücher. www.michaelgross.co.uk

Korrespondenzadresse: E-Mail: [email protected]

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Abb. 4 OxfordNanopore