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Stefan Teppert, M. A. (Meßstetten) Genozid in Titos Jugoslawien – Johannes Weidenheims Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“ und einige weitere Bei- spiele von literarischer Dissidenz, nonkonformer Zeugenschaft und antiideologischer Stel- lungnahme aus der donauschwäbischen, serbischen, kroatischen und ungarischen Bellet- ristik 1. Johannes Weidenheims Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“ 1.1 Einleitung Es entspricht einer langjährigen Tradition, daß bei Symposien und Fachtagungen zur deut- schen Literatur aus Südosteuropa die Länder Ungarn und Rumänien im Mittelpunkt standen, während das ehemalige Jugoslawien stets unterrepräsentiert war oder völlig fehlte. Dabei lebten in allen drei Ländern bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs jeweils etwa eine halbe Million Deutsche. Abgesehen von einer Gruppe, die bereits 1945 in den Westen floh oder aus der Gefangen- schaft entlassen wurde, fand in Rumänien nach 1945 eine Vertreibung der Deutschen nicht statt. Die im Lande Verbliebenen wurden jedoch ihrer Bürgerrechte beraubt und vollständig enteignet, nach Rußland verschleppt oder in die Bărăgan-Steppe verbannt. 1948 wurden die deutschen Rumäniens wieder zu gleichberechtigten Bürgern und konnten einen umfassen- den Kulturbetrieb in deutscher Sprache entwickeln, bis sie ab Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts als Spätaussiedler Rumänien zum größten Teil verließen, viele freigekauft von der BRD, was als die letzte Phase der donauschwäbischen Vertreibung gelten kann. Ungarn stoppte die Vertreibung seiner Deutschen und behielt etwa die Hälfte zurück. Die verbliebenen Deutsche wurden bis etwa 1950 diskriminiert, danach kam es zur Herstellung ihrer verfassungsmäßig zugesagten Gleichberechtigung und einer dadurch ausgelösten Ent- faltung des kulturellen Lebens sowie einer Normalisierung des Verhältnisses zwischen Deut- schen und Ungarn. Das ungarische Parlament hat sich schließlich am 14. Mai 1990 für das Kollektivunrecht an der deutschen Minderheit entschuldigt. In dem Dokument heißt es, „daß die 1944 begonnene Verschleppung und die dann folgende Aussiedlung der Ungarndeutschen ein die Menschenrechte schwer verletzendes ungerechten Verfahren war“ 1 . Die ethnische Säuberung Jugoslawiens von seiner deutschen Minderheit am Ende des Zwei- ten Weltkriegs und in den Jahren danach war im Unterschied zu Rumänien und Ungarn er- barmungslos und radikal, sie ist nahezu vollständig gelungen. Etwa 510.000 Menschen ver- schwanden durch Evakuierung, Flucht, Liquidierung, Verschleppung, durch die systematische Austilgung in Hungerlagern. Mindestens 195.000 Donauschwaben fielen den Tito-Schergen in die Hände. Etwa 8.000 Deutsche, hauptsächlich Männer, wurden von Ende 1944 bis An- fang 1945 in einer ersten Terrorwelle, der sogenannten „Aktion Intelligenzija“ zur Eliminie- rung der „Kulaken“ bzw. Intelligenzschicht nach Stalins Vorbild, ohne Gerichtsurteil von den kommunistischen Machthabern erschossen oder auf andere Weise ermordet. Rund 12.000 1 Kathrin Sitzler, Gerhard Seewann: Aktuelle Stimmen zur Vertreibung aus Ungarn, in: Deutschland und seine Nachbarn. Forum für Kultur und Politik, Heft 18, Bonn 1997, S. 50-83

Genozid in Titos Jugoslawien · - Genocid nad nemačkom manjinom u Jugoslaviji 1944-1948 („Genozid an der deutschen Minderheit in Jugo- slawien 1944-1948“, Text der Europa-Ausgabe

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Stefan Teppert, M. A. (Meßstetten)

Genozid in Titos Jugoslawien –

Johannes Weidenheims Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“ und einige weitere Bei-spiele von literarischer Dissidenz, nonkonformer Zeugenschaft und antiideologischer Stel-lungnahme aus der donauschwäbischen, serbischen, kroatischen und ungarischen Bellet-ristik

1. Johannes Weidenheims Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“

1.1 Einleitung

Es entspricht einer langjährigen Tradition, daß bei Symposien und Fachtagungen zur deut-schen Literatur aus Südosteuropa die Länder Ungarn und Rumänien im Mittelpunkt standen, während das ehemalige Jugoslawien stets unterrepräsentiert war oder völlig fehlte. Dabei lebten in allen drei Ländern bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs jeweils etwa eine halbe Million Deutsche.

Abgesehen von einer Gruppe, die bereits 1945 in den Westen floh oder aus der Gefangen-schaft entlassen wurde, fand in Rumänien nach 1945 eine Vertreibung der Deutschen nicht statt. Die im Lande Verbliebenen wurden jedoch ihrer Bürgerrechte beraubt und vollständig enteignet, nach Rußland verschleppt oder in die Bărăgan-Steppe verbannt. 1948 wurden die deutschen Rumäniens wieder zu gleichberechtigten Bürgern und konnten einen umfassen-den Kulturbetrieb in deutscher Sprache entwickeln, bis sie ab Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts als Spätaussiedler Rumänien zum größten Teil verließen, viele freigekauft von der BRD, was als die letzte Phase der donauschwäbischen Vertreibung gelten kann.

Ungarn stoppte die Vertreibung seiner Deutschen und behielt etwa die Hälfte zurück. Die verbliebenen Deutsche wurden bis etwa 1950 diskriminiert, danach kam es zur Herstellung ihrer verfassungsmäßig zugesagten Gleichberechtigung und einer dadurch ausgelösten Ent-faltung des kulturellen Lebens sowie einer Normalisierung des Verhältnisses zwischen Deut-schen und Ungarn. Das ungarische Parlament hat sich schließlich am 14. Mai 1990 für das Kollektivunrecht an der deutschen Minderheit entschuldigt. In dem Dokument heißt es, „daß die 1944 begonnene Verschleppung und die dann folgende Aussiedlung der Ungarndeutschen ein die Menschenrechte schwer verletzendes ungerechten Verfahren war“1.

Die ethnische Säuberung Jugoslawiens von seiner deutschen Minderheit am Ende des Zwei-ten Weltkriegs und in den Jahren danach war im Unterschied zu Rumänien und Ungarn er-barmungslos und radikal, sie ist nahezu vollständig gelungen. Etwa 510.000 Menschen ver-schwanden durch Evakuierung, Flucht, Liquidierung, Verschleppung, durch die systematische Austilgung in Hungerlagern. Mindestens 195.000 Donauschwaben fielen den Tito-Schergen in die Hände. Etwa 8.000 Deutsche, hauptsächlich Männer, wurden von Ende 1944 bis An-fang 1945 in einer ersten Terrorwelle, der sogenannten „Aktion Intelligenzija“ zur Eliminie-rung der „Kulaken“ bzw. Intelligenzschicht nach Stalins Vorbild, ohne Gerichtsurteil von den kommunistischen Machthabern erschossen oder auf andere Weise ermordet. Rund 12.000

1 Kathrin Sitzler, Gerhard Seewann: Aktuelle Stimmen zur Vertreibung aus Ungarn, in: Deutschland und seine

Nachbarn. Forum für Kultur und Politik, Heft 18, Bonn 1997, S. 50-83

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Deutsche wurden zur Zwangsarbeit in die UdSSR deportiert und rund 180.000 in die Arbeits- und Konzentrationslager interniert, darunter rund 40.000 Kinder unter 14 Jahren, von denen 6.000 in den Lagern verstarben, während 20.000 in jugoslawischen Kinderheimen im Sinne der herrschenden Staatsideologie umerzogen wurden.2 In diesen Vernichtungslagern kamen planvoll mindestens 48.500 Donauschwaben durch Mißhandlungen, Hunger und Seuchen ums Leben und wurden größtenteils in Massengräbern verscharrt. Rund 60.000 zivile Nach-kriegsopfer haben die Deutschen Jugoslawiens zu beklagen. Nach Auflösung der Internie-rungslager 1948 mußten die arbeitsfähig gebliebenen Überlebenden weitere drei Jahre Zwangsarbeit leisten, bevor sie sich von ihrem Heimatland loskaufen durften, um auszuwan-dern, vor allem um als „Spätheimkehrer“ Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu werden.

Ab 1954 gab es kaum noch Deutsche in dem kommunistischen Balkanstaat unter Titos dikta-torischer Herrschaft. Nur 1,8 Prozent der einst im Lande lebenden Donauschwaben ist in der alten Heimat geblieben, oft deshalb, weil sie in Mischehen lebten, weil sie Schutz durch an-dersnationale Nachbarn genossen, weil ihre beruflichen Fähigkeiten zum Aufbau des neuen Staates unentbehrlich waren, weil sie zu Südslawen umerzogen wurden oder auch weil sie in seltenen Fällen als Deutsche unerkannt blieben. Die Behandlung der Deutschen Jugoslawiens in den Jahren 1944 bis 1948 und darüber hinaus trägt alle Merkmale eines Völkermords. Diese Tatsache hat Dieter Blumenwitz in einem Rechtsgutachten nachgewiesen.3

Bis heute gibt es von serbischer Regierungsseite keine offizielle Entschuldigung für das an der deutschen Minderheit begangene Unrecht, die Gesetzgebung, die einst zu ihrer Entrech-tung und Enteignung führte, besteht fort, wenn sie auch nicht mehr praktiziert wird, und in der Frage der Vermögensrestitution steht man immer noch im Anfangsstadium, obwohl die EU Druck macht. Von einer Wiedergutmachung kann bisher keine Rede sein. Die Verbrecher laufen immer noch frei herum, sofern sie noch leben, wohnen unbehelligt in den Häusern ihrer Opfer, die sie für ihren „heldenhaften“ Kampf erhielten. Couragierte serbische Histori-ker und Schriftsteller haben inzwischen aber begonnen, zumindest ihre Namen zu nennen.

Seit seinem Auseinanderbrechen stellt sich das Thema Vertreibung für Jugoslawien und die europäische Öffentlichkeit plötzlich in einer neuen Sicht. Immerhin genießt die deutsche Minderheit in Serbien inzwischen einen staatlich geschützten Status und hat sich im Jahr 2010 in der Stadt Subotica mit einem Nationalrat etabliert. Allerdings bekommen die deut-schen Organisationen des Landes keine finanzielle Unterstützung von der serbischen Regie-rung. Auch eine binationale Historikerkommission zur Untersuchung der Vertreibungsver-brechen ist im Jahr 2000 vom Parlament der Provinz Wojwodina installiert worden, jedoch liegen meines Wissens noch keine offiziellen Ergebnisse vor. Im Jahr 2009 wurde zwischen dem serbischen Präsidenten Boris Tadić und dem damaligen ungarischen Präsidenten Laszló Solyon die Gründung einer gemischten Kommission vereinbart, um die Verbrechen an der Zivilbevölkerung in der Wojwodina in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu untersuchen und geheime Massengräber aufzudecken und zu kennzeichnen. Die Lands-

2 Adalbert Karl Gauß: Kinder im Schatten, Selbstverlag, Salzburg 1950. – Karl Springenschmid: Das goldene Me-

daillon. Erzählung, Pfad, Salzburg 1953 / Neuausgabe: Leopold Stocker Verlag, Graz und Stuttgart 1977. – Georg Tscherny: Donauschwäbische Kinderschicksale, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1993 der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundesverband, Sindelfingen 1993, Heft 4, S. 242-246. – Stefan Barth: Schicksal deutscher Lagerkinder in jugoslawischen Kinderheimen, in: Donaudeutsche Nachrichten, 56. Jg., Februar 2010 3 Dieter Blumenwitz: Rechtsgutachten über die Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948, Son-

derausgabe Juristische Studien, Verlag der Donauschwäbischen Kulturstiftung, München 2002, 64 S.

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mannschaft der Donauschwaben hat daraufhin ihren Anspruch bei der serbischen Regierung angemeldet, ihre Interessen in dieser Kommission zu vertreten.4

Im ehemaligen Jugoslawien konnte in der Nachkriegszeit nach der erläuterten Lage der Din-ge kaum eine deutschsprachige Literaturszene entstehen, wenn man von ein paar bemer-kenswerten Ausnahmen unter dem Häuflein der höchstens 10.000 Zurückgebliebenen ab-sieht. Die einstigen deutschen Kulturtraditionen sind – im Unterschied zu Rumänien und Ungarn – nahezu vollständig aus dem ehemaligen Jugoslawien verschwunden. Ganz anders verhält sich dies in den neuen Heimatländern der Geflüchteten und Vertriebenen, besonders in Deutschland und Österreich, aber auch in Übersee. Sie haben in einem viertausend Seiten umfassenden Werk ihre entsetzliche Leidensgeschichte im kommunistischen Jugoslawien dokumentiert und bekannt zu machen versucht5, leider mit offenbar wenig Erfolg, denn im-mer noch ist der Völkermord an den Jugoslawiendeutschen im öffentlichen Bewußtsein kaum vorhanden.6 Viele Hundert Autoren legten ihre traumatischen Erinnerungen an Verfol-gung, Internierung, Verschleppung und Flucht nieder. Themen wie das Leben in der alten Heimat, Heimatverlust und Heimweh dominieren die allermeisten dieser Aufzeichnungen, die häufig nur aus selbsttherapeutischen Motiven verfaßt wurden, für die Schublade, für familiäre oder Freundeskreise, und wenn sie doch das Licht des Gutenberg’schen Kosmos erblickten, waren die Auflagen verschwindend gering und kursierten in aller Regel nur inner-halb der eigenen Heimatortsgemeinschaft oder bestenfalls der eigenen Volksgruppe. Es bleibt einer zukünftigen, ideologisch unbefangenen Literaturwissenschaft vorbehalten, über

4 Vgl. Serbien/Wojwodina Aktuell: Serbien und Ungarn wollen eine Deklaration über die Verbrechen in der

Woiwodina verabschieden. Artikel von B. D. Savić in „Dnevnik (Rubrik „Politika“) vom 09.01.2011, aus dem Serbischen übersetzt von Stefan Barth, in: Mitteilungen/Der Donauschwabe v. 15.02.2011, S. 3 (Berichte auch in den Ausgaben von August 2009 und Januar 2010) 5 Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien. Band 1: Ortsberichte über die Verbrechen an

den Deutschen durch das Tito-Regime in der Zeit von 1944-1948, München-Sindelfingen 1991, 19973, 998 S.;

Band 2: Erlebnisberichte, München-Sindelfingen 1993, 19973, 1040 S.; Band 3: Erschießungen – Vernichtungs-

lager – Kinderschicksale, München Sindelfingen 1995, 992 S.; Band 4: Menschenverluste – Namen und Zahlen, München-Sindelfingen 1994, 1052 S. (alle vier Bände im Verlag der donauschwäbischen Kulturstiftung)

- Die ersten drei Bände des „Leidensweges“ wurden inhaltsgleich auch als Lizenzausgabe unter dem Titel Weiß-buch der Deutschen aus Jugoslawien im Universitas Verlag in F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, Mün-chen herausgegeben

- Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948. Die Stationen eines Völkermords, Verlag der Donau-schwäbischen Kulturstiftung, München 1998, 359 S.

- Genocide of the Ethnic Germans in Yugoslavia 1944-1948, Published by Danube Swabian Association of the U.S.A., Inc., Santa Ana, California 2001, 133 S.

- Genocide of the Ethnic Germans in Yugoslavia 1944-1948, European English-Language Edition, München 2003, 224 S.

- Genocid nad nemačkom manjinom u Jugoslaviji 1944-1948 („Genozid an der deutschen Minderheit in Jugo-slawien 1944-1948“, Text der Europa-Ausgabe von „Genocide ...“ in serbischer Sprache), Belgrad 2004, Verlag der donauschwäbischen Kulturstiftung, Lizenznehmer und Herausgeber: Gesellschaft für serbisch-deutsche Zusammenarbeit, Belgrad

- Leitfaden zur Dokumentationsreihe Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948. Gesamtüber-sicht mit thematischen Ergänzungen und Register (Deutsch – Englisch – Serbisch), Verlag der donauschwäbi-schen Kulturstiftung, ca. 240 S., in Vorbereitung, München 2005, 287 S. 6 In der Nummer 1/2011 der Reihe „Geschichte“ im Spiegel-Verlag mit dem Titel „Die Deutschen im Osten“

wird der Völkermord an den Jugoslawiendeutschen immerhin erwähnt, wenn auch eine eingehende Würdigung fehlt. Walter Mayr: Treibgut am Donaustrand, Werschetz, Serbien, S. 67 f.

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den sicherlich sehr unterschiedlichen Wert dieser Werke zu urteilen. Sie werden in einer umfassenden Anthologie ediert.7

Die wenigen Ausnahmen, die es unter den aus Jugoslawien stammenden deutschsprachigen Schriftstellern zu einem größeren Bekanntheitsgrad, ja zu einem gewissen Ruhm gebracht haben, lassen sich an einer Hand abzählen. Es sind dies vor allem die Namen Johannes Wei-denheim, Franz Bahl und Franz Hutterer. Der bedeutendste unter ihnen ist zweifellos Johan-nes Weidenheim. Ich möchte seinen Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“ hier in den Mit-telpunkt stellen, weil der Autor darin so deutlich und umfassend wie sonst nirgends zu den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts Position bezieht. Es ist sowohl auf deutscher wie auf serbischer Seite die erste und zugleich tiefgründigste, bis heute wegweisende Auseinander-setzung mit dem Thema der Schuld. Neben Weidenheim sollen weitere Autoren gestreift werden, darunter vor allem donauschwäbische und serbische.

1.2 Zu Person und Werk von Johannes Weidenheim

Johannes Weidenheim, der 1918 als Ladislaus Jakob Johannes Schmidt in der damals ungari-schen, heute serbischen Kleinstadt Baćka Topola geboren wurde, stammt aus einer am Ende des 18. Jahrhunderts aus der Pfalz eingewanderten Handwerkerfamilie. Kindheit und Jugend verbrachte er in Werbaß, dem kulturellen Mittelpunkt der Batschka-Deutschen. Er wuchs dreisprachig – deutsch, ungarisch, serbisch – auf. Erste literarische Versuche des zum Lehrer ausgebildeten Schriftstellers gehen in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück, als er beim „Deutschen Volksblatt“ in Neusatz (Novi Sad) und beim deutschen Rundfunk in Belgrad als Redakteur tätig war. Während des Krieges mußte er zuerst als jugoslawischer Soldat gegen Deutschland und dann als deutscher gegen Jugoslawien dienen. Nach dem Krieg lebte er, wie viele seiner vertriebenen donauschwäbischen Landsleute, zuerst in Österreich, wo er zeitweilig Redakteur der Wochenschrift „Neuland“ war, danach war er im Schuldienst in der Lüneburger Heide und in Stuttgart, bis er sich 1952 als freischaffender Schriftsteller in Bonn niederließ. Sein umfangreiches, in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts von der Kritik geschätztes Werk umfaßt acht Romane und zwei Novellen, sieben Erzählbände und einen Gedichtband, daneben zwei Einakter, Hörspiele sowie zahlreiche Essays und Aufsätze. Auch als Übersetzer aus dem Serbischen und Slowenischen ist er hervorgetreten. Im Brenn-punkt seines Schaffens steht die Problematik von Schuld und Versöhnung zwischen den Do-nauschwaben Jugoslawiens und ihren ehemaligen serbischen und andersnationalen Nach-barn. Die Erinnerung an das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen im Pannonien seiner Kindheit einerseits, an die von Deutschen im Zweiten Weltkrieg verübten Verbrechen an den Angehörigen dieser Gruppen und an das Leid der in Kollektivhaftung ge-nommenen Donauschwaben andererseits bilden die Pole, zwischen denen sich seine Litera-tur bewegt. Mit seiner Hinwendung zum Thema deutscher Schuld und der Schuld des Tito-Regimes nimmt Weidenheim eine Sonderstellung in der ost- und westdeutschen Literatur der fünfziger und sechziger Jahre ein. Er gilt als eine der bedeutendsten literarischen Stim-men der in viele Länder zerstreuten Donauschwaben. In den siebziger Jahren publizierte Weidenheim zumindest im Westen keine Bücher, weil er, bedingt durch den Kalten Krieg, keinen Verleger mehr fand. Ein neuer Roman erschien mit „Heimkehr nach Maresi“ erst 1994. Weidenheim wurde u. a. mit dem Andreas-Gryphius-Preis und dem Donauschwäbi-

7 Die Erinnerung bleibt. Donauschwäbische Literatur seit 1945. Eine Anthologie, herausgegeben und jeweils mit

einem Vorwort von Stefan Teppert, Hartmann Verlag, Sersheim (bisher erschienen: Band 1, A-D, 1995, 669 S.; Band 2, E-G, 2000, 1021 S.; Band 3, H-J, 2004, 1010 S.; Band 4, K-L, 2009, 1143 S.)

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schen Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Er starb am 8. Juni 2002 in Bonn.

1.3 „Treffpunkt jenseits der Schuld“

Dieser Roman8 ist der Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit während und nach dem Zweiten Weltkrieg sowie der Versöhnung zwischen den schuldig gewordenen Par-teien, den Donauschwaben und den Serben, gewidmet.

Das Buch gibt ein Gespräch wieder, das der Serbe Marko Jastrogonac, der Deutsche aus Ju-goslawien Hans Daffee und der alte Jude Samuel Horowitz, dessen Herkunft ebenfalls in Pannonien liegt, im Jahr 1954 im Laufe einiger Abende miteinander geführt haben. Schau-platz ist eine deutsche Stadt mittlerer Größe, weil u. a. Ministerien genannt werden, ist sie erkennbar als die provisorische deutsche Hauptstadt Bonn, wo Johannes Weidenheim sich dauerhaft niedergelassen hatte. Die Gesprächsteilnehmer treffen sich in der Emigranten-kneipe „Konak“, das einzige balkanische Gasthaus in der Stadt, wo die Ausgewanderten, Flüchtlinge und Vertriebenen aller südosteuropäischen Staaten zur Pflege ihres Heimwehs und des guten Essens halber verkehren.

Der Roman ist in drei Teile gegliedert, wobei jeder der Teile eigentlich eine mehr oder weni-ger monologische Erzählung darstellt, miteinander verbunden werden diese Teile durch die Einleitung, Kommentare und Zwischenbemerkungen des fiktiven Autors Hans Daffee, der die Gespräche bzw. Darlegungen der drei Beteiligten für wichtig genug erachtete, um sie nach-träglich in deutscher Sprache, eigener Ausdrucksweise und raffenden Bearbeitung niederzu-schreiben. Es sei, wie er bekundet, nicht nur das Heimweh, das ihn dazu drängte, sondern auch die politische Bedeutung ihres Inhalts, in dem sich seiner Meinung nach auch ein grö-ßeres Stück unserer Welt spiegelt mit ihren Verhängnissen, offenen Rechnungen und den Möglichkeiten, diese zu schließen.

Jastrogonac und Daffee erkennen sich allmählich als alte Schulfreunde wieder, doch nach allem, was in Jugoslawien geschehen ist, begegnen sie sich zunächst feindlich, vereinbaren aber, ein Gespräch „unter uns“ zu führen, bei dem jeder den anderen aussprechen lassen muß. Daffee ist als erster an der Reihe und stellt das Leben der Deutschen in Maresi – Wei-denheims Dichter-Wort für Pannonien – und die grundstürzenden Veränderungen vor und nach dem Einmarsch der Roten Armee dar. Ein in Jahrhunderten gewachsener Organismus kollabiert. Die Deutschen sind lange unschlüssig, ob sie bleiben oder fliehen sollen, die einen tun es, die anderen nicht, weil sie meinen, durch ihr reines Gewissen geschützt zu sein, was sich jedoch als verhängnisvoller Fehler erweist. Nach dem Zwischenspiel der Umsturztage zeigt das neue Partisanen-Regime sein wahres Gesicht. Nachdem die kommunistische Pro-paganda den Haß gegen die Deutschen des Landes als „Konquistadoren Hitlers“9 aufgeheizt hat, werden diese kollektiv verantwortlich für die Verbrechen der Faschisten gemacht und ohne Unterschied verfolgt. Verhaftungen, Plünderungen, Erschießungen sind an der Tages-ordnung, Arbeitsfähige werden für Rußland zusammengefangen oder kommen in Arbeitsla-ger, Alte und Kinder werden systematisch in einem über das Land verteilten Netz von Todes-lagern durch Hunger und Krankheiten dezimiert. Die Finsternis einer „diluvialen Abrechnung“ ist angebrochen, an den Schwaben nehmen die Partisanen in einem wahren Blutrausch Ra-che, indem sie sämtliche Arten von Grausamkeit erproben.

8 Johannes Weidenheim: Treffpunkt jenseits der Schuld, C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1956, 464 S.

9 Ebenda, S. 99

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„Vielleicht war es ein alter Traum der Serben, einmal ein fremdes Volk zu beherrschen, um an diesem alle Grausamkeiten auszuprobieren, die sie als Erleidende von den Türken erlernt hat-ten. Und da kein fremdes Volk ihnen zufiel, machten sie eines aus ihrem eigenen Lande zum fremden.“10

Daffee selbst als intellektueller Zeitungsschreiber entgeht der Hinrichtung nur durch das Ein-schreiten eines russischen Offiziers und indem er sich vor seinen Peinigern demütigt und der Lächerlichkeit preisgibt.

Die Bilder des Elends vor allem im Lager Jarek, das einzige, das Weidenheim stellvertretend für alle anderen beim Namen nennt, sind erschütternd.

„Wie schwach waren sie doch! Nichts von alledem vermochten sie festzuhalten, was ihren gesellschaftlichen Rang ausgemacht hatte. Wie Traumgebilde waren ihnen ihre Äcker und Häuser, ihre Kirchen und Straßen durch die Finger geglitten; selbst die ungeheuerlichste Wil-lensanstrengung hätte das nicht verhindern können. Aber nicht allein das Erbaute, auch das Anerzogene ließ sie im Stich; sie waren nicht mehr reinlich und gesittet, sie waren nicht mehr fleißig und redlich. Sie waren nur noch das widerwärtige Werk von Bestien.“11

Der Name Jarek gehört für Weidenheim in jene Reihe, „die mit Lidice, Auschwitz und Bergen-Belsen nur unvollständig benannt ist – Namen, die als Menetekel nie vergessen werden sol-len, die aber auch – weil sie auf beiden Seiten anzutreffen sind – nicht zu Barrieren zwischen den Völkern werden dürfen.“12

In die ausgeraubten Schwabendörfern ziehen Montenegriner und Mazedonier, denen das unmenschliche Regime gleichfalls die Heimat geraubt hat und die nun in eine völlig fremde Welt verpflanzt sind, von der sie nichts verstehen, nichts wissen von der Bedeutung des Ackers als der eigentlichen Lunge dieses Landes, sie schlagen Löcher in die Decken der Häu-ser und errichten Feuerstellen darunter, zerstören, was ihnen bald fehlen wird, und sie has-sen alle Schwaben, weil man ihnen das eingeimpft hat. So ging das alte Maresi endgültig zugrunde, resümiert Daffee am Ende seiner Darstellung, erfüllt von der Gewißheit, seinen Rivalen in der Rolle des Zuhörers peinlich beeindruckt, ihm die Schuld seines Volkes nahege-bracht und ihn beschämt zu haben.

Wenngleich sich Jastrogonac durchaus nicht ungerührt zeigt, fällt seine Erwiderung selbst-bewußt aus. Zunächst macht er den Schwaben ein Zugeständnis: „Sie waren ein braves, un-schuldiges Bauernvolk, und was in den Kanzleien von Wien und Berlin ausgekocht wurde, davon hatten sie keine Ahnung und darauf besaßen sie keinen Einfluß.“13

Der Serbe Jastrogonac erzählt nun eine Geschichte, die zehn Jahre vor den von seinem deut-schen Landsmann geschilderten Ereignissen begann, nämlich im Jahr 1934/35, als der natio-nalsozialistische Ungeist mit seiner rassischen Überheblichkeit in Pannonien Einzug hielt, eine zuvor friedliche und harmonische Nachbarschaft aus dem Gleichgewicht brachte und die Saat zum Untergang legte. Die Schwaben haben Besuch aus dem Reich mit staatlichem Auftrag. Sie werden getrimmt, auf all die primitiven Balkanesen im Taumel einer angeblich überlegenen arischen Zivilisation geringschätzig hinabzublicken. Mit den Abgesandten des Reiches zusammen begehen sie die Ansiedlungsfeier ihres Dorfes Josephshausen (1785-1935) und schließen ihre alten Nachbarn kaltblütig als artfremd aus.

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Ebenda, S. 140 11

Ebenda, S. 162 12

Ebenda, S. 417 13

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Der Eindruck, den sie in Deutschland machen, ist ihnen wichtiger geworden als der Eindruck im eigenen Lande, stellt Jastrogonac bitter fest.

„Ein paar Wochen nach alledem, gleich nach der Weizenernte, fand dann die Ansiedlungsfei-er statt – das größte Fest unseres Dorfes seit seinem Bestehen und zugleich die feierliche Aus-rufung seines Untergangs. Eine Woche lang strahlten die Gesichter der Schwaben vor Stolz und biederer Provokation, und ebensolange verdunkelten sich unsere Gesichter vor Bitterkeit und Zorn. Denn die Schwaben feierten dieses wundervolle, prächtige Fest nicht mit ihren Nachbarn und Gefährten aus einer langen gemeinsamen Geschichte zusammen; sie feierten es nicht mit den Serben und Zigeunern, nicht mit den Magyaren und Juden, nicht mit all je-nen, die seit jeher die bunte Gemeinschaft des vielsprachigen Dorfes bildeten. Sie setzten sich vielmehr ganz klar von allen ab, die nicht ihres Blutes waren, und teilten ihren erlauchtesten Gedenktag nicht mit denen, die schon lange vor ihnen im Lande gewesen waren, die ihnen als Knechte und Kunden zum Reichtum mitverholfen und sie durch ihr bloßes Da-Sein und An-ders-Sein zur höchsten Entfaltung ihrer Kräfte angespornt hatten. Schon dies kränkte uns natürlich, denn wir bekamen zu fühlen, daß wir ihnen nicht gut genug und daß wir in ihren Augen am gemeinsamen Werk der Heimat nicht beteiligt waren. Unsere Mitwirkung blieb auf den amtlichen Teil beschränkt; sie ging nur so weit, wie die Gesetze des Staates er erforder-ten.“14

Weidenheim erwähnt zwar, daß die Älteren unter den Schwaben sich dem Rausch wider-setzten, der die Zerstörung ihrer eigenen gesamten Geschichte zur Folge haben mußte, daß sie aber den Kampf gegen die Erneuerer verloren und alles laufen ließen, wie es lief.15 Man könnte behaupten, daß die Darstellung dieses Konfliktes Ende der dreißiger Jahre in Wei-denheims Roman zu kurz kommt, daß er die politische Polarisierung der Donauschwaben, wie Erneuerer und Kulturbündler, Schwarze, Rote und Magyaronen sich gegenseitig be-schimpfen und bekämpfen, nicht ausreichend darstellt, doch ist dieser Konflikt stellvertre-tend in den tragenden Figuren von Jakob und Ludwig Köppel bis hinein in die familiären Verwerfungen zwischen Vätern und Söhnen ausgemalt.

Auch von deutschen Herren und serbischen Knechten ist die Rede, vom Bodenhunger, Hochmut und Besitzerstolz der donauschwäbischen Großgrundbesitzer, denen Standesun-terschiede wichtig, solche der Nationalität aber eher fremd sind. Die Figur des selbstgerech-ten, gönnerhaften, ausbeuterischen Bauern Jakob Köppel steht für diese verbreitete Spezies, die auch aus anderen Quellen, aus Werken der donauschwäbischen Literatur vielfach be-zeugt ist. Weidenheim hat mit dem reichen, massigen, herrischen Jakob Köppel einen reprä-sentativen Typus gezeichnet, auch wenn gerade diese Figur bei donauschwäbischen Lesern als klischeehaft empfunden und kritisiert wurde.

Köppels noch schulpflichtiger Sohn Ludwig ist mit Duschan, dem Sohn seines Vorknechts Djoka Schuwakow, eng befreundet, Duschan verkehrt wie selbstverständlich im Hause Köp-pel, verliebt sich in Köppels Töchterchen Lili, was auf Gegenseitigkeit beruht, und macht sich Hoffnung, sie zur Frau zu bekommen. Daß diese Hoffnung völlig vergeblich ist, hätte er wis-sen können, wenn er die vorherrschende donauschwäbische Heiratspolitik gekannt hätte, bei der ein Geschacher der Eltern des ausersehenen Paars um die standesgemäße Mehrung von Feld und Besitz keine Rücksicht auf das Glück der oft schon im Kindesalter Verkuppelten nimmt. In Duschan brennt ein dunkler Schmerz, er fühlt sich fremd geworden im eigenen Vaterland, erniedrigt und verachtet, seine Enttäuschung und sein Haß entladen sich in zer-

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Ebenda, S. 307 15

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störerischer Wut auf Köppels Feldern, die schuld seien an aller Blindheit und Hartherzigkeit der Schwaben, die Grundlage ihres verbissenen Wohlstandes, denn ihr wachsender Reich-tum zwingt die anderen, ständig im Rückzug und in der Beschämung vor ihnen zu leben. Schließlich läuft Duschan zu den Partisanen über, zu den Freischärlern gegen das Unrecht, und kehrt erst nach neun Jahren als Rächer wieder. „Man darf uns besiegen, aber nicht er-niedrigen“16, in diesem Satz kristallisiert sich die Demarkationslinie des Hasses. Der allwis-sende Autor erzählt mit viel Einfühlungsvermögen aus Duschans Perspektive und „zeigt exakt den pathologischen Keim, der soviel Unheil angerichtet hat …“17

Der technologisch-zivilisatorische Vorsprung der deutschen Kolonisten gepaart mit ihrem organisierten Fleiß und ihrem Ordnungsdrang war in Weidenheims Sicht zwar ein staatlich gesteuerter Innovationsschub für ihre neue Umgebung, auch steigerte er den Wohlstand des Gemeinwesens in nie zuvor gekannte Dimensionen, allerdings war der Preis dafür nicht nur die tiefgreifende Veränderung, ja das weitgehende Verschwinden der natürlichen Landschaf-ten mit dem Zauber ihrer Flora und Fauna, sondern auch die Zerstörung der Lebenswelt aller dort seit langer Zeit siedelnden Völker, die ehrfürchtig mit ihrem Lebensrhythmus, ihren Sit-ten und Bräuchen auf ihre Umgebung eingestimmt waren. Weidenheim blickt – damals ein Avantgardist – zivilisationskritisch hinter die Fassade eines skrupellosen Fortschrittsglaubens und macht die Verlustrechnung auf. Die deutsche Besiedlung erscheint so nicht nur im Glanz der Modernisierung, sondern auch mit ihrer kaum beleuchteten Kehrseite, die ebenfalls ur-sächlich ist für nationale Demütigung und Enteignung. Aus dieser Perspektive ergibt sich auch die Möglichkeit, die oftmals arrogant belächelte balkanische Trägheit bzw. Arbeits-scheu unvoreingenommen zu betrachten.

„Nein, unsere Schwaben hatten nicht nur aus einer Wildnis ein blühendes, fruchtbares Land gemacht, sondern sie hatten auch dieses riesige Dorf von fünf Kilometer Länge aufgebaut an einer Stelle, wo damals lediglich ein paar ziemlich verwilderte Serben am Rande eines Wei-dengehölzes siedelten; sie hatten das Weidengehölz kraft ihrer Abneigung gegen alles Unan-getastete spurlos weggeräumt und an seiner Stelle ein bewunderungswürdiges Netzwerk von vier Längs- und neun Querstraßen gezogen – jede Straße lotrecht zur anderen verlaufend und einen Steinwurf breit; sie hatten mit allem, was sie taten, ein breites Tor aufgestoßen für die Geister eines friedfertigen Furor teutonicus, und seit sie hier waren, hallte es im Land nicht mehr von Kartaunen wider, sondern nur noch vom Stampfen der Dreschmaschinen; sie hat-ten das Äußerste an geschlossener Siedlung geschaffen – von oben betrachtet, sah das Dorf wie ein riesiges Schachbrett aus oder wie eine gewissenhafte Anordnung von akkurat ange-legten Parzellen, von denen jede um das aus Gärten und Höfen bestehende Innere einen lü-ckenlosen Gürtel von Häusern, Mauern und Zäunen gelegt bekam; sie hatten als erste in die-sem Lande das Gebot von mein und dein praktiziert und das gegenseitige Überrunden durch die höhere Leistung eingeführt.

Sie waren von jenem unglücklichen Wiener Kaiser aus der geschichtlichen Taufe gehoben worden, der es für unbedingt notwendig gehalten hatte, den schon vor ihnen hier heimischen Völkern den größten Teil ihrer hergebrachten Feiertage zu verbieten und sie zum Rackern und Unzufriedensein zu zwingen.

Sie waren mit den besten Absichten in ein Land gekommen, das einst der Fee Delibab gehört hatte, die es mit der Kulisse ihrer Luftspiegelungen in wechselnde Bühnenbilder von zauber-

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Ebenda, S. 101 17

Ivan Poljaković: Schatten der Vergangenheit. Flucht und Vertreibung in der donauschwäbischen Literatur der Nachkriegszeit, Novum, Zagreb 2009, S. 225

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hafter Glasigkeit zu verwandeln verstand. Aber auch die Delibab hatte vor dem Aufräu-mungsdrang der Schwaben zurückweichen müssen; bis in die innersten Bezirke der Hortobagy war sie mit der Zeit geflohen und hatte mit sich genommen all ihr Geschmeide und ihren gekränkten Stolz.

Nein, sie hatten aber nicht nur jede Faszination verdrängt und nicht nur den Schlummer der genügsamen Armut abgelöst durch die eifersüchtige Reizbarkeit des ehrgeizigen Neulings, sondern sie hatten auch vor lauter friedlicher Arbeit die politische Leidenschaft nicht kennen-gelernt – bis jetzt -, und sie hatten dadurch inmitten älterer, leicht erhitzbarer und national-bewußter Völker ausgleichend gewirkt – bis jetzt.“18

Unwissenheit, Vorurteile und Ignoranz gegenüber den Serben sind bei den Deutschen be-schämend normal, ebenso wie die Ungarn werden sie kurzerhand als zurückgeblieben und primitiv, matt und faul abqualifiziert. Doch Jastrogonac macht klar, daß zwischen Deutschen und Serben durchaus auch alte und auf gegenseitigem Respekt beruhende Kulturbeziehun-gen bestehen, beginnend mit der Begegnung zwischen dem mittelalterlichen König Friedrich Barbarossa mit Großgespan Stephan Nemanja bis hin zu derjenigen zwischen Goethe und dem Reformator der serbischen Sprache und Volksliedsammler Vuk Stefanović Karadžić. Den deutschen Dichterfürsten begeisterten die serbischen Heldenepen so, daß er einige von ih-nen ins Deutsche übertrug. Herder, Humboldt, Jakob Grimm und Ranke lernten das serbi-sche Volk kennen und verbreiteten die Kunde von ihm in der westlichen Welt.

Die Protagonisten Daffee und Jastrogonac legen aus eigener Betroffenheit ihre Teilwahrhei-ten und Standpunkte der Beschuldigung ausführlich und aus persönlicher Sicht dar, vielmehr sie erzählen romanhafte Geschichten, durch die nicht nur das historisch Geschehene trans-parent wird, sondern auch die Lebenswelten, Sitten und Gebräuche, die Mentalitäten, die Stärken und Schwächen der beteiligten Völker, nämlich vor allem die der Donauschwaben und Serben, daneben aber auch die der Juden, der Ungarn, der Zigeuner (heute würde man politisch korrekt Sinti und Roma sagen) sowie der Ruthenen. Die beiden dargelegten Be-trachtungsweisen stehen dann zunächst wie erratische Blöcke nebeneinander, zwar nicht mehr so feindlich wie zuvor, denn allein das offene Wort hat Bestürzung und Scham auf bei-den Seiten ausgelöst, aber noch ohne die Möglichkeit echter Begegnung. Beide Kontrahen-ten haben sich gegenseitig den Spiegel vorgehalten und sich darin erkannt. Nicht ohne Stau-nen muß der Serbe dem Volksdeutschen und dieser dem Serben zugestehen, gründliche Kenntnisse des jeweils fremden Volkes zu besitzen.

Aber erst eine dritte Ebene der Betrachtung macht zu gegenseitiger Annäherung und Ver-söhnung bereit, nämlich die Erzählung des alten Juden Horowitz, der sich den Kontrahenten im zweiten Teil ihres Gesprächs zugesellt, aber rechtzeitig genug, um den Kern der Ausei-nandersetzung zu verstehen, die Tragweite der Anschuldigungen kennt er ohnehin. Auch er ist ein serbischsprachiger Pannonier, der die dort lebenden Völker bestens kennt, die Leiden seines Volkes müssen hinter denen der anderen nicht zurückstehen. Sein Lebensalter wie auch seine ethnische Zugehörigkeit stehen zugleich für abgeklärte Weisheit, er stellt sich daher auf eine neutrale, vermittelnde, dialektisch höhere Stufe, die in seiner Erzählung von Liebe getragen ist, symbolisch verdichtet in der beinahe unmöglichen, am Ende aber doch glückenden Liebe zwischen einem serbischen Lageraufseher, der die schlimmsten Ausschrei-tungen heimlich zu verhindern sucht, und einer donauschwäbischen Internierten, die durch seine Interventionen überlebt. Erst der dritte Gesprächsteilnehmer Horowitz ist es also, der die ganze Völker vereinnahmenden Pauschalurteile ergänzt um die Dimension des Individu-

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Ebenda, S. 282 f.

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ellen, in der allein Verdienst und Schuld zu suchen sind. Er als Jude hatte weder von den Deutschen noch von den Slawen viel Gutes erfahren, weiß aber dennoch, daß es neben dem propagierten und organisierten Bösen auch Mitleid und Bereitschaft zum Helfen seitens ein-zelner Menschen aus beiden Lagern gab, gerade auch in bedrohlicher Lage. Es sei „fast lä-cherlich, es zu sagen“, resümiert er, „doch muß man nicht daran erinnern in dieser Zeit? –: jedes Volk besteht aus einzelnen Menschen …“19 Damit hat – noch in großer Nähe zur Kata-strophe – Horowitz/Weidenheim auch den Vorwurf der Kollektivschuld ad absurdum ge-führt, der speziell in Jugoslawien zur Auslöschung der ganzen deutschen Volksgruppe geführt hatte. Die Beispiele Rumäniens und Ungarns, deren deutsche Bevölkerungen nicht dasselbe Schicksal wie in Jugoslawien erleiden mußten, beweist, daß die Doktrin von der Kollektiv-schuld keineswegs zu einem universalen Denken jener Zeit gehörte, wenn es auch noch Jahr-zehnte nach dem Krieg auf das deutsche Volk Anwendung fand. Horowitz weiß, daß man auf einen Standort jenseits der Schuld erst gelangt, wenn man zwei Wahrheiten kennt, wenn man nicht nur die Beschränkung und Blindheit jeder Seite betont, sondern auch die Quellen ihrer Potentiale, ihre je eigene Art von Genialität. Die zuvor noch haßerfüllten, unversöhnlich scheinenden Gegner haben am Ende verstanden, „daß unsere Aussöhnung keine Idylle ist, sondern ein hartes Stück ehrlicher Arbeit unserer Vernunft und unserer Herzen“20.

Diese Quintessenz des Romans ist nicht als schon erbrachte Leistung zu verstehen, sondern als bevorstehende Aufgabe, eine Aufgabe, die bis heute fortbesteht, sowohl auf persönlicher wie auf staatlicher Ebene. Weidenheim traut der Literatur, darin Bertolt Brecht und Walter Benjamin verwandt, eine die Gesellschaft verändernde Kraft zu.

1.4 Rezeptionsgeschichte

„Treffpunkt jenseits der Schuld“ ist 1956 mit 3.000 Exemplaren im renommierten Güterslo-her Bertelsmann-Verlag erschienen. Ein Jahr später mußten weitere 4.000 Exemplare aufge-legt werden. Dieser Roman hat also ein relativ großes Interesse hervorgerufen, er wurde aber auch bald nach seinem Erscheinen hart kritisiert, er ist zweifellos das umstrittenste Werk Weidenheims. In der donauschwäbischen Presse entbrannte eine erbitterte Kontro-verse mit dem Tenor, daß Weidenheim die Slawen zu positiv gezeichnet habe, den Donau-schwaben aber nicht gerecht geworden sei. Weidenheim wurde mit diesem Werk endgültig zum Enfant terrible seiner Landsleute, während Außenstehende sich anerkennend und lo-bend äußerten. Die Vorwürfe konzentrieren sich auf die Behandlung der Schuldfrage. Wei-denheim sei „politisch extravagant“, fälle „ungerechte Fehlurteile“, sei „kaltherzig-böse“ ge-genüber dem Schicksal seiner Landsleute. Es wird gar die peinliche Frage gestellt: „Warum dies Abgleiten nach links? Will der Weidenheim von heute den NS-Propagandisten Johannes Schmidt der Vergangenheit radikal vergessen machen? Flüchtet er sich aus einem ideologi-schen Extrem ins andere? (...) Ohne Liebe hat Weidenheim seine Landsleute im Unglück be-schrieben und ohne Gerechtigkeit. Dafür bemüht er sich, dem Kommunismus Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen und dessen Schuld an der Hinschlachtung der Jugoslawiendeutschen mit einer Handbewegung auszulöschen. (...) Hochmut, Selbstsucht, Materialismus, selbstge-fällige Sattheit, Abstand von den anderen Nationalitäten – aus diesen angeblich begangenen Sünden wird der Hanfstrick der schwäbischen Schuld gewirkt. (...) Fürwahr – hier wird beim Abwiegen der Völkerschuld die Waagschale der armen Schwaben heimlich mit dem Daumen hinuntergedrückt. Nicht der Mörder, der Ermordete trägt die Hauptschuld. Die Schuld des

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großbäuerlichen, kapitalistischen Besitzenden – des Kulaken mit einem Wort!“ Der mit H. H. unterzeichnende Verfasser des Artikels in der Wochenzeitung „Der Donauschwabe“21 hält Weidenheim seine Wandlung vom „Alles-für-den-Endsieg-“ und „Blut-und-Boden-Aktivisten“ zum „linkslerischen Intellekturellen“ vor und führt folgende Zitate von Weidenheim an, die dieser als Journalist bei der „Volksdeutschen Stunde“ am Soldatensender Belgrad zu verant-worten habe: „Du sollst wissen, daß deine Rasse die germanische ist, die vom ewigen Verwal-ter und Verteiler des Lebens zu Großem ausersehen wurde …“ und „du sollst alles lieben, was deinem Volk nützt, und alles hassen, was ihm schadet …“ und „Aber wir glauben an die Tei-lung der Menschheit nach Rassen und an den Sieg unseres Blutes …“ und „Du deutscher Landsmann in diesem Land, wer vermag auf der ganzen Welt vor dich zu treten und zu sagen, er sei besser als du? Wo steht die Saat reifer als bei dir, wo ist die Häuslichkeit so unberührt wie bei dir, wo sind die Frauen so rein wie bei dir und wo wird mehr gearbeitet als bei dir?“

„Hochmut, Selbstsucht, Materialismus, selbstgefällige Sattheit, Abstand von den anderen Nationalitäten – aus diesen angeblich begangenen Sünden wird der Hanfstrick der schwäbi-schen Schuld gewirkt“, so kritisiert der anonyme Verfasser weiter. Es sei nicht das deutsch-slawische Konfliktmotiv gewesen, das zur Vernichtung und Vertreibung des Deutschtums zwischen Ostsee und Adria führte, behauptet er, dies sei nur die emotionale Oberfläche ge-wesen. „Im Kern handelt es sich um einen revolutionsstrategischen Vorstoß des Kommunis-mus, der – und das kommt ja gerade bei Weidenheim ungewollt so deutlich zum Ausdruck – örtlich den Charakter eines gesellschaftlichen Racheaktes (und weniger den eines nationalis-tischen) annahm.“

Aus Leserbriefen im Erscheinungsjahr geht hervor, daß dieses Buch für einen betroffenen Donauschwaben eine „unerträgliche Lektüre“ sei, ein anderer Leser schreibt, das habe nichts mit der Wahrheit zu tun, sondern sei „ressentimentgeladene Dichtung“, ein dritter urteilt, ohne das Buch gelesen zu haben, daß der Autor lieblos und ohne Ehrfurcht sei, ein vierter hält es in seiner technischen Gestaltung für glänzend gelungen, aber doch bedenklich, ein fünfter wirft Weidenheim seinen Extremismus vor und bezeichnet ihn im Sinne von Nietz-sches Zarathustra als einen „Frechen, Höhnenden und Vernichter“.22

Etwas nachdenklicher verfährt ein ohne Namensnennung auskommender Artikel unter der Überschrift „Durchsichtige Fragen nach der Schuld“. Der Verfasser bezichtigt Weidenheim der Sensationslüsternheit. Er habe die Frage nach der Schuld aufgeworfen, um eines Hono-rars aus der Sowjetzone und des intellektualistischen Nervenkitzels willen.23

Peter Binder aus Batsch-Palanka, damals Leiter der Heimatbücherei der Donauschwaben in Freilassing, schreibt anerkennend: „Ganz gleich, ob wir einst in die Heimat zurückkehren oder nicht, aus den Versäumnissen der Vergangenheit müssen wir lernen. Unser Kontinent ist für Nationalstaaten zu klein geworden, wir alle müssen uns ‚jenseits der Schuld’ treffen, um ein besseres Europa aufzubauen. Aber wir müssen fair, objektiv, gerecht und aufrichtig bleiben – wir und die anderen! Keinesfalls kann es heute darum gehen, das genaue Schuldverhältnis zu errechnen: hier 49, dort 51 Prozent …“24

Die Kritik „richtete sich nicht gegen die völkerversöhnende Tendenz des Buches, aber sehr wohl gegen das Bemühen des Verfassers, am Beispiel eines raffgierigen, hartherzigen, prunk-

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H. H.: Schuld mit falschem Maß gewogen. Kritische Betrachtungen zu J. Weidenheims Batschka-Roman, in: Der Donauschwabe v. 23.8.1959, S. 4 22

Neuland Folge 1 v. Juni 1956, S. 4 23

ng: Durchsichtige Fragen nach der Schuld, in: Neuland, Folge 2, Juni 1956, S. 3 24

Offener Sprechsaal, in: Neuland v. 10.3.1956, S. 6

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süchtigen deutschen Großgrundbesitzers die geschichtliche Schuld der Deutschen aufzuwei-sen. Demgegenüber wurde zurecht festgestellt, daß ländliche Ausbeutertypen, ‚Kulaken’, im Südosten als soziales, nicht aber als nationales Problem zu betrachten waren.“25

Kaum bestreitbar und unbestritten ist jedoch Weidenheims eigene Behauptung, „daß in die-sem Buche die Blutschuld der chauvinistischen Slawen auf eine bisher kaum offenere Weise an den Pranger gestellt worden ist“26.

Vor allem bezogen auf seinen Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“ wird Weidenheim vorgeworfen, ein Kommunist zu sein. Auch seine „Vorliebe für randseitige Gestalten“ gehört in diesen Zusammenhang. Weidenheim nimmt dazu folgendermaßen Stellung: „... Daß ich ein Kommunist sein soll, ist ein bösartiger Blödsinn. Jeder Kommunist, dem man mich als sei-nesgleichen vorstellen wollte, würde wahrscheinlich nur lachen.“

Weidenheim zeigt die sozialen Zusammenhänge des Lebens in der Heimat und damit zu-sammenhängend die Versäumnisse. Er bezeichnet sich nicht als Kommunist, sondern als So-zialist oder Sozialkritiker, der für die Sozialisierung der meisten Produktionsmittel und ein egalitäres staatliches Gesundheitswesen ebenso eintritt wie für die Aufhebung aller Bil-dungsprivilegien und die Emanzipation der Frau.

„Mein persönlicher Wachstumsprozeß hat mich als reifen Mann dahin gebracht, daß ich den Sozialismus im Vergleich zum Kapitalismus als die höhere Gesellschaftsform erkannt habe – und dieser Grundzug ist in allem, was ich schreibe, nachweisbar, auch wenn es nicht verbal so dasteht.“

Insbesondere für die Landsmannschaft der Donauschwaben ist Weidenheim die längste Zeit ein rotes Tuch. Diese Front beginnt erst Mitte der 1990er Jahre zu bröckeln, als der Schrift-steller von der unbefangenen Bekenntnisgeneration wiederholt zu Lesungen nach Sindelfin-gen eingeladen wird, allerdings nur Proben aus seinem milden Alterswerk zum Besten gibt.

Adalbert Karl Gauß hat in den Jahren 1961, 1963, 1972 und 1974 als Chefredakteur der in Salzburg beheimateten Vertriebenenzeitung „Neuland“ vier große Interviews mit Johannes Weidenheim geführt, die dem angefeindeten Erzähler wohlwollend die Möglichkeit gaben, explizit und relativ ausführlich insbesondere zu politischen, historischen und poetologischen Fragen Stellung zu nehmen oder seine im literarischen Kontext zuweilen mißverstandenen Positionen zu erläutern. Den Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“ hielt Gauß für das Werk einer „eigenwilligen schöpferischen Persönlichkeit“, es sei „das geistige Ereignis eines Jahr-zehnts donauschwäbischen Vertriebenendaseins“, mit dem man sich auseinandersetzen müsse.27

Außer einer Vielzahl von meist kurzen und nicht sehr tiefschürfenden Buchbesprechungen Weidenheimscher Werke in der bundesdeutschen und österreichischen Presse haben das größere Verständnis und das anhaltendere Interesse einige der eigenen, aus Pannonien stammenden Landsleute aufgebracht.

25

Südostdeutsche Vierteljahresblätter 1969/2, S. 113 26

Offener Sprechsaal, in: Neuland v. 24.3.1956, S. 6 27

Neuland v. 11.2.1956, S. 3. Vier Interviews von Adalbert Karl Gauß mit Johannes Weidenheim in der Salzbur-ger Wochenzeitung „Neuland“: 1) Das unausgeglichene Konto. „Neuland“-Interview mit Johannes Weidenheim, 25.2.1961, S. 3; 2) Tragische Entfremdung. J. Weidenheim: Für mich ist meine Heimat Jugoslawien noch nicht untergegangen, 26.10.1963, S. 3; 3) Ein Gespräch mit Weidenheim – dem konstruktiven Unruhestifter, 5.8.1972, S. 3 u. 5; 4) Johannes Weidenheim: Ich will nicht rehabilitiert werden!, 16.11.1974, S. 3

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Anton Scherer hat in seiner 1959 erschienenen Anthologie „Die nicht sterben wollten“ ein Gedicht und eine Erzählung von Johannes Weidenheim aufgenommen und ihm in der am Ende des Bands stehenden „Einführung in die donauschwäbische Literatur“ drei Seiten (von 23) gewidmet, selbst mehr als dem Erzschwaben Adam Müller-Guttenbrunn. Zweifelsohne sei dieser stark intellektualisierte, aber auch mit den untersten sozialen Schichten denkende und fühlende Erzähler das größte Talent der jüngeren Generation, das die Freiheit des Geis-tes und der Völkerversöhnung über die Kräfte des Volkstums stellt. Auch in seiner 19 Seiten umfassenden Schrift „Die Literatur der Donauschwaben als Mittlerin zwischen Völkern und Kulturen“ (1972) räumt Scherer die letzte Seite dem Werk von Weidenheim ein und erwähnt die Erzählungen „Das späte Lied“ und „Der verlorene Vater“ sowie die Romane „Kale-Megdan“, „Das türkische Vaterunser“, „Mensch, was für eine Zeit“ und schließlich, trotz Be-denken und Einwänden, die er schon in seiner „Einführung“ erhoben hatte, „Treffpunkt jen-seits der Schuld“, das harte Stück Arbeit der Aussöhnung zwischen Donauschwaben und Ser-ben vor Augen. Weidenheim sei, meint Scherer resümierend, „ein starkes Glied in der stattli-chen Kette der Donauschwaben, die seit zwei Jahrhunderten bewußt oder unbewußt als Mitt-ler zwischen der deutschen und den südosteuropäischen Literaturen und Kulturen im Dienst der Verständigung der Völker wirken“28.

Karl-Markus Gauß, der Sohn von Adalbert Karl Gauß, hat die Erzählung „Der süße Kuchen des heiligen Sava“ in seine Prosaanthologie „Das Buch der Ränder“ (1992) aufgenommen und in seinem Buch „Die Vernichtung Mitteleuropas“ (1991) Johannes Weidenheim unter der Überschrift „Maresi als Zentrum der Welt“ ein eigenes Kapitel eingeräumt. Darin und in einigen Presseartikeln liefert er treffende Charakterisierungen und insgesamt die wohl hell-sichtigste Einschätzung seiner Werke. Gauß bezeichnet Weidenheim als einen „getreuen Chronisten des pannonischen Alltags“, der eine „konzentrierte und poetische Fassung der donauschwäbischen Geschichte“ geliefert habe. „Seine Entdeckung steht noch immer aus“, und „der so schmählich unbekannte Johannes Weidenheim“ könnte kundig die Besichtigung eines zerstörten Kontinents begleiten. Wie kaum ein anderer schätzt Gauß die literarische Bedeutung Weidenheims und sein Potential für die Völkerverständigung in Mitteleuropa überaus hoch ein.29

Reinhold Grimm hat zur Definition der politischen Novelle vier exemplarische, überaus lehr-reiche Beispiele herangezogen, neben Werken von Bruno und Leonhard Frank, Thomas Mann und Gottfried Benn auch die „Pannonische Novelle“ von Johannes Weidenheim, die wegen einer ans Romanhafte streifenden lebenszeitlichen Erstreckung und Auffächerung der

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Anton Scherer: Einführung in die Geschichte der donauschwäbischen Literatur, 1960, S. 25-27; Ders.: Die Literatur der Donauschwaben als Mittlerin zwischen den Kulturen, Selbstverlag, Graz 1972, S. 18 f.; Ders.: Gro-ße Verdienste. Tomislav Bekić übersetzte Jochanes Wajdenchajm, in: Der Donauschwabe v. 13.2.2000, S. 5 29

Karl-Markus Gauß: Das Buch der Ränder. Prosa, hrsg. v. Karl-Markus Gauß, Wieser Verlag, Klagen-furt/Salzburg 1992, S. 251-257; Ders.: Maresi als Zentrum der Welt – Johannes Weidenheim, in: Die Vernich-tung Mitteleuropas. Essays, Wieser Verlag, Klagenfurt/Salzburg 1991, S. 185-198; Vgl. auch Ders.: Johannes Weidenheim: Ein pannonischer Schriftsteller, in Wiener Tagebuch 1984, H. 7/8, S. 30-32; Ders.: Ineinander der Literatur. Dichterische Entdeckungen, in: Zeitschrift für Kultur und Politik, Graz 1985, Nr. 48; Ders.: Das Experi-ment Maresi. Johannes Weidenheim: ein pannonischer Schriftsteller, in: Wiener Zeitung v. 18.7.1986; Ders.: Geistige Zeugen Mitteleuropas, in: Parnaß, Linz 1991, H. 4, S. 82 f.; Ders.: Eines Morgens war er blind, in: Die Presse, Wien v. 21.3.1999

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Handlung keine makellose Novellenform besitze, aber dank der übrigen Merkmale der Gat-tung durchaus als Muster zugerechnet werden müsse.30

Stefan Sienerth interviewte Johannes Weidenheim für die Südostdeutschen Vierteljahres-blätter 1992. Im Vorspann findet sich folgende Charakterisierung Weidenheims: „Der fabu-lierfreudige, auf minutiöse und atmosphärische Wiedergabe des Erlebten und Erfahrenen bedachte Autor, dem ein Hang sowohl zu ironisch-kritischer Haltung als auch zu Schwermut und Resignation eigen ist, siedelt – von den wenigen Ausnahmen abgesehen – die Handlung seiner Romane und Erzählungen in der multinationalen Welt seiner Herkunft an.“31

In diesem Interview erklärt Weidenheim, von der deutschen Kritik für seine Werke recht viel Lob geerntet zu haben, paradoxerweise sei aber aus den Kreisen seiner Landsleute ein posi-tives Echo ausgeblieben, stattdessen habe er von dieser Seite nur Schläge einstecken müs-sen. „Der Sturm, der damals … durch den einschlägigen Blätterwald ging, bewies mir nur, daß mir meine Absicht, den Finger in eine echte Wunde zu legen, gelungen war. Die Wunde hieß … die Mitschuld, ja gewissermaßen die Vorausschuld der Donauschwaben an ihrer Ver-nichtung …“32

In intellektuellen serbischen Kreisen schätzte man Weidenheims Werk als überaus konstruk-tiv ein, das gilt insbesondere für seinen Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“. Weiden-heim war verschiedentlich zu Lesungen in Jugoslawien eingeladen. Daß die „Pannonische Novelle“ und „Heimkehr nach Maresi“ ins Serbische übersetzt wurden33, ist ein deutliches Zeichen der Anerkennung.

Wieviel man gemeinhin in Deutschland von Johannes Weidenheim und seinem Werk zu wis-sen pflegt, dafür gab das Hamburger Wochenmagazin „Der Spiegel“ ein erhellendes Beispiel, als dort in der Rubrik „Register“ anläßlich von Weidenheims Tod im Jahr 2002 in wenigen Zeilen dessen Leben und Wirken gewürdigt wurden.34 Der Autor des wenige Zeilen umfas-senden Nachrufs brachte es fertig, mehrere sachliche Fehler bzw. Ungenauigkeiten unterzu-bringen und sie mit dem ungläubigen Staunen zu verbinden, wie man ausgerechnet im kri-sengeschüttelten Jugoslawien seinen Traum vom friedlichen Miteinander der Völker ansie-deln könne. In den Büchern Weidenheims kann man auf Schritt und Tritt erfahren, daß ein friedliches multiethnisches Zusammenleben in Jugoslawien durchaus einmal möglich war. Einem Journalisten, der gewissenhaft recherchiert und mit dem Werk dieses Autors durch Lektüre auch nur ansatzweise vertraut ist, hätten auch folgende Fehleinschätzungen nicht unterlaufen dürfen: die Anzahl der Romane von tatsächlich acht auf dreißig zu steigern; den Autor als Verfasser von Theaterstücken zu bezeichnen, obwohl er lebenslänglich nur zwei kleine Einakter geschrieben hat; irrtümlich zu behaupten, daß es um Weidenheim still ge-worden sei, dies aber seiner Produktivität keinen Abbruch getan habe. Obwohl also das Epi-taph des „Spiegel“ an sich verdienstvoll ist, zeigt er zugleich schlaglichtartig, wie sehr Wei-

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Reinhold Grimm: Drei bis vier politische Novellen: Notizen zu Bruno und Leonhard Frank, Johannes Weiden-heim, Thomas Mann und Gottfried Benn, in: Versuche zur europäischen Literatur, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Bern 1994, S. 93-134 31

Meine Betroffenheit ist kaum zu beschreiben ... Ein Gespräch mit Johannes Weidenheim (Die Fragen stellte Stefan Sienerth.), in: Südostdeutsch Vierteljahresblätter 1992/4, S. 287-97; auch in: Stefan Sienerth: „Daß ich in diesen Raum hineingeboren bin“. Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südosteuropa, Verlag Südost-deutsches Kulturwerk, München 1997, S. 21-36 32

Ebenda 33

Von Tomislav Bekić ins Serbische übersetzte Werke Johannes Weidenheims: „Pannonische Novelle“ (Panonska novela. Životna povesc Katarine D., Krovovi, Sremski Karlovci 1998, 105 S.); „Heimkehr nach Maresi“ (Povratak u Marezi, Krovovi, Sremski Karlovci 1999, 328 S.) 34

Johannes Weidenheim, in: Der Spiegel, Hamburg, Ausgabe vom 25/17. 6.2002, S. 206 (Register)

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denheim in Vergessenheit geraten oder besser, wie bedauerlich unbekannt er geblieben ist. Selbst Kürschners Deutscher Literatur-Kalender verzeichnet lediglich fünf von acht Romanen.

Erfreulicherweise ist in der akademischen Welt dem Werk Weidenheims neuerdings große Beachtung erwiesen worden. Der 1956 in Maria-Theresiopel (Subotica) in der Batschka ge-borene Germanist Ivan Poljaković promovierte im Jahr 2004 an der University of Auckland in Neuseeland mit der Dissertation „Flucht und Vertreibung in der donauschwäbischen Litera-tur der Nachkriegszeit unter besonderer Berücksichtigung des Werks von Johannes Weiden-heim“. Im September 2009 erschien diese Doktorarbeit in kroatischer und deutscher Sprache in Zagreb.35 In diesem ersten Versuch, die donauschwäbische Vertreibungsliteratur als ein einheitliches Thema zu erforschen und systematisch darzustellen, widmet sich der Dokto-rand in einem eigenen Kapitel auch Weidenheims Werk „Treffpunkt jenseits der Schuld“, zu dem er folgendes Resümee zieht: „Das Grundanliegen des Romans bleibt das Streben da-nach, jenes Wirrwarr von Schuld und Not, von Leid und Verbrechen, das auf der Kriegsgene-ration so lange nach der Verwüstung lastete, mit dem Blick auf die Zukunft zu überwinden. Er bietet Möglichkeiten einer Lösung, eines ‚Treffpunkts jenseits der Schuld’, freilich lediglich eine individuelle, menschliche Lösung …“36

1.5 Forschungslage

Wenn man will, kann man in der Existenz der „Serbisch-deutschen Gesellschaft“ und des „Donauschwäbisch-serbisches Dialog-Symposions“ (ARDI) 1999 in Wien so etwas wie die Realisierung der Weidenheim’schen Romanvorlage erkennen. In beiden Vereinigungen ist viel Aufklärungsarbeit geleistet worden, man hat sich mittlerweile gegenseitig seine Stand-punkte erschöpfend dargelegt, Interesse und Verständnis für den jeweils anderen aufge-bracht, sich durchaus angenähert, damit ist jedoch der Prozeß zu einem gewissen Stillstand gekommen, allem Anschein nach fehlt noch der alte Horowitz, d. h. die höhere, versöhnende Stufe, die sich dann auch auf Regierungsebene spiegeln müßte.

Nach meinem Informationsstand ist bisher kein Versuch unternommen worden, das Werk von Johannes Weidenheim systematisch auf seine völkerkundliche Ergiebigkeit zu untersu-chen, auf sein feines Sensorium für die historisch gewachsenen Charaktereigenschaften der Völker im pannonischen Raum und die sich daraus ergebenden interethnischen Relationen und Beziehungen, schließlich auf seinen vorausweisenden Gehalt für eine Versöhnung der Völker nach den Verheerungen von Nationalsozialismus und Kommunismus. Lange bevor die Komparatistische Imagologie sich in der Literaturwissenschaft etablieren konnte, hat Wei-denheim in seinen Romanen und Erzählungen diese Methodik des Vergleichens und Gegenüberstellens von kulturell und geschichtlich entstandenen Welt- und Menschenbil-dern, die sich die Völker voneinander machen, auf dichterische Weise angewandt und sie geradezu prototypisch mit der Kennerschaft des multikulturell und mehrsprachig Aufge-wachsenen zu bewundernswerter Plastizität und Leuchtkraft getrieben. Sein oberstes Ziel war dabei, kollektive Selbst- und Fremdbilder, stereotype Wahrnehmungsweisen der eige-nen und anderer Kulturen bewußt zu machen, Interesse und Befähigung für die interkultu-relle Kommunikation und Verständigung zu entwickeln, die aber nur dann stattfinden kann, wenn die Gesprächsteilnehmer in der Lage sind, die Welt auch mit den Augen der anderen

35

Ivan Poljaković: Schatten der Vergangenheit. Flucht und Vertreibung in der donauschwäbischen Literatur der Nachkriegszeit, Novum, Zagreb 2009, 295 S. (deutscher Teil) + Bildanhang / Sjene prošlosti. Bijeg i progon u poratnoj književnosti podunavskih Švaba, Novum, Zagreb listopad 2009, 227 S. 36

Ebenda, S. 226

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zu sehen und ihre Perspektiven in das eigene Denken einzubeziehen. Genau diesen Anspruch hat Weidenheim in seinem „Treffpunkt“ einzulösen versucht. Aber auch seine übrigen Wer-ke sind mehr oder minder immer zugleich Studien von Mentalitäten und Milieus, Tempera-menten und Begabungsprofilen, ihres Interagierens, ihrer Konfliktherde und tragischen Zu-spitzungen, aber auch ihrer friedlichen, sich gegenseitig befruchtenden Koexistenz, wie sie vor dem Kriege – Europa zum Exempel! – tatsächlich praktiziert wurde. Mit einem Wort: Weidenheims Werk ist eine Idealvorlage zur Fortentwicklung einer interkulturellen Germa-nistik, die es bisher nur in Ansätzen gibt.37

Wir müssen Titel und Motto des hier in Rede stehenden Romans zu seiner Deutung genauer bedenken. Es geht um einen Treffpunkt jenseits der Schuld. Der kann nur hinter den per-spektivischen Teilwahrheiten der betroffenen, schuldig gewordenen Völker und jenseits ih-rer Religionen und Weltanschauungen liegen, ganz gleich, ob sie Christen, Muslime oder Juden, Agnostiker oder Atheisten sind, was ihnen im übrigen unbenommen bleibt. Der Treff-punkt kann demzufolge nur auf einer Ebene des ideologiefreien Humanismus liegen oder anders gesagt: der reinen Menschlichkeit. So verstanden wird das Motto aus dem Munde des alten Juden Horowitz „Man muß ein Mensch sein, das ist alles“38 als Schlüssel für diesen Roman und darüber hinaus für das gesamte Schaffen Weidenheims erkennbar. Von diesem Standpunkt aus wird es auch verständlich, daß Weidenheim weder den Serben noch den Schwaben vollständige Gerechtigkeit angedeihen lassen konnte, obwohl er sich darum red-lich bemüht hat, auch die guten Seiten beider Völker zu würdigen. Allen Seiten uneinge-schränkte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist wohl auch eine übermenschliche Anforde-rung. Es ging dem Verfasser dieses Romans vielmehr um die Keimzellen und neuralgischen Punkte der Feindseligkeit, um die Krisenherde und Problemfelder im Zusammenleben der Völker und einzelnen Menschen, die letztlich zur Katastrophe führten. Deshalb ist der Treff-punkt jenseits der Schuld auch gleich weit von Kapitalismus wie von Kommunismus entfernt, während sich Weidenheim auf der Plattform dieses Treffpunkts gleichwohl um soziale Ge-rechtigkeit, Chancengleichheit, Toleranz, interkulturelles Verständnis und – damals schon – um die Bewahrung der Schöpfung sorgt. Auch in unserer Gegenwart der multikulturellen Durchmischung, der die Politik gängelnden Arroganz des Geldes, der wachsenden Kluft zwi-schen Arm und Reich, der Verheerungen unserer natürlichen Lebensgrundlagen und der Un-terdrückung des Selbstbestimmungsrechts, auch heute also, wo wir immer noch weit von solchen Idealen und Forderungen der Menschlichkeit entfernt sind, erweist sich Weiden-heim als „konstruktiver Unruhestifter“39, als Versöhner mit visionärem Weitblick, der zwar nicht unverblendet blieb, aber wohl gerade aus dem Bewußtsein einer gewissen Mitverant-wortung für die NS-Ideologie eine radikale Wandlung vollzog, selbstgerechte Überheblichkeit überwand, sich zum vermittelnden Gewissen läuterte und sich letztlich gegen beide Totalita-rismen des vergangenen Jahrhunderts auflehnte.

37

Die „Gesellschaft für interkulturelle Germanistik“ wurde 1984 in Karlsruhe gegründet. Ihr Ziel ist es, kulturelle Unterschiede zu respektieren und die Erkenntnischancen zu nutzen, die in der Unterschiedlichkeit der jeweili-gen kulturellen Ausgangsposition, in dem produktiven Wechselverhältnis zwischen Fremdem und Eigenem liegen. Indem wir uns diese Positionen bewußt machen, die kulturelle Vielfalt ihrer Bedingungen, Fragestellun-gen und Erkenntnismöglichkeiten in den Blick nehmen, gewinnen wir Zugänge nicht nur zur fremden, sondern auch zur eigenen Kultur. Die Gesellschaft ist der Ansicht, daß die Erforschung interkultureller Kommunikation im Zeichen global zunehmender Kontakte, Kontexte und Konflikte auch in der Germanistik an Bedeutung nur gewinnen kann. 38

„Man muß ein Mensch sein, das ist alles.“ Diesen Satz formuliert der alte Horowitz als Quintessenz am Ende des Romans. (S. 462). Er wird dem Werk auch als Motto vorangestellt. (S. 5) 39

Vgl. Anm. 27

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1.6 Zusammenfassung

Die genozidartigen Ausschreitungen von 1944 bis 1948 blieben den Bürgern Jugoslawiens nicht verborgen, obwohl sie nach Kräften vertuscht wurden. Wenn auch viele mehr oder weniger Bescheid wußten, sprach man in den Jahrzehnten danach nur hinter vorgehaltener Hand und lediglich gegenüber eng Vertrauten darüber. Für die Presse und öffentliche Dis-kussion waren solche Themen bis lange nach Titos Tod 1980 absolut tabu, Verstöße wurden strengstens geahndet. Auch in Deutschland war das politische Klima für die Thematisierung von Kriegsverbrechen, die an Deutschen begangen wurden, alles andere als günstig.40 Wäh-rend sich die Welt mit berechtigter Sorgfalt um die nie zuvor dagewesene Dimension der NS-Verbrechen kümmerte, blieben die Vertreibung von bis zu 14 Millionen Deutschen und die an ihnen unterscheidungslos begangenen Massenverbrechen unbeachtet und ungesühnt. Von ethnischer Säuberung und Genozid im Namen anderer Völker wurde wirksam und dau-erhaft abgelenkt. Am auffallendsten sind hier wohl die Verbrechen der Tito-Partisanen an der deutschstämmigen Bevölkerung Jugoslawiens, die bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht angemessen im öffentlichen Bewußtsein verankert sind, obwohl die Donauschwaben selbst mit aller wünschenswerten Eindringlichkeit ihr Schicksal dokumentiert und diese ein-zigartige Dokumentation vielen politischen Entscheidungsträgern im In- und Ausland zu Ver-fügung gestellt haben. Solange selbst die Bundesregierung die Archive zu den Verbrechen an Deutschen unter Verschluß hielt und deutschen Vertriebenen sogar diplomatischen Schutz verweigerte, mußte freilich die Aufarbeitung dieses Kapitels der ganzen Wahrheit stagnie-ren, solange konnte sich ein schuldig gewordenes Regime mit retuschiertem Geschichtsbild und einer manipulierten Bevölkerung in Sicherheit wiegen.

Erst seit der Europarat im Jahr 2000 ein allgemeines Diskriminierungsverbot beschloß, kön-nen auch deutsche Heimatvertriebene das an ihnen begangene Unrecht vor dem europäi-schen Gerichtshof für Menschenrechte einklagen, nach mehr als einem halben Jahrhundert können endlich auch sie aufgrund der Unverjährbarkeit von Völkermord-Delikten ihr Recht auf Heimat und Eigentum durchsetzen.

Bis heute scheint es jedoch ein Sakrileg zu sein, über Opfer und Verluste auf der Verlierersei-te zu sprechen, bis heute kochen die Emotionen hoch, wenn etwa das von Anfang an über-national konzipierte „Zentrum gegen Vertreibungen“ angeschnitten wird, stets mit densel-ben schablonenhaften Unterstellungen und Verdächtigungen, daß von der deutschen Seite Aufrechnung des Leids und Reinwaschung betrieben werde, der Massenmord an den Juden relativiert, das Verursacherprinzip aufgeweicht und Wiedergutmachung gefordert werden solle. Diese Ängste sind zwar verständlich. Jedoch kann eine vollständige Geschichtsschrei-bung und echte Versöhnung nicht stattfinden, solange die „Einmaligkeit“ der Nazi-Verbrechen andere Untaten verleugnen hilft, sie verniedlicht oder gar zu Heldentaten stili-siert, solange Trauer das Privileg der einen und Sühne das der anderen bleibt. „Die Humani-tas ist unteilbar“, sagte Ralph Giordano41, der nicht im Verdacht steht rechtslastig zu sein, aber sein Feindbild eingerissen hat und zum Befürworter des Zentrums geworden ist.

Wie Angehörige und Freunde von Opfern immer wieder bekunden, könnten sie zwar verge-ben, aber niemals vergessen. Vor der Versöhnung steht der ehrliche Wille zur Erinnerung.

40

Eine Ausnahme bildet etwa das Buch von Erich Kern: Verbrechen am deutschen Volk. Dokumente alliierter Grausamkeiten 1939-1949, Verlag K. W. Schütz, Göttingen 1964, 332 S. 41

Interview mit Ralph Giordano: „Ich habe mein Feindbild eingerissen“. Das Interview führte Severin Weiland, Spiegel Online vom 29.7.2002, www.spiegel.de

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Ohne Erinnerung ist Versöhnung gar nicht denkbar. Eine alte jüdische Weisheit besagt, das Geheimnis der Versöhnung heiße Erinnerung. Das Gedenken und Erinnern darf nicht nur das eigene Leid und die eigenen Opfer im Gedächtnis bewahren, sondern muß auch die Opfer von Verfolgung und Verbrechen auf der anderen Seite umfassen. Nur eine uneingeschränkte Aufarbeitung der Vergangenheit vermeidet Beschönigung und Einseitigkeit, sie stellt große Anforderungen an die Wahrhaftigkeit aller Betroffenen. Als zeitverhaftete Wesen können wir die Kette von Kausalität und Schuld nicht einfach durchbrechen, um einen unbefleckten Neuanfang zu setzen, wir müssen unentrinnbar historisch denken, die Last der Erinnerung deutend bewahren, um den Weg in die Zukunft zu finden. Nur darüber hinaus steht uns die erlösende Kraft des Vergebens offen, allerdings verlöre sie Gewicht und Bedeutung, wäre der Verzeihende nicht der ganzen Tragweite des Vergehens schmerzlich eingedenk. Es kostet Überwindung, dennoch zur Versöhnung bereit zu sein. Glaubhaftes Verzeihen kann nur aus einem sehr bewußten geistig-seelischen Akt entspringen, der um alles Geschehene weiß, aus dem Zusammenhang der Aufrechnung aber heraustritt und gerade deshalb auf märchenhaft anmutende Weise erstarrte Fronten aufweicht. Aus diesem Aufbruch im Bereich des Indivi-duellen können sich sukzessive ungeahnte Perspektiven eröffnen. Persönliche Entwicklungen – nicht selten von der Literatur oder allgemein der Kunst angeregt – pflegen sich langfristig in den Breichen der Medien, der Politik und der Schulen niederzuschlagen und haben das Potential, letztlich einen Paradigmenwechsel im Zusammenleben der Völker herbeiführen.

Genau diese Voraussetzungen für eine echte Versöhnung hat Johannes Weidenheim mit allen dazugehörigen Dimensionen wie der geschichtlichen, völkerkundlichen, kulturellen, moralischen und religiösen schon vor mehr als einem halben Jahrhundert in seinem Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“ vorgezeichnet. Weidenheim war nicht nur der erste, der diese zwei antagonistischen Wahrheiten voreinander ausrollte und sie schonungslos mitei-nander konfrontierte, sondern auch der erste mit dem vorauseilenden Weitblick des Ver-mittlers und Versöhners. Je weniger der Prozeß der Versöhnung in der politischen Realität fortgeschritten ist, desto mehr kann und soll Weidenheims dialektische Utopie uns Heutige immer noch leiten. Sie kann es, auch wenn der Autor selbst sich zuvor durch einseitige Par-teinahme schuldig gemacht hatte und trotz des immer möglichen Einwandes, daß er einer Partei nicht gerecht geworden sei.

Zusammenfassend möchte ich noch einmal thesenartig diejenigen Aspekte nennen, die Wei-denheims Werk als unvermindert modern, ja brandaktuell auszeichnen: 1) Weidenheim war mit seiner Vision eines „Treffpunkts jenseits der Schuld“, also einer Annäherung und Ver-söhnung durch vorausgehende Selbsterforschung und das Eingeständnis eigener Schuld, seiner Zeit weit voraus und scheint es heute immer noch zu sein; 2) Aus Geschichte und Erbe der Donauschwaben leitet Weidenheim für sie den unveralteten Auftrag einer Mittlerrolle zwischen den Völkern mit der Fähigkeit zu Multikulturalität, verständnisvoller Toleranz und europäischer Integration ab; 3) Mit seiner europäischen Grundeinstellung war Weidenheim der um 1960 an der adriatischen Küste einsetzenden Mitteleuropa-Debatte voraus (Der da-mals sehr junge Triestiner Literaturwissenschaftler Claudio Magris42 ist einer der geistigen

42 Claudio Magris: - Il mito absburgico nella letteratura austriaca moderna, 1963; dt.: Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur, übers. v. Madeleine von Pásztory, Otto Müller Verlag, Salzburg 1966; nach der italienischen Neuausgabe bearb.: Zsolnay Verlag, Wien 2000

Ders.: Danubio, 1966; dt.: Donau. Biographie eines Flusses, übers. v. Heinz-Geog Held, Han-ser Verlag, München 1988, dtv 2007

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Väter dieses Gefühls der natürlichen Verbundenheit mit Mitteleuropa und machte bereits mit seiner Dissertation „Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur“ auf längst verschüttete Zusammenhänge mitteleuropäischer Zusammengehörigkeit aufmerk-sam. 4) Das Tabu, auch das Leiden deutscher Opfer als Folge des Zweiten Weltkriegs litera-risch darzustellen, hat Weidenheim fast ein halbes Jahrhundert vor Günter Grass gebrochen. Grass nimmt sich in seiner Novelle „Im Krebsgang“43 aus dem Jahr 2002 des tragischen Untergangs der „Wilhelm Gustloff“ und der Wirkung der Vergangenheit auf die Gegenwart an. 5) Bevor es ins modische Gespräch kam, hat Weidenheim mit einem im multiethnischen Raum geschulten Sensorium Fremdenfeindlichkeit in Deutschland dargestellt.44

Das Werk Weidenheims weist – so viel hoffe ich gezeigt zu haben – einen bis heute gültigen und immer noch in die Zukunft weisenden Gehalt auf, der zwischen den vertriebenen Do-nauschwaben und ihren einstigen Nachbarvölkern einerseits und erst als Konsequenz da-raus, als Bewußtseinsbildung, auch für den deutschen Staat und die jugoslawischen Nachfol-gestaaten andererseits Verständnis und Versöhnung stiften kann. Dieser Prozeß der Annähe-rung konnte aus ideologischen Gründen bislang nur auf untergeordneten Ebenen vorange-trieben werden. Aus den gleichen Gründen sind auch die Bücher Weidenheims nach kurzfris-tig hohem Bekanntheitsgrad in den fünfziger und sechziger Jahren wieder in Vergessenheit geraten. Nun, wo das Ende der staatlich verordneten Geschichtsschreibung im ehemaligen Jugoslawien angebrochen ist und neue Möglichkeiten der Begegnung und Vergangenheits-bewältigung eröffnet sind, ist die Zeit reif, auch die Frage der Schuld ohne einseitige Brand-markung neu aufzuwerfen und damit engstens zusammenhängend zugleich das System von Auto- und Heteroimages aufzuarbeiten, um zu einer fundierteren Völkerverständigung im Blick auf die Zukunft zu gelangen. Es kann so ein Beitrag zur Entwicklung eines Bewußtseins für die kulturell und geschichtlich bedingte Unterschiedlichkeit von Perspektiven und Menta-litäten geleistet werden. Dabei müssen neben Fehlern und Verbrechen, die begangen wur-den, selbstverständlich auch die positiven Seiten, das Nachgeahmte und Nachahmenswerte herausgestellt und der öffentlichen Wahrnehmung zur Verfügung gestellt werden. Durch imagologische Analyse können die im Zentrum stehenden Texte des donauschwäbischen Autors Weidenheim mit besonders signifikanten Beispielen einerseits aus den Reihen seiner Landsleute und andererseits mit einigen südslawischen Autoren verglichen werden. Es liegt nahe und fügt sich in den imagologischen Ansatz, über die autoreferentielle Struktur von literarischen Texten hinaus auch Zeugnisse aus historischen Werken sowie aus der Medien-landschaft beider Seiten heranzuziehen. Diese Aufgabe konnte ich hier nur andeuten, sie ist jedoch auf weite Strecken und als geschlossene Darstellung ein Desiderat.

43

Günter Grass: Im Krebsgang, Steidl Gerhard Verlag, Göttingen 2002, 216 S. (auch als Taschenbuch bei dtv). Das deutsche Passagierschiff „Wilhelm Gustloff“ hatte hauptsächlich zivile Flüchtlinge an Bord, es wurde am 30. Januar 1945 durch das sowjetische U-Boot S-13 versenkt und riß mehr als 9000 Menschen in den Tod. 44

Fremdenfeindlichkeit in Deutschland kommt bei J. Weidenheim etwa in folgenden Erzählungen zur Darstel-lung: Morgens zwischen vier und fünf / Der Laie, in: Morgens zwischen vier und fünf. Erzählungen, Union Ver-lag, Berlin 1963, S. 59-81, 99-106; Brief eines Bosniaken an einen deutschen Amtsgerichtsrat, in: Der Wegwei-ser. Zeitschrift für das Vertriebenen- und Flüchtlingswesen Nr. 7, Düsseldorf 1976, S. 26 f.; Janusz Kowalski, alias Schmidt, verteidigt Zabrze, in: Neues Rheinland Nr. 5, Köln 1977, S. 36 f.; Wie kommt der Junge an den Rhein, in: Der Wegweiser. Zeitschrift für das Vertriebenen- und Flüchtlingswesen Nr. 8-9, Düsseldorf 1981, S. 21; Stojanov kann gehen, Düsseldorf 1982; Die Bürgernähe unseres Stadthauses, in: Neues Rheinland Nr. 3, Köln 1982, S. 26 f.; Der arme Milosevic, in: Südostdeutsche Vierteljahesblätter, München 4/1983, S. 278

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2. Weitere Positionen in der donauschwäbischen Literatur

Franz Bahl ist neben Johannes Weidenheim als der wohl bedeutendste donauschwäbische Literat aus Jugoslawien anzusehen. Er wurde 1926 in Tscheb in der Batschka, einem kleinen Schwabendorf an der serbischen Donau, geboren. Zu ersten Bildungselementen werden ihm die Natur und die fremdartige Welt der verschiedenen Nationalitäten und Kulturkreise. Als Fünfzehnjähriger erlebt er die Bilder des Kriegs und der Verfolgung. Im Oktober 1944 flüch-tet er vor dem Einmarsch der Roten Armee, über Budapest und Österreich kommt er 1946 nach Deutschland. In Frankfurt studiert er Germanistik, Philosophie und Geschichte, wird Lehrer, Leiter eines Studienseminars, Schulrat und Schulamtsdirektor in Frankfurt. Als Mitar-beiter von Fachzeitschriften schreibt er pädagogisch-soziologische Abhandlungen, histori-sche Bücher für Unterrichtszwecke, auch im Rundfunk ist er präsent, in Zeitungen erscheinen Gedichte, der geliebten Donau widmet er 1961 einen Bildband. Bahls literarische Buchveröf-fentlichungen sind im Lauf von fünf Jahren in rascher Folge erschienen. Sie schildern unver-blümt die Zustände in einem Schwabendorf während des Zweiten Weltkriegs mit ihren un-liebsamen Begleiterscheinungen und Folgen. In dem Roman Schwarze Vögel (1957) wird die Welt der alten Heimat aus der Sicht des abenteuerlustigen serbischen Bauernjungen Jowan und seiner halbwüchsigen Freunde geschildert, der über die Donau einen Ausbruchsversuch in die Große Welt unternimmt, aber scheitert. In Hitlers Balkanfeldzug werfen die „schwar-zen Vögel“, die deutschen Stukas, auf dem Rückflug von der Bombardierung Belgrads auch über dem kleinen Dorf Bomben ab. Als Jowans Vater wider Willen zu den Waffen eingezogen wird, gerät der Sohn in einen Konflikt zwischen Kriegsbegeisterung und Pazifismus, der seine Kindheit verfrüht beendet. Das Buch wurde 1960 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis aus-gezeichnet. Während einer Tagung der namhaften „Gruppe 47“ sprachen Heinrich Böll und Günter Grass ihm ihre Anerkennung aus.45

Ebenfalls aus der Sicht von Buben, die dem Kindesalter kaum entwachsen sind, schildert der Roman Patrouillen der Nacht (1960), wie durch die deutschen Besatzungstruppen Feind-schaft unter die bis dahin friedlich miteinander lebenden Völker kommt. Die Söhne deut-scher Bauern leben seit Generationen an der unteren Donau und gehören zum jugoslawi-schen Staat. „In den Jahrzehnten der Türkenvertreibung waren sie gekommen und hatten Sümpfe trocken gelegt, Wälder gerodet und Flüsse reguliert, damit das Land fruchtbar werde und seine Bewohner ernähre: Deutsche, Serben, Madjaren und die kleinen Sippen der streu-nenden Zigeuner, nicht abgesondert in hochmütiger Überlegenheit, sondern im friedlichen Nebeneinander glücklicher Menschen, Bauern neben Bauern. Jetzt war Krieg. Der jugoslawi-sche Staat war besiegt und zerstückelt worden, deutsche Truppen standen im Land, und mit den deutschen Truppen kam Feindschaft unter die Völker. Die Serben begannen die deut-schen Siedler zu hassen. Die zogen die Uniformen der Besatzungstruppen an und machten sich zum Feind des Landes, in dem sie lebten und leben wollten und das ihr Vaterland war.“46 Ähnlich schonungslos wie Weidenheim kritisiert auch Bahl die politische Blindheit und pro-vinzielle Arbeitswut der Schwaben, die im Gegensatz zu allen anderen nicht merken, in wel-cher Gefahr sie schweben, als die Rote Armee täglich näherrückt. Auch bei den Serben hat-ten die Deutschen vor dem Krieg noch viel gegolten. „Damals lernte jeder Serbe, wenn er etwas werden wollte, deutsch, zerbrach seine Zunge, um deutsche Romantik, Weltverklärung zu verstehen. In den Schaufenstern lagen deutsche Waren, Bücher, Beethoven, Bach. Aber die Wirklichkeit, die deutsche Wirklichkeit sah anders aus, die roch nach Gewalttat und Blut, Sta-

45

„Ich war ein Geschöpf jener verlorenen Welt …“ Franz Bahl im Gespräch mit Stefan Sienerth, in: Südostdeut-sche Vierteljahresblätter 2/1995, S. 101 46

Franz Bahl: Patrouillen der Nacht, Roman, Westermann Verlag, Braunschweig 1960, S. 7

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cheldraht, Konzentrationslagern.“47 Die Reaktion bleibt nicht aus. Jugoslawische Partisanen verbrennen auf nächtlichen Patrouillen die Weizenernte von Tscheb und anderen Dörfern nach dem Motto, daß sinnlos vernichtetes Brot der Menschheit besser dient als Brot, das nach Deutschland rollt und in Faschistenhände gerät. Die Partisanen stecken Tscheb in Brand und ermorden einzelne Bewohner aus dem Hinterhalt. Raubend und brandschatzend ziehen sie in der Nachhut der sowjetischen Armee durch die schwäbischen Dörfer und stecken die deutschen Bewohner in Ausrottungslager. Wie es in diesen Lagern aussah, was sich da an Folter und Mißhandlung zutrug, verdeutlicht Bahl in der Erzählung Spuren im Wind (1960). Dort finden wir folgende sehr aufschlußreiche Stelle: „Die Schuldigen sitzen im eigenen Volk: unsere Herren, die große Töne gespuckt und von Endsieg und Großdeutschland und Führer und Heimat redeten – man kennt die Kundgebungen und Ansprachen noch –, sind schuld. Unsere Herren, und sonst niemand, denn unsere Herren haben, um vor den ‚reichsdeutschen Brüdern’ etwas zu gelten (vielleicht auch um etwas zu werden, falls der Krieg doch irgendwie gewonnen worden wäre), so lange in das Kriegshorn von Blut und Ehre und Heldentum ge-schrien, bis der ‚Führer’ uns endlich rief. Was haben wir jetzt. Deutsche Art und deutsches Wesen und Ahnenglaube und Vätererbe geschützt. Nichts haben wir, ins Gras gebissen und endlich die Dummheit, die man uns Bauern aufgeschwätzt hat, mit Entsetzen erkannt. Ja, und verloren haben wir, was uns gehörte, alles verloren. Die Herren haben gewußt, daß da keine Heldentum und keine Tapferkeit nützten, die haben gut gewußt, wie sinnlos und überflüssig der ganze Spektakel war. Aber nein, damit das Maß voll wird, haben sie uns noch in letzter Stunde verraten und verkauft. Wenn ich dir sage, dort in den Drecklöchern hab ich keinen einzigen Herrn bemerkt, keinen Kreisleiter und keinen Gebietsführer und keinen Abgeordne-ten und keinen Volksgruppenvertreter (der Teufel hole sie und ihre geschwollenen Titel). Aber ich habe mir berichten lassen, daß sie bei Ödenburg an der österreichischen Grenze ein süffi-ges Leben führten und geheime Tafelrunden hielten, während ich und Rudolf und noch ein paar Männer im Heuschuppen steckten und hörten, wie die Russen im Weinkeller grölten.“48

Um einen verantwortungsvollen „Umgang mit der Sprache in der Bewältigung der Vergan-genheit zu statuieren, war es ein Anliegen Bahls, die verhängnisvollen Ereignisse der vierziger Jahre in der Batschka differenziert, von verschiedenen Gesichtspunkten aus und nach Mög-lichkeit ohne leichtfertige und einseitige Schuldzuweisungen zu beleuchten – und damit nä-herte er sich in seinem Vorhaben der Position Weidenheims, der seit Ende des Krieges bereits mehrere Bücher dieser Orientierung verfaßt hatte, und zum Teil auch jener des fast gleichalt-rigen Hutterer, der ähnliche Gedanken vertrat“.49 Die Thematik der Bücher von Franz Bahl dürfte der Grund gewesen sein, daß sie in der bundesdeutschen Öffentlichkeit für einige wenige Jahre Resonanz fanden, dann aber an den Rand gedrängt und vergessen bzw. totge-schwiegen wurden. Der Schriftsteller Bahl geriet daraufhin in eine Lebenskrise und zog sich aus der literarischen Szene zurück. Unveröffentlicht geblieben sind meines Wissens zwei Gedichtbände und ein dreibändiges Romanwerk, das den Arbeitstitel Nimrod trägt.

Wendelin Gruber (1914-2002) hat das wohl bedeutendste, wenn auch nachträglich rekon-struierte Lagertagebuch eines Donauschwaben geschrieben. Es besitzt dokumentarischen Wert. Das Buch erschien 1977 zuerst in portugiesischer Sprache in Brasilien, weil der Autor in der donauschwäbischen Siedlung Entre Rios wirkte. Ins Deutsche rückübersetzt unter dem 47

Ebenda, S. 91 48

Franz Bahl: Spuren im Wind. Erzählung, Pannonia-Verlag, Freilassing 1960, S. 31 f. 49

Stefan Sienerth: Zum schriftstellerischen Werk des Franz Bahl, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1994 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesver-band, Heft 5, Sindelfingen 1994, S. 83; Ders.: „Ich habe die Stille gehört“. Zum schriftstellerischen Werk des Franz Bahl, in: Der Gemeinsame Weg Nr. 80/1995, S. 32-35

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Titel In den Fängen des roten Drachen erschien es 1986, also dreißig Jahre nach Grubers Freilassung aus dem berüchtigten Zuchthaus Mitrovitza in der ehemals jugoslawischen, heu-te serbischen Wojwodina. Gruber war aufgrund einer persönlichen Intervention des damali-gen Bundeskanzlers Konrad Adenauer entlassen worden.

Der Autor war Zeuge der sogenannten freiwilligen Rekrutierungen seiner Landsleute zur Waffen-SS sowie auch Zeuge der Bestrafung derselben donauschwäbischen Landsleute durch das Tito-Regime nach dem Zusammenbruch der deutschen Front im Südosten. Im ers-ten Teil seines Tagebuchs, der am 8. Mai 1945, dem Tag seiner Verhaftung in Zagreb beginnt, schildert der Autor in aller Nüchternheit ein modernes Kapitel der Acta Martyrum, wie er die Geschichte der Ausrottungslager Jugoslawiens einige Male ausdrücklich nennt. Gruber woll-te den mindestens 70.000 Opfern dieser Lager, deren Leiden von der Welt gar nicht wahrge-nommen oder längst wieder vergessen wurde, „ein geistliches Monument“ errichten, „wenn man schon von Seiten der roten Machthaber bisher alles Mögliche versuchte, jede blutige Spur ihrer Greueltaten von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen“50. Thema des Tage-buchs ist zunächst, was Gruber in diesen Lagern für seine Landsleute tun konnte. Bei den Säuberungsaktionen war auch er selbst mehrere Monate lang schweren Mißhandlungen in den Gefängnissen ausgesetzt, wurde aber doch freigelassen, weil ihm kein Geständnis zu entlocken war und weil die Kommunisten wohl glaubten, ihn mürbe gefoltert zu haben. Mit-te Januar 1946 drang Gruber heimlich in das Lager Gakowa/Batschka, nach Ostern auch in das größte der zehn Vernichtungslager Rudolfsgnad/Banat ein, um in aufopferungsvoller Hingabe seinen ohne Schuld und Gericht dem Hungertod preisgegebenen Landsleuten christlichen Glaubenstrost zu spenden und materielle Hilfe zu leisten, die er wagemutig und listenreich beschaffen konnte. Dies tat er in aller Verborgenheit, teils getarnt als Gefangener. Hier wie dort nahm er seinen Gemeinden das Gelöbnis ab, jährlich zu wallfahren, „wenn wir wieder Befreiung finden“. Bis heute erfüllen die Donauschwaben weltweit dieses Gelöbnis und pilgern nach Altötting, auf den Schönenberg bei Ellwangen, nach Bad Niedernau, nach Mary Lake in Kanada und Entre Rios in Brasilien. Unerschrocken schlich Pater Gruber sich auch in die Todesmühlen von Molidorf/Banat, Kruschiwl/Batschka und Tenje/Slawonien, immer suchte er die gefährlichsten Stellen auf, leitete intern Hilfsaktionen in die Wege, wur-de dreimal verhaftet, und dennoch gelang es ihm, Titos Schergen zu überlisten und seine Maßnahmen fortzusetzen, bis er am 5. Oktober 1948 zu 14 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde. Dem Neusatzer Gericht lagen seine Tagebuchaufzeichnungen als Anklagematerial vor und enthüllten seine subversive Tätigkeit. Nun begann sein beinahe zehnjähriger Kreuzweg durch die kommunistischen Kerker, die Strafe, die er wegen des Einsatzes für seine Landsleu-te erleiden mußte. Knapp und unaufdringlich wird die Zeit im Zuchthaus Mitrowitz, die Ar-beit in der Ziegelei, der Aufenthalt im Zuchthauslazarett geschildert. Diesen Leidensweg be-schreibt Wendelin Gruber im letzten Drittel seines erschütternden Tagebuchs. Das authenti-sche Werk fand einen gewissen Widerhall in der Öffentlichkeit und erlebte mehrere Aufla-gen. Der frühere Südosteuropa-Experte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Johann Georg Reißmüller nannte es eine furchtbare Leseerfahrung, die er den Bonner Politikern empfahl.51

50

Wendelin Gruber: In den Fängen des roten Drachen. Zehn Jahre unter der Herrschaft Titos, Miriam Verlag, Jestetten 1986, S. 15 51

Johann Georg Reißmüller: Das aktuelle Buch. Geschundene Leiber und Seelen. Was Zehntausende Deutscher in Vernichtungslagern erlitten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 7.5.1985; vgl. auch: Ders.: Die Toten unse-res Volkes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 5.5.1986, S. 1; Herbert Czaja: Geschunden in Jugoslawien. Leserbrief, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.5.1986; Hans Krump: Vom Los der Donauschwaben in Jugo-slawiens KZs. Auf blutigen Spuren, in: Die Welt Nr. 134 v. 12.6.1986, S. 18

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Neben Pater Wendelin Grubers Tagebuch „In den Fängen des roten Drachen“ ist uns ein Ta-gebuch im eigentlichen Sinn des Wortes, eines also, das tagesaktuell entstanden ist, von sei-nem ebenfalls aus Filipowa in der Batschka stammenden Landsmann Matthias Johler erhal-ten geblieben. Johler wurde am 15. März 1945 als Kaplan mit den deutschen Bewohnern von Prigrewitza Sentiwan von Titos Partisanen ins Lager Filipowa getrieben. Dort erhielt er unter Hinweis auf die Religionsfreiheit die Erlaubnis, die Messe zu zelebrieren. 1945-46 war er La-gerkaplan im Vernichtungslager Gakowa. Man wird die Geschichte des Hungerlagers Gakowa nicht schreiben können, ohne die aufopfernde Rolle Johlers zu würdigen, der sich im pries-terlichen Dienst bis zur Erschöpfung der Lagerinsassen annahm, unter widrigsten Umständen Eucharistiefeiern, Kindergottesdienste und Krankenpastoral zustande brachte, Seelsorgehel-fer heranzog und unverdrossen die Kinder religiös und profan zu unterrichten versuchte. Sein Einsatz muß „zu den seelsorgerlichen Großtaten der donauschwäbischen Geschichte gerechnet werden“52. Aus der Zeit zwischen 1945 und 1947 hat Johler ein aufschlußreiches Lagertagebuch hinterlassen, ohne literarischen Anspruch zwar, aber zweifellos mit der Ab-sicht, die Außenwelt in gläubig-nüchterner Zeugenschaft über himmelschreiendes Unrecht zu unterrichten. Tatsächlich konnte Johler seine Aufzeichnungen in die Freiheit retten, es sind die einzigen uns bekannten aus einem jugoslawischen Vernichtungslager, die einzigen, die das Leid dort hautnah, aus täglicher Mitleidenschaft und nicht aus dem Abstand nach-träglicher Erinnerung überliefern. Durch seine singuläre Stellung besitzt Johlers Tagebuch für uns Heutige neben seinem historischen Quellenwert eine aus Not und Schrecken geborene Würde.

Johannes Weidenheim selbst nimmt in einem seiner Artikel53 Bezug auf den jugoslawien-deutschen Schriftsteller Franz Hutterer, der neben Franz Bahl und ihm selbst zu den erfolg-reichsten donauschwäbischen Schriftstellern der Nachkriegszeit bis hin zu Herta Müller ge-hört. Er nennt Hutterer einen „Abtrünnigen zur höheren Ehre des Vaterlandes“, dessen Er-lebnismittelpunkt und Schicksalsfaktor die Donau ist, der aber trotzdem als moderner Schriftsteller einzuschätzen sei. In seinem Kinderbuch An den Ufern der Donau (1959) lernen Kinder die ehemalige Heimat ihrer Eltern während einer Dampferfahrt von Wien aus auf der Donau kennen und werden sich darüber klar, wieviel Unglück und Heimatlosigkeit der Krieg gebracht hat. Hier beginnt die Versöhnung der Völker mit der vorurteilslosen Freundschaft der Kinder. In seinem Schreiben wie in seinem Wirken war Hutterer darauf aus, Brücken zu schlagen, ausgleichend zu wirken, das Gespräch zu suchen, was er auch bis zu seinem Tod als Vorsitzender des „Südostdeutschen Kulturwerks“ in München (heute: „Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas“) tat. Die Literatur der Donauschwaben sah er noch zu sehr vom tatsächlich Geschehenen dominiert, als daß neben Erinnerungsprosa und Biogra-phischem auch ein großes episches Werk hätte entstehen können. Diese Feststellung trifft auch auf Hutterer selbst zu, er hat kein episches Werk hinterlassen, sondern zeigte sein Ta-lent als Erzähler von Kurzgeschichten und Essayist. Ein Roman mit dem vorläufigen Titel Gras wächst über die Geschichte oder Die Erbschaft ist nicht vollendet worden, allerdings glieder-te Hutterer einzelne Kapitel aus und veröffentlichte sie als in sich geschlossene Erzählungen („Djordje oder die Erbschaft“).54 Die gesammelten Erzählungen sind in dem Band Gesang

52

Drei Lagerseelsorger in Gakowa, in: Filipowa – Bild einer donauschwäbischen Gemeinde. Sechster Band: Kriegs- und Lageropfer, hrsg. v. Paul Mesli, Franz Schreiber, Georg Wildmann, Wien 1985, S. 177 53

Johannes Weidenheim: Der Erzähler Franz Hutterer, in: Neuland v. 23.5.1953, S. 3 54

Stefan Sienerth: Einspruch gegen das Vergessen. Literarische Vergegenwärtigung als Gegenmittel. Der Erzäh-ler und Schulbuchautor Franz Hutterer, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband, Heft 6, Sindelfingen 1995, S. 75-80

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über dem Wasser 1996 erschienen. Hutterer war immer bemüht, ausgleichend zwischen den Völkern zu wirken, auf Versöhnung hinzuarbeiten, die Vergangenheit multiperspektivisch aufzuarbeiten, dabei ist er immer ein hellwacher und mißtrauischer Beobachter der jugosla-wischen Politik und Kultur geblieben, er war aber auch der erste, wenn es darum ging, Schritte der Aufklärung vor allem innerhalb der serbischen Literatur seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu würdigen. Sowohl in seinen Erzählungen wie auch in seinen Auf-sätzen bemühte er sich stets, die Schuldfrage in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit darzustellen. Das Unheil des Krieges machte nicht nur die Donauschwaben zu Opfern, son-dern auch die Angehörigen der Nachbarvölker. In seinem tiefschürfenden Geschichtsessay Streng vertraulicher Völkermord. Unterlassungssünden der gegenwärtigen Geschichts-schreibung aus dem Jahr 199955 hat er die bis heute nahezu unverändert schwierige Gemen-gelage umrissen. Ich halte es für angebracht, drei bedeutsame Passagen zu zitieren, weil Hutterer sich hier gültige Gedanken zum Problem der Minderheiten und des Minderheiten-schutzes gemacht hat:

„Das Zusammenleben in einer multikulturellen Region beruht auf der Beachtung ungeschrie-bener Verhaltensformen. Diese werden in enger Nachbarschaft eingehalten, solange der la-tente Funke vorhandener Nationalismen nicht entfacht und agitatorisch mißbraucht wird. Der Schritt dazu ist nicht groß. Jede Minderheit hat tief eingewurzelte Vorstellungen des ei-genen Selbstverständnisses. Demütigungen und Verluste spielen darin eine große Rolle. Kon-flikte und Traumata, die lange Zeit stagnieren, die von einer Generation nicht gelöst werden können, geraten nicht in Vergessenheit, sie werden an die nächste weitergegeben. Sie bergen Möglichkeiten explosiver Entwicklungen in sich. In einer Region von Minderheiten, wie sie in Südosteuropa anzutreffen ist, will jede Gruppe ihre Probleme allein lösen, sie strebt keine Partnerschaften an. Solange nationalstaatliches Denken als Priorität akzeptiert wird und na-tionalstaatliches Handeln auch staatsrechtlich Vorrang vor Minderheitenschutz erhält, sind Minderheitenprobleme nicht anders zu lösen als durch Assimilation oder durch Aussiedlung und Rückführung in den Bereich des sogenannten Muttervolkes. Auf diese Alternativen hat sich die Entwicklung der Minderheiten nicht nur in Südosteuropa zugespitzt. Beide wurden dort Realität. Die zweite, eine Um- oder Rücksiedlung, erfuhren die deutschen Minderheiten in der extremsten Lösung, in der Vertreibung mit allen verbrecherischen Konsequenzen. Die Geschichte der deutschen Minderheiten in Südosteuropa bezeugt in ihren einzelnen Stadien paradigmatisch den Weg von Minderheiten in forciert gebildeten Nationalstaaten.“

Wie die Donauschwaben unschuldig schuldig geworden sind, dazu bemerkt Hutterer folgen-des:

„Einer Minderheit, die ihre Sprache, ihre Schulen, ihre Kultur, ihr ethnisches Umfeld geschützt sehen wollte und für diese Rechte eintrat, geriet eine weltanschaulich interpretierte ‚völki-sche Erneuerung’ in eine Eigendynamik, die sie nicht mehr steuern konnte. Auch hier die gro-ßen weißen Flecken, der direkte Zugriff des Dritten Reiches auf die Minderheit, ihre wirt-schaftlichen Ressourcen und ihre Menschen. Die Rekrutierung der Volksdeutschen für die Waffen-SS, die Verträge, die Berlin mit den Regierungen von deren Heimatstaaten geschlos-sen hat, die sogenannten ‚freiwilligen Meldungen’ mit dem Druck, der dahinter stand, die einen Komplex von Schuldgefühlen erzeugten, der Einsatz der Division ‚Prinz Eugen’ durch das deutsche Oberkommando in Südosteuropa, nicht zuletzt die Reaktionen, die der Einsatz von Angehörigen deutscher Minderheiten für die Belange der deutschen Kriegsführung bei den

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Franz Hutterer: Streng vertraulicher Völkermord. Unterlassungssünden der gegenwärtigen Geschichtsschrei-bung, in: Heimatbote, Toronto, Juli 2001, S. 15 f., Fortsetzung: August 2001, S. 15 f.

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Völkern in der Region, besonders den slawischen, ausgelöst und hervorgerufen hat, das sind Fragen, die sich nicht von selbst erledigen. Es ist weithin nicht zu verstehen, warum die deut-schen Minderheiten nicht mit Nachdruck darauf dringen, diese Fragen untersucht und be-antwortet zu bekommen. Sie wurden nach 1945 in Haftung genommen für eine Politik, die sie nicht bestimmt haben. Sie sind von dieser Politik wie der Rache ihrer Heimatländer miß-braucht und getroffen worden, was weniger mit der Unfähigkeit zur Gestaltung einer eigenen Geschichte zu tun hat als mit einem Grundproblem dieses Jahrhunderts, dem einer Minder-heit.“

Und schließlich sei hier noch das Ende dieses lehrreichen Aufsatzes angeführt:

„Wir, Zeugen eines Jahrhunderts, das uns nicht geschont hat, haben seine Realität erlebt. Wir wollen seine Taten und Untaten nicht beschönigen oder verniedlichen, weder Entschuldigung noch Verständnis für seine Täter finden, seine Opfer auch nicht vergessen. Das Jahrhundert hat uns gelehrt, Deutungen und Erklärungen gegenüber mißtrauisch zu sein. Wir wollen uns an Daten, Abläufen, Dokumenten orientieren. Aber auch diese stellen wir in Frage, wollen selber prüfen und vergleichen. Unsere Generation hat die große Manipulation, die Verfüh-rung, die Propaganda erlebt. Wir wollen nicht erklärt bekommen, was oder wie wir zu denken haben. Wir wollen den Dialog, nicht Gefälligkeitsbekundungen. Ereignisse, die nicht betrauert und verarbeitet werden, bleiben im Unbewußten stehen und brechen wieder auf. Traumata graben sich in die Seele der Völker ein. Für sie kann es keine obrigkeitlichen Schlußstriche geben. Wir wollen nicht nach einem neuen Vokabular instrumentalisiert und mobilisiert wer-den. In Sprachregelungen kennen wir uns aus. Die haben wir erlebt. Das Jahrhundert nimmt Abschied. Wir trauern ihm nicht nach. Wir sind offen für die Zukunft.“

Ernst Hodschager harrte aus Verbundenheit mit seinen Schwaben trotz der schlimmen Er-eignisse der Nachkriegszeit in Jugoslawien aus. Ungewollt wurde er zum Zeugen von Massa-kern an seinen Landsleuten und ihrer Rußlandverschleppung. Da er als Ungar eingetragen und durch seinen Namen Blaschek nicht als Deutscher angesehen wurde, blieb er von Über-griffen unbehelligt, mußte allerdings unfreiwillig bis zum Kriegsende in der Petöfi-Brigade dienen. Diese Lebensphase fand später in einer Erzählung ihren Niederschlag.56 Nach dem Krieg konnte er in Zagreb sogar Medizin studieren. Seine Gesinnung und seine Gedichte mußte er sorgfältig verbergen, denn sie lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Was Hodschager in Worte faßte, wurde für ihn selbst ein Mittel, Ungeheuerliches auszuhal-ten. Seine Gedichte bedeuteten für ihn Überlebenshilfe, mit denen er Vereinsamung, Bedrü-ckung, Drohung, Gewalt, der Gefahr für Leib und Leben standhalten konnte. In seinem litera-rischen Wirken war er Autodidakt. Ideelle Vorbilder waren ihm Andreas Hofer und Leo Schlageter, literarisch orientierte er sich an Nikolaus Lenau, Friedrich Schiller, Wilhelm We-ber (Dreizehnlinden) und Hans Carossa. Seit 1957 war Hodschager Dorfarzt in der Batschka, zunächst in Lalić, dann in Doroslovo. Er verstand seine exponierte Stellung als Mittelsmann zwischen Heimat und Fremde, als Posten gegen Kommunismus und Tyrannei. In der Heimat wurde er zunehmend zum Fremdling, fühlte sich unbehaust und allein. 1966 verließ er ent-täuscht das Land und ging in die BRD, wo er als Arzt in Frankfurt a. M. Fuß faßte.

Ein wesentlicher Antrieb seines Schaffens war das Entsetzen über Unmenschlichkeit, „unversöhnt, voll Haß“ zeigte er darauf. Und vor allem als Mahnung mochte er sein Dichten

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Ernst Hodschager: Das nannte man Petöfi Brigade, in: Mahnruf. Gedichte und Berichte, Oswald Hartmann Verlag, Sersheim 1989, S. 41-52; vgl. Koloman Stumpfögger: Nutzlos auf Posten. Gedanken zu Gedichten von Ernst Hodschager, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundesverband, Sindelfingen 1995, Heft 6, S. 107-117

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und Schreiben verstanden wissen. Er wollte der Welt die Augen öffnen über den aus „Raub-gelüst“ begangenen und selbst von der UNO totgeschwiegenen Völkermord an den Deut-schen Jugoslawiens, über die „unsägliche Brutalität eines Josip Broz, genannt Tito, und Kon-sorten“ und die Tyrannei der „satten Bonzen der Partei“57, gegen die sich das Volk nicht er-hob, wie er es stets erhofft und anzustoßen versucht hatte.

1989 erschien sein Mahnruf. Dieser Band mit Gedichten und kurzen Prosastücken füllt eine Lücke, weil nur äußerst wenige Veröffentlichungen, die vom Unheil der Schwaben in Jugo-slawien berichten, von donauschwäbischen Autoren stammen, die erst Mitte der sechziger Jahre in die BRD umsiedelten. Die Auslieferung seines Buches hat Hodschager nicht mehr erlebt, er starb am 30. März, am Abend zuvor.

Alois und Georgine König, beide in Kroatien in deutschen Familien geboren, erzählen in ih-rem Roman Die Tage der ungesäuerten Brote (Dani beskvasnoga kruha, 1992) von den Kriegs- und Nachkriegsschrecken der deutschen Minderheit, die die Autoren als Kinder sel-ber durchgemacht haben. Die Hauptgestalt des Romans ist Elisabeth Müller, die in einem kleinen Dorf nahe Zagreb aufwächst, die Verfolgungen zuerst der Zigeuner, Serben und Kommunisten, später der Deutschen miterlebt und überlebt und schließlich nach Deutsch-land aussiedelt, um sich dort zu integrieren. Der Roman bietet Umrisse einer der Ideologie entzogenen Geschichtsschreibung, die Möglichkeiten zur donauschwäbischen Identitätssi-cherung bereitstellen kann, wie ein kroatiendeutscher Interpret meint.58 Nachdem die aka-demisch gebildeten und tätigen Autoren in Zagreb eine Buchhandlung eröffnet hatten, woll-ten sie ihre Tätigkeit auf das Herausgeben und Drucken von Büchern ausweiten, bekamen aber deswegen Probleme mit den Behörden. In der Arbeit lahmgelegt, beschlossen sie 1986, nach Deutschland auszuwandern. In Hemmingen bei Stuttgart gründeten sie einen eigenen Verlag, in dem 1992 auch ihr gemeinsamer Roman auf deutsch erschien.

Einer der Beweggründe für Rita Prost-Pertschy, ihr Buch Das Heimweh der Simon Rita (1994) aus der deutschen in die serbische Sprache übersetzen zu lassen, war die unerträglich verzerrte Darstellung der Deutschen Jugoslawiens in dortigen Veröffentlichungen. Speziell störte sie sich an den dick aufgetragenen Lügen, wie sie in der 1991 erschienenen Monogra-phie über die Gemeinde Bački Gračac – so heißt ihr Heimatort Filipowa seit 1948 – über die ehemaligen deutschen Einwohner verbreitet werden. Dort heißt es etwa, daß die Deutschen Filipowa vom 9. bis 12. Oktober 1944 vollständig evakuierten und im festen Glauben an eine baldige Rückkehr ihre gesamte, im Laufe von zwei Jahrhunderten erarbeitete Habe ein-schließlich der nicht abgeernteten Felder einfach zurückließen. Nach einem Jahr sei das völ-lig leere Dorf mit armen Menschen aus einem Teil der im Krieg geschundenen Lika neu be-siedelt worden. Mit solcher und ähnlicher Geschichtsfälschung wurde die zu einem großen Teil ahnungslose Bevölkerung Jugoslawiens in der gesamten Nachkriegszeit abgespeist. Ein Klima der Repression und Verängstigung verhindert teilweise bis heute, daß die verordnete Ideologie öffentlich hinterfragt wird. Mit großer Dankbarkeit greifen die Menschen in der Wojwodina aber nach Informationsquellen, die ihnen die Geschichte ihrer Heimat aus einer bisher tabuisierten Perspektive erzählen und ihnen die Augen für die Wahrheit öffnen. Noch sind diese Quellen so selten und kostbar wie Oasen. Durch etliche Leserzuschriften aus Ser-bien an die Autorin hat es sich erwiesen, daß ihr Buch nicht nur gelesen wird, übrigens auch

57

Ebenda: „Unversöhnt“, S. 23; „Bundesrepublik“, S. 35 f.; „Darüber kann man nie genug schreiben“, S. 56; „Zeitungsverkäufer“, S. 27 58

Goran Beus Richembergh: Alois und Georgine König: Dani beskvasnoga kruha / Tage des hefelosen Brotes, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1993 der Landsmann-schaft der Donauschwaben Bundesverband, Sindelfingen 1993, Heft 4, S. 176-178

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von jüngeren Leuten, sondern auch als eine solche Quelle betrachtet wird, die heilende, ver-söhnende Kraft entfaltet. Im Serbischen trägt dieses von Gordana Bukvić übersetzte Buch den Titel „Žal za zavičajem Rite Simove“. Einer der Briefe an die Autorin sei hier auszugswei-se wiedergegeben.59 Es kann dem Prozeß der Versöhnung nur schaden, wenn weiterhin die Stimmen der Gutwilligen ungehört bleiben und radikale Blockierer die Deutungshoheit be-halten. Wegen einer tiefsitzenden Angst, die in der Bevölkerung Serbiens bei diesem Thema immer noch spürbar ist, wurden die Nachnamen des Verfassers weggelassen.

Bács Topola, 30. November 2004

Liebe Rita,

(…) Die Menschen haben das Bedürfnis, über das eigene Leiden zu sprechen, leider ohne an das Leid der anderen zu denken. Genauso habe ich viel über das Leiden meines Volkes gele-sen und gelernt, aber über das Leiden Deines Volkes habe ich keine Ahnung gehabt. Jetzt wurden meine Augen geöffnet, ich habe die Geschichte dieser Zeit besser kennengelernt und bin schockiert. Ich will nicht über Ursachen und Wirkungen in der Geschichte nachdenken, das sollen andere machen. Ich wollte Dir nur sagen, daß leider in den Kriegsgeschehnissen meistens die kleinen Menschen leiden mußten, obwohl sie keinen Einfluß hatten. Alles geht über den Rücken der Ohnmächtigen. In Deinem Buch kann man das schön erkennen. Jede Zeile Deines Buches hat in mir mein Antikriegsgefühl noch mehr verstärkt. (…) Du hast in Dei-nen jungen Jahren so ein Elend erlebt, wenn der Mensch als Kind am bildsamsten ist. Trotz-dem hat Dich das nicht gebrochen und Deine Seele nicht vergiftet. (…) Du hast so ein Leiden erlebt, und trotzdem hast Du Deine Seele vor Haß gerettet und bewiesen, daß das Gute stär-ker ist als das Böse. Ein slowenischer Dichter hat einmal darüber geschrieben, wie eine Mu-schel am Meeresboden eigene Schmerzen in eine Perle verwandelt. Ich finde, Du hast auch Deine Schmerzen in ein Werk der Literatur übertragen, das historischen und literarischen Wert hat. Teile Deines Buches (…) haben es verdient, in die Schulbücher übernommen zu werden, weil sie eine starke Humanität ausstrahlen. Das ganze Elend, das auf Deinen kindli-chen Rücken geladen wurde, hat Deinen Optimismus und Glauben an das Gute nicht gebro-chen. Bravo! Danke! (…)

Dragan

Das Buch „Ein Junge aus der Nachbarschaft. Lebensbericht eines Donauschwaben“ (2007) zeigt den Autor Stefan Barth mit der „versöhnenden Kraft einer geborenen Mittlerfigur“.

Den Tag, als er in Futok in der jugoslawischen Batschka das Licht der Welt erblickte, den 26. Februar 1937, sowie seine eigene Taufe gleich am folgenden Sonntag beschreibt Stefan Barth mit präzisen Beobachtungen und so viel Atmosphäre, als hätte er alles selbst regis-triert und im Gedächtnis bewahrt. Aber es war die Mutter, die ihm viele hundert Male von dem freudigen Ereignis erzählt hat, bis es ihm vorkommt, als wäre es ein Teil seiner Erinne-rung geworden. Ansonsten schöpft der Autor allerdings weitgehend tatsächlich aus eigenen, guten wie bösen Memorabilien in seinem „Lebensbericht eines Donauschwaben“, der knapp sieben Jahrzehnte umfaßt und sich auf gut dreihundert Seiten erstreckt.

Zutiefst prägend waren die ersten acht Lebensjahre, in denen der Junge in der Nachbar-schaft von Deutschen, Serben und Ungarn aufwuchs. Das Multiethnische mit seiner Mehr-sprachigkeit bildete ein Lebenselement für alle in der Wojwodina beheimateten Völker, de-ren Zusammenleben mustergültig funktionierte, bevor ideologische Verblendung in Gestalt

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Stefan Teppert: Wie funktioniert Versöhnung?, in: Das Donautal-Magazin Nr. 143 v. 1.5.2007, S. 31-34; Mit-teilungen / Der Donauschwabe v. 15.3.2007, S. 14

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des Nationalsozialismus, dann des Kommunismus Einzug hielt und in Jahrhunderten gewach-sene Symbiosen zerstörte.

Zuweilen, wenn Barth über die Donau und den Fischfang, über Nikolaus, Weihnachten und Ostern, über Kinderspiele, Tanz und Feste in seinem Heimatort Futok spricht, mag sich der Leser an die Themenliste eines der zahlreichen donauschwäbischen Heimatbücher erinnert fühlen mit ihrem obligatorischen Défilé kirchlicher und volkstümlicher Bräuche, örtlicher Verbände und Vereine, des Lebens und Arbeitens im Dorf. All diese mit eigenen Kapiteln gewürdigten Segmente einer intakten Ortsgemeinschaft in der Vorkriegszeit klingen im ers-ten Drittel dieses Buches ebenfalls an. Barths erinnerungsselige Hommage an den Heimatort ist aber sehr persönlich gefärbt, durchflochten mit den frühesten Bezugspersonen, Haustie-ren, Örtlichkeiten und Begebenheiten, eben mit Familiengeschichte. Darüber hinaus unter-scheiden sich seine Erinnerungen in einem wesentlichen Punkt von den meisten Heimatbü-chern, sie blicken nämlich über den donauschwäbischen Tellerrand hinaus und werfen spä-ter einen bedauernden Blick auf die andersnationalen Nachbarn, ihre Leiden und Verluste durch den Terror der Partisanen. Auch die Verbrechen der Nationalsozialisten in Jugoslawien werden hier nicht unter den Teppich gekehrt. Dagegen rechtfertigt Barth die Rolle des ge-schmähten Kulturbundes als eines legitimen Instruments zur Bewahrung der eigenen Identi-tät, ähnlicher Mittel hätten sich ja auch die Nachbarvölker bedient.

Als nach dem Durchmarsch der Roten Armee im Oktober 1944 Titos Partisanen das Regi-ment übernahmen, brach bis 1947 die Zeit des „totalen Hasses“ aus, ihre Mordlust wütete uferlos. Systematisch wurden alle Privilegierten, Intellektuellen und Besitzenden als „Volks-feinde“ liquidiert, auch viele Serben, Kroaten und Ungarn kamen ums Leben. Die nicht ge-flüchteten Deutschen Jugoslawiens wurden aus haßerfülltem Neid und Rache für Hitlers süd-slawischen Feldzug einem staatlich gelenkten Enteignungs-, Entrechtungs- und Vernich-tungsprogramm preisgegeben, dem 64.000 Zivilpersonen zum Opfer fielen.

Im Zuge der „Volksbefreiung“ kamen Stefans Vater und Großvater in ein Arbeitslager, er selbst mit seiner Mutter, Großmutter und Schwester ins KZ Jarek, wo viele Menschen an Hunger oder Krankheiten starben oder angesichts der Mißhandlungen und Entwürdigungen Selbstmord verübten. Täglich fuhren Leiterwagen mit aufeinander geschichteten Leichen durchs Dorf zum Massengrab. Sogar den Kindern war der Tod kein Schrecken mehr, so sehr gehörte er zum Alltag. Damit die Kleinen ihre Mütter nicht bei der (mitunter sinnlosen, nur der Schikane dienenden) Zwangsarbeit stören konnten, kamen sie in Kinderheime, Ge-schwister wurden auseinandergerissen und ihrem Volk entfremdet, falls sie nicht zuvor elend gestorben waren. Diesem Schicksal entging Stefan nur durch die Intervention eines befreundeten Serben, der die Familie als Leiharbeiter für sein Gut aus dem Lager holte.

Ein Verbrechen bleibt ein Verbrechen. So lautet der gar nicht so selbstverständliche Kernsatz dieses aufwühlenden Buches. Gleichgültig, welche Seite ein Verbrechen begangen hat, man muß es verurteilen, „insbesondere dann, wenn der Täter sich auf angeblich höhere Ziele beruft“. Dieses Fundamentalaxiom der Gerechtigkeit hat den im Kern seiner Menschlichkeit Verletzten wie viele seiner Landsleute ein Leben lang umgetrieben, es war wohl auch die tiefste Ursache für die Niederlegung seiner Memoiren. Denn, so Barths Credo, ohne Gerech-tigkeit, ohne Wahrhaftigkeit kann es letztlich auch keine echte Versöhnung geben, die er aus tiefstem Herzen wünscht, weil ihm seine alte Heimat teuer blieb.

Als Vermittler zwischen Serben und Donauschwaben (Deutschen) eignet sich Stefan Barth durch Werdegang und Charakter in hervorragender Weise. Die Rolle des ehrlichen Maklers war ihm wiederholt zugefallen, sie schien einen Grundzug seines Lebens auszumachen.

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Dank seiner Lehrerin Nada Aleksić konnte er in zwei Jahren vier Klassen Volksschule ab-schließen und so die im Lager versäumten Jahre wettmachen. Auch andere Lehrer lebten ihm in einer Zeit voller Ressentiments Unvoreingenommenheit vor. Die serbische Sprache, Kultur und Mentalität hat er in Volksschule und Gymnasium gründlich kennengelernt, als einziger Deutscher in seiner Klasse. Nach Stefans Abitur wanderte die Familie in die Bundes-republik aus, weil die Deutschen in Jugoslawien 1949 zwar ihre Bürgerrechte, nicht aber ihr Vermögen zurückerhielten. Wieder befand er sich zwischen allen Stühlen. Hatte er in Jugo-slawien als Faschist gegolten, so galt er nun in Deutschland als Kommunist. Es folgten Be-rufsausbildung und Karriere, Familiengründung und Hausbau, Einzug in den Stadtrat von Erlangen und Sorge für die Umwelt. Als der Eiserne Vorhang fiel, engagierte sich Barth für die Völkerverständigung durch Städtepartnerschaften. Er hielt Verbindung zur alten Heimat, der freundschaftliche Kontakt zu seinen Schulkameraden ist nie abgerissen, die politische Entwicklung des Landes hat er besorgt im Auge behalten. Doch erst als ein Krebsleiden ihn auf die wesentlichen Dinge im Leben zurückwarf, beschloß er, die guten Taten zu vergelten, die den Verfolgten in Serbien widerfahren waren, und an seine Wohltäter zu erinnern. Ohne Rachegedanken setzt er sich für die Rehabilitation der Donauschwaben ein, für eine echte Versöhnung auf der Grundlage der historischen Wahrheit, er stellte Hilfslieferungen in das verarmte Land zusammen, im September 2004 gab es eine von ihm initiierte und organisier-te Ausstellung in Novi Sad, die auch das so lange verleugnete Fanal der donauschwäbischen Geschichte veranschaulichte.

Mit realistischem Augenmaß hält Barth eine Entschädigung der Enteigneten nur auf symboli-scher Ebene für möglich. Zahlungen sollten, so seine ausgezeichnete Idee, in eine Stiftung für deutsch-serbische Versöhnung einfließen, um Kulturdenkmäler pflegen und Schriftsteller unterstützen zu können, die sich für die Völkerverständigung verdient gemacht haben. Eine zweite Randbemerkung mit Pfiff nimmt den Nationalstolz aufs Korn: Er habe nur dann eine Berechtigung, wenn man selber einen Beitrag zum Erfolg seines Vaterlandes geleistet hat.

Im ganzen Buch ist der Wechsel zwischen individuellem Erleben und zeitgeschichtlichem Bezugsrahmen gut gelungen. Dem Leser geht bei den Ausblicken auf übergreifende ge-schichtliche Zusammenhänge die Entwicklung des Ich-Erzählers nie verloren, dessen auch mit Fotos illustrierter Lebenslauf bekommt im Gegenteil erst den rechten Verständnishori-zont und leistet so die Aufgabe einer guten Autobiographie. Besonders Leser ohne Vorwis-sen werden dankbar sein für die vorausgeschickte, auf wenige Seiten komprimierte Einfüh-rung in die Geschichte der Donauschwaben, dieses jüngsten deutschen Volksstammes, von drei Kaisern des Hauses Habsburg in das von den Türken zurückeroberte, verwüstete und nahezu menschenleere Pannonien gerufen, um es urbar zu machen und aufzubauen, was die Kolonisten als erste freie Bauern in Europa mit fortschrittlichen Methoden und deutscher Arbeitsmoral erfolgreich bewerkstelligten. Nicht unbedingt neu, aber klug und ausgewogen sind Barths Einlassungen über die widersinnige Zwangskollektivierung in Jugoslawien, die zum Verderben der fruchtbaren Wojwodina wurde und katastrophale Auswirkungen für die ganze Volkswirtschaft hatte; über die tief wurzelnden Gründe für den Genozid an den Jugo-slawiendeutschen; über den aberwitzigen Personenkult um Tito und die ausgebliebene Ver-gangenheitsbewältigung in Jugoslawien, die ähnlichen Exzessen am Ende des 20. Jahrhun-derts Vorschub leistete; weiterhin über Willy Brandts Ostpolitik und Michail Gorbatschows Perestrojka; schließlich leidgeprüfte Gedanken über den Fluch nationalistischer Borniertheit im Unterschied zur Notwendigkeit eines gesunden Patriotismus. Diese analytischen Betrach-tungen sind gerafft und gehaltvoll, sie zeugen von einem reifen homo politicus.

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Daß der Endredakteur offenbar vergessen hat, das Silbentrennungsprogramm zu aktivieren, ist ein Wermutstropfen, der aber durch das gefällige, ja faszinierende Äußere des Buches mehr als aufgewogen wird. Einem Freundschaftsdienst verdanken sich die vier Gemälde des international bekannten, aus Werschetz stammenden Künstlers Robert Hammerstiel, die Einband und Vorsatz zieren, auch sie verarbeiten traumatische Lagererlebnisse.

So sind diese wegen ihrer großen Offenheit sympathisch berührenden, spannend geschrie-benen und außerordentlich lehrreichen Aufzeichnungen ein Mehrfaches in Einem: Heimat-buch und Autobiographie, Zeitzeugenschaft eines Davongekommenen und Geschichtskom-pendium, der Versöhnung zwischen Serben und Donauschwaben gewidmetes Vermächtnis, Mahnmal und Herausforderung für Heutige und Künftige. Kurz: ein pädagogisch überaus wertvolles und lesenswertes, ein politisch bedeutsames Buch! Nach der bahnbrechenden Publikation „Ein Volk an der Donau“ von Nenad Stefanović wiederum ein Meilenstein gegen das Schweigen und Vertuschen in Serbien, aber nicht nur dort! Ein unentbehrliches Hilfsmit-tel, um eine der schwersten Hypotheken abzubauen, die Europa aus einer unseligen Vergan-genheit auch heute noch belastet. Denn trotz Enttabuisierung der Themen Vertreibung und Völkermord stoßen Versuche der Landsmannschaft, auf den Massengräbern der einstigen Konzentrationslager Denkmäler zu errichten, immer noch auf Widerstand, immer noch will ein großer Teil der serbischen Bevölkerung nichts von dem geschehenen Unrecht wissen, immer noch gibt es keine offizielle Stellungnahme von Regierungsseite zum Genozid an den Donauschwaben, selbst die AVNOJ-Gesetze, 1942-45 erlassen, um die Jugoslawiendeutschen zum Abschuß freizugeben, existieren nach wie vor. Stefan Barths Buch ist daher zu wün-schen, daß es diejenige Verbreitung findet, die es um der Völkerverständigung, um des Frie-dens willen verdient.60

3. Ausgewählte Positionen in der jugoslawischen bzw. serbischen oder kroatischen und ungarischen Literatur

Nach 1945 erlangte das Genre der „Partisanenerzählung“ oder der „Prosa des nationalen Befreiungskampfes“, wie es in der offiziösen Terminologie heißt, in der Literatur aller jugo-slawischen Nationen und Nationalitäten eine außerordentliche Bedeutung. Im sogenannten „sozialistischen Realismus“ wurde der heldenhafte Abwehrkampf der Partisanen gegen den Nationalsozialismus verherrlicht, während freilich die Schattenseiten der Vergangenheit fast vollständig ausgeblendet blieben, was die Schundliteratur ausufern ließ. Über die Verbre-chen, die in Jugoslawien aus ethnischen Motiven, aus nationalistischem Wahn, aus Rache, religiösem Fanatismus und der Gier, sich über das Blut des anderen in den Besitz seines Bo-dens zu setzen, nicht nur gegenüber Donauschwaben verübt wurden, durfte nach 1945 nicht gesprochen werden. Tito verordnete denen, die er zur Ausrottung der Deutschen des Landes legitimiert hatte, und von denen, die sich gegenseitig hatten vernichten wollen und von ihm daran gehindert wurden – gemeint sind die Serben und Kroaten –, den gleichen nicht mehr ethnisch, sondern staatsbürgerlich verstandenen Jugoslawismus, eine soziale Utopie des südslawischen Völkerfriedens, der auch das Schweigen darüber einschloß, was geschehen war. Die Verteufelung der ausgerotteten Donauschwaben und ihre Gleichsetzung mit dem faschistischen Feind gehörte ebenso zum Programm der Sowjetisierung Jugoslawiens wie die alle Südslawen betreffende Auslöschung des Bildungs-, Geld- und Industriebürgertums, die

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Stefan Teppert: Versöhnende Kraft einer geborenen Mittlerfigur. Lebensbericht eines Donauschwaben, Be-sprechung des Buches von Stefan Barth: Ein Junge aus der Nachbarschaft, Verlag der Donauschwäbischen Kul-turstiftung, München 2007, 323 S., in: Deutscher Ostdienst (DOD), Bonn 2/2008, S. 23 f.

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komplette Enteignung der serbischen orthodoxen Kirche und Racheakte gegen die kroati-sche, ungarische und italienische Volksgruppe. Indem Tito planmäßig die Zeugnisse der Ge-schichte beseitigte, glaubte er eine lichte Zukunft zu begründen. Mit Hilfe der Geheimpolizei und des Militärs mußte er diesen Zustand aufrecht erhalten. Auch noch lange nach seinem Tod hielt diese Repression an. An die wahre Geschichte des Landes ist jedoch nach wie vor nur über das dunkle Kapitel der Vernichtungslager und Massengräber heranzukommen. Nur so kann das eingeschläferte Gewissen geweckt und die verordnete Amnesie überwunden werden.

Der Montenegriner Milovan Djilas (1911-1995), zunächst überzeugter kommunistischer Ide-ologe und Agitator, jahrelang mit hohen Funktionen innerhalb des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens bis hin zur Stellvertretung seines persönlichen Freundes Josip Broz Tito betraut, dessen Ideologie er theoretisch untermauerte und mit unmenschlicher Härte im Partisanen-kampf durchsetzen half, wandelte sich zum kompromißlosen Kritiker des Kommunismus, worauf es 1954 zum Bruch zwischen den beiden Volkshelden kam. Milovan Djilas verlor sei-ne Ämter und war neun Jahre lang inhaftiert. Lange vor Alexander Solschenizyn und Andrej Sacharow galt er als Urbild des kommunistischen Dissidenten. Seine Schrift Die neue Klasse. Eine Kritik des zeitgenössischen Kommunismus (1957) markiert die Wende in der Haltung des Autors gegenüber der Staatsideologie, insbesondere ihren stalinistischen Deformatio-nen. Djilas’ Grundthese ist, daß der europäische Kommunismus, weit entfernt, die klassenlo-se Gesellschaft der marxistischen Theorie zu verwirklichen, eine neue auf Herrschaft und Unterdrückung gegründete Ordnung geschaffen hat. Ihre Träger beschreibt Djilas als „neue Klasse“, die als Parteibürokratie die Verhaltensnormen der Bürger vorgibt, die Nutzung der Produktionsmittel administriert und kontrolliert und das gesamte Leben und Denken im Staat kanalisiert. Gnadenlos entlarvte Djilas den totalitären Alltag im real existierenden Kommunismus.

Auch der Nobelpreisträger Ivo Andrić (1892-1975) und der große kroatische Schriftsteller Misroslav Krleza (1893-1981) hatten sich von der Parteidoktrin abgekehrt und ihre eigene poetische Welt auf Motiven der Vergangenheit aufgebaut. Ihre Romane und Erzählungen wurden ebenso wie diejenigen von Miloš Crnjanski (1893-1977), Meša Selimović (1910-1982), Milorad Pavić (1929-2009), Miodrag Bulatović (1930-1991) und Danilo Kiš (1935-1989) in verschiedene Sprachen übertragen und erreichten die Weltöffentlichkeit.

Diejenigen Werke von serbischen, aber auch kroatischen und ungarischen Erzählern, die sich thematisch mit den Verbrechen der Parteidiktatur sowie dem tragischen Schicksal der deut-schen Bevölkerung und anderer Minderheiten im ehemaligen Jugoslawien beschäftigen und kritisch auseinandersetzen, weisen inzwischen eine sich über mehr als drei Jahrzehnte er-streckende Entwicklungsgeschichte auf. Sie waren und sind Vorreiter für das Aufbrechen der kommunistischen Desinformationspolitik, deren lange Arme bis an die Jahrtausendwende, ja teils sogar bis in die Gegenwart reichen. Diese Werke stehen als Pioniere vor der seit den neunziger Jahren langsam einsetzenden Debatte in den Medien Kroatiens und später auch Serbiens. Trotzdem sind auch sie meist nicht frei von verzerrenden oder bruchstückhaften Darstellungen und einseitigen Schuldzuweisungen. Es ist hier nicht der Platz, alle diese Auto-ren und Werke ausführlich zu diskutieren, wir können nur kursorisch auf einige der markan-testen von ihnen eingehen, soweit sie überhaupt ins Deutsche übersetzt oder für die deut-sche Literaturszene rezipiert worden sind. Viele liegen bis heute nur in serbischer Sprache vor, manche wurden ins Ungarische übersetzt, was die Auseinandersetzung mit ihnen aber

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für uns nicht wesentlich erleichtert. Auch der vergleichenden Literaturwissenschaft sind sie daher kaum zugänglich.61

Daran hat selbst die Leipziger Buchmesse im März 2011 nicht viel ändern können. Dort war Serbien das Schwerpunktland und konnte sich mit 30 neu übersetzten Titeln, darunter vier umfangreichen Sammelbänden, vorstellen, in denen viele junge Stimmen erstmals zu Wort kommen. Abgesehen von einer Handvoll Neuerscheinungen moderner Klassiker wie Ivo Andrić und dem nach zwei Jahrzehnten nach seinem Erscheinen in Serbien ins Deutsche übersetzten Roman „Mein lieber Petrović“ von Milovan Danojlić war aber die uns interessie-rende Thematik kaum präsent. Aber die Tatsache, daß die marktbeherrschenden Staatsver-lage im früheren Jugoslawien inzwischen kaum noch eine Rolle spielen und durch private Verleger ersetzt wurden, läßt immerhin für die Zukunft hoffen.

Noch zur Zeit des „sozialistischen Realismus“ und der offenen Polizeidiktatur trat ein Autor hervor, der sich nicht damit zufrieden gab, auf die sozialistische Umformung der Landwirt-schaft einzuwirken, sondern als erster das heikle Thema des heute sogenannten Posttrauma-tischen Belastungssyndroms aufgrund von Kriegserfahrungen thematisierte und literarisch verarbeitete. 1957 erschien in Sarajevo der Roman Das Vermächtnis (Molitva za moju Braću, Sarajevo 1957) des damals gerade 31jährigen Autors Mladen Oljača (1926-1994), der zu den Jungen der seinerzeitigen Gegenwartsliteratur zählte, aber als Kommunist und Literat bereits eine Karriere hinter sich hatte. Sein literarisches Werk war sogar mit einem Preis ausge-zeichnet worden. Schon als Schüler war er in den Kampf gegen das „volksfeindliche Regime des alten Jugoslawien“ eingetreten, seine politische Laufbahn setzte sich linientreu als Ge-nosse und Mitglied des Bundes der Kommunisten fort, er wurde 1941 Kommissar eines Par-tisanenbataillons und dann Wirtschaftsführer im Zentralkomitee des kommunistisch kontrol-lierten Jugendverbandes.

„Das Vermächtnis“, im Originaltitel „Gebet für meine Brüder“, gehört nicht zu denjenigen Werken, für die das Nachwuchstalent ausgezeichnet worden war, er durfte zwar erscheinen, wurde aber dann systematisch totgeschwiegen. Diese zweifellos vom Politbüro gelenkte Maßnahme ist aus dessen Sicht verständlich, denn Oljača wagt es zwar nicht, das kommunis-tische System direkt anzugreifen, dennoch setzte sich der Autor über die engen Grenzen der Parteidoktrin und seiner eigenen ideologischen Herkunft hinweg, unterwarf sich der Stimme seines Gewissens und machte sich seine eigenen Gedanken, ohne zu fragen, wem sein Buch gefallen könnte. Der Autor erkannte klar, daß der sozialistische Realismus mit seiner Theorie von der Konfliktlosigkeit die Möglichkeit der Kritik preisgebe. Wohl wegen dieser nonkonformen Pionierleistung hat der Donauschwabe Johannes Weidenheim den Roman ins Deutsche übertragen, er erschien 1962 im Münchner Kindler Verlag.

Oljačas Romanheld, Hauptmann Draschko Jaruga, der aus dem kollektiven Korsett ausbre-chen will und schriftstellerische Ambitionen hat, notiert als Alter ego des Autors in sein Ta-

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Daher können wir hier etwa auf die Schriftsteller Momir Čalenić mit seinem Roman Tudje godine („Fremde Jahre“), wo er von den Deutschen in Nadalj erzählt, auf Arsen Diklić mit Salaš u malom ritu („Salasch im kleinen Ried“), auf Milenko Fudurulja oder auf Vuksan Kenžević mit seinem Roman Heroji i heroji zla („Helden und Helden des Bösen“), auf die Erzählungen von Aleksandar Kron mit dem Titel Trijumfalna kapija smrti („Das Triumphtor des Todes“, Gutenbergova galaksija), auf Stevan Radak mit dem Roman Igračke sa poljane („Spiel-zeug vom Feld“, Vršac) oder Nemanja Rotar mit dem Roman Netrpeljivost („Intoleranz“, Stubovi kulture, Bel-grad 2005), auf Miroslav Popovićs Sudbine („Schicksale“), Igor Marojevićs Šnit („Schnitt“, Laguna 2007) oder Stjepan A. Seder mit seinen Büchern Prvoj smrt, drugoj patnja, trećoj hleb („Dem ersten der Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot“) bzw. Plitki grobovi („Flache Gräber“) gar nicht, auf die Schriftsteller Ivan Aralica, Mladen Markov und Miodrag Maticki nur indirekt eingehen.

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gebuch: „Die Kaserne lehrt mich Unterwürfigkeit, doch es gibt keinen schöpferischen Men-schen ohne Freiheit. Ich liebe Schriftsteller nicht, die nicht gewagt schreiben, gewagt bis zum Widersinn. Ein sozialistischer Autor muß nicht immer denken wie das Politbüro. Auch er hat das Recht, ein Banner zu sein. Ich höre von meinen Freunden, der Stil unserer Nationallitera-tur sei nicht immer gut. Unser literarisches Wörterbuch macht den Eindruck des Kastrierten, des Blutleeren …“62

Jaruga ist der Überzeugung, daß seine Generation eine vollständig geopferte sei. Sie wurde im blutigen Kampf zur Verwirklichung der kommunistischen Ideale von Freiheit und brüderli-cher Gleichheit mißbraucht, um ihre Jugend und ihre privaten Interessen betrogen. Jaruga gehört zu den tapfersten seiner Brigade, steigt auf; weil die Ideale und die Parolen es so verlangen, tut er manches und läßt manches geschehen, was seinem natürlichen, von der bäuerlichen Herkunft geprägten Empfinden widerstrebt. Als erwachsener Mann im Alter von zwanzig Jahren hat Jaruga nach vier Jahren Okkupation, nach dem Elend des Volksbe-freiungskrieges und der Revolution sowie dem Verlust der Eltern noch keinerlei Erfahrung mit dem weiblichen Geschlecht sammeln können und ist doch bereits menschlich verkrüp-pelt, unfähig, die grausame Vergangenheit abzuschütteln und eine gelingende Beziehung zu einer Frau aufzubauen, heimgesucht von den Toten, von Schuldgefühlen, weil er freiwillig angetreten war, um eine deutsche Spionin zu exekutieren, ein Mann, der den Helden und Kommunisten herauskehrt, aber von Angstzuständen gefoltert wird, wenn es Abend wird.

Weder die Flucht in die Ehe mit Bojana, der zwei Kinder entsprießen, noch in Liebschaften mit Marina, Emilia, Ipolita und Brankica können Jarugas Partisanenseele retten. Für den Ver-rat an seiner Ehe, seinen Kindern und der Partei übt schließlich die Gattin mit einem Revol-verschuß auf den wehrlos Schlafenden Vergeltung.

Der ganze Roman wird aus dem Grab heraus von dem erschossenen Helden in Ich-Form er-zählt, was ein Rezensent für einen absurd kitschigen Einfall hielt.63 Der Kunstgriff ermöglicht es dem Autor jedoch, eine freie Sprache zu führen, denn ein Toter ist ohne Furcht und Illusi-on, also unangreifbar und objektiv, er kann endlich aufrichtig bekennen, was er im Leben geschickt sogar vor sich selbst zu verbergen wußte.

Novi Sad und die Wojwodina, die Heimat des in Horgoš nahe der ungarischen Grenze gebo-renen Aleksandar Tišma (1924-2003), ist auch das offene oder kryptische Zentrum seines Werkes. Die Stadt und die Gegend, in der Serben, Kroaten, Ungarn, Deutsche und Juden zu-sammenlebten, werden zum literarischen Kosmos, in dem sich das historische Panorama der europäischen Geschichte mit den Schrecken des 20. Jahrhunderts entrollt: Deportationen, Vernichtungslager, Folterungen, Massaker, Kriegs-, Besatzungs- und Friedenszeiten werden im Schicksal einzelner Romanfiguren plastisch greifbar und individuell faßbar. Der Autor war gerade 18 Jahre alt, als er die Schlüsselerfahrung seines Lebens machte: Kroatische Nazis massakrierten in seiner Heimatstadt Novi Sad mehr als tausend jüdische Kinder, Frauen und Männer und warfen die leblosen Körper durch ein Loch in der zugefrorenen Donau in die eisigen Fluten. „Fünf Bände lang schildert der Autor das Zerbrechen der Zivilgesellschaft …“ (Pentalogie) Umkreisen Die Schule der Gottlosigkeit (1978), Der Gebrauch des Menschen (1980), Kapo und Das Buch Blam (1983) noch die dreißiger und vierziger Jahre, die Zeit des Dritten Reiches und die unmittelbare Nachkriegszeit, so greift Die wir lieben bis in die fünfzi-

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Mladen Oljača: Das Vermächtnis. Roman, Kindler Verlag, München 1962, S. 92, vgl. auch S. 291 ff. 63

Heinrich Zillichs Besprechung, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, München 1963, Folge 2, S. 118; vgl. auch dk.: Ein Gebrannter spricht. Zu Mladen Oljacas totgeschwiegenem Roman „Das Vermächtnis“, in: Volksbo-te, München, 15.06.1963, S. 7

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ger und schließlich Treue und Verrat bis in die sechziger Jahre des sozialistischen Jugoslawi-en voraus. In Tišmas zweitem Erzählband Ohne einen Schrei (1980) tritt die Schilderung ge-schichtlicher hinter die Schilderung existentieller Erfahrung zurück. Tišmas Romane zeugen von der Zerstörung durch Krieg und Terror einer durch friedliches Zusammenleben zwischen Deutschen, Ungarn, Serben, Juden und Zigeunern geprägten Gesellschaft, vom Scheitern des europäischen Humanismus, von der Schuldverstrickung menschlicher Existenz, ohne Hoff-nung und ohne Ausweg aus ihrem Gefangensein in reiner Immanenz, aus ihrer Unfähigkeit zum Glück. Die Frage der Schuld wird nicht expressis verbis aufgeworfen, sondern ist ständig anwesend, die Erinnerung an eine von Gewalt erfüllte Vergangenheit hält alle Akteure uner-bittlich in ihren Klauen. Der Autor richtet jedoch nicht über seine Figuren, er berichtet ohne Pathos und Sentimentalität, mit „unterkühlter Perfektion“, wie der Mensch den Menschen als Objekt gebraucht, wie das Schicksal den Menschen zu Boden wirft und ihn zermalmt, wie am Ende nur Erniedrigte und Beleidigte, Gebrochene und Entwurzelte, an Körper und Seele Verstümmelte übrigbleiben, Persönlichkeit und Würde vernichtet sind. Den Bürgerkrieg im zerfallenden Jugoslawien kommentiert Tišma als Folge des Zweiten Weltkriegs, in dem die deutschen Besatzer den Nationalismus der einzelnen Völker geschürt hätten: „Das Ab-schlachten von damals ist in den Köpfen geblieben.“ Besonders die Serben hätten darunter gelitten: „Es war dann auch die Furcht vor der Wiederholung solcher Massaker, welche die Brutalität bewirkt hat. Furcht inspiriert Terror. Und das Morden unserer Tage wird nicht ohne Folgen für die Zukunft bleiben.“64

Der Grazer Germanist Anton Scherer kritisierte 1992 den Roman „Der Gebrauch des Men-schen“ scharf als tendenziös gegen die Deutschen im allgemeinen und die Deutschen Jugo-slawiens im besonderen gerichtet. Im ganzen Buch werde den Donauschwaben keine einzige positive Eigenschaft zuerkannt. Der Schritt von der Tendenz zur Geschichtslüge sei hier be-reits getan. Dem Leser werde die Lüge aufgetischt, daß die in der Wojwodina angesiedelten Deutschen „im Schutz des erstarkten Dritten Reichs den Serben das fruchtbarste Feld wegge-schnappt, geräumige Häuser darauf gebaut und diese mit ihrer scheinbar blutarmen und schlaffen, jedoch fleißigen und zielstrebigen Brut angefüllt“ 65 haben. Diese offenbare Ge-schichtslüge werde als historische Tatsache verkauft. Gehässiger und ungerechter als mit der Auswahl der die Jugoslawiendeutschen typisierenden Figuren im Roman, nämlich einer ehemaligen Hure und eines von Mordlust erfüllten SS-Manns, könne man die Freiheit und Autonomie der Kunst nicht mißbrauchen. Der Autor befolge parteiamtliche Direktiven. Das Massensterben in den jugoslawischen Internierungslagern werde von Tišma vollständig ver-schwiegen.

Dazu ist zu bemerken, daß Scherer offenbar nicht ausreichend zwischen einer historischen Darstellung und einer literarischen Aufarbeitung unterscheidet, sonst hätte er beispielsweise bemerken können, daß in der Figur des Nemanja Lazukić ein aus Bosnien nach Neusatz zu-gewanderter Serbe dargestellt ist, ein indoktrinierter Chauvinist, der die Deutschen haßt und sie als seine und seines Volkes Feinde betrachtet, ohne je mit ihnen in Berührung gekommen

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Franz Hutterer: Die Donauschwaben in der zeitgenössischen serbischen Literatur: Beispiele aus dem Werk von Aleksandar Tišma, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahrespro-gramm 1994 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband, Heft 5, Sindelfingen 1994, S. 85-91 65

Anton Scherer: Zur Frage der politischen Lüge in der Literatur. Betrachtungen zu einem jugoslawischen Ro-man, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus der aktuellen Diskussion, herausge-geben von der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundesverband, Heft 2, 1992, Sindelfingen 1991, S. 85-88; vgl. auch die inhaltsgleiche Zweitveröffentlichung: Ein geehrter Staatspreisträger. Die Republik Österreich zeichnet einen Donauschwabenhasser aus, in: Der Donauschwabe v. 22.11.1998, S. 6

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zu sein. Diese Figur ist durchaus als repräsentativ zu verstehen für eine breite Gruppe von Zuwanderern aus Altserbien in die Wojwodina.

Der 1938 in Ivanovci geborene Milovan Danojlić zählt mit seinem umfangreichen Werk – das Romane, Essays, Gedichte und Kinderbücher umfaßt – zu den wichtigsten Autoren Ser-biens. Zwar lebt er seit 1984 in Poitiers, wo auch der größte Teil seines Œuvres entstand, ist aber in Serbien sehr präsent. Zwanzig Jahre nach seinem Erscheinen in der Originalsprache 1990 ist sein Roman Dragi moj Petroviću als erstes Werk dieses im deutschen Sprachraum bisher unbekannten Schriftstellers endlich auch auf deutsch unter dem Titel Mein lieber Petrović zu lesen.

Der 1977 aus dem amerikanischen Exil in seinen Geburtsort Kopanja zurückgekehrte pensio-nierte Universitätsprofessor Mihailo Putnik beschreibt für seinen in Cleveland, Ohio, zurück-gebliebenen Freund und Kollegen Steve Petrović in zehn ausführlichen Briefen die Zustände in ihrer gemeinsamen Heimat, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg Hals über Kopf auf der Flucht vor dem Zugriff des Bösen verlassen hatten. Auch Petrović will sich nach seinem Ar-beitsleben in der alten Heimat zur Ruhe setzen. Die Briefe seines Freundes Putnik sollen ihm jedoch zur Warnung dienen, es sind Zeugnisse der Desillusionierung, denn in der Fremde haben die Freunde alles Negative ausgeblendet und sich ein ideales Sehnsuchtsbild der Hei-mat voller Verklärungen und patriotischer Illusionen geschaffen. Der Rückkehrer Putnik (das Wort bedeutet: Reisender) analysiert nun eindringlich die unsanfte Kollision seines senti-mentalen, hoffnungsfrohen Elans mit der erstarrten Wirklichkeit eines Einparteiensystems, das Verwahrlosung, Niedertracht und Haß gezüchtet hat und wo weder Putniks Bildung noch sein importiertes Geld etwas zählen.

Die Briefe verteilen sich über den Zeitraum von 1977 bis 1985, setzen also noch zu Lebzeiten des Partisanenführers Tito ein und markieren das beginnende Ende der fragilen gesamtjugo-slawischen Staatskonstruktion. Jedoch ist von Politik und politischem Personal im Roman nicht die Rede, er zeigt nur höchst anschaulich, in luziden Beobachtungen, vielfach auch in essayartigen Passagen und philosophischen Reflexionen die Folgen politischer Orientierung. Zu der verbreiteten balkanischen Trägheit, die für ein Zeichen von Tiefe und Weisheit gehal-ten wird, gesellt sich nämlich eine tiefe Depression, die einerseits aus der serbischen Ge-schichte zu resultieren scheint, vor allem aber aus der jede Initiative und das selbständige Denken lähmenden kommunistischen Ideologie, was zusammen wie eine Schlafkrankheit mit Gedächtnisverlust wirkt. So ist der Alltag „eine Mischung aus Stumpfsinnigkeit und Unver-ständlichkeit“66, Unternehmer werden zermürbt vom Mißtrauen der Behörden, das freie Leben ist paralysiert von ungeschriebenen Denk- und Sprechverboten, verstellt von den Wahrern unrechtmäßig erworbenen Besitzes und gewaltsam usurpierter Macht, von den „Verbrechen, die in der Vergangenheit passiert sind“67, die jedoch niemals aufgearbeitet, statt dessen verleugnet und verfälscht wurden und so ihren verderblichen Einfluß auf die Gegenwart behielten. „Die Erinnerungen an das Geschehene haben nicht die Kraft, bis zu irgendwelchen Schlußfolgerungen durchzuschlagen.“68 Putnik ist anfangs angenehm über-rascht von der herrschenden Gleichgültigkeit, muß aber später erkennen, „dass es sich nicht um Toleranz handelt, sondern um eine tiefe Verachtung gegenüber allem, was der Einzelne denkt und fühlt“.69

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Milovan Danojlić: Mein lieber Petrović. Roman, Suhrkamp, Berlin 2010, S. 21 67

Ebenda, S. 66 68

Ebenda, S. 59 69

Ebenda, S. 67

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So sieht sich Putnik, das schreibende Alter ego des Verfassers, hin- und hergerissen, einer-seits möchte er in seinem Volk leben, weil er es liebt, zugleich aber ist er peinlich von ihm abgestoßen, weil es rückständig und arbeitsscheu, abergläubisch, übellaunig und von heuch-lerischem Respekt, ohne Größe und ohne Geistesgrößen, in all seiner Unwichtigkeit aufge-blasen sei, er vermißt die Errungenschaften und Annehmlichkeiten der westlichen Welt. Am liebsten wäre er daher gleichzeitig in der Heimat und in der Fremde, um Wohlstand und Ar-mut, Freiheit und Einschränkung zugleich auskosten zu können. Aber die heimatliche Realität läßt seine Wünsche und Hoffnungen, Bestrebungen und selbst seine Gedanken auf ein Mi-nimum zusammenschrumpfen.

In der Figur des pensionierten Gymnasiallehrers für Geschichte Vitomir Lukić zeichnet der Autor den aufgeklärten kommunistischen Ideologen, der verbissen und für Gegenargumente – wie etwa Solschenizyns „Archipel Gulag“ – nicht zugänglich an der Verwirklichung des tota-len Menschen festhält. Aus einer „dreisten Distanz“70 zerpflückt Danojlić das aus Neid und Mißgunst geborene Gesellschaftskonstrukt, das in einer allgemeinen gegenseitigen Überein-kunft zur Verachtung von Begabung, Elite und Leistung, zur Drosselung aller Impulse, zur Zerschlagung des Bauernstandes, zur Erstickung des wirtschaftlichen und geistigen Wettbe-werbs führt. Der Autor liefert eine vernichtende Fundamentalkritik am sozialistischen Expe-riment.

In der Figur des ehemaligen Apothekers Vuk Paligorić dagegen typisiert er den verbohrten Nationalisten, für den das Serbentum eine unantastbare Größe ist und der mit aggressiver Arroganz andere Lebensformen, andere Denk- und Fühlweisen nicht gelten läßt. Paligorić verkörpert die serbische Geistesverwirrung in der Zeit, Kleinmut und Größenwahn in einem, die Verfangenheit in einem Netz von Täuschungen und Selbsttäuschungen. Was Danojlić hier an Serbenschelte liefert, ist ein kühles und zugleich leidenschaftliches Bravourstück beißen-der Selbstkritik. Ein besonders wunder Punkt sei die Ablehnung des logischen Denkens bei den Südslawen. Das Denken an sich wird im repressiven Staat gar zum Delikt, denn das Den-ken kann nicht ohne Freiheit bestehen wie auch umgekehrt „die Freiheit ohne das Denken sinnlos ist“.71 „Die Angst vor der konsequenten Denkweise ist die Angst vor der Wahrheit; wir haben es uns abgewöhnt, uns mit ihr zu konfrontieren.“72 Auf dem Balkan weiß man nicht, „bis wohin die Politik reicht, wo die Gewohnheiten und die Bräuche beginnen, wo die Grenze zwischen Mentalität und Ideologie verläuft“.73 „Die Entschlossenheit, im Selbstbetrug auszu-harren, ist neben der Gekränktheit ein bedeutendes Charakteristikum unseres Patriotis-mus.“74

Danojlićs Roman ist eine melancholisch poetische und zugleich schonungslos kritische Ab-rechnung mit der Misere seines Landes in politischer, ökonomischer, kultureller, intellektuel-ler und moralischer Hinsicht. Trotz einer rückhaltlosen Bissigkeit, wie sie vielleicht nur ein Exilserbe zustande bringen konnte, sind die Verbrechen von 1944 bis 1948 nur mit einer va-gen Andeutung in die Thematik dieses Romans eingeflossen. Es handelt sich ja immerhin um Titos Jugoslawien – dessen Name im ganzen Buch übrigens nicht genannt wird –, bevor es in einem blutigen Bruder-Gemetzel untergehen sollte.

Ivan Ivanji, serbisch-jüdischer Schriftsteller, Publizist und Übersetzer, 1929 als Sohn eines Ärzteehepaares in Betschkerek geboren, ist Überlebender von Auschwitz und Buchenwald. 70

Ebenda, S. 191 71

Ebenda, S. 206 72

Ebenda, S. 138 73

Ebenda, S. 169 74

Ebenda, S. 239

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Er studierte Architektur und Germanistik in Belgrad. Über zwanzig Jahre arbeitete er als Journalist und Dolmetscher für Tito und die jugoslawische Staats- und Parteiführung, trat aber nach dem Machtantritt von Slobodan Milošević aus der Partei aus. Seine diplomatische Laufbahn führte ihn u. a. nach Bonn, wo er 1974-78 als Botschaftsrat für Kultur und Presse fungierte. 1982-88 war er Generalsekretär des jugoslawischen Schriftstellerverbandes. Seit 1992 lebt er in Wien. Seine literarische Karriere begann er mit Lyrik. 1954 veröffentlichte er seinen ersten Roman über seine Zeit im Konzentrationslager. Seitdem sind Romane und Es-says erschienen – wenn auch ohne große Resonanz beim deutschen Publikum. Sein Roman Das Kinderfräulein (1998) knüpft an den autobiographischen Text „Schattenspringen“ aus dem Jahr 1993 an, verschmilzt aber historische Fakten mit fiktiven Figuren und Situationen. Ivanji setzt sich darin mit dem Schicksal der Deutschen im Banat während und nach der Nazi-zeit auseinander. Aus zum Teil leidvoller Erfahrung rekapituliert Ivanji den geschichtlichen Hintergrund des Romans: die deutsche Besetzung Jugoslawiens 1941, die Pogrome und De-portationen durch die Nazis, den Widerstand der Partisanen, die militärische Wende und die Befreiung durch die Rote Armee, die Internierungen und Vergeltungsaktionen durch die Kommunisten bis hin zum jugoslawischen Sonderweg 1948 und der Absetzung vom Terror des Stalin-Regimes. Im Mittelpunkt des Romans steht der Lebensweg der Erzieherin Ilse von Blockberg aus Klagenfurt, eine zwanzigjährige Lehrerin aus verarmtem Adel, die ohne Aus-sicht auf eine andere Anstellung nun als Kinderfräulein arbeiten will. Mitte der dreißiger Jah-re reist sie in eine Kleinstadt im Banat, um im Hause des jüdischen Zuckerfabrikanten Moritz Keleti dessen Sohn Viktor zu betreuen. Zu jener Zeit leben in dieser mitteleuropäischen En-klave der Wojwodina Deutsche und Juden, Serben und Ungarn, Slowaken und Zigeuner nicht spannungsfrei, aber in fruchtbarem Austausch und relativ friedlich miteinander, ähnlich wie dies auch in den Romanen von Milo Dor und Johannes Weidenheim überliefert wird. Ilse verliebt sich in den deutschnationalen Spediteur Peter Jaksch, der dem Schwäbisch-Deutschen Kulturbund angehört und die allmähliche Hitlerisierung der Stadt vorantreibt. Damit ist sie, ohne es zu merken, zwischen die Fronten geraten, die sich kurze Zeit später auf so krasse Weise bilden werden: ihre jüdische Gastfamilie Keleti einerseits, ihr Volksdeutscher Geliebter und ihre eigene adelige und deutsche Herkunft andererseits. Damit ist eine tragi-sche Verstrickung vorprogrammiert. Bei der Machtübernahme durch die Nazis wird Keleti ermordet. Um seine Frau und Viktor zu retten, akzeptiert Ilse die Stelle einer Gestapo-Sekretärin, über deren Schreibtisch Verhaftungsbefehle und Todesurteile gehen. Mit dieser Hypothek muß sie nachher leben und sich von Viktor den Vorwurf gefallen lassen, sie sei eine Verräterin und schuld am Tod seiner Eltern. Das Werk beinhaltet bemerkenswerte Re-flexionen zu den Fragen von Schuld und Vergebung, privater Erinnerung und öffentlichem Gedächtnis. Es bringt dem Leser näher, daß Geschichte nicht ein Abstraktum ist, sondern eine Verstrickung von unzähligen Einzelschicksalen und daß sich Schuldige nicht säuberlich von Unschuldigen trennen lassen. Dieses Fazit stimmt im wesentlichen mit dem von Johan-nes Weidenheim überein. Die entscheidenden Differenzen sind herauszuarbeiten.

Wichtig sind auch einige weitere Arbeiten von Ivanji zum Thema, etwa „Vergeltung und Scham. Das Schicksal der Donauschwaben in der Wojwodina“75. Ivanji bestreitet die syste-matische Ausrottung der Deutschen nach der Befreiung durch die Sowjets. Im anfänglichen Chaos seien lediglich nicht genügend Kräfte vorhanden gewesen, um „einzelne wilde und räuberische Handlungen an schutzlosen deutschen Häusern und Geschäften zu vermeiden“.

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Skript von Dr. Peter Binzberger. Auch Ivanjis Hörspiel „Rache und Scham. Das Schicksal der Volksdeutschen in Jugoslawien“, ist hier relevant, gesendet wurde es in WDR 3, Köln, am 25.1.1990 von 21.00 bis 22.00 Uhr (Re-gie/Produktion: Joachim Sonderhoff; Verantwortlicher Redakteur: Ansgar Skriver; Programmgruppe: Kommen-tare und Feature; Programmbereich: Politik)

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Über die Ermordung der Deutschen habe er keinerlei Angaben in den Archiven gefunden. Es gebe bis heute (1999) nirgendwo Direktiven betreffs der Organisation von Lagern für die Deutschen. „Vielleicht schmachten noch im Archiv des ZK Berichte über die Untaten oder sie wurden einfach vernichtet. Vielleicht handelte es sich um abgesprochene Vorgänge, die nie schriftlich festgehalten wurden.“ Die in ehemals deutschen Dörfern angesiedelten Kolonisten aus „angegriffenen“ Gebieten Jugoslawiens dürften trotz des Rechts auf Heimat und Eigen-tum nicht wiederum enteignet und vertrieben werden. Sie lebten bereits in der dritten Ge-neration dort und hätten in ihren Fabriken enorme Summen investiert. Es sei unmöglich, die alte Ungerechtigkeit mit neuen Ungerechtigkeiten wiedergutmachen zu wollen. Dies dürfe auch kein Hindernis bei der Absicht Serbiens sein, in die Europäische Gemeinschaft aufge-nommen zu werden. Nach Lektüre einiger donauschwäbischer Erlebnisberichte aus den La-gern (so u. a. Wendelins Grubers „In den Fängen des roten Drachen“) bekannt sich Ivanji aber dazu, daß „sicherlich auch die Deutschen das Recht bekommen“ sollen, sich an alle auf diesem Boden begangenen Untaten zu erinnern und so wie alle anderen auch „ihre Toten zu beweinen“. Ivanji gesteht, nicht zu wissen, wie er damals gehandelt hätte, wäre er in Freiheit gewesen. „Aber heute erfüllt mich der Gedanke mit Entsetzen und Scham, daß einem deut-schen Kind, einem kleinen Mädchen, die Ratten die Zehen an den Füßen abgenagt haben in einem Lager im Banat, zur gleichen Zeit, als ich in Deutschland ebenfalls in einem Lager war.“

Mladen Markov, der 1934 in Samoš im Südbanat geborene und mit Schwaben in dieser Ge-gend aufgewachsene Serbe, hat ihre Vertreibung und Internierung miterlebt. Markov kennt alle maßgeblichen Köpfe der politischen Elite seines Landes. In den 90er Jahren war er selbst politisch aktiv, war Mitbegründer einer nationalistisch eingefärbten Partei und organisierte die ersten Massendemonstrationen gegen Slobodan Milosevic. Seine Romane und Kurzge-schichten handeln meist vom Trauma des Zweiten Weltkriegs, oft hat er damit politische Tabus gebrochen. Er war einer der ersten serbischen Autoren, der die grausame Ausrottung der deutschen Minderheit nach 1945 thematisierte und die Ressentiments innerhalb des Vielvölkerstaats Jugoslawien beschrieb. In seinem umfangreichen Werk kommt er breit auf-gefächert auf die Schwaben zu sprechen, die Volksdeutschen, die im pannonischen Raum, wo alle seine Romane und Erzählungen spielen, „einträchtig mit den Serben gelebt“ haben, selbst in jener Zeit, als das Banat von deutschen Truppen besetzt war. Der Kulturbund kommt ebenso vor wie die Deutsche Volksgruppe, der Marienbund, Franz Reith, der Polizei-präfekt des Banats, Dr. Spiller und auch Volksgruppenführer Sepp Janko sowie die Aktionen, die im Banat durchgeführt wurden.

Im zweiten Teil des Buches, den der Autor Mittlere Glocke (Srednje zvono) nennt, steht die Erzählung Die Vertreibung des Vetter Peter (Proterivanje Tate Petera), in der Markov die Internierung der Deutschen schildert. Die Betrachtung ist vielschichtig und bleibt mehrdeu-tig. Im Mittelpunkt steht der serbische Offizier Skakić, der zweifelnd und widerwillig den Auf-trag der Internierung (logorizacija) der Schwaben ausführt und dabei eine Verkehrung aller Verhältnisse erlebt. Die Schwaben, mit denen die pannonischen Serben alles außer der Spra-che verbunden hat, sind vertrieben und bleiben dennoch gegenwärtig, die „Hergelaufenen“ Bosniaken, Serbianer und Montenegriner aber, die nun in die fertigen Häuser der Schwaben einziehen, wirken wie Fremdkörper, mit denen die einheimischen Serben nichts außer der gemeinsamen Sprache verbindet. Skakić kann die Bilder vergangener Tage nicht abschütteln, sie bedrängen ihn im Gegenteil immer stärker. In dem Roman Austreibung Gottes (Isterivanje boga), erschienen 1984 in Belgrad, erzählt Markov über Ereignisse aus dem Jahr 1945, u. a. von dem schwäbischen Bauern Jakob Stuhlmüller, der ausgerechnet von jenem Serben „Tarojec“ denunziert wird, den er im Krieg versteckt hatte. Markovs zweibändiger

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Roman Schindanger (Pseće groblje) erschien 1990 in Belgrad und erzählt die Geschichte der Hermine Deutsch, geborene Huber, die Geschichte des Serben Matija, der Hermine von der logorizacija bewahren will, sie versteckt und doch nicht retten kann.76

Danilo Kiš, geboren 1935 in Subotica an der jugoslawisch-ungarischen Grenze als Kind eines ungarisch-jüdischen Vaters und einer montenegrinischen Mutter, gestorben 1989 in Paris, kann neben Ivo Andric und Milos Crnjanski als der bedeutendste serbische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts betrachtet werden. Sein Vater und andere Familienmitglieder starben in verschiedenen Lagern der Nazis. Kiš überlebte die Okkupation Jugoslawiens durch die Trup-pen des Dritten Reiches versteckt bei Bauern in Ungarn.

Die Veröffentlichung seines Romans Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch (1976) rief in ganz Jugoslawien einen Skandal hervor, hinterließ im literarischen Establishment bleibenden Ein-druck und beeinflußte entscheidend jüngere Autoren, die in den siebziger Jahren zu schrei-ben begannen. Als Kiš nach Erscheinen des Buches ein literarischer, de facto aber ein politi-scher Prozeß gemacht wurde – es ging um seine Kritik am Stalinismus und Nationalismus als Paranoia – antwortete er, da es ihm verwehrt war, in der Presse Stellung zu nehmen, mit dem fulminanten Essay Anatomiestunde (Čas anatomije, 1978) und verließ seine Heimat. Von 1979 bis zu seinem frühzeitigen Tod 1989 lebte er in Paris. In seinem Werk, dessen ge-schichtlicher Hintergrund der Holocaust in Mitteleuropa und der stalinistische Terror sind, begibt er sich auf Spurensuche im vernichteten Kontinent Pannonien („ich evoziere nur Erin-nerungen“). Neben ihren einstigen Nachbarvölkern und vor allem der jüdischen Intelligentzija Mitteleuropas werden auch die Schwaben bzw. Folksdojčeri genannt. Jahre seiner Kindheit war Kiš in der Neusatzer Bem-Gasse, der Deutschen-Gasse aufgewachsen, seine Lehrerin hieß Fräulein Fanni, sein Freund Fredi Fuchs, genannte Atza der Lange war ein „Volksdeutscher“.77 In seiner ironisch als „Familienzirkus“ betitelten Trilogie, zu der neben Frühe Leiden (Rani jadi, Belgrad 1969) und Garten, Asche (Bašta, pepeo, Belgrad 1965) der Roman Sanduhr (Peščanik, 1972) gehört, betätigt sich Kiš mit seiner „Ethik und Poetik des Details“ als Archäologe, Archivar und Rekonstrukteur einer verschwundenen Welt, der gegen das Vergessen anschreibt. Die geheime Hauptfigur, der verrückte Luftmensch und Erfinder internationaler Fahrpläne Eduard Sam, geistert mit Brille, Stock und schwarzem Gehrock durch den Roman, bis er ein schreckliches Ende im Lager nimmt. In dem Erzählungsband Enzyklopädie der Toten (Enciklopedija mrtvih, Zagreb 1983) geht es um die Würde und Ein-zigartigkeit noch des unscheinbarsten Menschenlebens. Danilo Kiš war für den Literatur-Nobelpreis nominiert, doch kam sein Tod der Verleihung zuvor.

Kaća Čelan, Jahrgang 1956, schrieb ihr Theaterstück Heimatbuch (1989) aus Angst, sie könn-te vergessen, woher sie kommt. Die ersten sieben Jahre ihres Lebens verbrachte sie nämlich im ehemaligen Parabutsch (heute Ratkovo) in der Obhut einer volksdeutschen Familie. Ihre Eltern waren als Kroaten aus Bosnien in die Batschka zugezogen und knüpften eine „große Freundschaft“78 mit der donauschwäbischen Familie. Kaća Čelan studierte in Sarajevo an der Philosophischen Fakultät vergleichende Literatur- und Theaterwissenschaft sowie Schau-

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Franz Hutterer: Die Donauschwaben in der zeitgenössischen serbischen Literatur: Beispiele aus dem Werk von Mladen Markov, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahrespro-gramm 1992 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband, Heft 3, Sindelfingen 1993, S. 107-112 77

Danilo Kiš: Frühe Leiden, München 1989, S. 10 78

Anton Scherer: Kaća Čelans „Heimatbuch“. Eine Parabutscher Kroatin setzte den Donauschwaben ein literari-sches Denkmal, in: Der Donauschwabe v. 7.10.2001, S. 5; vgl. auch Kaća Čelan, in: Dürener Illustrierte 05/2006; Die letzte Geschichte und ein neuer Anfang. Kaća Čelan und ihr Exiltheater in Düren, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwa-ben Bundesverband, Sindelfingen 1995, Heft 6, S. 118-122

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spielkunst. Später war sie dort Regisseurin am selbst gegründeten „Amfiteatar“ und Profes-sorin an der Akademie für szenische Künste. Nach dem Ausbruch des Krieges im ehemaligen Jugoslawien flüchtete sie zunächst nach Slowenien, anschließend nach Deutschland. Wäh-rend ihres Aufenthalts im Heinrich-Böll-Haus in Langenbroich als Stipendiatin des Kultusmi-nisteriums Nordrhein-Westfalen gründete und leitete sie das Theater TAS im Exil und die Celan-Theaterschule auf Schloß Burgau bei Düren. Für ihre aufsehenerregenden gesell-schaftskritischen Dramen und Hörspiele sowie ihren Gedichtband „ICH UND DU“ erhielt die Autorin mehrere Preise. Heute lebt sie als Theaterwissenschaftlerin, Autorin und Regisseurin in New York.

Schon als Kaća Čelan zum Studium nach Sarajevo kam, nahm sie sich vor, ein Buch über jene Leute zu schreiben, die sie voller Liebe auf den Arm nahmen, als sie ein Kind war. So ist das Theaterstück „Heimatbuch“ entstanden, geschrieben in Moskau, Subotica, Belgrad, Sarajevo und beendet in Deutschland. Das Stück spielt in Gakowa, einem Vernichtungslager für Do-nauschwaben in der nordwestlichen Wojwodina, zu Frühlingsbeginn des Jahres 1946. Im Hungerlager sind 15.000 Deutsche interniert. Dargestellt wird die ohnmächtige Endstation der unschuldig schuldig Gewordenen. Es handelt sich dabei um das erste künstlerische Werk – und wahrscheinlich auch das einzige – im ehemaligen Jugoslawien, das sich ausschließlich mit dem Schicksal der im Land gebliebenen Volksdeutschen beschäftigt, wenn auch von ei-nem „verspäteten Zeugen“ geschrieben. Immerhin war das Thema bis zur Erstaufführung des Stücks „Heimat“ 1988 am Nationaltheater der serbischen Stadt Subotica auf jugoslawischen Bühnen tabu, kam aber dann auch in Zagreb, Belgrad und Sarajevo zur Aufführung. Mit gro-ßem Erfolg wurde es damals auch in Mühlheim an der Ruhr und im April 1997 unter dem Titel „Heimatbuch“ am Bonner Schauspielhaus aufgeführt. Im Jahr 2006 inszenierte die Au-torin selbst ihr Stück am TAS-Theater auf Schloß Burgau. Sie vertritt übrigens die Ansicht, das Schicksal nationaler Minderheiten gehöre in den „Spielen der Sieger und der Mächtigen“ zu den allergrößten Problemen und werde als unversiegbares Thema das neue, also unser jetzi-ges Jahrhundert begleiten. „Heimatbuch“ bedeutet einen Meilenstein für die Wahrnehmung des Genozids an den Donauschwaben in der jugoslawischen, aber auch in der deutschen Öffentlichkeit. Für das Stück „Heimatbuch“ wurde Kaća Čelan 1995 mit dem Dramatikerpreis der Theatergemeinden Deutschlands ausgezeichnet.

Nenad Stefanović, geboren 1961 in Belgrad, Redakteur der Zeitung Politika, Journalist und Romanautor, war langjähriger Befürworter eines Dialogs mit den aus Jugoslawien vertriebe-nen Deutschen, bevor er im Herbst 1995 am Chiemsee, in Sindelfingen und Tübingen unzen-sierte Gespräche mit zwölf donauschwäbischen Zeitzeugen führen und damit ein in Serbien jahrzehntelang herrschendes Tabu weiter aufweichen konnte. Kriegsdienst, Enteignung, Ver-treibung, die bestialische Rache der Sieger, die Internierung in Arbeits- und Todeslagern in Jarek, Rudolfsgnad, Gakowa, Sombor und anderen Orten, aber auch die Hilfeleistung zwi-schen den Angehörigen verschiedener Völker und das Heimweh werden von Augenzeugen in autobiographischer Realitätsnähe dargestellt, die bis dahin in serbischen Publikationen nicht vorgekommen war. Die Berichte geben Einblick in individuelle Schicksale, die der These von einer Kollektivschuld widersprechen. Zusammen mit Kommentaren und kurzen geschichtli-chen Abhandlungen sind diese Gespräche unter dem Titel Jedan svet na Dunavu Ende 1996 zunächst in serbischer Sprache erschienen, finanziert von serbischen Akademikern in Stutt-gart und Umgebung. Dieses Buch wurde zum damals wichtigsten Mittel, die serbische Öf-fentlichkeit aufzuklären und wachzurütteln. Tatsächlich erfüllte es die Rolle eines Augenöff-ners und Eisbrechers. Schon ein Jahr später konnte der Band auch in deutscher Sprache un-ter dem Titel Ein Volk an der Donau. Das Schicksal der Deutschen in Jugoslawien unter dem

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kommunistischen Tito-Regime erscheinen. Das Buch stellt nach Dutzenden von Romanen, Novellen, Feuilletons, Interviews und Artikeln und neben Studien von Wissenschaftlern wie Vladimir Geiger und Zoran Žiletić die ersten Dokumentation von serbischer Seite dar, die vorausgegangene Darstellungen des Genozids an den Deutschen Jugoslawiens von donau-schwäbischer Seite nicht nur bestätigt und fortsetzt, sondern um die spezifisch serbische Sicht erweitert. Dabei gewinnt die neue Einsicht an Raum, daß die Deutschen nicht die Hauptschuldigen an der Verfolgung der Serben gewesen seien, sondern vielmehr die kroati-sche Ustascha. Die Angehörigen der deutschen nationalen Minderheit hätten sich im Gegen-teil vielfach bemüht, den Ustascha-Terror zurückzudrängen und aufzuhalten. Die Deutschen hätten nach dieser Einschätzung für die Sünden anderer büßen müssen und ihr Leidensweg sei zum Fundament geworden für die in der Folge verbesserten Beziehungen zwischen Kroa-ten und Serben. Das Problematische an dieser wohl nicht ganz falschen Revision der Ge-schichte ist es allerdings, daß der Wille zu neuer Versöhnlichkeit auf der einen Seite mit dem Aufbrechen neuen Hasses auf der anderen erkauft wird. Auf gegenseitige Hilfeleistungen zwischen Deutschen und Serben weisen mehrere Erlebnisberichte hin. Von den vor mehr als 50 Jahren erlassenen diskriminierenden Gesetzen hat sich Jugoslawien jedoch bis heute nicht losgesagt. Interessant ist auch die Feststellung in einem Nachwort von Goran Nikolić, daß in der Nachkriegszeit bis zur Öffnung der jugoslawischen Grenzen und dem Beginn des deutschen Wirtschaftswunders ca. 70.000 Angehörige der deutschen Minderheit durch Umdeklarierung zu Magyaren, Kroaten und Serben in Jugoslawien assimiliert wurden und nachweislich am öffentlichen Leben des Landes aktiv teilnahmen, teils sogar an hervorra-genden Stellen in Staat und Parteiapparat als Verfechter des „Proletarischen Internationa-lismus“. Beipflichten muß man dem resümierenden Satz: „Die kommunistischen Verbrechen an Deutschen müssen genauso als verwerflich gelten wie die NS-Verbrechen und sollten die-selbe Beachtung finden.“79

Das Erscheinen dieses Buches hat offensichtlich eine Wandlung angestoßen. Bei einer Prä-sentation in der Bücherei in Zrenjanin/Betschkerek80 sind, wie der Autor selbst es schildert, Repräsentanten der damals demokratischen lokalen Regierung anwesend. Ein Raum im Obe-ren Geschoß ist vollgestopft mit Menschen. Viele Besucher stehen im Korridor und den Tor-eingängen. Es herrscht spannungsgeladene Stille. Nach der Lesung wagt niemand, Fragen zu stellen, weil ein einstiger Lagerwächter im Publikum ist. Die zehn anwesenden Lagerinsassen von einst erkennen ihn. Doch ihre Angst ist unbegründet, der pensionierte Wächter ist inzwi-schen machtlos und verläßt die Veranstaltung in der Pause. Jetzt erst reden die Leute ohne Unterlaß. Auch die Regierungsvertreter können nicht unbeeindruckt sein. Stefanović fragt sie am Ende des Abends, ob sie der Errichtung eines Denkmals im Lager Rudolfsgnad zustimmen würden. Dort wurden 11.000 donauschwäbische Opfer in Massengräbern verscharrt, meist Alte und Kinder. Die Politiker stimmen zu und halten ihr Versprechen. Die Gedenktafeln ha-ben ein neues Verhältnis zwischen den einstigen und den jetzigen Rudolfsgnadern eingelei-tet. Sie besuchen sich gegenseitig, halten gemeinsame Mittagessen ab, haben die Friedhofs-kapelle renoviert und eine gemischte serbisch-deutsche Gesellschaft zur Erhaltung der Denkmäler gegründet.

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Nenad Stefanović: Ein Volk an der Donau. Das Schicksal der Deutschen in Jugoslawien unter dem kommunis-tischen Tito-Regime. Gespräche und Kommentare serbischer und deutscher Zeitzeugen, Übersetzung ins Deut-sche von Oskar Feldtänzer, 1997, Donauschwäbische Kulturstiftung, München-Eggenfelden-Belgrad

22004, S. ?;

vgl. Julia Schiff: Besprechung „Ein Volk an der Donau“, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 2001/4, S. 80

Geschichte des Entstehens des „Eisbrecher” Buches: Ein Volk an der Donau, donauschwaben-usa.org/2008_oktober_ardi_dialog_symposium.htm

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Die Literaturkritikerin Nadežda Radović sieht das Ganze trotz der positiven Entwicklungen skeptischer. Sie schreibt in einer Besprechung des in Rede stehenden Buches im Jahr 2007: „In dem Land, wo nur eine Wahrheit gepflegt wurde, in dem das Monopol über die histori-sche Wahrheit ein halbes Jahrhundert lang nur die Sieger besaßen, in dem weder über ihre Fehler, geschweige denn über ihre Verbrechen ein Wort gesagt werden durfte, da bahnte sich ‚Ein Volk an der Donau’ nur langsam seinen Weg. Trotz der großen Wertschätzung dieses Buches bin ich nicht überzeugt, daß es – genauso wenig wie zahlreiche andere Bücher, die danach geschrieben wurden – die historische Ungerechtigkeit korrigiert hat, noch daß der systematisch gepflegte Haß gegenüber den Deutschen verringert wurde. Der Spruch ‚Ich has-se dich als Deutschen’ ist weiterhin gebräuchlich. Damit die Ideen des Buches Wirkung zei-gen, ist es notwendig, daß die Regierung hinter diesen Ideen steht und das tut, was sie den unschuldigen deutschen Kindern schon seit sechzig Jahren schuldig ist: sich zu entschuldigen, die völkermörderischen Entscheidungen des AVNOJ (Anm. Teppert: AVNOJ steht für ‚Antifa-schistische Ratsversammlung für die Befreiung der Völker Jugoslawiens’, gegründet am 26. November 1942 zur Verwaltung von Gebieten unter Partisanenherrschaft) außer Kraft zu setzen, ihnen das Vermögen ihrer Vorfahren zurückzugeben, ihre Leiden anzuerkennen. Es ist notwendig, daß die Medien offen über das Unrecht, das ihnen zugefügt wurde, berichten. Die Stimmen der ehrlichen Aktivisten sind nur ein Tropfen der Wahrheit im Meer von Lüge, hin-terhältigem Schweigen, Vertuschen und Verantwortungslosigkeit.“81

Was Frau Nadežda Radović hier anmahnt, ist unleugbar richtig. Aber erst, wenn genug Druck von unten entsteht, werden auch die Politiker handeln müssen. Immerhin hat das Buch Ein Volk an der Donau in Serbien sechs Auflagen mit 15.000 Exemplaren erlebt, für dieses kleine Land mit knapp 7,5 Millionen Einwohnern ist das recht ansehnlich und läßt den Hunger nach Wahrheit erkennen. So gesehen ist es doch ein gewisser Durchbruch gewesen. Auch in Deutschland mußte übrigens 2004 eine zweite Auflage gedruckt werden, in den Vereinigten Staaten erschien 2007 die Übersetzung ins Englische.

Stefanović hat mit dem in Form eines Reiseberichts zu den Donauschwaben in Amerika ver-faßten Band Erde im Koffer (2007) gewissermaßen den Fortsetzungsband zu Ein Volk an der Donau geliefert, und in seiner Novelle Der Doktor hört Swing (2009, liegt bisher nur in serbi-scher Sprache vor) befaßt er sich abermals, zwar fiktiv, aber doch realitätsnah und solide recherchiert, mit dem Schicksal der Donauschwaben im Vernichtungslager Rudolfsgnad, stellvertretend also insgesamt mit der grausamen Behandlung der deutschen Minderheit in Jugoslawien durch die Tito-Partisanen. Stefanović erhielt für diese Erzählung den Liplje-Preis, eine Auszeichnung der internationalen Buchmesse im bosnischen Banja Luka. Seine Erzäh-lung wurde zum „Buch des Jahres in serbischer Sprache“82 gekürt.

Mit seinem Roman Fremde im eigenen Haus (1991) gibt Juro Marčinković, geboren 1942 in Belice/Bosnien als achtes von dreizehn Kindern, gibt der Autor gleich anfangs Anlaß zu Irrita-tionen. Wegen widersprüchlicher Angaben ist der Ort unweit von Neusatz, wo die Handlung 1945 beginnt, logisch nicht vorstellbar. Auch mit Klischees und geschichtlichen Halbwahrhei-ten arbeitet der Autor, der in Eutingen bei Karlsruhe als Franziskanerpater lebt und von sei-nem Anliegen getragen ist, die Einheimischen unbedingt besser über das leidvolle Schicksal der Vertriebenen aufzuklären. So versucht Marčinković, eine ihm wohl exemplarisch er-scheinende Geschichte von dem neunzehnjährigen Iwan und Maria zu erzählen, die sich als Waisen auf der Flucht im Zug nach Deutschland kennenlernen, heiraten und ein ansehnli-

81

Nadežda Radović: Nenad Novak Stefanovićs Erde im Koffer, Belgrad 2007, übersetzt von Stefan Barth, Gesell-schaft für serbisch-deutsche Zusammenarbeit, http://www.drustvosns.org 82

www.donauschwaben-ooe.at unter dem Artikel „Ein Volk an der Donau“

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ches Haus bauen, bis sie nach zehn glücklichen Ehejahren von Verleumdung, Mißtrauen und Neid seitens der Einheimischen getroffen werden. Die Ehe zerbricht, weil Iwan der Einflüste-rung glaubt, seine Frau habe ihn mit seinem Freund betrogen, er erhängt sich, und Maria widmet sich hinfort der Caritas, den Vertriebenen und den Umsiedlern. Herausgekommen ist eine einfache, seelsorgerisch durchwirkte Geschichte, Erbauungsliteratur mit traktathaften Einschüben und, vor dem Hintergrund der zweihundertjährigen Geschichte der Donau-schwaben in Pannonien, einem Gemisch von Angaben zu Ereignissen um das Jahr 1945, von Stationen einer kinderreichen Familie bis zum Einbruch ihres Unglücks. Trotz der möglicher-weise guten Absicht, die dahintersteckt, leistet dieses Buch weder in aufklärerischer noch in polemisch antiideologischer Hinsicht einen besonders neuartigen oder weiterführenden und ist daher auch als Beitrag zur Aufarbeitung von Schuld und der Wegbereitung für Versöh-nung als marginal zu betrachten.

Marian Nakitsch, 1952 im kroatischen Novska geboren, ein deutsch schreibender kroati-scher Lyriker von eigenwüchsiger lyrischer Ausdruckskraft, der eine lange tragische Liebe zu Deutschland hegte, bevor er im Land seiner Sehnsucht leben durfte, hat sich ausdrücklich als Donauschwabe bekannt und schreibt u. a. in seinem ersten Gedichtband Flügelapplaus (1994) Gedichte über den Leidensweg der Donauschwaben in jugoslawischen Vernichtungs-lagern wie z. B. Rudolfsgnad. Nakitsch vollzog seine Nationalitätenwende, als er schon er-wachsen war, weil im damaligen Kroatien das Kroatentum unterdrückt war, weil Land und Sprache von den Serben besetzt waren und weil dem kroatischen Volk ohnehin „eine Vorlie-be für das Deutsche eigen ist“83, so Nakitsch wörtlich in seinem Bekenntnisschreiben „Mein Verhältnis zu den Donauschwaben“. Seine allmähliche innere Wandlung zu einem Deut-schen ging einher mit einer zunehmenden Entfremdung von seinem kroatischen Umfeld, Mißhandlungen durch die serbische Volksmiliz und die Einbürgerung seiner schon seit Ende er sechziger Jahre in Deutschland weilenden Familie haben diesen Prozeß beschleunigt. Als Nakitsch 1987 durch eine Artikelserie in der Agramer Zeitung „Danas“ und der Belgrader „Nin“ auf das Schicksal der Volksdeutschen in seiner Heimat stößt, nimmt ihn das mit Haut und Haaren gefangen und läßt ihn diese Menschen als seine wahren Landsleute erleben. Als deutschsprachiger Schriftsteller, der sich die deutsche Sprache autodidaktisch angeeignet hat, versuchte Nakitsch, „ihre Leiden zu erben“84, indem er sich eingehend mit ihrem Schick-sal befaßte und darüber Gedichte voller Empathie und poetischer Kraft schrieb. Nachdem man Marian Nakitsch die Aufenthaltsgenehmigung aus gesundheitlichen Gründen lange verweigert hatte, konnte er schließlich doch noch seine Einbürgerung erreichen und lebt seit 1994 als freier Schriftsteller in Deutschland, zuerst in Werl, seit 1996 in Berlin. Nakitsch ist Mitglied des Verbands Deutscher Schriftsteller. Er erhielt mehrere Auszeichnungen, u. a. 1995 den Andreas-Gryphius-Förderpreis und 1996 den Adalbert-von-Chamisso-Förderpreis.

Miodrag Maticki, Sohn eines Popen, erzählt in mündlicher Tradition von Kudritz, von Veliko Središte, von Margita im Umkreis von Werschetz, thematisiert die entfesselte Habgier der Partisanen und Zigeuner, die Plünderungen in deutschen Häusern, grausame Einzelschicksa-le, die Evakuierung der Deutschen in letzter Minute, einen Flüchtlingstreck, Massenexekuti-onen, Internierungslager und Massengräber sowie landsmannschaftliche Treffen der Donau-schwaben in Österreich. Es kommt sogar zur Sprache, daß die Banater Deutschen die Schul-den anderer bezahlen mußten. „Der Roman Matickis Die Deutschen gehen (1994) wird von

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Marian Nakitsch: Mein Verhältnis zu den Donauschwaben, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donau-schwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband, Heft 6, Sindelfingen 1995, S. 81 84

Ebenda

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der Revolte über das ein halbes Jahrhundert und mehr andauernde Totschweigen über die ideologische Fälschung des bösen Schicksals derjenigen Jugoslawiendeutschen getragen, die glaubten, das Banat nach dem Abzug der deutschen Wehrmacht im Oktober 1944 nicht ver-lassen zu müssen, da sie reinen Gewissens waren. Sie hatten dabei jedoch – wie der Großteil der übrigen Bevölkerung des Banats auch – die Gefahren des Totalitarismus stalino-titoistischer Prägung verkannt.“85 Matickis apolitischer Roman beinhaltet keine Polemik ge-gen das Regime oder die mit ihm konformen Feuilletonisten, Filmographen oder Geschichts-schreiber, sondern hat wohl eher seinem Verfasser ermöglicht, sich vom Druck seiner Kind-heitserinnerungen freizuschreiben. Nach Žiletić hat Matickis Historiographieren des Tabuier-ten aus den Umbruchzeiten des AVNOJ-Jugoslawien die Funktion des Lückenschließers. Maticki werbe um die Opfer der anarchischen Zeiten ohne Verständnis für ihre Urheber.

Ivan Aralica, geboren 1930 im dalmatinischen Promina bei Knin, einer der bedeutendsten Exponenten der kroatischen Literatur in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, hat sich mit dem Schicksal der Donauschwaben beschäftigt, wenn auch nur vorübergehend und fragmentarisch. Nach einigen schwachen Romanen im Stil des sozialistischen Realismus gehörte Aralica zu den Befürwortern einer größeren Unabhängigkeit Kroatiens vom kommu-nistischen Jugoslawien. Die gewaltsame Unterdrückung dieser nationalen Bewegung 1971, auch „Kroatischer Frühling“ genannt, und seine spätere berufliche und soziale Degradierung veranlaßten Aralica, zu seinen katholischen Wurzeln zurückzukehren. Er wandte sich ab von doktrinärer Propagandaliteratur und entwickelte seine eigenen literarischen Anschauungen, beeinflußt vor allem von Ivo Andric, Thomas Mann und Knut Hamsun. Interessanterweise war er als Dalmatiner der erste kroatische Literat, der das heikle Thema der Volksdeutschen aufgriff. Er schreibt über die serbischen Orthodoxen, die nach dem Krieg in das Dorf Berak in Slawonien kamen, die Häuser der verjagten Deutschen und deren Land als Kämpferpension bekamen. Sie hatten die Macht, kamen sich deshalb wichtig vor und führten sich entspre-chend hochnäsig auf. In Aralicas Erzählung Dreirosengasse (1992) geht es um das Flücht-lingsschicksal der kroatischen Bosniakin Marta Ivosević und ihrer Familie, die aus den armen Landesteilen kommt und auf der Suche nach einem besseren Leben Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nach Slawonien einwandert. Dort allerdings wird sie überall fortge-jagt oder findet verschlossene Türen vor. Ausgerechnet in der ärmlichen Behausung einer alten Schwäbin, bei „Tante Tereza“ in der Dreirosengasse, die wie durch ein Wunder in Berak zurückgeblieben ist, obwohl ihr gesamtes Volk verjagt wurde, findet sie jahrelang, über de-ren Tod hinaus eine Bleibe, nur weil sie nicht mit der angesagten Formel „Hallo Genossin“ grüßte, sondern aus alter Gewohnheit mit „Gelobt sei Christus“. Ganz gezielt bringt Aralica das Schicksal der heimatsuchenden Bosnier mit jenem tragischen und verhängnisvollen Schicksal der heimischen Schwaben, verkörpert in Tante Tereza, in Verbindung und verdeut-licht so die Geschichte einer fortlaufenden pannonischen Tragödie. Die durch Kriegsgewinn reich und mächtig gewordene Schicht der orthodoxen Serben bedienstet die ärmeren Zuge-wanderten und schürt damit einen alten, nun wieder aufflammenden Konflikt. Das kroati-sche Fernsehen hat 1992 nach dieser Vorlage eine gleichnamige Verfilmung unter der Regie

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Zoran Žiletić: „Die Deutschen gehen“ Miodrag Matickis. Der Leidensweg der Deutschen aus Veliko Središte und Werschetz vom Oktober 1944 und kurz darauf als literarischer Stoff, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundes-verband, Sindelfingen 1995, Heft 6, S. 92-106, hier S. 102; vgl. auch: Helmut Frisch: Idu Nemci – Die Deutschen gehen. Eine außergewöhnliche Buchbesprechung, in: Der Donauschwabe v. 29.10.1995, S. 5, 11; Maria Moser: Die Deutschen gehen. Herr Maticki, sein Buch und Groß-Sredischte, in: Der Donauschwabe v. 20.4.1997, S. 5

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von E. Galić ausgestrahlt. Der Streifen wurde dem Publikum bei den Tagen des kroatischen Films damals vorgestellt.86

Prof. Dr. Zoran Žiletić, geboren 1933 in Belgrad, hat sich als einer der wenigen serbischen Wissenschaftler mit dem Thema der Donauschwaben gründlich befaßt und nimmt eine Posi-tion jenseits von Vorurteil, Ideologie und einseitiger Betrachtung ein, die es ihm ermöglicht, einige Defizite in der Geschichtsschreibung sowohl auf donauschwäbischer als auch auf ser-bischer Seite aufzuzeigen. Žiletić verfaßte mehrere Beiträge über die Fälschung der donau-schwäbischen Zeitgeschichte von 1945 bis zum Fall des Milošević-Regimes. Die Jugoslawien-deutschen waren bis 1991 eines der Tabuthemen der stark eingeschränkten Öffentlichkeit und somit auch kein Thema für die jugoslawische Germanistik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In der Belgrader Germanistik wurden sie erst 1992 Gegenstand eines von Žiletić veranstalteten halbsemestrigen Spezialkurses über ihre Ansiedlung, ihre Herkunft und ihre kulturelle Leistung bis zu ihrer Vertreibung. Um einen in Ansätzen schon begonnenen Reha-bilitierungsprozeß den Donauschwaben gegenüber fortzusetzen und zu verstärken und der Indoktrinierung entgegenzuwirken, plädiert er dafür, das Thema im akademischen Unter-richt anzubieten. Vor allem müsse die Geschichte der Donauschwaben in der Wojwodina auch eingebettet in die Sowjetisierung Jugoslawiens und vernetzt mit den parallel laufenden Leidenswegen anderer Volksgruppen dargestellt werden, so seine Forderung. Ebenso dürf-ten sich die Medien in Serbien nicht mehr an den tief eingefressenen, von ehemaligen Insti-tuten für die Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung gefälschten geschichtlichen Gegebenheiten orientieren. Erst wenn eine ideologiefreie Geschichtsdarstellung vorliege und gelehrt werde, werde man aufhören, die Bundesrepublik Deutschland, Österreich und die Donauschwaben für den serbischen Erzfeind zu erachten. Nur so könnten die Vorausset-zungen für die serbische Wiedereingliederung in Europa geschaffen werden.

Žiletić stimmt mit donauschwäbischen Historikern darin überein, daß die Wojwodina-Deutschen nicht so sehr wegen ihrer Rolle während der Kriegsjahre, besonders seit der Ok-kupation Jugoslawiens 1941, entrechtet, enteignet und ausgerottet wurden, sondern vor allem wegen ihres beträchtlichen Vermögens an Geld, Grund und Boden, Häusern und Sachwerten. Dieses Vermögen wurde zum Aufbau der neuen kommunistischen Gesell-schaftsordnung, zur Einführung der Kollektivwirtschaft benötigt. Verdiente Partisanenkämp-fer konnten mit guten Häusern und fruchtbarem Boden belohnt werden, man erlangte so problemlos das wirtschaftliche Übergewicht und konnte zugleich die Macht des neuen Re-gimes stabilisieren. Indem man den Wojwodina-Deutschen alle Schuld in die Schuhe schob und sie ihrer Geschichte beraubte, entschuldigte man auf der anderen Seite die Verbrechen von Kroaten und Albanern, die auf diese Weise in den neuen Staatsverband einbezogen werden konnten. Gerade die Deutschen wären für das neue System wegen ihres Vermögens am wenigsten zu gewinnen gewesen, außerdem waren sie als Kriegsverlierer und Angehöri-ge des bis 1949 im gesamten Europa für vogelfrei erklärten deutschen Volkes eine leichte Beute. Dem großserbischen Nationalismus hingegen mißt Žiletić keine tragende Rolle bei der Vernichtung des Deutschtums in Jugoslawien durch Titos Partisanen bei.

Seit ihrer Gründung 1991 in der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste bis 2001 war Prof. Žiletić Vorsitzender der Gesellschaft für deutsch-serbische Zusammenarbeit, zu deren Aufgaben auch die ideologisch unverkrampfte Aufarbeitung der jüngsten Geschich-

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Vladimir Geiger (Zagreb/Agram): Das Schicksal der Donauschwaben in der Erzählung „Dreirosengasse“ („Kokak triju ruža“) des kroatischen Schriftstellers Ivan Aralica, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Do-nauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1993 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesver-band, Heft 4, Sindelfingen 1993, S. 179-181

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te Jugoslawiens und seiner Donauschwaben gehört. Žiletić wandte sich mit Vorträgen über die Ansiedlung der späteren Donauschwaben gegen die herrschende Meinung, sie sei ein Germanisierungsakt gewesen, und gegen eine fast ein halbes Jahrhundert andauernde Ver-teufelung alles Deutschen. Die Gesellschaft konnte auch die Erlaubnis erwirken, auf Massen-gräbern von Deutschen wie in Rudolfsgnad Gedenktafeln zu errichten und Gedenkfeiern im Beisein hoher kirchlicher Würdenträger und unter Anteilnahme der Öffentlichkeit zu organi-sieren. Dank dieser Pionierarbeit konnten in der Folge, wenn auch mitunter gegen heftigen Widerstand, auf serbischem Boden eine ganze Reihe von Gedenkstätten errichtet werden: Neben Rudolfsgnad sind dies Kikinda, Gakowa und Kruschiwl, Syrmisch Mitrowitz und Jarek.

Im Juni dieses Jahres (2011) kann nun auch auf der Heuwiese bei Filipowa (heute Bački Gračac) eine Gedenkstätte eingeweiht werden. Dort wurden am 12. November 1944 von Tito-Partisanen 212 deutsche Männer ermordet und in einem Massengrab verscharrt. Bei der Feier wird der Freiburger Erzbischof und Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch zelebrieren. Er stammt aus Filipowa, sein älterer Bruder gehört zu den Op-fern der Heuwiese.

Lajos László, 1925 im ungarischen Szekszárd geboren, hat sich stets auf die Seite der Schwa-chen und Benachteiligten gestellt und sich auch in Zeiten, als dies bittere Konsequenzen nach sich ziehen konnte, unangenehmen Themen gewidmet. Von den Donauschwaben Jugo-slawiens wurde es als geradezu befreiend empfunden, daß ein ungarischer Anwalt sich ihres Leidensweges annahm und ihn literarisch in ungarischer Sprache und in Form einer Trilogie gestaltete. Der erste Teil Im Bergwerk spielt niemand Balalaika (1992) schildert in einem Kranz von Erzählungen einige Schicksale von Rußlandverschleppten. Ende der 80er Jahre hatte der Autor eine Anzahl Donauschwaben ins Lenau-Haus in Fünfkirchen eingeladen und ihre Geschichten dann literarisch aufgearbeitet. Den Mittelteil der Trilogie bildet der Roman Ich komme aus dem Todeslager (1997), er handelt über die bestialische Rache der Partisa-nen Titos für die Kriegsverbrechen der Deutschen während ihres Jugoslawien-Feldzuges. Die Zeit im Todeslager wird aus der Sicht der 13jährigen Esther geschildert. Die Brutalität ihrer Bewacher, der Haß und die Gefühllosigkeit, das Sterben und Morden in der Marschkolonne und im Lager Jarek gehen dem Leser unter die Haut und wirken gerade deshalb so eindring-lich, weil sie in kurzen, einfach strukturierten, eben kindgemäßen Sätzen wiedergegeben werden, sie verharren in naiver Gläubigkeit an die ausgleichende Gerechtigkeit eines göttli-chen Strafgerichts und beinhalten deshalb keine moralische Anklage. Abgeschlossen wird die Trilogie mit dem Roman Und führe uns nicht in Versuchung (1998). Darin zeigt der Autor die Epoche nach den großen Tragödien im Leben einer Familie gemischter Nationalität, in der sich die grausamen Ereignisse und Schicksalsprüfungen, vielmehr die schmerzlichen Erinne-rungen daran bereits aufzulösen scheinen in der Wärme des familiären Beisammenseins, in wiedergefundener Menschlichkeit, im Glück der Gegenwart. Allmählich rückt das Thema des geschundenen Menschen im Prozeß der sich ablösenden Generationen in eine unwirkliche Ferne.87

Siniša Jakonić, 1961 in Kikinda im serbischen Banat geboren, hat in seinem Ende Dezember 2002 erschienenen Buch „Zločini Miloševićeve tajne policije“ (Die Verbrechen der Geheim-polizei von Milošević, 2002) auch das Schicksal der Donauschwaben offen angesprochen, als

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Stefan Teppert: Trilogie des geschundenen Menschen (Besprechung Lajos László: Im Bergwerk spielt niemand Balalaika / Ich komme aus dem Todeslager / Und führe uns nicht in Versuchung), in: Südostdeutsche Vierteljah-resblätter 1999/4, S. 406 f.; Donaudeutsche Nachrichten, Folge 6, 1999, S. 22; Deutsches Wort 35/2000, S. 27 f. (mit Übersetzung ins Kroatische); Das Donautal-Magazin v. 1.12.1999, S. 13

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einer der ersten serbischen Autoren hat er öffentlich auf die Massengräber im Lande hinge-wiesen.88

Im Falle Jugoslawiens hat ein halbes Jahrhundert der Vertuschung, der ideologisch aufberei-teten Geschichte und der einseitigen Erziehung einen „eingeschüchterten, handlungsscheu-en Menschen mit einer einseitigen geistigen Ausrichtung“ geformt, der vollständig abhängig war von der Verwaltung und der Staatswirtschaft, kaum einen wirtschaftlichen Rückhalt hat-te und nur im Geiste des Regimes geduldete und überwachte Gruppierungen bilden konnte. Dennoch waren die Leute nach den Beobachtungen Binzbergers keineswegs in ihrer Ge-samtheit gebrochen, sondern wichen anarchisch der Bedrängung von oben aus, entzogen sich dem als bedrohlich erlebten Staat und konspirierten je nach Interessenlage. Dieses dis-tanziert-ablehnende Verhältnis des Untergebenen zum Staat hatte Binzberger auch schon vor dem Krieg registriert.

Zu allen Zeiten und in allen Völkern tauchen jedoch immer wieder unerschrockene einzelne auf, die ihrer tyrannischen Obrigkeit die Stirn bieten und unter Lebensgefahr versuchen, de-ren Lügengebäude zum Einsturz zu bringen. Zu diesen mutigen Verfechtern der Wahrheit gehören auch der 1989 verstorbene Banater Serbe Luka Nadlački und der 1961 in Kikinda geborene Serbe Siniša Jakonić. Der gebildete Historiker und Leiter des Kikindaer Zentralar-chivs Nadlački machte sich Toma Granfil, ein prominentes Mitglied des Tito-Regimes, zum Intimfeind, indem er sich dessen Wunsch verweigerte, seine zwielichtige Vergangenheit zu frisieren.

Granfil hatte nämlich allem Anschein nach, so behauptet Jakonić, als Doppelagent zwischen Kommunisten und Nazis fungiert. Er sei verantwortlich gewesen für die Versorgung oder besser Unterversorgung der donauschwäbischen Hungerlager, für die Plünderung der nicht unbeträchtlichen deutschen Vermögen, deren Filetstücke er seinem Privatvermögen zuführ-te. Er habe auch dafür gesorgt, daß alle Deutschen eigens erschlagen wurden, die zu Zeugen seines Tuns geworden waren. Nach Jakonić war er neben Tito der Hauptverantwortliche für die Verbrechen an den Deutschen Jugoslawiens.

Nadlački jedenfalls stellte sich Granfils Ansinnen entgegen, belastende Dokumente zu ver-nichten. Der integere Archivar fiel daraufhin in Ungnade, wurde entlassen und in seiner gan-zen Existenz ruiniert, während aus dem Archiv verräterische Spuren über den verheimlichten Genozid verschwanden. Unbeugsam sammelte Nadlački jedoch vierzig Jahre lang beweis-kräftiges Material über Granfil und veröffentlichte es ab Anfang der achtziger Jahre. Da we-der polizeiliche Einschüchterung noch ständige Überwachung, ja nicht einmal drei Mordan-schläge durch fingierte Autounfälle, von denen der letzte ihn zum Invaliden machte, etwas an seiner Haltung ändern konnten, wurde der junge Inspektor der geheimen Staatspolizei Siniša Jakonić auf ihn angesetzt, um ihn zu verhören und gefügig zu stimmen. Die intensiven Gespräche unter den beiden ließen jedoch eine enge Gesinnungsverwandtschaft zutage tre-ten, die sie zu Verbündeten schmiedete. Dem Argusauge des Überwachungsapparates entging dies freilich nicht, was Jakonić zum Verhängnis wurde. Er verlor Posten, guten Ruf und jede Chance auf eine neue Anstellung. Jahrelang kämpfte er verbittert um seine Rehabi-litierung, das korrupte System saß jedoch bis zum Regimewechsel im Oktober 2000 am län-geren Hebel.

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Vor ihm hat bereits Slobodan Maričić, vermutlich als erster serbischer Autor, in seinem Buch Susedi, dželati žrtve. Folksdojčeri u jugoslaviji (Nachbarn, Henker, Opfer. Volksdeutsche in Jugoslawien), Beograd 1995 auf die Internierungslager für die donauschwäbische Bevölkerung hingewiesen. Er zählt Arbeits-, Kinder-, Kranken- und Konzentrationslager auf im Banat, der Batschka, Slawonien und der Baranja, insgesamt 78.

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Bis dahin versuchte Jakonić, sein gefährliches Wissen über die Massenmörder der jugoslawi-schen Vernichtungslager zu publizieren und gegen die damals Befehlsgewaltigen Strafanzei-ge zu erstatten. In den neunziger Jahren konnte er etliche Artikel über das heikle Thema in verschiedenen Zeitungen im Lande veröffentlichen. Sein am 16. April 1993 in dem Sonntags-blatt „Balkan Ekspres“ veröffentlichter Text „Die Wahrheit über die geheimen Gräber“ war wohl der erste seiner Art schlechthin in Jugoslawien. Einen gegen ihn wegen Rufschädigung angestrengten Prozeß gewann er. In seinem 1992 geschriebenen, aber erst zehn Jahre später erschienenen Buch „Die Verbrechen der Geheimpolizei von Milošević“ schreibt Jakonić auch über den Genozid an den Deutschen, den Juden und Serben, zudem über ungarische Opfer und bestätigt die Angaben, wie sie von donauschwäbischer Seite im „Leidensweg“ vorgelegt wurden. Darin offenbart er das Ausmaß der Kriegsverbrechen durch die jugoslawischen Kommunisten wie auch die Dimension des Lagersystems im Lande, er entwickelt eine über-raschend differenzierte Sicht auf die Donauschwaben mit ihrem Vorbildcharakter und ihrer weitgehenden Loyalität, er nennt die Gründe ihrer Flucht oder ihres Bleibens, enthüllt die Verschleierung der Wahrheit über sie und stellt resigniert fest, daß auch nach 55 Jahren viele Tatsachen immer noch verschleiert werden. Vergeblich bot er das Manuskript 15 Verlagen zur Veröffentlichung an, unterbreitete es 1997 und 1999 sogar der Deutschen Botschaft – ohne Erfolg. Als sein Buch schließlich im Dezember 2002 erschien, trug es bezeichnender-weise weder den Namen eines Verlags noch den einer Druckerei. Der Autor mußte auf den Straßen selbst für den Vertrieb seines Werkes sorgen und machte die Erfahrung, daß die Leute ihm die Ware buchstäblich aus der Hand rissen.

Jakonić begrüßt übrigens nicht nur die Gedenkstätte in Kikinda, sondern hat selbst schon in den Jahren 1992, 1997 und 1999 der katholischen wie auch orthodoxen Kirche von Kikinda vorgeschlagen, auf den Gräbern Kreuze zu errichten, allerdings trafen seine Vorstöße auf wenig Gegenliebe. Dergestalt gehört der streitbare Ex-Polizist neben Nadlački zu den besten Beispielen für einen von ihm selbst geprägten Satz: „So wie es keine Kollektivschuld gibt, gibt es auch bei keinem Volke ein völliges Schweigen.“89

Der junge, 1971 in Zrenjanin (früher Großbetschkerek) geborene serbische Schriftsteller Uglješa Šajtinac hat als erster nach dem Heimatbuch von Kaća Čelan aus dem Jahr 1989 ein Schauspiel über das Schicksal der aus Jugoslawien verschwundenen Donauschwaben ge-schrieben: „Das Banat“. Ebenso wie Čelans Drama durchbricht dieses Bühnenstück die noch von Titos und Milošević’ Zeiten nachwirkende Doktrin. Das 2003 in Zrenjanin fertiggestellte Stück ist die erste und einzige Arbeit des Autors, die sich mit diesem Thema auseinander-setzt. Ob der Vater des Autors, der Lyriker und Romancier Radivoj Šajtinac, dazu angeregt hat?

Uglješa Šajtinac diplomierte 1999 an der Fakultät für dramaturgische Künste in Belgrad. Ne-ben Beiträgen in verschiedenen serbischen Zeitschriften hat er einen Roman und einen Band mit Erzählungen veröffentlicht. Eine seiner Erzählungen ist auch in der Anthologie der neue-ren serbischen Prosa vertreten. Aufgeführt wurden die Dramen Requisiteur von 1999 im ser-bischen Volkstheater in Novi Sad, Sprechen Sie australisch? von 2001 im Volkstheater „Toša Jovanović“ in Zrenjanin und Huddersfield von 2004 auf der Szene im Westyorkshire Playhou-se in Leeds sowie an der Volksbühne Berlin.

Durch Zufall ist der aus Futok stammende und in Erlangen lebende Donauschwabe Stefan Barth an den serbischen Text des Schauspiels „Das Banat“ herangekommen und hat ihn

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Vgl. Stefan Teppert: Stationen einer Annäherung. Serben und Donauschwaben seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs (1. Fortsetzung), in: Das Donautal-Magazin Nr. 127 vom 1. März 2004, S. 12-17

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spontan ins Deutsche übersetzt. Schon lange hatte er nämlich nach Werken in der serbi-schen Literatur Ausschau gehalten, die das Thema „Donauschwaben“ nicht propagandistisch verzerrt, sondern objektiv für beide Seiten bearbeiten. Barths Idee, das Stück im Rahmen einer von ihm im Jahr 2004 auf die Beine gestellten Ausstellung über die Donauschwaben in Novi Sad aufführen zu lassen und zugleich einen Runden Tisch mit Historikern zu veranstal-ten, ließ sich aus Geld- und Zeitmangel leider nicht verwirklichen. Seine Anläufe, es in Deutschland auf die Bühne zu bringen, sind bisher gescheitert. Ein Verleger hat sich bedauer-licherweise auch noch nicht gefunden. „Das Banat“ wurde bisher nur am Jugoslawischen Dramentheater in Belgrad aufgeführt ( JDP = Jugoslovensko dramsko pozoriste u Beogradu). Es gibt auch eine englische Übersetzung. Der Titel wurde angepaßt in „Borderland“.

Schauplatz dieses Stücks ist das nach Hitlers Überfall auf Jugoslawien von Deutschen okku-pierte serbische Banat gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Seit dem tragischen Tod seiner Frau durch eine Erntemaschine hat der einst ehrgeizige deutsche Landwirt Josef Wolf jeden Antrieb verloren, seine Pferde verkauft, das Feld verpachtet und sitzt nur noch rauchend im Hof herum. Seine vierzehnjährige Tochter Magdalena hat Sehnsucht nach ihrer Mutter. Sie phantasiert an einem Brunnen – in Märchen und Sagen das Tor ins Jenseits und zurück – von Selbstmord und stickt wie besessen, um Erinnerungszeichen ihrer Existenz zu hinterlassen. Statt gewöhnlicher Bauer ist der achtzehnjährige Sohn Erwin Soldat mit großdeutscher Ge-sinnung geworden, er trägt schwarze Uniform mit dem Abzeichen der SS-Truppen. Die Foto-graphie seiner Mutter an der Stubenwand ersetzt er durch ein Hitler-Porträt, brüllt davor mit Führergruß die „Hymne der Banater Deutschen“ und kann sich zwischen dem Kreuz Christi um seinen Hals und dem Hakenkreuz auf seiner Armbinde nicht entscheiden, wenngleich der Vater ihn warnt, wie unvereinbar beide sind. Der konservative Vater ist gläubiger Katholik, er personifiziert eine breite bäuerliche Schicht der Donauschwaben, die den Nationalsozialis-mus entschieden ablehnte. Auch sein Name Josef deutet auf glaubensfeste Frömmigkeit. Dies ist die Ausgangssituation des Schauspiels.

Nicht in Akte, sondern in 16 Szenen ist das Schauspiel unterteilt, deren Sequenzen sich in der zweiten Hälfte beschleunigen und teilweise in zwei parallelen Aktionen über die Bühne ge-hen. Parallel, aber doch entgegengesetzt sind auch die extremen Figuren des Stücks. Auf der einen Seite der dem Nationalsozialismus verfallene Erwin und dessen jüngere Schwester Magdalena, auf der anderen der vom Kommunismus indoktrinierte Dobrivoj und dessen ebenfalls jüngere, wiederum stickende Schwester Djudja. Zur Ideologie Erwins gehört der Glaube an die Überlegenheit der deutschen Zivilisation, die Kolonisten auch ins Banat ge-bracht und das Land aufgebaut haben, nunmehr aber von neidischen Feinden umzingelt le-ben müssen. Zu Dobrivojs Ideologie gehört die Bereitschaft, um der Revolution willen rück-sichtslos über Leichen zu gehen, gleichgültig, ob Freund oder Feind. Er wird damit der Be-deutung seines Namens „Guter Kämpfer“ gerecht. Sowohl Dobrivoj wie auch Erwin verar-men menschlich dadurch, daß sie sich von einer Ideologie vereinnahmen lassen, ihren Schwestern dagegen ist dieser Vorgang nicht geheuer, gefühlsmäßig lehnen sie sich dagegen auf, verharren aber beim Sticken, während die mörderische Konfrontation ihrer Brüder sich zuspitzt.

Zwischen den Fronten steht der pazifistisch eingestellte Student Svetislav, Sohn eines rei-chen serbischen Bauern. Er verkehrt sogar im Hause der Wolfs, respektiert – zumindest symbolisch – den Führer und hegt gewisse Sympathien für die Deutschen, läßt sich aber von ihrer straffen Organisation und kriegstechnologischen Überlegenheit nicht blenden. Entrüs-tet ist er über die Schleifung der Synagogen, obwohl es keine Juden mehr gibt. Die maßlose Vergeltungspraxis der Deutschen gegenüber den Partisanen findet er deprimierend, sie ver-

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schaffe ihnen lediglich Zulauf. Erwin hält er für einen unglücklichen, verirrten Hitzkopf, der das am meisten haßt, wovon er am wenigsten weiß, der aber im Grunde ein guter Junge sei. Seine unkorrumpierte Haltung bringt ihm zwar nicht Erwins, aber Magdalenas Vertrauen ein. Ihr zeigt er abseits des Dorfes durchs Fernglas, wie Kommunisten von den Nazis zu Dutzen-den hingerichtet werden. Wenig später liquidieren die Partisanen seinen eigenen Vater, ei-nen Kommunistengegner. Angesichts einer grotesken, unwirklich erscheinenden Welt des gegenseitigen Mordens finden die minderjährige Deutsche und der verunsicherte Serbe vor allem über das Thema Film und Kino zueinander, dort suchen sie Wahrheit. Svetislav hat sogar davon geträumt, Kinobesitzer zu werden und amerikanische Filme vorzuführen.

Zwischen Svetislav auf der einen, Dobrivoj und Djudja auf der anderen Seite kommt es zum Zerwürfnis. Zu unversöhnlich prallen die weltanschaulichen Haltungen aufeinander. Erwin kehrt mit Eisernem Kreuz dekoriert, aber verkrüppelt von der Ostfront heim. Nun durch-schaut er die Propagandalügen im Kino und ist von den Nazis kuriert. Das Hitler-Porträt in der Stube der Wolfs wird wieder entfernt. Aber die Heimat ist verloren. Svetislav überbringt die Botschaft: „In Rumänien morden die Russen die Deutschen.“ Die Wolfs packen und flüch-ten. Zum Abschied schenkt Magdalena ihrem serbischen Freund ein von ihr besticktes Ta-schentuch; durch ihn von ihrer Besessenheit befreit, geht sie, analog ihrer biblischen Na-mensgeberin, ihrem Golgatha entgegen.

Die Partisanen haben nun das Regiment übernommen und inventarisieren den zurückgelas-senen Besitz der Deutschen. Der Partisan Dobrivoj bedient sich am „göttlichen“ Wein der Wolfs. Ihr Hof ist wüst und leer. Djudja empfindet die Selbstbereicherung der Partisanen an den Häusern der Schwaben als Schande, während Dobrivoj dieses Vorgehen als ausgleichen-de Gerechtigkeit legitimiert. Er berichtet Djudja von der Gefangennahme des deutschen Flüchtlingstrecks. Er sei im Lager für deutsche Gefangene gewesen, „um zu überprüfen, wer von hier ist, ob es unter ihnen Kriegsverbrecher gibt, damit man die Verzeichnisse abgleichen kann“. Dabei habe er erfahren, daß Erwin sich als SS-Angehöriger der Rache der Partisanen durch Selbstmord entzog. Sein Vater sei an Herzversagen in Magdalenas Armen gestorben. Das Mädchen, „nicht ganz bei Verstand“, wolle sich auf einer tropischen Insel verstecken. Was Dobrivoj nicht weiß: Sie hat dabei den Film „La Habanera“ mit Zarah Leander von Detlev Sierck als Vorbild im Sinn, von dessen Inhalt Svetislav ihr erzählt hat.

In der letzten Szene befindet sich Svetislav auf einem Schiff nach Australien. Dort trifft er Mathias Häuser, einen ehemaligen deutschen Soldat aus Dresden. Auch dessen Vater wurde als Kommunist von den Nazis umgebracht. Auf seinem Grammophon spielt Häuser das Lied „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn“ von Zarah Leander. Svetislav denkt dabei mit geschlossenen Augen an Magdalena. Dies suggeriert jedenfalls das gestickte Taschen-tuch von ihr, das er in Händen hält, sowie Magdalenas paralleles Erscheinen am anderen Ende der Szene. Die Musik verschmilzt mit ihrer Gestalt; sie selbst scheint das Lied zu singen. Am Ende des Schauspiels verschränken sich die schreckliche Wirklichkeit und die Flucht aus ihr zur Sehnsuchtsmelodie nach einer heilen Welt.

Eine ausführliche Inhaltsangabe erschien hier sinnvoll, weil „Das Banat“ nicht greifbar ist. Durch die Parallelisierung der zwei großen Trugbilder des 20. Jahrhunderts, des Kommunis-mus und des Nationalsozialismus, gelingt es dem Dramatiker, eine starke Ambivalenz auf-rechtzuerhalten und ein relativ unparteiisches, aufklärendes und vielschichtiges Drama vor-zulegen, das Verstrickung und Schuld nicht nur auf einer Seite sucht. Die Momentaufnahme einer epochalen Umwälzung präsentiert sich in einfacher, aber konzentrierter Sprache, die Dialoge sind so sparsam wie das Bühnenbild. Freilich bleibt, im Gegensatz zu Kaća Čelans Theaterstück, das im Lager Gakowa spielt, die furchtbare Fratze der Partisanenherrschaft,

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wie sie sich in den Massenerschießungen der donauschwäbischen Intelligenz und der Ver-nichtung der nicht arbeitsfähigen Bevölkerung in Hungerlagern darbot, völlig ausgeblendet.

Vor allem in der Neigung zwischen Magdalena und Svetislav spiegelt sich ein auch in dieser Zeit heil gebliebenes Humanum als Möglichkeit. Denn wo das Schicksal es in der Wirklichkeit nicht zuläßt, auf der Ebene der Fiktion wenigstens (nämlich durch Film und Filmmusik) über-schreitet Liebe die bornierten Grenzen von Vorurteil, Völkerhaß und Ideologie. Das Medium des Films eignet sich jedoch gleichermaßen zur Verbreitung von Lüge wie von Wahrheit. Šajtinac zeigt beide Möglichkeiten.

Zwei von der herkömmlichen parteigelenkten Sprachregelung abweichende Sentenzen seien hier noch herausgegriffen. Der unorthodoxe Svetislav sagt im Zusammenhang mit Hitlers Überfall auf Jugoslawien: „Den Pakt hätte man unterschreiben sollen. Es hätte keine Zerstö-rung gegeben. Die begeisterte Menge Unwissender jubelte und brüllte aus lauter Trotz.“ Auch eine Aussage Dobrivojs mag überraschen: „Jetzt holen sie die Verzeichnisse heraus, und solange die Deutschen da sind, säubern sie. Es verraten uns die, die unsere Sprache sprechen. Sie leben hier mit uns. Sie verraten uns aus Angst und weil es Mistkerle sind, schlimmer als jeder deutsche Mistkerl.“90

Dragi Bugarčić kam 1948 in Werschetz zur Welt, auf serbisch Vršac genannten, nahe der rumänischen Grenze im serbischen Banat. Bugarčić engagiert sich seit vielen Jahren für die Versöhnung zwischen Serben und Donauschwaben. Seit 1999 wirkt er als Gründungsmitglied von „Društvo srpsko-nemačko-austrijskog prijateljstva“ (1999), auf deutsch: Verein der Ser-bisch-Deutsch-Österreichischen Freundschaft, wo er den Vorsitz des Vereinsvorstandes in-nehat. Auch das dem gleichen Zweck dienende Wiener Dialogsymposium ARDI unterstützt er.

Sein neuester Roman kam 2006 in Belgrad unter dem Titel Sporedna ulica heraus. Wörtlich übersetzt bedeutet das „Nebengasse“. In der deutschen Ausgabe, die 2010 erschien, heißt der Roman Dreilaufergasse, so der alte deutsche Name der betreffenden Straße in Vršac.

„Dreilaufergasse“ ist eine Erzählung über die Verbrechen, die an den Bewohnern der Stadt Werschetz am Ende des Zweiten Weltkrieges begangen wurden. Die Russen haben die Stadt von allen Seiten umstellt, man hört den dumpfen Donner der Katjuscha. Dann rollt die Rote Armee durch die Straßen. Nach ihrem glorreichen Einmarsch verschwinden die Bewohner zur Zwangsarbeit und hinterlassen gespenstische Leere. Die Sieger ziehen saufend durch die Häuser, vergewaltigen die zurückgebliebenen Frauen. Als ein russischer Major von einer Sauftour nicht zurückkommt, durchkämmen seine Kameraden die Häuser, entdecken seinen Leichnam schließlich vergraben in einem Misthaufen. Er wurde erschlagen, als er sturzbe-trunken seine unfreiwillige junge Wirtin vergewaltigen wollte. Deren im Hof versteckter Bru-der war ihr zu Hilfe geeilt. Das eigentliche Verbrechen ist nun aber die schändliche Rache dafür, nämlich die Erschießung aller Bewohner der Dreilaufergasse, mehr als 130 Menschen. Tagelang karren angeheuerte Zigeuner die Leichen auf die Schinderwiese zu den Tierkada-vern außerhalb der Stadt und verscharren sie ohne Kennzeichnung in einem Massengrab.

Von diesem lokalen Ereignis löst und erweitert sich der Blick alsbald auf die vorausgegange-ne und folgende Verkettung von Verbrechen. Das Generalthema dieses Romans reicht von der Ansiedlung der Deutschen in der Wojwodina am Ende des 18. Jahrhunderts bis zu ihrer

90

Vgl. Stefan Teppert: „Das Banat“, ein neues serbisches Schauspiel über die Donauschwaben, in: fenster, Karlowitz, August 2005, Nr. 03, S. 9-11; „Das Banat“, ein neues serbisches Schauspiel auch über Donauschwa-ben, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 2005/4, S. 358-360

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Vertreibung und Auslöschung von 1944 bis 1948. Im Mittelpunkt steht aber das dann über ein halbes Jahrhundert währende Schweigen über ihre ehemalige Anwesenheit wie auch ihr Verschwinden aus dem Land. Dabei bleiben die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht nicht ausgeblendet, sondern bilden den Hintergrund für eine systematisch betriebene und ausge-sucht grausame Vergeltung, für den Genozid an den Deutschen Jugoslawiens. Einem staat-lich verordneten Credo gelingt es bis heute, dieses Nachkriegsverbrechen aus dem Gedächt-nis der jugoslawischen Völker wie auch der übrigen Welt zu verbannen. Doch hat die nie ganz unterbrochene konspirative Überlieferung des Ungeheuerlichen eine komplette Ge-hirnwäsche verhindern können. Dennoch durfte keiner ungestraft über die Greueltaten der Partisanen publizieren oder öffentlich reden. Parteien, einflußreiche Gruppen und mächtige Einzelpersonen diktierten eine kraß schöngefärbte Version der eigenen Vergangenheit.

Um die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, nimmt der Romanautor Dragi Bugarčić durch die Einführung mehrerer Erzählebenen mehrfachen Anlauf.

Diese Erzählebenen wechseln sich gegenseitig ab, auch im Schriftbild übrigens, sie fragmen-tieren den Roman in viele überschaubare Episoden, die immer neue Perspektiven eröffnen, sukzessive Informationen preisgeben, sich gegenseitig erhellen und verweben, dem Roman Spannung und Tiefe verleihen. Dieses dialektische Spiel mit einer Kakophonie von Stimmen, mit These, Antithese und Synthese führt schließlich zu einer Objektivierung des sensiblen Themenkomplexes. Wie in einem Thriller wird das Verbrechen Stück für Stück in seinem Schuldzusammenhang aufgedeckt und läßt seine erschreckende Fratze unverhüllt sehen.

Ein Strang der Erzählung versetzt uns nach Werschetz zwanzig Jahre nach den Pogromen, also im Jahr 1964. Im damaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien herrscht Tito mit seiner kom-munistischen Ideologie. Hauptfigur ist jetzt der Erzähler und Romanschriftsteller Danilo Kopča als Gegenstand der Erzählung. Er wagt es, brisante Themen aufzugreifen, investigative Prosa zu schreiben, über das Wesen des Krieges nachzudenken, die Geschichte der Donau-schwaben aufzurollen, die Leichen im Keller seiner Vaterstadt Werschetz beim Namen zu nennen. Darin gleicht er spiegelbildlich seinem Schöpfer Dragi Bugarčić. Doch Kopča kapitu-liert am Ende vor der repressiven Macht des Staates und begibt sich als eingeschüchterter Untertan in Selbstzensur.

Am Ende des Romans münden alle seine Erzählebenen in die sozusagen nunmehr voll or-chestrierte finale Apokalypse der Donauschwaben: einerseits in der Werschetzer Dreilaufergasse, dann im größten Vernichtungslager Rudolfsgnad, schließlich ausgedehnt auf den ganzen Archipel GuLag der Wojwodina. Das Grundmotiv des Völkermords an der deut-schen Volksgruppe in Titos Jugoslawien wird multiperspektivisch dargestellt, man könnte geradezu sagen: eingehämmert. Selbst der Epilog vertieft das Thema noch einmal, bevor er Helmut darauf warten läßt, von den Partisanen abgeholt zu werden. In dieser abschließen-den Reprise wird so das Leitmotiv ein letztes Mal variiert und zugleich umgepolt. Die Schre-cken, die längst vergangen schienen und sich bis dahin aus der Retrospektive darboten, wer-den im Zustand angsterfüllter Erwartung als unmittelbar bevorstehend vergegenwärtigt und dadurch abermals in eindringlicher, nicht mehr zu überbietender Steigerung heraufbeschwo-ren. Ein Ende im Inferno der Angst, ohne versöhnlichen Abschluß, anders gesagt: ein Finale, dem die Versöhnung noch fehlt, ein herausfordernd offener Schlußakkord also, der offenbar etwas Neues in Gang setzen will.

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Danach folgt nur noch buchhalterisch trocken: „Am vierzehnten Oktober zweitausendvier war der letzte Satz dieses Romans geschrieben.“91 Diese Bemerkung erinnert uns an den ei-gentlichen Verfasser des Romans, der alle Fäden in der Hand hält und gleichsam eine fünfte, übergeordnete und ständig immanente Erzählebene einnimmt. Hier, wo sie zum einzigen Mal explizit wird, schlägt das Ende einen schalkhaften Bogen zurück bis zum Anfang des Werks.

Der Knoten des Romans „Dreilaufergasse“ schürzt sich am Ende so unentrinnbar, als sollte dem Leser kein Schlupfloch zugestanden werden, die grauenhaften, über mehr als zwei Ge-nerationen tabuisierten Ereignisse weiterhin zu verdrängen oder zu verschleiern. Sie stehen nun mit voller Wucht am Tageslicht, allen sichtbar, empathisch und beredsam, gewissenhaft und ungeschminkt, ohne Unterschlagung, ohne Verharmlosung. Daß es ein Serbe ist, der diesen Stoff ausgräbt und nicht nur wohlinformiert darstellt, sondern auch vielstimmig und kunstvoll verwoben, in einer berührenden, nachdenklich stimmenden Form erzählt, ist alles andere als eine Beiläufigkeit. Es ist die Pforte zu einem historischen Durchbruch. Mit bisher nicht dagewesener Ehrlichkeit und historischer Tiefenschärfe werden die dämmrigen Zonen einer abträglichen Desinformationspolitik ausgeleuchtet. Allein die Gedanken über Kriegs-vermeidung und Friedenserhaltung machen die Lektüre dieses Romans lohnend. Fazit: Feige Übeltäter, die ihrer Strafe entkommen, erhalten so wieder ausreichend Zeit, um anderswo neue Konflikte anzuzetteln und über unschuldige Opfer hinwegzutrampeln. Genau dies ist auf dem Balkan geschehen.

Dragi Bugarčić hat mit diesem Roman dem donauschwäbischen Schicksal, den deutschen Opfern, aber auch der verleugneten Vergangenheit seines Landes ein erschütterndes Denk-mal gesetzt, das durch seine dichterische Intensität unter die Haut geht. Damit hat er zu-gleich für die Versöhnung zwischen Serben und Donauschwaben einen Beitrag von rehabili-tierender Qualität geleistet. Stellvertretend für sein Volk hat er gesellschaftliche und politi-sche Verantwortung übernommen, dazu braucht es in einer zwischen Aufbruch und Behar-ren zerrissenen Gesellschaft bewundernswerten Mut.92

Brisanz und Tragweite dieses bahnbrechenden Romans sind von den Rezensenten in Serbien übrigens durchaus wahrgenommen worden. Ilija Bakić schreibt u. a.: „Die Verbrechen und Lügen verflechten sich in ein Knäuel, welches das ganze nationale Wesen belastet.“ Nadežda Radović meint: „Bugarčić hält die Erzählung fest in der Hand, und die Fragmente sind nur eine Falle für den Leser, damit er die Qualen der Offenbarung über Dinge begreift, über die man ein halbes Jahrhundert schmerzlich geschwiegen hat.“ Zlatoje Martinov bemerkt, daß es nach der vierjährigen Okkupation Jugoslawiens durch die Nazis im Herbst 1944 „zu unnöti-gen und unbegreiflichen Verbrechen an unschuldigen Zivilisten deutscher Volkszugehörigkeit, vor allem Frauen, Kindern und alten, erschöpften Personen“ gekommen sei. Er erkennt eine „metaphysische Verantwortung“ an den Verbrechen. Eine Gruppe von sensiblen und gewis-senhaften Weschetzer Intellektuellen habe „genau zwei Jahrzehnte nach dem magnum crimen der Befreier“ die Spuren der Vergangenheit zu ergründen versucht. „Deshalb“, so teile uns der Autor mit, soll es in letzter Konsequenz aus der Erkenntnis der absurden Banali-tät des Bösen „einerseits eine individuelle und kollektive Lehre sein, daß sich das Böse und die Verbrechen nicht wiederholen, und andererseits sollen sie vollkommen und bedingungslos

91

Dragi Bugarčić: Dreilaufergasse. Roman, aus dem Serbischen von Goran Miletić, Oswald Hartmann Verlag, Sersheim 2010, S. 209 92

Vgl. Stefan Teppert: Blick in die Welt der Donauschwaben. Vorstellung des Romans „Dreilaufergasse“ (Ab-druck einer Buchpräsentation bei der Studientagung des St. Gerhards-Werks in Stuttgart am 30. Oktober 2010), in: Das Donautal-Magazin Nr. 164 v. 15.12.2020, S. 8-11

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schuldhaft strafbar sein und individuell und kollektiv, moralisch und metaphysisch einer Rei-nigung unterzogen werden“.93

Primärliteratur

Aralica, Ivan:

- Sokak triju ruža (Dreirosengasse. Gespräche, Ansichten und Erzählungen), Znanje, Zagreb 1992, 217 S.

Bahl, Franz:

- Schwarze Vögel. Roman, Westermann Verlag, Braunschweig 1957, 195 S.

- Patrouillen der Nacht. Roman, Westermann Verlag, Braunschweig 1960, 220 S.

- Spuren im Wind. Erzählung, Pannonia-Verlag, Freilassing 1960, 93 S.

- Die Donau von der Quelle bis zur Mündung. Ein Strom der Völker (mit 2 Vorsatzkt. u. 147 Fotos), Pannonia-Verlag, Freilassing 1961, 190 S.

Barth, Stefan:

Ein Junge aus der Nachbarschaft. Lebensbericht eines Donauschwaben, Verlag der Donau-schwäbischen Kulturstiftung, München 2007, 323 S.

Bugarčić, Dragi:

- Sporedna ulica, Belgrad 2006; dt.: Dreilaufergasse. Roman, aus dem Serbischen von Goran Miletić, Oswald Hartmann Verlag, Sersheim 2010, 214 S.

Čelan, Kaća:

- Heimatbuch. Drama, ausgestrahl in: Zbornik 3. programa Radio Sarajeva, Sarajevo 1989; aufgeführt 1997 am Bonner Schauspielhaus, 2006 am TAS-Theater auf Schloß Burgau, letzte-res inszeniert von der Autorin

Danojlić, Milovan:

- Mein lieber Petrović (Dragi moj Petroviću). Roman, Suhrkamp, Berlin 2010, 310 S.

Djilas, Milovan:

- Die neue Klasse. Eine Analyse des kommunistischen Systems (Nova klasa. Kritika savremenog komunizma), München 1958

- Die unvollkommene Gesellschaft. Jenseits der „Neuen Klasse“ (Nesavršeno društvo), Ins Deutsche übertragen von Zora Shaked, Verlag Fritz Molden, Wien-München-Zürich 1969, 255 S.

Gruber, Wendelin:

- In den Fängen des roten Drachen. Zehn Jahre unter der Herrschaft Titos, Miriam Verlag, Jestetten 1986, 240 S.; Neuauflage Stefan Gauß, Ditzingen 1994, 256 S.

Hodschager, Ernst: 93

Rezensionen zu Dragi Bugarčić: „Dreilaufergasse“ von Ilija Bakić: „Dunkle Geheimnisse des Siegers“, Nadežda Radović: „Über den Schinderplatz und uns“, Zlatoje Martinov: „Die Banalität als Vorhof des Verbrechens“, in: Dragi Bugarčić als Schriftsteller, Belgrad 2009, S. 211-221 (Die Übersetzung von Auszügen dreier Rezensionen aus dem Serbischen ins Deutsche verdanke ich Stefan Barth, Erlangen.)

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- Mahnruf. Gedichte und Berichte, Oswald Hartmann Verlag, Sersheim 1989, 75 S.

Hutterer, Franz:

- An den Ufern der Donau. Peter, Michael und Brigitte reisen in die Heimat ihrer Eltern, Pannonia-Verlag, Freilassing 1959, 100 S.

- Die Welt an der Donau. Vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer. Ein Buch für junge Menschen, Pannonia-Verlag, Freilassing 1964, 79 S.

- Die Geschichte der Donauschwaben ist noch nicht geschrieben. Anmerkungen und Frage-zeichen, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahres-programm 1994 der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundesverband, Sindelfingen 1994, Heft 5, S. 163-169

- Gesang über dem Wasser. Erzählungen, Verlag Südostdeutsches Kulturwerk, München 1996, 180 S.

- Eine Welt an der Donau. Stimmen aus Belgrad, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, 46. Jg., Folge 3, 1997, S. 199-204

- Streng vertraulicher Völkermord. Unterlassungssünden der gegenwärtigen Geschichts-schreibung, in: Heimatbote, Toronto, Juli 2001, S. 15 f., August 2001, S. 15 f.

- „Der Südosten, unser Erfahrungsraum …“ Gedanken über kontinentale Geistesbeziehun-gen, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, Folge 2, 2002, S. 116-118

Ivanji, Ivan:

- Vergeltung und Scham. Das Schicksal der Donauschwaben in der Wojwodina, Manuskript

- „Rache und Scham. Das Schicksal der Volksdeutschen in Jugoslawien“, Hörspiel, gesendet in WDR 3, Köln, am 25.1.1990 von 21.00 bis 22.00 Uhr (Regie/Produktion: Joachim Sonderhoff; Verantwortlicher Redakteur: Ansgar Skriver; Programmgruppe: Kommentare und Feature; Programmbereich: Politik)

- Das Kinderfräulein. Roman, Picus Verlag, Wien 1998, 286 S.

- Titos Dolmetscher. Als Literat am Pulsschlag der Politik, Promedia Verlag, Wien 2007, 200 S.

Jakonić, Siniša:

- Zločini Miloševićeve tajne policije (Die Verbrechen der Geheimpolizei von Milošević), 2002

Johler, Matthias:

- Lagertagebuch 1945-1947, in: Die Erinnerung bleibt. Donauschwäbische Literatur seit 1945. Eine Anthologie, Band 3, H-J, herausgegeben und mit einem Vorwort von Stefan Teppert, Hartmann Verlag, Sersheim 2004, S. 817-836

Kiš, Danilo:

- Garten, Asche (Bašta, pepeo, Belgrad 1965)

- Frühe Leiden. Roman (Rani jadi, Nolit, Belgrad 1969), Aus dem Serbokroatischen von Ivan Ivanji, Carl Hanser Verlag, München-Wien 1989, 164 S.

- Sanduhr (Peščanik, Prosveta, 1972), Aus dem Serbokroatischen von Ilma Rakusa, Carl Han-ser Verlag, München-Wien 1988, 283 S.

- Ein Grabmal für Boris Davidowitsch (Grobnica za Borisa Davidoviča, 1976)

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- Anatomiestunde (Čas anatomije, Nolit, Belgrad 1978), Aus dem Serbokroatischen von Ka-tharina Wolf-Grießhaber, Carl Hanser Verlag, München-Wien 1998, 375 S.

- Enzyklopädie der Toten. Erzählungen (Enciklopedija mrtvih, Globus, Zagreb 1983), Aus dem Serbokroatischen von Ivan Ivanji, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 1988, 217 S.

König, Alois & Georgine:

- Die Tage der ungesäuerten Brote (Dani beskvasnoga kruha), Georgine König Verlag, 1991, deutsche Ausgabe: Hemmingen b. Stuttgart 1992, 278 S.

László, Lajos:

- Im Bergwerk spielt niemand Balalaika (Halálpolka, 1990), Oswald Hartmann Verlag, Sersheim 1992, 244 S.

- Ich komme aus dem Todeslager (Könyörgés a hontalanokért, 1993), Oswald Hartmann Ver-lag, Sersheim 1997, 240 S.

- Und führe uns nicht in Versuchung (Tigrismosoly, 1990), ins Deutsche übersetzt von Vata Vágyi, Babits-Verlag, Szekszárd 1998, 240 S.

Marčinković, Juro:

- Fremde im eigenen Haus. Roman, Universitas Verlag, München 1991, 211 S.

Markov, Mladen:

- Banatski voz. Roman (Banater Zug), 1973

- Mittlere Glocke. Roman (Srednje zvono), 1979

- Austreibung Gottes. Roman (Isterivanje boga), Belgrad 1985

- Hundefriedhof. Roman (Pseće groblje), Belgrad 1990

Maticki, Miodrag:

- Die Deutschen gehen. Roman (Idu Nemci), DBR International Publishing, Belgrad 1994

Nakitsch, Marian:

- Flügelapplaus. Gedichte, mit einem Pass-Bild von Reiner Kunze, Collection S. Fischer, Frank-furt a. M. 1994, 107 S.

- Mein Verhältnis zu den Donauschwaben / Gedichte (Vukovar, Der vertriebene Kroate, Sla-wonien, Kindheitserinnerung, Winterliche Landschaft, Feldafing, Augengedicht, Reiner Kun-ze), Weihnachtsfest, in: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband, Heft 6, Sindelfingen 1995, S. 81-85

Oljača, Mladen:

- Das Vermächtnis. Roman (Molitva za moju Braću, Sarajevo 1957), ins Deutsche übersetzt von Johannes Weidenheim, Kindler Verlag, München 1962, 399 S.

Prost-Pertschy, Rita:

- Das Heimweh der Simon Rita, Oswald Hartmann Verlag, Sersheim 1994, 175 S., übersetzt ins Serbische von Gordana Bukvić 2007 unter dem Titel „Žal za zavičajem Rite Simove“.

Šajtinac, Uglješa

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- Das Banat. Schauspiel in 16 Szenen, Zrenjanin 2003, bisher unveröffentlicht, wurde lediglich am Jugoslawischen Dramentheater in Belgrad aufgeführt ( JDP = Jugoslovensko dramsko pozoriste u Beogradu). Es existieren Übersetzungen ins Deutsche und Englische. Der engli-sche Titel heißt „Borderland“.

Stefanović, Nenad:

- Jedan svet na Dunavu – Razgovori i komentari (Ein Volk an der Donau – Gespräche und Kommentare), Tiker, Belgrad 1996 (6 Auflagen mit insgesamt 15.000 Exemplaren);

Dt.: Ein Volk an der Donau. Das Schicksal der Deutschen in Jugoslawien unter dem kommu-nistischen Tito-Regime. Gespräche und Kommentare serbischer und deutscher Zeitzeugen, Übersetzung ins Deutsche von Oskar Feldtänzer, 1997, Donauschwäbische Kulturstiftung, München-Eggenfelden-Belgrad 22004, 257 S.;

Engl.: A people on the Danube. The fate of the German Citizens of German Descent after the World War II, Years of 1944-48 in Communist Yugoslavia, übersetzt aus dem Deutschen: Hans Kopp, John Michels, Eduard Grünwald, Bismarck, North Dakota, USA, University of Mary 2007

- Zemlja u koferu (Erde im Koffer), Belgrad 2007

- Der Doktor hört Swing. Novelle, 2009

Tišma, Aleksandar:

- Die Schule der Gottlosigkeit (Škola bezbožništva, 1978), dtv, München 2000

- Der Gebrauch des Menschen (Upotreba čoveka, Nolit, Belgrad 1980), Hanser, München 1991, dtv, München 2001

- Ohne einen Schrei (Bez krika, 1980), dtv, München 2006

- Kapo. Roman, dtv, München 1999

- Das Buch Blam (Knjiga o Blamu, 1983), dtv, München 2000

- Die wir lieben (Koje volimo, ??), dtv, München 1999

- Treue und Verrat (Vere i zavere, ??), dtv, München 2001

- Reise in mein vergessenes Ich. Tagebuch 1942-1951. Meridiane Mitteleuropas, Hanser-Verlag, München 2003

Weidenheim, Johannes:

Romane:

- Kale-Megdan, Hansischer Gildenverlag, Hamburg 1948, 475 S.

- Das türkische Vaterunser, C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1955, 384 S. (auch holl.)

- Treffpunkt jenseits der Schuld, C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1956, 464 S. (auch holl. u. serb.)

- Schultage (unter dem Pseudonym Ernest Waldteufel), Halle 1961, 231 S.

- Mensch, was für eine Zeit oder Eine Laus im deutschen Pelz, List Verlag, München 1968, 445 S. (auch poln.)

- Heimkehr nach Maresi, Otto Müller Verlag, Salzburg 1994, 405 S.

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- Theodora. Roman, Landpresse Verlag, 1998

- Maresi. Eine Kindheit in einem donauschwäbischen Dorf, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999, 271 S.

Novellen:

- Nichts als ein bißchen Musik, Hansischer Gildenverlag, Hamburg 1947, 126 S. (Neufassung unter dem Titel „Nur ein bißchen Musik“, G. Westermann Verlag, Braunschweig 1959, 176 S.

- Lebenslauf der Katharina D., Pannonia-Verlag, Freilassing 1963, 118 S.; Neuauflage unter d. Titel: Pannonische Novelle. Lebenslauf der Katharina D., Otto Müller Verlag, Salzburg 1991, 119 S.

Erzählbände:

- Der verlorene Vater, Claudius-Verlag, München 1955, 115 S.

- Der verlorene Vater. Drei Erzählungen, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1956, 276 S.

- Das späte Lied. Zwei Erzählungen, Kreuz-Verlag, Stuttgart 1956, 61 S.

- Das späte Lied, Stuttgart 1957, auch in: Anton Scherer: Die nicht sterben wollten, Pannonia-Verlag, Freilassing 1959, S. 143-54

- Seltene Stunden, Kreuz-Verlag, Stuttgart 1957, 61 S.

- Morgens zwischen vier und fünf, J. F. Steinkopf Verlag, Stuttgart 1958, 131 S. u. Union Ver-lag, Berlin (DDR) 1963, 248 S.

- Maresiana. Eine erzählerische Suite, J. F. Steinkopf Verlag, Stuttgart 1960, 248 S.

Lied vom Staub, Otto Müller Verlag, Salzburg 1992, 208 S.

Žiletić, Zoran:

- „Die Deutschen gehen“ Miodrag Matickis. Der Leidensweg der Deutschen aus Veliko Središte und Werschetz vom Oktober 1944 und kurz darauf als literarischer Stoff, in: Ge-schichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundesverband, Sindelfingen 1995, Heft 6, S. 92-106

- Die Deutschen der Wojwodina und der Zweite Weltkrieg, in: Nenad Stefanović. Ein Volk an der Donau. Das Schicksal der Deutschen in Jugoslawien unter dem kommunistischen Tito-Regime. Gespräche und Kommentare serbischer und deutscher Zeitzeugen, Belgrad 1996, 2. deutsche Auflage, München-Eggenfelden-Belgrad 2004, S. 201-217, siehe auch Vorwort von Zoran Žieltić, S. 10-21

- Die Geschichte der Donauschwaben in der Wojwodina. Zu ihrer Darstellung in Serbien und Deutschland, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, 45. Jg., Folge 2, 1996, München, S. 83-90 (gekürzt). Dieser Text erschien vollständig in: Die Deutschen in Ostmittel- und Südosteu-ropa. Geschichte, Wirtschaft, Recht, Sprache. Bd. 2, hrsg. v. Gerhard Grimm u. Christa Zach, München 1996, S. 223-236

- „Zwischen Völkern zu vermitteln, die oft durch tiefe Gräben getrennt waren“. Zoran Žiletić im Gespräch mit Stefan Sienerth, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, München, Folge 1, 2002, S. 38-53