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18. Mai 2014 | NZZ am Sonntag | 15 14 | NZZ am Sonntag | 18. Mai 2014 FOTOS: JOSCHI HERCZEG, PD Genuss Biersommelier Marcel Alber hat für unser Grillfest Biere zu den Gerichten ausgesucht. Seine Passion steht exemplarisch für die Lebendigkeit der Schweizer Bierszene Bier gewinnt B ad Attitude», «Bise Noire», «Chopfab», «La Dragonne», «Sailor Grave» – auf der- artige Bezeichnungen kom- men nicht nur Heavy-Metal-Bands. Auch moderne und experimentier- freudige Braumeisterinnen und -meister in Klein- und Kleinstbraue- reien lassen ihrer Kreativität beim Ausüben ihrer Tätigkeit freien Lauf. Erstaunlicherweise trifft man auch in der Schweizer Bierland- schaft auf immer mehr Leute, deren Phantasie schier grenzenlos ist – und weit über die Namensgebung der eigenen Produktpalette hinaus- reicht. So gibt es auch bei uns seit dem Ende des Bierkartells 1991 landauf, landab spleenig-kultige Etikettendesigns, Biere mit exoti- schen Zutaten und solche, die im Eichen-, Portwein- oder Rumfass ausgebaut werden. Brauen mit Tannenreisig Unter dem Namen «Debster Brew- ing» braut auch der Zürcher Marcel Alber eigenes Bier. Früher tat er das in der Küche einer Dreizimmerwoh- nung, in einem übergrossen Sup- pentopf. Heute setzt er die an zum Teil sehr alte und traditionelle Braustile angelehnten Rezepturen in einer geräumigeren Brau-Garage und mithilfe einer weitaus profes- sionelleren Heimbrau-Anlage um. «Ich bin nicht stilgebunden und ver- wende schon mal Pfeffer, Orangen- schalen oder Tannenreisig beim Brauen. Die Inspiration kommt von bestehenden Bieren», sagt Alber. Jeweils 50 Liter resultieren aus einem Sud. Die Abfüllung in die Fla- schen passiert händisch; die Etiket- ten hat ein Verwandter entworfen. «Annoying Indian Red Ale» steht darauf. Oder «Bulletproof Cascadian Dark Ale». Getrunken schliesslich wird der Gerstensaft unter Freunden. Trotz aller Bescheidenheit und obwohl er wenig exponiert seinem zeitintensiven Hobby frönt, ist Marcel Alber ein perfektes Aushän- geschild für die Szene. Das in letzter Zeit stark zunehmende Interesse an sogenannt artisanaler Bierkultur lässt sich anhand seines Engage- ments ähnlich gut aufzeigen wie damit, dass auch bei Coop mittler- weile Biere von (einstigen) Mikro- brauereien in den Regalen stehen. Das Biersommelier-Seminar, das der Branchenverband Gastrosuisse anbietet, ist ebenfalls ein prima Rechte Seite: Marcel Alber, Hobbybrauer und diplomier- ter Biersommelier, setzt sich für die Biervielfalt ein. Links (v. l. n. r.): «Palor», Braufactum, Frankfurt; «Agave Cerveza», Flying Dog, Schottland; «Westvleteren 12», Trappistenbier, Belgien; «Abbaye de Saint Bon- Chien», Brasserie des Franches-Montagnes, Saignelégier (JU); «Hobo», Bad Attitude, Stabio (TI); «Sailor Grave», Storm &  Anchor, Billikon (ZH); «Indian Pale Ale», Brasserie Trois Dames, Sainte-Croix (VD). Gradmesser. Die Kurse sind gut ge- bucht, die Teilnehmerschar hetero- gen, wie Gastrosuisse auf Anfrage mitteilt: «Ein Drittel wird von Mit- arbeitenden und Führungskräften aus gastgewerblichen Betrieben ge- stellt, ein Drittel arbeitet in einer Brauerei, und ein Drittel kommt aus unterschiedlichen Bereichen wie Architektur, IT, Journalismus, Medizin oder dem Rechtswesen.» Ihnen allen gemein sei das hohe Interesse am Objekt Bier. Die Aus- bildung sei als Ergänzung gedacht für Restaurantfachleute sowie für Mitarbeitende im Innen- und Aus- sendienst von Brauereien und Detailhandelsangestellte. Für die Biervielfalt Alber schloss die Ausbildung 2012 mit Bravour ab und ergänzte sie mit dem zweiwöchigen Aufbaukurs an der Doemens-Genussakademie in München. Als Diplom-Bier- sommelier lancierte er kürzlich gemeinsam mit einem Kompagnon, Christian Jauslin, die Website Bierversuche.ch. Dort erfährt man mehr über Kult-Brauer wie den Jurassier Jérôme Rebetez von der Brasserie des Franches-Montagnes Bier-Shops: Drinks of the World, in allen grossen Städten; www.beerworld.ch The Beerplanet, Badenerstrasse 74, Zürich; www.thebeerplanet.ch Hako, Steinberggasse 53, Winter- thur; www.hakogetraenke.ch Wittich, Haslistrasse 41, Olten; www.biershop-wittich.ch Getränke Hahn, Langfeldstr. 58, Frauenfeld; www.getraenkehahn.ch Widmer Bierspezialitäten, Kirchgasse 31, Wil (SG); www.bierspezialitaeten-wil.ch Bier-Lokale: Erzbierschof, Liebefeld/Winter- thur: Gründer Anton Flükiger betreibt die beiden führenden Lokale der Bierszene. Auf der Web- site ist der Fasspegel einsehbar, und im Restaurant wird Pizza ser- viert. Die Flaschen kann man vor Ort oder im Webshop kaufen. Könizstrasse 276, Liebefeld, und Stadthausstrasse 53, Winterthur; www.erzbierschof.ch Barbière, Bern: Neu eröffnet im März dieses Jahres. Breitenrain- platz 40; www.barbière.ch Au Trappiste, Bern: Bietet eine Vielzahl an Bieren kreativer Mikro- brauereien aus Europa und den USA. Rathausgasse 68; www.autrappiste.ch Pooc, Biel: 10 offene und über 50 ausgesuchte Flaschenbiere. Bendicht-Rechberger-Strasse 1–3; http://pooc.bierbienne.ch Le Pibar, Lausanne: Schöne Auswahl (auch im Offenausschank) an Schweizer, belgischen und internationalen Spezialitäten. Rue du Valentin 62; www.pibar.ch Eldorado, Zürich: Beim Limmat- platz trinkt man 101 Biere aus aller Welt. Limmatstrasse 109; www.eldorado-zh.ch Fork & Bottle, Zürich: Das Restau- rant mit Biergarten ist spezialisiert auf Bier aus Kleinstbrauereien aus Italien und der Schweiz. Allmendstrasse 20; www.forkandbottle.ch Zubehör: Sios Homebrew Shop; www.sios.ch Links: www.bierversuche.ch www.biergenuss.ch www.ratebeer.com Bier-Quellen und über die Bierszene in Peru – und man findet eben auch Brau- tagebücher, inklusive Rezepten. Hie und da organisiert Marcel Alber im kleineren Rahmen soge- nannte Beer-and-Dine-Events. Da weist er verschiedenen Gerichten möglichst präzise stimmige Biere zu. Denn Alber und seinesgleichen geht es nicht primär ums Brauen, sondern darum, möglichst viele Biere kennenzulernen, auszupro- bieren, zu katalogisieren und die verwendeten Braustile zu studie- ren, von denen es rund hundert gibt, jeweils mit Unterkategorien. Man reist nach Rapperswil ans Craft Beer Festival, nach München für die «Braukunst Live!» oder an die Co- penhagen Beer Celebration. Über das Getrunkene wird akribisch Buch geführt, zum Beispiel mittels Smartphone-Apps. «Für die Biervielfalt!», so lautet das Motto von Marcel Alber. Es macht deutlich, dass ihm Ideologie und Genuss wichtiger sind als kom- merzielle Ziele. Er teilt diese Ein- stellung mit den meisten Bierher- stellern des Landes, denn ihr Platz ist die Nische. Eine ziemlich grosse Nische, immerhin. Oliver Schmuki

Genuss Seine Passion steht exemplarisch für die ...2014/05/18  · in München. Als Diplom-Bier-sommelier lancierte er kürzlich g emeinsam mit einem Kompagnon, Christian Jauslin,

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Page 1: Genuss Seine Passion steht exemplarisch für die ...2014/05/18  · in München. Als Diplom-Bier-sommelier lancierte er kürzlich g emeinsam mit einem Kompagnon, Christian Jauslin,

18. Mai 2014 | NZZ am Sonntag | 1514 | NZZ am Sonntag | 18. Mai 2014

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Genuss

Biersommelier Marcel Alber hat für unser Grillfest Biere zu den Gerichten ausgesucht. Seine Passion steht exemplarisch für die Lebendigkeit der Schweizer Bierszene

Bier gewinnt

Bad Attitude», «Bise Noire», «Chopfab», «La Dragonne», «Sailor Grave» – auf der-artige Bezeichnungen kom-

men nicht nur Heavy-Metal-Bands. Auch moderne und experimentier-freudige Braumeisterinnen und -meister in Klein- und Kleinstbraue-reien lassen ihrer Kreativität beim Ausüben ihrer Tätigkeit freien Lauf.

Erstaunlicherweise trifft man auch in der Schweizer Bierland-schaft auf immer mehr Leute, deren Phantasie schier grenzenlos ist – und weit über die Namensgebung der eigenen Produktpalette hinaus-reicht. So gibt es auch bei uns seit dem Ende des Bierkartells 1991 landauf, landab spleenig-kultige Etikettendesigns, Biere mit exoti-schen Zutaten und solche, die im Eichen-, Portwein- oder Rumfass ausgebaut werden.

Brauen mit Tannenreisig Unter dem Namen «Debster Brew-ing» braut auch der Zürcher Marcel Alber eigenes Bier. Früher tat er das in der Küche einer Dreizimmerwoh-nung, in einem übergrossen Sup-pentopf. Heute setzt er die an zum Teil sehr alte und traditionelle

Braustile angelehnten Rezepturen in einer geräumigeren Brau-Garage und mithilfe einer weitaus profes-sionelleren Heimbrau-Anlage um. «Ich bin nicht stilgebunden und ver-wende schon mal Pfeffer, Orangen-schalen oder Tannenreisig beim Brauen. Die Inspiration kommt von bestehenden Bieren», sagt Alber. Jeweils 50 Liter resultieren aus einem Sud. Die Abfüllung in die Fla-schen passiert händisch; die Etiket-ten hat ein Verwandter entworfen. «Annoying Indian Red Ale» steht darauf. Oder «Bulletproof Cascadian Dark Ale». Getrunken schliesslich wird der Gerstensaft unter Freunden.

Trotz aller Bescheidenheit und obwohl er wenig exponiert seinem zeitintensiven Hobby frönt, ist Marcel Alber ein perfektes Aushän-geschild für die Szene. Das in letzter Zeit stark zunehmende Interesse an sogenannt artisanaler Bierkultur lässt sich anhand seines Engage-ments ähnlich gut aufzeigen wie damit, dass auch bei Coop mittler-weile Biere von (einstigen) Mikro-brauereien in den Regalen stehen.

Das Bier sommelier-Seminar, das der Branchenverband Gastrosuisse anbietet, ist ebenfalls ein prima

Rechte Seite: Marcel Alber, Hobbybrauer und diplomier-ter Biersommelier, setzt sich für die Bier vielfalt ein.

Links (v. l. n. r.): «Palor», Braufactum, Frankfurt; «Agave Cerveza», Flying Dog, Schottland; «West vleteren 12», Trappistenbier, Belgien; «Abbaye de Saint Bon-Chien», Brasserie des Franches-Montagnes, Saignelégier (JU); «Hobo», Bad Attitude, Stabio (TI); «Sailor Grave», Storm & Anchor, Billikon (ZH); «Indian Pale Ale», Bras serie Trois Dames, Sainte-Croix (VD).

Gradmesser. Die Kurse sind gut ge-bucht, die Teilnehmerschar hetero-gen, wie Gastrosuisse auf An frage mitteilt: «Ein Drittel wird von Mit-arbeitenden und Führungskräften aus gastgewerblichen Betrieben ge-stellt, ein Drittel arbeitet in einer Brauerei, und ein Drittel kommt aus unterschiedlichen Bereichen wie Architektur, IT, Journalismus, Medizin oder dem Rechtswesen.» Ihnen allen gemein sei das hohe Interesse am Objekt Bier. Die Aus-bildung sei als Ergänzung gedacht für Restaurantfachleute sowie für Mitarbeitende im Innen- und Aus-sendienst von Brauereien und Detail handelsangestellte.

Für die BiervielfaltAlber schloss die Aus bildung 2012 mit Bravour ab und ergänzte sie mit dem zweiwöchigen Aufbaukurs an der Doemens-Ge nuss akademie in München. Als Diplom-Bier-sommelier lancierte er kürzlich gemeinsam mit einem Kompagnon, Christian Jauslin, die Website Bierversuche.ch. Dort erfährt man mehr über Kult-Brauer wie den Jurassier Jérôme Rebetez von der Brasserie des Franches-Mon tagnes

Bier-Shops:� Drinks of the World, in allen grossen Städten; www.beerworld.ch � The Beerplanet, Badenerstrasse 74, Zürich; www.thebeerplanet.ch � Hako, Steinberggasse 53, Winter-thur; www.hakogetraenke.ch� Wittich, Haslistrasse 41, Olten; www.biershop-wittich.ch� Getränke Hahn, Langfeldstr. 58, Frauenfeld; www.getraenkehahn.ch� Widmer Bierspezialitäten, Kirchgasse 31, Wil (SG); www.bierspezialitaeten-wil.ch

Bier-Lokale:� Erzbierschof, Liebefeld/Winter-thur: Gründer Anton Flükiger betreibt die beiden führenden Lokale der Bierszene. Auf der Web-site ist der Fasspegel einsehbar, und im Restaurant wird Pizza ser-viert. Die Flaschen kann man vor Ort oder im Webshop kaufen.Könizstrasse 276, Liebefeld, und Stadthausstrasse 53, Winterthur; www.erzbierschof.ch

� Barbière, Bern: Neu eröffnet im März dieses Jahres. Breitenrain-platz 40; www.barbière.ch

� Au Trappiste, Bern: Bietet eine Vielzahl an Bieren kreativer Mikro-brauereien aus Europa und den USA. Rathausgasse 68; www.autrappiste.ch

� Pooc, Biel: 10 offene und über50 ausgesuchte Flaschenbiere. Bendicht-Rechberger-Strasse 1–3; http://pooc.bierbienne.ch

� Le Pibar, Lausanne: Schöne Auswahl (auch im Offenausschank) an Schweizer, belgischen und inter nationalen Spezialitäten. Rue du Valentin 62; www.pibar.ch

� Eldorado, Zürich: Beim Limmat-platz trinkt man 101 Biere aus aller Welt. Limmatstrasse 109; www.eldorado-zh.ch

� Fork & Bottle, Zürich: Das Restau-rant mit Biergarten ist spezialisiert auf Bier aus Kleinstbrauereien aus Italien und der Schweiz. Allmendstrasse 20; www.forkandbottle.ch

Zubehör: Sios Homebrew Shop; www.sios.ch

Links:www.bierversuche.chwww.biergenuss.chwww.ratebeer.com

Bier-Quellen

und über die Bier szene in Peru – und man findet eben auch Brau-tagebücher, inklusive Rezepten.

Hie und da organisiert Marcel Alber im kleineren Rahmen soge-nannte Beer-and-Dine-Events. Da weist er verschiedenen Gerichten möglichst präzise stimmige Biere zu. Denn Alber und seinesgleichen geht es nicht primär ums Brauen, sondern darum, möglichst viele Biere kennenzulernen, auszupro-bieren, zu katalogisieren und die verwendeten Braustile zu studie-ren, von denen es rund hundert gibt, jeweils mit Unterkategorien. Man reist nach Rapperswil ans Craft Beer Festival, nach München für die «Braukunst Live!» oder an die Co-penhagen Beer Celebration. Über das Getrunkene wird akribisch Buch geführt, zum Beispiel mittels Smartphone-Apps.

«Für die Biervielfalt!», so lautet das Motto von Marcel Alber. Es macht deutlich, dass ihm Ideologie und Genuss wichtiger sind als kom-merzielle Ziele. Er teilt diese Ein-stellung mit den meisten Bierher-stellern des Landes, denn ihr Platz ist die Nische. Eine ziemlich grosse Nische, immerhin. Oliver Schmuki