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Gerechtigkeit erhöht ein Volk Vorschläge für Aktionen und Gottesdienste zum Thema Reichtum und Armut Sozialpolitischer Buß- und Bettag Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt Arbeitsgemeinschaft in der EKD

Gerechtigkeit erhöht ein Volk

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Page 1: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Vorschläge für Aktionen und Gottesdienste zum Thema Reichtum und Armut

Sozialpolitischer Buß- und Bettag

Kirchlicher Dienst

in der Arbeitswelt

Arbeitsgemeinschaftin der EKD

Page 2: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Handeln; es ergeben sich vielmehr auchethische Einsichten, die sich auf den insti-tutionellen Rahmen der Gesellschaft be-ziehen.“ (108) Und daraus ergibt sich imGemeinsamen Wort folgende Konsequenz: „Es müssen also Strukturen geschaffenwerden, welche dem Einzelnen die verantwortliche Teilnahme am gesell-schaftlichen und wirtschaftlichen Lebenerlauben.“ (113)

In einer Zeit, in der die Ausgrenzung vonimmer mehr Menschen aus dem gesell-schaftlichen und wirtschaftlichen Lebenvon der herrschenden Politik billigend inKauf genommen wird, will der KDA mitdieser Arbeitshilfe dazu beitragen, das Ein-treten für Soziale Gerechtigkeit erneutzum zentralen sozialethischen Thema derevangelischen Gemeinden zu machen.

Sigrid ReihsVorsitzende des KirchlichenDienstes in der Arbeitswelt der EKD

Mit dieser Arbeitshilfe will der KirchlicheDienst in der Arbeitswelt (KDA) dafür wer-ben, dem Buß- und Bettag wieder eineneindeutigen Platz im Kirchenjahr zu geben.

Die biblische Botschaft von der Buße lädt dazu ein, über falsche Wege in Ver-gangenheit und Gegenwart nachzudenkenund zugleich aus der Kraft des EvangeliumsBefreiung aus diesen falschen Wegen zuerleben, um in eine gute Zukunft für alleaufzubrechen. An diese Tradition möchtenwir anknüpfen.

Der Buß- und Bettag soll wieder einTag werden, an dem wir in der Evangeli-schen Kirche, in unseren Gemeinden undden unterschiedlichen Arbeitsbereichendie soziale Situation in unserem Land kritisch bedenken und die biblischenKriterien von Gerechtigkeit zur Gestaltungdes Lebens in unserem Gemeinwesen inden Mittelpunkt stellen.

Schon im Gemeinsamen Wort zur wirt-schaftlichen und sozialen Lage in Deutsch-land von 1997 hatten beide Kirchen be-tont: „Wenn die Christen das biblischeZeugnis mit den aktuellen Herausforderun-gen zusammen lesen, gewinnen sie nichtnur ethische Orientierungen für das eigene

Liebe Leserinnen und Leser,

2 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

+++ Fällt euch Reichtum zu, so hängt euer Herz nicht daran. Psalm 62,11 +++ Du sollst das

Vorwort

Aus dem Inhalt

3 Buß- und Bettag – historisch4 „Gerechtigkeit erhöht ein Volk“

„Baukasten“ zur Gottesdienstgestaltung6 Lesungen und Texte 7 Gebete9 Ideen zur Predigt

12 Zum Beispiel Lazarus 16 Agapemahl18 Der „Zwischenrufe-Gottesdienst“

Konkrete Gestaltungsideen19 Sozialabbau vor Ort 20 Die „Schal“-Aktion; Mahnfeuer 21 Den öffentlichen Raum einbeziehen

Materialien und Fallbeispiele22 Armut im Reichtum24 Armut und Gesundheit26 Kinderarmut27 Armut in Deutschland28 Hartz IV

30 Literatur zum Thema 31 Impressum

Page 3: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Es ist nie festgestellt worden, ob ein zu-sätzlicher Arbeitstag die Kosten der Pflege-versicherung deckt oder übersteigt.

Am Buß- und Bettag ging es immer umöffentliches Fehlverhalten, um den Aufrufder Kirche zum Umdenken und um dieGewissensprüfung des Einzelnen. Seitden achtziger Jahren ist der Buß- und Bet-tag eingebettet in die ökumenischeFriedensdekade und hat von daher einneues politisches Profil gewonnen.

Mehr denn je brauchen wir einen sol-chen Tag, um darüber nachzudenken,wohin sich unsere Gesellschaft entwickelnsoll. Sind wir schon auf dem Weg, der mit Solidarität und Gerechtigkeit in die Zu-kunft führt oder müssen wir immer wiederneu nach guten Wegen suchen?

Schon im alten Israel gab es den „Versöh-nungstag“ des ganzen Volkes (3. Mose 16),der gekennzeichnet war durch ein sym-bolisches Opfer eines Bockes („Sünden-bock“), Fasten und Nicht-Arbeiten. Im Neuen Testament wird diese Traditionaufgegriffen und in der Weise umgewan-delt, dass Buße neue Chancen zu einerlebensdienlichen Gestaltung der Zukunfteröffnet.

Im Römischen Reich ordnete die Obrig-keit Bußtage an, wenn Krieg, Seuchen oderHungersnot zu befürchten waren. Diessetzte sich durch das ganze Mittelalter fort.

Martin Luther kritisierte an der Praxisder Kirche seiner Zeit, dass sie Buße undVergebung auf formale Akte reduzierthatte. Nach seinem Verständnis sollte viel-mehr das ganze Leben eine stetige Reueund Buße sein. Trotzdem wurde schon1532 vom Rat der Stadt Straßburg der ersteevangelische Bußtag eingeführt. AndereLandeskirchen folgten, bis es schließlichin 28 verschiedenen Kirchen 47 Bußtagean 24 verschiedenen Terminen gab.

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts strebteman nach Vereinheitlichung: Zuerst 1816in Preußen, danach setzte sich der Mittwochvor dem letzten Sonntag im Kirchenjahr als Buß- und Bettag auch in allen Landes-kirchen durch. Es war Kaiser Wilhelm IIvorbehalten, den Deutschen 1892 diesenTag als einheitlichen Feiertag zur gemein-samen Einkehr und Besinnung staatlich zu verordnen.

Adolf Hitler hat ihn 1939 das erste Malfaktisch abgeschafft, indem er ihn durchErlass auf einen Sonntag verlegte. 1950 wurde er dann als staatlicher Feier-tag wieder eingeführt.

Der Deutsche Bundestag hat ihn denDeutschen 1995 wieder genommen – zurKompensation der Kosten, die die Arbeit-geber zur Finanzierung der Pflegever-sicherung aufbringen müssen. Seither ister – außer in Sachsen – wieder Arbeitstag.Volksbegehren zu seiner Wiedereinführunghaben die erforderliche Mehrheit verfehlt.

Buß- und Bettag – historisch

Der Buß- und Bettag – ein Feiertag, der viel mit Politik zu tun hat

3Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Historie

Recht deines Armen nicht beugen in seiner Sache. 2. Mose 23,6 +++ Es ist leichter, dass ein

„Die Christen können nicht das Brot am Tisch des Herrn teilen, ohne auch das täglicheBrot zu teilen. Ein weltloses Heil könnte nur eine heillose Welt zur Folge haben.“ (101)

Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, 1997

Page 4: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Die hebräische Bibel erinnert uns daran,dass Gerechtigkeit die einzige Möglichkeitist, die Freiheit aller zu bewahren. ZumBeten gehört das Tun des Gerechten. Derfür Land und Leute erbetene Segen, sodas Zeugnis der alten Schriften, konnte von Jahwe auch wieder entzogenwerden, wenn es zu ungerecht zuging,wenn Reichtum nicht geteilt und die „Wit-wen und Waisen“, also die Schwachen derGesellschaft, ausgegrenzt wurden. Reiche waren verpflichtet, wegen Über-schuldung Versklavte auszulösen.

Jesus forderte die Menschen auf, sichFreunde mit dem „ungerechten Mammon“zu machen, nicht auf dem Geldsack zusitzen und schon gar nicht das Geld anGottes statt anzubeten. In zahlreichenBegegnungen thematisiert Jesus unserVerhältnis zum Geld und seiner destrukti-ven Wirkung, wenn es zwischen uns undGott oder zwischen uns und unserenNächsten steht.

Deshalb steht es uns als evangelischerKirche gut an, am Buß- und Bettag öffent-lich nach dem Umgang mit Reichtum undArmut in unserer Gesellschaft zu fragen,Gottesdienste zu feiern, eigene Schuld zubekennen und nach Wegen aus der Ge-fahr zu suchen. Es passt zur Tradition derFriedensdekade, die wirtschaftlichenBedingungen des inneren wie des äußerenFriedens zu thematisieren.

Der Riss durch unsere Gesellschaft zwi-schen „Armut“ und „Reichtum“, von demdas Wirtschafts- und Sozialwort der bei-den großen Kirchen schon 1997 sprach,hat sich seit dieser Zeit noch vertieft. Wir müssen eine Spaltung beobachten,welche die Zukunftsfähigkeit der Gesell-schaft national wie global bedroht.

Daher ist es notwendig, dass die Kirche am Buß- und Bettag zum Innehal-ten, zu Besinnung und Nachdenken er-mutigt. Teile der Gesellschaft verweigernden Diskurs über die sich neu stellendeVerteilungsfrage und vertrauen allein aufwirtschaftliches Wachstum. Dabei istoffensichtlich, dass die seit vielen Jahrendurchgeführte Politik der Entlastunggroßer Vermögen und hoher Einkommenbei gleichzeitiger Belastung der öko-nomisch Schwächeren nicht den ge-wünschten Erfolg hatte.

Es erweist sich als Irrtum, dass die Ent-lastung hoher Einkommen und verstärkterDruck auf niedrige Einkommen mehr oder weniger automatisch Arbeitsplätzeschafft!

Die großen Produktivitätsfortschritte in der Wirtschaft haben zu einer gesamt-gesellschaftlichen „Arbeitszeitverkürzung“der besonderen Art geführt: Ein Teil derBevölkerung sieht sich einer Verdichtungder Arbeit und einer Verlängerung derJahres- wie der Lebensarbeitszeit gegen-über, während Millionen von Menschenvon sinnvoller und angemessen bezahlterErwerbsarbeit ausgegrenzt werden. DieSozialsysteme seien nicht mehr finanzier-bar, die öffentlichen Kassen leer, heißt es.

Doch wer genauer hinschaut, ent-deckt, dass es Alternativen zur gegenwär-tigen Finanzierung der sozialen Siche-rungssysteme gibt. Diese zu beachtenwird umso dringlicher, weil privater wie öffentlicher Armut eine wachsendeKonzentration von privatem Reichtumgegenübersteht. Mit dieser Konzentrationvon Reichtum ist auch eine zunehmendeKonzentration von Macht und Einfluss verbunden.

„Gerechtigkeit erhöht ein Volk“

(Sprüche Salomos 14,34)

4 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Kamel durch ein Nadelör gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Markus 10,25 +++

Gerechtigkeit

„Der Sozialstaat ist Voraus-setzung dafür, dass die Wertevon Individualität und Freiheitnicht nur ein Privileg derEinkommensstarken undVermögenden sind, sondernallen Menschen zukommen.“(212)

Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, 2003

Page 5: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

5Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Besser wenig mit Gerechtigkeit als viel Einkommen mit Unrecht. Sprüche 16,8 +++ Tu deinen

„Nicht nur Armut, sondern auch Reichtum muss einThema der politischen Debattesein. Umverteilung ist gegen-wärtig häufig Umverteilung des Mangels, weil der Über-fluss auf der anderen Seitegeschont wird.“ (220)

Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, 1997

„Gerechtigkeit erhöht ein Volk.“ DieserLeitsatz ist nicht nur christlicher Verant-wortung geschuldet, sondern könnte sichmittel- und langfristig auch als ökono-misch sinnvoll erweisen, wenn es unsgelänge, durch eine gerechtere Verteilungdie Ressourcen unserer Gesellschaftenbesser zu entwickeln und zu nutzen.Öffentliche Investitionen in optimale Aus-bildung und Bildung sowie in bestmög-liche Gesundheitsversorgung für alle, inumwelt- und ressourcenschonendeProduktion könnten entscheidend zu mehrgesellschaftlicher Wohlfahrt und zu sozia-lem Frieden beitragen. Dient es nicht eherder Gerechtigkeit, wirklicher ökonomi-scher Rationalität und der Bewahrung derSchöpfung, wenn wir uns die Zeit neh-men, neue Wege zu gehen – statt immerschneller in Sackgassen scheinbarenFortschritts zu stolpern?

Page 6: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Markus 14, 3–9: Salbung in BethanienReichtum ist nicht nur eine Sache desHabens, sondern immer auch eine Sachedes Gebens. Wer geben kann, schenken,teilen, mit-teilen, anderen Gutes tun, derist reich. Auch wenn er sein Letztes gibt.Das Gute lässt sich nicht immer mit Geldbeziffern. Geld ist nicht immer und injedem Fall das adäquate Maß.

Matthäus 19, 16–26:Die Frage eines reichen JünglingsVerbietet Jesus dem reichen Jüngling dieTeilhabe am Reich Gottes? Oder sagt er:Du machst es dir selbst schwer? Was hältden reichen Jüngling davon ab, derGegenwart Gottes teilhaftig zu werden?Ist es sein Besitz oder sein mangelnderMut? Ist Besitz nur richtig anzuwenden?

Lukas 16, 19–31:Armer LazarusErzwungene Armut ist eine Last. Die Bibelverklärt oder verschleiert nichts. AberArmut in biblischer Perspektive ist mehr.Sie ist immer Hinweis auf ein Mehr, dasvor Gott gilt. Wenn Armut drückt, erinnertdie Bibel an das Mehr des Menschseins,der Liebe, der Gnade Gottes. Der Menschverliert in der Armut nichts von seinemWert, auch wenn „die Welt“ das so sieht.

Lukas 19, 1–9:ZachäusSind Reichtum und Besitz immer Zeichenvon Segen, Erfolg und besondererLeistung? Zachäus erfährt beides alsFluch. Die Welt hat sich von ihm abge-wandt. Segen und Erfolg erfährt er in demAugenblick, in dem er sich von seinemBesitz trennt. Seinem Haus widerfährtHeil, als er sich frei macht für das einfacheMahl mit Jesus. Jesu Lebendigkeit stecktihn an zu diesem Wagnis. Sich und dasSeine zur Verfügung zu stellen, eröffnetneue Räume und Heil.

Zusätzlich zu den agendarischen Textenschlagen wir folgende Auswahl vonTexten vor, die Lust machen sollen, überdas Thema zu predigen.

Jesaja 1,16+17: Reinigt euch und trachtet nach Recht!Rituelle Reinigung (Buße und Umkehr)mündet in die gute Tat. Die Zuwendung zuden Schwachen geht einher mit einerZurückweisung des Unrechts. DieSchranken gegen das Unrecht müssen insBewusstsein gehoben werden. Völker nei-gen dazu, sie zu übersehen oder zu über-treten. Welche Schranken werden heutenicht mehr gepflegt und bewahrt?

Jesaja 5,8: Wehe, wer Besitz anhäuft …… der wird einsam werden. Sein Besitzverdrängt andere Menschen. Es bleibtkein Platz mehr für offene Begegnung.Das fröhliche Miteinander auf neutralemGrund zieht aus der Gesellschaft aus. Wersich zum Besitzer macht und Lebensraumaneignet, verliert die Mitwelt, die Freude,das Leben.

Jesaja 10, 1–3: Wohin wollt ihr euren Reichtum flüchten?Besitz provoziert eine harte Haltung. WeilFurcht vor Verlust zum Lebensthema wird,wird die Angst zum Dauergast. Sicherungvon Haben verführt zur Verhärtung gegendie, die nichts haben. Doch letztendlichgilt: Zu wem wollt ihr fliehen, wenn dieVerhältnisse die Spannungen nicht mehrkaschieren und nackte Not die Menscheneinander entfremdet? Soll das eureLebensbilanz sein, dass ihr gerade nochhabt retten können, was andere zumÜberleben bitter nötig gehabt hätten?

„Baukasten“ zur Gottesdienstgestaltung

Lesungen und Texte

für Ansprachen

6 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. Sprüche 31,8 +++

Page 7: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

7Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Gottesdienstgestaltung

Wir rufen dich an: Herr erbarme dich!

( ) Wir bitten für die, die in Wohlstand leben,dass sie zu einer klaren Vorstellung davon kommen, wie sie teilen und Mangelheilen können. Dass sie kritisch im Auge behalten, wie viel Besitz dem Leben dientund wann Besitz das Leben beschädigt.

( ) Wir bitten, das sie Reichtum nicht nuram Haben bemessen, sondern auch amTeilen, so dass sich das Vermögen aufdem Konto wandelt zu dem Vermögen, Gerechtigkeit zu schaffen.

Für die Reichen bitten wir: Herr, erbarme dich!

( ) Wir bitten für die, die in Armut lebenund von wachsender Armut bedroht sind;für die, die um ihren Anteil amgesellschaftlichen Wohlstand fürchtenmüssen, für die, die nicht mehr an ihreChance glauben.

( ) Ermutige sie zum Protest gegen dieseichte Sicht; ermutige zum Widerspruchgegen den ungerechten Schein, der Armutmit Faulheit und mit Trägheit gleichsetzt.

( ) Lass die betroffenen Frauen, Männerund Kinder, die Alleinerziehenden, die

Eingangsgebet

( ) Gott! In deinem Geist wachsen wir direntgegen als Schwestern und Brüder!Was uns trennt, trennt nicht von dir.Was uns belastet, erfährt sein Gericht in deinem frei machenden Wort! Was uns zerstört, wird von dir überwundendurch Hoffnung und Kraft.

( ) Wir bitten dich: Gewähre uns an diesem Buß- und Bettag einen Gottesdienst in deinem Licht. Leite unsere Gedanken,wenn wir darüber nachdenken,wie unser Leben reicher wirddurch das Vermögen zu teilen,durch die Freude an Gerechtigkeit,durch die Freiheit, die uns dort erreicht, wo wir uns nicht klammern an Besitz und Status.

( ) Erweise dich in diesem Gottesdienstals der frei machende Geist.Nimm von uns, was knechtet und lass uns zu Zeuginnen und Zeugendeiner Barmherzigkeit werden.

Fürbitten

( ) Unser Gott! In deinem Geist bemisstsich Leben nicht am Besitz! In deinemLicht dient unser Wohlstand derGerechtigkeit! Unter deinem Wort nennen wir uns Freie, nicht Knechte derZustände und Verhältnisse!

( ) Wir bitten dich in diesem Gottesdienst!Lass unter uns Gestalt annehmen, was deiner Verheißung entspricht.Verhilf uns zu Kraft und Klarheit, so dass wir Reichtum Reichtum nennenund Armut Armut!

( ) Mach’ uns sensibel für die Spannungen,die dort wachsen, wo reich und arm sichimmer mehr voneinander entfernen. Verhilf uns zum Brückenschlag, in dem wir geben, was wir übrig haben.

Verkaufe, was du hast, und gib´s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben.

Gebete

Eingangsgebet, Fürbitten und Präfationsgebet

Fortsetzung nächste Seite >

Segensfigur beimEvangelischenKirchentag 2001 inFrankfurt.

Page 8: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Es ist deine vergebende und alles heilende Liebe,die uns das Brot teilen und den Kelch weitergeben und uns sagen lässt: In dir lebt unser Heil, in Jesus unser Frieden,dein Geist ist unsere Hoffnung!

Wenn wir in deinem Namen einander Brot und Kelch geben, üben wir die heilende Geste deiner Gegenwart.Du überwindest, was uns trennt,wir lassen uns unser Menschsein genügen.

Vor dir gilt nicht,was wir in den Händen haben,auf den Kontenin unseren Schränken.

Wir hören auf das,was du uns ins Herz legst.

Lass diese Kraft nicht aufhören.Durch sie wollen wir reich werden:reich an Liebe,reich an Mut, die Verhältnisse zu ändern,reich an Aufmerksamkeit für die Schwachenunter uns. Mache uns und unseren Besitz leicht,damit wir denen geben mögen, die es nötig haben.

Du befiehlst uns nicht in Armut,du willst uns nicht als Elende im Gefüge dieser Welt.Du willst uns als freie Helfer deines Wortes,die sich ein Gespür dafür erhalten,dass Haben nicht Seinund Besitz nicht Leben bedeuten.

Erweise dich an uns als der lebendige Gott, der überwinden kann,was uns knechtet und einschüchtert,was uns trennt und einander entfremdet.Deiner Liebe übergeben wir unser LebenWenn wir dich willkommen heißenin Brot und Kelch.

Amen

Langzeitarbeitslosen, die auf dem Arbeits-markt nicht mehr Vermittelbaren spüren,dass sie etwas Wert sind und sich ihreWürde nicht am Einkommen bemisst.

( ) Für die Armen bitten wir: Herr erbarme dich!

( ) Wir bitten für uns als Gemeinde und als deine Kirche: Gott, mache uns zuMitstreiterinnen und Mitstreitern deinerGerechtigkeit und Liebe! Wecke in uns dieWiderstände gegen das schnelle Urteil!Verleihe uns das Rückgrat, das uns hilft,im Namen deines Sohnes aufrecht die Wahrheit zu sagen, auch denen, diemächtiger sind als wir.

( ) Es ist nicht die Macht des Geldes, derdu vertraut hast, Herr, sondern der Wahrheithast du vertraut. Einer Wahrheit, die ein-trat für den, der Hilfe brauchte – war er nunreich oder arm. Darum lebst du bis heuteund lässt uns nicht verlassen zurück, wouns die Zustände bedrücken.

Für deine Kirche bitten wir: Herr, erbarme dich!

Vater unser …

Präfationsgebet(Großes Dankgebet vor dem Abendmahl)

Unser Gott, du bist in deinem Sohn lebendig, ER ist uns nahe in Brot und Kelch.

Wir rufen dich an und preisen deine offeneLiebe und überwindende Barmherzigkeit. Sie führen uns zusammen an diesen Tisch!Nicht unsere Gerechtigkeit,nicht unser Vermögen,nicht unser Reichtum,nicht unsere Verdienste machen uns zudeinen Gästen,sondern deine Einladung, die allen gilt.In deinem Namen sind wir Gemeinde,heißen wir Schwestern und Brüder.

8 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Matthäus 19,21 +++ Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe

Gottesdienstgestaltung

> Fortsetzung: Gebete

Page 9: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Ideen zur Predigt

Predigt für zwei (oder mehrere) Sprecherinnen und Sprecher

9Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Gottesdienstgestaltung

(…)

( ) Das Statistische Bundesamt verzeichnetzum Jahresende 1999 einen Spareinlagen-bestand bei Privatpersonen in Deutsch-land von 1165 Milliarden DM allein beiBanken in Deutschland. Dem gegenüberist im Armuts- und Reichtumsbericht derBundesregierung zu lesen, dass 1998 13,7 Millionen Menschen unterhalb derArmutsgrenze leben mussten.

(…)

( ) Krasser Reichtum wird dort zumProblem, wo das Teilen nicht mehr gelingt.Im sich verschärfenden Gegenüber vonReichtum und Armut meldet sich dieFrage nach den ausgleichenden und heilenden Kräften. Diese Frage erwartetvon Christinnen und Christen eineAntwort, die heilsam ist und Perspektivender Gerechtigkeit eröffnet.

( ) Wir inszenieren in diesem Gottesdienstkeinen Streit zwischen arm und reich. Wirdenken vielmehr öffentlich nach, wie wirden Gefahren einer sich verschärfendenUngleichheit begegnen können.

( ) Nachweisbare soziale Ungleichheit gibtes, seit es Hochkulturen gibt. Wir wissenseit 6000 Jahren davon. Die Bibel sagt:Weil es Armut und Reichtum gibt, muss esimmer auch Menschen geben, die diesemProblem Aufmerksamkeit schenken. Esmuss Menschen geben, die darauf achten,dass die Spannung nicht zu groß wird. Esmuss Menschen geben, die darauf achten,dass Ungerechtigkeit nicht unerträglichund Ungleichheit nicht zerstörerisch wird.Es muss Menschen geben, die sichBedürftigen auch in schweren Zeiten nichtverweigern. Sonst bleibt die Liebe auf derStrecke. Darum die Mahnung der Bibel:„Weigere dich nicht, dem BedürftigenGutes zu tun, wenn es in deiner Machtsteht.“

( ) Wir hören einen Abschnitt aus demBuch der Sprüche:

„Weigere dich nicht, dem Bedürftigen Gutes zu tun,wenn es in deiner Macht steht.Sprich nicht zum Nächsten:,Geh hin und komm wieder;morgen will ich dir geben‘– wenn du doch jetzt kannst.“

Sprüche 3,27 und 28

( ) Es muss Menschen geben, die wachbleiben für die gesellschaftlichen Gefahren,die in krassem Reichtum lauern, währendandere sich am Rande des Existenzmini-mums durchs Leben schlagen. WoUngleichheit gesellschaftlich herrschendwird, wird der andere schnell zum Bösen.Es wachsen Neid, Hass und Zorn.Gesellschaftliche Bindungen zerreißen.Ungerechtigkeit und Ungleichheit tretenihre unheilvolle Herrschaft an. Darum dieMahnung: Weigere dich nicht, dem Be-dürftigen Gutes zu tun, wenn es in deinerMacht steht.

( ) Haben wir Anlass, in einem Buß- undBettagsgottesdienst über Armut undReichtum laut nachzudenken? Lässt sicheine schärfer werdende Ungleichverteilunggesellschaftlicher Güter ausmachen?

ins Haus. Jesaja 58,7 +++ Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern,

Fortsetzung nächste Seite >

Menschen in Herborn kämpfen um den Erhalt vonArbeitsplätzen im AEG-Werk.

Page 10: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

(…)

( ) Wo so gedacht und Politik gemachtwird, entsteht Not. In Not geraten die, diezu den Leisen und Behutsamen, zu denZurückhaltenden und Schüchternengehören. Es sind eben nicht die Dreisten,die Frechen und Lauten, die durch solchePolitik genötigt werden. Es sind nicht diejenigen, die nach gängigem Vorurteilden Staat und die Gesellschaft ausnutzen.In Wahrheit sind es die, die sich vielleichtsogar schämen, Hilfe in Anspruch neh-men zu müssen. Es sind jene, die sichscheuen, aufzumucken und aufzutrump-fen. Für sie wird eine unsolidarischeGesellschaft und Politik zur Nötigung; sie werden verletzt und gedemütigt.

( ) Wo allein der wirtschaftliche Tausch-wert eines Menschen die Politik und dasgesellschaftliche Miteinander bestimmt,entstehen Opfer. Wo Opfer entstehen,wächst die Not. Und wo Not wächst, verliert Politik ihre gestaltende und ausgleichende Kraft. Politik und Öko-nomie werden zur Nötigung. Und balddefinieren allein die Starken, was gut und hilfreich ist.

( ) Ist es mit der Gegenwart Gottes verein-bar, wenn wenige Menschen immer mehrhaben und immer mehr Menschen wenig?Hält unsere Gesellschaft das aus? Wann wandelt sich Besitz unter solchenBedingungen vom Segen zum Fluch?

(…)

( ) Was leistet der Top-Verdiener „vor Gott“mehr, dass sich sein im Vergleich zumFacharbeiter 300- bis 400-mal höheresEinkommen „gerecht“ und „verdient“heißen ließe?

(…)

( ) Bringt es uns gesellschaftlich weiter,wenn wir uns darin üben, von ArmutBetroffene als Anspruchsgruppen zu diffamieren und staatliche Unterstützungpauschal als Anreiz zur Untätigkeit zu verdächtigen? Welcher Geste bedienenwir uns, wenn wir so denken und reden?Der Geste der (unheilvollen) Macht oder der Liebe?

(…)

( ) Darum muss die Frage lauten: Wer ist schwächer als wir? Wer brauchtunsere Hilfe? Wo können wir Mangel ausunserem Überfluss heilen? Wo können wir teilen und so die Geste üben, zu derGott einlädt? Wo können wir geben, ohnedass es uns sozial gefährden würde? Wie viel Vermögen hätte diese Gesell-schaft, wenn wir einsähen, dass Reichtumund Geld dann sinnlos werden, wenn sieunsere Bedürfnisse übersteigen?

( ) Es ist wahrlich keine Kunst, dem An-spruch eines wachen und aufmerksamenUmgangs mit der Armut mit den gängigenVorbehalten zu begegnen!

( ) Da fragt der sich stark dünkendeMensch: „Was ist schon das Gute? Ist dasnicht sehr subjektiv? Muss ich das nichtganz allein entscheiden?“

10 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

das habt ihr mir getan. Matthäus 25,40 +++ Wer sich auf seinen Reichtum verlässt, der wird

Gottesdienstgestaltung

> Fortsetzung: Ideen zur Predigt

„Den Blick für das fremde Leid zu bewahren ist Bedin-gung aller Kultur. Erbarmenim Sinne der Bibel stelltdabei kein zufälliges, flüchtig-befristetes Gefühldar. Die Armen sollen mitVerläßlichkeit Erbarmenerfahren. Dieses Erbarmendrängt auf Gerechtigkeit.“ (13)

Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, 1997

Page 11: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

(…) = Auslassungen. Der volle Text der Predigt findet sich ab September 2004 im Internet unter www.kda-ekd.de

Der Text kann von zwei oder mehrerenSprecherinnen und Sprechern gesprochen werden. Er eignet sich als „Gruppen-Predigt“.

( ) Ein Leben im Geiste Gottes ist nichtgetragen und geprägt von Verweigerungund Ausgrenzung. Gottes Geist fördertnicht die Kälte gegen die Schwachen undSchwächsten. Ein Leben im Geiste Gottesmacht sich eine zunehmende Kluft zwischenArmut und Reichtum auch nicht zunutze,um daraus Kapital zu schlagen. Gott sagt: Wer hat, der darf geben undGutes tun. Und der soll nicht warten, auchkeine Ausflüchte suchen und den Hilfs-bedürftigen vertrösten. Sondern helfen,wie er kann und dies jetzt! Hier und heuteund konkret und ohne Umschweife undAusflüchte.

( ) Teilen und Gutes tun heißt: Ich heile nach meinen MöglichkeitenMangel aus meinem Überfluss. Teilenheißt nicht, ich mache mich arm, damitandere reich werden.

( )Teilen und Gutes tun heißt: Ich entkomme der Haltung der Verweige-rung und lasse mich auf die Haltung derLiebe Gottes ein.

( ) Teilen und Gutes tun heißt: Ich entwinde mich im Geist Gottes demDiktat einer duckenden Ängstlichkeit, diemir einflüstert, dass übermäßiger Reich-tum der Weg zu Glück und Segen sei.

( ) Teilen und Gutes tun heißt: Ich lasse mir für mein leibliches Vermögengeistliches Vermögen zusprechen, damitsich das Haben in Liebe und das Halten inFreude wandelt.

Wir feiern in diesem Gottesdienst dasAbendmahl. Wir folgen dem Vorbild Jesu,der unser Denken leitet. Wir empfangenBrot und Kelch und werden einander vorGott gleich. Reichtum und Armut spielenhier und jetzt keine Rolle. Wir erinnern: Am Anfang unseres Weges mit Gott undam Anfang unseres Lebens steht die freieGabe, die Geste des Gebens.

Amen

11Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

untergehen. Sprüche 11,28 +++ Dem Armen wird Hoffnung zuteil. Hiob 5,16 +++ Selig sind,

„Nur was die Lage derSchwächeren bessert, hatBestand. Bei allen grund-legenden Entscheidungenmüssen die Folgen für dieLebenssituation der Armen,Schwachen und Benach-teiligten bedacht werden. Diese haben ein Anrecht auf ein selbstbestimmtesLeben, auf Teilhabe amgesellschaftlichen Leben und an den gesellschaft-lichen Chancen sowie aufLebensbedingungen, die ihre Würde achten undschützen.“ (41)

Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, 1997

Page 12: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder!

Jesus hat diese Geschichte das erste Malerzählt, als Beispielgeschichte, um seineZuhörer zum Nachdenken zu bringen. Das ist ihm sicher gelungen: Wer sie hört,ergreift Partei.

Recht geschieht es dem Reichen.Warum hat er auch den Armen vor seinerTür liegen lassen? Es gibt also nochGerechtigkeit, wenn nicht hier, dann dochwenigstens in einer anderen Welt.

Seid geduldig, ihr Armen, einst imJenseits wird’s euch schon besser gehen!

Alles zu seiner Zeit.Wenn’s das wäre, könnte ich jetzt

schon wieder mit meiner Predigt aufhören,wir wären uns alle einig, und wir hättenauch noch einen besonders kurzenGottesdienst.

Aber, Sie ahnen es: Es ist nicht so einfach.

Ja, wenn der Reiche böse wäre undder Arme gut! Aber der Reiche wird ganzsympathisch geschildert. Er hat sein Geld nicht durch Betrug und Ausbeutungverdient. Er hat nur einfach viel Geld, vielleicht geerbt, vielleicht selbst verdient,und er gibt es aus. Er konsumiert es, wiewir heute sagen würden, er bringt es unterdie Leute, und feiert gern, wie viele vonuns auch. Er hat Familiensinn und denkt

Es war aber ein reicher Mann, der sich inPurpur und kostbares Leinen kleidete undTag für Tag herrlich und in Freuden lebte.Vor der Tür des Reichen lag ein armerMann namens Lazarus, dessen Leib vollerGeschwüre war.

Er hätte gern seinen Hunger mit demgestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Stattdessen kamen die Hundeund leckten an seinen Geschwüren.

Als nun der Arme starb, wurde er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen.Auch der Reiche starb und wurde begraben.

In der Unterwelt, wo er qualvolleSchmerzen litt, blickte er auf und sah vonweitem Abraham und Lazarus in seinemSchoß.

Da rief er: Vater Abraham, hab Erbarmenmit mir und schick Lazarus zu mir, er sollwenigstens die Spitze seines Fingers insWasser tauchen und mir die Zunge kühlen,denn ich leide große Qual in diesem Feuer.

Abraham erwiderte: Mein Kind, denkdaran, dass du schon zu Lebzeiten deinenAnteil am Guten erhalten hast, Lazarusaber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafürgetröstet, du aber musst leiden. Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, sodass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbstwenn er wollte.

Da sagte der Reiche: Dann bitte ich dich,Vater, schick ihn in das Haus meinesVaters! Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen.

Abraham aber sagte: Sie haben Moseund die Propheten, auf die sollen sie hören.

Er erwiderte: Nein, Vater Abraham, nur wenn einer von den Toten zu ihnenkommt, werden sie umkehren.

Darauf sagte Abraham: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugenlassen, wenn einer von den Toten aufersteht (Lk. 16,19-31).

Zum Beispiel Lazarus

12 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Matthäus 5,6

Gottesdienstgestaltung

Eine Predigt zum Buß- und Bettag

Page 13: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

halbes Jahr reichen. In Brasilien ist eineKrankheit nicht nur Schmerz, sondern derfinanzielle Ruin. Denn Arzt und Medika-mente gibt es nur gegen Bares. Einfachzum Arzt gehen und fast kostenlos behan-delt werden – unvorstellbar. In der Ukraine,gar nicht so weit von uns, verfügt eineRentnerin über vierzig Euro im Monat, undein Rentner in Deutschland, selbst einermit einer kleinen Rente, lebt für sie imParadies.

Diese Leute würden unsere Geschichtevielleicht ganz anders hören als wir.

Vielleicht so: Es war aber ein Bewohner des reichen

Landes Deutschland, der hatte einenSchrank voller Kleider, eine Gefriertruhevoller Vorräte, ein Auto in der Garage undVersicherungen gegen Alter, Krankheit undArbeitslosigkeit.

Es war aber auch ein Armer im süd-lichen Afrika, den sah der Reiche immerwieder auf seinem Fernseher. Der litt anHunger und Aids, und er wäre froh gewe-sen, wenn man ihm den Mülleimer desDeutschen überlassen hätte ...

Und plötzlich hätten wir den schwarzenPeter in dieser Geschichte.

Und es ist schwer, ihn wieder loszu-werden.

Natürlich ist es nicht so leicht, einemAidskranken in Afrika zu helfen. Weiß mandenn, ob die Hilfe auch ankommt? Da

selbst in der Hölle noch an seine Brüder.Er zahlt wahrscheinlich sogar seineArmensteuer, und er geht regelmäßig zumGottesdienst. Er tut dem Armen nichts,und ist an seiner Armut nicht schuld.

Das Einzige, was man ihm vorwerfenkann, ist, dass er den armen Lazarus ein-fach nicht sieht.

Warum der arm ist, weiß man genausowenig, wie warum der Reiche reich ist.Lazarus könnte ja selber schuld sein – zuviel Alkohol, Glücksspiele, keine Lust zum Arbeiten. Ob er ein besonders guterMensch war, weiß keiner.

Sein einziges Verdienst ist, dass er armund elend dran ist. Das reicht schon, umihn in „Abrahams Schoß“ zu bringen, aufden Ehrenplatz an der Seite des Stam-meshäuptlings, beim großen Festmahl imHimmel.

Das ist doch eigentlich gar nicht sogerecht, sondern sogar ziemlich ungerecht.Vor allem vom Standpunkt der Reichenaus gesehen.

Es kommt also auf den Standpunkt an bei dieser Geschichte, und deshalb müssenwir uns überlegen, wo wir stehen.

Sind wir Arme, sind wir Reiche?Das wird davon abhängen, mit wem

wir uns vergleichen. Messen wir uns an denReichen dieses Landes, an Fußballstarsoder Vorstandsmitgliedern, dann sind wirnatürlich nicht reich. Sie und ich, wirhaben – ohne dass ich das jetzt im Einzel-nen wüsste – vermutlich gerade so das,was viele andere auch haben: ein bisschenEigentum, ein geregeltes Einkommen,wenn’s auch vielleicht nicht viel ist, Kranken-und Rentenversicherung und einen Not-groschen auf der hohen Kante.

Man muss im Allgemeinen erst ein Stückweit reisen, um zu merken, dass das ebendoch schon allerhand ist. Für die Men-schen in Südamerika auf dem Land, dieich mal besucht habe, war jemand, der fürtausend Euro um die halbe Welt fliegenkann wie ich, schon unvorstellbar reich.Tausend Euro – das musste bei ihnen ein

13Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

+++ Reiche und Arme begegnen einander, der Herr hat sie alle gemacht. Sprüche 22,2 +++ Die

Fortsetzung nächste Seite >

„Jeder Mensch hat Würde –unabhängig von Erwerbsarbeitund Leistung. Darum bedarf es einer gerechten Verteilungvon gesellschaftlicher Arbeitund gesellschaftlichemEinkommen.“ (176)

Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, 2003

Page 14: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Solange der reiche Mann auf der gutenSeite dieser Grenze lebte, war sie für ihnkein Problem. Aber nun sieht er sie aufeinmal von der anderen Seite aus.

Es gibt viele solche Grenzen auf unseremErdball. Eine davon zieht sich als vielehundert Kilometer langer Stacheldraht-zaun zwischen Mexiko und Kalifornien.Jeden Tag versuchen tausende armersüdamerikanischer Familien, ihn zu über-winden, um in den USA ihr Glück zumachen.

Eine andere solche Grenze befindetsich in Frankfurt, im Transitraum des Flug-hafens. Da versuchen jeden Tag dutzendevon Leuten, in unser Land zu kommen,und werden meistens gleich wieder zurück-geschickt in das Land, wo sie herkommenund wo sie nun hohe Schulden für dasFlugticket haben.

Und noch ein paar Grenzen sind wenigergut zu sehen. Sie werden manchmal sogarnicht von den Reichen, sondern von denArmen selbst gezogen.

Da heißt es „Mein Sohn verträgt dasBus fahren nicht!“, und in Wirklichkeit sinddie hundertzwanzig Euro für die Klassen-fahrt einfach nicht da. Oder „von Fleischwird mir immer so komisch im Magen“,wenn es in den letzten Tagen des Monatsnur noch für Nudeln mit Ketchup reicht.Oder „aus Konzerten mach ich mir nichts“– wo ich in Wirklichkeit einfach nichtsGutes mehr anzuziehen habe. Oder „MeinMann macht sich nichts aus Festen“ – wo er doch nur alkoholkrank war undAngst hat, dass das die anderen merkenkönnten.

Wie ist es möglich, diese Grenze mit Taktund Feingefühl zu überwinden? SolcheMenschen zu sehen, sie in unser Lebenmithineinzunehmen?

Und wie ist es möglich, eine Gesell-schaft, ein soziales Sicherungssystem soeinzurichten, dass Menschen erst garnicht über die Grenze rutschen? Ist dasunbezahlbar für uns andere? Verführt

stecken doch auch die Pharmakonzernedahinter, dass Aidsmedikamente dortunbezahlbar sind. Und in allen armenLändern gibt es eine reiche Oberschicht,die auch nichts für ihre Armen tut, imGegenteil, die die Hilfe noch in die eigenen Taschen leitet. Wer schaut daschon durch?

Aber Jesus, mit seiner Geschichte, derverzichtet großzügig auf all diese gutenGründe und komplizierten Erklärungen. Er meint, das alles könnte man sich nachseiner Geschichte überlegen.

Der Reiche in unserer Geschichte, dermacht jedenfalls nicht den leisesten Ver-such, sich zu entschuldigen.

Es ist, wie es ist, und er ist, wie er ist.Er möchte sogar noch jetzt den Lazarus inder Gegend herumschicken: um ihm dieZunge zu kühlen, um seine Brüder zu war-nen. Es gibt eben zwei Sorten Menschen:die einen, die verdienen, und die anderen,die dienen. Die einen, die man sieht undehrt, und die anderen, die man übersieht.

Das Dumme ist nur, dass dieser Unterschied zwischen den Menschen, den Armut und Reichtum bewirken, zumunüberwindlichen Abgrund wird.

14 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Sorge der Welt und der betrügerische Reichtum ersticken das Wort. Matthäus 13,22 +++ Es

Gottesdienstgestaltung

> Fortsetzung: Zum Beispiel Lazarus

„Armut ist ein strukturellesProblem. Deshalb muß auchnach Wirkungen in unserergesellschaftlichen, sozialenund wirtschaftlichen Ordnunggefragt werden, die in unheil-voller Weise selektierend undarmutsfördernd sein könnenund die Zielbestimmungenunseres sozialen Rechts-staates latent unterlaufen.“(85)

Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage inDeutschland, Diskussionsgrundlage für denKonsultationsprozeß, 1994

Page 15: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Immer wieder nachfragen beim Einkauf,wo denn dieses Sonderangebot herkommtund wer es genäht hat.

Zum Schluss noch eine kleine Geschichtezum Mit-nach-Hause-nehmen, eineGeschichte, die auch von Himmel undHölle handelt:

Ein jüdischer Rabbi wurde einmal ge-fragt, was denn der Unterschied zwischenHölle und Himmel ist. Er überlegte, dannsagte er: „In der Hölle, da sitzen die Leutean reich gedeckten Tischen und haben die köstlichsten Speisen vor sich. Es istsehr schön in der Hölle. Nur eines passtnicht: Die Leute haben an den Armenmeterlange Löffel, länger als die Arme selber, und was immer sie auch damitanstellen – sie können niemals ihren Munderreichen. Die Hölle ist, dass man vorgefüllten Tellern elendiglich verhungernmuss.“

„Und der Himmel?“, fragten die Zuhörer.„Da ist es eigentlich ganz ähnlich“, sagte

der Rabbi. „Dieselben köstlich gedecktenTische, dieselben meterlangen Löffel.“

„Und wo ist der Unterschied?“, fragtendie Leute.

„Der Unterschied?“, sagte der Rabbi. „Im Himmel, da füttern sie sich gegenseitig.“

Ich finde, damit ist er ganz nahe bei derGeschichte vom reichen Mann und vomarmen Lazarus. Und ganz nahe bei Jesus,der will, dass wir keine Grenzen gegen die Armen aufrichten, sondern uns auf ihreSeite stellen. Wie Gott es auch tut.

Amen.

es zum Sozialschmarotzertum? Treibt esdie Wohlhabenden außer Landes?

Ich gestehe, mir ist nicht wohl beidem, was jetzt alles als „Sozialreformen“diskutiert wird. Sicher geht es bei Arbeits-losen- und Sozialhilfe, Krankengeld undZahnersatz nicht ums Verhungern oderErfrieren. Aber es geht, und das ziemlichbald, ums Mithalten-können im Leben, umsDabei-sein oder Draußen-vor-der-Tür-liegen.Das hat nicht immer mit Geld zu tun, dasist wohl wahr, aber ohne Geld geht eseben auch nicht, in einer Welt, die immeröfter Grenzen aufrichtet, die nur für Leutemit Geld zu durchschreiten sind.

Jesus sagt uns mit seiner Geschichte: Die Grenze, die ihr zu anderen, ärmerenMenschen hin aufrichtet, diese Grenzewird sich eines Tages unweigerlich gegeneuch selber kehren.

Denn unser Gott, der ist ganz klar nurauf einer Seite dieser Grenze zu finden:auf der Seite der Armen. Seine Liebe istganz besonders für die da, die am meistenLiebe brauchen, weil sie von den Men-schen übersehen und missachtet werden.

Und wer von ihm nicht plötzlich meilen-weit getrennt sein will, muss die Grenzender Armut und der Nichtachtung immerwieder überschreiten. Immer wieder hin-schauen und hingehen. Immer wieder mit-helfen, dass Menschen in unserem Landenicht nur mal so, sondern mit Verläss-lichkeit Barmherzigkeit und Hilfe finden.Immer wieder den einfachen Stammtisch-parolen widersprechen, dass die Habe-nichtse selbst schuld sind und denen, dieschaffen, nur auf der Tasche liegen.

15Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

sollte überhaupt kein Armer unter euch sein. 5. Mose 15,4 +++ Ein Reicher rühme sich

Page 16: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

len wieder Gestalt gewinnen in unseremLand, in unserer Stadt, auf dieser einenWelt, auch durch uns.

Wir wollen hier einen Anfang machen,in dieser Agapefeier.

Lied: Kommt her ihr seid geladen (EG 213,1)

KlagegebetGottdie Spaltung klafft wie eine offene Wundeinmitten unserer GesellschaftHier Arbeitslosigkeit ohne Ende und drohende Verarmungdort ungezügelte Bereicherung und steigende Gewinnedie Einen steh’n im Dunklendie andern im Licht.Es drängt uns, diesvor dir du Gott des Erbarmens und derGerechtigkeitzu beklagenes drängt unsunseren Schmerz zu benennen undunserer Wut Luft zu verschaffenso höre uns an:

Konkrete Klagen (Betroffene, Verant-wortliche von Wohlfahrtseinrichtungenoder von GottesdienstteilnehmerInnen,siehe rote Kärtchen)

AusführungsideeEinige Psalmen (4, 13, 22, 31, 69, 71, 102, 121, 130, 143) bieten dem einzelnenBetenden/Klagenden die Möglichkeit, ansolche Verse anzuknüpfen, die die eigeneBefindlichkeit treffend beschreiben („das Wasser steht mir bis an die Kehle“,„wie lange soll ich sorgen in meinerSeele“) und persönliche Erfahrungen zubeschreiben. [Ernesto Cardenal, Zephania Kameeta,Pierre Stutz und in etwas anderer FormEugen Eckert haben in dieser Weise diePsalmen aktualisiert. Siehe ab September2004: www.kda-ekd.de]

Abschließend: Wir bitten dich

VorbemerkungDas Agapemahl kann als selbständigeBußtags-Feier oder als Teil des Gottes-dienstes gestaltet werden.

Material– Am Eingang ausliegende Gebets-

kärtchen, Klage (Rot), Wünsche (Gelb),mit Stiften

– Körbe– Fladenbrot und Fische als

salzige Ausstecher oder größer ausBrotteig geformt.

– Krug und Becher mit Wasser– Decken, Kerzen

Überleitung / BegrüßungBuße tun und Beten. Dies steht heute im Mittelpunkt unseres Gottesdienstes/Agapefeier.

Buße tun heißt Umkehren, den einge-schlagenen Weg verlassen, neue Wegegehen in eine gerechte und solidarischeZukunft. Dabei wollen wir uns auf unserebiblischen Traditionen besinnen und siewieder mit neuem Leben füllen.

Beten heißt Klagen und Wünschen. Es heißt, dem, was uns auf der Seele liegt,Luft verschaffen und es öffentlich zurSprache bringen.

Damit Sie dies ganz persönlich tunkönnen, haben Sie am Eingang (rote) Kärt-chen und einen Stift mitnehmen können.

Beten heißt aber auch: Dem, wovonwir träumen, was wir uns wünschen Aus-druck verleihen. Damit Sie auch dies per-sönlich tun können, haben Sie am Eingang(gelbe) Kärtchen mitnehmen können.Wenn Sie wollen, nehmen wir ihr Kärtchenentgegen, und tragen ihre Klage vor.

Vorwegnehmen, worauf wir hoffen. Das gerechte Miteinander-Leben einüben:Den verantwortlichen Umgang miteinander,zwischen den Starken und den Schwa-chen, zwischen denen die mehr Machthaben und den Ohnmächtigen, Solidaritätund Gerechtigkeit sichtbar und spürbarmachen.

Umkehr und Erneuerung liegt uns amHerzen. Solidarität und Gerechtigkeit sol-

Agapemahl

Idee für eine Gestaltung am Buß- und Bettag

16 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

nicht seines Reichtums. Jeremia 9,22 +++ Es ströme aber das Recht wie Wasser und die

Gottesdienstgestaltung

Page 17: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Gottesdienstgestaltung

17Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Amos 5,24 +++ Reichtum, wohl verwahrt, wird

Du GottGibst uns unser tägliches Brot

(Symbol: Brot)Du teilst mit den Hungrigen dein BrotGottDu bist ein Wasserquell, der nie versiegt

(Symbol: Wasserkrug)Du lässt Ströme lebendigen WassersfließenUnd lässt daraus Leben entstehen

(Symbol: Fisch)

Dein Brot in unseren Händenwir wollen es brechen und miteinander teilenempfangen und weitergeben

Wasser des LebensIn viele Gefäße gegossendaraus wollen wir Kraft zum Leben schöpfenempfangen und weitergeben.

Austeilung in den Gruppen (Zeit fürden Austausch und für das Notieren vonGebetswünschen)

Dank- / FürbittgebetWir danken Dir Gottfür die Stärkung,die wir erfahren habenfür die Gemeinschaft untereinanderdie Achtsamkeit untereinanderund das Einüben des Teilens. Unsere Sehnsucht wurde genährt,wir wurden beflügeltvom Aufgang der Sonne der Gerechtigkeitmitten unter uns,wir wollen die Bitten und Wünschedir nennen, die in uns lange verborgen waren:

(Konkrete Fürbitten und Wünsche, vgl. gelbe Kärtchen)

Abschließend: Vater unser

Lied: z. B. Sonne der Gerechtigkeit (EG 262/3) oder: Lass uns den Weg der Gerechtigkeit geh’n

Segen

GebetsrufKyrie, Kyrie, kyrie eleison … (EG 178.14)Oder Lied: Meine engen Grenzen

ZuspruchDie Gottesdienstteilnehmer können eingeladen werden ihre Arme/Händen soauszubreiten, dass sie sich mit ihren „heilenden“ Armen/Händen gegenseitigden Rücken stärken.

„Gott schafft Heil mit seiner Rechtenmit seinem heiligen Armer lässt sein Heil kund werdener macht seine Gerechtigkeit offenbar.“ (aus Psalm 98)

Lied: Laudate omnes gentes (EG 181.6)

Gott lässt uns sein Heil kund werden. Er macht seine Gerechtigkeit offenbar.Zum Beispiel in Geschichten und Szenen,wie sie die Bibel beschreibt.

Eine möchte ich uns allen vor Augenhalten und vielleicht in etwas eigenwilligerWeise nacherzählen.

Ansprache zur Speisung der 5000(Mt. 14,13-21) (siehe ab Sept. 2004: www.kda-ekd.de)

Lied: Brich mit dem Hungrigen (EG 418 oder 420)

AufforderungBildung von Tischgemeinschaften in Formkleiner Gruppen. Ausgestattet mit Körbenmit Brot und Fischen, Krügen und Bechern,Decken und Kerzen.

Körbe mit (gelben) Gebetskärtchenund Stiften, für Fürbitten und Hoffnungen.

Bei festen Kirchenbänken: Zusammen-rücken und Gruppen über eine Bank hin-weg bilden. Alternativ: Gruppen im Mittel-gang oder in den Seitengängen bilden.

EinleitungsworteWir hungern nach GerechtigkeitWir dürsten nach Solidarität

Fortsetzung nächste Seite >

Page 18: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Anschließend moderierte Gesprächsrundemit kleinem Imbiss, – max. eine Stunde –mit den ZwischenruferInnen.

Themen waren u. a. Abtreibung, Golf-krieg, Irakkrieg, Arbeitslosigkeit, Gewaltan Schulen, Armut in Fürth, Ausländer-feindschaft, Dialog der Religionen, Situationvon Betriebsräten, Kinderfeindlichkeit,Verödung der Innenstadt und andere je-weils in der Stadt aktuelle Themen.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass

– durch die Vorbereitung wertvolleKontakte und Vernetzungen entstehen

– der Gottesdienst hohe Authentizitätund Dichte gewinnt

– die Gesamtaussage sich von selbstergibt

– das anschließende Gespräch ertrag-reich und spannend ist.

In Fürth/Bayern wurde der „Zwischenrufe-Gottesdienst“ als etwas andere Gottes-dienstform entwickelt. Er will statt einerPredigt die Stimme von Menschen, die esbetrifft, in den Mittelpunkt stellen.

Ein typischer Zwischenrufe-Gottesdienstgeht so:– Musik– Begrüßung der BesucherInnen und

ZwischenruferInnen– drei Sätze zum Thema– Liedstrophe– Zwischenruf 1 und 2 (Stellungnahmen

von drei Minuten aus persönlicherBetroffenheit und persönlicher Sicht,ohne Bezugnahme auf den/die jeweils andere/n)

– Liedstrophe– Zwischenruf 3 und 4– Liedstrophe– Zwischenruf 5 und 6– Liedstrophe– Biblischer Text passend zum Thema

mit einigen Sätzen zur Auslegung (max. 10 Zeilen)

– Liedstrophe– Fürbittgebet, formuliert und vorge-

tragen von der Vorbereitungsgruppe– Vater unser– Segen– Musik

Ein etwas anderer Gottesdienst

Der „Zwischenrufe-Gottesdienst“

18 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

zum Schaden dem, der ihn hat. Prediger 5,12 +++ Wer sich des Armen erbarmt, der ehrt Gott.

Gottesdienstgestaltung

Lieder– Brich mit dem Hungrigen dein Brot– Herr, wir bitten komm’ und segne uns– Komm’ in unsre stolze Welt– Lass’ uns den Weg der Gerechtigkeit

geh’n– Lass’ uns in Deinem Namen, Herr– Liebe ist nicht nur ein Wort– Meine engen Grenzen

– Selig seid ihr– Sonne der Gerechtigkeit– Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten– Wenn das Brot, das wir teilen

Abendmahlslieder– Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen– Du hast zu Deinem Abendmahl– Seht das Brot, das wir hier teilen

> Fortsetzung: Agapemahl

Page 19: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

P Paritätische WohlfahrtsverbändeQ Qualifizierungs- und Wiederein-

gliederungsbetriebeR Rentner(verbände)S Schuldnerberatungsstellen,

Sozialverbände, SozialämterT TafellädenU ÜbergangswohnheimeV Vesperkirchen, Ver.di, vhsW WohnungslosenhilfeX X-beliebig BetroffeneY Your Neighbour – vielleichtZ Zweiter Arbeitsmarkt (Betroffene,

Verantwortliche)

Ihnen fallen sicher weitere Beispiele inIhrer Region ein!

Für eine möglichst konkrete und eindrück-liche Gestaltung des Gottesdienstes amBußtag 2004 empfiehlt es sich vor Ort„Sachverständige“ bzw. „Betroffene“ füreine Mitwirkung zu gewinnen. Impulse gibtdas folgende ABC.

A Arbeitslosenzentren, Arbeiterwohlfahrt,Agentur für Arbeit

B Beschäftigungsinitiativen (fürLangzeitarbeitslose), Betriebsräte,Bildungsträger

C Caritas D Diakonie, DGB E ErziehungsberatungsstellenF Frauenhäuser, FamilienberatungsstellenG Gewerkschaften, Graue Panther H Hilfseinrichtungen für sozial schwache

Menschen I Industriepfarrämter, Initiativen, IHK,

IG MetallJ Jugendpfarramt, Jugendzentren,

Jugendämter, Jugendhilfeeinrichtungen K Kinderheime,

Kirchlicher Dienst in der ArbeitsweltL LebensberatungsstellenM Mutter-Kind-EinrichtungenN Nichtsesshaftentreffs, -einrichtungen,

-zeitungenO Obdachloseneinrichtungen

Sozialabbau vor Ort

Kontakte herstellen – Kompetenzen nutzen – Konkret werden

19Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Sprüche 14,31 +++ Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner

Konkrete Gestaltungsideen

Was passiert, wenn das soziale Netz reißt? Ein Aktionsbündnis gegen Sozialabbau in Augsburg macht die Folgen des Sozialabbaus deutlich. (Quelle: Augsburger Allgemeine)

Page 20: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

lang und füllte ein ganzes Zimmer. Bei Aktionen gegen die soziale Kälte

wurde er ausgerollt. Er verband dasArbeitsamt mit einem Betrieb, dergeschlossen werden sollte, das Sozialamtmit dem Dom, die Zeitung mit der Caritas.

Mehrere hundert Menschen trugen ihn durch die ganze Stadt: unübersehbar.Und unüberhörbar wurde an allenBrennpunkten gesagt, wo die sozialeKälte zunimmt und wo sie herkommt.

Soziale Kälte breitet sich aus. Was tun?Was tun vor allem, wenn man viele ältereMitglieder hat, die nicht mehr so gerneweit reisen und auf die Straße gehen?

Die KAB Bamberg hatte eine Idee: Sie bat ihre Gruppen, gerade auch dieälteren Frauen, so viele Meter Schal wie möglich zu stricken oder zu häkeln. Alle diese Schalstücke wurden zusam-mengenäht: zum längsten Schal der Welt.Er war am Ende gut einen Kilometer

Die „Schal“-Aktion

der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) Bamberg

tung des Buß- und Bettages als Tag derBesinnung und der Umkehr hingewiesen.

Die Mahnfeuer sollen verdeutlichen,dass wir Licht ins Dunkel bringen wollen.Wir wollen auf die Menschen aufmerksammachen, die von der Politik nicht gesehenwerden. Der Spruch aus Bertolt Brechts„Dreigroschenoper“ gilt auch heute:

„Die einen sind im Dunkeln / die andernsind im Licht / und man sieht nur die imLichte, / die im Dunkeln sieht man nicht.“

Die Feuer sollen auch Feuer der Hoffnung sein, dass sich möglichst vieleMenschen ihrer sozialen Verantwortungbewusst werden und danach handeln. Bei den Beiträgen wurden persönlicheBeispiele ausgewählt aus den BereichenRente, Pflege und Arbeitslosigkeit, die von Sprechern vorgetragen wurden undgleichzeitig auf der Leinwand mitzulesenwaren. Vorübergehende Passanten wur-den angesprochen und zur Teilnahme ein-geladen. Informationen zu den Sozial-kürzungen und über das Bündnis wurdenverteilt.

In Regensburg hat sich im Frühjahr 2003ein Bündnis kirchlicher und gewerkschaft-licher Organisationen zusammengeschlos-sen, um auf den eingeleiteten Reformkursder Politik zu reagieren. Dem Bündnisgehören an: Der Kirchliche Dienst in derArbeitswelt, die Katholische Arbeitnehmer-bewegung, DGB, Evangelisches Bildungs-werk und das Diakonische Werk. Das Bündnis will auf regionaler Ebene demAbbau sozialer Sicherung und sozialer Arbeit durch die Bundes- und Landespoli-tik sowie den Kürzungen durch die Kom-munen nicht tatenlos zuschauen.

Am Buß- und Bettag hat sich dasBündnis mit der Aktion „Mahnfeuer derHoffnung“ in der Fußgängerzone Regens-burgs der Öffentlichkeit präsentiert.

Es ging darum an konkreten Beispielenzu zeigen, welche Folgen die eingeleitetenReformmaßnahmen für die betroffenenMenschen haben. Die einstündige Veran-staltung begann um 17 Uhr mit Einbruchder Dunkelheit. An drei Stellen wurdenFeuer entzündet, die den Platz erhellten.Mit einem Beamer wurden die Texte aufeine Projektionsfläche geworfen. Als Lein-wand diente die Plane eines Kleinlasters.Bei der Begrüßung wurde auf die Bedeu-

Mahnfeuer

Aktion des „Bündnisses für Soziale Verantwortung“ in Regensburg am Buß- und Bettag 2003

20 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt. 2. Petrus 3,13 +++ Der Gerechte weiß um die Sache

Gestaltungsideen

Page 21: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

21Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Gestaltungsideen

der Armen. Sprüche 29,7 +++ Die Frucht der Gerechtigkeit ist ein Baum des Lebens. Sprüche

Durch die breite kirchliche und gesell-schaftliche Beteiligung, die jeweiligeAktualität des Themas, eine gute Öffent-lichkeitsarbeit und das Einbeziehen desöffentlichen Raumes wird eine hoheAufmerksamkeit erreicht, die durchBerichte in lokalen Medien, mitunter bishin zu den regionalen Programmen derFernsehsender, noch erhöht wird.

Die Themen der vergangenen Jahre:– „Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist

Leben“– „… so werden die Steine schreien“– Sie vertrauten auf soziale Gerechtigkeit

„… und ihr Netz zerriss nicht“. Projekt Jugendarbeitslosigkeit null

– „Kehrt um – verkauft das Wochenendenicht!“

– „Gewalt verletzt“– „Vergiss deinen Nächsten nicht –

das Soziale Netz darf nicht zerreißen!“– „Das Soziale Netz wird zerrissen“

In der hessischen LandeshauptstadtWiesbaden hat das dortige Sozialpfarramtdie Streichung des Feiertages seit 1996zum Anlass genommen, die kirchliche undsozialpolitische Bedeutung des Buß- undBettages mit öffentlichkeitswirksamenAktionen neu zu besetzen. Im Mittelpunktder Aktionen steht jeweils ein Thema, dasKirche und Gesellschaft aktuell heraus-fordert. Die Aktionen müssen einen Sitz imLeben haben, um aktivieren zu könnenund öffentlich beachtet zu werden! Siewerden von einem Vorbereitungskreis,dem immer sowohl die katholische Kircheals auch jeweils unterschiedliche zivilge-sellschaftliche Gruppen (Gewerkschaften,Initiativen usw.) angehören, über länger als ein halbes Jahr geplant. Das SozialeNetz, an dem geknüpft, das aber aucheingeschnitten wird, ist ein durchgängigesSymbol, das zu allen Veranstaltungen seit1996 dazugehört.

Die verschiedenen Aktionsformen bezie-hen bewusst den öffentlichen Raum ein,das heißt: Es finden Veranstaltungen aufeinem zentralen Platz in der Fußgänger-zone statt und in den Jahren, in denenElemente eines „Mahnganges“ eine Rollespielten, werden besondere Akzente ansymbolischen Orten gesetzt (Banken,Sozialamt, Rathaus …).

Information (Handzettel, Plakate, Aus-stellungen zum Thema), Partizipation(Bürgerbefragung; Interviews mit Passan-ten/mit Prominenten aus Politik, Kircheund Gewerkschaft jeweils zur vollen Stunde;Schreiben auf Klagemauer oder in einBuch der Klage; Unterschriftenaktion) undAktion (Klagemauer bauen; Kerzen imSteinhaufen als Zeichen der Hoffnung;Aufhängen von Gebetsfahnen am Kirch-turm; Straßentheater; alternative Stadt-rundfahrten/-gänge; Gespräche mit Lokal-und Landespolitikern) werden jeweilskreativ zusammengemischt. Anschließendwerden gemeinsame Gottesdienstegestaltet oder in die Gottesdienste derGemeinden eingeladen.

Den öffentlichen Raum einbeziehen!

Das Beispiel Wiesbaden

„Die Leistungsfähigkeit zumTeilen und zum Tragen vonLasten in der Gesellschaftbestimmt sich nicht nur nachdem laufenden Einkommen,sondern auch nach demVermögen. Werden dieVermögen nicht in angemes-sener Weise zur FinanzierunggesamtgesellschaftlicherAufgaben herangezogen, wird die Sozialpflichtigkeit ineiner wichtigen Beziehungeingeschränkt oder gar auf-gehoben.“ (220)

Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, 1997

Page 22: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

schaftstheorie die Staaten in einen ruinösenSteuersenkungswettbewerb. Die Klageüber zu hohe Steuern in Deutschland istbekannt, und sicher wird man über dieLenkungswirkung und unerwünschte Neben-effekte der einen oder anderen Steuerartin Deutschland diskutieren müssen.Gleichwohl ist Deutschland de facto kein„Hochsteuerland“, sondern hatte 2001 beider reinen Steuerquote unter den OECD-Staaten hinter Japan die zweitniedrigsteQuote, Steuern und Abgaben zusammen-genommen bewegt es sich im Mittelfeldder OECD-Staaten. Wenn man allerdingsdie Staatsverschuldung in Deutschlandvor dem Hintergrund der Entwicklung derprivaten Vermögen zwischen 1991 und 2001betrachtet, so fällt auf: Die Staatsverschul-dung stieg von 600 auf 1.200 Mrd. DM an,die Privatvermögen im gleichen Zeitraumvon 2.000 auf 3.700 Mrd. DM. Unter solchenBedingungen wird man fragen müssen, ob wirklich eine zu hohe Steuer- und Abga-benlast die Hauptverursacherin mangeln-der Investitionstätigkeit und der Massen-arbeitslosigkeit ist – oder ob hier nichtandere Ursachenbündel eine Rolle spie-len. Wenn diese Frage positiv beantwortetwerden kann, dann zeigt sich allerdingsauch, dass die ständige Entlastung hoherEinkommen und Vermögen nicht ziel-führend beim Abbau der Massenarbeits-losigkeit ist, sondern vielmehr den Inves-titionsstau in Sachen Bildung, Umwelt undöffentlicher Infrastruktur mit verursacht.

Einige wohlhabende und verantwortungs-bewusste Mitbürger fordern deshalbselbst die Wiedereinführung der Vermögens-steuer – Initiativen, die ebenso gestärktwerden müssen wie z. B. die Einführungeiner Bürgerversicherung, welche nichtnur den Faktor „Arbeit“ belasten würde,sondern alle Einnahmequellen nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit berück-sichtigen und so die Einnahmenbasis der Versicherung erheblich verbreiternwürde.

Wir leben nicht nur in einem reichen Land,sondern entgegen allem depressivenGerede ist Deutschland materiell reicherdenn je! Einige Zahlen und Beispielemögen verdeutlichen, inwiefern die Verteilungsfrage hierzulande zu einem soernsthaften Problem geworden ist.

Privater Reichtum – private ArmutDas private Geldvermögen ist in den letzten Jahren sehr rasch gewachsen, von1992 bis 1999 um nahezu 60 Prozent aufrund 6,3 Billionen DM. Damit betrug dasGeldvermögen privater Haushalte 1999mehr als das Dreieinhalbfache der Ausga-ben der öffentlichen Haushalte (Bund,Länder und Gemeinden). Gleichzeitig istdieses private Geldvermögen aber hochkonzentriert: 20 % der Bevölkerung be-sitzen 63,4 % des Vermögens, 0,5 % derBevölkerung besitzen knapp 25 % desVermögens. Auf der anderen Seite teilensich 40 % der Bevölkerung einen Anteilvon gerade Mal 1,5 % am Gesamtvermögen.Die ökonomisch schwächsten zehn Pro-zent der Bevölkerung haben nur Schuldenin Höhe von 0,4 % der gesamten Vermö-genssumme zu bieten – ein hoher Prozent-satz dieser Haushalte ist so überschuldet,dass er aus eigener Kraft aus dieserSchuldenfalle nicht mehr herauskommt.Auf diese Weise ist ein wachsender Anteilder Bevölkerung ökonomisch vom gesell-schaftlichen Standard ausgeschlossen,während Vermögen und Einkommen an der Spitze der Gesellschaftspyramideso groß sind, dass sie weder konsumiertnoch investiert werden, sondern sich nur noch an der globalen Finanzspeku-lation beteiligen können.

Privater Reichtum – öffentliche ArmutBund, Länder und Gemeinden klagen überEbbe in den öffentlichen Kassen. Nichtzuletzt die jahrelang anhaltende Massen-arbeitslosigkeit drückt das öffentlichePortemonnaie heftig. Aber gleichzeitigzwingt eine weltweit dominierende Wirt-

Armut im Reichtum

Deutschland ist materiell reicher denn je – Zahlen und Beispiele

22 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

31,8 +++ Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit.

Materialien und Fallbeispiele

Page 23: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

23Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Psalm 96,13 +++ Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Äcker

Material und Beispiele

Einige Vorstandsgehälter der Dax-Unternehmen als Anschauungsmaterial

Verdienen wir, was wir verdienen? Müssen wir alle den Gürtel enger schnallen?

Quellen: manager magazin, Die Gehälter der Dax-Vorstände, 23. Mai2003 und SüddeutscheZeitung Nr. 116, 21.Mai 2003, S. 2, nach:Reichtum und Armut,Arbeitsmaterialien für Gemeinde, Schuleund Gruppen, Herausgeber: Zentrum Gesellschaft-liche Verantwortung derEvangelischen Kirche in Hessen und Nassau,Zentrum Ökumene derEvangelischen Kirche in Hessen und Nassau,Diakonisches Werk inHessen und Nassau;red. Uwe Kleinert,Werkstatt Ökonomie,Heidelberg 2003; dortauch zahlreiche Mate-rialien zur Weiterarbeit! Siehe auch:www.zgv.info (dort Button Reichtum – Armut)

Quelle:Bundesministerium für Arbeit undSozialordnung (2001a)

Vergütung pro Kopf in Millionen Euro

2001 Veränderung 2002

Deutsche Bank AG 6,6 – 36,2 % 4,2

Daimler Chrysler AG 1,7 + 131,6 % 3,9

Deutsche Telekom AG 1,7 + 81,3 % 3,1

Metro AG 1,9 + 19,5 % 2,3

Eon AG 1,8 + 19,3 % 2,1

Siemens AG 1,1 + 89,9 % 2,0

Volkswagen AG 2,1 – 6,0 % 2,0

Schering AG 1,7 + 9,2 % 1,9

BMW AG 1,7 + 2,7 % 1,7

Die Vermögen sind sehr ungleich verteilt

Verteilung des Nettoprivatvermögens auf die Zehntel(Dezile) der nach Vermögen geordneten Haushalte,Westdeutschland, 1998

100 %

90 %

80 %

70 %

60 %

50 %

40 %

30 %

20 %

10 %

0 %

10. Dezil: 42,3 %(oberstes Dezil)

9. Dezil: 21,1 %

8. Dezil: 15,1 %

7. Dezil: 10,7 %

6. Dezil: 6,4 %

5. Dezil: 3,0 %

4. Dezil: 1,3 %3. Dezil: 0,5 %2. Dezil: 0,1 %1. Dezil: – 0,4 %(unterstes Dezil)

Page 24: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Als Armutsrisikogruppen wurden sowohlvom Armuts- und Reichtumsbericht derBundesregierung als auch von verschie-denen anderen Studien Arbeitslose,Alleinerziehende, kinderreiche Familiensowie speziell Kinder und MitbürgerInnenmit Migrationshintergrund ermittelt. Diese Gruppen tragen erwiesenermaßenauch ein erhöhtes Erkrankungsrisiko.

LangzeitarbeitsloseEin erhöhtes Erkrankungsrisiko bestehtbei Langzeit-Arbeitslosen besonders hin-sichtlich Herz-Kreislauferkrankungen (50 % erhöht) und Krebserkrankungen. Ein um mehr als das Doppelte erhöhtesRisiko besteht für das Auftreten von Un-fällen (Beyer, Spatz, 1997). Erkrankungender Verdauungsorgane z. B. Magen- undZwölffingerdarmgeschwüre treten über-durchschnittlich häufig auf. Eine BerlinerStudie wies eine Zunahme von 63 % andepressiven Erkrankungen bzw. Stim-mungen bei Arbeitslosen nach.

Unter den psychosomatischen Be-schwerden dominieren Ängste, Schlaflosig-keit, depressive Symptome (Bormann,1992). Die Selbsttötungsversuche sowievollzogene Selbsttötungen sind generellerhöht bei arbeitslosen Menschen. Selbst-tötungsversuche finden sich bis zu 20-malhäufiger als bei vergleichbaren Gruppenvon Erwerbstätigen.

Nach Untersuchungen von Schach etal. (1994) war bei Arbeitslosen generell dieSterblichkeit um das 2,6fache größer alsbei Erwerbstätigen.

40 % der von Einkommensarmut Betroffenen sind Alleinerziehende (überwie-gend Frauen). Bei dieser Gruppe häufiganzutreffende Beschwerden sind Kopf- undRückenschmerzen, Schlaflosigkeit, Kreis-laufprobleme, Menstruationsbeschwerden,Erkrankungen der Atmungsorgane unddes Magens sowie psychische Erkrankun-gen wie Depressionen.

Armut und Gesundheit

Erhöhtes Erkrankungsrisiko bei Armutsrisikogruppen

24 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

oder Häuser besaß, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den

Material und Beispiele

„Armut ist mehr als einfach nur Einkommensarmut. Wo die Lebensverhältnissegeordnet, gute Wohnmöglich-keiten gegeben, Arbeit undEinkommen gesichert sindund die Gesundheit gewähr-leistet ist, dort sind Menschenmeist auch in der Lage, mitBelastungen zurecht zu kom-men, wie etwa mit der Lasteines geringen Einkommens.Armut im strengen Sinn hingegen ist ein komplexes,Verliererschicksal‘.“ (80)

Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage inDeutschland, Diskussionsgrundlage für denKonsultationsprozeß, 1994

AlleinerziehendeNeben der Gruppe der Alleinerziehendensind es insbesondere kinderreiche Familien(ab drei Kinder) die besonders von Armutund gesundheitlichen Beeinträchtigungenbetroffen sind. Untersuchungen zeigeneindeutig, dass es einen Zusammenhangzwischen sozialer Schicht und kindlichenErkrankungen gibt. Hier spielen insbeson-dere Infektionskrankheiten, Asthma bron-chiale, Zahnkrankheiten und Beschwerde-komplexe (z. B. Kopfschmerzen, Rücken-schmerzen) eine wichtige Rolle (Klocke1997). Außerdem sind die in Armut leben-den Kinder schlechter sozial integriert,haben weniger Selbstvertrauen und fühlensich häufiger einsam und hilflos. Schon fürdie Kinder gilt die Formel: Armut machtkörperlich und seelisch krank. Bei über 30 % der Kinder von arbeitslosen Eltern laginnerhalb einer Studie des Gesundheits-amtes Göttingen ein unzureichender Impf-schutz vor; zudem wurden Vorsorgeunter-suchungen nicht in Anspruch genommen.

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25Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte. Apostelgeschichte 4,34–35

Ausländische Mitbürger30 % von Einkommensarmut Betroffenesind ausländische Mitbürger. Haupter-krankungsarten sind: psychosomatischeund psychiatrische Erkrankungen, Infek-tionskrankheiten, Erkrankungen der Ver-dauungsorgane und Erkrankungen desBewegungs- und Stützapparates. Inner-halb der Infektionskrankheiten spielt dieTuberkulose eine bedeutende Rolle.

Im Vergleich zur deutschen Bevölke-rung treten bei ausländischen Mitbürgerndoppelt so häufig Symptomenkomplexeund Erkrankungen der Verdauungsorganeauf. Die Müttersterblichkeit sowie die Be-teiligung nicht-deutscher Kinder im Altervon 5 bis 14 Jahren an Verkehrsunfällen(oft auch mit tödlichem Ausgang) ist deut-lich erhöht. Generell ist der Ausländer-anteil an Arbeits- und Verkehrsunfällenüberdurchschnittlich hoch. Des Weiterentreten früher und häufiger chronischeErkrankungen auf.

Speziell bei Migranten und Asylsuchen-den führen auch die physischen undpsychischen Folgen von Verfolgung undTraumatisierung zu einem erhöhten Er-krankungsrisiko.

WohnungsloseEine extrem von Armut betroffene Gruppesind die Wohnungslosen. Eine der erstenwissenschaftlichen Untersuchungen zurGesundheitssituation wohnungsloserMenschen in Deutschland an der Univer-sität in Mainz aus dem Jahre 1989 zeigteeinen hohen Krankenstand (90 % sinddringend behandlungsbedürftig) und eineunzureichende medizinische Versorgungauf. Haupterkrankungen waren:

Erkrankungen der Atmungsorgane,Erkrankungen der Verdauungsorgane,Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystemsund Hautkrankheiten.

Verletzungen aufgrund von Straßen-verkehrs- oder Arbeitsunfällen sowie akuteInfektionskrankheiten spielen ebenfallseine dominierende Rolle. Des Weiteren sindpsychiatrische Erkrankungen sowie dieAlkoholkrankheit mit ihren Folgeerkrankun-gen hervorzuheben. Der Zahnstatus wirdebenfalls übereinstimmend oft als sanie-rungsbedürftig bezeichnet.

Innerhalb der mittlerweile 13 Jahre zurück-liegenden Ottawa-Charta, ein elementaresGrundsatzpapier der WHO (Weltgesund-heitsorganisation) zur Gesundheitsförde-rung, heißt es: „... die Gesundheit und ihreErhaltung (ist) als wichtige gesellschaftlicheInvestition und Herausforderung zu be-trachten“. In der Celler Erklärung zur Ge-sundheitsförderung vom Juni 1996 wirddie Forderung aufgestellt: „Gesundheit füralle statt Privatisierung von Krankheits-risiken!“ Der Deutsche Ärztetag 1998 for-derte schließlich: „Die Solidargemeinschaftmuss gewährleisten, dass die ärztlicheVersorgung der sozial Benachteiligtenauch unter sozialen Krisenerscheinungenerhalten bleibt.“

Von diesen Ansprüchen haben wir unsnach Ansicht von Prof. Gerhard Trabert,Verein Armut und Gesundheit in Mainz,generell und insbesondere im Hinblick aufarme Menschen in unserer Gesellschaftdurch die Gesundheitsreform eher nochweiter entfernt als ihr näher zu kommen.

Weitere Information: www.nationale-armutskonferenz.de

Page 26: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

die Ausgrenzung von Aktivitäten im Frei-zeitbereich, durch schlechtere Ausstattungmit Kleidung, im Wohnungsbereich aberhäufig auch eine schlechtere Versorgungin Form von elterlicher Unterstützung undZuwendung deutlich. Dies trifft auch dannzu, wenn Eltern starke Anstrengungenunternehmen, die schwierige familiäreLebenssituation zu bewältigen und nicht„bei den Kindern zuerst sparen“.

Gravierend wirkt sich auch die Tat-sache aus, dass arme Familien wenigerZugriff auf entlastende soziale Netzwerkehaben, die die Armutsfolgen für Kinderreduzieren könnten. Auch der Zugang zuprofessioneller Förderung und Hilfeleis-tungen ist für arme Kinder eingeschränktund wesentlich vom Bildungsgrad undGesundheitszustand der Eltern abhängigsowie von der Dauer der Armutsphase.

Die Folgen von Kinderarmut könnendurch außerfamiliäre öffentliche Hilfegemindert werden, wenn sie zur Stärkungdes kindlichen Selbstwertgefühls beitra-gen, die Kompetenzen und Ressourcender Kinder stärken und die soziale Inte-gration fördern. Darüber hinaus müssensich gesellschaftliche Aktivitäten gegenKinderarmut darauf konzentrieren, dieUrsachen für Armut der Eltern, und dazugehört wesentlich Arbeitslosigkeit, ab-zubauen und eine Grundsicherung fürKinder zu gewährleisten.

Ab Mitte der achtziger Jahre ist inDeutschland eine Entwicklung festzu-stellen, die lange Zeit kaum öffentlich wahrgenommen wurde. Die am stärkstenwachsende Gruppe der Sozialhilfebe-rechtigten sind Kinder und Jugendlicheunter 18 Jahren.

Jedes 7. Kind in Deutschland lebt in Armut.Obwohl Kinderarmut in der Regel eineFolge von Armut der Eltern ist, hat sie dochauch ganz direkte negative Auswirkungenauf die Kinder selbst. Spätestens seit inder PISA-Studie Kinder aus finanziellschwachen oder mehrfach benachteiligtenFamilien überproportional schlechtereErgebnisse aufwiesen als der Durchschnitt,wurde der enge Zusammenhang zwischenSchichtzugehörigkeit und Bildungsbe-nachteiligung deutlich. Dies machte auchdie 1. AWO-ISS Studie von 1999 deutlich,die zeigte, dass „Die Entwicklung desZusammenhangs von sozialer Herkunftund Leistung …. ein kumulativer Prozesszu sein (scheint), der lange vor der Grund-schulzeit beginnt und an Nahtstellen desBildungssystems verstärkt wird.“

Die Auswirkungen von Armut aufKinder und Jugendliche lassen sich aller-dings nicht allein auf Einkommensarmutzurückführen. Gerade bei dieser Gruppeist die Lebenslage entscheidend. Sie wirdwesentlich durch die familiäre Situation,die Ursache und Dauer der Armut und dieFähigkeit der Eltern, mit dieser Situationumzugehen und z. B. für sich und ihreKinder Hilfsangebote wahrzunehmen undzu erschließen, entscheidend bestimmt.

Folgen von KinderarmutArme Kinder weisen neben materiellenEinschränkungen überdurchschnittlichhäufig auch gesundheitliche Einschrän-kungen auf. Mit steigendem Alter nehmenauch die Armutsfolgen im schulischen undsozialen Bereich zu. Schulkinder nehmenihre benachteiligte Situation deutlicherwahr als Kinder im Vorschulalter. Im be-wussten Vergleich mit Gleichaltrigen wird

Kinderarmut

Jedes siebte Kind in Deutschland lebt in Armut

26 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

+++ Er wird den Armen erretten, der um Hilfe schreit und den Elenden, der keinen Helfer

Material und Beispiele

Page 27: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

„Armut darf nicht als einRandproblem unsererGesellschaft mißdeutet undbagatellisiert werden. Armut ist nicht einfach ,Schicksal‘, es gibt vielmehr neben derEigenverantwortlichkeit stetsauch eine Mitverantwort-lichkeit der Gemeinschaft für die Lebenssituation der in ihr lebenden Benach-teiligten.“ (83)

Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage inDeutschland, Diskussionsgrundlage für denKonsultationsprozeß, 1994

Zum Beispiel: Armut einer allein erziehenden AkademikerinS. ist 43 Jahre alt, ihr Sohn inzwischen 13.Nach einer längeren Zeit als wissenschaft-liche Mitarbeiterin an der Universität, inder sie ihre Promotion abgeschlossen hatund sich gleichzeitig um ihr Kind kümmernmusste, war an eine akademische Lauf-bahn nicht mehr zu denken. Mit Gelegen-heitsjobs konnte sie über einen gewissenZeitraum für sich und ihr Kind sorgen, wobei zwei oder drei Minijobs oft kaumgenügend Geld für den Lebensunterhaltbedeuteten. Dann entschloss sie sich, daszweite Staatsexamen nachzuholen. Inzwi-schen befindet sie sich im Referendariat,ist hoch verschuldet und das Einkommenals Referendarin mit etwas mehr als 1000€ im Monat reicht kaum, um die laufendenKosten zu bezahlen. Auch sind bei ihremAlter die Aussichten auf eine dauerhafteAnstellung in der Schule nicht besondersgut, weil die Länder bei der Einstellungjüngere Kandidatinnen und Kandidatenbevorzugen. Die bisher erworbenen Ver-sorgungsansprüche im Alter sind sehrgering. Wenn sie in den nächsten Jahren

27Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

hat. Psalm 72,12 +++ Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist der Leute Verderben.

Rubrik

Armut in Deutschland

Beispiele

Zum Beispiel: Hermann K.Hermann K., 46, ist Handwerksmeisterund lebt in einer Kleinstadt in Brandenburg.1991 eröffnet er einen Handwerksbetrieb,wofür er eine Hypothek auf sein altesWohnhaus aufnimmt. Der Betrieb läuft gutan, zeitweise beschäftigt er 15 Mitarbeiter.Hermann K. wird schlecht beraten undverliert ohne eigenes Verschulden inner-halb weniger Wochen mehrere Großab-nehmer als Kunden. Hermann K. entlässtseine Mitarbeiter, die Schulden wachsen.Seine Frau erkrankt und stirbt 1995 nachkurzer Krankheit. Ihr Kind ist damals vierJahre alt. Im Jahr darauf erleidet HermannK.s Mutter, die mit im Haus wohnt, zweiSchlaganfälle und wird zum Pflegefall. Inder Hoffnung, dass sich die Lage bessert,meldet Hermann K. sein Gewerbe nichtab. Darum erhält er weder Witwenrentenoch Sozialhilfe. Die Schulden steigen undsteigen. Herrmann K. wachsen dieProbleme über den Kopf. Seit zwei Jahrenwird er intensiv von einem Bürgerbüroberaten und begleitet. Ein Leben ohneArmut wird es für Hermann K. nicht mehrgeben.

Material und Beispiele

keine Daueranstellung erhält, ist bei ihr mitgravierender Altersarmut zu rechnen. Diefinanziellen Belastungen der letzten Jahrehaben auch psychisch ihre Spuren hinter-lassen. Hilfe zum Lebensunterhalt nimmtsie aus Scham nicht in Anspruch.

Zum Beispiel: Julia R.Frau R. ist 20 Jahre alt, hat einen Haupt-schulabschluss, aber noch keine Berufs-ausbildung. Sie lebt allein mit ihrer dreiMonate alten Tochter. Bis zur Geburt desKindes hat sie im Einzelhandel gearbeitet.Für das Kind erhält sie Kindergeld undeinen Unterhaltsvorschuss vom Jugend-amt, für sich selbst Hilfe zum Lebens-unterhalt. Wenn es gelingt, eine Tages-mutter für ihr Kind zu finden, möchte Frau R. im nächsten Jahr gerne eine Aus-bildung beginnen.

Page 28: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Schon die Gesetzgebung im SGB III ver-leiht dem Aspekt des Forderns eine höhe-re Priorität als dem des Förderns; dasPrinzip des Forderns und des Zwangs zurÜbernahme einer angebotenen „zumut-baren Arbeitsgelegenheit“ wird unmittel-bar nach der Aufgaben- und Zielstellungdes Gesetzes in §2 eingeführt. Zurzeit(Sommer 2004) zeichnet sich im Blick aufdie Umsetzung des Gesetzespaketes ab,dass zum 01. 01. 2005 zwar die Elementeder Sanktionen auf Arbeitslose eingesetztwerden können, eine umfassende Rea-lisierung der Förderungselemente abernicht gesichert ist. Die Klärung von Zuständigkeiten ist vorläufig im Streit um die Option untergegangen, die denKommunen als Trägern von Sozialleistun-gen anstelle der Bundesagentur für Arbeitdie Betreuung von Arbeitslosen ermög-lichen würde. Ebenso unklar ist, wer unter welchen fachlichen Standards das„case management“, also die spezifischeindividuelle Einzelfallbetreuung vonArbeitslosen einschließlich möglicherpsychosozialer Probleme übernehmenkann und wird.

Die neuen Zumutbarkeitsregeln aber werden pünktlich gelten: Arbeitslosen wirdhohe räumliche Mobilität abverlangt undsie werden (fast) jeden Job annehmenmüssen – auch wenn die angeboteneArbeitsgelegenheit bei weitem nicht ihrer

Die seit Jahrzehnten steigende Massen-arbeitslosigkeit in Deutschland hat vieleUrsachen, auf die hier nicht näher einge-gangen werden kann. Die Gesetzgebungim Zusammenhang der so genanntenHartz-Reformen zielt mit der Leitvorstel-lung des „Forderns und Förderns“ auf einebessere Vermittlung von Arbeitslosen ab.Mit diesem Konzept wird unterstellt, dassArbeitslosigkeit vor allem ein Vermittlungs-problem sei, das durch stärkeren öko-nomischen und gesellschaftlichen Druckauf Arbeitslose sowie durch eine höhereFlexibilität und Qualifizierung der Arbeits-losen gelöst oder entscheidend gemildertwerden kann. Abgesehen davon, dassdies vermutlich ein Trugschluss ist, weildas Ursachenbündel der Arbeitslosigkeitwesentlich vielgestaltiger ist, fallen fol-gende Aspekte auf, die sich negativ aufeine weitere Balance von Armut undReichtum auswirken werden:

Hartz IV

Fordern und Fördern – die Leitvorstellung der Reformen

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Sprüche 14,34 +++ Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

Material und Beispiele

„Das Leistungsvermögen derVolkswirtschaft und dieQualität der sozialen Sicherungsind wie zwei Pfeiler einerBrücke. Die Brücke brauchtbeide Pfeiler.“ (9)

Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, 1997

„Nur ein finanziell leistungs-fähiger Staat kann alsSozialstaat funktionieren.Er braucht die Mittel, um derVerpflichtung zum sozialenAusgleich nachkommen zukönnen.“ (22)

Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, 1997

In einer Aktion des Starkenburger ArbeitskreisesKirche und Wirtschaft st.ar.k. machen Schüler aufihr Problem aufmerksam.

Page 29: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

29Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Galater 6,2 +++ Er soll den Elenden im Volk Recht schaffen und den Armen helfen und die

„Arbeitslosigkeit ist für diemeisten Betroffenen gleich-bedeutend mit dem Verlustder Möglichkeit der per-sönlichen Entfaltung durchArbeit und mit Einbußen an Einkommen, eigenstän-diger Lebensplanung undLebensgestaltung verbunden.Arbeit gehört mit zu denunverzichtbaren Selbstver-ständlichkeiten des Lebensund zum ,täglichen Brot‘, um das wir Gott im Vater-unser bitten.“ (36)

Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage inDeutschland, Diskussionsgrundlage für denKonsultationsprozeß, 1994

erworbenen Qualifikation entspricht undnur gering entlohnt wird. Im Extremfallwird das bedeuten, dass die hoch qualifi-zierte Diplomingenieurin oder der gut ausgebildete Sozialarbeiter für einengeringen Stundenlohn einer berufsfrem-den Arbeit nachgehen müssen.

Die Unwägbarkeiten des Verfahrenslassen befürchten, dass auch der Lang-zeitarbeitslose, der mit seinem Überschul-dungsproblem nicht ohne fremde Hilfe zurecht kommt oder die ausgebildeteMutter, die nach einer Erziehungsphasewieder in den Beruf eintreten will, keinesachgemäße Beratung von ausgebildetenFachkräften erhalten werden.

Wer ein Jahr und einen Tag arbeitslosist, gilt als „langzeitarbeitslos“ – wer dannunter den oben geschilderten Bedingun-gen ein Arbeitsangebot ablehnt, fällt sofortaus jeglichem Bezug von Leistungen heraus! Wenn solche Szenarien Wirklich-keit werden, dann wird sich die Schieflagevon Armut und Reichtum in unserem Land noch weiter zu einer gefährlichenSchlagseite neigen, aber das Problem der Massenarbeitslosigkeit wird man mitsolchen Instrumentarien allein nicht lösen können.

Page 30: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Reichtum und Armut, Arbeitsmaterialienfür Gemeinde, Schulen und Gruppen,Hrsg. Zentrum GesellschaftlicheVerantwortung der Ev. Kirche in Hessenund Nassau et al., Heidelberg 2003

Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Hrsg.: Ökumenischer Rat der Kirchen inÖsterreich, 2003

Wege aus der Arbeitslosigkeit,Hrsg.: Wolfgang Belitz, Reinbek 1995

Wer sitzt in der Armutsfalle?Gebauer, Ronald, Hanna Petschauer,Georg Vobruba, Hrsg. Hans BöcklerStiftung, Berlin 2002

Internetadressen

Die Langfassungen einiger hier vorge-stellter Texte, eine Vorlage für IhrenGemeindebrief und weitere Informationenfinden Sie ab September 2004 unter: > www.kda-ekd.de

Ergänzende Informationen undMaterialien:

> www.bmgs.de/deu/gra/themen/sicherheit/armutsbericht

> www.bmgs.de/downloads/arm-reich-fakten.pdf

> www.brot-fuer-die-welt.de

> www.box4.boeckler-boxen.de

> www.dgb-bildungswerk.de

> www.diakonie.de

> www.eed.de

> www.erwerbslos.de

> www.nationale-armutskonferenz.de

> www.sozialwort.at

> www.woek.de

> www.zgv.info

Arbeit poor, Barbara Ehrenreich,München 2001

Armut im Frühen Grundschulalter,Abschlussbericht der vertiefendenUntersuchung zu Lebenssituation,Ressourcen und Bewältigungshandelnvon Kindern im Auftrag des Bundes-verbandes der Arbeiterwohlfahrt, Gerda Holz und Susanne Skoluda, Hrsg.ISS-Eigenverlag, Frankfurt /M. 2003

Armut und Ungleichheit in Deutschland –Armutsbericht der Hans-Böckler-Stiftung,des DGB und des ParitätischenWohlfahrtsverbandes, RowohltTaschenbuch-Verlag, Reinbek 2000

Die Armen und der Markt, Social Watch Deutschland, Report 2003/Nr. 3, Hrsg. DGB-Bildungswerk u. a.

Für eine Zukunft in Solidarität undGerechtigkeit, Wort des Rates derEvangelischen Kirche in Deutschland undder Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage inDeutschland, 1997, Hrsg.: Kirchenamt derEvangelischen Kirche in Deutschland und Sekretariat der Deutschen Bischofs-konferenz, Hannover/Bonn

Lebenslagen in Deutschland – Der erste Armuts- und Reichtumsberichtder Bundesregierung, Berlin 2002

Öffentliche Armut im Wohlstand, WalterHanesch, Karl Koch, Franz Segbers u. a.,Hrsg. Diakonisches Werk in Hessen undNassau und Caritasverband der DiözeseLimburg, Hamburg 2004

Reichtum und Armut als Herausforderungfür kirchliches Handeln, Hrsg. Werkstatt Ökonomie, Heidelberg2002 (Gedruckte Ausgabe vergriffen, aberals CD-ROM erhältlich bei Werkstatt Ökonomie Heidelberg oder bei ZentrumGesellschaftliche Verantwortung der Ev. Kirche in Hessen und Nassau)

Reichtum und Armut

Literatur zum Thema

30 Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

Bedränger zermalmen. Psalm 72,4 +++ Denn gleich wie Gewächs aus der Erde wächst

Literaturhinweise

Page 31: Gerechtigkeit erhöht ein Volk

Tag der

ArbeitDer Tag der Arbeit, der 1. Mai, fällt in 2005 auf einen Sonntag. Aus diesemAnlass veröffentlicht der KDA eine weitere Arbeitshilfe für Gottesdienst-und Gemeindeabendveranstaltungen. Sie wird ab Weihnachten 2004 erhältlich sein. Unter www.kda-ekd.definden sich weitere Informationen.

Arbeitshilfe zum 1. Mai 2005

31Sozialpolitischer Buß- und Bettag 2004

und Same im Garten aufgeht, so läßt Gott der Herr Gerechtigkeit aufgehen. Jesaja 61,11 +++

Vorankündigung

Impressum

Im Auftrag des KDA-Bundesvorstandeserstellt von:

Rolf Adler, Industriepastor, Ev. Lutherische Landes-kirche Hannover, Osnabrück

Dr. Brigitte Bertelmann, Referentin für Ökonomie und Sozialpolitik, Zentrum Gesellschaftliche Verantwortungder Ev. Kirche in Hessen und Nassau,Mainz

Martin Huhn, Industrie- und Sozialpfarrer in Nordbaden, Mannheim

Jens Junginger, Industrie- und Sozialpfarrer, Ev. Akademie Bad Boll, Reutlingen

Dr. Hans-Gerhard Koch, Leiter des Kirchlichen Dienstes in derArbeitswelt, Ev. Lutherische Landeskirchein Bayern, Nürnberg

Dr. Thomas Posern, Referent für ökumenische Sozialethik, Zentrum Gesellschaftliche Verantwortungder Ev. Kirche in Hessen und Nassau,Mainz

Verantwortlich: Sigrid Reihs,Institut für Kirche und Wirtschaftder Ev. Landeskirche in WestfalenBerliner Platz 12 58638 Iserlohn

Fotos: Rieke Schaab/Eva Giovannini (Titelbild, S. 5)Chr. Zielonka (S. 7, S. 28) Betriebsrat AEG Herborn-Burg (S. 9)Gabriele Bickel (S. 11)Johannes G. Krzeslack (S. 12)Eva Giovannini (S. 15, 17, 18, 25)Volker Liesfeld (S. 17 r. o.)Augsburger Allgemeine (S. 19)

Karikaturen:Frankfurter Rundschau, T. Plaßmann (S. 19, 26, 29)

Layout/Satz: Giebeler Kommunikationsdesign,Schaafheim

Druck: Direktdruck, DarmstadtAuflage: 12 000

Übrigens: Der Buß- und Bettag fällt im Jahr 2004 zufällig auf den 17. November, den Jahrestag einer Botschaft Kaiser Wilhelms I zur sozialen Frage vom 17. November 1881. Diese Botschaft war die Grundlage für die darauf folgendenBismarckschen Sozialgesetze.

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Kirchlicher Dienst

in der Arbeitswelt

Arbeitsgemeinschaftin der EKD

Geschäftsstelle

Evangelische Akademie Bad Boll

Blumenstraße 1

73087 Boll

www.kda-ekd.de