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8/6/2019 Geschichte der griechischen Sprache - Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1928) http://slidepdf.com/reader/full/geschichte-der-griechischen-sprache-ulrich-von-wilamowitz-moellendorff-1928 1/20 Geschichte der griechischen Sprache 1 Geschichte der griechischen Sprache Den Vortrag Geschichte der griechischen Sprache hielt der 78-jährige Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff am 27. September 1927 auf der Göttinger Philologenversammlung. Er stellt den damaligen Stand der Historischen Sprachwissenschaft, der Klassischen Philologie und der erst einsetzenden Neugriechischen Sprachforschung in kritischer Weise dar. 1928 erschien der Vortrag als schmales Bändchen bei der Weidmannschen Buchhandlung in Berlin. Das vorliegende Exemplar stammt aus der Bibliothek des Seminars für Klassische Philologie der Universität Göttingen mit der Signatur IV W 375 [1] . Editionsrichtlinien Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien. Worttrennungen am Zeilenende werden ignoriert. Am Seitenende getrennte Wörter werden auf der Seite vollständig aufgeführt, auf der sie beginnen. Alle redaktionellen Texte dieses Projektes stehen unter der Lizenz CC-BY-SA 2.0 Deutschland [2] Projektfortschritt Übersicht Projektfortschritt [3] unvollständige Seiten [4] unkorrigierte Seiten [5] korrigierte Seiten [6] fertige Seiten [7] Korrekturprobleme [8] Inhalt [1] GESCHICHTE DER GRIECHISCHEN SPRACHE VORTRAG GEHALTEN AUF DER PHILOLOGENVERSAMMLUNG IN GÖTTINGEN 27. SEPTEMBER 1927 VON ULRICH v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF BERLIN WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG 1928 [2Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H. in Gräfenhainichen. [3] Meine Herren! Wenn ich heute noch ein letztes Mal vor Sie trete, so setze ich gewissermaßen einen Vortrag fort, den ich vor fünfzig Jahren auf der Philologenversammlung in Wiesbaden gehalten habe. Damals behandelte ich die Entstehung der attischen Literatursprache, nicht unrichtig, aber unzureichend. Der Anfänger hatte etwas gesehen und wähnte, damit wäre alles klar. Heute sehe ich weiter, aber ich gebe keine neuen Resultate, sondern versuche, künftiger Forschung Probleme zu zeigen. Es muß wohl so sein, daß der wissenschaftliche Forscher erst dann recht erkennt, was getan

Geschichte der griechischen Sprache - Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1928)

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Geschichte der griechischen Sprache 1

Geschichte der griechischen Sprache

Den Vortrag Geschichte der griechischen Sprache hielt der 78-jährige Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff am 27.

September 1927 auf der Göttinger Philologenversammlung. Er stellt den damaligen Stand der Historischen

Sprachwissenschaft, der Klassischen Philologie und der erst einsetzenden Neugriechischen Sprachforschung in

kritischer Weise dar. 1928 erschien der Vortrag als schmales Bändchen bei der Weidmannschen Buchhandlung inBerlin. Das vorliegende Exemplar stammt aus der Bibliothek des Seminars für Klassische Philologie der Universität

Göttingen mit der Signatur IV W 375 [1].

Editionsrichtlinien

• Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.

• Worttrennungen am Zeilenende werden ignoriert. Am Seitenende getrennte Wörter werden auf der Seite

vollständig aufgeführt, auf der sie beginnen.

• Alle redaktionellen Texte dieses Projektes stehen unter der Lizenz CC-BY-SA 2.0 Deutschland [2]

Projektfortschritt

• Übersicht Projektfortschritt [3]

• unvollständige Seiten [4]

• unkorrigierte Seiten [5]

• korrigierte Seiten [6]

• fertige Seiten [7]

• Korrekturprobleme [8]

Inhalt[1]

GESCHICHTE DERGRIECHISCHEN SPRACHE

VORTRAG

GEHALTEN AUF DER PHILOLOGENVERSAMMLUNG

IN GÖTTINGEN 27. SEPTEMBER 1927

VON

ULRICH v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFFBERLIN

WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG

1928[2] Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H. in Gräfenhainichen.

[3] Meine Herren!

Wenn ich heute noch ein letztes Mal vor Sie trete, so setze ich gewissermaßen einen Vortrag fort, den ich vor fünfzig

Jahren auf der Philologenversammlung in Wiesbaden gehalten habe. Damals behandelte ich die Entstehung der

attischen Literatursprache, nicht unrichtig, aber unzureichend. Der Anfänger hatte etwas gesehen und wähnte, damit

wäre alles klar. Heute sehe ich weiter, aber ich gebe keine neuen Resultate, sondern versuche, künftiger ForschungProbleme zu zeigen. Es muß wohl so sein, daß der wissenschaftliche Forscher erst dann recht erkennt, was getan

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Geschichte der griechischen Sprache 2

werden kann und soll, wenn er selbst nicht mehr Hand anlegen kann.

Die griechische Sprache lebt noch heute. Gerade jetzt wird ein leidenschaftlicher Kampf um die Bildung einer neuen

Schriftsprache geführt, während namentlich die Kirche zäh an einem Griechisch festhält, das beinahe zweitausend

Jahre alt ist und selbst damals der gesprochenen Rede nicht mehr entsprach. Wir haben den Vorteil davon, daß wir

griechische Bücher und Zeitungen (aber keine Gedichte) ohne weiteres lesen können, aber es ist doch dasselbe, wie

wenn die Schriftsprache der romanischen Völker noch immer lateinisch sein sollte, wie sie es in der päpstlichenKurie immer noch ist. Wie sich der Ausgleich zwischen καθαρεύουσα und χυδαία gestalten wird, steht dahin. Es ist

aber ein rühmliches Zeichen für das zugleich wissenschaftliche und nationale Streben der Griechen, daß sie die

lebenden Dialekte ihrer Sprache sorgfältig aufnehmen und ein großes [4] Lexikon vorbereiten, das auch für die alte

Sprache wichtig sein wird, denn es haben sich einzeln alte Wörter erhalten und manches in unserer Überlieferung

vereinzelte oder ganz verschollene findet so seine Erklärung[9] .

Die Griechen haben unter Augustus den verhängnisvollen Weg der sprachlichen Reaktion eingeschlagen, als ihre

Nation unfrei, materiell und geistig verarmt in dem Zurückgreifen auf die Sprach- und Stilformen ihrer großen, drei

Jahrhunderte zurückliegenden Vergangenheit das Heil sah. Das ist nur eine, aber die sinnfälligste Erscheinung der

allgemeinen Umkehr des hellenischen Geistes. Es ist nicht zu leugnen, daß ein neuer Aufstieg erfolgte, und es hat

seinen besonderen Reiz zu beobachten, wie der Archaismus nach hundert Jahren sich rühmen darf, das Ziel erreichtzu haben, und doch die Individualität einzelner Talente sich innerhalb der Schranken des künstlichen Attisch

durchzusetzen vermag. Erreicht ist es durch die Grammatiker und die Schule, denn es ist nicht zu bezweifeln, daß die

alten Formen gleich mit dem elementarsten Unterrichte eingeprägt wurden, der fast verschollene Optativ, selbst im

Futurum, Präpositionen, die den Dativ regieren (sogar ἀμφί und μετά), und der Dual. Papyri zeigen, wie die Schüler

sich die Paradigmen aufschreiben müssen. Von ungeheuerer Bedeutung wird die durchaus archaistische Regelung

der Orthographie durch Herodian, die in unseren Handschriften sämtliche Texte reguliert hat. Es ist sehr glaublich,

daß Plutarch ει für das lange i geschrieben hat, recht viele das verstummte i fortließen. Wir sind dem Herodian

dankbar, weil uns am meisten an den Klassikern liegt, aber seine Tendenz sollen wir nicht verkennen, und er hat

auch Fehler [5] gemacht, z. Β. das ει auch in Wörtern wie ἔτεισα, μείγνυσθαι, Φλειοῦς vertrieben, wo es berechtigt

war. Auch auf die Aussprache wird der Grammatiker gehalten haben; es ist grundverkehrt, die gebildete Sprachenach dem Geschreibsel illiterater Papyri oder nach dem Böotischen zu beurteilen. Quintilian kennt das griechische y,

mit dem οι erst ganz allmählich zusammenfällt, und η ist durchaus nicht i. Mit dem Verfall der Grammatik und der

Schule, der seit dem 4. Jahrhundert zu bemerken ist, geht es rasch abwärts. Der Wortschatz erhielt sich viel besser,

denn da gab es reiche Onomastika, wie sie seit Tryphon geschrieben wurden. Natürlich haben Halbgebildete wie der

Astrologe Vettius Valens eine Menge Vulgarismen eingemischt, aber das Verhältnis ist doch ganz anders als in der

hellenistischen Zeit, denn er möchte die gebildete Kunstsprache schreiben, er kann es nur nicht. Allein in den Reden

Epiktets, wie sie der treue Arrian stenographiert hat, hören wir einigermaßen, wie damals ein gebildeter Mann im

Leben sprach[10] , im ganzen können wir die Umgangssprache, das colloquial Greek, der Kaiserzeit schlechterdings

nirgend fassen[11] , auch nicht in der nachpaulinischen Schriftstellerei der Christen. Da ist zunächst manches, das auf 

der Stufe des Vettius Valens steht, aber sobald gebildete Christen schreiben, folgen sie der Kunstsprache, und so ist

die Kirche die Hüterin des Klassizismus geworden. Stilunterschiede gibt es natürlich. [6] Origenes spricht in seinen

Predigten schon ganz anders als Epiktet, und ich glaube doch zu bemerken, daß er sich in ihnen zu seinen Hörern

herabläßt, denn die Bücher gegen Celsus halten sich in einer ganz anderen Höhenlage. Die Rhetorik, von der

Clemens starken Gebrauch macht, hat Origenes freilich immer verschmäht. Gerade in ihr kommt bald nach ihm eine

Richtung auf, die insofern modern ist, als sie der Veränderung der Betonung, dem exspiratorisch gewordenen

Akzente Rechnung trägt, und das kommt nach Überwindung des antiochenischen Attizismus zur Herrschaft und

wirkt stark auf die Wortstellung und damit auf den Satzbau ein. Nuancen der Wortbedeutung machen sich fühlbar,

papierne Neubildungen werden häufig und kontrastieren übel mit längst verschollenen, auch wohl poetischen

Vokabeln, aber das Schriftbild bleibt durch die Jahrhunderte dasselbe, obwohl der Klang der gelesenen Rede ganz

verschieden geworden ist. Konnten Hexameter, wie sie der Silentiar Paulus in der Sophienkirche vor dem Hofe

Justinians vortrug, überhaupt noch wie Hexameter klingen? Doch nur darum, weil man die Hexameter Homers

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Geschichte der griechischen Sprache 3

ebenso sprach und ihren wahren Rhythmus ebensowenig fühlte, wo denn die nonnischen Kadenzen dem Ohre

wohlgefälliger sein mußten[12] .

Von allen den Jahrhunderten seit Augustus will ich gar nicht reden. Da ist die Sprache, welche die Literatur

schreiben will, Nachahmung einer als klassisches maßgebendes Vorbild anerkannten Form. Es wird nun für die

Prosa durchgeführt, was für die Poesie längst anerkannt war, eigentlich von Anfang an. Denn Homer schreibt bereits

eine sehr künstliche Literatursprache, die er hat lernen [7] müssen. Nur durch lange Übung konnte sie sich aus zweirecht verschiedenen Dialekten bilden, und das Epos, wie wir es lesen, verwendet Formen und Wörter, die im Leben

längst nicht mehr galten, und daneben entschlüpfen den Dichtern unwillkürlich jüngere Bildungen. Wir sind nun

wohl so weit, daß wir beides auch nebeneinander gelten lassen. Nun aber ist diese Literatursprache da, früher da, als

es Lesebücher gibt, und tausend Jahre lang ist jeder, der epische oder elegische Verse macht, gehalten, sich ihrer zu

bedienen. Hesiodos von Askra so gut wie der Silentiar Paulus. Wo sich individuelle Kunst in der Behandlung der

epischen Sprache betätigt, bei Empedokles oder Theokrit, Nikander oder Nonnos, wird der Abstand von der

lebendigen Sprache nur immer größer. Das Epos ließ meistens noch einige Freiheit. Dagegen wer nach Euripides

tragische Verse macht, der ist an seine Sprache und seinen Stil schlechterdings gebunden, wer komische Verse

macht, ebenso an Menander. Hier ist denn auch der Erfolg gewesen, daß nichts von bleibender Bedeutung mehr

entstand. Auch die chorische Lyrik hatte bereits Ansätze zu einer allgemeinen Kunstsprache gemacht, aber erst sowie sie die attischen Tragiker abgetönt hatten, scheint sie weiter in Gebrauch geblieben zu sein, wieder ohne daß die

Nachahmung etwas Bleibendes schuf. Das sind drei oder vier Sprachen und Stile, die wir alle lernen und sorgfältig

auseinander halten müssen; es rächt sich schwer, wenn der Textkritiker sie vermischt. Das muß man im Auge

behalten, um gegen die klassizistische Reaktion der Caecilius und Dionysios nicht ungerecht zu werden. Denn neben

der verhängnisvollen Einseitigkeit, die auf jeden Fortschritt verzichtet und das Leben vergewaltigt, liegt darin

derselbe künstlerische Wille, der das, was eine absolute Vollkommenheit erreicht hat und darum ewig vorbildlich

bleibt, festhalten will, gleich als ob Nachahmung das Original erreichen könnte. Es ist [8] aber sehr zu beherzigen,

daß Aristoteles diesen Standpunkt vertritt, wenn er sagt, daß die Tragödie einmal ἔσχε τὴν ἑαυτῆς φύσιν, daß sie

einmal geworden ist, was sie sein kann und sein soll. Dann muß sie auch so bleiben. Und wenn Platons Staat einmal

verwirklicht ist, kann und darf es auch keinen Fortschritt geben. Es ist das im tiefsten Wesen der Hellenen begründetund gehört daher zusammen, das Streben nach Stil, nach Harmonie und Schönheit, und dies Ausruhen und sich bei

der erreichten Vollkommenheit Bescheiden, wo es denn kein Fortschreiten gibt. τέλος ist das Ziel, die Vollendung,

aber es ist auch das Ende[13] .

Jeder weiß, wie stark diese eingeborne hellenische Art sich auch in den bildenden Künsten fühlbar macht, in wie

weitem Umfange Architektur und Skulptur bei dem Variieren und Kopieren klassischer Vorbilder beharrt, und auch

das Lehrbuch des Architekten Vitruv ist von diesem Geiste belebt. Allein das neue Leben der Kaiserzeit stellte der

Baukunst neue Aufgaben und trieb so zu neuen großen Lösungen; es kommt auch in die anderen Künste, soweit sie

der Gegenwart dienen, ein neuer Geist. Da darf man aber weder von römischer noch von griechischer Kunst reden,

denn es ist Reichskunst, und das Reich mit seiner Kultur ruht auf beiden Nationen, der italischen (durchaus nicht der

römischen) und der hellenischen. Weil sich in dieser der nur äußerlich hellenisierte orientalische Geist allmählich

vordrängte, ist es schließlich zu Neubildungen in Staat und Glauben gekommen, ist dem auch die Kunst gefolgt. Bei

den Byzantinern zeigt sich wiederum die Kanonisierung eines als vollkommen anerkannten Vorbildes und

dementsprechend die Erstarrung.

[9] Unsere geschichtliche Forschung erkennt mit dem ewigen Wechsel des Lebens auch die Erscheinungen an, in

denen abstrakte Würdigung Entartung sieht, aber reizen werden sie vor allem die schöpferischen Zeiten, wenn

frischer Wagemut tastend und strauchelnd endlich doch den Weg zu dem findet, was der Nachwelt mit Recht den

Stempel klassischer Vollendung zu tragen, also ewigen Wert zu besitzen scheint. Das ist hier die hellenische

Literatursprache, oder vielmehr, wie wir sahen, die verschiedenen Sprachen. Das führt uns zurück in die dunkle

Vorzeit, da die Hellenen überhaupt erst schreiben lernten. Freilich hat es kunstvoll geformte Rede schon viel früher

gegeben. Der Zauberspruch, die Schwurformel (in Wahrheit eine Form des zauberischen Fluches), das Sprichwort,

auch Formeln der Rechtssprache sind längst geprägt, und die Poesie hat, wie wir mit Zuversicht sagen dürfen, schon

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in indogermanischer Zeit Versformen gebildet, deren Nachwirkung in mehreren Sprachen fühlbar ist. Die epische

Sprache, die wir erst in ihrer Vollendung kennen lernen, hatte eine Geschichte von Jahrhunderten hinter sich, als

Homer schreibt, und er läßt seine Heroen nicht schreiben, weil ihre Standesgenossen, für die er dichtet, der schweren

Kunst nicht mächtig sind. Ihm ist die Schrift also nur ein φάρμακον λήθης, wie Platon sie nennt. Aber lange vor

ihm hat der unbekannte Wohltäter der Menschheit gelebt, der die von den Semiten entlehnte Buchstabenschrift zur

Wiedergabe der Laute erst fähig machte, indem er entbehrliche Buchstaben für die fünf Vokale verwandte. Wo er

lebte, ist noch nicht ausgemacht, aber es kann nicht in einem Winkel, sondern nur an einem Zentrum des Verkehrs

geschehen sein. Diese Schrift hat sich sicherlich nicht rasch verbreitet und gemäß der Zersplitterung der Griechen

mannigfache Veränderungen erfahren: erst die ionische Literatursprache hat sich auch in ihrer Schrift durchgesetzt,

spät genug. Aber angewandt [10] hat man die Schrift sogleich viel weiter als es im Norden mit den Runen geschehen

ist, nur schrieb man auf Holz und Leder; bis auf uns konnte sich etwas erst erhalten, als man auch Stein und Erz

benutzte. Bücher konnte es erst geben, als Ägypten sein Papier hergab, was nicht erst geschehen ist, nachdem

griechische Faktoreien im Delta errichtet waren. Wo immer man für praktische Zwecke zu schreiben anfängt, kann

man gar nicht anders als schreiben wie man spricht. Das gilt von den Dichtern unter der Beschränkung, daß die

homerische Literatursprache stark einwirkt, nicht nur direkt in Entlehnungen; aber Grundlage ist doch die eigene

Sprache; selbst als sich; in der Chorlyrik, weil sie nicht nur für d ie eigenen Landsleute geübt wird, eine gewisseallgemeine Sprache ausbildet, klingt sie doch ganz verschieden, wenn der Dichter aus Keos oder aus Rhegion, aus

Böotien oder aus Rhodos stammt. Dabei lesen wir die Gedichte meist erst so, wie sie außerhalb ihrer Heimat

aufgezeichnet sind, und dürfen uns keine Illusion darüber machen, daß dadurch z. Β. bei Pindar manche Trübungen

entstanden sind[14] . Es ist daher berechtigt, daß unsere Grammatiker sich zunächst nur auf die Inschriften verlassen,

und auch das war nur recht, daß dieses Vertrauen sich zuerst auf jeden Buchstaben erstreckte. Da wird freilich

einigen Vorbehalt machen, wer mit den Steinen selbst praktisch zu wirtschaften gelernt hat. Das Schreiben war eine

schwere Kunst, und wer die aufgemalten Inschriften der Vasen kennt, die unsere Corpora ausschließen, weiß, wie

zahlreich, besser zahllos die Schreibfehler sind. Aber auch den Steinmetzen passieren manche Menschlichkeiten. Ein

kleiner Strich zu wenig, und es sieht aus, als wäre [11] Doropilea und Aristonophos gemeint, was eine Zeitlang ein

merkwürdiger Lautwandel schien. Ein Strich zu viel, und Zeus wird Xeus; wenn die Böoter mehrfach ihr Εvierstrichig machen, so hat das kein Unheil angerichtet. Eine harmlose Umstellung zweier Buchstaben scheint eine

merkwürdige Unform zu erzeugen[15] . Viele Zeichen haben in benachbarten Alphabeten eine verschiedene Form, da

vergreift man sich gelegentlich; einem Lokrer kommt ein korinthisches S in den Grabstichel[16] , das seine

Landsleute als Μ lesen. Die Athener sind aus den Büchern mit ionischer Schrift an Zeichen gewöhnt, die zuhause

noch nicht aufgenommen sind, da schreiben sie diese gelegentlich, aber was das Ω für einen Laut bezeichnet, ist

ihnen unsicher: da steht es auch für das ο, welches wir mit ου wiedergeben. Die Korinther hatten versucht, zwei

Ε-Laute in der Schrift zu unterscheiden; da braucht man nur die Pinakes anzusehen, um das Schwanken zu

beobachten. Im südlichen Böotien schreibt man αε und οε oft für αι und οι; das greift über die Grenze, und auf der

attischen Kroisosschale steht Κροεσος, in Korinth Περαεόθεν was doch nur graphische Bedeutung hat. Von der

Wiedergabe der aspirierten und assibilierten Konsonanten will ich gar nicht reden; das erfordert einezusammenfassende Untersuchung[17] . Wir werden [12] die Unterschiede der Schreibung in Landschaften, die im

ganzen dieselbe Sprache reden, werden auch die Verschreibungen für die Aussprache zu verwerten versuchen, aber

Einsicht in das Schriftwesen, zumal der mehr oder weniger illiteraten Landschaften und Schreiber, ist erfordert, um

die Zeugnisse richtig zu werten; es erscheint nur zu leicht als lautliche Verschiedenheit, was doch nur graphisch ist.

Selbst η und ει in Adverbien wie τῆδε und τεῖδε, ω und ου im Lakonischen und Korinthischen braucht gar nicht

verschieden geklungen zu haben: erst die Schrift beherrscht später die Aussprache. Attisches θεῶν, wo es dorischem

θεᾶν entspricht, klang von diesem nicht verschiedener als von dem maskulinen θεῶν.

Wir alle sind dankbar dafür, daß Fr. Bechtel sein großes Werk über die griechischen Dialekte noch vollendet hat, und

bewundern die Gelehrsamkeit und den Scharfsinn, der bei jeder Form fragt, wie ist sie entstanden, bei jeder Glosse

nach ihrer Etymologie. Aber er haftet am Einzelnen und strebt zurück auf die vorgriechische Sprachperiode. Ersondert die Dialekte peinlich nach den Landschaften, scheidet daher sogar die Lokrer, während er in der Argolis

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recht verschiedenes zusammenfaßt. Diese rückgewandte Sprachgeschichte hat viel mehr die Urzeit als die

Gegenwart im Auge. Da stellen sich Aufgaben, die angegriffen werden müssen, weil sie lösbar sind. Es ist eine

Tatsache, die vor Augen liegt, daß zuerst diejenigen Hellenen eingewandert sind, welche in den Ioniern und Äolern

dauern, in Arkadien [13] ziemlich ungemischt, wozu die Kyprier gehören, in Thessalien überwiegend, nur noch

schwach nachwirkend in Böotien. Die aber später gekommen sind, gehören den älteren gegenüber zusammen, wenn

es auch an charakteristischen Eigentümlichkeiten der eigentlichen Dorer nicht fehlt, die nach der zuverlässigen

historischen Überlieferung Kreta, Lakonien[18] und Argos, zuletzt auch Korinth mit Megara erobert haben, in

verschiedener Weise von den Bevölkerungen, die sie vorfanden, beeinflußt. Im Gegensatze zu der älteren Sprache ist

das Dorische im weiteren Sinne eine Einheit, und sie in ihrem Wortschatze und ihrer Syntax zu fassen, ist wahrlich

mindestens ebensoviel wert als die Laut- und Formenlehre. Da ist gleich eins: nur die ältere Schicht wird Wörter aus

der vorgriechischen Sprache übernommen haben, die im Mutterlande sicher eine ganz andere war als auf Kreta (die

Ortsnamen beweisen). Lehnwörter im Kretischen, von Götter- und Ortsnamen abgesehen, wüßte ich wenigstens

nicht anzugeben. Aber der Unterschied zwischen dem Griechisch der ersten und der zweiten Schicht ist stark, und

den gilt es herauszuholen, wobei nicht nur auf das geachtet werden muß, was vorhanden ist, sondern auch was fehlt.

Das alte φρατήρ haben nur die Ionier bewahrt, aber es bedeutete nicht mehr Bruder, sondern zugehörig zu einer

φρατρία, einer wirklich oder fiktiv durch das Blut verbundenen Gemeinschaft

[19]

. Andererseits reicht die Sprachehin, [14] solche Einfälle abzuweisen, wie, daß Apollon von ἀπέλλα käme, in Anaximandros die Hürde μάνδρα

steckte, denn beides sind dorische Wörter.

Noch eine andere nicht minder wichtige Aufgabe verlangt eine zusammenfassende Vergleichung der archaischen

Inschriften, auf denen sich ganze Sätze finden. Da reicht die für das ausgebildete Griechisch charakteristische

Gliederung des Gedankens durch μέν – δέ sehr weit, aber bei den Thessalern ist die Beteuerungspartikel μάν, μά zur

Adversativpartikel statt δέ geworden. Und im Neugriechischen hört man gar nicht selten ein ‚ma‘ im Sinne von

ἀλλά, das freilich aus dem Italienischen stammt. In Kyrene finden wir einmal μὲν δέ  – δέ[20] ; man stutzt zuerst,

aber das erste δέ schließt den durch μέν δέ gegliederten Satz an den vorigen. Das ist sehr gut an sich; aber die

Sprache ist diesen Weg nicht weitergegangen. Öfter findet sich ebenda μέν  – τε, das wir dem Sophokles auch nicht

nehmen können, und doch war das bei ihm schon etwas dem geltenden Gebrauche Widerstrebendes und ist dannganz aufgegeben. Natürlich gibt es auch τε δέ wie in alter Poesie. Gesetze führen zu Bedingungssätzen, und wir

erwarten ἐάν, dorisch αἴκα mit dem Konjunktiv; das ist auch vorherrschend, aber wie merkwürdig, daß wir in Elis

αἴ und in den dirae Teiorum ὅστις mit dem Optativ finden; nur vereinzelt in Gortyn. Im Nachsatze bei den Eleern

den Optativ mit ἄν anzutreffen, war uns bei der ersten Entdeckung ganz verwunderlich, und es lehrt auch, wie spät

sich die Ausdrücke für die logischen Gedankenverbindungen, an die wir gewöhnt sind, allgemein durchgesetzt

haben. Wir erwarten da im [15] Gesetze zuerst den Imperativ, finden ihn auch in Chios, einzeln auch anderswo, in

Athen noch einmal in der Hekatompedoninschrift kleisthenischer Zeit. Überwiegend aber steht überall der

imperativische Infinitiv, der doch in der Literatursprache, wo er vorkommt, eine besondere Nuance zu haben pflegt.

Gehalten hat er sich in der Grußformel χαίρειν des Privatbriefes[21] , dem doch der älteste attische Brief ein

ἐπέστειλε vorausschickt, aber dann seiner Bitte die Form gibt στέγασμα ἀποπέμψαι[22] . Noch auffallender ist imNachsatze der Indikativ des Futurums, obgleich wir, die kein wirkliches Futurum haben, sehr gut sagen können:

„Wer dies Feld betritt, wird polizeilich bestraft.“ Wenn es auf Astypalaia heißt: ἐς τὸ ἱερὸν μὴ ἐσέρπεν ὅστις μὴ

ἁγνός ἐστι (wo der Indikativ schon auffällt), ἢ τελεῖ ἢ αὐτῶι ἐν νῶι ἐσσεῖται [23] , ist das zweite Futurum berechtigt,

da die Reue nicht befohlen werden kann. Aber wenn die Kyrenäer sagen: „Wenn einer ein verbotenes Opfer gebracht

hat, wird er den Altar reinigen usw.“, und so häufig, so ist da eine Form des Gebotes durchgedrungen, die von der

sonstigen Gesetzessprache völlig abweicht.

Alle die Steine, von denen ich hier etwas nahm, geben noch die Sprache des Lebens wieder, und sie hat noch keine

feste Form erhalten: gerade darin liegt der besondere Wert. Erreicht ist eine scharfe juristische Durchbildung auch in

Gortyn noch nicht, aber Bücheler hat gleich bei der Entdeckung bemerkt, daß dort doch der Versuch gemacht ist,

einen festen und durchgebildeten Stil zu schreiben. Das ist mehr als dreißig Jahre her, aber weder der Stil [16] noch

der Wortschatz des großen Gesetzes ist bearbeitet und, wie sich gebührt, mit den älteren kretischen Gesetzen und

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dem späteren, nicht nur Kretischen verglichen. Historisch ist es doch von großer Wichtigkeit, daß auf Kreta so etwas

geleistet ist in einer Zeit, wo die Insel sonst uns ganz unbekannt ist, und daß wir später, als wir aus und über Kreta

etwas erfahren, von der geistigen Kultur nichts mehr übrig ist, die aus seinen alten Gesetzen unverkennbar spricht.

Wenn es sich bewahrheitet, daß kretische Plastik der sogenannten Dädaliden auf den Peloponnes stark eingewirkt

hat, so ist das eine parallele Erscheinung, auch darin, daß es später eine besondere kretische Bildkunst nicht mehr

gibt.

Hier sind reizvolle Aufgaben gestellt, die uns die griechische Sprache noch im Flusse des Werdens zeigen, Ansätze,

die nicht zur vollen Ausbildung kommen, aber das, was sie daran hindert, erst recht würdigen lassen. Nicht minder

dringend ist, daß die erste prosaische Literatursprache endlich erforscht wird, das echte Ionisch. Da müssen wir

freilich daran verzweifeln, ihr Werden zu erkennen. Es kann nicht anders zugegangen sein, als daß zuerst auch in den

verschiedenen ionischen Städten die διάλεκτος, die Sprache des Lebens, geschrieben ward, und dann die Übermacht

eines Ortes oder die überragende Gewalt eines Schriftstellers die Mundart eines Ortes zu r Herrschaft brachte. Das ist

so früh geschehen und wir haben bisher so wenige altionische Steine, daß jede Vermutung ein bloßes Raten bleibt[24]

. Aber sehr früh ist es geschehen, denn die Orthographie hält einen Zustand der Sprache fest, den das Leben schon

im sechsten Jahrhundert überwunden hatte. Von den ganz archaistischen Schreibungen ποιέει u. dgl. in unseren [17]

Herodothandschriften[25]

und bei den Nachahmern in der Kaiserzeit ganz abgesehen, zeigt die Poesie Anakreons undmancher Steine, daß das Ionische in der Kontraktion gerade ganz besonders weit gegangen ist. Θαλῆς Πυθῆς hat

man für Θαλέας Πυθέας sogar immer geschrieben, Anakreon auch ἔγχης für ἐγχέας. Schon um 600 steht auf Chios

δημαρχῶν neben δημαρχέων; ποιέοντα ist dreisilbig so gut wie ποιεῦντα, ο und υ wechseln ja im Diphthonge. Der

Nachahmer Herodas[26] mit seinen Verschleifungen darf uns die Aussprache nicht seiner Zeit, sondern die des

Hipponax vertreten. Nicht nur darin, daß auf diese Äußerlichkeiten sehr viel mehr Arbeit verschwendet ist, als sie

verdienten, hat es ungünstig gewirkt, daß Herodot lange so ziemlich als der einzige alte Vertreter des Ionischen

gegolten hat. Neben den Attikern erschien er als Dialektschriftsteller, während das die ältesten Attiker viel eher

waren, denn er war aus einer Stadt, wo Dorisch und Karisch viel mehr bodenständig waren als das Ionische, das man

bereits schrieb, weil es eben die Schriftsprache der Hellenen war. Und die antike Stilkritik hat an ihm eine ποικιλία,

eine Buntheit des Stiles nicht verkannt. Es ist sein persönlicher Vorzug, [18] daß er sich der verschiedenen Stilmittelbedient, wozu ihn der Gang seines Lebens befähigte; aber alles lag innerhalb der ionischen Schriftsprache, die es

ebenso wie einst die des Epos zu panhellenischer Geltung gebracht hatte. Sie mußte vorhanden sein, wenn im

sechsten Jahrhundert Pherekydes auf der unbedeutenden Insel Syros und Akusilaos von Argos in ihr schrieben, und

zwar in charakteristischen Dingen übereinstimmend. So haben es auch am Ende des fünften Jahrhunderts der Lesbier

Hellanikos, der Syrakusier Antiochos, noch später der Böoter Aristophanes getan. Für uns ist neben unschätzbaren

Bruchstücken anderer die Hauptmasse der ionischen Literatursprache in der hippokratischen Sammlung erhalten, wo

gleich das eine nie vergessen werden darf, daß die beiden wichtigsten Ärzteschulen von Kos und Knidos in

dorischen Städten wurzeln; über die Sprache der westhellenischen Ärzte läßt sich nicht sicher urteilen[27] . Die

hippokratischen Schriften stammen ganz überwiegend aus der Zeit 450 – 350, wohl meist 420 – 370. Es fehlt freilich

noch für die meisten die kritisch gesicherte Ausgabe, die von der preußischen und der dänischen Akademievorbereitet wird, aber wo die beste Überlieferung zu suchen ist, wissen wir, und an der Hand von Littrés

bewundernswerter [19] Ausgabe lassen sich Wortgebrauch und Stil auch jetzt schon sehr wohl untersuchen.

Es ist ein Glück, daß die alexandrinische Bibliothek nicht bloß Bücher, sondern den ganzen schriftlichen Nachlaß

aufgekauft und herausgegeben hat, der sich in ärztlichen Familien (hippokratischen, wie ich gern glaube) erhalten

hatte. Dem verdanken wir die Epidemien, unter denen sich die einzigen sicher von dem großen Hippokrates

herrührenden Stücke erhalten haben; in ihren Krankheitsgeschichten erscheinen Namen, die wieder durch einen

seltenen Glücksfall in zeitlich einigermaßen bestimmbaren thasischen Beamtenlisten wiederkehren. Auch die wirre

Masse der anderen Epidemienbücher war nur für den persönlichen Gebrauch eines Arztes bestimmt. Es ist eine

peinliche Versäumnis, daß hier die Analyse über die schönen Vorarbeiten Littrés hinaus immer noch nicht gediehen

ist, eine gar nicht schwere Aufgabe, die jedesmal von neuem lockt, wenn man die Bücher zur Hand nimmt. Formlos

ist das alles, und die Vorschriften über die Einrichtung einer Arztstube (τὰ κατ’ ἰητρεῖον) sind in kaum

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verständlichen abgerissenen Sätzen gegeben. Aber nirgend finden wir ein Stammeln aus Unvermögen, wie oft in den

archaischen Gesetzen, vielmehr ist die Herrschaft über die Rede so vollkommen, daß dem eilig nur für sich

Schreibenden die Andeutung durch kurze Schlagworte genügt; oft fehlen Verba ganz.

Diese Sprache ist eben allen Aufgaben gewachsen, und sie hat bereits feste Stilformen ausgebildet, innerhalb deren

sich das individuelle Können des einzelnen erst eindringender Forschung erschließen wird. Um das recht zu

würdigen, muß man freilich über die Sorte von Literaturgeschichte[28]

hinaus sein, die sich nur an die belles lettreshält, [20] die Dichtung in Vers und Prosa und vor allem die rhetorisch aufgeputzte „Rede“. Das war uns vererbt von

der Praxis der Kaiserzeit, wo diese Rhetorik schließlich auch angeblich wissenschaftliche Prosa schminkt und

parfümiert oder besser verstänkert: Älian zeigt es am unerträglichsten, aber auch Polyaen und manches von

Philostratos. Wenn es eine Wissenschaft gibt, schafft sie sich einen Stil, der gerade darum die höchste

Vollkommenheit erreichen kann, weil er anders ist als in der sog. schönen Literatur. Die sachliche Belehrung fordert

Klarheit und Kürze, wie sie die beste antike Rhetorik von der Erzählung verlangt. Aber auch das Ethos des

Schriftstellers wird lauter oder leiser mitklingen. Es gibt Zeiten, in denen die wissenschaftlichen Bücher allein das

Ausland zwingen, ihre Sprache zu lernen. Die ionisch schreibenden Arzte haben in dem wissenschaftlichen

Lehrbuche etwas erreicht, was den Namen klassisch so gut verdient wie eine demosthenische Rede. Das chirurgische

Hauptwerk auf der einen Seite, in dem zu festerer Geschlossenheit gesteigert wird, was die Schrift über Kopfwundenanstrebt, auf der anderen Seite die knidische Schrift, deren Einheit Littré erkannt, deren Stil Ilberg kürzlich in

vorbildlicher Weise, wenn auch kurz charakterisiert hat[29] , mögen die Lehrschrift hier vertreten, und man braucht

sich nur zu überlegen, daß erst die Tiergeschichte des Aristoteles ein vergleichbares Werk in attischer Mundart ist,

an der auch moderne Attizisten nicht ohne Mißbilligung die ionischen Züge wahrnehmen mögen. Es bleibt dabei,

daß [21] die Ionier die Schöpfer der griechischen wissenschaftlichen Prosa sind. Ilberg hat auch sehr schön die

Spuren des mündlichen Vortrages aufgezeigt, ähnlich wie in den Lehrschriften des Aristoteles. Zeigen läßt es sich

nicht mehr, daß die Ias, nicht die Doris der Pythagoreer die, mathematische feste Sprache begründet hat, aber

Hippokrates von Chios dürfte den Anfang gemacht haben, wenn die Vollendung auch erst in der Schule Platons

erreicht ist.

Das Grundbuch der knidischen Schule, das noch ganz archaisch gewesen sein muß, trug den Titel γνῶμαι Κνίδιαι,bediente sich also noch einer uralten Stilform, des Spruches, in dem der erfahrene weise Mann die Summe seiner

Erkenntnis zusammendrängt. „χρήματα χρήματ’ ἀνήρ sagte Aristodemos“ ist ein Beispiel aus dorischem Lande; die

Sprüche der Sieben treten dazu, von denen viele bereits anonym waren oder vielmehr geworden waren. So ist

entstanden, was wir Sprichwort nennen, und schon Hesiodos hat Sprichwörter wie Perlen auf eine Schnur gezogen.

Wenn dann wie in den knidischen Gnomen eine zusammenhängende Lehre in Sprüchen vorgetragen war, so ergab

sich ein eigentümlicher Stil. So hat Herakleitos geschrieben, so allem Anschein nach noch Demokritos in dem

Buche, dem die zahlreich erhaltenen echten Sprüche entstammen. Isokrates hält sich in den Reden an Nikokles an

diese Form, und die Trivialethik der Rede an Demonikos macht es nach. Für den Katechismus schickt sich das, daher

stellt Epikur seine κυρίαι δόξαι zusammen. In der Reihe der Krankheiten, ihrer Beschreibung und Therapie in π.

νούσων IV ist die Form potenziert[30] . Die hippokratischen Aphorismen sind eine [22] mehr oder minder

zusammenhanglose Sammlung der dem Arzte wichtigsten γνῶμαι. Und der Athener Kritias schreibt auch

Aphorismen. Sobald die Denker es dazu brachten, ihre Gedanken im Zusammenhange zu entwickeln, genügte die

aphoristische Gnome nicht mehr; wissenschaftliche Untersuchung bedurfte einer logischen Schulung, wie sie erst der

attische Geist in Platons Dialektik erreichte, aber die sophistische ἐπίδειξις anstrebte. Da blieb die Gnome immer

noch als ein fein geschliffener Edelstein, mit dem Tragiker und Komiker das Prachtgewand ihrer Dramen

schmückten; es durften auch falsche Brillanten darunter sein. Und in dem Apophthegma hat die alte Weise noch eine

Weile gedauert, auch darin, daß es auf den Urheber des Spruches besonders ankam. Es verlohnt sich aber auch, in

der altattischen Literatur auf die Stilisierung in Form der Gnome zu achten. Das ist bewußtes γνωμοτυπεῖν, wie sich

Aristophanes ausdrückt. Wer die Reden des Thukydides daraufhin durchsieht, wird bald merken, wie er gemäß der

Rhetorik seiner Tage Gnomen schmiedet und rundet[31] . In der kleinen hippokratischen Schrift π. τροφῆς sind die

Gnomen, die wesentlich durch die Form heraklitisch klingen, so lose eingefügt, daß man manche ohne Schaden

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Geschichte der griechischen Sprache 8

entfernen könnte. Das ist Unvermögen. Herodot ist selbst kein γνωμοτυπικός. Was so erscheint, wie das

vielbewunderte „mit dem Hemde legt die Frau die Scham ab“, legt er einem Redner in den Mund, und es kann sehr

wohl ein geläufiges Wort gewesen sein, das der Hörer wiedererkennen sollte. Aber es ist sehr hübsch und für die

bewußte Kunst in seiner ποικιλία [23] bezeichnend, daß er einmal Gnomen häuft: das soll die naive Rede eines

Mädchens charakterisieren[32] .

Herodot vertritt für uns glänzend den Stil der Erzählung und ebenso der Schilderung in den νόμιμα βαρβαρικά. Hierzunächst müßte der Anschluß an das Epos hervortreten, wenn sich die Prosa aus ihm gebildet hätte, was oft

behauptet wird, aber wo Herodot homerische Wendungen einflicht, ist es ein Zitat oder mindestens ein Anklang, der

als solcher erkannt werden soll; das fehlt auch in der Tragödie nicht. Auch die Einführung kleiner direkter Reden ist

mit Homer nur darum in Übereinstimmung, weil jede natürliche Erzählung die eingeführten Menschen sprechen läßt.

Indirekte Rede, die bei späteren Erzählern häufig wird, ist eine potenzierte Hypotaxis, schleppend überall; wenn sie

sich Apollonios im Epos erlaubt, empfinden wir es als anstößig. Geschaffen hat seinen Erzählungsstil Herodot gewiß

nicht, aber wir haben so gut wie nichts älteres zur Vergleichung. Er mag seiner Zeit schon etwas naiv geklungen

haben; Ion wenigstens hat alles überwunden, was archaisch klingen könnte, und hat damit etwas erreicht, was

keinem Athener gegeben war. Die letzten Bücher Herodots, zumal ihre Reden, zeigen auch den Fortschritt; er hat

noch an der jungen Rhetorik gelernt, wohl auch an dem gesprochenen Attisch von Politikern und Sachwaltern.Wer die Fülle historischer Erinnerung und poetischer Umgestaltung überschaut, die in der Heldensage steckt, kann

nicht bezweifeln, daß es neben der epischen Verarbeitung durch die Rhapsoden auch Erzähler gegeben [24] haben

muß, die sich der schlichten Prosa bedienten; die herodoteischen Erzählungen, die wir Novellen nennen (Periandros

und Lykophron, Hochzeit der Agariste z. Β.) sind gleicher Herkunft. Die ältesten erhaltenen Bücher der Art waren

von dem Syrier Pherekydes und Akusilaos, dann die Menge Bücher, die den Namen eines Atheners Pherekydes

trugen. Gerade hier, wo Anschluß an das Epos nahe lag, finden wir einen völlig anderen Stil, Erzählung im Präsens;

mich dünkt es für das Märchen sehr passend. „Sie machen sein Haus groß und hoch. Und als sie mit allem fertig

waren, mit Hausgerät, Knechten und Mägden, als alles bereit war, feiern sie die Hochzeit, und als der dritte Tag der

Hochzeit war, da macht Zeus ein großes schönes Kleid und webt hinein Erde und Ogen und des Ogen Wohnungen. “

So der Syrier Fr. 2 Diels. „Die Koineis beschläft Poseidon und macht sie zu einem Manne, einem unverwundbaren,der die größte Kraft unter den Männern jener Zeit hatte, und wer nach ihm stach mit Eisen oder Erz, ider erlag. Und

er wird König der Lapithen usw.“ So Akusilaos Fr. 22 Iac.[33] „Herakles spannt den Bogen wie zum Schusse[34] , und

Helios fürchtet sich und heißt ihn innehalten, und er hält inne, und Helios gibt ihm dafür den goldenen Becher, in

dem er fuhr, mit seinen Rossen, wenn er unterging, über den Okeanos, bei Nacht, nach Osten, wo er aufgeht. Danach

geht Herakles in diesem Becher nach Erythaia usw.“[35]  [25] Ich glaubte Proben vorführen zu müssen, denn mich

dünkt dieser Stil höchst merkwürdig, zumal wenn man die gleichzeitige Katalogpoesie daneben hält. Hekataios

scheint im Aorist erzählt zu haben, den andere Partien in den Büchern des „Pherekydes“ auch zeigen. Das historische

Präsens, wie es später bei griechischen Historikern gelegentlich vorkommt (von den Lateinern zu schweigen)[36] hat

hiermit nichts zu tun: das hat immer sein besonderes Ethos. Hier haben wir eine naive, volkstümliche Vortragsform,

in polarem Gegensatze zum Epos; aber Stil hat auch schon diese ionische Rede, und schon dieser Stil ist über das

ionische Sprachgebiet hinausgedrungen.

Die große geistige Bewegung, die wir Sophistik nennen, erzeugt schließlich die Rede des „wissenden“ Mannes, der

von seinem Wissen lebt, Vorträge hält, in welchen er eine Probe dieses Wissens vorzeigt, ἐπιδείκνυται, meist um

dadurch Schüler zu gewinnen. Auch von diesem Stil enthält nur die hippokratische Sammlung vollständige Proben,

geringhaltige wie περὶ φυσῶν, hochbedeutende wie die methodologische Erörterung über die alte Heilkunst. Wohl

empfindet der Leser auch hier noch, daß die dialektische Schulung fehlt, aber der Redner weiß zu disponieren und

trägt seine Gedanken klar und in einer Sprache vor, die der Fülle keineswegs entbehrt, aber den gleichmäßigen Ton

der ruhigen Belehrung festhält. Man stelle die Schrift über die athenische Verfassung daneben, die derselben Zeit

angehören wird: die Überlegenheit des Ioniers ist ganz gewaltig. Ein Protagoras konnte die Rede auch in ganz

anderer Höhenlage halten, ohne Anleihen bei der Poesie und ohne rhetorische Kunststücke; wir sehen es an der

Nachahmung [26] bei dem jungen Platon, und die wenigen Worte über das Sterben des Perikles bestätigen es und

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ergreifen durch ein verhaltenes Pathos. Was sein Landsmann Demokrit erreicht hat, ahnen wir nur von ferne.

Wer dies alles zusammennimmt, muß gestehen, daß die ionische Literatursprache bereits zu allem fähig war, und daß

es zunächst durchaus keinen Fortschritt brachte, als das Attische sich neben sie stellte, weil Athen die politische

Herrschaft über die Ionier und einige dorische Städte gewonnen hatte. Die megarischen Kolonien Byzantion und

Chalkedon waren eine Enklave im ionischen Sprachgebiet; begreiflich, daß nun die Sophisten Thrasymachos von

Chalkedon und Theodoros von Byzanz gleich die attische Sprache annahmen, als sie in Athen auftraten; desIonertums erwehrten sich ihre Städte dauernd, anders als Halikarnaß und die knidischen und koischen Ärzte. Im

Westen fühlten sich die ionischen (chalkidischen) Städte durch das Dorertum bedroht und setzten ihre Hoffnung auf 

Athen. Begreiflich, daß Gorgias von Leontinoi sich für das Attische entschied, zumal das Schriftionisch von seiner

Muttersprache nicht unbeträchtlich abwich[37] . Übrigens hielt er sich in dem Formalen (σσ z. Β.) an das Attisch der

Tragödie mit seinen Ionismen, und das haben ja auch die ersten Athener getan, die wie Antiphon und Thukydides

stilistische Kunstwerke liefern wollten. Insofern ist es von großer Bedeutung geworden, daß die maßgebenden

Lehrer der neuän Redekunst geborene Ausländer waren[38] : sie schöpfen nicht unmittelbar [27] aus der Sprache des

Lebens und werden im Wortgebrauche manches Fremde und noch mehr künstliche Neubildungen zugelassen haben,

zumal Gorgias, dessen höchstes Streben darauf ging, mit der Poesie zu wetteifern, denn diesem Zwecke dienen die

drei bekannten σχήματα, Antithese, Parisose, Reim, und in ihrer Einführung liegt seine dauernde Bedeutung[39]

.Das Attisch, das um 420 gesprochen ward, hat sehr anders geklungen als hundert Jahre vorher. Der Verkehr mit den

Bündnern, die Tausende von Ausländern, die dauernd oder vorübergehend in Athen lebten, zumeist Ionier, hatten es

erst für eine panhellenische Sprache geeignet gemacht. Die alten Herren klagten über das Eindringen von

Fremdwörtern[40] . Die Komiker hatten Gelegenheit, sich über die andern Mundarten und das Radebrechen der

Barbaren lustig zu machen, einzelne gelegentlich auch über ionische Aussprache[41] . Aber gerade eine Annäherung

des Attischen an die verwandte Sprache, die durch die Literatur ungleich reicher und biegsamer geworden war,

konnte nicht ausbleiben, wie umgekehrt das Ionische manche Sonderbarkeiten abstieß: das ὅκως u. dgl. schwindet

nun selbst in Kleinasien. Die Verträge Spartas mit den Persern, die wir bei Thukydides lesen, sind ohne Zweifel

ionisch abgefaßt worden; aber verschwindend weniges ist jetzt darin, was nicht auch attisch wäre.

[28] Wir sind ja allein für diese Zeit in der Lage, uns von der gesprochenen Rede der Athener eine leidlich klare

Vorstellung zu machen. Die Komödie zeigt, wenn wir abziehen, was sie mit Absicht Tragisches oder sonst

Erhabenes einmischt, ein poetisches Abbild der Volkssprache, aber erst durch die Vaseninschriften lernen wir auch,

wie die Ungebildeten sprachen, θρόφος und νύφη und Ὀλύττης und παυς für παῖς. Fluchtafeln des vierten

Jahrhunderts sind korrekter, aber es steht doch neben dem normalen καταδῶ sowohl καταδέω wie καταδήω. So

etwas soll man nicht vergessen, wenn die Formen in den Inschriften anderer Dialekte schwanken. Wie dann die

Jugenddialoge Piatons und der Sokratiker, die ihm folgen, die Umgangssprache der Höchstgebildeten zeigen, wie

Lysias neben Rhetorisch stilisiertem auch einfaches Attisch schreibt, Isokrates nach Überwindung der gorgianischen

Künsteleien die periodisierte Rede schafft, Platon in seiner späteren Entwicklung einen Stil findet, der ohne Anleihen

bei den poetischen Kunstsprachen mit der höchsten Poesie wetteifert, schließlich Menander ohne Zimperlichkeit das

Attisch nimmt, wie es die Bürger sprachen, während Demosthenes in der Wortwahl eine Selbstbeschränkung zeigt,

durch die die Sprache Gefahr lief, zu verkümmern, und doch in manchem, z. Β. dem Gebrauch des Perfekts,

Hellenistisches vorweg nimmt, das alles sind entscheidende Fortschritte, die uns allen hinreichend geläufig sind.

Xenophon, der geborene Athener, zeigt, wie das lange Leben im Auslande sein Attisch gefärbt hat, obgleich er auch

den Einfluß der rein attischen Sokratiker erfahren hat. Proben von dem Attisch, das Ausländer schreiben, sind aus

der Übergangszeit ungenügend vorhanden; am merkwürdigsten durfte der Arzt Diokles von Karystos sein, denn er

schreibt in seinem populären diätetischen Werke, aus dem die meisten wörtlichen Bruchstücke stammen ein

einfaches fließendes Attisch, das sich doch im [29] Stile von dem Ionisch der jüngeren Hippokrateer nicht allzustark

unterscheidet, so daß man den keineswegs schroffen Übergang gut beobachten kann [42] . Gegen 350 ist die

Herrschaft des Attischen in der gesamten Literatur unbestritten (Nachzügler mit ionischen Büchern ändern daran

nichts) und als Philippos von Makedonien in seiner Kanzlei attisch schreiben läßt und dazu gewiegte Literaten

heranzieht, sind auch die spröden Kleinstaaten, die an ihrem Dialekt festzuhalten versuchen, gezwungen, die Sprache

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der Diplomatie anzuerkennen[43] . Für die Makedonen ist sich hellenisieren dasselbe wie Attisch lernen, und es kann

gar nicht anders sein, als daß die Grammatisten aller Orten nun zugleich Lehrer des Attischen sind, d. h. der auf dem

Attischen beruhenden panhellenischen Schriftsprache, und daß auch die Hellenen, die zu Hause noch ihre heimische

Mundart sprachen, im mündlichen und schriftlichen Verkehr mit allen anderen Hellenen sich so gut es ging eben

dieser Sprache bedienten. Die Rolle dieses Griechisch ist keine andere als die unseres Hochdeutsch. Selbst mit seiner

epirotischen Mutter hat Alexander in dieser Sprache korrespondiert; sie haben seine und seiner Nachfolger

Untertanen als die Herrensprache gehört und viele haben sie sprechen, manche schreiben gelernt, der Chaldäer

Berosos und der Ägypter Manetho. Auch Karthager und Römer mußten die Weltsprache lernen: nur in ihr haben

Hannibal und Scipio sich unterhalten können. Natürlich hat die [30] Sprache hellenisch geheißen und was die

Athener Besonderes hatten, war Dialekt[44] so gut wie Böotisch oder Chalkidisch.

Wenn man will, mag man diese Sprache κοινή nennen, mache sich aber klar, daß damit nichts weiter gesagt ist als

„Gemeinsprache“, also dasselbe wie „Hellenisch“. Allein passend für uns ist „Hellenistisch“, weil wir so die ganze

Periode zum Unterschiede von der älteren Zeit nennen. Meist verbindet man noch heute mit der κοινή ein Werturteil,

denkt an ein verdorbenes, ausgeartetes Attisch, wenn nicht gar gänzlich widergeschichtliche Hypothesen über die

Entstehung der κοινή aufgestellt werden. Da herrschen immer noch die reaktionären Grammatiker der Kaiserzeit, die

Phrynichos und Pollux und Moeris, und von deren Standpunkt angesehen ist alles verwerflich, was die Ἕλληνες imGegensatze zu den Ἀττικοί in den Mund nehmen; sie wirtschaften ja mit diesem Gegensatze. Ihnen genügen schon

Menander und Hypereides nicht; sie würden auch die Vorlesungen des Aristoteles verworfen haben, wenn sie sie

gelesen hätten. Es ist noch nicht lange her, daß man das Griechisch des Lukianos von Samosata als klassisch neben

Lysias rückte und das des Polybios verwarf. Gewiß, wer wird nicht den Formenreichtum der ionischen und attischen

echten Klassiker bewundern; da ist die Sprache ebenso unvergleichlich schön wie die Kunst der Schriftsteller. Aber

geschichtliche Betrachtung muß auch der weiteren Sprachentwicklung gerecht werden. In dem Verluste des Duals,

der schon im Ionischen eingetreten war, in manchen lautlichen Veränderungen (z. Β. dem Schwund der Diphthonge

ᾱι, ηι, ωι, der auch schon im Ionischen sehr weit ging) [45] , [31] in dem Absterben mancher Modi, der meisten

Präpositionen mit Dativ, dem Vordringen des Perfekts mit manchen bedenklichen Neubildungen, der

Vermischungund der genera verbi, den bedeutungslosen doppelkomponierten Verba und anderem von der Art magman Verfall sehen. Aber dasselbe Bild zeigt uns die Geschichte jeder modernen Sprache. Auch unser Deutsch kann

man gegenüber der mittelhochdeutschen Dichtersprache verfallen nennen, vom Englischen gar nicht zu reden. Allein

wie hier gilt es auch für das hellenistische Griechisch, daß die formale Einbuße durch die Befähigung, alles sagen zu

können, aufgewogen wird. Versuche doch einer, die Partien ins Attische zu übersetzen, in denen Strabon die

physische Geographie behandelt. So lange eine Sprache lebt, muß sie sich wandeln, und wenn die Schriftsprache

sich auch lange hält, wird neben ihr eine gebildete Umgangssprache entstehen, wie der Engländer sein colloquial

 English unterscheidet und ein hochgebildeter Italiener mir gesagt hat, daß sie alle zwei Sprachen nebeneinander

brauchten. Allmählich dringt dann mehr und mehr von der gesprochenen Rede in die Schriftsprache ein, und das

scheint in dem hellenistischen Griechisch besonders rasch geschehen zu sein. Eben darum ist die sog. κοινή das

Griechisch der drei hellenistischen Jahrhunderte, sobald man es nicht lediglich auf das Grammatische ansieht, garkeine Einheit, nicht nur weil es ganz verschiedene Stile umfaßt, auch wenn wir von der Poesie ganz absehen,

sondern weil es sich in der langen Zeit verändert, geschrieben ebensowohl wie gesprochen.

Dieses Hellenistische zu erobern ist eine schwere und schöne Aufgabe, die sich neben die Eroberung der ionischen

Literatursprache stellt. Beides wird sich berühren, denn [32] es konnte ja gar nicht anders sein, als daß jenes Ionisch

vornehmlich, aber nicht allein, im Wortschatze weiter wirkte, auch nachdem in den grammatischen Formen das

Attische zur Herrschaft gekommen war. Das ist namentlich von Wackernagel öfter gezeigt. Im ganzen aber kennen

wir das Hellenistische noch unzulänglich, und es ist verzeihlich, da die Aufgabe erst spät erkannt ist. Die Hauptsache

war, daß die Störung der geschichtlichen Entwicklung durch den Attizismus begriffen ward. Uns scheint es heute

kaum faßbar, daß noch ein Mann wie Rudolf Hercher die apollodorische Bibliothek dem großen Grammatiker

Apollodoros zuschreiben konnte. Der Glaube an ein besonderes neutestamentliches Griechisch spukt wohl noch,

aber die Bücher, die ihn im Titel tragen, haben ihn überwunden[46] . Unzureichend wird unsere Kenntnis immer

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bleiben, weil wir so jämmerlich wenig aus den Jahrhunderten besitzen, in denen die literarische Produktion überaus

reich war, nicht nur quantitativ, sondern auch vielstimmig}. Wir wissen zwar, daß es eine menippische Satire gab,

Mischung von Versen und Prosa, aber wie sie war, ahnen wir nicht. Wer hätte so etwas erwartet wie den historischen

Dialog des Freiburger Papyrus oder die Debatte zwischen Demades und Deinarchos? Trotz unserer Armut werden

wir das Ganze noch gar nicht in Angriff nehmen können, sondern erst den verschiedenen faßbaren Stilgattungen zu

Leibe gehen [33] müssen, mit denen die Dokumente des nicht literarischen Griechisch nicht zusammengeworfen

werden dürfen.

Es hat sich so gefügt, daß uns besonders viel Texte erhalten sind, die gar kein wirkliches Griechisch sprechen,

sondern von Juden, Ägyptern und Römern herrühren. Die Juden bieten das stammelnde Übersetzergriechisch der

LXX, in sich nicht einheitlich, ergiebig fast allein für den Wortschatz. Auffällig viel weist auf das Ionische. Andere

Schriften wie Makkabäer II und III, die Weisheit Salomos sind hellenistisch geschrieben, aber doch von Ausländern.

Das gilt auch noch von Paulus, obwohl Griechisch seine Muttersprache war, beeinträchtigt aber nicht den auch in

dieser Hinsicht einzigen Wert seiner Briefe, denn wie später bei Epiktet sprudelt hier frisch die gesprochene Rede,

und nur selten greift er nach den schlechten Künsten der Rhetorik, wie er sie in der tarsischen Schule gelernt hat,

auch für sie ein wichtiger Vertreter. Auch noch Philon ist von dem Klassizismus nicht verdorben und wohl geeignet,

uns seine stilistischen Vorbilder einigermaßen zu ersetzen.Das plebejische Griechisch in den ägyptischen Papyri klingt anders. Da sollte man zunächst abziehen, was halb oder

ganz ungebildete Ägypter schreiben; ihre orthographischen und grammatischen Schnitzer gehören gar nicht in die

hellenistische Grammatik. Wilckens neue Ausgabe hat viel Licht verbreitet, indem er die Handschrift des κάτοχος

Ptolemaios und seines nichtsnutzigen Bruders Apollonios erkannt hat. Weg mit ihnen und ihresgleichen. Wir haben

auch genug von ungebildeten Griechen aus Ägypten, und es dünkt mich, daß da nur weniges nach dem Ionischen

klingt. Sie stammten auch mehr aus hellenisierten Gegenden Asiens, aus Makedonien, Thrakien, Kreta. Die Juden

dürften ihr Griechisch aus dem Seleukidenreiche haben, in dem wir eine starke Einwanderung aus den echt ionischen

Städten nachweisen können. Über die Niederungen erhebt sich die [34] Korrespondenz der höheren Beamten der

ersten Ptolemäer, mit der man die offiziellen διαγράμματα der königlichen Kanzlei vereinigen mag. Wir brauchen

eine handliche Sammlung, die sich um die Zenonpapyri gruppieren mag, unter Euergetes I. aber nicht herabgehen[47]

, damit die Sprache des dritten Jahrhunderts rein herauskomme.

Das gut kenntliche Übersetzergriechisch des römischen Senates steht nicht höher als das der rohesten

Bibelübersetzer, aber die Formen sind trotzdem während der Republik beibehalten. Die Briefe der vornehmen

römischen Beamten stehen höher, schon weil sie gleich griechisch abgefaßt sind. Zwischen Antonius und Augustus

fällt die Abwendung von dem „asianischen“ Stil. Offenbar hat der Schulunterricht bereits Anleitung zum Brief 

schreiben gegeben, wie er es schon bei den Ägyptern getan hatte. Vornehme Sprache in künstlichen Perioden ward

gefordert. Musterbriefe sind in Memphis erhalten, und Wilcken[48] sagt treffend, daß sie ebensogut aus einem

anderen Königreiche stammen könnten. Gern vergleicht man damit die Widmungsbriefe, welche Apollonios von

Perge den Büchern seiner Κωνικά vorausgeschickt hat, denn ihr Stil kontrastiert scharf mit seiner wissenschaftlichen

Prosa. Nach dem formelhaften und doch besonders abgetönten Eingange folgt bald eine ungeheure Periode, die aber

glatt und übersichtlich abläuft. Die Sprache ist in allem hellenistisch, Hiatus nicht vermieden [49] . Die

Verwandtschaft mit den Urkunden, die [35] auf Stein erhalten sind, ist unverkennbar. Auch sie streben Fülle und

Würde an, die alte klassische Kürze ist aufgegeben; die Gehaltlosigkeit hatte den rhetorischen Aufputz als Ersatz

auch bitter nötig. Der Aufbau der Sätze und die Formeln sind überall im wesentlichen dieselben, wo sich in den

hellenischen Gemeinden Selbstverwaltung oder doch ihr Schein erhalten hatte. Daher gelingt den Epigraphikern die

sichere Ergänzung schwer verstümmelter Urkunden, wenn ihr Gedächtnis die Parallelen beizubringen weiß [50] . Die

Epigraphik ist auch imstande, aus den Schriftformen die Zeit oft bis auf ein Menschenalter zu bestimmen. Die durch

die Königsjahre datierten Urkunden Ägyptens treten dazu, so daß sich wenigstens von diesem Stil die Entwicklung

vom vierten bis in den Anfang des ersten Jahrhunderts verfolgen läßt. Die Briefe und Erlasse der Könige, so weit sie

aus der Kanzlei stammen, reihen sich hier leicht ein. W. Schubart [51] aber hat mit feinem Stilgefühl einige wenige

ausgesondert, deren individuelle Fassung die Hand oder das Diktat des Königs erkennen läßt, was dann immer ganz

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besondere Beachtung verdient, gerade weil es von dem Kanzleistil absticht. Damit dieser in seiner Entwicklung uns

die Sprachgeschichte zeige, ist eine zusammenfassende Prüfung der Formeln nach Zeit und [36] örtlicher

Verbreitung notwendig; Beobachtungen über den Wortgebrauch werden sich von selbst einstellen, sicherlich auch

manches für Erklärung und Ergänzung abfallen[52] .

Die Urkunden der Städte, welche im inneren Dienst an ihrem Dialekt festhalten wollten, tragen bald fast überall nur

noch in den sprachlichen Formen ein heimisches Gewand, selbst die Wörter sind zum großen Teil entlehnt, der Stildurchaus. Da erwächst uns die Aufgabe, die Verdrängung der Dialekte zu verfolgen, und das ist mit der

verdienstlichen Sammlung der Dialektinschriften nicht möglich, die nur die vereinzelten alten Formen ausnotierte.

Athen ist wie in allem am konservativsten; in Ionien ist nach Alexander etwas Ionisches eine Rarität; nur einzelne,

sogar ungriechische Wörter finden sich[53] . Die Äoler haben sich bemüht, ihre Sprache beizubehalten, aber schon in

den großen Urkunden aus Eresos und Nasos liegt die allgemeine Kanzleisprache zugrunde, für die Athdn vorbildlich

war, und es ist schwer zu entscheiden, wann die Äolismen archaistische Künstelei wurden[54] . Eine Frage ohne

Antwort bleibt, ob sich das Volk die Barytonese abgewöhnt hat[55] . Die Böoter werden schwerlich die Vokale

anders gesprochen [37] haben, als sie aufhörten, ihren Dialekt zu schreiben; das Land war in den Kriegen Sullas ganz

verwüstet und entvölkert; künstlicher Dialekt ist schon damals unverkennbar, wenn so etwas wie ῥαψαϝυδός

geschrieben wird. In dem Bunde der Achäer ist eine Art dorischer Gemeinsprache ausgebildet, an die sich auch dieÄtoler, Messenier und Eleutherolakonen gehalten haben; dem wird die gebildete Umgangssprache entsprochen

haben, aber es ist nur der Vokalismus und etliches in den grammatischen Formen von der panhellenischen Sprache

verschieden. Diese Sprache dringt über die Grenze nach Arkadien, dessen niemals ganz einheitlicher Dialekt sich

früh zersetzt[56] . Es ist für das von Epaminondas geförderte Streben nach einer Einigung der Arkader bezeichnend,

daß die μύριοι attisch geschrieben haben[57] . Das alte Sparta hatte nicht geschrieben; die Urkunden sind nach

seinem Untergang teils achäisch-dorisch, teils attisch; aber im Volksmunde hielt sich die alte Mundart, natürlich

immer mehr verwildert. Die erhaltenen Glossen sind noch aus vorchristlicher Zeit; einiges holte die Romantik des

zweiten und dritten Jahrhunderts mit der spielerischen Erneuerung der alten ἀγωγά für die Knaben wieder hervor [58]

. Die kretischen Urkunden hellenistischer Zeit sind von Einflüssen der Schriftsprache ziemlich frei[59] ; Fehler, die

sie erzeugt, sind der stärkste Beweis für die kretische Unbildung, und die kretische Zwietracht sorgt dafür, daß kein[38] einheitliches Kretisch entsteht, selbst als es ein κοινὸν Κρηταέων gibt. Der Verfall der Sprache ist stark; alles

macht sie dem Grammatiker besonders interessant. Mit der römischen Herrschaft versinkt die Insel ins Dunkel. Kein

Zweifel, daß die Volkssprache in den Bergen dauerte; so mag manches Wort noch heute leben. Ganz anders stand es

um die Doris von Knidos, Kos und Rhodos[60] , die an Wohlstand und Bildung in der ersten Reihe standen. Eben

darum schrieben ihre Bürger keine Bücher im Dialekt, wohl aber noch Timachidas die Tempelchronik von

Lindos[61] . Die Blüte von Knidos war kurz, die von Kos zerstört der Tyrann Nikias; es hat sich niemals ganz erholt,

und auf die sprachliche Färbung der späteren Ehreninschriften kommt nichts an. Aber Rhodos blieb ansehnlich und

hielt an einer Doris fest, die der Volkssprache noch in der Kaiserzeit entsprochen haben wird. Gerade diese Doris

wird den übrigen Griechen am leichtesten verständlich gewesen sein, denn sie enthält kaum anstößige Laute [62] , hat

die Härten in vielem gemildert, und da der geistige Einfluß des früher entwickelten Ioniens stark gewesen war, derVerkehr des großen Handelsplatzes nach allen Seiten ging, war auch der Wortschatz ziemlich ausgeglichen.

Im Westen hätten die ionischen, achäischen, lokrischen Städte ihre Sprachen eingebüßt; höchstens Neapel hat sich

der Doris entzogen, die wir nach spärlichen Proben sonst überall voraussetzen können. Nach dem Fall von Syrakus

hört alles literarische Leben in Westhellas auf, wenn die [39] Sprache der Romanisierung auch nicht erliegt und auf 

das gesprochene Latein einwirkt. Aber Syrakus hatte noch zuletzt in Archimedes einen Mann ersten Ranges gehabt,

und der schrieb sein Dorisch, obgleich er auf Verständnis seiner Entdeckungen zu Hause nicht rechnen konnte.

Wenn wir seine Werke jetzt zumeist in das gewöhnliche Griechisch umgesetzt lesen, so ist der Schade gering, denn

was kommt auf α für η und ω, ein paar Pronomina und etliche Flexionen an. Lese man den Brief an Eratosthenes:

diese einfache, klare, ganz sachliche Sprache hat nicht derjenige gemacht, der ihr die dorischen Farben abgewischt

hat[63] , sondern Archimedes dachte nicht anders als Konon oder Eratosthenes und drückte sich auch nicht anders

aus[64] . Es ist die wissenschaftliche Prosa des reifen Hellenismus, nicht nur in den streng mathematischen Partien,

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Geschichte der griechischen Sprache 13

und es wird schwer fallen, etwas von den Erscheinungen aufzuzeigen, die für die Entartung· der κοινή

charakteristisch sind.

Da kommt gleich an den Tag, wie unbrauchbar dieser Begriff ist, sobald man an die hellenistische Literatur geht.

Denn was haben ihre Formen anders gemein als das von einigen Besonderheiten (ττ z. Β.) befreite Attisch. Man lernt

in der Schule überall das h sprechen und α purum setzen, und was solcher Bagatellen mehr ist. Die Wortwahl ist frei,

der Stile gibt es mehrere, auch bewußter Gegensatz zu dem klassischen Attisch des vierten Jahrhunderts kommt vor,und wie sollte er nicht auch in der Prosa seine Vertreter gefunden haben, wo die Poesie des hohen Hellenismus [40]

sich von den attischen Gattungen abkehrt. Diese Stile gilt es erst einmal einzeln zu fassen. Das ist schwerer, aber

nicht minder wichtig, als die absterbenden Mundarten und das Halbgriechisch der Barbaren zu untersuchen, obgleich

meine flüchtige Übersicht auch dazu anfeuern möchte. Hier empfinde ich meine Unzulänglichkeit auf das stärkste,

aber eben darum weise ich auf das hin, was uns fehlt.

Nehmen wir einmal Epikur, der ist zwar ein Athener, aber zu den Attikern oder den Klassikern hat ihn niemand je

gerechnet. Er kann zwar den Brief an Menoikeus ganz nach dem rhetorischen Rezept in wohlgerundeten Perioden

mit Antitheta und Parisa schreiben, vielleicht mit völliger Vermeidung des Hiatus; aber das ist Ausnahme. Aus den

Briefen haben seine Gegner gewaltsame Neubildungen und verstiegene Wendungen aufgegriffen, und ich gestehe,

daß mir in dem Briefe an Pythokles recht vieles unverständlich bleibt, in den Resten des Hauptwerkes erst recht, unddas kann nicht allein an der Verstümmelung liegen. Er ist ein eigenwilliger Schriftsteller und doch so bedeutend, daß

er eine eingehende stilistische Behandlung verdient, zu der eine vollständige Aufnahme seines Sprachschatzes

gehört, wie sie jetzt jeder wertlose Papyrusfetzen findet. Dann sein Enkelschüler Polystratos, ein nachlässiger

Schriftsteller, der sich endlos wiederholt, aber nur die Wortwahl, die hier ein Index zu übersehen gestattet, bringt

Modernes. Sonst dürfte es schwer fallen, die sprachlichen Erscheinungen aufzuzeigen, welche für die κοινή als

bezeichnend gelten. Das gilt erst für Philodemos; da besitzen wir in Crönerts  Memoria Herculanensis eine sehr

dankenswerte grammatische Arbeit, die aber zum Teil die Gewohnheiten der Schreiber angeht. Syntax und Stil

fordern noch eine zusammenfassende Darstellung, damit die Ergänzung eine größere Zuverlässigkeit erlangt; es wird

sich dann auch über die Verfasserschaft anonymer Rollen sicherer urteilen lassen. Es ist ja damit [41] nicht abgetan,

daß der Verfasser anmutiger Epigramme eine unausstehliche Prosa schreibt. Seiner Zeit kann sie nicht so erschienensein, und wenn Dionysios auch von seinem Standpunkt die meisten hellenistischen Prosabücher unlesbar fand, so

steckt doch auch in ihm noch viel von der breiten Geschwätzigkeit.

Das waren drei Vertreter einer Schule. Für die anderen steht es nicht so gut. Von der Stoa übersehen wir zwar die

philosophische Terminologie, aber weiter nichts, und von Chrysippos ist doch so viel im Wortlaut erhalten, daß es

Anhalt bieten muß, auch in Referaten seine Worte zu erkennen. Wir wissen, daß er sich Vulgarismen wie μέντον

erlaubte, doch wohl um den Hiatus zu vermeiden. Ein Künstler ist der Vielschreiber schwerlich gewesen, aber wie

Epikur mag er in populären Schriften auch rhetorische Eleganz angestrebt haben. Das haben von den Peripatetikern

Lykon und Ariston getan, und für Kritolaos spürt man dasselbe in dem Referat bei Philon in der reichen Schrift über

die Unzerstörbarkeit der Welt. Endlich Poseidonios, dessen Einfluß, auch wenn Reinhardt den Übertreibungen ein

Ende gemacht hat[65] , in der Philosophie stark gewesen ist. Dazu hat sein Stil nicht wenig beigetragen, weil er sich

hoch über die dürre Schulsprache erhob. Hier haben wir dank Gunnar Rydberg[66] eine eindringende Untersuchung

der Sprache, die auch die Nachwirkungen verfolgt. Natürlich hatte sich Poseidonios auch sprachlich an den

Klassikern, Platon vor allem, genährt, aber daß er ein großes originales Talent besaß, lehren schon die Reste seiner

Geschichte, [42] deren Stil wir zwar nicht unmittelbar auf die anderen Schriften übertragen dürfen, aber wenn sich

hier das Ethos des Philosophen, die allseitige Gelehrsamkeit und Liebe und Haß des rhodischen Politikers verrät, so

wird er allem eine persönliche Note aufgedrückt haben. Er zog auch die Rhetorik in den Kreis seiner Vorlesungen;

da mag der Gegensatz zu Panaitios und Diogenes von Babylon stark gewesen sein, denen wir stilistische Vorzüge

nicht wohl zutrauen können. Wenn Strabon auch in den geographischen Schilderungen eine ῥητορεία fand, die ihm

zuwider war, so hat Poseidonios sich immer über das reine διδασκαλικόν erhoben. Es wird wohl dabei bleiben, daß

er auf die rhodische Rhetorik, wie sie später Theodoros vertrat, bestimmend gewirkt hat, und daß Philon und die

Schrift περὶ ὕψους in diesen Kreis gehören.

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Geschichte der griechischen Sprache 14

Aus der Akademie haben wir in den νόθα die Thrasyllos seiner Platonausgabe beifügte, Nachahmungen, von denen

höchstens der Axiochos etwas ausgibt, weil er die jüngste Schrift ist. Auch Krantors vielbenutzte Trostschrift gegen

die Trauer ist unergiebig. Dann haben Arkesilaos[67] und Karneades, von denen die Gedanken stammen, überhaupt

nicht geschrieben, und der Karthager Kleitomachos spricht nur in Übersetzungen zu uns. Da heißt es auf Nachklänge

achten, denn wenn Plutarch gelehrt gegen Stoiker und Epikureer polemisiert, liegt Jungakademisches zu gründe, in

der Schrift über die ethische Tugend Peripatetisches, bei Sextus die akademische Skepsis und die des Ainesidemos.

Die Untersuchung muß in solchen Fällen immer von den Benutzern ausgehen.

Unschätzbar ist, was uns Photios (cod. 250) von dem [43] Knidier Agatharchides erbalten hat. Er nennt ihn geradezu

einen Attizisten[68] , was freilich ein voreiliger Schluß aus der Kritik des Hegesias ist. Denn in seiner Schilderung

der ἐρυθρὰ θάλασσα redet er zwar sachlich und verfügt über eine Fülle wohlgewählter und bezeichnender Wörter

und will klar und bestimmt sprechen, γένος διδασκαλικόν, aber das ist keine Nachahmung, und in der Kritik der

Mythologie, die uns recht überflüssig vorkommt, gibt es auch sehr modisch gebaute Sätze, auch mit modernen

Wörtern[69] . Uns ist am wichtigsten seine erregte Kritik des Hegesias, denn sie beweist, daß dessen Stil für viele

vorbildlich war, was durch Titel in dem neu gefundenen rhodischen Bücherverzeichnis und die offenbar aus dem

Gedächtnis genommene Verherrlichung Athens bei Strabon bestätigt wird[70] . Ein Rhetor, den Varro hochhielt,

Cicero noch bekämpfen mußte, kann unausstehlich, aber unbedeutend kann er nicht gewesen sein. Da haben wireinen kommatischen Stil in bewußtem Gegensatz zu den Perioden des Isokrates, dabei trotz vulgären Wörtern ein

μεγαλοπρεπές, und die drei bekannten Klauseln, nur den Doppeltrochäus zum Ithyphallikus erweitert. Wenn er

diese Klauseln erfunden haben sollte, sind ihm auch Gegner gefolgt und muß er unter die einflußreichsten

Gesetzgeber, besonders für die Lateiner gelten. Das ist die Hauptsache, [44] daß wir einigermaßen begreifen, wie

nichtssagend ein Schlagwort wie die κοινή ist, wenn wir mit ihm an den Reichtum und die Gegensätze in der

Literatur des Hellenismus gehen. Die bombastische Inschrift des Antiochos von Kommagene hat die Klauseln des

Hegesias, aber sie strebt das Fortissimo der Erhabenheit an. Mit den drei σχήματα oder χαρακτῆρες oder γένη (es

ist praktisch ziemlich einerlei, welcher Terminologie man folgt) kommt man nicht aus. Die rhodische Rhetorik, die

wir bei dem auctor ad Herennium finden, reicht auch nicht, so unentbehrlich sie ist. Die Gerichtsrede, für die

Hermagoras allein etwas bedeutet, kennen wir vollends nicht.Sehen wir zuletzt noch die Geschichtsschreibung an, so leuchtet wenigstens so viel ein, daß nicht alle in ihr eine

Aufgabe des Rhetors fanden, wie es im vierten Jahrhundert geschehen war. Ein alter Verwaltungsbeamter wie

Hieronymos, ein Staatsmann wie Arat, würde gar nicht imstande dazu gewesen sein. Daß sie gleichwohl schrieben,

daß die Fähigkeit zum Schreiben ganz weit verbreitet war, ist die Hauptsache, wie es geschah, aber damit durchaus

nicht gesagt. Nur ist immer vorauszusetzen, daß keiner schrieb, wie er im Leben sprach, aber auch keiner ein

klassisches Muster nachahmte. Vom Stile der Duris, Phylarchos, Timaios sogar haben wir kaum eine schattenhafte

Vorstellung. Polybios und Poseidonios sind im Wollen und Können ganz verschieden, obwohl beide von allen

archaistischen Anwandlungen frei sind, also manches zulassen, was dem Klassizisten ein Vulgarismus ist.

Poseidonios ist ein geistvoller Mann und ein Künstler. Daß Polybios zum Schriftstellsr nicht geboren war, darüber

darf uns die Dankbarkeit für das Viele und Große nicht hinwegtäuschen, das wir ihm inhaltlich verdanken. Er hat es

sich auch nicht träumen lassen, daß er zum Historiker werden sollte, wenn er auch eine Biographie als Nekrolog für

Philopoimen verfaßte. Die unfreiwillige [45] Muße in Rom wies ihn an eine große Aufgabe; an Timaios setzte er an,

der ihm zuwider war, aber doch abgefärbt haben dürfte. Seine weitschweifige Art zu erzählen und noch mehr zu

belehren wiederholt oft dieselben Worte und Wendungen, die Berührung mit der Sprache der Urkunden ist

unverkennbar und hat zu der Ansicht verführt, daß es für die hellenistische Sprache allgemein gelte. So viel ich sehe,

trifft es für keinen anderen Historiker zu, aber bei dem Offizier, der in Rom die vornehmsten Herren in das

Griechisch einführte, das für sie wichtig war, ist das begreiflich. So wird diese Sprache dem gesprochenen

Diplomatengriechisch näher stehen als die Werke der Literaten[71] . Noch nachdem die sprachliche Reaktion

eingesetzt hatte, finden die hellenistischen Stile ihre Vertreter, außer den asianischen Rhetoren bei Seneca und

Philodem haben wir in Diodor einen Kompilator, der seine Vorlagen in verwaschenem, farblosem Griechisch so

auszieht, daß sie öfter durchscheinen; pr meint aber gut zu schreiben. Strabon schreibt mit sachlicher Nüchternheit

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Geschichte der griechischen Sprache 15

klar und verständlich eine wissenschaftliche Prosa; er weiß von den Kämpfen der Rhetoren und verachtet sie (S.

625). Der Wortschatz ist bei beiden noch ganz hellenistisch. Über Philon und Paulus habe ich schon oben ein Wort

gesagt. In die nächste Periode trete ich nicht ein.

[46] Drei große Aufgaben habe ich vorzuführen versucht, die auf dem Gebiete der Sprachgeschichte vor uns liegen,

die Ansätze zu einer Prosa in den Dialekten, die es zu keiner Schriftsprache gebracht haben, was uns auch zu der

Erfassung des Unterschiedes in der Sprache der ersten Einwanderer und der dorisch im weiteren Sinne zu nennendenführen soll. Zweitens die ionische Schriftsprache, drittens das geschriebene Hellenistisch in seinen verschiedenen

Stilen. Wie sollen wir diese Aufgaben bewältigen? Von einem Thesaurus linguae Graecae will ich gar nicht erst

reden. Er wird wohl nie kommen, und wer jetzt von ihm träumt, ahnt nicht, was alles vorher getan werden muß, ahnt

nicht, daß ein Lexikon nicht mehr als den Wortschatz und allenfalls den Bedeutungswandel angeben kann; schon die

Synonymik bleibt draußen, und die Entwicklung des Stils vermag weder Lexikon noch Grammatik zu geben. Sollen

wir nun eine große Organisation schaffen, Grundsätze aufstellen, Pläne entwerfen, Leiter einsetzen, Bearbeiter

werben? Gott bewahre uns davor. Organisationen der Art sind gut, um Material zu beschaffen, und selbst da erfährt

man, daß sie nur Erfolg haben, wenn Männer da sind, welche wissen, worauf es ankommt und selbst mitarbeiten,

und wenn Arbeiter da sind, die befähigt und gewillt sind, auszuführen, was die Wissenschaft jetzt gerade verlangt. Ist

der rechte Mann da, so vermag er als einzelner in derselben Weise zu wirken. Es ist mir Herzenssache, hier einmalöffentlich auszusprechen, daß ein solcher Mann in Hugo Rabe unter uns wirkt, denn was er und seine Mitarbeiter für

die griechische Rhetorik geleistet haben und hoffentlich auch weiter leisten werden, ist darum nicht geringer, daß nur

wenige darauf achtgeben. Möge er sich entschließen, das viele, was er allein über die Rhetoren und die

Byzantinerzeit weiß, noch einmal zusammenfassend, sei es auch noch so kurz, auszusprechen.

[47] Ich habe versucht, die Aufgaben der Sprachgeschichte im groben vorzuführen, aber immer gesucht, das zu

bezeichnen, was ein einzelner ohne weiteres angreifen und bewältigen kann. Darauf kommt es an, daß er etwas

persönliches leistet, an dem er seine Freude hat, denn Arbeit muß Freude machen: darin hat sie den wahren Lohn,

und schöneres als freudige Arbeit gibts im Menschenleben nicht. Aber verlorene Arbeit darf es auch nicht werden.

Täuschen wir uns nicht. Auch in unserer Wissenschaft wie in der der Natur gilt es da anzusetzen, wo der Moment die

Aufgabe stellt; demgegenüber muß zurücktreten, was dem einzelnen gerade Spaß macht. Glauben Sie mir, daß esÜberwindung kostet, alles Begonnene beiseite zu werfen, um eine neue Entdeckung allgemein zugänglich zu

machen. Da dünkt mich, daß es denjenigen, welche weit genug zu blicken gelernt haben, um die nächsten

Forderungen der Wissenschaft zu erkennen, auch zusteht, auf diese Aufgaben hinzuweisen, in der Hoffnung,

freudige Arbeiter zu gewinnen. Was wir alle der Wissenschaft leisten, ist Dienst und fordert auch von jedem Arbeit,

die an sich kein Genuß ist. Aber Kärrnerarbeit ist es nicht, wenn nur das Ganze vor unsern Augen steht.

Und noch eins. Die deutsche Wissenschaft läuft Gefahr, ihre Führerstellung in der Welt zu verlieren, weil es ihr an

Arbeitern fehlt, mit andern Worten, weil die Lehrer an den höheren Schulen, zum Teil sogar die Doktoranden in der

Studentenschaft durch die Nöte der Zeit, aber auch durch unerträgliche Überlastung versagen. Die Studenten

brauchen Jahre, nicht nur um nachzuholen, was ihnen eine Schule nicht mehr mitgibt, deren Prinzip ist multa, non

multum, sondern um denken und arbeiten zu lernen, was die alte enge Lateinschule ihnen mitgab. Es ist mir Pflicht

und Freude zugleich, zu erklären, daß unsere Jugend trotz allem Kraft und Mut genug besitzt, um zu ernster

wissenschaftlicher [48] Arbeit tüchtig zu werden. Mein letztes Seminar stand hinter keinem der mehr als hundert

Semester zurück, in denen ich solche Übungen geleitet habe. Aber wenn sie dann in den Schuldienst treten, wird die

Elastizität des Geistes durch die Last der Examina, später der über jedes Maß erhöhten Pflichtstunden und anderes

mehr so schwer bedrückt, daß bei den meisten der beste Wille erliegen muß. Dagegen müssen wir nicht nur um der

Wissenschaft, sondern ebenso sehr um der Schule und um der Schüler willen immer wieder unsere Stimme erheben.

Und ein letztes. Wir sind hier zusammen, weil wir zusammen gehören. Denn wir sind Lehrer, das ist unser Beruf, an

der Universität ganz ebenso wie an der Schule. Aber Diener der Wissenschaft sind wir auch; daß ist auch der,

welcher nur den Keim zur Empfänglichkeit für sie in die jungen Seelen legt. Und so rufe ich Ihnen meinenScheidegruß. Wecke und erfrische unser Zusammensein in uns allen das Gefühl unserer Zusammengehörigkeit,

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Geschichte der griechischen Sprache 16

wecke und erfrische es die Freude an unserem Lehramt und unserem Forschen, und erhalte es uns den Glauben an

die Majestät der Wissenschaft, an unsere Jugend und nicht zuletzt an die Zukunft unseres deutschen Vaterlandes.

[1] http://opac. sub. uni-goettingen.  de/DB=11.  14/SET=2/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=54&SRT=YOP&TRM=+%09IV+W+375

[2] http://creativecommons. org/licenses/by-sa/2.  0/de/ 

[3] http://tools. wikimedia. de/~daniel/WikiSense/CategoryIntersect.  php?wikilang=de&wikifam=.  wikisource. org&

basecat=Geschichte%2Bder%2Bgriechischen%2BSprache&basedeep=2&templates=korrigiert_K%3B+fertig_K%3B+

teilkorrigiert_K%3B+unkorrigiert_K&mode=al&go=Scannen&userlang=de[4] http://tools. wikimedia. de/~daniel/WikiSense/CategoryIntersect.  php?wikilang=de&wikifam=.  wikisource. org&

basecat=Geschichte%2Bder%2Bgriechischen%2BSprache&basedeep=2&mode=cs&tagcat=unvollständig&tagdeep=1&go=Scannen&

userlang=de

[5] http://tools. wikimedia. de/~daniel/WikiSense/CategoryIntersect.  php?wikilang=de&wikifam=.  wikisource. org&

basecat=Geschichte%2Bder%2Bgriechischen%2BSprache&basedeep=2&mode=cs&tagcat=unkorrigiert&tagdeep=1&go=Scannen&

userlang=de

[6] http://tools. wikimedia. de/~daniel/WikiSense/CategoryIntersect.  php?wikilang=de&wikifam=.  wikisource. org&

basecat=Geschichte%2Bder%2Bgriechischen%2BSprache&basedeep=2&mode=cs&tagcat=Korrigiert&tagdeep=1&go=Scannen&

userlang=de

[7] http://tools. wikimedia. de/~daniel/WikiSense/CategoryIntersect.  php?wikilang=de&wikifam=.  wikisource. org&

basecat=Geschichte%2Bder%2Bgriechischen%2BSprache&basedeep=2&mode=cs&tagcat=Fertig&tagdeep=1&go=Scannen&

userlang=de

[8] http://tools. wikimedia. de/~daniel/WikiSense/CategoryIntersect.  php?wikilang=de&wikifam=.  wikisource. org&

basecat=Geschichte%2Bder%2Bgriechischen%2BSprache&basedeep=2&mode=cs&tagcat=Korrekturprobleme&tagdeep=1&

go=Scannen&userlang=de

[9] Es sei nur an ein bekanntes Beispiel erinnert, κοντός ist jetzt das allgemeine Wort für kurz und κοντοπορεία heißt schon beiPolybios der kürzeste Weg von Korinth nach Argos; aber das ist ganz vereinzelt in dem antiken Schrifttum.

[10] Origenes (Philokalie S. 71 Robinson) bezeugt, daß Epiktet eben wegen seiner Sprache viel weiter wirkte als Platon. Ausdemselben Grunde ist das Neue Testament lebendig geblieben, als die großen Kirchenlehrer nur noch als Heilige verehrtwurden.

[11] Für spätere Zeit geben die griechisch-lateinischen, bisher kaum verwerteten Schulgespräche einiges aus, aber auch da mischtsich gewählte Rede ein. Der Statthalter, den man in gewöhnlicher Rede klassizistisch ἡγεμών nannte, heißt ὁ διέπων τὴνἐπαρχίαν. Aus dem diokletianischen Edikt über die Maximalpreise lernt man zahlreiche Wörter kennen, die jeder täglichsprach, aber keiner schreiben durfte.

[12] Eine Frage für sich ist, wie weit Justinian und Theodora samt ihren zum Teil ungriechischen Würdenträgern die Verseüberhaupt verstehen konnten. Sie werden sich mit Anstand gelangweilt haben, wie einst mancher Fürst bei lateinischen Reden.

[13] Vergleichbar ist der Ciceronianismus, der im 15. Jahrhundert das bis dahin lebendige Latein durch die Nachahmung eineranerkannten Vollkommenheit verdrängt und damit seiner Weltgeltung ein Ende bereitet, das selbst die katholische Kirchenicht abwenden kann.

[14] Das läßt sich mit der Umsetzung in jungböotische Orthographie vergleichen, wie sie Korinna erfahren hat, deren Gedichtewir umschreiben müssen, dann werden sie dem Pindar ähnlich, wenn auch der Unterschied bleibt, daß Korinna neben denhomerischen Entlehnungen nur ihren Dialekt anwendet.

[15] εποειοεν für ἐποίεσεν, sigeische Inschrift, Schwyzer 731.[16] Siedlungsgesetz aus Westlokris, Sitz. Ber. Berl. 1927, 12.[17] Wir sprechen so, wie es der Prozeß des Τ gegen das S bei Lukian voraussetzt, sollen uns aber darüber nicht täuschen, daß das

böotisch-attische ττ von dem sonst herrschenden σσ in der Aussprache nicht so gar verschieden war; die Ionier haben leider

aufgegeben, einen überflüssigen semitischen Sibilanten für diesen Laut zu verwenden. Wenn sich in hellenistischer Spracheein attisches Wort wie ὀττεύομαι findet, so haben sie das mit tt gesproc hen; ὄσσα hatte es in den Sprachen des Mutterlandesnie gegeben. Kretisches θάλαθθα tritt bestätigend hinzu; da gibt es auch Ττῆνα für Ζῆνα. Böotisches δδ war auch Sibilant(κριδδέμεν = κρίζειν). Die aspirierte Aussprache des δ hat auch viel weiter als in Elis gegolten, wo man früh ζ schrieb. τόζεRhodos [ der griechischen Sprache 12 (http://en.  wikipedia. org/wiki/:Geschichte)] IG XII Ι, 737. Besonders bezeichnendδισυροποιός auf Kreta, GDI 4759, was man ändert, weil nicht verstanden wird, daß δ das weiche s bezeichnet; δίζημαι istdasselbe. Nur so erklärt sich rosa = ῥόδα, aus dem Plural genommen. Die Ionier begannen zur Zeit des Timotheos ζ alsweiches s zu sprechen, und im ersten Jahrhundert war das durchgedrungen, wie z. Β. Catulls Zmyrna zeigt. Es ist Archaismusgegen die Sprache des Lebens, wenn die Poesie immer weiter ζ als Doppelkonsonanz behandelt.

[18] Der lakonische Dialekt darf nicht auf die spärlichen spartanischen Steine beschränkt werden; Tarent und Herakleia gehörendazu, und nun sind wir berechtigt, Thera und Kyrene zuzunehmen. Man erkennt, wie jung das Σ für Θ, das Η für S ist. Und ichhalte nun für ausgemacht, daß Alkmans sog. Äolismen bodenständig sind, und wir uns mit einer Anomalie wie Μῶσα andersabzufinden haben. Da ist einfach das homerische Μοῦσα übernommen. Die Dorer hatten die Göttin gar nicht gekannt.

[19] Da in den Kolonien die gentilizische Verbindung in den Phratrien fiktiv sein mußte, ist die Phratrie später nichts als eineSchmausbrüderschaft. [ der griechischen Sprache 14 (http://en.  wikipedia. org/wiki/:Geschichte)] Dagegen war die πατριά der

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Geschichte der griechischen Sprache 17

„Dorer“ eigentlich das Geschlecht, wenn auch in Olympia (Inschr. 2) schon die γενεά darunter tritt; der Vater ist bereits einAhn geworden, und die einzelnen „Familien“ haben sich abgesondert, wenn sie auch in der πατριά zusammengefaßt bleiben.

[20] Ferri alcune iscrizioni di Cirene (Abh. Berl. Ak.) S. 21.[21] Eupolis (Suid. χαίρειν) wirft dem Kleon vor, daß er an den Rat χαίρειν geschrieben habe, d. h. die Form des Privatbriefes in

einem offiziellen Berichte angewandt.[22] Sylloge 1259. Später würde es gelautet haben καλῶς ποιήσεις ἀποπέμπων.[23] IG XII 3, 183.

[24] An Milet denkt man wegen der großen Schriftsteller, die doch erst um 550 zu schreiben beginnen. Das zwingt nicht nicht.Man sprach dort γλάσσα, nicht γλῶσσα, πεμπάς, ἱέρεως.

[25] Die reichlichen antiken Zitate, aber auch die Rezension R zeigen, daß die archaistische Orthographie nicht durchaus galt,namentlich die sinnlose Vermeidung des paragogischen ν, diese auch nicht für Nachahmer wie Arrian. Wer die Psilosedurchführen will (was praktisch Unzuträglichkeiten mit sich bringt), der werfe jeden Spiritus ab; der sog. lenis ist überhauptein Unfug. Die Grammatiker haben ihn nur vereinzelt zur Unterscheidung von mehrdeutigen Wörtern gesetzt. Daß wir denspäten Byzantinern folgen, ist Trägheit; aber man fährt ja fort, das Iota hinter langem Vokal zu subskribieren, auch wo esgesprochen ward und wir es sprechen sollen, ἵππωι ist nicht schwerer zu sprechen als italienisches noi, ῥᾶι als mai usw.

[26]  Ἡρώιδας war den späteren Schreibern so befremdlich, daß Athenäus Ἡρώνδας geschrieben hat oder es vorfand. Bei PliniusEp. IV 3, 4 finden wir Herodas und so meist. Es ist Verkennung der difficilior lectio, wenn man sie nicht in Ἡρώιδας findenwill.

[27] Akron hatte offenbar gar nicht geschrieben, von Philistion ist nichts im Wortlaut erhalten. Daß Alkmaion von Kroton in

seiner achäischen Muttersprache geschrieben hätte, kann ein einziges ἔχοντι (Indikativ) neben Κροτωνιήτης und Πειρίθουnicht sicherstellen. Neben dem Dorisch des sog. Philolaos, das örtlich nicht bestimmbar ist, hat es ionische Schriften unterdem Namen des Pythagoras gegeben, die für hellenistische Fälschungen zu halten Willkür ist. Den Samier konnte man dochnur ionisch schreiben lassen. Erst durch Archytas ist Pythagoreisch und Dorisch in der Vorstellung der Menschenzusammengefallen. Sein Dialekt ist ganz verwüstet: da steht διαγνώμεναι, φρονέειν, ἄμμες, ζατεῖν, um nur die gröbstenFehler aufzugreifen. Daß der Tarentiner seine Mundart schreiben wollte, ist so begreiflich oder auch unbegreiflich wie späterbei Archimedes, denn der Dialekt ist nur ein Kleid, das der innerlich von der Literatursprache beherrschten Redeübergeworfen wird.

[28] Literaturwissenschaft tut sich als eine neue Disziplin auf, die sehr bequem sein mag, um sich der Philologie zu entziehen,denn zu der muß man [ der griechischen Sprache 20 (http://en.  wikipedia.  org/wiki/:Geschichte)] die Sprachen beherrschen. Dasollen wir Philologen sie ruhig abwelken lassen, denn Früchte kann sie nicht bringen. Aber freilich müssen wir beherzigen,daß die antiken Literaturen nur der verstehen wird, der befähigt ist, sie mit denen der anderen Völker zu vergleichen, χρὴ εὖμάλα πολλῶν ἵστορας φιλολόγους ἄνδρας εἶναι.

[29] π. γονῆς, περὶ φύσιος παιδίου, περὶ νούσων IV. Ilberg, Die Ärzteschule von Knidos, Leipzig 1925, S. 9.

[30] Ilberg hebt hervor, daß das Werk mit einer γνώμη anhebt, νόμος μὲν πάντα κρατύνει (VII 470 L). Das ist einSprichwortvers; der Verfasser hat das μὲν eingeschoben, um ihn einzuordnen. Ursprünglich lautete es offenbar τὰ πάντα,denn die Senkungen sind frei, Griech. Verskunst 382.

[31] Auch inhaltlich spürt man die rhetorischen Schlagworte, συμφέρον, καλόν, δίκαιον in den symbuleutischen Reden. Werohne Kenntnis der alten Rhetorik an den Thukydides geht, also nicht merkt, daß seine Reden als rhetorische Kunstwerkewirken wollen, muß ebenso irre gehen, wie wer über die sprachlichen Anstöße hinwegliest. Er mag sich dann jn derÜberlegenheit seiner Unwissenheit blähen.

[32] III 53: Eine Tochter Perianders redet ihrem Bruder Lykophron gut zu: παῦσαι σεαυτὸν ζημιῶν. ἡ φιλοτιμίη κτῆμα σκαιόν.μὴ τὰ κακὸν κακῶι ἰῶ. πολλοὶ τῶν δικαίων τὰ ἐπιεικέστερα προτιθεῖσιν. πολλοὶ δὲ ἤδη τὰ μητρῶια διζήμενοι τὰπατρῶια ἀπέβαλον. τυραννὶς χρῆμα σψαλερὸν πολλοὶ δὲ αὐτῆς ἐρασταί εἰσιν, ὃ δὲ γέρων τε δὴ καὶ παρηβηκώς. μὴ δῶιςτὰ σεαυτοῦ ἄλλοισιν.

[33] Ich lasse fort, was ich nicht genügend verstehe, μάλιστα χρημάτων, und vorher den Zwischensatz, dessen Sinn unsicher ist,zumal ἱερόν von Grenfell als zweifelhaft bezeichnet ist. Hier wird besonders deutlich, daß die Geschichte im Präsens erzähltwird, Nebenumstände im Imperfektum. Ebenso in dem folgenden Stück des Pherekydes.

[34] Pherekydes Fr. 18. βαλών für βαλῶν ist Druckfehler bei Jacoby.[35] Ich ahme gegen unsere Sprache und ebenso gegen den späteren griechischen Gebrauch die Wortstellung nach, damit man

nicht übersehe, wie der Erzähler gleich das Verbum setzt und die adverbialen Bestimmungen einzeln nachträgt, wie sie ihmeinfallen, offenbar spricht er langsam ὃ αὐτὸν[ der griechischen Sprache 25 (http://en. wikipedia. org/wiki/:Geschichte)]ἐφόρει σὺν τοῖς ἵπποις, ἐπὴν δύνηι, διὰ τὴν ὠκεανόν, τὴν νύκτα, πρὸς ἑωίην.

[36] Gerade was Heinze in der Festgabe für Streitberg über das Praesens historicum im Lateinischen ausgeführt hat, zeigt denUnterschied sehr deutlich.

[37] Wir dürfen das nach der Sprache von Rhegion annehmen, Schwyzer 794, von Preuner am besten ergänzt.[38] Es ist peinlich, daß wir nicht wissen, in welcher Sprache das einflußreiche Lehrbuch des Korax oder Teisias gehalten war,

also ob der Syrakusier seine Sprache oder wie Antiochos ionisch schrieb. Da das Buch immer neu bearbeitet ward (es steckt janoch viel in der Rhetorik des Anaximenes), ist es natürlich attisch geworden.

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[39] Daß er für die Gerichtsrede einen ganz anderen Stil anwandte als für die ἐπίδειξις des Epitaphios und das παίγνιον derHelene, zeigt der Palamedas. Nur wenn man ihm diese Versatilität zutraut, kann man ihm diese Reden alle lassen. Aber dasmuß man und muß ihn danach einschätzen. Nur lag seine Stärke nicht in der Gerichtsrede: da hat ihn Thrasymachosübertroffen, und dessen Streben nach Rhythmus ist auch gesunder gewesen als die σχήματα.

[40] Πολιτ. Ἀθην. II 8. Antiattizistische Sammlungen belegen manche unattische Wörter und Formen aus der Komödie.[41] ὀί Aristoph. Fried. 930; aber kein Athener sagte οἶ im Dativ, sondern προβάτωι. ὄκως Aristoph. Triphales.[42] In Fr. 31 Wellm. findet sich die Anrede τί ψής ὦ Ἱππόκρατες. Das weist auf eine höchst lebhafte Form der Polemik, zu der

ich keine Parallele alter Zeit im Gedächtnis habe. An einen Dialog kann man doch nicht denken.[43] In Syrakus schreibt Philistos attisch; aber es ist nicht wohl denkbar, daß Dionysios bereits das Attische in seiner

diplomatischen Korrespondenz angewandt hätte. Er selbst beherrschte die Mundart so weit, daß er Tragödien dichten konnte.Leukon, der König des Kimmerischen Bosporus, schreibt an die Mytilenäer attisch, IG XII 2, 3.

[44] Poseidippos bei dem Kritiker Herakleides. Das attische ει für ηι ist dialektisch geblieben und durch die Schule allmählichwieder dem ηι, d. h. η gewichen.

[45] Die Grammatiker sagen immer noch, daß die Böoter den Lokativ an Stelle des Dativs gesetzt hätten. In Wahrheit sind beidezusammengefallen, [31] weil ωι so wenig gesprochen ward wie ᾱι, das αε oder η geworden war, und ηι = ει.

[46] Im Neuen Testament stecken ganz verschiedene Sprachen, die der synoptischen Evangelien, in denen oft noch Aramäischdurchklingt, daneben ungebildetes Judengriechisch, auch in der Apokalypse, dasselbe gebildeter und anspruchsvoller imJohannesevangelium, der Rest ist ziemlich gleichgültig, der Hebräerbrief will Literatursprache geben. Paulus aber steht ganzfür sich, einzig in seiner Art. Daher würde es nur gerecht sein, ihn für sich zu behandeln, nicht nur von der Grammatik,

sondern auch von der Stilistik her, da erst offenbart sich seine Individualität und kommt die leere Imitation im Epheserbrief und den Pastoralbriefen sofort an den Tag.

[47] Die Rosettana ist Übersetzung aus dem Ägyptischen.

[48] Urkunden der Ptolemäerzeit I 622 Nr. 144. 145.[49] Ich setze den Anfang des ersten Briefes her, weil er vielen fern liegen dürfte und besonders charakteristisch ist. Ἀπολλώνιος

Εἰδήμωι χαίρειν. Εἰ τῶι τε σώματι εὖ ἐπανάγεις καὶ τὰ ἀλλὰ κατὰ γνώμην ἐστί σοι, καλῶς ἂν ἔχοι. μετρίως δ’ ἔχομεν καὶαὐτοί. καθ’ ὃν δὲ χρόνον ἤμην μετὰ σοῦ ἐν Περγάμωι, ἐθεώρουν σε σπεύδοντα μετασχεῖν τῶν πεπραγμένων ἡμῖνΚωνικῶν, πέπομφα οὖν σοι τὸ πρῶτον βιβλίον διορθωσάμενοι, τὰ δὲ λοιπά, ὅταν εὐαρεστήσωμεν, ἐξαποστελοῦμεν. οὐγὰρ ἀμνημονείν οἴομαι σε παρ’ [35] ἐμοῦ ἀκηκοότα, διότι τὴν περὶ ταῦτα ἔφοδον ἐποιησάμην ἀξιωθεὶς παρὰΝαυκράτους τοῦ γεωμέτρον, καθ’ ὃν καιρὸν ἐσχόλαζε παρ’ ἡμῖν παραγενηθεὶς εἰς Ἀλεξάνδρειαν, καὶ διότιπραγματεύσαντες αὐτὰ ἐν ὀκτὼ βιβλίοις ἐξ αὐτῆς μεταδεδώκαμεν αὐτά, εἰς τὸ σπουδαιότερον διὰ τὸ πρὸς ἔκπλωιαὐτὸν εἶναι οὐ διακαθάραντες, ἀλλὰ πάντα τὰ ὑποπίπτοντα θέντες ὡς ἔσχατον ἐπελευσόμενοι, καὶ ἐπεὶ συμβέβηκε καὶἄλλους τινὰς τῶν συμμεμιχότων ἡμῖν μετειληφέναι τὸ πρῶτον καἢ τὸ δεύτερον βιβλίον πρὶν ἢ διορθωθῆναι, μὴθαυμάσηις, ἐὰν περιπίπτηις αὐτοῖς ἑτέρως ἔχουσιν.

[50] Neben Adolf Wilhelm, der schon lange hierin der Meister ist, hat ein junger französischer Gelehrter, Charles Robert,neuerdings ganz überraschendes zu finden gewußt.

[51] Archiv für Papyrusforschung VI 324.[52] J. Kirchner hat die Chronologie der attischen Formeln in dem ersten Hefte seines Index zu dem neuen IG II

zusammengestellt, aber eben nur um der Chronologie und der Beamtenlisten willen. Es wird aber leicht sein, dasStilistisch-Sprachliche zu ergänzen.

[53] ἀττηγος Böckchen, Inschr. von Magnesia 98; solch ein Wort zu akzentuieren ist Täuschung. Bechtel hat es in seiner überauswertvollen Sammlung der ionischen Wörter nicht verzeichnet. Hier liegt sine sehr schöne Aufgabe vor, das Ionische aus demHesych herauszuholen. Viel stammt aus dem ionischen Iambus, aber es gibt auch Glossen, die von Glossographen undGrammatikern frisch aus dem Volksmunde oder für ins verschollenen Schriften stammen. Übrigens sind gerade späteInschriften Asiens nicht ganz unergiebig.

[54] Sicher gilt das von einem Psephisma von Kyme, Schwyzer 647, wohl auch von den mytilenäischen, IG XII 2, 67. 68.[55] Jetzt wird der Name der Stadt Ἐρισσό gesprochen; aber die heutigen nordgriechischen Dialekte drängen nach der

Oxytonese.[56] Bezeichnend besonders die eben darum schwer herstellbare Urkunde von Stymphalos IG V 2, 357.[57] Beschluß für Phylarchos IG V 2, I.[58] Das Tzrakonische, das auf diese Sprache zurückgeht, nun durch Deffner in letzter Stunde für die Wissenschaft gerettet, läßt

uns ahnen, daß das Landvolk auch in Arkadien und Elis noch Reste der alten Dialekte bewahrte, als Pausanias den Peloponnesbereiste, dem die Verständigung mit den illiteraten Bauern schwer gewesen sein wird. Außer den römischen Kolonien Korinthund Patrae war alles schon in tiefem Verfall.

[59] In Itanos herrschen die Ptolemäer; da schreibt man panhellenisch.[60] Halikarnassos war der Doris verloren gegangen. Man schreibt nach Kos panhellenisch, die Antwort ist dorisch, koische

Inschrift 63 Paton.

[61] Aber die berühmte astronomische Inschrift bietet ἡ μοῖρι στιγμῶν, IG XII 1, 913.[62] Nur die kaum begreiflichen Nominative Ἑρμοκρηυν u. dgl. sind singulär; daß sie sich bisher auf Rhodos selbst nichtgefunden haben, verschlägt nichts, denn die abhängigen kleinen Inseln haben keine eigene Sprache.

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[63] In dem Bruchstück des Στομάχιον ist auf die Dorismen geringer Verlaß, denn es findet sich zweimal σχᾶμα neben σχῆμα,wie Archimedes schrieb. Das meiste ist attisch.

[64] Er macht auch im Eingang des Briefes keine Phrasen wie Apollonios, sondern begnügt sich Ἀρχιμήδης Ἐρατοσθένει εὖπράττειν und kommt gleich zur Sache ἀπέστειλά σοι πρότερον τῶν εὑρημένων θεωρημάτων ἀναγράψας αὐτῶν τὰςπροτάσεις usw., worin ich übrigens αὐτῶν nicht einordnen kann; es wird αὐτάς gewesen sein, sehr gut griechisch, wo wir„nur“ sagen.

[65] An einen Timaioskommentar habe ich nie geglaubt, vielmehr den Gedanken immer als unvereinbar mit allem, was wir über

die hellenistischen Philosophen wissen, zurückgewiesen.[66] Forschungen zu Poseidonios, Upsala 1918. Was man auch im einzelnen abziehen mag, beeinträchtigt den Wert des Ganzen

nicht. Es ist da recht viel zu lernen.

[67] Von Arkesilaos steht ein Privatbrief bei Diogenes IV 99. Er hält sich an den herkömmlichen Aufbau, χαίρειν, δέδωκα – 

διαθήκας κομίσαι πρὸς σέ; Begründung, πειρῶ οὖν …   δίκαιος ἡμῖν εἶναι. Schlußformel ist fortgelassen. Die Worte sindschlicht und doch individull, voll edlen Ethos.

[68] Phot. 454a 33, wo er sich über καμάρα wundert, von dem er wußte, daß es nicht attisch war; in seinem Lexikon istκαμάριον als Ἑλληνικόν bezeichnet. Das ursprünglich karische Wort hatte doch schon Herodot aufgenommen, bei demHalikarnassier begreiflich.

[69] 444a 32. τὸ μὲν Ἀθῆνας μέγεθος εἰς χελιδόνος συχκαταβῆναι ὄγκον, τὸ δὲ τοῦ Διὸς ἀξίωμα εἰς κύκνου κατασταλῆναιτάξιν, τὸ δὲ τῆς Δήμητρος κάλλος εἰς τὴν αἰσχίοτην μετασταθῆναι διάθεσιν. Er drechselte auch antithetische Gnomen,445a, die dem Photios der Aufnahme würdig schienen.

[70] Wir können so auch feststellen, daß im dritten Jahrhundert selbst in Athen der Gegensatz bestand, Anschluß anDemosthenes, wofür die erste Rede gegen Aristogeiton und die Berliner Verteidigung des Leptines zeugen, und Anschluß anLysias, auf den sich Charisios berief.

[71] Die peinliche Vermeidung des Hiatus nimmt sich dabei seltsam aus; gerade solche Äußerlichkeit ließ sich bei jedem Stildurchführen und zeigte immerhin, daß der Schriftsteller sich mit der Form Mühe gegeben hatte. Gelegentlich baut Polybiosauch eine elegante Periode, aber selten, und die Reden heben sich im Stil kaum ab. Ich gebe eine Probe, VI 3: τῶν μὲν Ἑλληνικῶν πολιτευμάτων ὅσα πολλάκις μὲν ηὔξηται, πολλάκις δὲ τῆς εἰς τἀναντία μεταβολῆς ὁλοσχερῶς πεῖρανεἴληφε, ῥάιδιον εἶναι συμβαίνει τῆν ὑπὲρ τῶν προγεγονότων ἐξήγησιν καὶ τὴν ὑπὲρ τοῦ μέλλοντος ἀπόφασιν· τὸ γὰρἐξαγγεῖλαι τὰ γινωσκόμενα ῥάιδιον, τό τε προειπεῖν ὑπὲρ τοῦ μέλλοντος στοχαζόμενον ἐκ τῶν ἤδη γεγονότων εὐμαρές.περὶ δὲ τῆς Ῥωμαίων usw. Wie viele Worte überflüssig sind, wie modern die meisten, sieht jeder leicht.

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