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Geschichte Des Ma 00 Lang

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  • ^the pResence of this Book

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    of

    Stephen B. RomanFrom the Library of Daniel Binchy

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  • GESCHICHTEDES

    MATERIALISMUSUND

    KRITIK SEINER BEDEUTUNGIN DER GEGENWART

    FRIEDRICH ALBERT LANGE.

    WOHLFEILE AUSGABE.

    ZWEITES TAUSEND.

    BESORGT UND MIT BIOGRAPHISCHEM VORWORT VERSEHEN VONHERMANN COHEN.

    ISERLOHN UND LEIPZIG.

    VERLAG VON J. BAEDEKER.1887.

  • Digitized by the Internet Archive

    in 2009 witii funding fromOntario Council of University Libraries

    http://www.archive.org/details/geschichtedesmaOOIang

  • Jjriedrich Albert Lange ist am 28. September 1828 inWald bei Solingen geboren. Sein Vater, der jetzige Ober-Consistorial-Rath Professor Dr. J. P. Lange in Bonn, war dort Pastor.

    Seine erste Schulbildung hat er in Duisburg genossen, wohin derVater inzwischen berufen war. Aus seinem siebenten Jahre ist ein

    Gedicht von ihm aufbewahrt geblieben. Als er zwlf Jahre altwar, im Frhjahr 1841, folgte der Vater dem Rufe als Professor nachZrich. So wurde die Schweiz seine zweite Heimath.

    Im Frhjahr 1847 bezog er die Hochschule in Zrich, wo ertheologische und philosophische Collegien hrte. Nach zwei Seme-stern, im Frhjahr 1848, ging er nach Bonn, um dort Philosophie zustudiren.

    Zwanzig Jahre alt verlobte er sich. Im Mrz 1851 promovirte erzu Bonn mit einer Dissertation Quaestiones metricae", und nachdemer bald darauf die Staatsprfung bestanden, diente er sein Jahr. Amp]nde des Jahres 1852 ist er Hlfslehrer am Gymnasium zu Kln. ImSeptember 1853 endlich fand seine Vermhlung mit Friederike Cols-man statt.

    Als Lehrer stieg er bis zum Unterricht in der Prima auf. Aber1855 verliess er die Schule und habilitirte sich in Bonn als Privat-docent der Philosophie. Er las ber Pdagogik und Geschichte der-selben, vergleichende Statistik des Schulwesens ,'^Geschichte des Gym-nasial- Unterrichts, ber die Schulen des 16. Jahrhunderts, zweimalPsychologie, Moralstatistik und endlich im Sommer 1857 Geschichtedes Materialismus.

  • VI Biographisches Voiwort.

    Fr den Sommer 1858 hatte er Logik angekndigt; aber zu Osternsiedelte er an das Gymnasium zu Duisburg ber. Im Februar 1859wurde er Oberlehrer, im Frhjahr 1861 rckte er in die dritte Ober-lehrerstelle ein. Aber seine politische Thtigkeit hatte begonnen.Zum 1. Oktober nahm er die selbstgeforderte Entlassung.

    Sein Studium und seine Thtigkeit richtete sich jetzt auf die ko-nomischen Dinge und die socialen Verhltnisse. Er wurde Handels-kammer-Sekretr in Duisburg. Zugleich hielt er in einem PrivatkreiseVortrge ber Geschichte der neueren Philosophie und arbeitete ander Geschichte des Materialismus". Am 5. Januar 1863 meldet erseinem Verleger, dass bereits acht Bogen druckfertig seien.

    In derselben Zeit bernahm er die stellvertretende Redaction derRhein- und Ruhr-Zeitung, war in politischer Agitation thtig, und Ende1863 erschien die Schrift ber die Leibesbungen, eine Darstel-lung des Werdens und Wesens der Turnkunst in ihrer pdagogischenund culturhistorischen Bedeutung", ein erweiterter Abdruck aus derSchmid'schen Encyklopdie des gesammten Erziehungs- und Unter-richtswesens. Schon als Student hatte er das Turnen als eine vater-

    lndische Sache eifrig betrieben und als Lehrer den Turnunterrichtselbst bernommen.

    Im Anfang des Jahres 1865 wurde erTheilhaber einer Buchhand-lung und Druckerei, welche letztere er selbst leitete. Er wollte Volks-schriften verbreiten. Aus diesem Plane entstand das Schriftchen das

    ppstliche Rundschreiben und die 80 verdammten Stze, erlutertdurch Kernsprche von Mnnern der Neuzeit, sowie durch geschicht-liche und statistische Notizen". Es enthlt 240 Octavseiten.

    Eine rheinisch - westflische Arbeiterzeitung wollte er begrn-

    den; dagegen erschien im Januar 1865 im eigenen Verlage dieArbeiterfrage in ihrer Bedeutung fr Gegenwart und Zukunft".Unter solchen Bestrebungen wurde seine Stellung in Duisburg schwie-rig, weil isolirt. Pressprozesse bedrngten ihn. Und dennoch ver-mochte er zu wissenschaftlicher Arbeit sich zu sammeln.

    Im Juli 1865 erschien die Grundlegung der mathemati-schen Psychologie. Ein Versuch zur Nachweisung des fundamen-talen Fehlers bei Herbart und Drobisch". Im Oktober desselbenJahres erschien seine Geschichte des Materialismus", und whrend erVersuche machte, in den grsseren Stdten Deutschlands Vorlesungen

    zu halten, brachten die ersten Tage des April 1866: J. St. MiU's An-sichten ber die sociale Frage und die angebliche Umwlzung

  • Biographisches Vorwort. VII

    der Socialwissenschaft durch Carey". Dabei nahm ihn die Verwaltungdes Geschftes, die Arbeit und die Sorge um Verlag und Druckereiunvermindert in Anspruch.

    In dieser Zeit bot ihm sein alter Zricher Schulkamerad, der In-haber des Winterthurer Landboten", Bleuler, die Geschftssociett an

    und im November 1 866 siedelte Lange mit Weib und Kindern nachWinterthur ber. Fr die erste Zeit nahm er auch dort eine Stelle alsGymnasiallehrer an. Alsbald aber sass er im demokratischen, im Con-

    sum- und im Kunstverein, wurde Mitglied des Bank- und Erziehungs-rathes, im Stadtrath endlich machte er den Forstinspector. Von wissen-

    schaftlichen Arbeiten bemerken wir aus diesen Tagen nur die gegenden Professor Schilling gerichtete Replik Neue Beitrge zur Ge-schichte des Materialismus", und eine zweite, sehr vernderteAuflage der Arbeiterfrage", die 1874 in dritter wiederum vern-derter Auflage erschienen ist.

    Auch als Feuilletonist versuchte er sich und er verhandelte mit sei-nem Verleger ber die Beschaffung guter Belletristik fr die kleineren

    Tagebltter. Aber die Sehnsucht nach dem Katheder wurde wiederwach; er habilitirte sich in Zrich, blieb jedoch in Winterthur wohnen,bis er im Herbst 1870 zum ordentlichen Professor in Zrich ernanntwurde.

    Zwei Jahre hat er daselbst als Lehrer der Philosophie gewirktund gleichwie am Gymnasium treue Schler sich erworben. Da riefihn , auf den Antrag der Universitt Marburg , der Minister Falkin die Heimath. Im September 1872 zog er in Marburg ein. Aber ertrug den Keim des Todes in sich. Kurz vorher hatte er sich vonBruns in Tbingen operiren lassen. Von dort schreibt er seiner Frau:Gestern im botanischen Garten las ich die Knstler" noch einmal.Ich konnte nicht umhin, die prachtvollen Verse, die mir immer beson-ders gut gefallen, ein wenig auf mich zu beziehen;

    Mit dem Geschick in hoher EinigkeitGelassen hingesttzt auf Grazien und Musen,Empfngt er das Gcschoss, das ihn bedrut,Mit freundlich dargebotenem Busen,Vom sanften Bogen der Nothwendigkeit.

    Kann man den christlichen Gedanken der Ergebung schner auf phi-losophisch ausdrcken ? Und dabei so durch und durch poetisch !

    "

    In diesen schweren Tagen hat er fr die Schmid'sche Encyklo-pdie den Artikel ber Ludwig Vives geschrieben.

  • VIII Biographisches Vorwort.

    Zwei Jahre noch waren ihm zum Wirken im Vaterlande beschie-den. Er hat mit Nichtachtung des herannahenden Todes jede von denschwersten Schmerzen freiere Stunde benutzt, um sein Werk zurzweiten Auflage umzuarbeiten. Und als er sie in Hnden hatte, finger die logischen Studien" an, an denen er bis drei Wochen vor seinemTode gearbeitet hat. Sie sind 1877 erschienen.

    Aber seine eifrige literarische Thtigkeit hat seine glcklicheWirksamkeit als Lehrer nicht beeintrchtigt. Er hat vor einem gleichzahlreichen Auditorium in Marburg ber Logik und Psychologie, wieber Schiller's philosophische Gedichte, die Geschichte der neueren

    Pdagogik und ber die Theorie der Abstimmungen gelesen.Als er am letzten Februar 1875 das CoUeg geschlossen, hat er

    sein Haus nicht wieder verlassen. Am 2L November ist er gestorben.

    Es ist das Jubeljahr der Kritik der reinen Vernunft, in welchemdiese neue Auflage seines Hauptwerkes in die Welt geht. Und wennman die Bedeutung von Albert Lange's Leben und Wirken in einemsymbolischen Worte bezeichnen darf, so mchte ich ihn einen Apostelder Kantischen Weltanschauung nennen. In dieser Mission lassen sichalle seine Verdienste begreifen; wie denn die Aneignung der Kanti-schen Weltanschauung die Aufgabe ist, in welcher alle Culturfragenunseres Zeitalters sich zusammenfassen. Was du ererbt von deinenVtern hast, erwirb es, um es zu besitzen". Es giebt keinen geistigen

    Besitz und kein geistiges Erbe ohne die selbstndige, aus dem Zu-sammenhang des eigenen geistigen Seins schpfende Arbeit. Aberalle geistige Arbeit muss ein Werben um das Ideal der Wahrheit sein,das nicht in dem Einzelnen entspringt, sondern im Entwicklungsgangeder Menschheit in Thaten und Ahnungen sich gestaltet.

    Die Probleme unserer Zeit sind von der einen, der theoi'etischenSeite : die Basirung der Wissenschaften auf ihren eigentlichen einfach-

    sten Principien, deren genaue und deutliche Ermittelung daher ange-strebt wird. Von der andern, der praktischen Seite gilt es lebendig undbuchstblich wahr zu machen die Kernwahrheit des Gottesglaubens,die Nchstenliebe, das will sagen : die Regeneration der Vlker ausdem ethischen Ideal des Socialismus.

    In diesen beiden Richtungen ist die Kantische Weltanschauung

    obschon die Kmpfenden nicht immer darum wissen das Schibolethder Gegenwart und die Losung der Zukunft. Und in beiden Rieh-

  • Biographisches Vorwort. IX

    tungen hat Albert Lange mit seinem klaren universellen Kopfe und

    mit seinem Herzblut gearbeitet.

    In einer Zeit, in welcher der Materialismus-Streit als das einzige

    Symptom gelten konnte, dass die Liebe zum Philosophiren in deutschen

    Landen nicht erstarrt war, da zeigte Lange, auf Kant gesttzt, an der

    Geschichte des Materialismus den Werth desselben als eines die For-

    schung regulirenden Gedankens, wie nicht minder die Unzulnglich-

    keit desselben als eines Princips systematischer Weltanschauung. So

    entsetzte er jene salbungsvolle Metaphysik, die mit dem schmeichel-haften Titel des Idealismus prunkt, und beschwichtigte und verstn-

    digte die Redlichen aber Unklaren^ die in Freimuth eine Fahne

    erhben, unter der es wenigstens nichts zu heucheln gab. Ebenso

    unerbittlich aber drckte er den Uebermuth dieser naturalistischen

    Partei, indem er ihre latente Abhngigkeit von den idealen Momenten

    demonstrirte, und in der Consequenz des Materialismus seine Selbst-

    auflsung nachwies. Somit wurde die Geschichte des Materialismus

    zu einer Rechtfertigung des Idealismus, des echten, der in der Ge-

    schichte des Denkens von Anbeginn seine Fruchtbarkeit bewhrt hat,

    des kritischen. Der transscendentale Idealismus wurde als die Ueber-

    windung und das Ende des Materialismus gelehrt und gepredigt.In solchem kritischen Grundgedanken nahm Lange seine Stellung

    zu den theoretischen Problemen unserer Gegenwart. Und wie er denKantischen Apriorismus auffasste, so machte er deutlich, dass alle

    Handhaben der Forschung, die Materie, die Atome, die Krfte undmechanische Principien ihre Wurzel und ihren Bestand haben in der

    physisch-psychischen Organisation des Menschen. Die Materie mit

    ihren Krften und Gesetzen ist nicht ein Selbstndiges neben uns, son-dern die Ausgeburt unseres eigenen Geistes. Dessen Gesetze, dessen

    Elemente spiegeln sich in jenen scheinbar uns fremden Dingen. DieMaterie ist unsere Vorstellung.

    Ich kann dieses Verfahren, mit dem Zauberwort der Organisationdie Rthsel der Wissenschaften lsen zu wollen, nicht als den zu-reichenden Ausdruck des Kantischeu Apriorismus anerkennen. Idea-listen in diesem Sinne hat es, wie Lange selbst gezeigt hat, auch vorKant gegeben. In dieser Ansicht erscheint die alte Lehre von denangebornen Ideen im letzten Glimmen. Und diese Form des Nativis-mus half an ihrem Theile, den vollen klaren Durchschlag der trans-scendentalen Methode aufzuhalten. Dass Lotze z. B. die neueren er-kenntnisstheoretischen Arbeiten, die er missbilligt und verspottet.

  • X Biographisches Vorwort.

    SO gnzlich nicht gekannt zu haben verrth, dass er sie mit psycho-logischen Zergliederungen" verwechselt, mchte doch wohl nur aus

    dem Eindruck zu verstehen sein, den Lange's Vertretung des Neu-Kantianismus ihm bewirkt hat.

    Die transscendentale Methode forscht nicht nach den Principiender menschlichen Vernunft, sondern nach den die wissenschaftliche

    Geltung bedingenden Grundlagen der Wissenschaften. Unsere Orga-nisation ist, soweit sie berhaupt in Frage kommt, eine Frage derPsychologie; und es giebt zum mindesten kein methodisches Mittel,ber die letzten und einfachsten Bestandtheile unseres geistigen Wesensjemals sichere wissenschaftlich exacte Auskunft zu verschaffen. DieWissenschaften aber liegen in gedruckten Bchern vor. Was sie zuWissenschaften macht, worin der Charakter ihrer Allgemeinheit undNothwendigkeit beruht, von welchen Begriffen ihr innerhalb ihres Be-reiches geltender Erkenntnisswerth abgeleitet werden kann, welcheZge und Weisen des Erkennens jene geschichtlichen Facta der Er-kenntniss, die Wissenschaften, in ihrer Geltung erklren, das ist eine

    methodische Frage, das ist die Frage, welche die Wissenschaften, wo

    immer sie sich auf ihre Principien zu besinnen den Anstoss fhlten,selbst gestellt haben, das und nichts anderes ist die transscenden-tale Frage.

    Der Unterschied beider Auffassungen lsst sich an dem bsenBeispiel deutlich machen, welches Zllner neuerdings unter uns ge-

    geben hat. Dieser Denker vermeint in Kantischem Geiste zu denken,indem er von dem Axiom der Begreiflichkeit der Natur ausgeht. Wenndaher in der Natur seines Zimmers Bettschirme umstrzen, so glaubter, da thierische Ursachen nicht auffindbar sind, als die Urheber die-

    ser Naturerscheinung Geister annehmen zu mssen. Der Fehler liegtin der Formulirung des Axiom. Nach der transscendentalen Methodedarf es nicht als Axiom von der Begreiflichkeit der Natur bezeichnetwerden, sondern der Naturwissenschaft. Was Natur sei, offen-bart dem Philosophen nicht die gemeine Sinneswahrnehmung, wederdie gesunde noch die spukende, sondern lediglich die Wissenschaft

    von der Natur. Nur diese muss uns begreiflich sein; also drfen

    keine Krfte noch Principien gelten wollen, als welche unser wissen-

    schaftliches Begreifen frdern. Die Natur selbst aber wer wird

    hoffen, sie zu begreifen! Wer will so abgeschmackt sein, den DoctorFaust in Paragraphos zu bringen!

    Mit dieser Auseinandersetzung sind wir nun aber wieder bei

  • Biographisches Vorwort. XI

    Lange's eigensten Gedanken. Metaphysik ist BegritFsdichtung. Daswill positiv sagen : Metaphysik muss Erkenntnisstheorie werden. WasNatur sei, geht uns nichts an, sofern wir philosophiren, nicht dichten

    wollen. Aber was die Naturwissenscliaft bedeutet, was sie zur Wissen-schaft, zu einer Erkenntniss macht, welche die Gewissheit des Wissens

    in Anspruch nimmt, das ist die Frage der Erkenntnisstheorie, das ist

    die Frage derjenigen Philosophie, welche von dem bibliothekarischenTitel der Metaphysik sich befreit hat.

    Indessen hat Kant in der dritten und vierten seiner transscenden-

    talen Fragen nach der Metaphysik gefragt. Und Lange selbst hat dieMetaphysik, da er sie aus der theoretischen Philosophie verwies, in

    die Gesellschaft von Religion und Kunst erhoben. Damit kommen wirzur zweiten, der praktischen Seite, in welcher Lange, seiner Auffas-

    sung gemss, die Kantische Weltanschauung vertreten hat.

    Auch in dieser Beziehung hat Lange die Organisation geltendgemacht, als den Grund und die Kraft apriorischer Sittlichkeit ; under ist des Glaubens gewesen, dass es keine festere und tiefere Wurzelgeben knne fr Religion und Sittlichkeit, als welche in der Kraft

    unseres Geistes zur Dichtung der Ideen treibt. Ich kann auch dieser

    tiefernsten Ansicht nicht zustimmen, und ich habe nach seinem Hin-scheiden die ethische Seite des transscendentalen Apriorismus zur

    Darstellung gebracht. (Kants Begrndung der Ethik 1877.)

    Es liegt in dem Begriflfe der transscendentalen Methode, sofernsie auf den Geltungsgrund der Wissenschaften gerichtet ist, dass ihre

    Anwendung auf die ethische Frage nur in bertragener Weise er-folgen kann. Denn Wissenschaften, nach deren sie bedingenden Grund-lagen geforscht werden knnte, sind bekanntlich fr die ethischenProbleme nicht als Facta gegeben. Nach den Wurzeln und Trieb-krften im menschlichen Geiste aber sollen wir, sofern wir transscen-

    dental verfahren, nicht fragen drfen. Da bleibt denn kein andererAusweg als das Factum analoger Culturerscheinungen anzusprechen,wo es am Factum von Wissenschaften fehlt.

    Ein solches Cultur- Factum, in welchem alle sittlichen Dinge sichzusammenfassen lassen, ist uns die Religion. Denn auch das Recht,

    mit seiner Wurzel, der Freiheit des moralischen Wesens, nhrt sich

    aus dieser Quelle. Da nun die Metaphysik fr die theoretischen Fragensich als Erkenntnisstheorie definirt hat, so wird fr den brigen Theilder Metaphysik, welcher die praktische Frage betrifft, die Metapher

  • XII Biographisches Vorwort.

    der trausscendeutalen Frage also lauten knnen: Wie ist Religionnach Art der Wissenschaft mglich?

    Auf diese Frage aber antwortet nicht nur der Transscendental-Philosoph, sondern die Vernunft aller Zeiten: Sofern die Religion ge-

    reinigt, genhrt und gehtet wird durch die Sittenlehre.Also ist der praktische Theil der Metaphysik die Ethik, deren er-

    kenntnisstheoretische Bedeutung in dem Nachweis besteht, dass das-selbe Erkennen, welches uns Mathematik und Naturwissenschaft er-sinnen lsst, nicht zwar in dem gleichen Grade des Wissens, aber inderselben Richtung des Wissenwollens uns zu den Ideen treibt, welchedie Gesetze der Natur in der Freiheit des Sittenreiches krnen. So

    behauptet sich die Ethik als eine philosophische Disciplin, und verwahrtsich zugleich vor Untergang und unbefugter Einmischung in die Reli-gion. Was die Religion von ihr zu fordern und bestndig einzuholenhat, das ist nichts Geringeres als ihre Legitimation; aber auch nichts

    mehr. Hat sie, und bei jedem Satz aufs Neue, die Bestrebung be-wiesen, zur Reinheit sittlicher Selbstbestimmung ihre Stze und Bruchezu lutern und zu heben, so mag sie, so muss sie als ewiges Gebilddes Menschenwesens mit der Kraft und dem Recht geschichtlichenLebens wachsen und wirken. Die Ethik verdirbt sich selbst, wennsie darauf ausgeht, sich mit der Religion zu identificiren; ganz ebenso

    wie sie oftmals sich aufgegeben hat, wo sie das Recht in sich ver-schlingen zu knnen glaubte, anstatt lediglich die Prfung des Rechtesvor dem Forum des Erkennens anzustellen.

    Die Metaphysik also ist erstens Erkenntnisstheorie. Aber dieErkenntnisstheorie lsst die Wissenschaften selbst ruhig weiter be-

    stehen. Die Metaphysik ist zweitens Ethik. Also soll auch die Ethikdie Religion, deren Recht und Grund nach Art einer Wissenschaft, alseiner Weise des Erkennens sie zu prfen hat, wie das Recht und wiedie Kunst und die Dichtung in ihrem historischen Dasein nicht an-tasten, oder gar mit metaphysischem Dnkel aus dem Inventar desgeistigen Lebens ausstreichen wollen.

    Auch hier kann uns Lange Vorbild sein, wie er aufrichtig undrckhaltlos mit der Klarheit und Geradheit eines freien Geistes Wesenund Treiben der Religionen gemustert, dabei aber mit seinem offenenBlick in die Menschennatur die ewigen Quellen der Religion erkanntun^i liebevoll gewrdigt hat.

    Wahrlich, die religise Krisis wird nur dann erst zu einemheilsamen Austrag gebracht werden, wenn in der literarischen Be-

  • Biographisches Vorwort. XIII

    leiichtung der Religionen der Confessionalismus schweigen wird. Das

    Bekenntniss ist parteiisch, und raiiss parteiisch sein, weil es auf dasGanze einer religisen Verfassung in deren historischer Entwicke-

    lung sich bezieht, saramt den tausend unbersetzbaren Zwischen-

    vorstellungen und Gefhlsbewegungen, die darinnen erzittern. Die

    culturgeschichtliche Erkenntniss dagegen sucht dieses Ganze in seine

    Theile zu zerlegen; und nur in den Theilen, nur in einzelnenSeiten, Zgen, Richtungen liegt allemal der nothwcndig relative Wertheiner jeglichen Culturerscheinung. Nur in einzelnen Momenten voll-zieht sich aller geschichtliche Fortschritt. Diese partialen Vorzge

    auch der religisen Mannichfaltigkeiten vermag allein die culturge-

    schichtliche Wrdigung wiederum zu einem idealen Ganzen zu ver-einigen, in der Idealisirung einzelner Motive die begriffliche Vollendung

    eines geschichtlichen Gedankens darzustellen.Solche Freiheit von confessioneller Beschrnktheit, aber auch

    von freigeisterischer Flachheit, solchen Hochsinn culturgeschichtlichen

    Interesses zeigt Lange's Wrdigung des Christenthums. Und es istcharakteristisch, dass er seinen Standpunkt Strauss und Ueberweggegenber einnimmt, von denen der eine denSocialismus gehasst, der

    andere ignorirt hat.

    Damit berhren wir den letzten Punkt, den wir hier hervorhebenwollten. Dass Lange, der eine kritisch receptive Erfassung des natur-

    wissenschaftlichen Gutes unserer Zeit erstrebte, mit gleichem Drange

    die ethische Frage an ihrer lebendigen, ehrlichen Wurzel zu ergreifenverstanden hat, das vor Allem macht ihn zu einem Apostel der Kanti-schen Weltanschauung. Das zeigt nicht nur die Universalitt seines

    Geistes: das zeugt von der Tiefe seines philosophischen Gemthes,

    von der Wahrhaftigkeit seiner religisen Gesinnung.

    So mge denn das Beispiel dieses deutschen Mannes insbesondereunter den Jngern der Wissenschaft fortwirken, deren hchste Auf-

    gabe es bleiben muss, Lehrerin im Ideal" zu sein.

    Marburg, am S. Oktober ISSl.

    Hermann Cohen.

  • Vorwort zur zweiten Auflage.

    iJie vernderte Form, in welcher die Geschichte des Materia-

    lismus in dieser zweiten Auflage erscheint, ist theils eine nothwen-

    dige Folge der ursprnglichen Anlage des Buches, theils dagegen

    eine Rckwirkung der Aufnahme, welche dasselbe gefunden hat.Wie ich in der ersten Auflage (S. 241) beilufig erklrt habe,

    war meine Absicht auf eine unmittelbare Wirkung gerichtet, undich wollte mich trsten, wenn mein Buch nach fnf Jahren schonwieder vergessen wre. Statt dessen bedurfte es trotz einer Reihe

    sehr wohlwollender Recensionen fast fnf Jahre, um erst recht

    bekannt zu werden und es wurde nie strker begehrt, als in demAugenblick, da es vergriffen und, nach meinem Gefhl, auch inmanchen Theilen schon veraltet war. Letzteres gilt namentlich

    vom zweiten Theil des Werkes, der eine mindestens ebenso durch-

    greifende Umarbeitung erfahren wird, als der hier vorliegendeerste. Die Bcher, die Personen und die speciellen Fragen, um

    welche der Kampf der Meinungen sich dreht, sind zum Theilandre geworden. Der schnelle Fortschritt der Naturwissenschaften

    namentlich forderte eine totale Erneuerung des Stofi'es einzelner

    Abschnitte, wenn auch der Gedankengang und die Resultate imWesentlichen unverndert bleiben konnten.

    Die erste Auflage war zwar eine Frucht langjhriger Studien,aber der Form nach fast extemporisirt. Manche Mngel dieser

    Entstehungsweise sind jetzt beseitigt; dafr drften aber auch einige

    Vorzge der ersten Arbeit mit geschwunden sein. Dem hherenMaassBtabe, welchen die Leser, gegen meine ursprngliche Absicht,

  • Vorwort. XV

    an das Buch angelegt haben, wollte ich einerseits mglichst gerecht

    werden, anderseits konnte doch der ursprngliche Charakter des

    Werkes nicht ganz aufgehoben werden. So bin ich denn auch weit

    entfernt, dem ersten Theile in seiner neuen Form den Charaktereiner normalen historischen Monographie zu vindiciren. Ich konnte

    und wollte das Vorwalten der didaktischen und aufklrenden Ten-

    denz nicht beseitigen, welche von Anfang an auf das Eudergebniss

    des zweiten ..Theiles hinstrebt und vorbereitet und diesem Streben

    die ruhige Gleichmssigkeit einer rein objectiven Behandlung zum

    Opfer bringt. Allein indem ich allenthalben auf die Quellen zurck-

    ging und in den Anmerkungen reichliche Nachweise gab, hoffte ich

    doch den Mangel einer eigentlichen Monographie zu einem grossen

    Theile ersetzen zu knnen, ohne den wesentlichen Zweck des

    Buches aufzuopfern. Derselbe liegt nach meiner Auffassung nach

    wie vor in der Aufklrung ber die Principien, und ichvertheidige mich nicht stark, wenn man deshalb den Titel des

    Buches nicht ganz angemessen findet. Dieser hat jetzt ein histo-

    risches Recht und mag bleiben. Um aber auch denjenigen Lesernzu gentigen, welchen die historische Darstellung, wie mangelhaft

    sie auch sein mag, die Hauptsache ist, hat der erste Theil seinen

    besonderen Index erhalten und beide Theile werden gesondert zu

    haben sein. Fr mich bilden sie nach wie vor eine untrennbare

    Einheit; aber mein Recht hrt auf, wenn ich die Feder absetze

    und ich muss zufrieden sein, wenn alle Leser, auch diejenigen,

    welche fr ihren Zweck nur einzelne Theile des Ganzen brauchen

    knnen, eine billige Rcksicht auf die Schwierigkeit meiner Auf-

    gabe walten lassen.

    Marburg, im Juni 1873.

    A. Lange.

  • Vorwort zum zweiten Buche,

    JJas Erscheinen des zweiten Buches nud besonders der letztenHlfte desselben ist durch die Zunahme einer schweren Krankheit,welche nair nur noch wenig Arbeitskraft brig lsst, sehr verzgertworden. Es war mir aus gleichem Grunde unmglich, einige be-deutende Erscheinungen der letzten Zeit, welche meinen Gegenstandsehr nahe berhren, noch in den Kreis meiner Errterungen hin-

    einzuziehen. Hauptschlich bedaure ich dies hinsichtlich der RedeTyndall's ber Religion und Wissenschaft und der drei Abhand-lungen ber die Religion von Stuart Mill.

    Mit Tyndall's Rede ist fr England, welches eine so grosseRolle spielt in der Geschichte des Materialismus, eine neue Periode

    gleichsam officiell verkndigt worden. Der alte faule Frieden

    zwischen Naturwissenschaft und Theologie, den schon Huxley undneuerdings auch Darwin erschttert hatten, ist gebrochen, und dieNaturforscher verlangen das Recht, unbekmmert um irgend welchekirchliche Traditionen die Consequenzen ihrer Weltanschauung nach

    allen Seiten geltend zu machen. Der Religion wird unter An-

    lehnung an die Philosophie Spencer's ihr Fortbestand verbrgt,

    aber es wird fortan nicht mehr als gleichgltig hingenommen, inwas fr Dogmen und mit welchen Ansprchen an den Glauben diereligisen Gefhle sich ausprgen. Damit aber wird, wie schonfrher in Deutschland, ein Kampf erffnet, der nur mit der Er-hebung der Religion in das Gebiet des Ideals ein friedliches Endefinden kann.

    Hchst bemerkenswerth war mir, wie nahe Stuart Mill in seinerAbhandlung ber den Theismus, der letzten grsseren Arbeit seinesLebens, dem Standpunkte gekommen ist, dessen Begrndung auch

  • Vorwort zum zweiten Buche. XVII

    das Resultat uusrer Geschichte des Materialismus ist. Der uner-

    bittliche Empiriker, der Vertreter der Ntzlichkeitsphilosophie, der

    Mann, welcher in so manchem frheren Werke nur das Verstandes-princip zu kennen schien, macht hier das Zugestndniss, dass das

    enge und drftige Leben des Menschen einer Erhebung zu hherenHoffnungen von unsrer Bestimmung gar sehr bedrftig ist, unddass es weise erscheint, der Phantasie die Ausbildung dieser Hoff-

    nungen zu berlassen, so weit sie nur nicht mit offenbaren That-

    sachen in Conflict kommt. Wie die allgemein geschtzte Heiterkeitdes Gemthes auf der Neigung beruht, bei der schneren Seiteder Gegenwart und Zukunft in Gedanken zu verweilen, unddas heisst doch wohl, das Leben unwillkrlich zu idealisiren; sosollen wir vom Weltregiment und von unsrer Zukunft nach demTode gnstiger denken, als die sehr geringe Wahrscheinlichkeitdieser Dinge uns erlauben wrde

    ;ja es wird sogar das Idealbild

    Christi nicht nur als ein Hauptvorzug des Christenthums dargestellt,

    sondern als etwas, das auch der Unglubige sich aneignen kann.

    Wie weit ist es von hier noch bis zu unserm Standpunkt desIdeals? Die geringe, fast verschwindende Wahrscheinlichkeit, dass

    unsre Phantasiegebilde Wirklichkeit haben mchten, ist doch nurein schwaches Band zwischen Religion und Wissenschaft, und imGrunde nur eine Schwche des ganzen Staudpunktes; denn es stehtihr eine weit berwiegende Wahrscheinlichkeit des Gegentheilsgegenber, und im Gebiete der Wirklichkeit fordert die Sittlichkeitdes Denkens von uns, dass wir uns nicht an vage Mglichkeitenhalten, sondern stets dem Wahrscheinlicheren den Vorzug geben.Ist das Princip einmal gegeben, dass wir uns im Geiste eineschnere und voUkommnere Welt schaffen sollen, als die Welt derWirklichkeit, so wird man wohl auch den Mythus als Mythus

    mssen gelten lassen. Wichtiger aber ist, dass wir uns zu derErkenntniss erheben, dass es dieselbe Nothwendigkeit, dieselbe

    transscendente Wurzel unsres Menschenwesens ist, welche unsdurch die Sinne das Weltbild der Wirklichkeit giebt, und welcheuns dazu fhrt, in der hchsten Funktion dichtender und schaffen-der Synthesis eine Welt des Ideals zu erzeugen, in die wir ausden Schranken der Sinne flchten knnen, und in der wir diewahre Heimath unsres Geistes wiederfinden.

    Marburg, Ende Januaj 1875.A. Lange.

  • Inhaltsbersicht.

    Seite

    Biographisches Vorwort zur vierten Auflage VXIIIVorwort zur zweiten Auflage XIVXV

    Erstes Bach. Geschichte des Materialismus bis auf Kant.

    Erster Abschnitt. Der Materialismus im Alterthnm.Seite

    I. Die Periode der lteren Atomistik, insbesondere Demokrit. 3Der Materialismus gehrt zu den ltesten Versuchen einer philoso-

    phischen Weltanschauung. Kampf zwischen Philosophie und Religion 3. Nachweis dieses Kampfes im alten Griechenland 4. Ursprung der Philosophie. Einfluss der Mathematik und Naturfor-schung 5. Verkehr mit dem Orient. Handel 6. Das Vor-walten der Deduction 6 u. 7. Strenge Durchfhrung desMaterialismus durch die Atomistik 8. Demokrit; sein Lebenund seine Person. 9 lt. Seine Lehre 12 u. ff. Ewig-keit des Stoffs 12. Nothwendigkeit 13 u. 14. Die Atomeund der leere Raum 15. Weltbildung 16 u. 17. Eigen-schaften der Dinge und der Atome 18 u. 19. Die Seele

    19 u. 20. Ethik 21 u. 22. Empedokles und die Ent-stehung des Zweckmssigen 23 25.

    II. Der Sensualismus der Sophisten und Aristipps ethischerMaterialismus 26Sensualismus und Materialismus 26. Die Sophisten , insbesondereProtagoras 27 30. Aristipp 31 u. 32. Verhlt-niss des theoretischen zum praktischen Materialismus 33 u. 34.

    Auflsung der hellenischen Cultur unter dem Einflsse des Materia-lismus und Sensualismus 35 37.

    III. Die Reaction gegen Materialismus und Sensualismus.Sokrates, Plato, Aristoteles 38

    Unzweifelhafte Rckschritte und zweifelhafte Fortschritte der athenischenSchule gegenber dem Materialismus 38 u. 39. Der Schrittvom Einzelnen zum Allgemeinen; seine Vorbereitung durch die So-

    phisten 40 u, 41. Ueber die Ursachen der Entwicklung in

  • Inhaltsverzeichniss. XIX

    ,eite

    Gegenstzen und der Verbindung grosser Fortschritte mit reactio-

    nren Elementen 42. Zustnde in Athen 43. Sokrates

    als religiser Reformator 45 49. Inhalt und Richtung

    seiner Philosophie 50 53. Plato; seine Geistesrichtung

    und sein Bildungsgang 53 55. Seine Auffassung des All-

    gemeinen 56 58. Die Ideen und der Mythus im Dienste

    der Speculation 58 60. Aristoteles; kein Empiriker,

    sondern Systematiker 61 63. Seine Teleologie 64.

    Seine Lehre von der Substanz; Wort und Wesen 65 u. 66.

    Die Methode 67. ZurKritik der aristotelischen Philosophie

    68 70.

    IV. Der Materialismus in Griechenland und Rom nach Aristo-teles. Epikur ^

    Wechselnde Macht des griechischen Materialismus 70 71. .

    Charakter des nacharistotelischen Materialismus. Vorwalten des

    ethischen Zweckes 72. Der Materialismus" der Stoiker

    72 74. Epikur; sein Leben und seine Person 74 76.Seine Verehrung der Gtter 76. Befreiung von Aberglauben

    und Todesfurcht 77. Lustlehre 78. Physik 79

    81. Logik und Erkenntnisstheorie 82 84. Epikur als

    Schriftsteller 85. Der Uebergang von der Herrschaft der

    Philosophie zum Vorwalten der positiven Wissenschaften. Alexandria

    86 92. Antheil des Materialismus an den Errungenschaften

    der griechischen Forschung 93 96.

    V. Das Lehrgedicht des Titus Lucretius Carus ber die Natur. 97

    Rom und der Materialismus 97 99. Lucrez; sein Charakterund seine Tendenz lUO u. 101. Inhalt des ersten Buches:

    Die Religion als Quelle alles Uebels 102; Nichts wird aus

    Nichts und Nichts kann vernichtet werden 103; der leere

    Raum und die Atome 104; Lob des Empedokles; die Unend-lichkeit der Welt 105; Vorstellung von der Schwere 106; Das Zweckmssige als beharrender Specialfall unter allen mg-lichen Combinationen 107. Inhalt des zweiten Buches: DieAtome und ihre Bewegung 108 110; Ursprung der Em-pfindung; die unendliche Zahl entstehender und vergehenderWelten 111. Inhalt des dritten Buches: Die Seele 112; Eitelkeit der Todesfurcht 113 u. 114. Inhalt des viertenBuches: Die specielle Anthropologie 115. Inhalt des fnftenBuches: Kosmogonie 115; Die Methode der Mglichkeitenin der Naturerklrung 116; Entwicklung des Menschenge-schlechtes; Entstehung der Sprache, der Knste, der Staaten

    117 u. 118; die Religion 119. Inhalt des sechsten Buches:Meteorische Erscheinungen; Krankheiten; die Avernischen Orte

    120; Erklrung der Anziehung durch den Magneten 121.

  • XX Inhaltsverzeichniss.

    Zweiter Abschnitt. Die Ueber^angszeit.Seite

    I. Die monotheistischen Religionen in ihrem Verhltnisszum Materialismus 123

    Der Untergang der alten Cultur 123. Einfluss der Sklaverei;

    der Religionsmischung ; der Halbbildung 124. Unglauben undAberglauben; der Materialismus des Lebens; Wuchern der Lasterund der Religionen 125 127. Das Christenthum 127 129. Gemeinsame Zge der monotheistischen Religionen

    129 u. 130. Die mosaische Schpfungslehre 131. Reingeistige Auffassung Gottes 131. Starker Gegensatz des Christen-

    thums gegen den Materialismus 132. Gnstigere Stellung desMohammedanismus; der Averroismus; Verdienste der Araber umdie Naturwissenschaften ; Freigeisterei und Toleranz 132 137.

    Einfluss des Monotheismus auf die sthetische Auffassung derNatur 138.

    II. Die Scholastik und die Herrschaft der aristotelischenBegriffe von Stoff und Form 138

    Die aristotelische Verwechslung von Wort und Sache als Grundlage

    der scholastischen Philosophie 138 140. Die platonische

    Auffassung der Art- und Gattungsbegriffe 141. Die Grund-begriffe der aristotelischen Metaphysik 142 144. Kritik

    des aristotelischen Mglichkeitsbegriffs 144 147. Kritik

    des Substanzbegriffs 148. Die Materie 149. ModerneUmbildungen dieses Begriffs 150. Einfluss der aristotelischenBegriffe auf die Lehre von der Seele 150 153. Die Frage

    der Universalien; Nominalisten und Realisten 154 u. 155.

    Einfluss des Averroismus 156; der byzantinischen Logik 156 158. Der Nominahsmus als Vorlufer des Empirismus

    158 u. 159.

    III. Die ^Wiederkehr materialistischer Anschauungen mit derRegeneration der Wissenschaften 159

    Die Scholastik als einigendes Band der europischen Cultur 159. Die Regenerationsbewegung schliesst mit der Reform der Philo-sophie 160 u. 161. Die Lehre von der zweifachen Wahrheit 161 u. 162. Der Averroismus in Padua 163. PetrusPomponatius 163 166. Nicolaus de Autricuria 167. Laurentius Valla 168. Melanchthon und ver-schiedene Psychologen des Reforniationszeitalters 169 u. 170.

    Kopernikus 171. Giordano Bruno 172 174. . Baco von Verulam 175 u. ft'. Descartes 178 u.

    ff. Die Seele bei Baco und Descartes 181. Einfluss der

    Thierpsychologie ISl. Descartes' System und seine wirklichen

    Ansichten 182 u. f.

  • InhaltsVerzeichnisa. XXI

    Dritter Abschnitt. Der Materialismus des siebzehntenJahrhunderts.

    Seite

    I. Gassendi 1^4

    Gassendi als Erneuerer des Epiknreismus 184. Wahl diesesSystems mit Beziehung auf die Bedrfnisse der Zeit, besonders vom

    Standpunkte der Naturforschung 185. Abfindung mit der

    Theologie 185 u. 186. Gassendis Jugend; die exercitationes

    paradoxicae 187. Sein Charakter 188. Polemik gegen

    Cartesius 189 u. f. Seine Lehre 191 194. Sein Tod.

    Seine Bedeutung fr die Reform der Physik und der Naturphilo-

    sophie 195.

    II. Hobbes 19^

    Hobbes' Bildungsgang 196 u. f. Arbeiten und Erlebnisse wh-

    rend des Aufenthaltes in Frankreich 198. Definition der

    Philosophie 199. Methodisches; Anschluss an Descartes,

    nicht anBaco-, Anerkennung der grossen neueren Entdeckungen

    200 u. f. Bekmpfung der Theologie 202. Hobbes' poli-tisches System 203 205. Definition der Religion 205. Wunder 206. Physikalische Grundbegriffe 207.

    Relativismus 208. Lehre von der Empfindung 209.

    Das Weltganze und die Krperlichkeit Gottes 209 u. f.

    III. Nachwirkungen des Materialismus in England . . . . 210Zusammenhang zwischen dem Materialismus des 17. und des 18. Jahr-

    hunderts 210 u. f. Zustnde in England, welche die Aus-

    breitung des Materialismus begnstigen 211 215. Vereini-

    gung des naturwissenschaftlichen Materialismus mit dem religisenGlauben; Boyle und Newton 216. Boyles' Person undCharakter 217. Seine Vorliebe fr das Experiment 218. Anhnger der mechanischen Weltauff'assung 218 220.

    Newtons Charakter und Lebensumstnde 220 u. f. Betrach-

    tungen ber das Wesen der Newtonschen Entdeckung: er theiltedie allgemeine Voraussetzung einer physikalischen Ursache der

    Schwere 222; der Gedanke, dass dieses hypothetische Agens

    auch die Bewegung der Himmelskrper bestimmt , war nahe liegend

    und vorbereitet 223: die Verlegung der Gesammtwirkungin die einzelnen Theilchen war eine Consequenz des Atomismus

    224; die Annahme einer die Gravitation durch ihren Stoss be-wirkenden imponderablen Materie war vorbereitet durch Hobbes'

    Relativirung des Atombegriffs 224; Newton erklrt sich auf das

    Entschiedenste gegen die jetzt herrschende Auffassung seiner Lehre 225; aber er trennt die physikalische von der mathematischen

    Seite der Sache 226 ; aus dem Triumph der rein mathema-tischen Leistung ist eine neue Physik erwachsen 226 u. f.

    Einflass des politischen Zeitcharakters auf die Consequenzen der

  • XXII Inhaltsverzeichniss.

    Seite

    Systeme 228. John Locke; Lebensverhltnisse und Bil-dungsgang 228 u. f. Sein Werk ber die menschliche Er-kenntniss 230 232; andre Schriften 232. JohnToland; seine Idee eines philosophischen Cultus 233 u. f.; die Abhandlung Bewegung als wesentliche Eigenschaft der Materie" 234 236.

    Tierter Abschnitt. Der Materialismus des achtzehntenJahrhunderts.

    I. Der Einfluss des englischen Materialismus auf Frankreichund Deutschland 238England das klassische Land des Materialismus und der Mischung vonreligisem Glauben und Materialismus 238. Englische Mate-rialisten im 18. Jahrhundert: Hartley 239 u. f.; Priestley 241. Die Skepsis in Frankreich; La Mothe le Vayer 242; Pierre Bayle 243. Beginn des geistigen Verkehrszwischen England und Frankreich 244. Voltaire 245u. f.; seine Wirksamkeit fr die Newtonsche Weltanschauung 247; Stellung zum Materialismus 248 2-50. Shaf-tesbury 251 u. f. Diderot 253; sein Verhltniss zumMaterialismus 254 256; sein Anschluss an Robinet unddessen Modification des Materialismus 257 259. Geistige

    Zustnde in Deutschland 260 u. f. Einfluss von Descartes undSpinoza 261 u. f.; Einfluss der Englnder 262. DerBriefwechsel vom Wesen der Seele 262 269. Ver-schiedene Spuren des Materialismus 270.

    II. De la Mettrie 270

    Zur Ordnung der Chronologie 271 273. Biographisches

    274 276. Die Naturgeschichte der Seele" 276 280.

    Die Hypothese des Arnobius und Condillacs Statue 280. Der Mensch eine Maschine" 281 291. Lamettries Cha-rakter 292 u. f. Seine Moraltheorie 293 301. Sein

    Tod 302 u. f.

    III. Das System der Natur 303

    Die Stimmfhrer der literarischen Bewegung in Frankreich und ihrVerhltniss zum Materialismus 304. Cabanis und die mate-rialistische Philosophie 304. Das System der Natur; allge-

    meine Charakteristik 305; Der Verfasser, Baron von Hol-bach 305 u. 306. Holbachs brige Schriften 307. Seine Ethik 307. Inhalt des Werkes; der anthropologischeTheil und die allgemeinen Grundlagen der Naturbetrachtung

    308 312. Die Nothwendigkeit in der moralischen Welt; Be-

    ziehungen zur franzsischen Revolution 313. Ordnung undUnordnung sind nicht in der Natur"; Voltaires Polemik gegen

  • Inhaltsverzeichniss. XXIII

    Seite

    diesen Satz 313 317. Consequenzen des Materialismus

    durch Ideenassociation 317. Folgen fr die Auffassung desAesthetischen 318. Diderot's Auffassung des Schnen

    319. Das Recht der ethischen und sthetischen Ideen 320

    Holbachs Bekmpfung der immateriellen Seele 321. Aeusserungber Berkeley 322. Versuch einer physiologischen Begrn-dung der Sittenlehre 323. Politische Stellen 323 u. f.

    Der zweite Theil des Werkes; Kampf gegen den Gottesbegriff 325 328. Religion und Moral 329. Allgemeine Mg-lichkeit des Atheismus 330 331. Schluss des Werkes

    332.

    IV. Die Reaction gegen den Materialismus in Deutschland . 332Die Leibnitzsche Philosophie als Versuch den Materialismus zu

    berwinden 333 336. Populre Wirkung und wahrer Sinnder philosophischen Stze; die Lehre von der Immaterialitt derSeele 337 ; der Optimismus und sein Verhltniss zur Mechanik 338; die Lehre von den angebornen Vorstellungen 338u. f. Wolffs Philosophie und die Lehre von der Einfachheitder Seele 339. Die Thierpsychologie 340 u. f. Schriftengegen den Materialismus 341 344. Die Unzulnglichkeitder Schulphilosophie gegenber dem Materialismus 345. DerMaterialismus verdrngt durch das ideale Streben des 18. Jahr-hunderts 346. Reform der Schulen seit Anfang des Jahr-hunderts 347 u. 348. Das Suchen nach dem Ideal 348 u.349. Einfluss des Spinozismus 350. Goethes Spinozis-mus und sein Urtheil ber das System der Natur 351 u. 352;

    Abwendung von aller Philosophie 352.

  • Inhaltsbersicht.

    Seite

    Vorwort zum zweiten Buche XVIXVII

    Zweites Buch. Geschichte des Materialismus seit Kant.

    Erster Abschnitt. Die neuere Philosophie.Seite

    1. Kant und der Materialismus 355

    Das Zurckgehen der deutschen Philosophie auf Kant. Die bleibendeBedeutung des Kriticismus. Umkehrung des Standpunktes der Meta-physik 355 357. Bewegung und Empfindung ; die Welt alsErscheinung 358. Erfahrung als Product der Organisation.

    Kant in seinem Verhltnisse zu Plato und zu Epikur 359.

    Kant im Gegensatze zum Subjektivismus und zur Skepsis. An-regung durch Hume; dessen Standpunkt 360 363. Kant unddie Erfahrung 363 u. 364. Analyse der Erfahrung. Die synthe-

    tischen Urtheile a priori 365 382. Die Entdeckung derapriorischen Elemente 382 385. Sinnlichkeit und Verstand 385 u. 386. Raum und Zeit als Formen der Sinnlichkeit. Obsich Empfindung nicht wieder an Empfindung messen kann? DiePsychophysik 387 u. 388. Die Aprioritt von Raum und Zeitgleichwohl haltbar 388 391. Stellung des Materialismus zur

    Lehre von Raum und Zeit 391 u. 392. Die Kategorien 392. Humes Angriff auf den Causalittsbegriff 392 395. Die Deduction der Kategorien 395 u. 396. Fehler des deduc-

    tiven Verfahrens. Der gesunde Menschenverstand. Die Grund-lage der Begriffe a priori 396 398. Verschiedne Auffassun-

    gen des Causalittsbegrifi's 399. Stellung der Empiristen undMaterialisten zum Causalittsbegriff 400 402. Das Ding ansich 402 404. Die Ableitung der Kategorien und der Ur-sprung der Ideen 405 410. Die Willensfreiheit und das

    Sittengesetz 411 414. Die intelligible Welt als Ideal

    415 417.

  • Inhaltsverzeichniss. XXV

    Seite

    II. Der philosophische Materialismus seit Kant ' 417

    Die Stammlnder der neueren Philosophie wenden sich dem realenLeben zu, whrend Deutschland die Metaphysik bleibt. Der Gangder geistigen Entwicklung in Deutschland 417 421. Ur-sachen der Erneuerung des Materialismus; Einfluss der Natur-

    wissenschaften; Cabanis und die somatische Methode in der Phy-siologie 422 424; Einfluss der Gewhnung an philosophischeMeinungskmpfe und an Denkfreiheit 424 u. 425 ; naturpbilo-sophische Richtung 425 u. 426; Wendung zum Realismus seit1830 426. Feuerbach 427 435. Max Stirner 435. Verfall der Poesie; Entwicklung der Gewerbthtigkeit undder Naturwissenschaften 436 438. Die theologische Kritikund das junge Deutschland; steigende Bewegung der Geister biszum Jahre 1848 438 440. Die Reaction und die materiel-len Interessen ; erneuter Aufschwung der Naturwissenschaften

    440 442. Beginn des Materialismus-Streites 442 u. 443.

    Bchner und die Philosophie 443 447. Bchner; Persn-liches; Anregung durch Moleschott; Unklarheiten und Mngelseines Materialismus 448 451. Moleschott; Einfluss vonHegel und Feuerbach; Moleschotts nicht materialistische Erkennt-nisslehre 452 457. Mglichkeit des Materialismus nachKant. Der kategorische Imperativ : Begnge dich mit der gegebe-nen Welt 457 459. Czolbe 459 468.

    Zweiter Abschnitt. Die Naturwissenschaften.

    I. Der Materialismus und die exacte Forschung 469

    Materialisten und Specialforscher; Dilettantismus und Schule in denNaturwissenschaften und in der Philosophie 469 473.

    Naturwissenschaftliche und philosophische Denkweise 474

    477. Die Grenzen des Naturerkennens. Du Bois-Reymond 478 483 ; Missverstndnisse der Materialisten und der Theo-logen 483 488. Berichtigung der Consequenzen aus denAnnahmen Du Bois-Reymonds 489 u. 490. Die Grenzendes Naturerkennens sind die Grenzen des Erkennens berhaupt

    491, Die mechanische Weltanschauung vermag nicht das innersteWesen der Dinge zu enthllen 492. Der Materialismus machtdie Theorie zur Wirklichkeit und das unmittelbar Gegebene zumSchein 493. Die Empfindung eine fundamentalere Thatsacheals die Beweglichkeit der Materie 494 u. 495. Auch die An-nahme einer empfindenden Materie hebt nicht alle Schwierigkeiten.Das unbekannte Dritte 496. Ungerechte Vorwrfe gegen denMaterialismus 497 499. Ueberwindung des Materialismusdurch philosophische und historische Bildung 500 503.

  • XXYI Inhaltsverzeichniss.

    Seite

    Werth der Theorien 503 u. 504. Materialismus und Idealis-mus in der Naturforschung 505 511.

    II. Kraft und StofI 511Geschichte des Atombegriffs 511 u. ff. Boyle 512. Ein-

    fluss des Gravitationsgesetzes Newtons und der Relativirung desAtombegriffs durch Hobbes 512 u. 51.3. Dalton 513 516. Richter 516. Gay-Lussac 517. Avo-gadros Moleculartheorie. Berzelius. Dulong und Petit 518 u. 519. Mitscherlich und der Isormorphismus. Die Ty-pentheorie. 519. Zweifel an den Theorieen; strengere Unter-scheidung zwischen Thatsache und Hypothese 520 u. 521.

    Mathematiker und Physiker. Annahme ausdehnungsloser Atome 521 523. Fechner 523 525. Einwrfe gegendie ausdehnungslosen Atome. W. Webers Begriff einer Masseohne Ausdehnung 526 528. Einfluss der neueren chemi-schen Theorien und der mechanischen Wrmetheorie auf den Atom-begriff 529 532. Versuch der Materialisten die Kraft demStoffe unterzuordnen; Kritik desselben 532 537. DieMolecule werden immer bekannter, die Atome immer unsicherer 537 542. Das Gesetz der Erhaltung der Kraft 543

    545. Einfluss desselben auf den Stoffbegriff. Relativistische De-finitionen von Ding, Kraft und Stoff 545 547. AnsichtenFechners und Zllners. Das Problem von Kraft und Stoff'ist ein Problem der Erkenntnisstheorie 548 550.

    III. Die naturwissenschaftliche Kosmogonie 550Die neuere Kosmogonie knpft an Newton an. Die Verdichtungs-

    theorie 550 552. Die geologische Stabilittstheorie 552. Die grossen Zeitrume 553. Schlsse auf den nothwen-

    digen Untergang des Sonnensystems und des Lebens im Weltall

    554 558. Die Entstehung der Organismen 559 u. ff. DieHypothese der Urzeugung 560 566. Die Uebertragungs-theorie nach Thomson und Helmholtz. Zllners Wider-spruch 566 569. Ansichten Fechners 569.

    IV. Darwinismus und Teleologie 570Das Interesse am Darwinismus -Streit ist sehr gestiegen, die Fragen

    sind specialisirt worden , aber die Grundzge sind unverndert ge-blieben 570 u. 571. Der Aberglaube von der Species 571. Nothwendigkeit des Experimentes 571 574. Die Te-leologie 574 578. Individuum 579 583. Das Netzder Eintheilung des Thierreichs wird bei den niederen Thieren un-

    brauchbar 583, Stabilitt der organischen Formen als noth-

    wendige Folge des Kampfes um das Dasein. Das Gleichgewicht derFormen 584 587. Die Nachahmung (Mimicry) 588

    290. Correlation des Wachsthums. Morphologische Arten. DasEntwicklungsgesetz 591 597. Unterschiede gleich aus-

  • Inhaltsverzeichniss. XXVII

    Seite

    sehender Urformen 597 600. Monophyletische und poly-phyletische Descendenz 600 602. Falsche und richtigeTeleologie 603 607. Die Teleologie v. Hartmannsals ein Muster falscher Teleologie, gegrndet auf ein grobes Miss-

    verstndniss der Wahrscheinlichkeitsrechnung 607 613.

    Der Werth der Philosophie des Unbewussten" wird dadurch nochnicht bestimmt 613 u. 614.

    Dritter Abschnitt. Die Naturwissenschaften; Fortsetzung::Der Mensch und die Seele.

    I, Die Stellung des Menschen zur Thierw^elt 615

    Zunehmendes Interesse fr die anthropologischen gegenber den kosmi-schen Fragen. Fortschritte der anthropologischen Wissenschaften

    615 u. 616. Die Anwendung der Descendenzlehre auf den Menschenselbstverstndlich 617. Cuviers Machtsprche 618 u. 619.Entdeckung diluvialer Menschenreste; Alter derselben 619

    623. Spuren alter Culturzustnde 624 629. Einfluss desSchnheitssinnes 629. Die aufrechte Stellung. Entstehungder Sprache 630. Der Gang der Culturentwickelung anfangslangsam, dann mehr und mehr beschleunigt 631. Die Frageder Arteinheit 632 634. Verhltniss des Menschen zumAffen 634 636.

    II. Gehirn und Seele 636Die Schwierigkeiten des Gegenstandes haben sich erst mit dem Fort-

    schritt der W^issenschaften deutlicher herausgestellt. SchdlicheNachwirkung der Schulpsychologie 636 638. Die Phreno-logie 638 649. Die Reflexbewegungen als Grundelementder psychischen Thtigkeit. Die Pf lg er sehen Versuche 650. Verschiedne Missverstndnisse und fehlerhafte Deutungen physio-logischer Versuche 651 655. Das Gehirn producirt keinpsychologisches Abstractum 656. Fehlerhafte Theorieen vonCarus und Huschke 656 658. Die psychologischenSchulbegriffe sind vor Allem zu beseitigen 659. Zhigkeitdes Vorurtheils von der Localisation der Geistesvermgen 660. Meynerts Gehirnforschungen 661 663. Psycholo-gische Wichtigkeit der motorischen Bahnen 663 665.

    Gleichartigkeit des Erregungsvorganges in allen Nerven 666.

    Experimente von Hitzig, Nothnagel und Ferrier. Deutungderselben 666 673. Wundts Aeusserungen ber diephysiologischen Elementarphnomene zu den psychischen Functio-nen 674. Durchfhrung des Gesetzes der Erhaltung derKraft durch die Gehirnfunctionen 674 678. Der geistigeWerth des Empfindungsinhaltes 679.

  • XXVIII Inhaltsveizeichniss.

    Seite

    III. Die natur-wissenschaftliche Psychologie 679

    Irrthmer in den Versuchen einer naturwissenschaftlicLen und mathe-matischen Psychologie. Herbart und seine Schule 679 684. Nothwendigkeit einer Kritik der Psychologie 684. Hypo-thesen ber das Wesen der Seele". Eine Psychologie ohne Seele 684 u. 685. Kritik der Selbstbeobachtung und der Beobach-tung mittelst des inneren Sinnes" 686 690. Die natur-wissenschaftliche Methode und die Speculation 690 692.

    Die Thierpsychologie 692 u. 693. Vlkerpsychologie; ethno-graphische Reiseberichte 694 696. Einfluss Darwins 696 u. 697. Die somatische Methode. Anwendbarkeit des Expe-rimentes 697 u. 698. Die empirische Psychologie in England Mill, Spencer, Bain 699 705. Die Moralstatistik 705 712.

    IV. Die Physiologie der Sinnesorgane und die "Welt als Vor-stellung 712

    Die Physiologie der Sinnesorgane zeigt, dass wir nicht ussere Gegen-stnde wahrnehmen, sondern die Erscheinung von solchen hervor-bringen 712 715. Die Versetzung der Gegenstnde nachAussen und das Aufrechtsehen nach J. Mller und Ueberweg 716 719. Weitere Bearbeitung und Kritik der Theorieeberweg's 720 724. Helmholtz ber das Wesen derSinneswahrnehmungen 724 u. 725. Die Sinnesorgane alsAbstractions- Apparate 725 u. 726. Analogie mit der Ab-straction im Denken 726. Psychologische Erklrung der Er-scheinungen schliesst das Vorhandensein einer mechanischen Ursachenicht aus 726 u. 727. Die Sinnenwelt ein Product unsrerOrganisation 727. Die unbewussten Schlsse 729 u. 730. Die Annahme eines Mechanismus fr alle psychischen Functio-nen bedingt nicht den Materialismus, weil der Mechanismus selbstnur Vorstellung ist 730 u. 731. Ueberwegs Versuch, dietransscendente Realitt des Raumes zu erweisen 732 u. 733.

    Resultate 734. Rokitanskys Erklrung, dass gerade dieatomistische Theorie eine idealistische Weltanschauung sttzt 735.

    Vierter Abschuitt. Der ethische Materialismus und dieReligion.

    I. Die Volkswirthschft und die Dogmatik des Egoismus 736

    Das Entstehen der theoretischen Annahme einer rein egoistischen Ge-sellschaft 736 u. 737. Recht und Grenzen der Abstraction.Verwechslung von Abstraction und Wirklichkeit 738 u. 739.

    Die Capitalbildung und das Gesetz des Wachsens der Bedrfnisse 739 742. Der angebliche Nutzen des Egoismus 743

  • Inhaltsverzeichniss. XXIX

    Seite

    745. Ursprung des Egoismus und der Sympathie '46.

    Der sittliche Fortschritt von Buckle mit Unrecht gelugnet

    747 u. 748. Der Egoismus als Moralprincip und die Harmonieder Interessen 748 753. Prfung der Lehre von der Har-

    monie der Interessen 753 759. Ursachen der Ungleichheitund Entstehung des Proletariates 759 766.

    H. Das Christenthum und die Aufklrung 767

    Die Ideen des Christenthums als Heilmittel gegen die socialen Uebel.

    Scheinbare Wirkungslosigkeit derselben nach Mi 11 767. Mittelbare und allmhliche Wirkung. Zusammenhang des Christen-thums und der Socialreform 768 770. Die sittlichen Wir-kungen des Glaubens theils gnstig, theils ungnstig 771 773. Die Bedeutung der Form in Moral und Religion 773 777.Anspruch der Religion auf Wahrheit 777 779. Unmg-lichkeit einer Vernunftreligion ohne Dichtung 779 783.

    Pfarrer Lang und seine Bestreitung dieser Lehre 783 786.

    III. Der theoretische Materialismus in seinem Verhltnisszum ethischen und zur Religion 786

    Charakter der blichen Angriffe gegen die Religion 786 u. 788.

    Vorwalten des Verstandesprincips 788 u. 789. Plne zu einer

    neuen Religion. Comtes neue Hierarchie 789 u. 790.

    Naturwissenschaftliche Kenntnisse drfen nicht kirchlich, sondern

    nur rein weltlich behandelt werden 791 u. 792. Nicht mora-lische Belehrung macht die Religion, sondern die tragische Erscht-terung des Gemthes 792. Unser Cultus der Humanitt be-darf nicht religiser Formen 793. Der Materialismus wrdeam consequentesten die Religion ganz verwerfen 794. Pr-

    fung des Zusammenhangs zwischen ethischem und theoretischemMaterialismus 794 797. Ausbildung des Materialismus beiUeberweg 798. Sein frherer Standpunkt 799. Ma-terialistische Anlage seiner Psychologie 799 u. 800. SeineTeleologie 801. Bewusstsein von ihrer Schwche 802.

    Das Dasein Gottes 803. Uebergang zum Materialismus ; Be-lege dafr aus seinen Briefen an Czolbe und an den Verfasser

    804 806. Zweifel an dem von Czolbe behaupteten Atheis-mus Ueberwegs 806. Ethische Consequenzen seiner Weltan-schauung. Verhltniss zum Christenthum 807 812. Da-vid Friedrich Strauss. Seine letzte und definitive Weltanschauungwesentlich materialistisch 812 814. Sein Materialismuscorrect und durchdacht 814 816. Oberflchlichkeit in Be-handlung der socialen und politischen Fragen. Conservative Rich-tung 816 u. 817. Verwerfung der specifischen Zge christ-licher Ethik. Optimismus. Tadel des Cultus der freien Gemeinden 818. Vernachlssieunt: des Volkes und seiner Bedrfnisse

  • XXX Inhaltsverzeichniss.

    Seite

    819. Neigung der besitzenden Klassen zum Materialismus. DieSozialisten und die Gefahr des Umsturzes unsrer Cultur 820u. 821.

    IV, Der Standpunkt des Ideals 821Der Materialismus als Philosophie der Wirklichkeit. Wesen der Wirk-

    lichkeit 821 823. Die Funktionen der Synthesis in derSpeculation und in der Religion. Ursprung des Optimismus undPessimismus 823 u. 824. Werth und Bedeutung der Wirk-lichkeit 824 826. Schranken derselben ; der Schritt zumIdeal. Pessimismus der Reflexion und Optimismus des Ideals

    826 u. 827. Die Wirklichkeit bedarf der Ergnzung durch eineIdealwelt. Schillers philosophische Dichtungen. Die Zukunftder Religion und das innere Wesen derselben 827 833.

    Die Religionsphilosophie; insbesondere Fichte. Gruppirung derMenschen nach der Form ihres inneren Lebens 833 836.

    Schicksale der Religion in kritischen Zeiten. Mglichkeit neuer

    Religionsformen. Existenzbedingungen der Religion 837 840. Bedingungen des Friedens zwischen entgegengesetzten Stand-punkten 840 843. Der Materialismusstreit als ein ernstes

    Zeichen der Zeit. Die sociale Frage und die bevorstehenden

    Kmpfe. Mglichkeit der Milderung 843 845.

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  • ERSTES BUCH.

    GESCHICHTE DES MATERIALISMUS

    BIS AUF KANT.

    Lange, Gesch. d, Materialismus.

  • ERSTER ABSCHNITT.

    Der Materialismus im Alterthum.

    I. Die Periode der lteren Atomistik, insbesondere Oemokrit.

    Der Materialismus ist so alt als die Philosophie, aber nichtlter. Die natrliche Auffassung der Dinge, welche die ltesten

    Perioden culturhistorischer Entwickelung beherrscht, bleibt stets inden Widersprchen des Dualismus und in den Phantasiegebildender Personificatioo befangen. Die ersten Versuche sich von diesenWidersprchen zu befreien, die Welt einheitlich aufzufassen und sichber den gemeinen Sinnenschein zu erheben, fhren bereits in dasGebiet der Philosophie, und schon unter den ersten Versuchen hatder Materialismus seine Stelle.

    Mit dem Beginn des consequenten Denkens ist aber auch einKampf gegeben gegen die traditionellen Annahmen der Religion.Diese wurzelt in den ltesten und rohesten, widerspruchsvollenGrundanschauungen, die in unverwstlicher Kraft von der ungebil-deten Menge immer neuwieder erzeugt werden; eine immanente Offen-barung verleiht ihr mehr auf dem Wege der Ahnung als des klarenBewusstseins einen tiefen Gehalt, whrend der reiche Schmuck derMythologie, das ehrwrdige Alter der eberlieferung sie dem Volke.theuer machen. Die Kosmogonieen des Orients und des griechischenAlterthums geben ebenso wenig spiritualistische als materialistischeAnschauungen; sie versuchen nicht, die Welt aus einem einzigenPrlncip zu erklren, sondern zeigen uns anthropomorphe Gtter-gestalten, sinnlich-geistige Urwesen, chaotisch waltende Stoffe und

  • 4 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

    Krfte in bunten, wechselvollen Kmpfen und Arbeiten. DiesemGewebe der Phantasie gegenber verlangt der erwachende GedankeEinheit und Ordnung und es tritt daher jede Philosophie in einenunvermeidlichen Kampf mit der Theologie ihrer Zeit, der je nachden Verhltnissen erbitterter oder versteckter gefhrt wird.

    Es ist ein Irrthum, wenn man das Vorhandensein, ja das tiefeEingreifen jenes Kampfes im hellenischen Alterthum verkennt;es ist aber leicht zu sehen wie dieser Irrthum entstand.

    "Wenn Generationen einer fernen Zukunft unsere ganze heutige

    Cultur nur nach den Trmmern der Werke eines Goethe und Schel-ling, eines Herder oder Lessing beurtheilen sollten, man wrde wohl

    auch in unserer Zeit die tiefen Klfte, die scharfen Spannungen ent-

    gegengesetzter Tendenzen wenig bemerken. Es ist den grssteu

    Mnnern aller Zeiten eigen, dass sie die Gegenstze ihrer Epoche

    in sich zu einer Vershnung gebracht haben. So stehen im Alter-

    thum Plato und Sophokles da, und je der Grsste zeigt uns oft in

    seinen Werken die geringsten Spuren der Kmpfe, welche die Massezu jener Zeit bewegten, und welche auch er in irgend einer Formdurchlebt haben muss.

    Die Mythologie, welche uns in dem heitern und leichten Ge-wnde hellenischer und rmischer Dichter erscheint, war weder dieReligion des Volkes noch die der wissenschaftliph Gebildeten, son-

    dern ein neutraler Boden, auf dem sich beide Theile begegnenkonnten.

    Das Volk glaubte weit weniger an den ganzen poetisch-bevl-

    kerten Olymp als vielmehr an die einzelne stadt- und landesblicheGottheit, deren Bild im Tempel als vorzglich heilig verehrt wurde.

    Nicht die schnen Statuen berhmter Knstler fesselten die betende

    Menge, sondern die alten ehrwrdigen, unfrmlich geschnitzten und

    durch Tradition geheiligten. Es gab auch bei den Griechen eine

    starre und fanatische Orthodoxie, die sich ebensowohl auf das In-

    teresse einer stolzen Priesterschaft, als auf den Glauben einer heils-

    bedrftigen Menge sttzte.Dies wrde man vielleicht gnzlich vergessen haben, htte nicht

    Sokrates den Giftbecher trinken mssen; aber auch Aristotelesfloh von Athen , damit die Stadt sich nicht zum zweiten Male an der

    Philosophie versndige. Protagoras musste fliehen und seineSchrift von den Gttern wurde von Staatswegen verbrannt. Ana-xagoras wurde gefangen gesetzt und musste fliehen. Theodorus,

  • Der Materialismus im Alterthum. 5

    der Atheist" und wahrscheinlich auch Diogenes von Apolloniawurden als Gottesleugner verfolgt. Und alles das geschah in demhumanen Athen.

    Vom Standpunkte der Menge aus konnte jeder, auch der idealstePhilosoph als Gottesleugner verfolgt werden; denn keiner dachte

    sich die Gtter wie die priesterliclie Tradition es vorschrieb sie zu

    denken.

    Werfen wir nun einen Blick auf die Ksten Klein -Asiens injenen Jahrhunderten, die der Glanzperiode hellenischen Geistes-lebens zunchst vorangehen, so zeichnet sich durch Reichthum undmaterielle Blthe, durch Kunstsinn und Verfeinerung des Lebensdie Colonie der lonier aus mit ihren zahlreichen und bedeutendenStdten. Handel und politische Verbindungen und der zunehmendeDrang nach Wissen fhrte die Einwohner von Milet und Ephesuszu weiten Reisen, brachte sie in mannichfache Berhrung mit frem-den Sitten und Meinungen und befrderte die Erhebung einer frei-gesinnten Aristokratie ber den Standpunkt der beschrnkterenMassen. Einer hnlichen frhen Blthe erfreuten sich die dorischenColouien in Sicilien und Unteritalien. Man darf unbedenklich an-nehmen, dass, lngst vor dem Auftreten der Philosophen, unterdiesen Verhltnissen eine freiere und aufgeklrte Weltanschauungsich unter den hhereu Schichten der Gesellschaft verbreitet hatte.

    In diesen Kreisen wohlhabender, angesehener, weltgewandterund vielgereister Mnner entstand die Philosophie. Thaies, Ana-ximander, Heraklit und Empedokles nahmen eine hervorragendeStellung unter ihren Mitbrgern ein, und es ist kein Wunder, dassNiemand daran dachte, sie wegen ihrer Ansichten zur Rechenschaftzu ziehen. Dies ist freilich noch nachtrglich geschehen; denn imvorigen Jahrhundert wurde die Frage, ob Thaies ein Gottes-leugner gewesen, in eigenen Monographien eifrig abgehandelt.Vergleichen wir in dieser Beziehung die ionischen Philosophendes sechsten Jahrhunderts mit den athenischen des fnften undvierten, so werden wir fast an den Gegensatz der englischen Auf-klrung des siebenzehnten und der franzsischen des achtzehntenJahrhunderts erinnert. Dort dachte Niemand daran, das Volk inden Kampf der Meinungen zu ziehen; hier war die Aufklrungeine Waffe, welcher der Fanatismus entgegengestellt wurde.

    Hand in Hand mit der Aufklrung ging bei den loniern dasStudium der Mathematik und der Naturwissenschaften. Tha-

  • Q Erstes Buch. Erster Abschnitt.

    les, Anaximander und Anaximenes beschftigten sich mit speciellenProblemen der Astronomie, wie mit der natrlichen Erklrung desWeltganzen; durch Pythagoras von Samos wurde der Sinn fr mathe-matisch-physikalische Forschung in die westlichen Colonien desdorischen Stammes verpflanzt. Die Thatsache, dass im Osten dergnechischen Welt, wo der Verkehr mit Aegypten, Phnizien,Persien am lebhaftesten war, die wissenscliaftliche Bewegung be-gann, spricht deutlicher fr den Einfluss des Orients auf die grie-

    chische Cultur, als die sagenhaften Ueberlieferungen von den Reisen

    und Wanderstudien griechischer Philosophen. Die Idee einer ab-soluten Ursprnglichkeit der hellenischen Bildung hat ihre Berech-

    tigung, wenn man darunter die Originalitt der Form verstehtund aus der Vollendung der Blthe auf den verborgenen Charakterder Wurzel zurckschliesst ; sie wird aber zum Phantom, wenn manauf das negative Resultat der Kritik aller speciellen Ueberlieferungen

    gesttzt, auch Zusammenhnge und Einflsse leugnet, die sich, wodie gewhnlichen Quellen der Geschichte schweigen, aus der Be-trachtung der natrlichen Verhltnisse von selbst ergeben. Politische

    Beziehungen und vor Allem der Handel mussten mit Nothwendig-keit Kenntnisse, Erfindungen und Ideen auf mannichfachen Wegenvon Volk zu Volk strmen lassen und wenn Schillers Wort: Euchihr Gtter gehret der Kaufmann" acht menschlich und also fr alleZeiten giltig ist, so wird manche Vermittlung sich spter mythischan einen berhmten Namen geheftet haben, deren wahre Trger aufewig dem Andenken der Nachwelt entschwunden sind.

    Sicher ist, dass der Orient auf dem Gebiete der Astronomie undder Zeitrechnung vor den Griechen im Vorsprung war. Es gab also

    auch bei den Vlkern des Ostens mathematische Kenntnisse und Fer-tigkeiten zu einer Zeit, wo man in Griechenland noch nicht daran

    dachte; allein gerade die Matliematik war das wissenschaftliche Ge-biet, auf welchem die Griechen allen Vlkern des Alterthums weitvoran eilen sollten.

    Mit der Freiheit und Khnheit des hellenischen Geistes verband

    sich eine angeborne Gabe Con Sequenzen zu ziehen; allgemeineStze scharf und deutlich auszusprechen, die Ausgangspunkteeiner Untersuchung zh und sicher festzuhalten und die Ergebnisseklar und lichtvoll zu ordnen; mit einem Wort: das Talent derwissenscliaftlichen Deduction.

    Es ist heutzutage gebruchlich geworden, namentlich bei den

  • Der Materialismus im Alterthum. 7

    Englndern seit Baco, den Werth der Deduction zu gering anzuschla-gen. Whewell in seiner berhmten Geschichte der inductiven Wis-senschaften thut den griechischen Philosophen hufig Unrecht; na-

    mentlich der aristotelischen Schule. Er bespricht in einem eigenen

    Capitel die Ursachen ihres Misslingens, indem er bestndig denMaassstab unserer Zeit und unseres wissenschaftlichen Standpunktesan sie anlegt. Es ist aber festzuhalten, dass eine grosse Arbeit zu

    thun war, bevor die kritiklose Anhufung von Beobachtungen undUeberlieferungen in uuser folgenreiches Experimentiren bergehen

    konnte: es war eine Schule strengen Denkens zu geben, bei der eszur Erreichung des nchsten Zweckes auf die Prmissen nicht an-kam. Diese Schule begrndeten die Hellenen und sie gaben unsdenn auch zuletzt das wesentlichste Fundament deductiver Natur,die Elemente der Mathematik und die Grundlagen der formalenLogik. Die scheinbare Umkehrung des natrlichen Ganges, welchedarin liegt, dass die Menschheit frher lernte, in richtiger Weiseabzuleiten, als richtige Anfnge des Schliessens zu finden, kannerst vom psychologischen und culturgeschichtlichen Standpunkte ausals natrlich erkannt werden.

    Freilich vermochte die Speculation ber das Weltganzeund seinen Zusammenhang nicht, wie die mathematische For-schung, ein Resultat von bleibendem Werthe zu gewinnen; alleinzahllose vergebliche Versuche mussten zuerst die Zuversicht erscht-tern, mit der man sich auf diesen Ocean hinauswagte, bevor es derphilosophischen Kritik gelingen konnte, die Grnde nachzuweisen,warum eine anscheinend gleichartige Methode hier sichern Fortgang,dort blindes Herumtappen mit sich brachte. Hat doch auch in denneueren Jahrhunderten nichts so sehr dazu beigetragen, die Philo-

    sophie, die eben erst das scholastische Joch abgeschttelt hatte, zu

    neuen metaphysischen Abenteuern zu verleiten, als der Rausch, dendie staunenswerthen Fortschritte in der Mathematik im siebenzehntenJahrhundert hervorriefen! Auch hier freilich leistete der Irrthumwieder dem Culturfortschritt Dienste, denn die Systeme eines Des-cartes, Spinoza und Leibnitz brachten nicht nur mannichfache An-regungen zum Denken und Forsehen mit sich, sondern sie waren esauch, welche die von der Kritik lngst gerichtete Scholastik erst

    wirklich bei Seite schoben und damit einer gesunderen Weltanschau-ung Bahn machten.

    In Griechenland aber galt es, zunchst berhaupt einmal den

  • 3 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

    Blick vom Nebel des Wunders zu befreien und die Weltbetrachtungaus der bunten Fabelwelt der religisen und dichterischen Vorstel-lungen in das Gebiet des Verstandes und der nchternen Anschauunghinberzufhren. Dies konnte aber zunchst nur in materialisti-scher Weise geschehen; denn die Aussendinge liegen dem natr-lichen Bewusstsein nher als das Ich" und selbst das Ich haftet inder Vorstellungsweise der Naturvlker mehr am Krper als an demschattenhaften, halb getrumten, halb gedichteten Seelenwesen, das

    sie dem Krper beiwohnen Hessen.Der Satz, welchen Voltaire, sonst ein hitziger Gegner des

    Materialismus, gelten liess: Ich bin Krper und ich denke," httewohl auch die Zustimmung der lteren griechischen Philosophen ge-funden. Als man begann, die Zweckmssigkeit des Weltganzen undseiner Theile, zumal der Organismen, zu bewundern, war es einEpigone der ionischen Naturphilosophie, Diogenes von Apollo-nia, der die weltordnende Vernunft mit dem Urstoff, der Luft, iden-tificirte.

    Wre dieser Stoff bloss ein empfindender, dessen Empfin-dungsfunktionen mit der immer mannichfacheren Gliederung undBewegung des Stoffes zu Gedanken werden, so htte sich auf diesemWege auch ein strenger Materialismus entwickeln lassen; vielleichthaltbarer als der atomistische ; aber der Vernunftstoff des Diogenesist allwissend. Damit ist das letzte Rthsel der Erscheinungsweltwieder in den ersten Anfang zurckverlegt.

    Die Atomistik er durchbrachen den Kreis dieser petitio prin-cipii, indem sie das Wesen der Materie fixirten. Unter allenEigenschaften der Dinge legten sie dem Stoff nur die einfachsten, zurVorstellung eines in Raum und Zeit erscheinenden Etwas unentbehr-lichsten bei und suchten aus diesen allein die Gesammtheit der Er-scheinungen zu entwickeln. Die Eleateii mgen ihnen darin vor-gearbeitet haben, dass sie den beharrenden, nur im Denken zuerkennenden Stoff als das allein wahrhaft Seiende vom trgerischen

    Wechsel der Sinneserscheinungen unterschieden; durch die Pytha-goreer, welche das Wesen der Dinge in der Zahl, d. h. ursprnglich

    in den numerisch bestimmbaren Formverhltnissen der Krper er-kannten, mag die Zurckfhrung aller Sinnesqualitten auf die Formder Atomverbindung vorbereitet sein: immerhin gaben die Atomistikerden ersten vllig klaren Begriff dessen, was unter dem Stoff alsGrundlage aller Erscheinungen zu verstehen sei. Mit der Aufstellung

  • Der Materialismus im Alterthum. 9

    dieses Begriffes war der Materialismus als erste vllig klare undconsequente Theorie aller Erscheinungen vollendet.

    Dieser Schritt war ebenso khn und grossartig, als methodischrichtig, denn so lauge man berhaupt von den usseren Objekten derErscheinungswelt ausging, konnte man auf keinem andern Wegedazu gelangen, das Rthselhafte aus dem Offenbaren, das Ver-wickelte aus dem Einfachen, das Unbekannte aus dem Bekanntenzu erklren. Selbst die Unzulnglichkeit jeder mechanischen Welt-erklrung konnte schliesslich nur auf diesem Wege zum Vorscheinkommen, weil dies der einzige Weg einer grndlichen Erklrungberhaupt war.

    Wenigen grossen Mnnern des Alterthums mag die Geschichteso bel mitgespielt haben, als Demokrit. In dem grossen Zerrbildunwissenschaftlicher Ueberlieferung erscheint von ihm schliesslichfast nichts, als der Name des lachenden Philosophen", whrend Ge-stalten von ungleich geringerer Bedeutung sich in voller Breite aus-dehnen. Um so mehr ist der Takt zu bewundern, mit welchem Bacovon Verulam, sonst eben kein Held in Geschichtskenntniss, ihngrade aus allen Philosophen des Alterthums herausgriff und ihm denPreis wahrer Forschung zuerkannte, whrend ihm Aristoteles, derphilosophische Abgott des Mittelalters, nur als Urheber eines schd-lichen Scheinwissens und leerer Wortweisheit erscheint. Baco ver-mochte Aristoteles nicht gerecht zu werden, weil ihm jener histo-rische Sinn fehlte, der auch in grossen Irrthmern den unvermeid-

    lichen Durchgangspuukt zu einer tieferen Erfassung der Wahrheiterkennt. In Demokrit fand er einen verwandten Geist und beur-theilte ihn ber die Kluft zweier Jahrtausende hinber fast wie einen

    Mann seines Zeitalters. In der That wurde schon bald nach Bacodie Atomistik, und zwar vorlufig in der Gestalt, welche Epikurihr gegeben hatte, zur Grundlage der modernen Naturwissenschafterhoben.

    Demokrit war ein Brger der ionischen Colonie Ab der a ander thracischen Kste. Die Abderiten" hatten sich damals nochnicht den Ruf der Schildbrger" erworben, dessen sie sich imspteren Alterthum erfreuten. Die blhende Handelsstadt war wohl-habend und gebildet; Demokrits Vater war ein Mann von ungewhn-lichem Reichthum und es ist kaum zu bezweifeln, dass der lioch-begabte Sohn eine vorzgliche Erziehung genoss, wenn auch die

  • 10 Erster Abschnitt. Erstes Buch.

    Sage, dass er von persischen Magiern unterrichtet worden sei, keinenliistorischen Grund hat.

    Sein ganzes Erbtheil soll Demokrit auf die grossen Reisenverwandt haben, zu denen sein Wissensdrang ihn leitete. Armzurckgekehrt wurde er von seinem Bruder untersttzt, aber baldkam er in den Rufeines weisen, von den Gttern begeisterten Mannesdurch eingetroffene Vorhersaguugen naturhistorischer Art. Endlichschrieb er sein grosses Werk Diakosmos, dessen ffentliche Vor-lesung seine Vaterstadt mit hundert, nach andern mit fnfhundertTalenten und mit der Errichtung von Ehrensulen belohnt habensoll. Das Todesjahr des Demokrit ist ungewiss, aber allgemein dieAnnahme, dass er ein sehr hohes Alter erreicht habe und heiterund schmerzlos vom Leben geschieden sei.

    Eine reiche Flle von Sagen und Anekdoten heftet sich anseinen Namen, allein die meisten derselben sind nicht einmal bezeich-nend fr das Wesen des Mannes, dem sie gelten; am wenigsten die-jenigen, welche ihn schlechthin als den lachenden" Philosophenmit Heraklit als dem weinenden" in Parallele stellen, indem sie inihm nichts erblicken, als den heiteren Sptter ber die Thorheitender Welt und den Trger einer Philosophie, die ohne sich in dieTiefe zu verlieren. Alles von der guten Seite nimmt. Ebensowenigpasst Alles, was ihn als blossen Polyhistor oder gar als den Besitzer

    mystischer Geheimlehren erscheinen lsst. Was im Gewirr wider-spruchsvoller Nachrichten von seiner Person am sichersten feststeht,

    ist dies, dass sein ganzes Leben einer ebenso ernsten und rationellen,als ausgedehnten wissenschaftlichen Forschung gewidmet war. DerSammler der sprlichen Fragmente, welche uns aus der grossen Zahlseiner Werke geblieben sind, stellt ihn unter allen Philosophen vorAristoteles an Geist und Wissen am hchsten und spricht sogar dieVermuthung aus, dass der Stagirite die Flle des Wissens, die manan ihm bewundert, zu einem bedeutenden Theil dem Studium derWerke Demokrits zu verdanken habe.

    Es ist bezeichnend, dass ein Mann von so ausgedehntem Wissenden Ausspruch getlian hat: nicht nach Flle des Wissens soll manstreben, sondern nach Flle des Verstandes"; und wo er mitverzeihlichem Selbstgefhl von seinen Leistungen spricht, da verweilt

    er nicht bei der Zahl und Mannichfaltigkeit seiner Schriften, sondern

    er rhmt sich der Autopsie, des Verkehrs mit andern Gelehrten und

    der mathematischen Methode. Unter allen meinen Zeitgenossen,"

  • Der Materialismus im Alterthuin. 11

    sagt er, habe ich das grsste Stck der Erde durchschweift, nach

    dem Entlegensten forschend, und die meisten Himmelsstriche undLnder gesehen, die meisten denkenden Mnner gehrt und in dergeometrischen Construktion und Beweisfhrung hat mich Niemandtibertroffen; nicht einmal die Geometer der Aegypter, bei denen ich

    im Ganzen fnf Jahre als Fremdling verweilt habe."Unter den Umstnden, welche bewirkt haben, dass Demokrit

    in Vergessenheit gerieth, darf man seinen Mangel an Ehrgeiz und

    dialektischer Streitsucht nicht unerwhnt lassen. Er soll in Athengewesen sein, ohne sich einem der dortigen Philosophen zu erkennen

    zu geben. Unter seinen moralischen Aussprchen findet sich folgen-

    der: Wer gern widerspricht und viele Worte macht, ist unfhig

    etwas Rechtes zu lernen."

    Eine solche Gesinnung passte nicht in die Stadt der Sophistenund vollends nicht zum Verkehr mit einem Sokrates und Plato,deren ganze Philosophie sich am dialektischen Wortkampf ent-wickelte. Demokrit grndete keine Schule. Seine Werke wurden,wie es scheint, eifriger ausgeschrieben, als abgeschrieben. Seine

    ganze Philosophie wurde schliesslich von Epikur absorbirt. Ari-stoteles nennt ihn oft und mit Achtung, aber er citirt ihn meist nur,

    wo er ihn bekmpft und dies geschieht keineswegs immer mit dergehrigen Objektivitt und Billigkeit. Wie viel er von ihm entlehnthat, ohne ihn zu nennen, wissen wir nicht. Plato erwhnt ihn

    nirgends, man streitet sich, ob an einigen Stellen ohne Nennungdes Namens gegen ihn polemisirt werde. Daher entstand denn wohl

    die Sage, dass Plato in fanatischem Eifer alle Werke des Demokrithabe aufkaufen und verbrennen wollen.

    In neuerer Zeit hat Ritter in seiner Geschichte der Philosophie

    ein volles Gewicht antimaterialistischen Grolles auf Demokrits An-

    denken gehuft, um so mehr knnen wir uns an der ruhigenAnerkennung eines Brandis und der glnzenden und berzeugendenVertheidigung Zellers erfreuen; denn Demokrit darf in der That

    unter den grossen Denkern des Alterthums zu den grssten gezhlt

    werden.

    Ueber Demokrits Lehre sind wir bei alledem besser unter-richtet, als ber die Ansichten manches Philosophen, von dem unsmehr erhalten ist. Wir drfen dies der Klarheit und Folgerichtig-keit seiner Weltanschauung zuschreiben, die uns gestattet, auch das

    kleinste Bruchstck mit Leichtigkeit dem Ganzen einzufgen. Den

  • 12 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

    Kern desselben bildet die Atomistik, die allerdings nicht von ihmerfunden, ohne Zweifel aber erst durch ihn zu ihrer vollen Bedeu-tung gelangt ist. Wir werden im Verlauf unserer Geschichte desMaterialismus zeigen, dass die moderne Atomenlehre durchschrittweise Umwandlung aus der Atomistik Demokrits hervorgegan-gen ist. Als die wesentliche Grundlage der Metaphysik Demokritsdrfen wir folgende Stze betrachten:

    1. Aus Nichts wird Nichts; nichts, was ist, kannvernichtet werden. Alle Vernderung ist nur Verbindungund Trennung von Theilen.

    Dieser Satz, der im Princip schon die beiden grossen Lehr-stze der neueren Physik enthlt, den Satz von der Unzerstrbar-keit des Stoffes und den von der Erhaltung der Kraft, erscheintseinem Wesen nach bei Kant als die erste Analogie der Erfah-rung": Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharret die Sub-stanz, und das Quantum derselben wird in der Natur weder ver-mehrt noch vermindert." Kant findet, dass zu allen Zeiten nichtbloss der Philosoph, sondern selbst der gemeine Verstand die Be-harrlichkeit der Substanz vorausgesetzt habe. Der Satz beansprucht

    axiomatische Bedeutung als nothwendige Vorbedingung einer ge-regelten Erfahrung berhaupt und doch hat er seine Geschichte!In Wirklichkeit ist dem Naturmenschen, bei welchem die Phan-tasie noch das logische Denken berwiegt, nichts gelufiger als dieVorstellung des Entstehens und Vergehens und die Schpfung ausNichts" im christlichen Dogma ist schwerlich der erste Stein desAnstosses fr die erwachende Kritik gewesen.

    Mit der Philosophie kommt freilich auch sofort das Axiom vonder Beharrlichkeit der Substanz zum Vorschein, wenn auch anfangs

    etwas verhllt. Das Unendliche" [cinsiQOf] Anaximander's, aus wel-

    chem Alles hervorgeht, das gttliche Urfeuer Heraklits, in welchessich die wechselnden Welten verzehren, um neu aus ihm hervor-zugehen, sind Verkrperungen der beharrenden Substanz. Parme-nides aus Elea leugnete zuerst alles Werden und Vergehen. Daswahrhaft Seiende ist den Eleaten das einige All, eine vollkommengerundete Kugel, in der keinerlei Wandel noch Bewegung ist. AlleVernderung ist nur Schein! Aber hier ergab sich ein Widerspruchzwischen Schein und Sein, bei dem die Philosophie nicht beharrenkonnte. Die einseitige Behauptung des einen Axioms verletzte einanderes: nichts ohne Grund!" Woher sollte denn auch aus einem

  • Der Materialismus im Alterthum. 13

    solchen umwandelbaren Sein der Schein entstehen ? Dazu kam dieWidersinnigkeit der Leugnung der Bewegung, welche freilich un-

    zhlige Wortgefechte herbeigefhrt und dadurch die Entstehung derDialektik gefrdert hat. Empedokle und Auaxagoras beseitigendiese Widersinnigkeit, indem sie alles Entstellen und Vergehen auf

    Mischung und Trennung zurckfhren, allein erst durch dieAtomistik wurde dieser Gedanke in eine vollkommen anschaulicheForm gebracht und zum Eckstein einer streng mechanischen Welt-anschauung erhoben. Dazu war die Verbindung mit dem Axiomder Nothwendigkeit alles Geschehens erforderlich.

    2. Nichts geschieht zufllig, sondern Alles aus einemGrunde und mit Nothwendigkeit."

    Dieser Satz, den eine zweifelhafte Ueberlieferung schon demLeukippos zuschreibt, ist als entschiedene Zurckweisung aller Te-leologie aufzufassen, denn der Grund" {lo'/og) ist nichts als dasmathematisch -mechanische Gesetz, welchem die Atome in ihrer Be-wegung mit unbedingter Nothwendigkeit folgen. Aristoteles be-klagt sich daher auch wiederholt, dass Demokrit mit Beiseitelassungder Zweckursachen Alles aus der Naturnothwendigkeit erklrt habe.Eben dies rhmt Baco von Verulam, und zwar schon in seinerSchrift ber die Erweiterung der Wissenschaften, in welcher er sonstseinen Unwillen ber das aristotelische System noch klug zu be-meistern weiss (1. III, c. 4).

    Diese acht materialistische Leuguung der Zweckursachen hatdenn auch schon bei Demokrit zu denselben Missverstndnissen ge-fhrt, die noch heute den Materialisten gegenber fast allgemeinherrschen: zu dem Vorwurf, als walte bei ihm ein blinderZufall. Nichts widerspricht sich vollstndiger als Zufall und Noth-wendigkeit, und dennoch wird nichts hufiger verwechselt. DerGrund hierfr liegt darin, dass der Begriff der Nothwendigkeit einvollkommen klarer und fester, der des Zufalls ein sehr schwanken-der und relativer ist.

    Wenn einem Menschen ein Ziegel auf den Kopf fllt, whrender gerade ber die Strasse geht, so sieht mau das als Zufall an,und doch zweifelt Niemand, dass der Luftdruck des Windes, dasGesetz der Schwere und andere natrliche Umstnde den Vorgangvollstndig bestimmten, so dass er mit Naturnothwendigkeit erfolgteimd auch mit Naturnothwendigkeit gerade den in diesem Zeitmomentauf dieser bestimmten Stelle befindlichen Kopf treflen musste.

  • 14 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

    Man sieht an diesem Beispiele leicht, dass die Annahme desZufalls lediglich eine partielle Negation des Zweckes ist. Das Fallendes Steines konnte nach unserer Ansicht keinen vernnftigenZweck haben, wenn wir es zufllig nennen.

    Nimmt man nun aber mit der christlichen Religionsphilosophieabsolute Zweckbestimmung an, so hat man den Zufall ebensovollstndig ausgeschlossen, als bei Annahme absoluter Causalitt,In diesem Punkte decken sich die beiden consequentesten Welt-anschauungen vollstndig, und beide lassen dem Begriff des Zufallsnur noch einen willkrlichen und uneigentlichen praktischen Ge-brauch zu. Wir nennen zufllig entweder das, dessen Zweck oderGrund wir nicht durchschauen, lediglich der Krze wegen, alsoganz unphilosophisch, oder wir gehen von einem einseitigen Stand-punkt aus, wir behaupten dem Teleologen gegenber die Zufllig-keit des Geschehens, um nur die Zwecke los zu werden, whrendwir dieselbe Zuflligkeit wieder aufgeben, sobald vom Satze deszui-eichenden Grundes die Rede ist.

    Und mit Recht, so weit es sich um Naturforschung, oder umstrenge Wissenschaft berhaupt handelt; denn nur von der Seiteder wirkenden Ursachen ist die Erscheinungswelt der Forschungberhaupt zugnglich und jede Einmischung von Zweckursachen,welche man ergnzend neben oder ber die mit Nothwendig-keit, d. h. mit strenger Allgemeinheit der erkannten Regel wirken-den Naturkrfte stellt, hat berhaupt keine Bedeutung, als dieeiner partiellen Negation der Wissenschaft, einer willkrlichen Ab-sperrung eines noch nicht durchforschten Gebietes.

    Absolute Teleologie aber hielt schon Baco fr zulssig, wie-wohl er ihren Begriff noch nicht scharf genug fasste. Dieser Be-griff einer Zweckmssigkeit in der Totalitt der Natur, die unsim Einzelnen nur nach wirkenden Ursachen schrittweise verstnd-lich wird, fhrt freilich auf keine schlechthin menschliche, daher

    auch auf keine dem Menschen im Einzelnen verstndliche Zweckmssigkeit. Und doch bedrfen die Religionen gerade eines anthro-pomorphen Zwecks. Dieser widerspricht der Naturforschung,wie die Dichtung der historischen Wahrheit und vermag daher auchnur, Wie die Dichtung, in einer idealen Betrachtung der Dinge seinRecht zu behaupten.

    Hieraus ergiebt sich die Nothwendigkeit einer strengen Besei-tigung aller Zweckursachen, bevor Wissenschaft berhaupt entstehen

  • Der Materialismus im Alterthum. 15

    kann. Fragt man aber, ob dies Motiv auch fr Demokrit wirk-lich schon das treibende war, als er die strenge Nothwendigkeit zurGrundlage aller Naturbetrachtung machte, so muss man dabei wohl

    von einem Ueberblick ber den ganzen hier angedeuteten Zusam-menhang absehen; allein daran kann kein Zweifel sein, dass dieHauptsache vorhanden war: ein klarer Einblick in das Postulat derNaturnothwendigkeit berhaupt als Bedingung jeder rationellenNaturerkenntniss. Der Ursprung dieser Einsicht ist aber innichts zu suchen, als im Studium der Mathematik, dessen Einflussauch in der neueren Zeit in diesem Sinne entscheidend gewirkt hat.

    3. Nichts existirt, als die Atome und der leere Raum,alles Andre ist Meinung.

    Hier haben wir gleich die starke und die schwache Seite allerAtomistik in einem einzigen Satze zusammen. Die Grundlage allerrationellen Naturerklrung, aller grossen Entdeckungen der Neuzeitist die Auflsung der Erscheinungen in die Bewegung kleinsterTheilchen geworden und ohne Zweifel htte schon das classischeAlterthum auf diesem Wege zu bedeutenden Resultaten gelangenknnen, wenn nicht die von Athen ausgegangene Reaktion gegendie naturwissenschaftliche Richtung der Philosophie in so entschei-dendem Maasse die Ueberhand gewonnen htte. Aus der Atomistikerklren wir heute die Gesetze des Schalls, des Lichtes, der Wrme,der chemischen und physikalischen Vernderungen in den Dingenim weitesten Umfange, und doch vermag die Atomistik heute sowenig, wie zu Demokrits Zeiten, auch nur die einfachste Empfin-dung von Schall, Licht, Wrme, Geschmack u. s. w. zu erklren.Bei allen Fortschritten der Wissenschaft, bei allen Umbildungen desAtombegriffs ist diese Kluft gleich gross geblieben und sie wirdsich um nichts verringern, wenn es gelingt, eine vollstndige Theorieder Gehirnfunktionen aufzustellen und die mechanischen Bewegungensammt ihrem Ursprung und ihrer Fortsetzung genau nachzuweisen,welche der Empfindung entsprechen, oder anders ausgedrckt,welche die Empfindung bewirken. Die Wissenschaft darf nichtdaran verzweifeln, mittelst dieser gewaltigen Waffe dahin zu ge-langen, selbst die verwickeltsten Handlungen und die bedeutungs-vollsten Bewegungen eines lebenden Menschen nach dem Gesetzeder Erhaltung der Kraft aus den in seinem Gehirn unter Einwir-kung der Nervenreize frei werdenden Spannkrften abzuleiten, alleines ist ihr. auf ewig verschlossen, eine Brcke zu finden, zwischen

  • 16 Erstes Buch. Erster Abschnitt.

    dem, was der einfachste Klaug als Empfindung eines Sub-jektes, als meine Empfindung ist und den Zersetzungsprozessenim Gehirn, welche die Wissenschaft annehmen muss, um diese nm-liche Schallempfindung als einen Vorg