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ANDACHTENREIHE 2012 zur Verwendung in der Fürbittenwoche oder bei anderen Gelegenheiten Geschlossene Gesellschaft

Geschlossene Gesellschaft - ekkw.de · Michael Zehender (Obergeis), Pfarrer Karl Josef Gruber (Cappel), Frau Erika Schneidewind und dem Team des Medienzentrums sowie Pfarrer …

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ANDACHTENREIHE 2012

zur Verwendung in der Fürbittenwoche

oder bei anderen Gelegenheiten

Geschlossene

Gesellschaft

ANDACHTENREIHE 2012

zur Verwendung in der Fürbittenwoche

oder bei anderen Gelegenheiten

Material für Pfarrerinnen und Pfarrer,

Prädikantinnen und Prädikanten, Lektorinnen und Lektoren

herausgegeben im Auftrag des Landeskirchenamts

der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck,

Kassel im Herbst 2012

Satz im Evangelischen Medienzentrum Kassel

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INHALT

Seite

Einführung 3

Helmut Wöllenstein

„Jesus nimmt frei“ −−Der Sabbat öffnet für Menschen und für Gott 5

Michael Zehender

Abendmahl −− keine geschlossene Gesellschaft 15

Hanna Hirschberger

Unser Dorf, unser Stadtteil −− offen für andere! 25

Karl Josef Gruber

3

EINFÜHRUNG

Seit vielen Jahren wurde in unserer Kirche für die Fürbittenwoche ein

Heft herausgegeben mit vier Andachten unter einem eigenen Thema. Eine

Umfrage zur Nutzung der Andachten hat uns jetzt zu folgenden Änderun-

gen veranlasst:

Es erscheinen drei Andachten.

Das Material wird im Internet veröffentlicht.

Für eine Nutzung in der Fürbittenwoche entfalten sie das Thema der Buß-

und Bettagskampagne in Aspekten, die im Material zum Bußtag selbst

nicht ausdrücklich aufgenommen werden. Durch die Setzung eigener

Akzente sind sie jedoch auch als Andachten im Laufe des Kirchenjahres

zu verwenden.

In diesem Jahr bewegen sich die Andachten im Assoziationsfeld zum The-

ma: „Geschlossene Gesellschaft“.

Die Liednummern beziehen sich auf das Evangelische Gesangbuch.

Das Zeichen # verweist auf die Agende I der EKKW (1996).

Das Material wird vorgelegt von einer Arbeitsgruppe der Liturgischen

Kammer. Ich danke Prädikantin Hanna Hirschberger (Kassel), Pfarrer

Michael Zehender (Obergeis), Pfarrer Karl Josef Gruber (Cappel), Frau

Erika Schneidewind und dem Team des Medienzentrums sowie Pfarrer

PD Dr. Lutz Friedrichs (LKA).

Marburg, im September 2012

Helmut Wöllenstein, Propst

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„JESUS NIMMT FREI“ −− DER SABBAT

ÖFFNET FÜR MENSCHEN UND FÜR GOTT

von Michael Zehender

VORSPRUCH

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Der Sonntag ist bei uns Ruhetag. Er steht für Freiheit und Würde des

Menschen. Wer sich nur abrackert, lebt zwangsweise eingeschlossen. Wer

sich kein frei gönnt, lebt in einer geschlossenen Gesellschaft.

In dieser Andacht möchte ich dem nachgehen: Der Ruhetag ist uns von

Gott geschenkt. Und wir werden sehen, dass es selbst Jesus gut getan hat,

sich einmal frei zu nehmen.

LIED

Du hast uns, Herr, gerufen, 168,1-3

oder Liebster Jesu, wir sind hier, 161

oder Auf und macht die Herzen weit, 454

PSALM

Lobt alle den HERRN!

Lobt ihn, die ihr ihm dient!

Lobt, denn er ist nahe!

Von seinem Wesen soll jetzt und für immer

lauter Gutes gesagt sein.

Er ist über allen Völkern hoch erhaben,

über den Himmeln steht sein Glanz.

Wer ist wie der HERR, unser Gott,

im Himmel oder auf Erden,

der so hoch oben wohnt

und in tiefste Tiefen hinabsieht,

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der den Geringsten aus der Gosse

und den Armen aus dem Kehricht aufhebt,

um ihn zu den Vornehmen zu setzen,

zu den Hochgestellten seines Volks,

der einer unfruchtbaren Frau ihren Platz gibt,

den Platz einer fröhlichen Mutter von Söhnen und Töchtern!

Lobt den HERRN!

(E. Gerstenberger u.a., Psalmen - in der Sprache unserer Zeit,Neukirchen-Vluyn, 1976, Psalm 113, S. 183)

oder Psalm 27 (EG 714)

oder Psalm 63 (EG 729)

EHR SEI DEM VATER UND DEM SOHN

GEBET

Gott, du hast den Ruhetag geschaffen, damit wir neue Kraft schöpfen kön-

nen. Du schenkst uns die Unterscheidung zwischen Arbeit und Erholung,

zwischen Alltag und Sonntag, zwischen Routine und Abwechslung. Wir

brauchen die Zeit der Erholung, Entspannung und Besinnung – für uns

selbst, aber auch für die Beziehung zu unseren Mitmenschen und zu dir.

Wir bitten dich: Schenk uns dazu immer wieder neu deinen Segen. Amen.

oder

Aus der Unruhe unseres Lebens

kommen wir, Herr, zu dir.

Wir danken dir,

dass es Orte und Stunden gibt,

in denen Leib und Seele zur Ruhe kommen.

Lass uns jetzt aufatmen in deinem Frieden

und neue Kraft schöpfen für den Alltag.

Amen.

# 997

7

LIED

Ich weiß, mein Gott, dass all mein Tun, 497

oder O Heilger Geist, kehr bei uns ein, 130

HINFÜHRUNG

Dass ein Tag in der Woche uns Menschen zur Ruhe, Erholung und Besin-

nung geschenkt ist, ist in der Schöpfung Gottes angelegt. Nachdem Gott

sechs Tage am Werk war, ruhte er am siebten. Dieses, sein Gebot wird

zum Angebot für alle Menschen:

LESUNG

Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest.

Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun.

Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da

sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein

Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner

Stadt lebt.

Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das

Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum

segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.

2. Mose 20,8-11

STILLE

BESINNUNG

„Schaffe, schaffe, Häusle bauen!“ Das ist ein großes Motto unserer Leis-

tungsgesellschaft. Verbunden mit der Wendung „Wer rastet, der rostet“

wird der Mensch in eine Gesellschaft eingeschlossen, die das Menschsein

gänzlich außen vor lässt. Menschen müssen produzieren und schaffen,

damit es vorwärts geht. Arbeiten bis zur körperlichen Erschöpfung. Malo-

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chen bis an den Rand der psychischen Belastbarkeit. Oftmals geht beides

einher. Zudem erleben viele durch eine Fixierung auf Leistung oftmals

eine gewisse soziale Isolation: Bewegt man sich einzig und allein im Kon-

text des eigenen Arbeitsbereiches, werden die Arbeitskollegen oder

Geschäftspartner zu den vermeintlichen Freunden bzw. sozialen Kontak-

ten. Erst später, manchmal zu spät, muss man dann die Erfahrung machen,

dass diese Beziehungen kein auf Dauer tragfähiges Netz bilden.

Arm dran ist der, der keine Tür aus dieser geschlossenen Gesellschaft her-

aus kennt, keine Tür in die Freiheit, um sich zumindest einmal einen Tag

in der Woche Ruhe und Erholung zu gönnen. Ein Tag für die eigene See-

le, für die Familie, für Freunde und Bekannte - und auch für Gott.

Dabei ist uns Menschen genau dieser eine freie Tag nach all der Leistung,

dem Druck und der Arbeit von Gott geschenkt und gegönnt, ja sogar ein

uralter Auftrag Gottes, schon in der Schöpfung angelegt: Sabbat, Sonntag,

ein Tag für Ruhe, für die Familie, für das, was uns Kraft und Zuversicht

gibt, ein Tag für Gott. Die Kirchen in unseren Dörfern erinnern uns da-

ran: Nimm dir diesen Tag frei. Er ist ein Geschenk des Himmels an dich!

Dieses hohe Kulturgut, dieses Geschenk vom Himmel müssen wir uns

immer wieder deutlich machen. Ja, es mag Menschen geben, die sagen:

„Ruhen bringt die Welt nicht nach vorne, ruhen kann man noch, wenn

man tot ist. Ein Ruhetag ist ein verlorener Tag.“ Und doch: Dieser eine

Ruhetag in der Woche ist eine heilige Zeit. Dieser Tag ist sogar so heilig,

dass er in die Zehn Geboten Einzug gefunden hat: Du sollst den Sabbat

heiligen! Oder mit Luther übersetzt: Du sollst den Feiertag heiligen!

Warum eigentlich? Das will ich einmal mit einer Kindergeschichten nach

Nicholas Allan erzählen: Jesus nimmt frei!

Jesus war ein beliebter und fröhlicher Mann. Alle mochten ihn – sogar die

Tiere und die Blumen. Aber besonders lieb hatten ihn seine zwölf Freun-

de. Jesus tat ganz erstaunliche Dinge, und niemand konnte sich erklären,

wie er es machte. Einmal spazierte er einfach so über das Wasser und ging

dabei nicht unter. Jesus erzählte auch die spannendsten Geschichten. Die

Menschen konnten gar nicht genug bekommen und jubelten ihm zu, rie-

fen „Zugabe, Zugabe“. Tag für Tag arbeitete er hart, um die Welt schöner

zu machen … bis er eines Morgens aufwachte und völlig erschöpft war

vom Gutes-Tun. An diesem Tag klappten die Wunder nicht so gut und

auch die Geschichten fielen ihm nicht so ein wie sonst.

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Am nächsten Morgen ging Jesus zum Doktor. Dieser untersuchte ihn und

sagte: „Nimm dir einen Tag frei, Jesus. Ruh dich aus, tu etwas, was dir

Spaß macht.“

Also erzählte Jesus seinen Freunden, was der Doktor ihm verordnet hatte.

Dann ging er spazieren. Es war ein herrlicher Tag. Die Sonne schien und

nicht ein Wölkchen stand am Himmel. Kaum unterwegs, übte Jesus Rad

schlagen quer durch die Wüste. Das war ein großartiges Gefühl. Dann

jonglierte er mit seinem Heiligenschein und picknickte genüsslich unter

einer Palme. Fünf Brote und zwei Fische hatte er für sich allein zum

Essen. Danach ging er zum See, wo Boote mit Fischern unterwegs waren.

Jesus aber nahm ein erfrischendes Bad. Und ganz zum Schluss unternahm

er einen langen Ausritt auf seinem Esel, was ihm schon immer besonde-

ren Spaß gemacht hatte.

Es war ein wundervoller Tag. Aber gegen Abend, als er in der Sonne saß,

wurde Jesus plötzlich traurig und dachte: Eigentlich war es ein verlorener

Tag, denn ich habe niemandem geholfen. Ja, er hatte so ein schlechtes

Gewissen, dass er beschloss, seinem Vater alles zu erzählen. Jesus liebte

seinen Vater. Denn sein Vater wusste alles und hatte immer genau die rich-

tigen Antworten. Als Jesus ihm auf einem Berg von seinem freien Tag

erzählte, sagte sein Vater: „Schau mal kurz auf die Erde hinunter, Sohn.

Überall, wo du Rad geschlagen hast, sind in der Wüste Wasserquellen ent-

sprungen. Wo du jongliert und gepicknickt hast, tragen die Bäume die

herrlichsten Früchte. Während du geschwommen hast, hatten die Fischer

großes Glück und ihre Netze waren voll. Alle, die du auf deinem Esel

getroffen hast, wurden plötzlich froh und freuten sich ihres Lebens. Du

siehst: Nur wenn du selbst froh bist, kannst du auch andere froh machen.“

Jesus wusste: Sein Vater hatte wie immer Recht. Und er bedankte sich.

Als Jesus nach Hause kam, freuten sich seine Freunde sehr, weil er so

erholt aussah. Sie kochten ihm ein köstliches Abendessen. Später, nach-

dem er sein Nachtgebet gesprochen hatte, schlief Jesus tief und fest. Am

nächsten Morgen war er froh, dass er einen Tag frei gemacht hatte. Er hat-

te nämlich das komische Gefühl, dass noch eine Menge Arbeit auf ihn

wartete.

(Nacherzählt dem Kinderbuch „Jesus nimmt frei“ von Nicholas Allan,London 1998)

Ja, so geht es dem ein oder der anderen wohl manchmal: Man ist erschöpft

von den vielen Aufgaben, die man erledigt hat, von dem Druck an der

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Arbeit oder auch schon in der Schule. Und man braucht mal einen Tag

Auszeit. Man nimmt ihn sich, und doch fallen einem direkt Dinge ein, die

man eigentlich noch tun könnte oder erledigen müsste. Etwas treibt einen

und kommt nicht zur Ruhe. - Etwa doch ein verlorener Tag?

Nein, ganz im Gegenteil: Gott mutet uns Arbeit und Leistung zu. Wir

haben es in der Schriftlesung gehört: „Sechs Tage sollst du arbeiten und

alle deine Werke tun.“ Im Hebräischen findet sich für das Wort „Arbeit“

ein Wort, dass den Sinn dieses Gebotes noch deutlicher hervorbringt:

Maloche. Wir sollen etwas schaffen – auch für unseren Nächsten – so wie

Jesus es in dem Kinderbuch macht: Er kümmert sich um die Belange und

Sorgen der Menschen.

Nach diesem Arbeitsauftrag kommt jedoch das große „Aber“ Gottes:

„Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da

sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein

Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner

Stadt lebt.“ Nach der ganzen Maloche, nach der Leistungsanstrengung für

die Gesellschaft ist es uns nicht nur gegönnt, sondern himmlisch aufge-

tragen, uns zu erholen. Ich darf mich selbst bei allem Tun eben nicht aus

dem Blick verlieren. Ich muss auch etwas für mich selbst tun. Die ganze

Woche über nimmt die Maloche mich in Beschlag und bestimmt meine

Zeit. Danach gönnt Gott mir einen Tag ohne Maloche, einen Tag zum

Ruhen und Atemholen, auch zum Feiern, einen Tag, um meine sozialen

Kontakte zu pflegen. Ich kann erfahren, dass es auch noch ein Leben

außerhalb der Maloche gibt: Familie, Freunde – und Gott. Die Erkenntnis,

die Jesus am Ende seines freien Tages gewinnt, ist eine frei machende:

„Nur wenn du selbst fröhlich bist, kannst du auch andere froh machen.“

Die vielen Herausforderungen in unserem Leben dürfen ruhen. Wir müs-

sen an dem einen Tag keine Topleistung vollbringen. Wir dürfen einfach

nur Mensch sein. Und das sollen wir auch anderen zugestehen. Das Gebot

birgt nämlich etwas großartig Befreiendes in sich: Es galt damals auch

den Sklaven. Menschen, die also in einer zwangsweise geschlossenen

Gesellschaft lebten, denen wurde durch dieses Gebot eine Tür zur Freiheit

geöffnet, eine Tür aus der geschlossenen Gesellschaft heraus. Soziale

Gleichheit sollte zumindest am Sabbat, am freien Tag, gewährleistet sein.

Auch wenn sonst die Unterschiede im Vordergrund standen und offen-

sichtlich waren, am Sabbat waren alle gleich. Da wurde auch kein Unter-

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schied beim Essen gemacht. Jeder bekam Fleisch, weil man eine Gemein-

schaft von Gleichen war.

Und so gilt das Sabbatgebot auch heute jedem. Es schließt jeden und jede

ein. Der freie Tag ist ein Gottesgeschenk an die ganze Schöpfung, ein Tag

an dem sich alle Geschöpfe an Gott freuen sollen. Amen.

LIED

Gott Lob, der Sonntag kommt herbei, 162

oder Wohl denen, die da wandeln, 295

FÜRBITTEN (in Auswahl)

Gott,

wir danken dir für den Tag der Ruhe, des Gottesdienstes, der Andacht und

Besinnung.

Wir brauchen ihn,

denn wir können unser Leben nicht in die Grenzen

und das Tempo der Arbeitsstunden zwängen.

Wir brauchen das Schweigen,

das dieser Tag der Woche bringt.

Wir brauchen Zeit,

um uns vor Augen zu rufen,

wem wir gehören

und warum wir leben.

Wir brauchen um uns herum

eine Liebe ohne Hast und Eile,

die in freundlichen Augen leuchtet.

Wir brauchen das Teilen

von Erfahrungen, Gedanken und Träumen

ohne Hast.

12

Wir brauchen das Singen,

die Musik, die Bilder und Bücher,

die in der Geschäftigkeit der Arbeitswoche

so einfach beiseite gedrängt werden.

Wir brauchen Zeit,

um im Gebet vor dir

an die Familie, an Freundinnen und Freunde zu denken,

an die Menschen,

die in anderen Ländern deine Botschaft

unter harten Bedingungen

und in schwierigen Sprachen weitersagen.

Wir brauchen Zeit,

um im Gebet vor dir

an all die jungen Frauen und Männer zu denken,

die sich kaum oder gar nicht zum Weitergeben

deiner Liebe auffordern lassen.

Mache ihr Herz ruhig,

damit sie hören,

und rege ihren Willen an,

damit sie die besten Gaben, die sie haben,

für dein Reich auf Erden einsetzen.

Wir brauchen besonders Zeit,

um zu denken an ...

Was auch immer unsere Aufgabe in deiner Welt ist,

mach uns fähig, sie zu erfüllen,

und bewahre uns im Glauben.

Um Christi willen, stärke uns in unserem täglichen Vertrauen,

dass deine Hand auf dem Ganzen unseres Lebens ruhe.

bearb. nach # 1334

13

Wir brauchen Zeit, um an die zudenken, die uns besonders am Herzen lie-

gen:

STILLES GEBET

VATER UNSER

LIED

Wenn wir jetzt weitergehen, 168,4-6

oder Nun aufwärts froh den Blick gewandt, 394

oder Bewahre uns, Gott, 171

SEGEN

14

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ABENDMAHL −−KEINE GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT

von Hanna Hirschberger

VORSPRUCH

Der Friede Gottes sei mit euch.

Zu dieser Andacht begrüße ich Sie und heiße Sie herzlich willkommen.

Wir sind zusammengekommen, um gemeinsam zu singen und zu beten.

Sind wir offen, uns mit Andersdenkenden an einem Tisch zu treffen oder

grenzen wir uns lieber als „Geschlossene Gesellschaft“ ab? Darüber

möchte ich heute mit Ihnen nachdenken.

LIED

Gott liebt diese Welt, 409

oder Bei dir, Jesu, will ich bleiben, 406

PSALM (Ps 41)

Wohl dem, der sich des Schwachen annimmt!

Den wird der HERR erretten zur bösen Zeit.

Der HERR wird ihn bewahren und beim Leben erhalten

und es ihm lassen wohlgehen auf Erden

und ihn nicht preisgeben dem Willen seiner Feinde.

Der HERR wird ihn erquicken auf seinem Lager;

du hilfst ihm auf von aller seiner Krankheit.

Ich sprach: HERR, sei mir gnädig! Heile mich;

denn ich habe an dir gesündigt.

Meine Feinde reden Arges wider mich:

»Wann wird er sterben und sein Name vergehen?«

Sie kommen, nach mir zu schauen,

und meinen's doch nicht von Herzen;

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sondern sie suchen etwas, dass sie lästern können,

gehen hin und tragen's hinaus auf die Gasse.

Alle, die mich hassen, flüstern miteinander über mich

und denken Böses über mich:

»Unheil ist über ihn ausgegossen;

wer so daliegt, wird nicht wieder aufstehen.«

Auch mein Freund, dem ich vertraute,

der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen.

Du aber, HERR, sei mir gnädig und hilf mir auf,

so will ich ihnen vergelten.

Daran merke ich, dass du Gefallen an mir hast,

dass mein Feind über mich nicht frohlocken wird.

Mich aber hältst du um meiner Frömmigkeit willen

und stellst mich vor dein Angesicht für ewig.

Gelobt sei der HERR, der Gott Israels,

von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen! Amen!

oder Psalm 57

Erhebe dich, Gott, über den Himmel und deine Herrlichkeit über alle

Welt!

Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig!

Denn auf dich traut meine Seele,

und unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht,

bis das Unglück vorübergehe.

Ich rufe zu Gott, dem Allerhöchsten,

zu Gott, der meine Sache zum guten Ende führt.

Mein Herz ist bereit, Gott,

mein Herz ist bereit, dass ich singe und lobe.

Wach auf, meine Seele, wach auf, Psalter und Harfe,

ich will das Morgenrot wecken!

Herr, ich will dir danken unter den Völkern,

ich will dir lobsingen unter den Leuten.

Denn deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,

und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.

17

Erhebe dich, Gott, über den Himmel und deine Herrlichkeit über alle

Welt!

Ps 57,12.2-3.8-11

EHR SEI DEM VATER

GEBET

Guter Gott,

du hast deine Schöpfung weise geordnet.

Uns Menschen hast du aneinander gewiesen,

damit wir nicht alleine sind.

Gib uns deinen guten Geist,

damit wir weise verwalten, was du gut geschaffen hast,

und nicht verderben, was du geschenkt hast.

Wir bitten dich im Namen Jesu Christi,

der uns auf den Weg der Liebe

in seiner Nachfolge gerufen hat.

# 949

oder

Geist Gottes, Schöpfer unseres Lebens.

Tröste uns, wenn wir einsam sind.

Führe uns zusammen, wenn wir auseinanderstreben.

Gib uns Worte füreinander, wenn wir uns nicht verstehen.

Darum bitten wir im Vertrauen auf Jesus Christus,

unseren Herrn.

# 1245

LIED

Der du in Todesnächten, 257

oder Lass uns in deinem Namen, Herr, 614

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HINFÜHRUNG

Die Berufung des Matthäus und Jesu Mahl mit den Zöllnern ist eine von

mehreren Erzählungen, in denen Jesus sich mit sozial Verachteten an

einen gemeinsamen Tisch begibt. Menschen, die es nicht wert scheinen,

dass man sich mit ihnen abgibt, rücken in den Mittelpunkt. Jesu interes-

siert sich für sie, lädt sie ein, isst und trinkt mit ihnen. Er zeigt ihnen, dass

sie bei ihm ebenso willkommene Mitglieder der Gesellschaft sind, wie

diejenigen, die als Würdenträger beachtet werden wollen.

LESUNG

Die Berufung des Matthäus und das Mahl mit den Zöllnern

Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen,

der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und

folgte ihm.

Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele

Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.

Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst

euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?

Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, son-

dern die Kranken.

Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): »Ich habe Wohlgefal-

len an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.« Ich bin gekommen, die Sün-

der zu rufen und nicht die Gerechten.

Mt 9, 1-13

STILLE

BESINNUNG

Gelegentlich kann man an einer Restauranttür „Heute geschlossene Gesell-

schaft“ lesen, wenn man auf der Suche nach einem Lokal durch die Stadt

geht. Sei es eine Hochzeit, eine Familien- oder Betriebsfeier, die Botschaft

19

ist so eindeutig wie abweisend „Du kommst hier nicht rein“. Vielleicht

kann man noch einen Blick durch das Fenster ins Innere werfen und denkt

sich angesichts appetitlich angerichteter Speisen und fröhlicher Stimmung

„hier wäre ich jetzt auch gern dabei“. Besonders wenn man Hunger hat und

sich nun weiter auf die Suche nach einem Lokal machen muss. Aber das

Schild sagt ja deutlich, bei der geschlossenen Gesellschaft habe ich nichts

zu suchen, da gehöre ich nicht dazu, da bleibe ich außen vor.

Veranstaltet jemand ein Fest, dann möchte er sich natürlich auch mit den

Menschen umgeben, die ihm wichtig und wertvoll sind. Der Gastgeber

investiert schließlich viel Geld in einen Raum, in ausgezeichnetes Essen

und exquisite Getränke, sorgt für eine schöne Dekoration, vielleicht noch

Musik, dann möchte er natürlich nicht irgendwen an seinem Tisch sitzen

haben, womöglich noch jemanden, den er nicht leiden kann. Nicht nur

von Seiten des Gastgebers auch vom Gast ist es ein Ausdruck von Respekt

und Freundschaft, wenn man gemeinsam an einem Tisch Platz nimmt und

sich auf Gespräche und eine Tischgemeinschaft und damit auch auf einen

anderen Menschen und seine Eigenheiten einlässt. Ein geteiltes Mahl stif-

tet nicht nur für den Moment Frieden sondern ist auf Zukunft hin ange-

legt. Wie schwer ein Vertrauensbruch wiegt, der auf eine gebrochene

Tischgemeinschaft zurückgeht, beklagt Psalm 41,10: „Auch mein Freund,

dem ich vertraute, der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen.“ In der Bibel

finden wir eine Reihe von Tischgemeinschaften, die verdeutlichen, dass

erst das gemeinsame Essen und Trinken ein Zusammenleben und Frieden

ermöglichen. Abraham speist mit König Melchisedek, nachdem dieser

ihm Brot und Wein gebracht hatte (2. Mose 14,17.19). Der gegenseitige

Friedensschluss zwischen Jakob und Laban wurde erst durch das gemein-

same Mahl ermöglicht (2. Mose 31,46.54), Abraham bewirtet drei Män-

ner, die in der Mittagshitze zu seinem Zelt kommen und erweist unbe-

merkt damit Gott seine Gastfreundschaft. (1. Mose 18,1-5)

Aber nicht nur das Alte auch das Neue Testament hat eine Reihe von Bei-

spielen für eine Tischgemeinschaft, die für alle offen ist. Das Mahl

erscheint als das zentrale Mittel, um Gemeinschaft untereinander zu stif-

ten. Jesus umgibt sich immer wieder mit Menschen, die nicht zu den Pro-

minenten seiner Zeit gehören. Mit den Verachteten und Geringen ver-

bringt er seine Zeit und hält mit ihnen Tischgemeinschaft, oft zum Ärger

der Wohlsituierten. Die große soziale Bedeutung der Tischgemeinschaft

20

führte allmählich dazu, dass immer mehr Regeln und Gebote aufgestellt

wurden, wer denn würdig sei, um an einer solchen Tischgemeinschaft teil-

zunehmen. Noch im letzten Jahrhundert gab es vor der Zulassung zum

Abendmahl in vielen Gemeinden zunächst eine strenge Gewissensprü-

fung, ob man die Voraussetzungen erfüllte, um am Abendmahl teilzuneh-

men. Die strengen Regeln und die Reduzierung auf ein oder zwei Termi-

ne im Jahr, wo man am Abendmahl teilnehmen durfte, widersprechen der

Aufforderung „Kommt, es ist alles bereit, sehet und schmecket wie

freundlich der Herr ist“.

Mit einer Einschränkung und Beschränkung der Teilnahme am Tisch des

Herrn verlieren wir wichtige Merkmale der Gegenwart Christi. Tischge-

meinschaft mit Jesus ist Gemeinschaft vor Gott und mit Gott. Christus

wollte und will die geschwisterliche Gemeinschaft, nicht die Trennung in

verschieden fromme oder erfolgreiche Eliten und den unreinen und aso-

zialen Rest. Dass die Menschen, die an seinen Tisch kommen, eine

Gemeinschaft der Entlasteten, der Befreiten und Geheilten sind, dafür hat

Christus gelebt und ist gestorben. Wie kommen wir dazu, künstliche Hin-

dernisse aufzubauen und die Mahlgemeinschaft zu einer „Geschlossenen

Gesellschaft“ zu erklären?

Der Beginn der Ausgrenzung anderer von der Tischgemeinschaft ist aber

kein Phänomen heutiger Zeit, sondern begann schon zu Jesu Zeiten und

zog sich durch die Jahrhunderte. Die Offenheit, andere Konfessionen zum

Abendmahl beim ökumenischen Kirchentag einzuladen, kostete 2003 den

Priester Prof. Hasenhüttl die kirchliche Lehrerlaubnis. Zu Jesu Zeiten

spiegelte sich der soziale Status und die Gesellschaftsordnung in der

Tischordnung und wurde allmählich wichtiger als der umfassende Segen,

der die Tischgemeinschaft begleitete. Jesus durchbrach diese Entwick-

lung, die zu einer moralisch legitimierten Exklusivität führte. Das was

Jesus tat wurde in den etablierten Kreisen als Provokation und Tabubruch

verstanden. Er setzte sich mit den Menschen an einen Tisch, denen die

Moral keinen Platz am Tisch einräumte. Seine Gemeinschaft mit den Sün-

dern und Zöllnern, den Verachteten der Gesellschaft, konnte von den Pha-

risäern und Schriftgelehrten nur mit Verwunderung bzw. offener Ableh-

nung bedacht werden. Er wurde als Fresser und Weinsäufer bezeichnet,

als Freund der Zöllner und Sünder, weil die Zusammensetzung seiner

Tischgemeinschaft nicht nur ungewöhnlich, sondern für die damaligen

Verhältnisse schier unvorstellbar war. Nicht die Gerechten und kultisch

21

Reinen, die Würdenträger, die das Sagen in Tempel und Dorfgemeinschaft

haben, sitzen beieinander, sondern der menschliche Bodensatz, all dieje-

nigen, die man besser meidet und einen großen Bogen um sie herum

macht. Seinen Kritikern hält Jesus entgegen: „Die Starken bedürfen des

Arztes nicht, sondern die Kranken.“ und „Ich bin gekommen, die Sünder

zu rufen und nicht die Gerechten.“ und weiter kündigt er ihnen an: „Aber

ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit

Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen.“ Wer sich

an Jesu Tisch laden lässt, der erfährt einen Vorgeschmack auf das Fest im

Reich Gottes. Das Fest der himmlischen Tischgemeinschaft, zu der alle

geladen sind und beim dem ein Schild ganz sicher fehlen wird, das Schild

„Geschlossene Gesellschaft“.

LIED

Das sollt ihr, Jesu Jünger nie vergessen, 221

oder Er ruft die vielen her, 583

oder Gott rufet noch, 392

FÜRBITTEN

Lasst uns im Frieden zum Herrn beten: Herr, erbarme dich.

Um klare Gedanken,

um ein waches Gewissen,

um ein ruhiges, offenes Herz

lasst uns beten:

*

Um Verständnis für unsere Mitmenschen,

um Hilfsbereitschaft

und um Mut, die Wahrheit zu sagen,

lasst uns beten:

*

22

Für unsere Angehörigen und Freunde,

für alle Menschen, die auf uns angewiesen sind,

dass wir liebevoll mit ihnen umgehen,

lasst uns beten:

*

Für die Menschen, die in Not und Bedrängnis auf Hilfe warten,

für die Hungernden, die Kranken und die Verzweifelten

lasst uns beten:

*

Für unsere Kirche,

für die ganze Christenheit,

dass sie über allem Trennenden eins werde im Glauben und Tun,

lasst uns beten:

*

Für unser Volk und alle Völker der Erde,

dass sich Gerechtigkeit durchsetze

und Frieden werde, wo Krieg ist,

lasst uns beten:

*

Für die ganze Schöpfung,

dass wir bewahren, was uns anvertraut ist,

für unsere Kinder und Enkel,

lasst uns beten:

*

Herr, komm zu uns in deinem Wort

(und in den Gaben des heiligen Mahles).

Mehre in uns und durch uns dein Reich.

# 1282

23

oder

Wir brauchen Freiheit,

damit wir den Weg zu den anderen finden

und uns nicht voreinander verstecken;

damit wir uns in die Augen blicken

und nicht übereinander hinwegsehen;

damit wir miteinander reden

und uns nicht nur um uns selbst drehen.

Führe uns aus der Enge, Gott,

damit wir sagen können, wer wir sind,

und die Zweifel unseres Lebens

nicht verbergen;

damit wir uns selbst annehmen

und unsere Offenheit anderen den Mut gibt,

zu sich selbst zu kommen.

Unsere Freiheit bringst du an den Tag,

wir brauchen sie,

damit wir für die eintreten,

die nicht für sich selbst sprechen können;

damit wir denen Vertrauen entgegenbringen,

die unter Einschüchterung leiden;

damit wir uns mit denen verbünden,

die es schwer haben.

Wir danken dir für die Freiheit,

die uns zusammenführt -

du bringst sie an den Tag.

# 508

In der Stille bringen wir unsere persönlichen Bitten vor Gott:

STILLES GEBET

24

Unsere Gedanken fassen wir in dem Gebet zusammen, das Jesus uns

gelehrt hat und sprechen gemeinsam:

VATER UNSER

LIED

Preis, Lob und Dank sei Gott dem Herren, 245

oder Preisen lasst uns Gott, den Herrn, 568

oder Damit aus Fremden Freunde werden, 639

SEGEN

25

UNSER DORF, UNSER STADTTEIL -

OFFEN FÜR ANDERE!

von Karl Josef Gruber

ORGELVORSPIEL

[BITTE UM DEN HEILIGEN GEIST: Komm, Heiliger Geist, 156]

BEGRÜSSUNG

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.

Amen. Unsere Hilfe kommt im Namen des Herrn,

der Himmel und Erde gemacht hat.

Manchmal hängt ein Schild an einer Gaststätte:

„Geschlossene Gesellschaft“.

Wenn ich es lese, spüre ich Ärger in mir:

Ich wollte dort essen und trinken,

aber da sind schon andere, die sperren mich aus.

Eine solche Gaststätte, in der jemand essen und trinken und Gesellschaft

haben möchte, könnte sinnbildlich unser Dorf / unser Stadtteil sein.

Sind hier Gäste willkommen?

Können Menschen, die zu uns kommen, ihren Platz finden?

Oder ist unser Dorf / unser Stadtteil eine geschlossene Gesellschaft?

Wie können wir sie öffnen für Menschen, die hinzu kommen, die hier Hei-

mat finden wollen?

Darüber denken wir in dieser Andacht nach.

26

LIED

Du, meine Seele, singe, 302,1-2+6-8

oder Wenn das Brot, das wir teilen, 632,1-2+4

PSALM (146 - EG 757)

Halleluja! Lobe den Herrn, meine Seele!

Ich will den Herrn loben, solange ich lebe,

und meinem Gott lobsingen, solange ich bin.

Verlasset euch nicht auf Fürsten;

sie sind Menschen, die können ja nicht helfen.

Denn des Menschen Geist muss davon,

und er muss wieder zu Erde werden;

dann sind verloren alle seine Pläne.

Wohl dem, dessen Hilfe der Gott Jakobs ist,

der seine Hoffnung setzt auf den Herrn, seinen Gott,

der Himmel und Erde gemacht hat,

das Meer und alles, was darinnen ist;

der Treue hält ewiglich,

der Recht schafft denen, die Gewalt leiden,

der die Hungrigen speiset.

Der Herr macht die Gefangenen frei.

Der Herr macht die Blinden sehend.

Der Herr richtet auf, die niedergeschlagen sind.

Der Herr liebt die Gerechten.

Der Herr behütet die Fremdlinge

und erhält Waisen und Witwen;

aber die Gottlosen führt er in die Irre.

Der Herr ist König ewiglich,

dein Gott, Zion, für und für. Halleluja!

EHR SEI DEM VATER UND DEM SOHN

27

GEBET

Guter Gott,

wir sind dankbar dafür, wo unser Dorf / unser Stadtteil uns Heimat und

Geborgenheit schenkt.

Wir danken für die Menschen, die wir kennen und lieben,

gute Nachbarn, Freunde und Bekannte,

Frauen und Männer, mit denen wir hier leben.

Wir danken dir, wo wir uns als Gemeinschaft empfinden,

wo wir miteinander etwas gestalten zum Wohl aller.

Du weißt aber auch, wie es manchen Menschen geht, die neu hinzukom-

men. Nicht alle haben es leicht, ihren Platz bei uns zu finden.

Wir bitten dich: Halte unsere Augen, Herzen und Türen offen für Men-

schen, die zu uns gehören wollen.

Das bitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn, der mit

dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen.

ERZÄHLUNG nach Ruth 1

In der Bibel gibt es ein kleines Buch, das die Geschichte von zwei Frau-

en erzählt. Ich lese sie nicht im Originaltext vor, sondern möchte sie

erzählen, wie sie sich heute ereignen könnte:

Sie hatten keine Perspektive mehr für sich gesehen: Harald hatte seine

Arbeit verloren, als das Werk schloss, das so vielen hier ein Auskommen

ermöglicht hatte. Und dann war auch noch der Drogeriemarkt Pleite

gegangen, in dem Elsbeth gearbeitet und etwas zum Familieneinkommen

beigetragen hatte. Damit machte auch noch das letzte Geschäft im Ort zu.

Zwei Jungen hatten sie. Wie sollte es weitergehen? Elsbeth und Harald

stammten aus diesem Dorf, beide waren hier groß geworden. Aber je län-

ger sie darüber nachdachten, umso mehr kamen sie zu dem Ergebnis, dass

sie umziehen müssten. In Erlangen gab es eine Stelle für ihn – und schwe-

ren Herzens zogen sie fort aus ihrem Dorf in Nordhessen.

Ganz ungewohnt war es für sie, in eine Mietwohnung einzuziehen, und

noch ungewöhnlicher, auf so viele Menschen ausländischer Herkunft zu

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treffen. In manchen Häusern wurde fast nur türkisch gesprochen. Aber es

waren so viele freundliche Menschen darunter, dass nach einem anfängli-

chen Fremdeln für sie klar wurde: Hier bleiben wir.

Die Kinder wurden älter – und verliebten sich. Zuerst kam ihr Sohn Jan

mit Gülsen, dann auch Peter mit Yasemin. So ungewöhnlich war es für

ihre Eltern längst nicht mehr bei all den Kontakten, die sie gefunden hat-

ten. Nur wenn sie zu Hause im Heimatdorf anriefen, merkten sie, wie

fremd das für ihre Bekannten war.

Unmöglich war es für die Frauen, unverheiratet zusammen zu leben. Das

wollten die Familien der Mädchen nicht. So heirateten beide Söhne bald

ihre Freundinnen. Man fand Wege miteinander, die unterschiedlichen

Kulturen kennen zu lernen und friedlich miteinander umzugehen.

Dann aber kam jener fürchterliche Morgen, an dem die Polizei in der Türe

stand. Beide Söhne waren in der Nacht nicht nach Hause gekommen. Bei

einer Spritztour durch Oberfranken waren sie ums Leben gekommen.

Harald konnte das nicht verkraften, er wurde krank und starb nur ein Jahr

später.

Große Einsamkeit legte sich auf Elsbeth. Sie wusste nicht, wie es für sie

weitergehen sollte. Bis ihre frühere Schulfreundin schrieb, dass sie in

ihrem Heimatort einen Dorfladen aufmachen wollte und noch eine Part-

nerin brauche.

Elsbeth überlegte hin und her. Sie offenbarte sich ihren Schwiegertöch-

tern, den beiden jungen Witwen. „Wir kommen mit“, sagten die beiden zu

ihrer großen Überraschung. „Wir wollen bei dir leben.“

„Ihr wisst nicht, was ihr da wollt. In meinem Heimatort gibt es nicht eine

einzige türkische Familie. Die Leute haben keine richtige Vorstellung

davon. Ihr werdet Vorurteilen begegnen. Nein, bleibt hier. Sucht euch hier

neue Männer, von denen ihr die so ersehnten Kinder bekommen könnt.“

Gülsen und Yasemin ließen nicht locker. „Das wissen wir,“ sagte Yasemin.

„Und wir kommen trotzdem mit.“

Elsbeth aber redete immer wieder auf ihre Schwiegertöchter ein, dieses

Vorhaben zu lassen. Und da kam Yasemin und sagte: „Ich hab‘s mir noch

einmal überlegt. Du hast Recht. Ich glaube, ich habe dort keine richtige

Chance.“ Weinend fielen sich die beiden Frauen in die Arme. Beide spür-

ten den Schmerz der Trennung.

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Nun wollte Elsbeth auch noch einmal mit Gülsen reden. Gülsen ahnte,

was ihre Schwiegermutter mit ihr zu besprechen hatte. Und als sie mit-

einander Tee tranken, sagte Elsbeth: „Yasemin bleibt hier. Bei ihrer Fami-

lie. Ist das nicht auch sinnvoll für dich?“

Gülsen schaute sie eindringlich an: „Du bist meine Familie. Ich komme

mit dir. Ich will so leben wie du. Und ich will mir alle Mühe geben, dass

mich die Leute in deinem Dorf mögen.“

„Bei uns sind fast alle evangelisch (christlich). Du wärest die einzige

Muslima.“ „Ich kann Christin werden. Ich will wie du leben.“

Elsbeth merkte, dass am Entschluss Gülsens nicht zu rütteln war. Und so

brachen sie auf in das Dorf, in dem Elsbeth aufgewachsen und einmal zu

Hause war …

STILLE (evtl. leise Musik)

BESINNUNG

Wie sie wohl angekommen sind, die beiden? Wie hat es das Dorf wohl

aufgefasst, dass die verwitwete Elsbeth wieder da war – mit einer türki-

schen Frau?

Ich habe eben eine Geschichte erzählt, wie sie ähnlich in der Bibel schon

erzählt wurde. Es ist die Geschichte von No’omi und Rut, die nach Betle-

hem kommen. No’omi setzt alles daran, dass Rut in Betlehem einen Mann

findet, der auch ihre Zukunft sichert.

Aber wie wäre es bei uns, in unserem Dorf / in unserem Stadtteil, wenn

eine Frau so wiederkäme – mit dieser Geschichte – und mit einer Schwie-

gertochter, die einen ganz anderen kulturellen Hintergrund hat?

Diese Menschen haben eine andere Dialektfärbung oder ihre Mutterspra-

che ist nicht Deutsch, so dass sie sich mit unserer Sprache schwer tun. Wie

kommen sie bei uns an?

Wie gehen wir mit Menschen um, die seelische Wunden mitbringen und

sich darum manchmal eigenartig verhalten?

Und was bedeutet es in unserem Dorf / unserem Stadtteil, wenn solche

Menschen ganz wenig Geld haben? Woran können sie sich bei uns betei-

ligen?

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Leicht fällt es vielen von uns wohl nicht, auf solche Menschen zuzugehen;

groß sind die Unsicherheiten gegenüber dem Fremden, das uns in einer

Elsbeth und einer Gülsen begegnen würde. Aber vielleicht würde es uns

helfen, uns selbst an Situationen in unserem Leben zu erinnern, wo wir

fremd waren. Vielleicht erinnern wir uns daran, wer uns da geholfen hat

und wie wir unser Fremdsein überwinden konnten. Dann finden wir auch

Ideen, was wir tun können, damit sich zum Beispiel Elsbeth und Gülsen

bei uns willkommen fühlen. Ich denke, sie brauchen ein einfühlsames

Interesse an ihren Lebensgeschichten.

Die biblische Geschichte von No’omi und Rut erzählt nüchtern, welchen

Herausforderungen beide Frauen ausgesetzt sind: Auf sich gestellt, den

Schmerz über den Verlust ihrer Männer im Herzen, verschiedenartiger

Bedrohungen ausgesetzt, unsicher in ihrer Position, ungewiss, wie ihre

Zukunft aussehen kann.

Stellen wir uns vor, wie es Gülsen ergehen würde, wenn sie zur Kirmes

ginge oder am Stadtteilfest teilnähme? Ganz offen spricht die Bibel von

sexualisierter Gewalt, der solche Frauen ausgesetzt sein können. Die Aus-

länderin Rut findet in einem Verwandten von No’omi hilfreichen Schutz

davor. Er hat etwas zu sagen und stellt sich ausdrücklich vor sie – in aller

Öffentlichkeit. Gibt es solche Menschen auch bei uns? Würden wir uns

selbst für sie einsetzen?

Es braucht solche Menschen, die eine in sich geschlossene Gesellschaft

öffnen; es braucht solche Menschen, die eine Türe aufmachen zu Men-

schen, die auf- und angenommen werden möchten.

Könnten wir solche Menschen sein? Hier in unserer Kirchengemeinde?

Die Witwen, Waisen und Ausländerinnen und Ausländer stehen in der

Bibel unter dem besonderen Schutz Gottes. Ihnen gelten viele Regelun-

gen, die sie schützen und ihnen wenigstens so etwas wie eine Grundsi-

cherung ermöglichen sollen.

Eine Heimat sollen sie haben, so etwas wie Geborgenheit in rauen Zeiten.

Die Bibel ist realistisch darin, dass es einer Mehrheit nicht leicht fällt,

einer Minderheit eine Heimat zu geben. Viele Menschen können nur

zögerlich auf Fremde zugehen, Angst haben viele vor dem Unbekannten;

Menschen mit einem schweren Schicksal zu begegnen, braucht Mut.

In der biblischen Geschichte treffen die beiden Frauen auf einen starken

Mann, der sich für sie einsetzt und ihnen hilft, wieder Fuß zu fassen.

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Ist es uns nicht auch schon gelungen? Damals, als die vielen Heimatver-

triebenen und Flüchtlinge kamen, - nein, es war nicht leicht, so viele frem-

de Menschen im Dorf aufzunehmen. Viele sind danach wieder gegangen,

aber einige sind geblieben. Aber vielleicht erinnern wir uns an einige, die

damals zupackten, die den Neuankömmlingen halfen. Und wie war es mit

den Asylbewerbern, die in den 90er Jahren in manchen Dörfern unterge-

bracht wurden?

Gott ist ein Freund solcher Menschen. Wir können gespannt sein auf den

Erfahrungsschatz, den die Menschen mitbringen, die zu uns kommen. Sie

können Teil dieses Dorfes / dieses Stadtteils werden. Nicht nur sie können

reicher werden, auch diejenigen, die schon lange hier leben, können durch

die Menschen gewinnen, die hinzukommen.

Wir spüren, wo unser Dorf / unser Stadtteil eine geschlossene Gesellschaft

ist. Gebe uns Gott Mut, Türen und Fenster aufzumachen zu Menschen, die

neu hinzukommen.

LIED

Damit aus Fremden Freunde werden, 639

oder Ich glaube, dass die Heiligen im Geist Gemeinschaft haben, 253

FÜRBITTEN

Du Freund der Menschen, guter Gott,

wenn wir an unser Dorf / unseren Stadtteil denken,

kommen uns verschiedene Menschen in den Sinn.

Viele sind hier groß geworden,

kennen die anderen gut,

sind eingebunden in die Gemeinschaft.

Manche tun sich schwer damit,

auf andere zuzugehen.

Manche machen es anderen schwer, hier zu Hause zu sein

und Gemeinschaft zu erleben.

32

So bitten wir dich für diejenigen, die hier zu Hause sind.

Hilf ihnen für andere dazu sein,

aus dieser Sicherheit und Geborgenheit heraus auf diejenigen zuzugehen,

die es schwer haben.

[Wir rufen: Kyrie, Kyrie eleison.]

Wir bitten dich für diejenigen, die zugezogen sind und manchmal noch

nach Jahren das Gefühl haben, nicht wirklich dazuzugehören. Mache sie

offen für Erfahrungen, die sie ihre Zugehörigkeit erleben lassen.

[Wir rufen: Kyrie, Kyrie eleison.]

Wenn wir Feste feiern, Traditionen pflegen, aneinander Anteil nehmen in

Freude und Leid, lass uns nicht die vergessen, denen das eher fremd ist.

[Wir rufen: Kyrie, Kyrie eleison.]

Lass uns miteinander hinsehen und hinhören, was der andere braucht an

Interesse und Anteilnahme.

Hilf auch behutsam und freundlich mit den Grenzen des anderen umzu-

gehen.

Schenke die Bereitschaft, Fremdes und Sonderbares auszuhalten und zu

verstehen zu versuchen.

[Wir rufen: Kyrie, Kyrie eleison.]

Heute bitten wir dich aber auch besonders für die,

die all das verloren haben, was uns wertvoll ist:

Ihre Familie, ihr Haus und Heim, ihre Heimat.

Du weißt, wie viele Menschen fliehen müssen,

weil Not und Krieg sie vertreiben.

Schenke ihnen Menschen, die sie bei sich aufnehmen,

die Verständnis für ihren Kummer haben

und behutsam zuhören können, was sie an Erfahrungen gemacht haben.

[Wir rufen: Kyrie, Kyrie eleison.]

In der Stille beten wir zu dir und sagen dir persönlich, für wen in unserem

Dorf / unserem Stadtteil wir dich bitten möchten …

STILLES GEBET

[Wir rufen: Kyrie, Kyrie eleison.]

33

Und alles, was wir von dir erhoffen und erwarten dürfen, sagen wir dir mit

den Worten, die Jesus Christus uns gab:

VATER UNSER

LIED

Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen, 266,1-4

oder Der Tag ist seiner Höhe nah, 457,4-7+9

oder Herr, wir bitten: Komm und segne uns, 590

BEKANNTMACHUNGEN

SENDUNG UND SEGEN

Lasst uns nun in Frieden gehen:

Böses mit Gutem vergelten,

die Kleinmütigen stärken,

die Schwachen stützen

und alle Menschen achten.

Gott, der alles Leben schafft,

erlöst und heiligt,

geht mit uns.

# 1466Empfangt Gottes Segen.

Gott segne dich und behüte dich.

Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Gott erhebe sein Angesicht über dich

und gebe dir Frieden

4.Mose 6,24-26Amen. Amen. Amen.

ORGELNACHSPIEL