Gesinnungsethik vs. Verantwortungsethik · PDF fileAlbert-Ludwigs-Universität Freiburg Seminar für Wissenschaftliche Politik Vorkurs - Einführung in die Politikwissenschaft Dozent:

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  • Albert-Ludwigs-Universitt FreiburgSeminar fr Wissenschaftliche PolitikVorkurs - Einfhrung in die PolitikwissenschaftDozent: Ulrich Eith, M.A.WiSe 93/94

    Gesinnungsethik vs. Verantwortungsethik ?

    Gegenstze und Gemeinsamkeiten eines Begriffspaares

    Hans Christoph TimmFcher: Politik, Mathematik, Geschichte

    1. Fachsemester

    Am Flograben 2D-79102 Freiburg i. Br.

    Tel. 0761 / 28 10 93

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    Inhaltsverzeichnis

    1. Einleitung 32. Das Begriffspaar "Gesinnungsethik" und "Verantwortungs-

    ethik"4

    2.1. Herkunft der Begriffe 42.2. Entwicklung des Begriffspaares bei Max Weber 52.2.1. Gesinnungsethik 62.2.2. Verantwortungsethik 72.2.3. "Idealtypen" als webersche Methode 93. Folgerungen aus den unterschiedlichen Handlungsmaximen

    in praktischen Teilbereichen der Politik11

    4. Sozialwissenschaften und Handlungsempfehlungen 125. Schlufolgerungen 13

    Literaturhinweise 14

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    1. Einleitung"Soweit Handeln nicht nur heteronom gesetzte

    Notwendigkeiten exekutiert, Naturzwnge aller Art, und dieseindeutig und ohne jeglichen Spielraum, soweit Handelnber Freiheits-, sprich Gestaltungsgrade verfgt, ist esethisch 'anfllig'."

    Diese Aussage des Berliner Politologen Wolf-Dieter Narr, die eigentlichnur Selbstverstndlichkeiten ausspricht, macht deutlich, warum sich so vieleDenker den Kopf ber das Verhltnis zwischen Politik und Ethik zerbrochenhaben und immer noch zerbrechen. Schlielich geht es (mit Ausnahmevielleicht der Naturwissenschaften) nirgendwo so deutlich wie in der Politikum das "Gestalten", das Handeln ber Naturzwnge hinaus. Aus derTatsache, da Handeln ethisch "anfllig", d.h. Objekt ethisch-moralischerBeurteilung ist, folgt zwingend die Frage nach den Kriterien dieserBeurteilung.

    Die vorliegende Arbeit will der Frage, inwieweit Max Webers Thesenbei Entscheidungen und Bewertungen in der Politik hilfreich sein knnen,insbesondere anhand seines Begriffspaares "Gesinnungsethik" und"Verantwortungsethik" nachgehen. Andere Bereiche des Verhltnisses vonPolitik und Ethik bei Max Weber, wie die vor allem in den 60er Jahrengefhrte Diskussion ber die mgliche geistige Wegbereitung faschistoiderHerrschaftsformen durch Weber, insbesondere durch sein Idealbild der vomVolk gewhlten charismatischen Fhrerpersnlichkeit, wie er es in den "Dreireinen Typen der legitimen Herrschaft" entwickelt hat, mssen hierunbeachtet bleiben. Das Gleiche mu fr die Folgen der religisen Ethikenwie der calvinistischen Arbeitsethik fr den politischen Alltag gelten. Es solldaneben aber auch auf einige Folgen dieser begrifflichen Zweiteilung inanderen gesellschaftlichen Bereichen hingewiesen werden.

    Die internationale Literatur zu Max Weber hat mittlerweileunbersichtliche Ausmae angenommen und wchst noch immer weiter.Dabei werden die unterschiedlichsten Themen behandelt: Neben demmittlerweile wieder etwas abgeflauten Streit ber Webers Vorstellungen zuStaat und Regierung steht die Diskussion ber die grundstzlichenLeitgedanken hinter seinem Werk. Diese wird besonders erschwert durchdie Tatsache, da sein Werk durch seinen frhen Tod in groen Teilen nurbruchstckhaft geblieben ist. Es wird Webers, sein ganzes Werk

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    durchziehende Forderung nach der Werturteilsfreiheit der Sozialwissen-schaften ebenso diskutiert wie seine berlegungen zum Verhltnis derErkenntnisse dieser Sozialwissenschaften zu politischen Zielen. Darberhinaus ist die Beschftigung mit der Person Max Webers, vor allem zuseinem einhundertsten Geburtstag 1964, nie ganz verstummt.

    2. Das Begriffspaar "Gesinnungsethik" und "Verantwortungsethik"2.1. Herkunft der Begriffe

    Der Gedanke eines Paares gegenstzlicher Ethiken ist nicht WebersErfindung. Nicht nur bei Aristoteles lassen sich bereits Anstze einerGesinnungsethik finden, wenn er betont, beim Geben komme es nicht aufdie Gre der Gabe an, sondern auf die Art der zugrunde liegendenHaltung.

    Wesentlich weiter ausgearbeitet wird das Thema und vor allem dieGegenberstellung zu einer auf vollkommen anderen Grundstzenbasierenden Ethik bei Webers Zeitgenossen Max Scheler. Dieserunterscheidet zwischen den Begriffen "Gesinnungsethik" und "materialerEthik". Dabei wandelt sich letztere in einem Proze der Annherung derWnsche an das Machbare in eine "Erfolgsethik" - hierauf soll spter inanderem Zusammenhang nochmals eingegangen werden.

    Max Weber selber greift bei seiner Beschreibung der"Gesinnungsethik" auf die christliche Ethik der Bergpredigt zurck, die er die"absolute Ethik des Evangeliums" nennt. So nennt er die "Forderungen derBergpredigt" "rein gesinnungsethisch", und beschreibt den (hier religisen)Gesinnungsethiker mit den Worten "der Christ tut recht und stellt den ErfolgGott anheim". Um die Unbedingtheit der Bergpredigt zu verdeutlichen, seideren vorletzter Abschnitt hier auszugsweise zitiert:

    "An ihren Frchten sollt ihr sie erkennen. Kann man dennTrauben lesen von den Dornen oder Feigen von denDisteln? So bringt jeder gute Baum gute Frchte; aber einfauler Baum bringt schlechte Frchte. Ein guter Baum kannnicht schlechte Frchte bringen, und ein fauler Baum kannnicht gute Frchte bringen."

    2.2. Entwicklung des Begriffspaares bei Max WeberFr das Verstndnis des Verhltnisses von Politik und Ethik bei Max

    Weber ist es ntig, zuerst auf Webers spezifisches Politikverstndnis

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    einzugehen. Dieses ist seinem 1919 gehaltenen Vortrag "Politik als Beruf"an den Anfang gestellt: Weber erinnert an die mannigfaltigen Bedeutungendes Wortes, das zunchst jede Art einer leitenden Ttigkeit umfassenknne. Er grenzt ihn aber ein auf den Bereich der Leitung des Staates. DenStaat wiederum sieht er durch das ihm und nur ihm eigene "Monopollegitimer physischer Gewaltsamkeit" innerhalb eines Gebietes definiert.Daraus leitet er ab, da " 'Politik' [...] Streben nach Machtanteil oderBeeinflussung der Macht-verteilung" (was ja selber auch wieder Machterfordert) sei. Weber fhrt darauf fort, indem er die Rechtfertigungsgrndeverschiedener Herrschaftsformen in Form einer Paraphrase seiner "Dreireinen Typen der legitimen Herrschaft" anfhrt.

    Fr das Verhltnis der Politik zur Ethik ist bei Weber entscheidend dasbereits genannte Begriffspaar. Er arbeitet den Begriff der "Gesinnungsethik"zwar ebenfalls in seinen Schriften zur "Religionssoziologie" heraus, alsGegensatz zur "Verantwortungsethik" und als moralischerBewertungsmastab fr politische Handlungen taucht er allerdings nur in"Politik als Beruf" und seinen Aufstzen zur Wissenschaftslehre auf.

    In "Politik als Beruf" erscheint das Begriffspaar am deutlichsten. Hierschreibt Weber einleitend in dem zugehrigen Abschnitt von den beidenFormen der ethischen Begrndung als "zwei voneinandergrundverschiedenen, unaustragbar gegenstzlichen Maximen", zwischendenen ein "abgrundtiefer Gegensatz" bestehe. Dazu zgerte er dann auchnicht, reine Gesinnungsethik in konkreten Fllen mit dem "Pharisismuseines Schmarotzers" (hier: amerikanische Pazifistinnen im ersten Weltkrieg)zu vergleichen, sie als "pharisische Verstndnislosigkeit" fr ein aktuellesProblem (hier: der Schweizer fr "die historischen Pflichten eines [...] alsMachtstaat organisierten Volkes") zu geieln.

    2.2.1. GesinnungsethikWas, d.h. welche Art von Handeln, fat nun Weber unter die

    genannten Kategorien? Er stellt hier neben den religisenGesinnungsethiker immer wieder den Kmpfer aus sozialistischerberzeugung und beschreibt grundlegende Unterschiede. Ersterer weise dieVerantwortung fr unerwnschte Folgen seines Tuns von sich, mache dafr

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    die Welt bzw. den Gott, der sie schuf, verantwortlich. Er selber fhle sich nurverantwortlich dafr, "da die Flamme der reinen Gesinnung" nicht erlsche.

    In einer hnlichen Position sieht Weber zum Beispiel die von ihm heftigkritisierten Pazifisten, die whrend des ersten Weltkrieges die sofortigeNiederlegung der Waffen forderten, um dem Krieg ein Ende zu bereiten.Hier versumt Weber nicht, darauf hinzuweisen, da seiner Meinung nachdem Frieden und dem Ansehen des Friedens, also dem eigentlichen Ziel derBemhungen, durch diese Bestrebungen mehr geschadet als gentzt wurde.Dem Gesinnungsethiker allerdings kann und mu dieses zweitrangig sein.

    Dagegen steht das Verhalten der Sozialisten im Kampf fr dieWeltrevolution innerhalb und auerhalb Deutschlands. Gesinnungsethikerauch sie, liegt ihr oberstes Ziel keinesfalls in der Gewaltlosigkeit: "Wenn wirvor der Wahl stehen, entweder noch einige Jahre Krieg und dann Revolutionoder jetzt Friede und keine Revolution, so whlen wir: noch einige JahreKrieg" zitiert Weber die revolutionren Sozialisten. Und genau hier liegt frihn das Problem: Fllt es ihm als westlich-christlich geprgtem Menschennoch schwer, Einwnde gegen eine religise Gesinnungsethik derBergpredigt zu formulieren, so sieht er im Fall eines derart blutigen Kampfesfr irgendein Ziel die Grenzen berschritten, was ihn zu der Gegentheseveranlat, der Gesinnungsethiker msse "jedes Handeln, welchesgefhrliche Mittel anwendet", verwerfen.

    Zumindest miverstndlich erscheint Gnther Roth dieseumstandslose Zuordnung der Bolschewisten und Spartakisten zurGesinnungsethik. Er bemerkt, da die Charakterisierung, derGesinnungsethiker ertrage die ethische Irrationalitt der Welt nicht, sichernicht auf Leute wie Lenin zutreffe.

    2.2.2. VerantwortungsethikDem gegenber entwirft Weber die Kategorie des Verantwortungs-

    ethikers, der seine Verantwortung nicht bequem mit der Dummheit deranderen Menschen abtun knne. Er msse vielmehr die "durchschnittlichenDefekte" der Menschen einkalkulieren, selber Verantwortung fr die Folgenseines Tuns bernehmen.

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    Als Synonym fr verantwortungsethische Entscheidungen steht (nichtnur bei Weber) die Entscheidung mit dem Kopf. Ganz anders, geradezu alsein offener Widerspruch zu diesen Aussagen erscheint dagegen dieFeststellung, da Politik nicht nur mit dem Kopf gemacht werde. Alsberleitung kann hier