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Gewerkschaftsrechte sind Menschenrechte 20 Jahre Arbeitskreis Intersoli Arbeitskreis Internationale Solidarität der IG Metall Wolfsburg

Gewerkschaftsrechte sind Menschenrechte - IG …...tender Leiter des Vertrauenskörpers im VW-Werk Wolfsburg, vor Ort über die Arbeit d brasilianischen Gewerkschaften. Sein Reisebericht

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Page 1: Gewerkschaftsrechte sind Menschenrechte - IG …...tender Leiter des Vertrauenskörpers im VW-Werk Wolfsburg, vor Ort über die Arbeit d brasilianischen Gewerkschaften. Sein Reisebericht

Gewerkschaftsrechte sind Menschenrechte

20 JahreArbeitskreisIntersoli

Arbeitskreis InternationaleSolidarität der IG Metall Wolfsburg

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V O R W O R T I M P R E S S U M

1982 wurde der Arbeitskreis Internationale Solidariät - kurz InterSoli –

gegründet. Seit 20 Jahren bemühen sich Wolfsburger Gewerkschafter

um Kontakte zu ihren Kolleginnen und Kollegen in den ausländischen VW-

Werken. Das Jubiläum ist Anlass, die erfolgreiche InterSoli-Arbeit in dieser

Broschüre gebühren zu würdigen.

20 Jahre internationale Gewerkschaftsarbeit - das bedeutet unzählige

Erfahrungen, Geschichten und Eindrücke. Nur einen Bruchteil dieser In -

formationen zu verwerten, hätte viele hundert Seiten gefüllt. Wir hatten

uns aber die Aufgabe gestellt, keine „dicke Festschrift“ herauszugeben,

sondern eine kleine, lesbare Broschüre. Wir wollen, dass möglichst viele

Kolleginnen und Kollegen, sich mit dieser Broschüre über die 20-jährige

InterSoli-Geschichte informieren - und dadurch Spaß an internationaler

Arbeit bekommen. Wir können noch aktive Gewerkschafter in unserer

Arbeit gebrauchen.

An dieser Stelle ganz herzlichen Dank an Martina Könnecke, die die

schwierige Aufgabe gemeistert hat, die Fülle der Erinnerungen und

Dokumente auf 80 Seiten zu komprimieren.

Ein ebenso herzlicher Dank geht an die vielen Zeitzeugen, die mit ihren

persönlichen Informationen und Fotos dieses Heft erst möglich gemacht

haben.

Wolfgang Schulz

IG Metall Wolfsburg

August 2002

IG Metall Wolfsburg, (verantwortlich: Wolfgang Schulz) Siegfried-Ehlers-Str. 1, 38440 WolfsburgRedaktion: Willi Dörr / Martina KönneckeMitarbeit: Walter Hiller, Karl Morgenstern, Frank Patta, Klaus Schneck,Wolfgang Schulz und Hans-Jürgen Uhl, sowie die InterSoli-Arbeits -gruppen Brasilien, Südafrika, Mexico, China, Mittel- und OsteuropaGrafik: Ulrich Scholz DesignDruck: Oeding-Druckerei Braunschweig

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Inhalt..............................................................................................................................1

Reisebericht:Brasilien – das reiche, arme Land ..........................................................................2

Gewerkschaftsrechte sind MenschenrechteInterSoli-Arbeit – heute so wichtig wievor 20 Jahren......................................8

20 Jahre InterSoli WolfsburgUnterstützung im weltweiten Kampf für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit........................................................14

Gewerkschaftsbewegung in BrasilienDer Militärdiktatur erfolgreich getrotzt............................................................30

InterSoli-Arbeitskreis Brasilien“Wir sind mit dem Herzen bei Eurem Kampf“ ................................................37

Gewerkschaftsbewegung in SüdafrikaJahrelanger Kampf gegen die unmenschliche Apartheidspolitik ..............42

InterSoli-Arbeitskreis SüdafrikaGleiche Rechte für alle Arbeitnehmer in Südafrika ......................................48

InterSoli-Arbeitskreis Mexico„No-Reeleccion“ – ein System mit großen Problemen ..................................52

InterSoli-Arbeitskreis ChinaArbeitnehmervertretung im Umbruch ............................................................60

InterSoli-Arbeitskreis Mittel- und OsteuropaAufbau unabhängiger Organisationen nach dem Zusammenbruch ......68

20 Jahre InterSoli – wie geht die Arbeit weiter?Interview mit Wolfgang Schulz, Frank Patta und Klaus Schneck................74

Chronologie ..............................................................................................................78

Glossar ......................................................................................................................80

I N H A L T

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2 I N T E R S O L I W O L F S B U R G

Frank Patta – sechs Wochen Gewerkschafter in Brasilien

Brasilien – das reiche, arme LanSechs Wochen lang informierte sich Frank Patta im Herbst 1999, damals noch stellver

tender Leiter des Vertrauenskörpers im VW-Werk Wolfsburg, vor Ort über die Arbeit d

brasilianischen Gewerkschaften. Sein Reisebericht schildert eindrucksvoll die gewaltig

Widersprüche dieses großen Landes. Er zeigt gleichzeitig, dass für die internationale

Gewerkschaftsarbeit eins unerlässlich ist: Wir müssen erfahren, wie unsere Kolleginne

und Kollegen in den anderen Ländern leben.„Ich bin inBrasilien zumersten Malmit Elend und

Straßenkindernkonfrontiert worden“Frank Patta, Leiterdes IG Metall-Vertrauenskörpers

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„Nach anfänglichen Schwierig -keiten mich hier zurecht zu finden,habe ich Brasilien und ganz beson -ders Sao Paulo in mein Herz ge -schlossen. Dieses riesige Land, dasfünftgrößte der Welt, ist 24 malgrößer als Deutschland. Nebenvielerlei Eindrücken, Diskussionen,Freundschaften und Erfahrungenbin ich aber auch das erste Malrichtig mit Elend und Straßen kin -dern konfrontiert worden.

Brasilien, dieses reiche und wun-derschöne Land, in dem so großeArmut herrscht. Ein Prozent derReichen verfügt über das gleicheVolkseinkommen wie 75 Prozentder Bevölkerung. 60 Millionen dergeschätzten 180 Millionen Ein-wohner leben in sogenannten Farvellas, Armenviertel zum Teilohne Strom, fließendem Wasser,sanitäre Anlagen und Heizung.

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„Ein Prozentder Reichen ver -fügt über dasgleiche Volksein -kommen wie 75 Prozent derBevölkerung.“

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Sie wohnen in selbstgebasteltenHütten aus Kisten, Sperrholz undKartons unter Brücken und in Stein-häusern so groß wie Garagen.

Brasilien, ein Land mit gewaltigensozialen Problemen. Viele Menschenstehen nachts vor den Notaufnah-men der Krankenhäuser Schlange,weil sie sich keinen Arzt leistenkönnen. Die Feuerwehr in Sao Paulosammelt die Toten von den Strassenauf, packt sie in Plastiksäcken undlädt sie auf Lastwagen. Brasilien istdas Land mit der höchsten Kinder-sterberate in Südamerika, 25 Prozentder Bevölkerung sind Analphabetenund der Staat kümmert sich nichtum die Schulbildung und Erziehung.Ich habe von Fällen aus dem Nord -osten gehört, von provisorischenSchulen bei Lehrern zu Hause, woauf getrockneter Baumrinde mitKreide geschrieben wurde weil keinGeld für Papier da ist.

Korruption, Armut und Gewalt sindnormal, ein Menschenleben wirdschon für ein paar Turnschuhe aus-gelöscht. Allein in Sao Paulo werdentäglich im Schnitt 50 Menschen um-gebracht, es sind mehr Menschenin diesem „zivilen Krieg“ gestorbenals im Vietnam-Krieg.

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„Korruption,Armut und Gewaltsind normal, einMenschenlebenwird schon fürein paar Turn -schuhe aus-gelöscht“

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Brasilien, ein Land in dem man nur inbewachten Parks und Anlagen spa-zieren gehen kann und die Häuservergittert sind wie Gefängnisse.Knapp fünf Mark beträgt der gesetz-liche Mindestlohn pro Tag, der oftnoch nicht einmal gezahlt wird.Viele Leute müssen 50 bis 60 Stun-den an sieben Tagen die Woche für200 - 300 DM arbeiten, aber ihre

Familien können sie davon nichternähren.

In Brasilien wird jede Minute einWaldstück so groß wie ein Fußball-feld abgeholzt. Viele Menschenkönnen sich kein Land kaufen, ob-wohl es billig ist. Einige wenigebesitzen dagegen Fazendas - dassind Bauernhöfe, die so groß sindwie ganze Bundesländer in Deutsch-land. Sämtliche Großindustrie ausder ganzen Welt ist hier ansässigund trotzdem gibt es keine Mittel-schicht. Rohstoffe gibt es in Hülle

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„Viele Leutemüssen 50 bis 60 Stunden an sieben Tagen dieWoche für 200 -300 DM arbeiten,aber ihre Fami -lien können siedavon nichternähren. “

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und Fülle und einen Boden in demfast alles wächst. Ein Spruch lautet:„Schmeiße Teer in die Erde und eswachsen Straßen.“ Brasilien einLand, in dem die Arbeiterpartei PTin den Kommunen und in vielenBundesstaaten gute Politik betreibtund dennoch wird ihr Präsident-schaftskandidat Lula nicht gewählt,weil er Arbeiter ist.

Brasilien, wo Strassenkinder bar-fuß mit leerem Blick auf Strassenbetteln für Drogen oder Essen undsich über Fußball unterhalten. KleineKinder Müll sammeln und auf Müll-bergen leben oder einfach ihre win-zigen Körper anbieten. Geschätzte50 000 Minderjährige prostituierensich in Brasilien aber die Dunkel -

ziffer liegt weit höher. Kinder wer-den gejagt und getötet von privatorganisierten Todesschwadronen,die von wohlsituierten Bürgern undGeschäftsleuten angeheuert wer-den, um die jungen „störenden“Armen einfach zu beseitigen.

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„50 000Minderjährigeprostituierensich in Brasilien –

die Dunkelzifferliegt weithöher“

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Brasilien, das Land der Fußballplät-ze, wo die Menschen so viel Kraft,Glauben, und Optimismus haben.Unsere Kollegen hier sind so stolzauf ihre Gewerkschaft. Sie habenden politischen Kampf gegen dieUngerechtigkeit aufgenommen.

Diese Menschen, die von einer in-neren und äußeren Schönheit sind,mit dem Samba im Blut; Leute allerRassen und Hautfarben leben fried-lich zusammenund sindtrotz ihrerProbleme so sympathisch, offen undGastfreundlich.

Mir geht es wie den Freunden, dieich hier gefunden habe. Ich bin be-eindruckt und liebe dieses Landtrotz seiner Widersprüche – wahrhaft: dio es um braziliero. “

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„UnsereKollegen sind sostolz auf ihreGewerkschaft. Sie haben den politischen Kampfgegen die Unge -rechtigkeit auf -genommen“

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Gewerkschaftsrechte sind Menschenrechte

InterSoli-Arbeit – heute so wichtig wie vor 20 JahrenGewerkschaftsrechte sind Menschenrechte. Gewerkschaften haben sich deshalb immer auch als Menschenrechtsorgansiationen verstanden. Die IG Metall setzt sich weltweit für Unterdrückte ein – heute genauso wie vor 20 Jahren. Das Ziel lautet: Freiheit und Gleichheit, ein Leben und Arbeiten in Selbststimmung und Würde –ohne Unterdrückung, Bedrohung und Not.

Bildzeile

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In vielen Teilen der Welt sind Ausbeutung und Unterdrückungder Menschenrechte nach wie voran der Tagesordnung. Der Interna-tionale Bund Freier Gewerkschaften(IBFG) hat in 113 Ländern Verlet-zungen von Arbeitnehmerrechtenregistriert. 223 Gewerkschafterinnenund Gewerkschafter sind im Jahre2001 ermordet worden oder spurlosverschwunden. Tausende wurdenzusammengeschlagen, verhaftet,misshandelt, gefoltert – nur weilsie Gewerkschaftsarbeit geleistethaben. Sie hatten die Zahlung aus-stehender Löhne gefordert, bessereArbeitsbedingungen verlangt, umGespräche und Verhandlungen ge-beten, sich für soziale Fürsorge,Bildung und ein gerechtes Einkom-men eingesetzt. Wegen dieser„Verbrechen“ wurden sie getötetoder eingesperrt.

„Den meisten Menschen in Deutsch-land sind die schwierigen Bedingun-gen, unter denen Gewerkschafter inanderen Ländern arbeiten, kaumvorstellbar“, meint der Vorsitzendeder IG Metall Klaus Zwickel. „Dieheutigen Arbeitnehmer haben dieZeit des Nationalsozialismus nichtmehr erlebt und erinnern sich kauman die Diktaturen in Spanien, Portu-gal oder Griechenland.“Betroffenheit könne – so Zwickel –daher nur durch ständige Informa-tion geschaffen werden.

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„Den meistenMenschen inDeutschland sinddie schwierigenBedingungen, unter denen Gewerkschafter inanderen Ländernarbeiten, kaumvorstell bar“Klaus Zwickel

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Globalisierung und Arbeitnehmerrechte

Gewerkschaftarbeit darf an natio-nalen Grenzen nicht haltmachen.Zum einen, weil internationale Solidarität Prinzip der Gewerk-schaftsbewegung ist, zum ande-ren, weil aufgrund der immer en-geren Verpflechtung der Weltwirt-schaft die eigenen Arbeitsplätzeentscheidend von der internationa-len Entwicklung abhängen.„Der Konkurrenzkampf auf demWeltmarkt ermutigt die Unter -nehmer, Arbeitnehmerrechte zu beschneiden, wo immer sie können“,beklagt Guy Ryder, Generalsekretärdes IBFG. 200 Millionen Kinder ar-beiten weltweit als billige Arbeits-kräfte, Millionen Menschen werdenals Zwangsarbeiter ausgebeutet,Gewerkschaftsrechte vielfach mitFüßen getreten. Etwa ein Fünftelder Weltbevölkerung lebt in extre-mer Armut, 700 bis 800 Millionensind weltweit ohne Arbeit.

Der „Wettbewerbsvorteil“ durchrücksichtslose Ausbeutung wird inden Industriestaaten dazu miss-braucht, soziale und gewerkschaft-liche Errungenschaften in Frage zustellen. „Deshalb müssen Betriebs-räte und Gewerkschaften gerade inweltweit operierenden Unterneh-men dafür sorgen, dass an allenStandorten eines Konzerns die Men-schen- und Arbeitnehmerrechte ge-schützt und gefördert werden“, fordert auch Barbara Lochbihler,Generalsekretärin der deutschenSektion von amnesty international.

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„Der Konkur-renzkampf aufdem Weltmarktermutigt die Unternehmer, Arbeitnehmer-rechte zu beschneiden, wo immer siekönnen“Guy Ryder

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InterSoli-Arbeit in Wolfsburg

Internationale Gewerkschaftsarbeithat innerhalb der IG Metall Wolfs-burg eine lange Tradition. In vielenBereichen konnten die Wolfsburgersogar eine Vorreiter-Rolle überneh-men. Die Geschichte der 20-jährigenInterSoli-Arbeit, die auf den näch-sten Seiten ausführlich vorgestelltwird, wäre ohne die besondere Rol-le von Volkswagen nicht denkbar,glaubt Walter Hiller. Diese beson-dere Rolle fußte einerseits auf demhohen gewerkschaftlichen Organi-sationsgrad der Beschäftigten, derdem Betriebsrat eine starke Vertre-tungsmacht sicherte. Und anderer-seits auf die erweiterten Mitbe-stimmungsmöglichkeiten, die dasVW-Gesetz eröffnete. „Zwischen

Unternehmen und Interessenvertre-tung entspann sich eine Traditionder Konfliktlösung, die später alskooperative Konfliktbewältigungbezeichnet werden sollte und diefür die industriellen BeziehungenVolkswagens bis heute prägend ist“,stellt Hiller fest. Der langjährigeVorsitzende des Gesamt- und Kon-zernbetriebsrates hat die interna-tionale Arbeit in den Anfangsjahrenentscheidend mitgeprägt.

Die InterSoli-Arbeit ist in den ver-gangenen 20 Jahren zu einem festenBestandteil der Gewerkschaftsarbeitder IG Metall Wolfsburg geworden.Als einzige Verwaltungsstelle be-kam sie vom IG Metall-Vorstanddie Genehmigung, selbstständiginternational tätig zu werden –

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„ZwischenUnternehmenund Interessen-vertretung ent-spann sich eineTradition derKonfliktlösung,die später als kooperative Kon-fliktbewältigungbezeichnet wurdeund die für dieindustriellen BeziehungenVolkswagens bisheute prägendist“Walter Hiller

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ansonsten ausschließliches Rechtder Gewerkschaftszentrale inFrankfurt. Aber aufgrund der Nähezum Konzernsitz und den damitverbundenen besseren Kontaktenzu den Kollegen der ausländischenVW-Stand-orte gestattete der damalige IG Metall-Chef Eugen Loderer Wolfsburg eine Sonderrolle.

InterSoli mehr als ein Arbeitskreis

1982 wurde der Arbeitskreis Inter -nationale Solidarität – kurz Inter-Soli – gegründet. Seit 20 Jahrenbemühen sich Wolfsburger Ge-werkschafter um Kontakte zu ihrenKolleginnen und Kollegen in denausländischen VW-Werken. Das Jubiläum ist Anlass, die erfolgreicheInterSoli-Arbeit in dieser Broschüregebührend zu würdigen.

Die internationale Arbeit innerhalbder IG Metall Wolfsburg umfasstaber sehr viel mehr als die in dennächsten Kapiteln dargestellte Ge -

schichte. Kolleginnen und Kollegenengagieren sich auf den unter-schiedlichsten Gebieten mit viel-fältigen Aktivitäten. Sie sollen andieser Stelle nicht vergessen wer-den, auch wenn sie natürlich hierund heute nicht entsprechend ge-würdigt werden können.

Seit vier Jahren pflegt die IG MetallWolfsburg eine enge Kooperationmit den Gewerkschaften der spani-schen Region Baix-Llobregat. ImRahmen dieser Partnerschaft nimmtinsbesondere der Jugendaustauscheine wichtige Funktion ein. Kontakteund freundschaftliche Beziehungenunterhält die IG Metall Wolfsburgebenso zu den israelischen Kollegender Gewerkschaft Histradut.

Vertrauensleuten und Betriebsrätenaus Wolfsburg diskutieren mit ihrenKolleginnen und Kollegen aus den VW-Werken Brüssel, Poznan, Bratislava und Mlada Boleslav. Wolfsburger Gewerkschafter arbeiten – oft federführend –

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1999 vereinbarenVW-Managementund Betriebsrat inBarcelona dieGründung desWelt-Konzern-betriebsrates.

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in sogenannten NGOs (Nichtregie-rungsorganisationen). Erinnert seian die terre des hommes-Gruppein Gifhorn, die attac-Gründung inWolfsburg oder die Initiative Trans-fair.

Die IG Metall-Jugend trifft sich regel -mäßig mit jungen Gewerkschafternu.a. in Polen und Spanien, sie orga-nisiert Treffen mit der Menschen-rechtsorganisation „sos racisme“ inWolfsburgs franzözischer Partner-stadt Marignane.

Die Spenden-Aktion der VW-Be-schäftigten „Eine Stunde für dieZukunft“ hat mittlerweile einigenhundert Straßenkindern eineChance zum Überleben gegeben.

Mit der „Tu’S“-Kampagne für Tole-ranz und Solidarität und vielen an-deren Aktivitäten ist die IG Metallimmer an vorderster Stelle dabei,wenn es um internationale Solida-rität für unsere ausländischen Kol-leginnen und Kollegen in Deutsch-land geht.

Die Reihe der Aktivitäten – vor allemdie Fülle an Bildungsangeboten –ließe sich beliebig weiterführen.Aber im Mittelpunkt dieser Bro schüre steht die 20-jährige Geschichte des Arbeitskreises InterSoli der IG Metall Wolfsburg ■

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„Seit 20 Jahren bemühensich WolfsburgerGewerkschafterum Kontakte zuihren Kolleginnenund Kollegen inden ausländischenVW-Werken. “

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20 Jahre „Internationale Solidarität“ in Wolfsburg

Unterstützung im weltweiten Kfür Freiheit, Gleichheit und BrüIm Jahr 1950 arbeiteten im Volkswagenwerk knapp 15.000 Menschen,nicht ein einziger VW-Arbeiter war im Ausland beschäftigt. Heute hatder Konzern weltweit rund 322.000 Beschäftigte, davon arbeitet

fast die Hälfte in den ausländischen Standorten.

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Volkswagen war seit Ende derKriegsproduktion geprägt durch denExport von Fahrzeugen. Um neueMärkte und Absatzmöglichkeitenzu erschließen, wurden bereits 1953in Brasilien, drei Jahre später in Süd -afrika und 1964 in Mexiko eigeneAutomobilfabriken von VW errichtet.Da die inländische Entwicklungstetig aufwärts ging, wurden dieAuslandsinvestitionen von gewerk-schaftlicher Seite allerdings ledig-lich zur Kenntnis genommen. DerBetriebsrat von Volkswagen und dieIG Metall hatten keinen direktenKontakt zu den Kollegen der VW-Töchter im Ausland.

Auslandsstandorte gewinnen anBedeutung

In den 70er Jahren wurde die inter-nationale gewerkschaftliche Zu-sammenarbeit intensiver. Grunddafür war die unter dem damaligenVW-Vorstandsvorsitzenden ToniSchmücker international ausge-

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Kampf derlichkeit

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richtete Konzernstrategie. Es gabVerhandlungen zwischen VW undverschiedenen Ländern wie demIran, Ägypten, Algerien, auch dortMontagestätten zu errichten. MitVolvo wurde über die Entwicklungund Lieferung von Dieselmotorenverhandelt. Außerdem wurde über-legt, wie der japanischen Konkurrenzentgegengewirkt werden konnte.Dies führte konkret zu einer Zusam -menarbeit mit Nissan und Toyota.

Der Gesamtbetriebsrat (GBR) unddie Vertrauensleute befürchteten,dass diese Investitionen sich zu Lasten der deutschen Werke aus-wirken könnten und begannen,Gegenmaßnahmen zu entwickeln.

Der ausschlaggebende Punkt wardie Entscheidung von VW, eineMontagefabrik in den USA zu er-richten. Jetzt wurden die Befürch-tungen konkret. Denn VW Emdenproduzierte bisher ausschließlichfür den US-Markt. Arbeitsplätze,schlimmstenfalls der ganze VW-Fertigungsstandort Emden, waren

plötzlich in Gefahr. Die Arbeitneh-mervertreter im Aufsichtsrat vonVolkswagen, an ihrer Spitze derVorsitzende der IG Metall, EugenLoderer, wurden aktiv und erreich-ten in langwierigen Auseinander-setzungen, dass der Vorstand dieBeschäftigung an den deutschenStandorten garantierte, bevor VWdas USA-Projekt realisierte.

Erste Kontakte mit ausländischenKollegen

Bereits 1966 hatte der InternationaleMetallgewerkschaftsbund (IMB)einen Weltautomobilausschuss fürVW und Daimler Benz gebildet.Dieser Ausschuss sollte eine inter-nationale gewerkschaftliche Zusam -menarbeit sicherstellen, da beideKonzerne weltweit aktiv waren. Inden folgenden Jahren blieb es aller-dings bei dem „guten Vorsatz”.

Im Oktober 1976 unternahm der VW-Gesamtbetriebsausschuss seineerste Reise nach Brasilien, vier Jahrespäter besuchte er Südafrika. Die

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„Ich fühltemich zurück -versetzt ins 19. Jahrhundert.Wir mussten erfahren: Es gibtkeine autonome Gewerkschaft. Es gibt keine gewerkschaft -liche Vertretungim Betrieb. Es gibt keinen kollektiv ausge-handelten Tarifvertrag. Im Betrieb sindpolitische Diskus-sionen verboten.Wer dagegenverstößt, wirdentlassen“Walter Hiller

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Kollegen wurden dabei ganz konkretmit den katastrophalen Zuständender fehlenden Gewerkschaftsrechtein diesen Ländern konfrontiert.Walter Hiller, der spätere GBR-Vor -sitzende, erinnert sich: ”Ich fühltemich zurückversetzt ins 19. Jahrhun-dert. Wir mussten erfahren: Es gibtkeine autonome Gewerkschaft. Esgibt keine gewerkschaftliche Vertre-tung im Betrieb. Es gibt keinen kol-lektiv ausgehandelten Tarifvertrag.Im Betrieb sind politische Diskussio -nen verboten. Wer dagegen verstößt,wird entlassen.” Die technische Aus-stattung erinnerte die deutschenGäste an die Nachkriegszeit. Was inDeutschland nicht mehr gebrauchtwurde und veraltet war, wurde dortweiterverwendet.

Neben diesen Eindrücken wurdeaber auch die Erkenntnis gewonnen,dass internationale Gewerkschafts-arbeit zunächst darin besteht, sichzu informieren und gemeinsamüber die Probleme zu reden unddann zu überlegen, in welcher Weise

gegenseitige Unterstützung gelei-stet werden kann.

Es kam zu ersten persönlichen Kon-takten mit den Gewerkschaftskolle -gen in den besuchten Ländern. 1978besuchte John Gomomo, der Spre-cher der damals noch verbotenenMetallarbeitergewerkschaft COSATOin Südafrika, zum ersten Mal seineKollegen in den VW-Werken in derBundesrepublik.

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„Gesamt -betriebsrat (GBR)und Vertrauens-leute befürch te -ten, dass die Auslands-Investitionen sich zu Lasten derdeut schen Werkeauswirken könn-ten und began-nen, Gegenmaß -nahmen zu ent-wickeln“

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Erste Internationale Arbeitneh-merkonferenz zeigt Probleme derausländischen Standorte

1979 organisierte der Gesamtbe-triebsrat von VW zusammen mit derIG Metall und dem InternationalenMetallgewerkschaftsbund (IMB) dieerste „Internationale Arbeit neh mer-konferenz“ des VW-Konzerns. Andieser Konferenz nahmen Kollegenaus den Ländern der VW-StandorteBrasilien, Südafrika, Belgien, USAund Jugoslawien teil.

Es wurde deutlich, dass die Haupt-probleme in Brasilien und Südafri-ka lagen, weil dort sämtliche Ge-werkschaftsrechte unterdrücktwurden. In Brasilien war es durchdie damalige Militärregierungnicht möglich, dass die Arbeitneh-mer bei VW do Brasil eine Arbeit-nehmervertretung wählen konn-ten. Das VW-Manage ment verwei-gerte die Anerkennung der freien

Metallgewerkschaft als Tarifpart-ner. In Südafrika verbot die Apart-heidspolitik den schwarzen Kolle-gen , sich in Gewerkschaften zu organisieren. Schwarze Gewerk-schaften waren gar nicht zugelas-sen.

„Wir Arbeitnehmer erwarten vomManagement als Minimum, dassan jedem Standort des VW-Konzernin der Welt die gewählten Vertreterder Arbeitnehmer und ihre Gewerk-schaften als Verhandlungspartneranerkannt werden. Wir verlangenals weiteres Minimum, dass die Ge-werkschaftsarbeit innerhalb undaußerhalb der Betriebe, ganz gleichin welchem Land, von keinem Ma-nager mehr behindert wird. Wir Gewerkschafter aus der Bundesre-publik Deutschland nehmen vondieser Konferenz mit auf den Weg,dass wir als Vertrauensleute, als Be-triebsratsmitglieder und als Arbeit-nehmervertreter keine Ruhe geben

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„1979 orga ni sierte der Gesamtbetriebsratzusammen mit derIG Metall und demInterna tionalenMetallgewerk-schaftsbund (IMB)die erste „Interna-tionale Arbeitneh-merkonferenz“ desVW-Konzerns“

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werden. Das Management mussmit uns und der IG Metall rechnen.”(Siegfried Ehlers, Vorsitzender desGesamtbetriebsrats)

Konkrete Einflussnahme durch IGMetall und Betriebsrat

Ein großes Problem in der interna-tionalen Zusammenarbeit zeigtesich durch den schwierigen Infor-mationsaustausch. Die deutschenGewerkschafter wurden über dieSituation in den Auslandswerkenweitgehend über das zuständigeManagement, aber nicht durch ei-gene Kontakte informiert. Der Kon-zernzentrale standen vielfältigeKommunikationsmöglichkeitenzur Verfügung. Die Gewerkschafts-kollegen allerdings hatten mitSprachproblemen, Telefon- undPostzensur in einigen Ländern, Vor-urteilen und hohen Kosten zukämpfen. „Die simpelsten Dingewurden zum Problem“, erinnert

sich Wolfgang Schulz, heute 1. Be-vollmächtigter der IG MetallWolfsburg.

Daraufhin ergriffen Gesamtbe-triebsrat und IG Metall gemein-sam die Initiative: Ende der 70erJahre wurde eine Basis geschaffen,Positionen und Forderungen in Ab-stimmung mit den ausländischenKollegen direkt an den Vorstandder Volkswagen AG zu richten.

Der Gesamtbetriebsrat legte fest,dass jeweils zwei bis drei Arbeit-nehmervertreter im Aufsichtsratbzw. Mitglieder im Gesamtbe-triebsrat nunmehr für Kontakteund Informationen zu festgeleg-ten ausländischen Standorten zu-ständig waren. Im VW-Vorstands-bereich für Personal- und Sozial-wesen wurde eine Stabsstelle ein-gerichtet, die sich gezielt mit in-ternationalen sozialpolitischenFragen im Rahmen des VW-Kon-zerns beschäftigte.

Konkrete Probleme wurden konti-nuierlich mit dem Gesamtbe-triebsrat und dem Aufsichtsrat

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„Wir Arbeit-nehmer erwartenvom Manage-ment als Mini-mum, dass an je-dem Standort desVW-Konzern inder Welt die ge-wählten Vertre-ter der Arbeit-nehmer und ihreGewerkschaftenals Verhand-lungspartner an-erkanntwerden“Siegfried Ehlers

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besprochen. Eines der Hauptpro-bleme war die besonders gravieren-de Situation der schwarzen Kolle-gen in Südafrika. Die schwarzenGewerkschaften wurden immernoch nicht anerkannt. SchwarzeArbeiter waren in jeder Hinsichtdiskriminiert. So schrieb das Apart-heidsgesetz beispielsweise vor,dass Schwarze „niedere Arbeiten“verrichten müssen und keinerleiAnspruch auf Ausbildung oderQualifizierung haben.

In den folgenden Jahren fanden vieleBegegnungen mit ausländischenKollegen in Deutschland, aber auchin den ausländischen Standortenstatt. Die deutschen Arbeitnehmer-vertreter besuchten die VW-Tochter-gesellschaften, führten Gesprächemit dem Management und Gewerk-schaftsvertretern in den verschie-denen Ländern und informiertensich ausführlich über die politischeRahmenbedingungen. Meinungenwurden ausgetauscht und versucht,

massiv Einfluss auf die Politik desVW-Konzerns zu nehmen, um dieArbeits- und Lebensbedingungender Kollegen an den VW-Standortenin aller Welt zu verbessern.

„Internationale Solidarität“ weitet sich aus

Ein wichtiges Ziel war es, das VW-Management in Brasilien und Süd-afrika dazu zu bewegen, endlichArbeitnehmervertretungen im Betrieb zuzulassen und damit dieGewerkschaften im Betrieb anzuer-kennen. Bereits 1980 wurde erreicht,dass die südafrikanische Autoar-beiter-Gewerkschaft NAAWU inSüdafrika von VW als Verhandlungs-partner offiziell anerkannt und derGewerkschaft eine für das Land sehrfreizügige Entwicklung im Betriebgestattet wurde. Ähnlich war es inBrasilien. Auch dort erkannte VWschließlich die freie brasilianischeMetallgewerkschaft als Verhand-lungspartner an.

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„Der Gesamt-betriebsrat legtefest, dass jeweilszwei bis drei Arbeitnehmer-vertreter im Aufsichtsrat bzw.Mitglieder im Gesamtbetriebs-rat nunmehr fürKontakte und Informationen zu festgelegtenausländischenStandorten zuständigwaren“

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Im Frühjahr 1985 stellte der damaligeBetriebsratsvorsitzende SiegfriedEhlers fest: „Wenn wir uns mit densozialen Beziehungen in den Tochter-unternehmen befassen, dann steheninsbesondere zwei ausländischeStandorte im Vordergrund: Brasilienund Südafrika. In beiden Ländernherrschen politische Verhältnisse, dieunsere Kollegen bei ihrer gewerk-schaftlichen Interessenvertretungstark behindern. Nachdem es in denvergangenen Jahren sehr viel Anlasszur Kritik am Verhalten des dortigenManagement gegenüber den Beleg-schaften und unseren Gewerkschafts-kollegen gab, hatte sich nicht zuletztaufgrund unserer Aktivitäten die Situation entkrampft. In Brasilien undin Südafrika ist es unseren Kollegengelungen, trotz staatlicher Unter-drückungsmaßnahmen eine gutegewerkschaftliche Organisationaufzubauen und vom VW-Manage-ment anerkannt zu werden.“

Der Gesamtbetriebsrat von Volks-wagen beschäftigte sich jetzt mitdem Thema „Internationale Soli-darität“. Es war aber notwendig,einen größeren Kreis von Betriebs-räten und auch Vertrauensleuteneinzubeziehen. Nur so konnte dieArbeit auch auf IG Metall-Ebeneabgesichert und verbreitert werden.„Internationale Solidarität“ solltenicht allein eine Aufgabe für weni-ge Repräsentanten der Arbeitneh-mervertretung und Gewerkschaftsein.

Arbeitskreis „InterSoli“ wird gegründet

Im Winterhalbjahr 1982/83 veran-staltete die IG Metall zwei Seminarein der Heimvolkshochschule Hustedtzum Thema „Internationale Solida-rität“, an denen Vertrauensleute,Betriebsräte und Mitglieder desDritte-Welt-Arbeitskreises teilnah-men. In diesen Seminaren wurdendie internationalen Verflechtungenvon Volkswagen, die wirtschaftli-chen Zusammenhänge und die Lebens- und Arbeitsbedingen spe-ziell in Südafrika und Brasilien vor-gestellt und diskutiert.

Um die Teilnehmer für die völligandere unvorstellbare politischeSituation in Südafrika zu sensibi -lisieren und sie Apartheid „selbsterleben“ zu lassen, wurden in Formeines Rollenspiels südafrikanischeZustände „nachgespielt“. DiesesRollenspiel ist bei den Teilnehmern

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„ In Brasilienund in Südafrikaist es unseren Kol-legen gelungen, trotzstaatlicher Unter-drückungsmaß-nahmen eine gutegewerkschaftlicheOrganisation auf-zubauen und vomVW-Managementanerkannt zu werden“Siegfried Ehlers

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des Seminars – auch heute 20 Jahrespäter – in bleibender Erinnerunggeblieben. „Wir spielten die Situationin einer fruit company nach. Nacheinem Zufallsprinzip wurden dieTeilnehmer in weiße Aufseher undschwarze Inhaftierte aufgeteilt undauch so behandelt“, berichtet Wolfgang Schulz. Teilnehmer KarlMorgenstern erzählt: „Ich war ein‘Schwarzer’ auf Arbeitssuche undwurde von dem ‘Weißen’ immerwieder abgewiesen. Das war schoneine seltsame Situation.“

Das „Spiel“ ging auch in der Mit-tagspause weiter: Die „Weißen“ be-kamen das reguläre Essen, währenddie „Schwarzen“ mit einer SchaleReis abgespeist wurden, den sie mitden Händen essen sollten. „Einigeder Kollegen wurden richtig sauer“,erinnert sich Karl Morgenstern,„sie verließen das Seminar und sindim nächsten Ort in ein Restaurant ge-gangen“. Wolfgang Schulz ergänzt:

„Die Situation ist es kaliert, und ge-nau das hat gesessen.“

Aus diesem Seminar ist letztendlichder Arbeitskreis „InterSoli“ der IGMetall Wolfsburg entstanden. Erteilte sich zunächst in die drei Län-dergruppen Südafrika, Brasilien undMexiko, denen sich die Mitgliederje nach Interesse anschlossen. DieArbeitsgruppen arbeiteten vonein-ander unabhängig, koordiniertdurch einen Sprecherkreis.

Der Arbeitskreis setzte sich zum Ziel,nicht nur die VW-Belegschaft, son-dern eine breitere Öffentlichkeitaufzuklären und zu informieren –über die sozialen und politischenEntwicklungen an den internatio-nalen Standorten des VW-Konzernsowie die Arbeits- und Lebensbe-dingungen der dort beschäftigtenKollegen. Darüber hinaus sollteninternationale Begegnungen undKontakte organisiert sowie Kultur-

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„Ich war ein‘Schwarzer’ aufArbeitssuche und wurde vondem ‘Weißen’immer wiederabgewiesen. Das war schon eine seltsame Situation“Karl Morgenstern,Teilnehmer einesSeminars, auf demdie Situation inSüdafrika „nachge-spielt“ wurde

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und Bildungsveranstaltungendurchgeführt werden.

Internationale Solidarität wird immer wichtiger

Das Thema „Internationale Solida-rität“ wurde in der Bildungsarbeitder IG Metall sowohl im Betrieb alsauch in Seminaren zum festen Be-standteil. Ein Spendenkonto wurdevon der Vertrauenskörperleitungeingerichtet, durch das vor allemdie Kollegen in Südafrika und Bra-silien unterstützt wurden, und zwarvon konkreter Hilfe für verhafteteGewerkschafter bis hin zu gewerk-schaftlicher Bildungsarbeit. „Dasdamals eingerichtete Spendenkontogibt es bis heute – sogar mit dersel-ben Kontonummer“, erzählt KlausSchneck, heute Sprecher des Inter-Soli-Arbeitskreises. Seit vielen Jah-ren organisieren Vertrauensleuteden Getränkeverkauf auf den 1. Mai-Veranstaltungen der IG Metall inWolfsburg. Der Erlös geht regel-mäßig auf dieses Intersoli-Konto.

Erste Studienfahrten des Arbeits-kreises und Besuche bei den Kolle-gen in den ausländischen Standor-ten fanden statt. Persönliche Kon-takte wurden aufgebaut, und inKonfliktsituationen war dadurchschnelles Handeln möglich.

Als bei einem Streik in Brasilien dieGeschäftsleitung in DeutschlandSonderschichten forderte, wusstendie Wolfsburger Bescheid –

die Belegschaft wurde informiertund der Betriebsrat lehnte zusätz-liche Schichten ab, bis der Streik inBrasilien beendet war.

Solidaritätsaktionen der WolfsburgerIG Metall-Vertrauensleute richtetensich gegen die brutale Vorgehens-weise der südafrikanischen Apart-heids-Regierung gegen schwarzeArbeiter und ihre Gewerkschaften.Mit Protestbriefen drängten sie aufdie Freilassung inhaftierter Gewerk-schafter.

Südafrikanische VW-Gewerkschafterauf Wolfsburger Betriebsversamm-lungen waren nichts ungewöhnli-ches mehr. John Gomomo hielt aufder Betriebsversammlung am 6.Oktober 1983 vor über 10 000 Kol-legen und Kolleginnen eine beein-druckende Rede:

„Es ist für uns außerordentlich wich-tig, hier in Deutschland und inWolfsburg Freunde zu haben, die imLaufe der Jahre sehr viel für die Ver-besserung der Situation derschwarzen Arbeiter und den Auf-bau unserer Gewerkschaftsarbeit inSüdafrika getan haben. Wir möch-ten dem Gesamtbetriebsrat undder IG Metall herzlichen Dank dafürsagen. Auch in Zukunft brauchenwir Eure Unterstützung bei unse-rem Kampf für Freiheit, Gleichheitund Brüderlichkeit für alle Men-schen in Südafrika. Darum möch-ten wir euch alle bitten. Es lebe dieinternationale Solidarität.“

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„Die Vertrauensleutein Wolfsburgrichteten einSpendenkontoein, durch das vorallem Kollegen inBrasilien undSüdafrika unterstützt wurden“

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1985 nahmen einige Mitglieder vonInterSoli an einem Austauschpro-gramm nach Brasilien teil. Der Rei-sebericht wurde in dem Buch „Ma-chen wir uns auf den Weg – Schrittezur internationalen Solidarität vonbrasilianischen und deutschen Ge-werkschaftern“ veröffentlicht.Wolfgang Schulz, der an der Reiseteilnahm, erinnert sich: „Wir habennicht in Hotels, sondern einfach undschlicht bei Familien gewohnt undwurden auch in das Familienlebenintegriert.“

Die Unterbringung in den Familienblieb in besonderer Erinnerung undgab einen echten Einblick in dasbrasilianische Leben. „Das Haus isteinfach eingerichtet. In unmittelba-rer Nähe vor dem Haus entsteht ei-ne wilde Müllkippe. Das macht das

Wohnen dort nicht gerade ange-nehm. Aber wir werden herzlichempfangen. Die Kinder rücken indiesen Tagen zusammen, damit wirdrei noch zusätzlich dort wohnenkönnen; sie teilen sogar ihre Schlaf-zimmer mit uns.“ (aus: „Machenwir uns auf den Weg – Schritte zurinternationalen Solidarität vonbrasilianischen und deutschen Ge-werkschaftern“)

Auch die Reisen nach Südafrika hin-terließen bleibende Erinnerungen.Karl Morgenstern, der an einer derersten Reisen von „InterSoli“ nachSüdafrika teilnahm, erinnert sich:„Ich sehe noch wie die Farbigenwegliefen, weil ich mich zu ihnenauf eine Bank setzte oder die Fas-sungslosigkeit in den Gesichternvon Weißen, als ich einer schwarzen

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„Es ist für unsaußerordentlichwichtig, hier inDeutschland undin WolfsburgFreunde zu haben, die imLaufe der Jahresehr viel für dieVerbesserung derSituation derschwarzen Arbeiter und denAufbau unsererGewerkschaftsar-beit in Südafrikagetan haben“John Gomomo

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Frau mit ihrer schweren Tasche be-hilflich sein wollte.“

1988 fuhr die InterSoli-Arbeitsgruppeerstmalig nach Mexiko. Obwohl dieReise viele neue Eindrücke hinter-ließ, fiel das Fazit der Teilnehmereher bedrückt aus: „Eine erste Ge-samtbewertung der weiteren Ent-wicklungsmöglichkeiten einer Ko-operation mit den mexikanischenKollegen im Rahmen unserer Inter-Soli-Arbeit muss zur Zeit eher pessi-mistisch ausfallen.“

Die gewerkschaftliche Situation inMexiko war problematisch: Volks-wagen de Mexiko hatte zwar seit1981 eine unabhängige und völligselbständige Betriebsgewerkschaft.Diese hatte sich jedoch ein Statutgegeben, wonach ihre gewählten

Vertreter nach jeweils drei Jahrennicht wieder gewählt werden konn-ten und meist den Betrieb verlas-sen mussten. Dadurch sollten Herr-schaftstendenzen vermieden wer-den, aber gleichzeitig wurde jedeAutorität und jede politische Kon-tinuität untergraben.

Aber es gab überwiegend positiveErfahrungen. Klaus Schneck, der denArbeitskreis mitgegründet hat undheute Sprecher von „InterSoli“ ist,berichtet: „Die in Jahrzehnten ge-wachsenen menschlichen Beziehun-gen zu den Kollegen in Südafrika undin Brasilien sind sehr wichtig, bei-spielsweise zu dem Kollegen MarioBarbosa, bei dem ich vor 15 Jahrenzu Hause gewohnt habe und derauch einmal sechs Wochen bei mirgelebt hat.“

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„Wir werdenbei unserem Besuch in Brasilien herzlichempfangen. DieKinder rücken indiesen Tagen zusammen, damit wir dreinoch zusätzlichdort wohnenkönnen; sie teilensogar ihre Schlafzimmermit uns“Wolfgang Schulz

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Standortkonkurrenz durch neueProduktionsstätten

Die achtziger und neunziger Jahrebrachten für die internationale Be-triebsrats- und Gewerkschaftsarbeitbei Volkswagen wesentliche Ände-rungen. VW dehnte sich in Europaund Asien aus, die Vertiefung derinternationalen Arbeitsteilung wur-de seit Mitte der 80er Jahre inten-siviert.

1985 wurde als Joint venture die„Shanghai-Volkswagen AutomotiveCompany, Ltd.“ gegründet, 1991 kamin Changchun ein zweites chine si -sches Werk hinzu.

Zur selben Zeit wurden Produkti-ons- und Montagestandorte inMittel- und Osteuropa errichtet.Ausschlaggebend für die Attrakti-vität dieser Produktionsstandortewaren die zu erwartenden Markt-zuwächse, aber auch das niedrigeLohnniveau sowie staatliche Sub-

ventionen und Begünstigungenund das dadurch bedingte wesent-lich geringere Kostenniveau.

Die Struktur des VW-Konzerns ver-änderte sich damit grundlegend.Aus einem weitgehenden Neben-einander verschiedener Produkti-onsstätten entwickelte sich eineintensive internationale Arbeitstei-lung.

Die ausländischen Produktions-stätten des VW-Konzerns wurdenimmer stärker unter den Aspektender Produktivität sowie der Stand-ort- und Fertigungskosten mitein-ander verglichen. Fragen der Arbeits-zeit, der Anlagennutzung, der Pro-duktionsverlagerungen und auch derFertigungstiefe erhielten zunehmendeine internationale Dimension.

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„Die Strukturdes VW-Konzernsveränderte sichgrundlegend. Aus einem weitgehenden Nebeneinanderverschiedener Pro-duktions stättenent wickelte sicheine intensive internationale Arbeitsteilung“

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Betriebsratsarbeit bei VW wird international

Im August 1990 gründeten Arbeit-nehmervertretungen von Volkswa-gen und Audi in Deutschland, VWBrüssel sowie SEAT in Spanien ge-meinsam mit den an diesen Stand -orten vertretenen Gewerkschaftenden Europäischen Volkswagen-Konzernbetriebsrat (Euro-KBR). ImFebruar 1992 unterzeichnete dieKonzernleitung dann den Vertragzur Zusammenarbeit mit dem Euro-KBR. 1995 wurden auch die Arbeit-nehmervertretungen von VWSachsen, VW Bratislava und Skodain den Euro-KBR aufgenommen.

Im Mai 1996 wurde mit der Weltar-beitnehmerkonferenz in Wolfsburgdann der Grundstein für die Etablie-rung einer weltweiten Interessen-vertretung bei Volkswagen gelegt.Daraus entstand 1999 der Welt-konzernbetriebsrat (Welt-KBR). DerWelt-KBR vertritt und koordiniertdie Interessen der weltweit mittler-weile 330 000 VW-Beschäftigtenund ist zentraler Verhandlungspart-ner gegenüber der Konzernleitung.

Dadurch entwickelte sich die inter-nationalen Gewerkschafts- undBetriebsratsarbeit im VW-Konzernkonsequent weiter und reagierteauf die weltweite Expansion undkonzerninterne Standortkonkur-renz. Mit Euro-KBR und Welt-KBRhaben die Arbeitnehmervertretun-gen im VW-Konzern weltweit wie-der einmal eine Vorreiterrolle in der

Automobilindustrie übernommen.

Der Euro-KBR und Welt-KBR arbei-teten – wie schon der Gesamt- undKonzernbetriebsrat – nach demPrinzip der „kooperativen Konflikt-bewältigung“, einem Begriff, dervom VW-Betriebsrat geprägt wurde.Dies bedeutet, Probleme zwischenBelegschaft und Vorstand nachMöglichkeit im kritischen Dialoggemeinsam zu lösen und nicht gegeneinander zu arbeiten und sodie Fronten unnötig zu verhärten.

Der Welt-KBR hat international diegleichen Aufgaben wie der Euro-KBRauf europäischer Ebene: Er beschäf-tigt sich mit der Beschäftigungs-und Standortsicherung, Problemender Konzernstruktur und der Kon-zernstrategie, der Arbeitszeit undden Arbeitsbedingungen sowie derEntlohnung, dem Arbeitsschutz,den Sozialleistungen und nicht zu-letzt dem Umweltschutz. Darüberhinaus verhindert der Welt-KBR,dass Vorstand und Managementdie Arbeitnehmer und Arbeitneh-merinnen gegeneinander ausspie-len und setzt sich für die weitereAngleichung des sozialen Niveausein.

Die InterSoli-Arbeit erhielt durchden Euro-KBR und den Welt-KBReine wichtige institutionelle Er-gänzung. „Die Arbeit des Welt-KBRund InterSoli ist eine Wechselbezie-hung,“ erklärt Hans-Jürgen Uhl,Generalsekretär sowohl des Welt-als auch des Euro-KBR.

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„Im August1990 gründetenArbeitnehmer-vertretungen vonVolkswagen und Audi in Deutschland, VW Brüssel sowieSEAT in Spaniengemeinsam mitden an diesenStandorten vertretenen Gewerkschaftenden EuropäischenVolkswagen-Konzernbetriebs-rat (Euro-KBR)“

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Während der Arbeitskreis „InterSoli“die Lebens- und Arbeitsbedingun-gen in den ausländischen Standor-ten transparent macht, Kontakteherstellt und dadurch ein besseresVerständnis der Kollegen und Kol-leginnen vermittelt, gewährleistetder Welt-KBR eine vernünftige Zu-sammenarbeit mit dem Manage-ment und behandelt konkrete be-triebliche Fragen. Informationsver-anstaltungen und ein gegenseiti-ger Austausch finden regelmäßigstatt.

Spendenaktion“Eine Stunde für die Zukunft”

Im Jahre 1999 haben die VW-Be-schäftigten in Zusammenarbeit mitterre des hommes die Spendenak-tion „Eine Stunde für die Zukunft“ins Leben gerufen. Die Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter von Volks-wagen haben im Rahmen dieser Ak-tion zugunsten von Straßenkindernauf einen Stundenlohn verzichtet.Seither sind mit dieser und vielenweiteren Spendenkampagnen weitüber drei Millionen Euro zusammen -gekommen. Damit wurden bislangmehr als ein Dutzend Projekte fürKinder und Jugendliche, die auf derStraße leben, an Konzernstandor-ten in Mexiko, Brasilien, Südafrikaund Deutschland unterstützt. ter-re des hommes konnte durch dieUnterstützung der Volkswagen-Belegschaft für diese Kinder undJugendlichen Unterkunft und Aus-bildungsplätze einrichten.

„Mit dieser Aktion wollen wir einZeichen der Solidarität mit denSchwächsten der Gesellschaft, aberauch ein Zeichen der Hoffnung set-zen und gerade deshalb muss dieHilfe nachhaltig sein.“ , erklärt KlausVolkert, Vorsitzender des Gesamt-und Konzernbetriebsrats von Volks-wagen.

Arbeitsgruppen „China“ und „Mittel- und Osteuropa“

Im Februar 1999 erweiterte sich„InterSoli“ um die ArbeitsgruppeChina, Anfang 2002 um die Grup-pe Mittel- und Osteuropa.

In China sind unabhängige Gewerk-schaften verboten, der einzig lega-le Dachverband ist der ACGB (all-chinesischer Gewerkschaftsbund),deren Funktionäre von der regie-renden Partei ernannt werden. InChina finden heute noch vielfachMenschenrechtsverletzungen wieHinrichtungen oder Folterungenstatt. Eine besondere Problematikist es, die zwei chinesischen VW-Standorte in die betrieblichen Mit-bestimmungsstrukturen zu inte-grieren, da der Welt-KBR nur Stand -orte vertritt, in denen unabhängi-ge Gewerkschaften arbeiten.

Im Februar 2002 gründeten vor al-lem Vertrauensleute von Volkswa-gen den fünften InterSoli-Arbeits-kreis Mittel- und Osteuropa.

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„Durch die Spendenaktion „Eine Stunde fürdie Zukunft“ sindbislang mehr alsdrei Millionen EURO zusammen -gekommen“

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„Sozialcharta“ unterzeichnet

Als erster Autokonzern hat Volkswa-gen im Juni 2002 weltweit sozialeMindeststandards festgelegt, umdie Gleichbehandlung für alle Be-schäftigten im Konzern zu garan-tieren. Außerdem wird dieZusam-menarbeit zwischen Arbeitnehmer-vertretung und Management anallen Standorten des Konzerns ge-regelt.

Diese „Sozialcharta“, unterschriebenim Juni 2002 auf der Welt-KBR-Sit-zung in Bratislava, ist eine Verein-barung zwischen der VW-Konzern-leitung, dem Betriebsrat sowie demInternationalen Metallgewerk-schaftsbund. Sie beinhaltet unteranderem das Recht der Arbeitneh-mer zur Bildung von Betriebsräten,grundsätzliche Regelungen zur Ver-gütung und Arbeitszeiten sowie zurChancengleichheit der Beschäftig-

ten – unabhängig von Geschlecht,Religion und sozialer Herkunft. Inder Charta heißt es außerdem, dassArbeitnehmer bei Volkswagen aus-schließlich auf Grundlage ihrerFähigkeiten ausgesucht, eingestelltund befördert werden. ■

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„Als erster Autokonzern hatVolkswagen im Juni 2002 weltweit sozialeMindeststandardsfestgelegt,um die

Gleichbehandlungfür alleBeschäftigtenim Konzern zu

garantieren“

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Gewerkschaftsbewegung in Brasilien

Der Militärdiktatur erfolgreich Brasilien ist kein armes Land, sondern ein ungerechtes und ungleiches Land, mit vielen Armen. Das große Ausmaß an Armut ergibt sich an erster Stelle aus der immensen Ungleichheit bei der Einkommens-verteilung und den Möglichkeiten der sozialen und wirtschaftlichen Eingliederung

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Die Weichen für die heutige Arbeitder Gewerkschaften in Brasilien wur -den in den 30er Jahren gestellt. Esentstand eine bürokratische Ge-werkschaftsorganisation, die kom-plett in das autoritäre staatlicheSystem integriert war. Die traditio-nellen Gewerkschaften waren direktdem Arbeitsministerium unterstellt.Die Geschäftsführung konnte beiNichtgefallen sofort ausgetauschtwerden, oft verbunden mit polizei-lichen und politischen Repressionen.

Die materiellen Voraussetzungenfür Gewerkschaftsarbeit warendenkbar schlecht. Die lokalen Ge-werkschaften konnten sich zwarzu Föderationen zusammenschlie -ßen, in denen aber jede Gewerk-schaft ohne Rücksicht auf die Mit-gliederzahl nur eine Stimme hatte.Die Arbeiter waren nach Regionenund Kategorien getrennt organi-siert. Das bedeutete, dass jede Be-rufsgruppe in jedem Betrieb eineeigene Gewerkschaft hatte und

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getrotzt

„Die Gewerk-schaftsführungkonnte bei Nicht-gefallen sofortausgetauschtwerden, oft verbunden mitpolizeilichen undpolitischen Repressionen“

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sich somit zahlreiche Einzelgrup-pen ergaben. Durch diese Zersplit-terung war eine organisierte Inter-essenvertretung nicht möglich.

Mitte der 60er Jahre entstand we-gen der hohen Konjunkturschwan-kungen ein chronisches Beschäfti-gungsproblem. Neue, kämpferischeGewerkschaften gründeten sich underste Streiks fanden statt. Aller-dings waren die Gewerkschaften,geschwächt durch die jahrzehnte-lange Unterdrückung , nicht in derLage, die Arbeitnehmer landesweitzu gemeinsamen Aktionen zusam-menzuführen.

Durch den Militärputsch im Jahr1964 wurden die neuen Gewerk-schaftsansätze mit brutaler Gewaltvöllig zerschlagen. Die schlimm-sten Militäreinsätze fanden von1968 bis 1974 statt. Die Folge: eineäußerst restriktive Handhabungder Gewerkschaftsgesetze und

gewalttätige Militäreinsätze gegenStudenten und Arbeiter.

Oppositionsbewegung entwickelt sich

Ab Mitte der 70er Jahre kam es zueiner Lockerung und eine Oppositi-onsbewegung entwickelte sich. Esbildeten sich authentische (vomStaat unabhängige) Gewerkschaf-ten. Aus dieser Gewerkschaftsbe-wegung heraus entstand 1978 derEntschluss, eine neue Arbeiterpartei,die PT (Partido dos Trabalhadores),zu gründen. Eine herausragendePerson war und ist Luis Inacio daSilva („Lula“), der mehrfach bislangerfolglos für das Amt des Staats-präsidenten kandidierte.

Die unabhängigen Gewerkschaftenriefen ab 1978 zu ersten Streiks inSao Paulo auf, die 1980 in einem 41-tägigen Streik in der Automobilin-dustrie ihren Höhepunkt fanden.

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„Durch denMilitärputsch imJahr 1964 wurden die neuen Gewerk-schaftsansätzemit brutaler Gewalt völlig zerschlagen“

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Die Streikenden mussten von einemillegalen Streikfonds leben undwaren auf Spenden, eine warmeSuppe der Kirche und noch verdien-ende Familienmitglieder angewie-sen. Arbeitskämpfe waren illegalund Streikführer wurden vielfachverhaftet. Reichte das nicht aus, sowurde die ganze Streikregion un-ter Kriegsrecht gestellt und Ver-sammlungen außerhalb kirchli-cher Räume von schwer bewaffne-ten Einheiten der Militärpolizei ge-waltsam aufgelöst. Von 1979 bis1982 fand bei Volkswagen eine Ent-lassungswelle statt, von der vieleaktive Gewerkschafter betroffenwaren. Bei VW existierte ein gutausgebautes Sicherheitssystem,dem zwei ehemalige Militärs und60 Polizisten angehörten sowie ei-ne Fernsehüberwachung.

Gewerkschaftlicher DachverbandCUT wird gegründet

Auf dem nationalen Arbeiterkon-gress wurde 1983 die Gründung ei-nes gewerkschaftlichen Dachver-bandes beschlossen und die CUT(Central Unica dos Trabalhadores)entstand. Einen Tag nach derGrün-dung wurde die CUT vom damaligenArbeitsminister als illegal erklärt,da bis 1988 eine Gewerkschaft dieausdrückliche Autorisierung durchden Arbeitsminister benötigte. So-mit musste die CUT die ersten Jah-re „im Untergrund“ arbeiten. GroßeUnterstützung erhielt sie von derkatholischen Kirche, die beispiels-

weise Räume für Versammlungenzur Verfügung stellte. FinanzielleHilfe gab es auch immer wiedervon den deutschen Gewerkschaf-tern. 1985 schickte die IG MetallWolfsburg ein Telegramm an Ma-rio dos Santos Barbosa, den Vorsit-zenden der brasilianischen Metall-arbeitergewerkschaft: „Zur Unter-stützung Eurer berechtigten Forde-rungen und als solidarische Hilfehaben wir heute, 21.Mai 1985, eineStreikspende in Höhe von 23.377,00DM an Euch überwiesen. Das Geldwurde bei den Vertrauensleuten derIG Metall im VolkswagenwerkWolfsburg gesammelt. Wir hoffen,dass Ihr Euren Arbeitskampf erfolg-reich führen werdet.“

Die heftigen Militäreinsätze beiStreiks setzten sich auch Mitte der80er Jahre weiter fort. Bei einemmit Hilfe der CUT organisiertenStreik der Landarbeiter, der 1985 inder kleinen Stadt Sertaozinho

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„Zur Unter-stützung Eurerberechtigten Forderungen undals solidarischeHilfe haben wirheute,21.Mai 1985, eine Streikspendein Höhe von23.377,00 DM an Euch überwiesen “Telegramm der IGMetall Wolfsburgan Mario Barbosa

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stattfand, gab es dramatische Sze-nen. „Im Morgengrauen ist die Stadtvon Spezialeinheiten der Militärpo-lizei besetzt. Sie beginnen bei denStreikposten mit Gewalttätigkeiten.Dann dringen sie in die Hütten ein,zertrümmern die Türen, schlagenauf einen bettlägerigen Mann ein,stoßen und schlagen die, die schonauf der Straße sind. Sie wecken dasVolk auf mit Schlägen und Tritten.Eine hochschwangere Frau wird zu-sammengeschlagen und ein jungerMann mit Schlägen auf Nase undKopf schwer verletzt.“

Während der gesamten 80er Jahreübernahm die CUT eine führendeRolle. Sie wurde mit ca. 2 800 Mit-gliedsgewerkschaften zum größ-ten brasilianischen Dachverband.

Die CUT betonte den Basisgedankenund forderte Direktwahl in sämtli-chen gewerkschaftlichen Funktio-nen durch die Mitglieder. Ihr Selbst-verständnis bestand darin, Teil ei-ner breiteren sozialen Bewegungzu sein, die nicht allein auf indu-strielle Beziehungen konzentriertist und die bestehenden Macht-und Gewerkschaftsstrukturen ver-ändern will. Ziele von CUT warenu.a., die Zahl der Einzelgewerkschaf-ten zu verringern und an der Basisneuere und repräsentativere Ge-werkschaften zu schaffen.

Die Entstehung und das schnelleErstarken von der CUT sind Ergeb-nis der großen Streiks und Demon-strationen der Arbeiter in Brasilienam Ende der 70-er und Anfang der80-er Jahre. Diese Kämpfe brachten

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„Spezialein-heiten der Militärpolizei beginnen bei denStreikposten mitGewalttätig -keiten. Danndringen sie in dieHütten ein, zertrümmern dieTüren“

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die Militärdiktatur zum Wanken undbildeten den Anfang einer Entwick-lung, die wenige Jahre später zuihrer Niederschlagung führte.

Interessenvertretung bei „Volkswagen do Brasil“

Die „Volkswagen do Brasil Ltda.“gab es bereits seit 1953. 1959 stiegsie zum größten brasilianischenAutomobilhersteller auf. 1980 hat-te VW in Brasilien die erste Arbei-tervertretung wählen lassen, aller-dings ohne gewerkschaftliche Be-teiligung. Das VW Managementverweigerte die Anerkennung derfreien Metallgewerkschaft als Ta-rifpartner. Die Metallgewerkschaftrief zum Wahlboykott auf, dem sich90 Prozent der Arbeiter anschlos-sen. Zwei Jahre später wurde beiVolkswagen eine Fabrikkommissi-on (Commissiones de fabricia) ge-wählt, bei der die Gewerkschaftenzumindest einige Forderungendurchsetzen konnten. Fabrikkom-

missionen sind betriebsratsähnlicheVertretungen, die jedoch nicht aufeiner Gesetzesgrundlage beruhen,sondern zwischen Gewerkschaftenund Unternehmen ausgehandeltwerden. Sie werden zwar gewählt,haben aber keine Mitbestimmungs-rechte. Die Fabrikkommission isteher eine Anhörungsstelle für Be-schwerden, über die dann mit derPersonalabteilung verhandelt wur-de. Diese akzeptierte jedoch nurwenige Bagatellfälle, der Rest wur-de auf die lange Bank geschoben.Häufig wurden Kommissionsmit-glieder auch von der Werkspolizeiund der Personalabteilung unterDruck gesetzt.

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„Das VW Managementverweigerte dieAnerkennung derfreien Metall -gewerkschaft alsTarifpartner“

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Der längste Metallarbeiterstreik„Wilde Kuh“

Der längste Metallarbeiterstreik inder Geschichte Brasiliens fand 1985statt. Mehr als 85 000 Automobil-arbeiter in der ABC-Region rund umSao Paulo, insbesondere in den Wer-ken von Volkswagen, Mercedes Benz,General Motors, Ford und Saab-Scania, streikten für vierteljährlicheLohnangleichungen. Damit solltendie drastischen Preissteigerungenvon weit über 200 Prozent jährlichausgeglichen werden. Gleichzeitigwollten die Gewerkschaften diewöchentliche Arbeitszeit von 48Stunden in einem Stufenprogrammauf 40 Stunden senken. Ein nor-maler Arbeitstag bestand aus 9,5Stunden, verbunden mit einemständigen Druck auf Überstunden.Dazu benötigte ein brasilianischerArbeiter im Durchschnitt täglichdrei Stunden für An- und Abreisezum Betrieb.

Am 11. April begann der von der CUTorganisierte Streik „Wilde Kuh“, so

genannt wegen seiner flexiblenTaktik. Angeführt von Automobil-arbeitern traten rund 300 000 Ar-beiter in den Ausstand. Die Auto-mobilindustrie, insbesondere GMdo Brasil, VW und Mercedes, zeig-te, in dieser Auseinandersetzungvöllige Härte und zog alle Register,die die brasilianischen Gesetze zu-ließen. GM do Brasil beispielsweiseveröffentlichte täglich 60 Namenvon Kolleginnen und Kollegen aufPlakaten, die ab diesem Zeitpunktentlassen waren. Durch diese Tak-tik sollte eine Zermürbung und einAuseinanderbrechen der streiken-den Arbeiter erreicht werden. DerStreik ist nach 53 Tagen im Juni1985 zu Ende gegangen. Mehr als2.500 Beschäftigte der Automobi-lindustrie, darunter viele Gewerk-schaftsaktivisten, wurden währenddes Streiks entlassen. Er wurde be-endet, ohne dass es für einenGrossteil der Streikenden eine we-sentliche Verbesserung ihrer Lohn-und Arbeitssituation gebracht hat.■

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„Mehr als 85 000 Auto -mobilarbeiter inder ABC-Regionrund um Sao Paulo,insbesondere inden Werken vonVolkswagen,Mercedes Benz,General Motors,Ford und Saab-Scania, streikten für vierteljährlicheLohnangleichun-gen “

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Der Austausch wurde durch kirch-liche Stellen im Einvernehmen mitder IG Metall finanziert und organi-siert. Der Reisebericht wurde auchveröffentlicht. In dem Buch “Machenwir uns auf den Weg – Schritte zurinternationalen Solidarität von bra-silianischen und deutschen Gewerk-schaftern” sind die beeindrucken-den Erfahrungen dokumentiert.

„Zentraler Punkt des Treffens war es,Kontakt mit den deutschen Gewerk-schaften über das, was hier und inBrasilien vor sich geht, gemacht zuhaben. Für uns in Brasilien sind diepolitischen Bedingungen das größteProblem. Wegen der Abhängigkeitder Gewerkschaften vom Arbeitsmi-nisterium kann jegliche Bewegungzerstört werden.“ (Mario Barbosa, Gewerkschafts-mitglied von CUT)

In den weiteren Jahren entwickeltesich ein reger Austausch zwischendeutschen und brasilianischen Ge-werkschaftern. Mario Barbosa ver-

brachte 1997 sechs Wochen inWolfsburg, 1999 ging Frank Patta,damals stellvertretender VK-Leiterim Werk Wolfsburg, nach Brasilien.Ein Jahr später informierte sichWagner Firmino-Santana, Leiter derVertrauensleute im brasilianischenVW-Werk Anchietta, für mehrereWochen bei seinen deutschen VW-Kollegen. „Wir haben so die unter-schiedlichen Strukturen und Arbeits-weisen der Gewerkschaften in Bra-silien und Deutschland kennenge-lernt. Von diesem Erfahrungsaus-tausch haben beide Partner eineMenge profitiert“, sagt Frank Patta.

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InterSoli-Arbeitskreis Brasilien

“Wir sind mit dem Herzenbei Eurem Kampf“1984 fand ein Austauschprogramm zwischen Gewerkschaftern inDeutschland und Brasilien statt. Gewerkschafter aus Brasilien be-suchten im Herbst 1984 die Bun-desrepublik, deutsche Gewerk-schafter fuhren ein Jahr späternach Brasilien.

„Wegen der Abhängigkeit derGewerkschaftenvom Arbeits -ministerium kann jegliche Bewegungzerstörtwerden“Mario Barbosa

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Unterstützung im brasilianischen Arbeitskampf

Während des großen Arbeitskamp-fes 1985 in Brasilien, bei dem 28Gewerkschafter von Volkswagendo Brasil entlassen wurden, unter-stützten die Gewerkschafter ausDeutschland mit Solidaritätsaktio-nen die Streikenden durch Solida-ritätstelegramme, Öffentlichkeits-arbeit und Spendensammlungen.

„Zu Eurem ersten größeren Arbeits-kampf seit der Rückkehr Brasilienszu einer zivilen Regierung, richtenEuch die Vertrauensleute der IG Me-tall im Volkswagenwerk Wolfsburgsolidarische Grüße aus. Wir unter-

stützen uneingeschränkt Eure For-derung nach Arbeitszeitverkürzungmit dem Ziel der 40-Stunden-Wocheund der quartalsweisen Lohnan-passung an die Lebenshaltungsko-stenrate. Wir wissen aus unserer

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„Zu Eurem ersten größerenArbeitskampf seitder Rückkehr Brasiliens zu einer zivilen Regierung, richten Euch dieVertrauensleuteder IG Metall imVolkswagenwerkWolfsburg solidarischeGrüße aus“Solidaritätstele-gramm der WolfsburgerVertrauensleute

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eigenen jüngsten Erfahrung, wieschwer es ist, Arbeitszeitverkürzungdurchzusetzen. Wir sind mit demHerzen bei Eurem Kampf.“(Solidaritätstelegramm der Vertrauenskörperleitung von VW Wolfsburg)

Auto-Spende für Gewerkschaftsschule „Escola Sul“

Zur Einweihung der „Escola Sul“,einer neuen Schule des Gewerk-schaftsdachverbandes CUT im SüdenBrasiliens, spendeten die Wolfsbur-ger IG Metall und der Arbeitskreis„InterSoli“ 1996 ein Auto „Made inBrasilien“, einen Golf Variant. Bereits1993 hatte der Arbeitskreis die Schu-le mit einer Spende unterstützt.Brasilianische Gewerkschafter nut-zen die Schule zu zwei Dritteln alsBildungsstätte, wie beispielsweisefür Seminare zur Einführung der„4-Tage-Woche“. Ansonsten ist sie

Hotelbetrieb, Sportstätte und Kin-dergarten – Gewerkschaftsarbeitfindet dort somit auf vielfältigeWeise statt.

Wolfgang Schulz, der das Auto vorOrt überbrachte: „Für die Gewerk-schaftsvertreter in Südbrasilien, be-sonders aber für die Standorte vonVW, wird diese Schule eine starkegewerkschaftliche Bedeutung ha-ben. Sie ist in dieser Form mit ihrenvielfältigen Möglichkeiten einmaligin Brasilien.“

Arbeitsplatzsicherung in Brasilien –Modell zur Beschäftigungs -sicherung wird angepasst

1998 war VW do Brasil durch diebrasilianische Wirtschaftskrisemassiv von Massenentlassungenbetroffen. Nachdem sich die brasi-lianische Gewerkschaft sehr inten-siv mit dem deutschen Modell zurBeschäftigungssicherung – der

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„Wir wissenaus unserer eigenen jüngstenErfahrung, wieschwer es ist, Arbeitszeitverkür-zung durchzu -setzen “Solidaritäts -telegramm derWolfsburgerVertrauensleute

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28,8 Stunden-Woche – auseinander-gesetzt hatte, wurden dieses undweitere Beschäftigungssicherungs-konzepte auf die brasilianische Si-tuation angepasst und übertragen.

Die Gewerkschaft CUT und VW doBrasil unterzeichneten eine Verein-barung zur Einführung der 4-Tage-Woche, eines Vorruhestandspro-gramms sowie verschiedener Maß-nahmen zur Kosteneinsparung. Fürdiese Arbeitszeitverkürzung ohnevollen Lohnausgleich erhielten dieBeschäftigten eine Beschäftigungs-garantie von fünf Jahren. DieseMaßnahme – nach dem Vorbildder Vereinbarungen zwischen derIG Metall und der Volkswagen AGaus dem Jahre 1993 – war nur mög-lich aufgrund vertrauensvoller per-sönlicher Kontakte, eines guten In-formationsstandes und intensiverBegleitung durch deutsche Kollegenin der Krisensituation.

Durch die Vereinbarung wurden beiVW do Brasil die mehr als 26 000Arbeitsplätze gesichert. Das Prin-zip der „kooperativen Konfliktbe-wältigung“ bei Volkswagen hattesich auch in diesem Streitfall erneutbewährt. Massenentlassungenkonnten verhindert werden.

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„Durch die Vereinbarung zurBeschäftigungs -sicherung wurdenbei VW do Brasil diemehr als 26 000Arbeitsplätze gesichert “

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Straßenkinder-Aktion„Eine Stunde für die Zukunft“

Im Rahmen der Spendenaktion derVW-Beschäftigten “Eine Stunde fürdie Zukunft” entstand der Kontaktzur brasilianischen Straßenkinder-Band Eré. Im Jahr 2001 war die Bandauf einer Danke-Schön-Tour an deneuropäischenVolkswagen-Standor-

ten unterwegs. Der Arbeitskreis„InterSoli“ lud sie zu einem Infor-mationsabend ein, um von ihrenErfahrungen und ihrer Lebenssi-tuation zu berichten.

„Musik oder überhaupt künstleri-sche Bestätigung ist ein Weg, denStraßenkindern wieder ein Sozial-verhalten zu vermitteln. Durch dieBand können sie sogar Geld verdie-nen, mit dem sie ihre Familien un-terstützen.“(Erzieherin beim Projekt Eré, in:“Wir in der IG Metall, Juni 2001) ■

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Kontakt:Ulrich AchillesTel.: [email protected]

Heide SchnareTel.: [email protected]

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Die Politik der konsequentenRassentrennung wurde seit1910 durch eine Vielzahl vonGesetzen eingeleitet, welchedie Rechte der schwar zen Bevölkerungsmehrheit immer weiter beschnitten.

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Gewerkschaftsbewegung in Südafrika

Jahrelanger Kampf gegen dieunmenschliche Apartheidspolit

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Apartheidspolitik in Südafrika

Der „Mines and Works Act“ von 1911verpflichtete Schwarze zum Beispiel,ausschließlich niedere Arbeiten zuverrichten und garantierte damitdie Verfügbarkeit billiger Arbeits-kräfte. Der „Native Land Act“ von1913 erklärte 7,3 Prozent der FlächeSüdafrikas zu Reservationen fürSchwar ze und verbot ihnen, au ßer -halb dieser Gebiete Land zu erwer-ben.

1924 wurde in Südafrika der „Indu-strie Conciliation Act“ (Industrie-schlichtungsgesetz) verabschiedet:Dadurch sollten die reibungsloseProduktion und der Betriebsfriedenunter Ausschluss des Streikrechtsgesichert werden; Arbeitsbedin-gungen und Löhne von Wander -arbeitern und Pendlern aus den „Homelands“ (von der Regierungeingerichtete “Reservate” fürSchwarze) wurden als Gegenstandvon Tarifverhandlungen ausge-schlossen; Gewerkschaften konnten

tik

„Der „NativeLand Act“ von1913 erklärte 7,3Prozent derFläche Südafrikaszu Reservationenfür Schwar ze undverbot ihnen, au ßerhalb dieserGebiete Land zuerwerben“

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ihre Mitglieder nach ethnischer Zu-gehörigkeit, Geschlecht und Zuge -hörigkeit zu einer Bevölkerungs-gruppe aussuchen und begrenzen.An Tarifverhandlungen durften nur„weiße“ Gewerkschaften teilneh-men. Bis zum Jahr 1979 wurden Ta-rifverhandlungen für Schwarze nurdurch weiße Muttergewerkschaf-ten geführt.

In den 50er Jahren begann die Aus-weitung der Apartheidspolitik un-ter dem Motto „getrennte Entwick-lung“. Jetzt ging es nicht mehr „nur“um eine ökonomisch begründeteTrennung der Rassen, sondern zu-nehmend wurde auch die Privats-phäre der nicht-weißen Menschenreglementiert und kontrolliert. Ehenzwischen verschiedenen Rassenwurden verboten. In allen öffentli-chen Einrichtungen, Behörden, Ver-kehrsmitteln und sogar auf denToiletten wurde die Rassentren-nung eingeführt.

Seit 1994 ist in Südafrika nachjahrzehntelangem Kampf die bisdahin gesetzlich verankerte Apart-heid abgeschafft. Die von der UNverhängten Sanktionen drängtendas Apartheid-Südafrika mehr undmehr in die internationale Isolati-on. Der internationale Anti-Apart-heidskampf war geprägt von öf-fentlichkeitswirksamen Aktionenzur Einhaltung der weltweit ver-hängten Sanktionen gegen Süd-afrika (z.B. „Kauft keine Früchte derApartheid“, „Shell betankt Apart-heid“). Gewerkschaften, Kirchen,Schüler und Studenten bildeten ei-ne breite Koalition im Kampf ge-gen die Apartheid. Die Unterstüt-zung durch internationale Solida-ritätsgruppen wuchs. Auch die IGMetall war kontinuierlich an denjahrelangen Protesten beteiligt.

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„ Bis zum Jahr1979 wurden Tarif-verhandlungen fürSchwarze nur durchweiße Mutter -gewerkschaften geführt “

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Die ersten freien und demokrati-schen Wahlen fanden im April 1994statt. Nelson Mandela trat sein Amtals erster schwarzer Präsident desLandes an. Erstmals waren alle Süd-afrikaner vor dem Gesetz gleich,unabhängig von ihrer Hautfarbe,ihrer ethnischen, geschlechtlichenoder religiösen Zugehörigkeit.

Die unterdrückte schwarze Bevölke-rungsmehrheit Südafrikas hat injahrzehntelangem politischemKampf und Widerstand die Ab-schaffung der Apartheid durchge-setzt. Die südafrikanischen Gewerk-schaften nahmen hierbei eineführende Rolle ein.

„Nichtrassische“ Gewerkschaftenwerden aktiv

Anfang der 70er Jahre begann derAufbau unabhängiger nichtrassi-scher Gewerkschaften. Es kam zueiner Streikwelle, aber auch zuMassenverhaftungen. SchwarzeGewerkschaften waren dem Staatgefährlich, weil sie sich mit Themenbefassten, die über Löhne und Ar-beitsbedingungen hinausgingen.Je stärker sie sich in politische An-gelegenheiten einmischten, destoschärfer wurden sie vom Staat ver-folgt. Aber das Politische von ge-werkschaftlicher Arbeit zu trennenwar unmöglich. „In einer abnormenGesellschaft kann es keine norma-len Gewerkschaften geben“, war derSlogan einer unabhängigen Ge-werkschaft.

Die folgenden Jahre waren geprägtvon Misshandlungen und Verhaf-tungen schwarzer Gewerkschaftern.In Uitenhage, dem Sitz des VW-Werks, wurden Mitte der 80er Jah-re 50 Menschen durch Übergriffe

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„„In einer abnormen Gesellschaft kann es keinenormalen Gewerkschaftengeben“Slogan einer unabhängigenGewerkschaft

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der Sicherheitsbehörden getötet.Systematisch machte die PolizeiJagd auf VW-Arbeiter und Gewerk-schafter.

1979 wurde dann der erste Dach-verband schwarzer unabhängigerGewerkschaften FOSATU (Federati-on of South African Trade Unions)gegründet. Sechs Jahre später ent-stand der nicht-rassische Dachge-werkschaftsverband COSATU (Con-gress of South Africa Trade Unions)mit 33 Einzelgewerkschaften undinsgesamt 500 000 Mitgliedern.COSATU war ein wichtiger Teil desWiderstandes gegen das Apartheid-systems.

Interessenvertretung bei„Volkswagen of South Africa“

Volkswagen erwarb 1956 erste Ak-tienanteile des Generalimporteurs„South African Motor Assemblers

und Distributors Ltd. (SAMAD)“.1966 wurde die SAMAD in "Volks-wagen of South Africa Ltd." umfir-miert.

Die 1976 gegründete Automobilar-beitergewerkschaft NAAWU (Na-tional Automobile and Allied Wor-kers' Union), die bis 1979 verbotenwar, wurde 1980 als Gewerkschaftund Interessenvertretung vonVolkswagen Südafrika anerkannt –nach langem Kampf der schwarzenArbeiter, unterstützt durch den VW-Gesamtbetriebsrat, die IG Metallund den IMB. Fünf ganztätig freige-stellte gewerkschaftliche Vertrau-ensleute (full-time shop-stewards)und 24 weitere shop-stewards ver-traten nun die Kolleginnen undKollegen im Betrieb.

Ein wichtiges Ereignis, das heraus-ragend die Einigungskraft der Gewerkschaftsbewegung demon-

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„1979 wurdedann der ersteDachverbandschwarzer unabhängigerGewerkschaftenFOSATU (Federation ofSouth AfricanTrade Unions) gegründet“

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striert, war die Gründung der Me-tallarbeitergewerkschaft NUMSA(National Union of Metalworkersof South Africa). Nach dem Motto„One Industry, One Union“, schlos-sen sich 1987 die bedeutendstenGewerkschaften aus der Branche,u.a. auch die NAAWU, zusammen.Die NUMSA repräsentierte erstma-lig alle in Südafrika vertretendenVolksgruppen und vertritt heutedie Interessen der VW-Arbeiter inSüdafrika.

Volkswagen erkennt „Mindest-standards für Südafrika“ an

1989 hat Volkswagen als eines derersten bundesdeutschen Unter-nehmen die „Mindeststandards fürArbeitsbeziehungen und Arbeits-konflikte“ für südafrikanischeTochtergesellschaften deutscherUnternehmen anerkannt. Diesegemeinsamen Forderungen wur-

den von der IG Metall, der NUMSAund dem IMB entwickelt.

„Die Notwendigkeit der Vereinba-rung ergibt sich daraus, dass in derRepublik Südafrika die elementarstenMenschenrechte der schwarzen Be-völkerung gröblich missachtet wer-den und die Wahrnehmung von Ar-beitnehmerinteressen, insbesonde-re die gewerkschaftliche Betätigung,behindert wird und jederzeit unter-drückt werden kann“, heißt es inder Vereinbarung der „Mindest-standards für Arbeitsbeziehungenund Arbeitskonflikte“.

Damit werden bis auf wenige Aus-nahmen bereits in der Praxis re-spektierte Gewerkschaftsrechtevertraglich mit der unabhängigenMetallgewerkschaft NUMSA gere-gelt. ■

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„1989 hat Volkswagen als eines der erstenbundesdeutschenUnternehmen die„Mindeststandardsfür Arbeitsbezie-hungen und Arbeitskonflikte“für südafrikanischeTochtergesellschaf-ten deutscher Unternehmen anerkannt “

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John Gomomo, südafrikanischerGewerkschafter, ehemaliger Präsi-dent des Dachverbades COSATU undheutiger Parlamentsabgeordneter,besuchte 1978 zum ersten Mal VW-Werke in der Bundesrepublik. Vieleweitere Besuche folgten. Der dama-lige Betriebsratsvorsitzende von VWWolfsburg, Siegfried Ehlers, sicherteihm die volle Solidarität der deut-schen Gewerkschafter im Kampffür die Wahrung der Menschen-rechte und für die Gleichbehand-lung aller Arbeitnehmer bei VW inSüdafrika zu.

Morddrohung gegen John Gomomo – Betriebsrat gehtan die Öffentlichkeit

1989 erfolgte durch die rechtsradi-kale weiße Terrororganisation„Weiße Wölfe“ eine Morddrohunggegen John Gomomo. Die „WeißenWölfe“ hatten bereits zahlreicheMenschen in Südafrika ermordet.Walter Hiller, der damalige Gesamt-und Konzernbetriebsratsvorsitzen-de, forderte das VW-Managementauf, alles zu tun, um das Leben derGewerkschafter zu schützen. DerGesamtbetriebsrat und der IG

Metall-Arbeitskreis InterSoli betrie-ben eine intensive Öffentlichkeits-arbeit und informierte bundesweitdie Bevölkerung.

Studienreisen nach Südafrika

Es fanden verschiedene Studienrei-sen nach Südafrika statt. Währenddieser Reisen wurden die deutschenBesucher unmittelbar mit denAuswirkungen der Apartheid kon-frontiert. Bei einem Informations-besuch des VW Gesamtbetriebsrats1985 erfuhren die Kollegen, dassunmittelbar in der Nähe des VW-Werkes Uitenhage Polizeikräftefriedliche Demonstranten mit ge-zielten Schüssen umgebracht hatte.

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InterSoli-Arbeitskreis Südafrika

Gleiche Rechte für alleArbeitnehmer in SüdafrikaSchon in den 70er Jahren haben der VW-Gesamtbetriebsrat und die IG Metall Kontakte zu den südafrikanischen Kollegen aufgenommen.

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(Das Massaker von Langa am 21.März 1980) Seit Beginn der Über-griffe durch die Sicherheitskräftesind allein in Uitenhage über 50Menschen getötet worden. Derschwarze VW-Arbeiter MlamiGladman Grootboom wurde vonder Polizei schwer zusammenge-schlagen. Die südafrikanische Au-tomobilgewerkschaft NAAWU be-richtete im BR-Kontakt: „Groot-boom sagte aus, dass er zusammenmit einem anderen VW-Arbeiter um7.20 Uhr morgens auf dem Weg zurArbeit war. Ein Landrover mit

weißen Polizisten kam auf sie zuund als er sie sah, verließ er dieStraße, um sie zu jagen.“ Nachdemdie Polizisten die beiden Arbeiterdurch mehrere Straßen gehetzthatten stoppten sie Grootbohmschließlich und schlugen ihn insGesicht. Er erhielt eine tiefeSchnittwunde auf seinem Augen-lid. „Sie stießen ihn dann ins Autound nahmen ihn mit zum Polizeire-vier, wo er erneut zusammenge-schlagen wurde. Sie sagten: Ihr VW-Arbeiter seit sehr hartnäckig, wirkriegen Euch noch!“ (aus: BR-Kontakt, Informationsblatt desGesamtbetriebsrates der VW AG, 3. September 1985)

Proteste gegen Verfolgung undVerhaftung von Gewerkschaftern

1984 wurden der FOSATU-PräsidentChris Dlamini und andere südafri-kanischen Gewerkschafter verhaftet.Solidaritätsaktionen in Deutschlandfanden statt, die Vertrauenskörper-leitung von VW Wolfsburg setztesich mit Bundeskanzler Kohl undAußenminister Genscher in

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„Sie stießenihn dann insAuto und

nahmen ihn mitzum Polizeirevier,wo er erneut zusammenge-schlagen wurde.Sie sagten: IhrVW-Arbeiter seitsehr hartnäckig,wir kriegen Euchnoch!“Bericht über dieMisshandlung desschwarzen VW-Arbeiters MlamiGrootboom

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Verbindung und bat um schnellesHandeln gegenüber der südafrika-nischen Regierung. Der Protesthatte Erfolg: Die Gewerkschafterwurden wieder auf freien Fuß ge-setzt.

Ein Jahr später wurden erneut vierschwarze VW-Gewerkschafter –darunter John Gomomo – nachtsum vier Uhr von der Polizei festge-nomen. Die rund 3 500 schwarzenVW-Arbeiter legten daraufhin beiSchichtbeginn die Arbeit nieder,um gegen die Inhaftierung ihrer

Kollegen zu protestieren. Paralleldazu führte der GesamtbetriebsratGespräche mit dem Vorstand inWolfsburg, damit dieser das Perso-nalmanagement in Uitenhage ver-anlasst, sich für die Freilassung derVerhafteten einzusetzen. Der Streikund die Intervention des Betriebs-rats waren erfolgreich. Die Gefan-genen wurden wieder entlassen.

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„Die Wolfsburger VW-Vertrauensleute protestierten beiBundeskanzlerKohl und Außen-minister Genschergegen die Verhaftung südafrikanischer Gewerk -schafter“

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Südafrika1997 – Ausstellung imWolfsburger Rathaus

Bis heute sieht der Arbeitskreis Süd-afrika seinen Schwerpunkt darin,über die politische Situation imLande zu informieren. Im Juni 1997fand eine Fotoausstellung in derBürgerhalle des Rathauses unterdem Motto „Südafrika 1997 – An-sprüche und Engagement“ statt.

Aktionstag zum Jahrestag des“Massakers von Soweto”

2001 veranstaltete die ArbeitsgruppeSüdafrika einen Aktionstag zum25. Jahrestag des „Massakers vonSoweto“. Bei Protesten im süd-afrikanischen Township Sowetogegen das damalige Apartheids-

Regime sind Tausende von Men-schen umgebracht worden. DerArbeitskreis hat sich viele Monatelang ganz intensiv mit dem Thema„Apartheidsschulden“ beschäftigt,berichtet Stephan Krull, der vieleJahre im AK Südafrika mitgearbei-tet hat. Während des Aktionstageswurden die Deutsche Bank und dieCommerzbank aufgefordert, demneuen südafrikanischen Staat Bank-schulden zu erlassen. Diese Kreditehalfen den Rassisten während derApartheid, die Bevölkerung zu un-terdrücken. Stephan Krull: „Es ist einUnding, dass die Opfer der Apart-heid diese Gelder jetzt auch nochzurückzahlen sollen.“ ■

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„Es ist ein Unding, dass die Opfer der Apartheid dieSchulden der Rassisten zahlensollen“Stephan Krull

Kontakt:Dennis FaupelTel.: [email protected]

Torsten FelgentreuTel.: [email protected]

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Gewerkschaftsbewegung in Mexico

„No-Reeleccion“ – ein System mgroßen ProblemenDie „Institutionelle Revolutionspartei“ PRI (Partido Revolucionario Institucionseit 1929 an der Macht. Vetternwirtschaft und Korruption prägte die 71-jähriallmächtigen Staatspartei.

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Die PRI herrschte mit Hilfe desberühmt gewordenen „Dedazo“.„Dedazo“ bedeutet „mit den Fin-ger zeigen“ und war das Privilegder mexikanischen Präsidenten,ihren Nachfolger per „Fingerzeig“zu ernennen. Die PRI griff zur Er-haltung ihrer Macht immer häufi-ger zu Repression, Manipulationsowie massiven Einschüchterungs-versuchen, Stimmenkauf undWahlbetrug.

Gewerkschaften in Mexiko entwickeln sich

Die Gewerkschaften in Mexiko ent-standen auf der Basis berufsbezo-gener Gruppen: das heißt, jede Be-rufsgruppe hatte ihre eigene Ge-werkschaft. 1981 waren drei Millio-nen Arbeitnehmer in fast 16.000Gewerkschaften organisiert. DieseZersplitterung der Gewerkschaftenmachte eine gemeinsame Interes-

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mit

nal) war in Mexiko ige Regentschaft der

„Die RegierungspartiePRI griff zur Erhaltung ihrerMacht immerhäufiger zu Repression, Manipulation sowie massivenEinschüchte-rungsversuchen,Stimmenkaufund Wahlbetrug“

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senvertretung der Arbeitnehmereiner Branche unmöglich.

Um als Verhandlungspartner gegen -über den Unternehmen anerkanntzu werden, mussten sich Gewerk-schaften im Arbeitsministeriumregistrieren lassen und ihre Funk-tionäre namentlich nennen. Dadurcherhielt der Staat noch eine zusätz-liche Kontrollfunktion, um politischmissliebige Gewerkschaften aus-schließen zu können. Gewerkschaf-ten müssen auch heute noch sichund ihre Funktionäre anmelden.

Industriegewerkschaften, welchedie Beschäftigten einer ganzenBranche organisierten, waren einegroße Ausnahme. Arbeiter und An-gestellte durften nicht derselbenGewerkschaft angehören. Fast alleorganisierten Arbeitnehmer gehör-ten den Staatsgewerkschaften an,deren Mitglieder automatisch derPRI angegliedert waren und zu den

wichtigsten Stützen des politischenSystems gehörten. Die großen tra-ditionellen Dachverbände warenKonkurrenzverbände, die sich ge-genseitig Mitglieder abwarben.

SITIA VW – die Gewerkschaft von„Volkswagen de México“

„Volkswagen de México, S.A. de C.V.“wurde am 15. Januar 1964 gegrün-det, der aktuelle Standort in Puebla1967 eingeweiht. Bereits einige Mo-nate bevor die Produktion anlief,gründete sich die erste Gewerk-schaft bei VW in Mexiko. Anfangsnoch Mitglied des größten offiziel-len StaatsgewerkschaftsverbandesCTM (Confederción de Trabajadoresde México) und dem gewerkschafts -oppositionellen DachverbandesUOI (Union Obrera Independiente)trat SITIA VW Anfang der 80er Jah-re nach internen Auseinanderset-zungen aus diesen Dachverbändenaus und war seitdem eine unab-

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„1981 warendrei Millionen Arbeitnehmer infast 16.000 Gewerkschaftenorganisiert. DieseZersplitterungder Gewerkschaf-ten machte einegemeinsame Interessen -vertretung derArbeitnehmer einer Brancheunmöglich“

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hängige und völlig selbständigeUnternehmensgewerkschaft. Seit1998 gehört die Gewerkschaft demDachverband FESEBES (einem Zu-sammenschluss „moderner“ Dienst-leistungsgewerkschaften) an.

SITIA VW besteht aus mehrerenEbenen wie dem Exekutivkomitee,welches im Gewerkschaftshaussitzt und oberster Verhandlungs-partner für die Unternehmungslei-tung bei Volkswagen ist. Ein Netzvon Delegierten (Delegados), diejeden Tag zum Schichtende zweiStunden freigestellt sind, ist An-sprechpartner für die Kollegen imBetrieb. Allerdings beschränkt sichderen Arbeit hauptsächlich auf dieRegelung politischer Konflikte. DieDelegados haben keinerlei bestim-menden Einfluss auf die Politik desExekutivkomitees, sondern nehmen

ausschließlich betriebspolitischeRechte auf der Grundlage des Tarif-vertrages wahr.

Ein Großteil der Gewerkschaftsar-beit findet außerhalb des Betriebesstatt: es werden Wohnungen undJobs vermittelt, es gibt ein vergün-stigtes Einkaufszentrum, eine ei-gene Sportanlage und ein Beerdi-gungsinstitut

„Echtes Wahlrecht, keine Wieder-wahl“ – das System der „No-Reelección“

In Mexiko besteht das System der„No-Reelección“. Dieses bedeutet,dass eine Wiederwahl von politi-schen Ämtern nicht möglich ist. Eswurde Anfang des 20. Jahrhundertsnach der 30jährigen Diktatur vonPorfirio Díaz eingeführt. Dieses

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„Ein Großteilder Gewerk-schaftsarbeit findet außerhalbdes Betriebesstatt: es werdenWohnungen undJobs vermittelt,es gibt ein vergünstigtesEinkaufszentrum,eine eigeneSportanlage undein Beerdigungs-institut“

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System war eine der wichtigstenErrungenschaften der mexikani-schen Revolution und drückte denWunsch nach der Überwindungeiner 30jährigen Dauerherrschaftaus.

Dies hieß aber auch, dass der Wech-sel jedes Mal ein vollständiger Bruchwar. Es gab keine traditionsbilden-de Diskussionskultur. Politische In-halte wurden ausschließlich durchPersonen, aber nicht durch eine hi-storische Entwicklung bestimmt.Neugewählte Mitglieder warenvöllig unerfahren und mangelhaftvorbereitet, abtretende Mitgliederwurden in der Regel aus der Ge-werkschaft entlassen und verlorensomit auch ihren Arbeitsplatz beiVolkswagen.

Es gilt das „closed-shop“-Prinzip:jeder Arbeiter muss der Gewerk-schaft angehören und darf nur aufVorschlag der Gewerkschaft be-schäftigt werden. Zur Zeit der Mit-gliedschaft der VW-Gewerkschaftin der UIO war es üblich, dass der

jeweilige alte Vorstand vom neuenVorstand aus dem Betrieb hinaus-geworfen wurde. Dadurch saß manals Mitglied der VW-Gewerkschaftsozusagen auf einem „Schleuder-sitz“ und war oft hauptsächlich da-mit beschäftigt, zu versuchen, eineSatzungsänderung durchzusetzenoder sich genügend finanzielle undBeziehungsressourcen für die Zeitdanach anzusparen.

Seit Mitte der 90er Jahre ist durchStatutenänderung eine Wiederwahlder Mitglieder möglich. Aber dasProblem hat sich bis heute nichtgravierend geändert. Bislang istnoch keinem neuen Komitee dieWiederwahl gelungen. „Immerwieder werden die Erfahrungen indem Papierkorb geschmissen. Wirwerden, wenn wir nicht wieder

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„Es gilt das„closed-shop“-Prinzip: jeder Arbeiter muss derGewerkschaft angehören unddarf nur auf Vorschlag der Gewerkschaft beschäftigt werden“

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gewählt werden, unser Wissen undalle Informationen schriftlich zurück-lassen. Die neuen sollen nicht blinddastehen, so wie es uns errangen ist.“(Mitglieder des Exekutivkomitees;aus dem Reisebericht 1999 der InterSoli-Gruppe Mexico)

Aktueller Kontakt mit der SITIA VW

Seit Anfang 2000 ist José Luis Rodríguez Salazar, Generalsekretärder SITIA VW und des Exekutivkomi-tee. Er hat von Anfang an mit der In-terSoli-Gruppe, sei es per Fax, e-Mailoder durch persönliche Gesprächein Wolfsburg, Puebla, Lissabon oderBratislava, Kontakt gehalten undden Wolfsburger Kolleginnen undKollegen somit wertvolle Informa-tionen zukommen lassen.

In seiner Amtszeit fallen die schwe-ren Streiks für Lohn- und Leistungs-verbesserunge 2000 und 2001 (19Tage lang); der politische Macht-wechsel in Mexiko durch PräsidentFox und sein Versuch, das Landdurch Reformen zu modernisieren.

José Luis Rodriguez Salazar möch-te, wie in Wolfsburg eine Flexibili-sierung der Lohn- und Arbeitszeit-verträge erreichen, um damit ge-gen die schwere Produktionskrisezu lenken, die Mexiko im Griff hat.Nachdem ca. 2.500 Arbeiter in denletzten zwei Jahren nicht weiterbeschäftigt werden konnten, ist eswichtiger denn je.

Deutsche Solidarität beim mexikanischen Streik

50 Prozent der Bevölkerung Mexi-kos lebt nach den Krisen der letz-ten Jahre in extremer Armut. Derdurchschnittliche Arbeitslohn ei-nes VW-Arbeiters beträgt heuteca. 28 EUR täglich und liegt damitschon deutlich über dem gesetzli-chen Mindestlohn.

1987 streikten die mexikanischenVW-Arbeiter, um ihrer Forderungnach 100prozentiger LohnerhöhungAusdruck zu verleihen. Obwohl dieReallöhne in den letzten Jahren inMexiko durch die horrende Inflati-on auf die Hälfte zusammenge-schrumpft waren, stellte sich VWstur und wollte die Lohnverhand-lungen noch weitere zwei Monateaufschieben. Walter Hiller, der da-malige Vorsitzende des Gesamtbe-triebsrats, versicherte den mexika-nischen Kollegen: „Wir werden nunumgehend den Vorstand des VW-Konzerns auffordern, auf das

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„1987 streikten diemexikanischen

VW-Arbeiter, umihrer Forderungnach 100prozentigerLohnerhöhungAusdruck zu verleihen. Obwohl dieReallöhne in denletzten Jahrenin Mexiko durchdie horrende Inflation auf die Hälftezusammenge-schrumpft waren, stelltesich VW stur“

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Management der VW de Méxicoeinzuwirken, damit es Euren Forde-rungen durch ein vernünftiges An-gebot entgegenkommt und es zueiner guten Lösung des Konflikts inPuebla kommt. Wir Arbeitnehmerund Gewerkschaftler im weltwei-ten Volkswagen-Konzern müssen inguten und schlechten Zeiten zu-sammenhalten. Deshalb bitten wirEuch, alle Arbeiter der VW de Méxi-co und das mexikanische Volk darü-ber zu informieren, dass die Kolle-ginnen und Kollegen der deutschenVW-Werke in Eurem schwierigenKampf in internationaler Solidaritätzu Euch stehen.“

Nach acht Wochen Streik habensich die VW-Arbeiter und Unter-nehmensleitung auf eine 78-pro-zentige Lohnerhöhung geeinigt.

Schwierige Zusammenarbeitdurch fehlende Kontinuität

Auf Grund der fehlenden Konti-nuität der gewerkschaftlichen Ar-beit in Mexiko ist es nach wie vor

schwierig, längerfristige persönli-che Kontakte aufzubauen.

1988 stellten die Teilnehmer nacheiner Studienreise von „InterSoli“fest: „Die politische Schwäche desKomitees, das eher verhaltene En-gagement im Rahmen unseres Be-suches und die nur an einzelnenStellen erkennbare Forderung, dieinneren Strukturen der Gewerkschaftzu verändern, lassen kaum einenRaum für eine wenigstens mittelfri-stigeZusammenarbeit. Dies soll abernicht bedeuten, den Standort Mexikonun völlig aus der InterSoli-Arbeitauszusparen. Diese Reise hat zu-

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„Wir Arbeit-nehmer und Gewerkschaftlerim weltweitenVolkswagen-Konzern müssen inguten und schlech-ten Zeiten zusam-menhalten“Waltr Hiller

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mindest wesentliche Kontakte mitexternen Beratern der VW-Gewerk-schaft gebracht.“ (aus dem Reisebericht der InterSoli-Gruppe Mexiko).

Diese fehlende Kontinuität war auchThema der Teilnehmer der Reise, die1999 stattfand. Allerdings empfan-den die Reiseteilnehmer die mexi-kanischen Kollegen als hochmoti-viert und mit viel Enthusiasmus beiihrer Arbeit. Während eines gemein-sames Seminars auf dieser Reiseentstand die Idee „etwas bleiben-des“ zu schaffen, und eine gemein-same Vereinbarung zwischen SITIAVW und der IG Metall wurde erstellt.

„Beide Gewerkschaften erklären, dasssie die jetzt begonnenen Kontakteund den Informationsaustausch inZukunft fortsetzen und verstärkenwollen“, wurden in der Erklärungausdrücklich formuliert.

Fotoausstellung informiert die Öffentlichkeit

Eine umfangreiche Fotoausstellungmit Hintergrundinformationen überdas Land und die gewerkschaftli-che Entwicklung in Mexiko ist einErgebnis der 99er-Reise. Der Arbeits-kreis hat die Ausstellung seitdemhäufig präsentiert, beispielsweiseim Volkswagenwerk Wolfsburg,während der Weltarbeitnehmerkon-ferenz, auf 1. Mai-Veranstaltungensowie in verschiedenen Bildungs-stätten- etwa in der Heimvolks-hochschule Hustedt. ■

„Auf Grundder fehlendenKontinuität dergewerkschaftli-chen Arbeit inMexiko ist esnach wie vorschwierig, längerfristigepersönliche Kontakte aufzubauen“

Kontakt:Harald OelmannTel.:[email protected]

Mario BardelliTel.: [email protected]

Dirk SchulzeTel.: [email protected]

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Gewerkschaftsbewegung in China

Arbeitnehmervertretung im UmUnabhängige Gewerkschaften sind in China verboten. Sie werden unterdrückt, ihre Funktionäre inhaftiert. Das Gewerkschaftsgesetz von 1992 untersagt die Gründung von Gewerkschaften, die von den Behörden und der regierenden Partei unabhängig sind.

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Das Gesetz sieht ein Gewerk-schaftsmonopol vor. Der einzig legale Dachverband ist der All -chinesische Gewerkschaftsbund(ACGB). Er ist Teil des Apparats derregierenden Partei, deren Politik er umzusetzen hat. In dem Gesetzheißt es, dass es auf jeder Organi-sationsebene lediglich eine Gewerk-schaft geben darf. Alle Gewerk-schaften müssen vom ACGB gebil-ligt werden und seiner Führungunterstehen.

Das Gesetz definiert die Ziele derGewerkschaften:• die Arbeit regeln mit Blick auf

Verbesserung der Arbeitsproduk-tivität und der wirtschaftlichenEffizienz

• aktive Rolle bei der sozialistischenModernisierung; unter Feder-führung der KP China

• im Konfliktfall Vermittler zwischenBeschäftigten und Betriebsleitung

mbruch

„Der einziglegale Dach- v erband ist derAllchinesischeGewerkschafts-bund (ACGB). Er ist Teil des Apparats der re-gierenden Partei,deren Politik erumzusetzenhat“

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Der Allchinesische Gewerkschafts-bund (ACGB)

Die Satzung des ACGB (von 1993)definiert Gewerkschaften als „Ver-bindung und Brücke zwischen der KPChina und den arbeitenden Massenund Vertreter der Interessen von Ge-werkschaftsmitgliedern und Nicht-mitgliedern“. Wichtige Funktionärewerden von der Partei ernannt. Siesind verpflichtet „die einheitlicheFührung der KP standhaft aufrechtzu erhalten“.

Auf allen Ebenen sollten die Ge-werkschaften „ein hohes Maß anEinstimmigkeit mit der Partei be-kunden“.

In China gibt es auch kein Streik-recht. Das Streikrecht wurde 1982aus der chinesischen Verfassunggestrichen. Begründung: Das poli-tische System habe „die Probleme

zwischen dem Proletariat und denUnternehmenseignern beseitigt“.Konflikte sollen mittels Vermittlung,Schlichtung und Anrufung einesArbeitsgerichtes beigelegt werden.

Der Internationale Bund Freier Ge-werkschaften (IBFG) behauptet, Ar-beitgeber werden bei Arbeitskonflik-ten von den Schlichtungsausschüs-sen einseitig bevorzugt behandelt,da es häufig Überschneidungengibt zwischen Betriebsleitung, ört-lichen Parteikadern und Regierungs-beamten.

Anfang 1997 hat der Staatssicher-heitsdienst der KPCh Richtlinienfür die Gewerkschaften erlassenzur Aufrechterhaltung der gesell-schaftlichen Ordnung:

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„Auf allen Ebenen sollten die Gewerkschaftenein hohes Maßan Einstimmig-keit mit der Partei bekunden“

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Gewerkschaften haben danachwährend eines Arbeitskonfliktes,die Betriebsleiter sowie Partei undRegierung mit Blick auf die Wah-rung der öffentlichen Sicherheit zuunterstützen.

1995: Neues Arbeitsgesetz in Kraft

1995 ist ein neues nationales Ar-beitsgesetz in Kraft getreten. Esbeinhaltet (u.a.)

• formelle Arbeitsverträge für alleBeschäftigte in allen Arten vonUnternehmen

• Einrichtung von Arbeitsschieds-gremien und Arbeitsinspetions-abteilungen, um Streitigkeitenbeizulegen und Einhaltung der

Arbeitsbestimmungen zu ge-währleisten

• Beschäftigte in allen Arten vonUnternehmen können Arbeits-verträge im Rahmen von Tarif -verhandlungen aushandeln

• Unternehmen können Beschäf-tigte ohne staatliche Genehmi-gung aus wirtschaftlichen Grün-den entlassen

Das Arbeitsgesetz schränkt aller-dings freie Tarifverhandlungen ein.Lokale Arbeitsbehören müssen die-se Tarifvertrag billigen. Außerdem

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gilt nach wie vor das gewerk-schaftliche Monopol des ACGB.

Die Zahl der Arbeitskonflikte hatseit 1992 kontinuierlich zugenom-men – durchschnittlich um 50 Pro-zent pro Jahr.

In einigen Großbetrieben gibt esBetriebsausschüsse, in ihnen sit-zen ACGB-Funktionäre, Vertreterörtlicher Arbeitsbehörden undMitarbeiter des Staatssicherheits-büros der Kommunistischen Par-tei. Ihr Ziel: nicht genehmigte Ar-beitnehmer-Aktionen zu überwa-chen und zu vereiteln. Viele Unter-nehmen verfügen – nach IBFG-In-formationen – sogar noch über In-haftierungseinrichtungen. Sicher-heitskräfte können Beschäftigtefesthalten und bis zu drei JahrenArbeitslager verurteilen.

Gewerkschaft im Um-bruch ?!

Die wirtschaftliche Ent-wicklung Chinas wird voneiner kaum vorstellbarenDynamik geprägt. In nurwenigen Jahrzehnten istaus einem unterentwic -kelten Bauernland einewichtige Industrienationgeworden. China istBoomland. Weltkonzerne

und nationale Regierungen buhlenum Aufträge und Marktanteile.Der „sozialistische Kapitalismus“ –wie es Chinas Reformpolitiker Dengeinmal formulierte – verändert auchdie gesellschaftlichen Verhältnisse.Auf dem 13. Kongress des ACGB(1998) wurden die massiven sozia-len Folgen der Wirtschaftsreformenfür die Arbeitnehmer und die dar-aus entstandenen Spannungsfel-der zwischen Partei, Gewerkschaf-ten und Arbeitnehmer angespro-chen: Massenentlassungen in denstaatlichen Betrieben, Umbau dersozialen Sicherungssysteme, Ver-halten in ausländischen Unterneh-men mit anderen Management-praktiken und Sozialstandards.

Das veränderte Arbeitsrecht weistden Gewerkschaften plötzlich dieRolle zu, in privatisierten BetriebenTarifverhandlungen zu führen.Darauf sind die chinesischen Ge-werkschaften überhaupt nicht vor-bereitet. ■

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„Das veränderte Arbeitsrechtweist den Gewerkschaftenplötzlich die Rolle zu, in privatisierten Betrieben Tarifverhandlun-gen zu führen.Darauf sind diechinesischen Gewerkschaftenüberhaupt nichtvorbereitet“

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InterSoli-Arbeitskreis China

Erste Kontakte vor Ortwerden geknüpft

Der InterSoli-Arbeitskreis China hatsich im Februar 1999 gegründet.Der AK beschäftigte sich in der ersten Zeit vor allem damit, die Lebens- und Arbeitsbedingungender Kolleginnen und Kollegen inden VW-Werken Shanghai undChangchun kennen- und verstehen-zulernen. Der AK hat mit besonde-ren Schwierigkeiten zu kämpfen. Diepolitischen Verhältnisse erschwe-ren die Informations-Beschaffung,die sprachliche Barriere verhindertdirektere Kontakte. Außerdem sinddie chinesischen VW-Standortenicht in die betrieblichen Mitbe-stimmungsstrukturen integriert.Die chinesischen Gewerkschaften

Seit gut drei Jahren arbeitet derInterSoli-Arbeitskreis China. ImHerbst 2002 ist eine erste Studi-enreise nach Shanghai geplant.

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sind aufgrund ihrer nicht demokra-tischen Strukturen (noch) nicht Mit-glied im Welt-Konzernbetriebsrat.

Im November 2002 reist erstmalseine Intersoli-Gruppe zu einer Stu-dienfahrt nach Shanghai.

Das China-Engagement des VW-Konzerns

Volkswagen war einer der ersteninternationalen Automobilherstel-ler, der sich in China engagiert hat.Die Kontakte gehen zurück auf dasJahr 1978, als die chinesische Re-gierung unter Deng Xiaoping diePolitik der wirtschaftlichen Refor-men und der Öffnung gegenüberdem Ausland einleitete. Mit Hilfeausländischen Kapitals und Tech-nik sollte die Industrialisierung des

Landes beschleunigt und eine in-ternationale Wettbewerbsfähig-keit erreicht werden. Der Automo-bilindustrie wurde eine Schlüssel-funktion eingeräumt.

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„Die chinesischen Gewerkschaftensind aufgrund ihrer nicht demokratischenStrukturen(noch) nicht Mitglied imWelt-Konzernbe-triebsrat“

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Der VW-Konzern ist in der Volksre-publik China mit zwei PKW-Joint-Ventures vertreten – seit 1985 inShanghai und seit 1991 im nordchi-nesischen Changchun. Volkswagen

nimmt seit Beginn seines Engage-ments mit einem Marktanteil vonbis zu 50 Proeznt die führende Po-sition im chinesischen PKW-Marktein. Der Wettbewerb verschärft sichallerdings zusehends. Weitere Au-tomobilkonzerne (General Motorsund Honda) drängen auf den Markt.Volkswagen will aber seine Chancenim Wachstumsmarkt China auch inZukunft zielgerichtet nutzen. ■

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Kontakt:Daniela CavalloTel.: [email protected]

Markus KirsteTel.: [email protected]

Willi DörrTel.: [email protected]

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Gewerkschaftsbewegung in Mittel- und Osteuropa

Aufbau unabhängiger Organisanach dem ZusammenbruchDie Gewerkschaften in Mittel- und Osteuropa müssen sich nach 50-jähriger sGesellschaft völlig neu aufstellen. Dies stellt sie vor neue HerausforderungenDie deutschen Gewerkschaften – allen voran die IG Metall – unterstützen die

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ationen

sozialistischer n und Aufgaben. ese Umbruchphase.

Gewerkschaftliche Entwicklung in Polen

Die Anfänge der unabhängigenGewerkschaftsbewegung Solidar-noscz in Polen waren zugleich derAnfang vom Ende der kommunisti-schen Herrschaft in Polen und Ost-europa. Entstanden aus der Streik-welle im Sommer 1980 in vielenIndustriestädten Polens, wurde dievon Arbeitern und Intellektuellengemeinsam getragene Bewegungzur ersten demokratischen Masse-norganisation in Osteuropa. Ange-führt von Lech Walesa, einem Elek-triker auf der Danziger Werft ge-lang, es der Solidarnoscz, ein Bünd-nis aus Reformsozialisten und reli-giösen Kräften zu schmieden, wel-ches die Befreiung der polnischen

„Die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc istaus der Streikwelle 1980entstanden, dieviele Industrie-städte in Polenerfasst hatte“

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Gesellschaft aus dem kommunisti-schen Herrschaftssystem voran-trieb.

1981 wurde das Kriegsrechts in Polenverhängt. Die Solidarnoscz wurdeverboten und Tausende Solidar-noscz- Mitglieder einschließlichWalesas inhaftiert. Dies bedeuteteaber nicht das Ende dieser Bewe-gung. Im Gegenteil: Im Untergrundwirkten die Ideen weiter, die mora-lische Unterstützung für Walesaund die Solidarnoscz nahm vor al-lem im westlichen Ausland zu.

„Auf dem Land lastet ein Gefühlder Hoffnungslosigkeit, der Enttäu-schung und der Apathie, über demLand hängt die vergiftende Wolkedes Alkoholismus, dem immer mehrMenschen auf ihrer Flucht vor derWirklichkeit verfallen. Trotz aller

Bemühungen der Machthaber istes ihnen seit der Ausrufung desKriegszustandes nicht gelungen, dieaktive Unterstützung der Mehrheitzu erlangen. Es ist an der Zeit, einenletzten Versuch zu machen und sichohne Vorbedingungen, aber mitgutem Willen zu treffen. Es hat sichgezeigt, dass der Staat genauso we-nig in der Lage ist, die Gesellschaftzu unterwerfen, wie die Gesellschaftaußerstande ist, ihre Probleme zulösen, wenn der Staat nicht funk-tioniert.“(aus einem offenen Brief an denStaatsratsvorsitzenden und Partei-chef Jaruzelski sowie an den Vor-sitzenden der verbotenen Gewerk-schaft Solidarität Lech Walesa 1988)

Eine erneute Streikwelle im Früh-sommer 1988 führte zum Erfolgder ersten nichtkommunistischenRegierung – einer Koalition aus Solidarnoscz, Bauernpartei undDemokraten – und dem Beginn ra-dikaler Wirtschaftsreformen.

1990 wurde Walesa zum Staats-

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„Auf demLand lastet einGefühl der Hoff-nungslosigkeit,der Enttäu-schung und derApathie, überdem Land hängtdie vergiftendeWolke des Alko-holismus, demimmer mehrMenschen auf ihrer Flucht vorder Wirklichkeitverfallen“offener Brief anLech Walesa, 1988

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nicht gebundenen Gewerkschaften,die z.T. stärkeren Einfluss gewinnen(z.B. Krankenschwestern und Heb-ammen). Es gibt keine Betriebsräte,nur Betriebsgewerkschaften.

Laut Gesetz haben alle Arbeitneh-mer das Recht, eine Gewerkschaftzu gründen und einer beizutreten.Mindestens 10 Personen könneneine lokale, mindestens 30 einenationale Gewerkschaft gründen.Eine erhebliche Einschränkung istallerdings, dass Personen mit Ein-zelverträgen (ehemals staatlicheVerträge wurden vielfach durchEinzelverträge ersetzt) weder eineGewerkschaft gründen, noch einerbeitreten dürfen.

Das Streikrecht wird zwar grund -sätzlich anerkannt, ist aber in we-sentlichen Dingen wie z.B. den lan-

präsidenten gewählt. Zur gleichenZeit begann der Auflösungsprozessder Solidarnoscz. Die Solidarnoscz-Bewegung verfiel bald nach ihremTriumph in rivalisierende Gruppen.Drei Jahre später wurde die letzteRegierung gestürzt, die Reformenim Sinne der Solidarnoscz vertrat.Die Parlamentswahlen führten zueiner Mehrheit der alten Kräfte

Die gegenwärtige gewerkschaftli-che Lage ist durch eine große Zer-splitterung der Gewerkschaftsbe-wegung gekennzeichnet. Aktuellgibt es in Polen zwei konkurrierendeBünde mit jeweils ca. eine MillionMitgliedern, die NSZZ Solidarnoscz(verbliebene Gewerkschaftsorga-nisation aus der Solidarnoscz der80er Jahre) und die POZZ (Nachfol-georganisation der früherenStaatsgewerkschaft). Dazu gibt eseine unüberschaubare Zahl von

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„Die gegenwärtigegewerkschaftli-che Lage ist durcheine große Zersplitterung derGewerkschaftsbe-wegung gekenn-zeichnet“

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gen und komplizierten Verfahrenvor einem Streik, eingeschränkt. Ausdiesem Grund werden viele Streiksillegal durchgeführt. Dadurch laufenStreikende Gefahr, ihren Anspruchauf Sozialleistungen zu verlieren,und die Gewerkschaften riskieren,Entschädigungen zahlen zu müssen.

Die NSZZ Solidarnoscz berichtet,dass sich viele Arbeitgeber nichtan die gesetzlichen Auflagen hal-ten. Räume für Gewerkschaftsakti-visten werden nicht bereit gestelltund Firmeninformationen zurück-behalten. Gewerkschaftssitzungenwerden – teils mit Gewalt – einfachunterbrochen oder aufgehoben.

Gewerkschaftliche Situation inTschechien und der Slowakei

Im Gegensatz zu anderen Reform-staaten besteht in der TschechischenRepublik trotz mehrerer Spaltungs-versuche eine einheitliche Gewerk-schaftsbewegung. Die TMK ist einZusammenschluss der Gewerk-schaftsverbände, die zur Zeit 30

Einzelgewerkschaften mit mehr als1,2 Millionen Mitgliedern vereinigt.

Es ist bisher neben der TMK keinergewerkschaftlichen Zentrale gelun-gen, im sozialen Leben der tsche-chischen Arbeitnehmerschaft einewesentliche Rolle zu spielen. Pro-blematisch ist allerdings die Mit-gliederentwicklung: der rückläufi-ge Trend (pro Jahr minus zehn Pro-zent) konnte bisher nicht gestopptwerden.

Die Gewerkschaftsbewegung in derSlowakischen Republik kann eben-falls als einheitlich bezeichnet wer-den. Alle bisherigen Versuche, dieKOZ SR (einem Zusammenschlussder Gewerkschaftsverbände) zuspalten, waren von der ehemaligenMeciar-Regierung initiiert worden.Seit 1996 agierte unter den staatli-chen Angestellten der regierungs-nahe „Allgemeine freie Gewerk-schaftsbund“. 1997 hat sich die Ge-werkschaft Metalurg von den Me-tallern abgespalten. Weder diesebeiden großen, noch einige kleine-re, neu entstandene Gewerkschaf-ten, haben sich zu einer eigenenZentrale zusammenschließen kön-nen und sind in keiner Weise eineKonkurrenz für die KOZ geworden.

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„Das Verständnis bezüglich derwichtigsten Zieleund Aufgabender Gewerkschaf-ten in der Gesellschaft istproblematisch:die Mitgliederhaben eine andere Erwar-tung als dieFührungs -personen“

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Das Verständnis bezüglich der wich-tigsten Ziele und Aufgaben der Gewerkschaften in der Gesellschaftist problematisch: die Mitgliederhaben eine andere Erwartung alsdie Führungspersonen. Deshalb istes nicht möglich, Reformen wie z.B.ein neues Verteilungsmodell für dieMitgliedsbeiträge durchzusetzen.Ein großes Engagement zu wichti-gen sozialpolitischen Problemenund eine breite Unterstützungwährend der Tarifverhandlungengibt es ebenfalls nicht. Die Erwar-tungen der Mitglieder begrenzensich immer noch auf den sozialenLeistungsbereich (Gewerkschaftenals soziale Institution).

InterSoli-Gruppe „Mittel-und Ost-europa“ startet

Von der tschechischen Regierungerhält die VOLKSWAGEN AG 1990den Zuschlag für die Übernahmedes Automobilherstellers „SKODA,automobilová a.s.“ und verschafftesich mit der Marke einen Zugangzu den Automobilmärkten Mittel-und Osteuropas. Werke in der Slo-wakei und in Polen folgten.

Seit Februar 2002 gibt es im Arbeits-kreis „InterSoli“ die Arbeitsgruppe„Mittel- und Osteuropa“. Aufgrundder unterschiedlichen Verhältnissein den Ländern wurde die Gruppenoch einmal in die beiden Unter-gruppen „Polen“ und „Tschechien/Slowakei“ aufgeteilt, um eine effekti-ve Arbeit zu gewährleisten.

Neben den wirtschaftlichen Bedin-gungen wollen die Teilnehmer auchdie Kultur und die Menschen in denLändern Polen, Tschechien und derSlowakei kennen- und verstehenlernen und neben den gewerk-schaftlichen auch persönlicheKontakte aufbauen.

Bisher fanden Wochenendsemina-re statt, um sich zuerst einmal überdie wirtschaftliche, politische, so-ziale und gewerkschaftliche Lageder einzelnen Länder zu informie-ren. Geplant ist noch in diesem Jahrein Treffen mit den Kollegen ausPolen, Tschechien und der Slowa-kei. ■

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Kontakt:AG MOE:Dirk HendrikTel.: 975042Michael-SalvatoreManuntaTel.: 972088Gunnar SplisteserTel.: 930404Karsten HansmannTel.: 926626

AG Polen:Josef SchemaindaTel.: 995160Rainer MaaßTel.: 05374/931464Waltraud KinschertTel.: 48641

Frank MannheimTel.: [email protected]

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Der Arbeitskreis InterSoli wird 20Jahre. 20 Jahre alt oder 20 Jahrejung?

Wolfgang Schulz: Die internationa-le Gewerkschaftsarbeit ist heute soaktuell wie vor 20 Jahren. Die Zieleverändern sich nicht. Wir wollen,dass alle Menschen auf der Erde inSicherheit und Würde leben können.Sie sollen unter menschwürdigenBedingungen arbeiten und ein Ein-kommen erhalten, mit dem sie sichund ihren Familien eine lebenswerteExistenz finanzieren können. Vondieser Vision sind wir immer nochein weites Stück entfernt.

Klaus Schneck: Natürlich habensich die Verhältnisse gewandelt.Das rassistische Apartheid-Regimein Südafrika gehört ebenso der

Vergangenheit an wie die Militär-diktatur in Brasilien. In nahezu al-len Ländern dieser Erde herrschenaber auch heute teilweise gravie-rende soziale und politische Unge-rechtigkeiten. Auch die Lebens- undArbeitsbedingungen der weltweit322 000 VW-Beschäftigten unter-scheiden sich trotz aller gewerk-schaftlicher Bemühungen immernoch erheblich.

Wir leben im Zeitalter der Globali-sierung. Auch Volkswagen ist einweltweit operiendes Unternehmengeworden. Was bedeutet dies fürdie InterSoli-Arbeit?

Frank Patta: Allen Lobpreisungender Globalisierungsfanatiker zumTrotz - die Einkommensschere zwi-schen den armen und reichen Län-

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Wolfgang Schulz1. Bevollmächtigter derIG Metall Wolfsburg

Frank PattaLeiter des VertrauenskörperVolkswagen Wolksburg

Klaus SchneckSprecher des ArbeitskreisesInterSoli Wolfsburg

„Internationale Gewerksch

20 Jahre InterSoli – wiegeht die Arbeitweiter? ÜberPerspektivender künftigeninternationalenGewerkschafts-arbeit in Wolfsburg diskutierenWolfgangSchulz, FrankPatta und KlausSchneck.

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dern ist in den vergangenen Jahr-zehnten gewaltig auseinander ge-gangen. Gleichzeitig wächst be-ständig der Druck auf soziale Stan-dards in den entwickelten Ländern.Wir spüren dies durch die alltägli-chen Angriffe auf unseren Sozial-staat. Arbeitnehmerrechte, sozialeund ökologische Aspekte – alles wirdmit dem Verweis auf die internatio-nale Wettbewerbsfähigkeit in Fragegestellt.

Wolfgang Schulz: Produkte entste-hen heute weltweit. Der Konkur-renzkampf auch innerhalb desVW-Konzerns wird größter. VW-Standorte in Südamerika, Süd- undZentraleuropa sowie Deutschlandkonkurrieren miteinander um Pro-duktionsanteile, Investitionen undModelle. Nur gewerkschaftlicheSolidarität und Zusammenarbeitverhindert, dass die Belegschaftengegeneinander ausgespielt wer-den können.

Klaus Schneck: Andererseit ist dieinternationale Kooperation die einzi-ge Chance, die Lebens- und Arbeits-bedingungen weiter zu verbessern.Kolleginnen und Kollegen in Poznanund Mlada Boleslav, in Uitenhaageund Shanghai, in Curitiba und Puebla, in Wolfsburg und Emdenerfahren und lernen voneinander.Sie können sich bei tariflichen undbetrieblichen Auseinandersetzungen

unterstützen, sie können gemein-samen Druck auf Konzernspitze undUnternehmensleitungen ausüben.

In den vergangenen zwei Jahrzehn-ten ist die institutionalisierte Mit-bestimmung bei Volkswagen durchEuro- und Welt-Betriebsrat erheb-lich ausgeweitet worden. Ist dieklassische InterSoli-Arbeit über-haupt noch notwendig?

Wolfgang Schulz: Euro- und Welt-Betriebsrat einerseits und gewerk-schaftliche InterSoli-Arbeit ande-rerseits sind zwei Seiten einer Me-daille, die sich ergänzen und unter-stützen. Die Betriebsratsgremienmachen ganz konkrete Interessen-politik. VW operiert immer globa-ler. Da können sich die Betriebsrä-te nicht abseits halten. Es geht umdie gerechte Auslastung aller VW-Standorte, die weltweite Gestal-tung der sozialen und materiellenArbeitsbedingungen, die konse-quente Nutzung der betrieblichenMitbestimmung und die voraus-schauende Unternehmenspolitik.Da versuchen Euro- und Welt-Be-triebsrat, sich aktiv einzubringen.Ohne die tatkräftige Unterstüt-zung der Belegschaft bleibt diesein schwacher Versuch. Das ist beiVolkswagen nicht anders als beieinem kleinen Unternehmen. Unddas ist in Wolfsburg nicht andersals in Brasilien oder Tschechien.

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haftsarbeit ist ...

„Die inter nationaleKooperation istdie einzigeChance, dieLebens- undArbeits -bedingungenweiter zu verbessern“Klaus Schneck

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Deshalb bedarf es im Konfliktfallder internationalen Solidarität al-ler VW-Beschäftigten.

Klaus Schneck: Die klassischen Auf-gaben der InterSoli-Arbeit habensich durch Euro- und Welt-Betriebs-rat nicht geändert. Auch vor 20Jahren wollten wir mehr wissenüber die sozialen und politischenEntwicklungen in den Ländern mitVW-Standorten. Uns interessierte,wie die Kolleginnen und Kollegenvor Ort arbeiteten und lebten. Wirbemühten uns, persönliche Kontakteaufzubauen.

Wolfgang Schulz: Wir müssen die-se persönlichen Kontake unter VV-Beschäftigten, zwischen Vertrau-ensleuten und Gewerkschaftern,noch viel mehr vertiefen. Heute istvieles einfacher als vor 20 Jahren.Über Internet und per e-mail kön-nen rund um den Globus schnell-stens Informationen und Meinun-gen ausgetauscht werden. Für dieheutige Generation ist es selbst-verständlich geworden, Sprachenzu lernen. Dies müssen wir – auchals IG Metall – fördern und aus-bauen. Nur wer miteinander redet,kann sich auch verstehen.

Frank Patta: Wichtiges Ziel der In-terSoli-Arbeit bleibt: Öffentlichkeitherzustellen. Wer weiß denn inDeutschland schon, dass es in

chinesischen Fabriken „Betriebsge-fängnisse“ gibt, in denen unliebsa-me Arbeiter von betrieblichen Si-cherheitskräften eingesperrt wer-den können? Oder, dass die Lohn-unterschiede zwischen den brasi-lianischen VW-Werken Anchiettaund Curitiba mehr als 30 Prozentbetragen?

Wo liegen weitere Aufgaben der InterSoli-Arbeitskreise?

Wolfgang Schulz: Volkswagen hatals weltweit erstes Unternehmender Automobilindustrie eine Sozial-charta verabschiedet. In dieser Vereinbarung werden die sozialenStandards und Rechte der Beschäf-tigten sowie die Zusammenarbeitzwischen Arbeitnehmervertretun-gen und Management an allenStandorten des Konzerns geregelt.Diese Sozialcharta muss mit Lebenerfüllt werden. Eine ganz wichtigeAufgabe der InterSoli-Arbeitskreise.Sie müssen dem Management aufdie Finger schauen, Kontakt zu denKolleginnen und Kollegen vor Orthalten, im Konfliktfall Öffentlichkeitherstellen.

Frank Patta: Weltweit formierensich Globalisierungskritiker. Ichnenne als Beispiel nur ATTAC oderdas Weltsozialforum in Porto Aleg-re. Es gilt Regeln zu finden, wie dieGlobalisierung menschlich und

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... spannend, anregend und„Es giltRegeln zu finden,wie dieGlobalisierungmenschlich undsozial gestaltetwerden kann. An dieser Debattemuss die IG Metall undihr ArbeitskreisInterSoli sichintensiv beteiligen“Frank Patta

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sozial gestaltet werden kann. Andieser Debatte muss die IG Metallund ihr Arbeitskreis InterSoli sichintensiv beteiligen.

Derzeit gibt es fünf InterSoli-Ländergruppen. Wie beurteilt Ihrdie aktuelle Situation in den Arbeitskreisen?

Wolfgang Schulz: In den „alten“Arbeitskreisen (Brasilien, Mexico,Südafrika) befinden wir uns teil-weise im Generationswechsel. Die„Gründungsväter“ ziehen sich zurückoder nehmen über Welt-Betriebsratund Gewerkschaft andere Funktio-nen wahr. Neue Kolleginnen undKollegen müssen die Lücken wiederauffüllen. Die „jüngeren“ Gruppen(China, Mittel- und Osteuropa)bauen sich gerade einen Stammvon engagierten Leuten auf.

Frank Patta: Das Thema interna-tionale Solidarität muss wiederstärker in den betrieblichenStrukturen verankert wer-den. Im Betriebsaus-schuss, in der IG Metall-Fraktion und den VKL-Sit-zungen wird zu seltenüber internationale Pro-blemfelder diskutiert. Dasgilt auch für die die Schwer-punktsitzungen der Vertrau-ensleute oder der Jugend- undAuszubildendenvertretung.

Wolfgang Schulz: Wir müssenneue, vor allem junge Leute für internationale Arbeit begeistern.Diese Arbeit ist spannend und anregend, sie zeigt, dass Gewerk-schaftsarbeit auch Spaß macht.

Klaus Schneck: Die InterSoli-Arbeitdarf aber nicht zur Spielwiese fürkreativen Gewerkschaftsnachwuchswerden. Die Arbeitskreise müssenpolitische Gestaltungsmöglichkei-ten bekommen und in die gewerk-schaftliche Alltagsarbeit eingebun-den werden. ■

I N T E R S O L I I N

d macht auch Spaß“

„Wir müssenneue, vor allemjunge Leute fürinternationaleArbeit begeistern“Wolfgang Schulz

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1966 Weltautomobilausschuss für VWund Daimler Benz durch den inter-nationalen Metallgewerkschafts-bund wird gebildet

1976 erste Reise des Gesamtbetriebs-ausschuss (GBA) nach Brasilien

1978 John Gomomo, der Sprecher derMetallarbeitergewerkschaft inSüdafrika, besucht zum ersten MalVW-Werke in der Bundesrepublik

1979der erste Dachverband schwarzerunabhängiger GewerkschaftenFOSATU (Federation of South African Trade Unions) wird in Südafrika gegründet

erste Reise in die USA für Vertrau-ensleute aus den vier Volkswagen-werken Wolfsburg, Hannover, Salzgitter und Braunschweig

Gesamtbetriebsrat, IG Metall undder Internationalen Metallgewerk-schaftsbund organisieren die erste„Internationale Arbeitnehmerkon-ferenz“ des VW Konzerns

1980 die südafrikanische Autoarbeiter-Gewerkschaft NAAWU in Südafrikawird von VW als Verhandlungs-partner offiziell anerkannt

erste Reise des Gesamtbetriebsratsnach Südafrika

Volkswagen Südafrika erkennt AutomobilarbeitergewerkschaftNAAWU (National Automobile andAllied Workers' Union), als Gewerk-schaft und Interessenvertretung an

erste Arbeitervertretung bei VW inBrasilien wird gewählt

1981SITIA VW (VW-Gewerkschaft inMexico) wird unabhängige undvöllig selbständige Unterneh-mensgewerkschaft

1983 Arbeitskreis „InterSoli“ mit den Ar-beitsgruppen Brasilien, Südafrikaund Mexico wird gegründet

gewerkschaftlicher DachverbandCUT (Central Unica dos Trabalha-dores) wird in Brasilien gegründet

G E S C H I C H T E

Chronologie

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1985 Austauschprogramm zwischenbrasilianische und deutschen Gewerkschaftern

1987 Metallarbeitergewerkschaft NUMSA(National Union of Metalworkersof South Africa) wird gegründetund vertritt heute die Interessender VW-Arbeiter in Südafrika

1988erste Reise des Arbeitskreises„InterSoli“ nach Mexico

1989 Volkswagen Südafrika erkennt die„Mindeststandards für Arbeitsbe-ziehungen und Arbeitskonflikte“für südafrikanische Tochtergesell-schaften deutscher Unternehmenan, die von der IG Metall und demIMB entwickelt wurden

1990 der Europäische Volkswagen-Kon-zernbetriebsrat (Euro KBR) vonVolkswagen wird gegründet

1992 durch eine Statutenänderung beiSITIA VW (VW-Gewerkschaft inMexico) ist erstmals eine teilweiseWiederwahl der Mitglieder möglich

1994 Apartheid in Südafrika ist abgeschafft

1998 der Welt-Konzernbetriebsrat (WKBR) wird gegründet

1998 Modell zu Beschäftigungssiche-rung (28,8,-Stunden-Woche) wirdbei VW in Brasilein eingeführt

1999 der Arbeitskreis „InterSoli“ erwei-terte sich um die Arbeitsgruppe„China“

2000der Konzernbetriebsrat ruft in Zu-sammenarbeit mit Terre des hom-mes die Aktion "Eine Stunde fürdie Zukunft" ins Leben

2001der Betriebsrat setzt durch, dassbei Volkswagen „fairgehandelte“Produkte angeboten werden.

2002der Arbeitskreis „InterSoli“ erwei-terte sich um die Arbeitsgruppe„Mittel- und Osteuropa“

2002 „Sozialcharta“ bei Volkswagenwird eingeführt

G E S C H I C H T E

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GlossarComité esecutivo – Exekutivkomitee, Betriebsrat beiVolkswagen in Mexico

Commissiones de fabricia – Fabrikkommissionen, betriebsrats -ähnliche Vertretung bei Volkswagenin Brasilien

COSATU (Congress of South AfricaTrade Unions) – nichtrassischerGewerkschaftsbund in Südafrika

CUT (Central Unica dos Trabalhadores) – Gewerkschafts-dachverband in Brasilien

Delegados – Delegierte, Vertrau-ensleute bei Volkswagen in Mexico

FESEBES – Zusammenschluss„moderner“ Dienstleistungs -gewerkschaften in Mexico

FOSATU (Federation of South Afri-can Trade Unions) – erster Dach-verband schwarzer unabhängigerGewerkschaften

NAAWU (National Automobile andAllied Workers' Union) – Automobilarbeitergewerkschaft inSüdafrika

No-Reelección – das System der„Nichtwiederwahl von politischenÄmtern“ in Mexico

NUMSA (National Union of Metalworkers of South Africa) –unabhängige Metallarbeiter -gewerkschaft in Südafrika

PAN (Partido Acción Nacional) – liberalkonservative Partei in Mexico

PRI (Partido Revolucionario Institu-cional) – Staatspartei in Mexico

PT (Partido dos Trabalhadores) –Arbeiterpartei in Brasilien

shop-stewards – Vertrauensleutebei Volkswagen in Südafrika

SITIA VW – Gewerkschaft vonVolkswagen in Mexiko

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V O R W O R T I M P R E S S U M

1982 wurde der Arbeitskreis Internationale Solidariät - kurz InterSoli –

gegründet. Seit 20 Jahren bemühen sich Wolfsburger Gewerkschafter

um Kontakte zu ihren Kolleginnen und Kollegen in den ausländischen VW-

Werken. Das Jubiläum ist Anlass, die erfolgreiche InterSoli-Arbeit in dieser

Broschüre gebühren zu würdigen.

20 Jahre internationale Gewerkschaftsarbeit - das bedeutet unzählige

Erfahrungen, Geschichten und Eindrücke. Nur einen Bruchteil dieser In -

formationen zu verwerten, hätte viele hundert Seiten gefüllt. Wir hatten

uns aber die Aufgabe gestellt, keine „dicke Festschrift“ herauszugeben,

sondern eine kleine, lesbare Broschüre. Wir wollen, dass möglichst viele

Kolleginnen und Kollegen, sich mit dieser Broschüre über die 20-jährige

InterSoli-Geschichte informieren - und dadurch Spaß an internationaler

Arbeit bekommen. Wir können noch aktive Gewerkschafter in unserer

Arbeit gebrauchen.

An dieser Stelle ganz herzlichen Dank an Martina Könnecke, die die

schwierige Aufgabe gemeistert hat, die Fülle der Erinnerungen und

Dokumente auf 80 Seiten zu komprimieren.

Ein ebenso herzlicher Dank geht an die vielen Zeitzeugen, die mit ihren

persönlichen Informationen und Fotos dieses Heft erst möglich gemacht

haben.

Wolfgang Schulz

IG Metall Wolfsburg

August 2002

IG Metall Wolfsburg, (verantwortlich: Wolfgang Schulz) Siegfried-Ehlers-Str. 1, 38440 WolfsburgRedaktion: Willi Dörr / Martina KönneckeMitarbeit: Walter Hiller, Karl Morgenstern, Frank Patta, Klaus Schneck,Wolfgang Schulz und Hans-Jürgen Uhl, sowie die InterSoli-Arbeits -gruppen Brasilien, Südafrika, Mexico, China, Mittel- und OsteuropaGrafik: Ulrich Scholz DesignDruck: Oeding-Druckerei Braunschweig