12
1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen im Biologieunterricht Zusammenfassung: Die mit den nationalen Bildungsstandards einhergehende Konzentrati- on auf Kompetenzdiagnostik, -entwicklung und -förderung erfordert sowohl methodische Veränderungen in der Unterrichtsgestaltung als auch die Entwicklung von kompetenzorien- tierten Diagnoseinstrumenten. Im Fokus dieses Artikels steht die inhaltliche Fundierung ei- nes Diagnoseinstrumentes, das zur Erfassung von wissenschaftsmethodischen Kompeten- zen bei der Durchführung von biologischen Experimenten eingesetzt werden kann. Auf Grundlage ausgewählter Experimentieraufgaben und exemplarischen Schülerantworten werden das Format, der Einsatz und die Anwendungsmöglichkeiten dieses so genannten Vee Diagrams vorgestellt. Vee Diagram - A means of diagnosing conceptual and methodical knowledge in Biolo- gy Abstract: The Implementation of the National Educational Standards led to increasing atten- tion towards diagnostic, development and promotion of students’ competencies. As a result the methodical design of lessons has been changed and competence-orientated diagnostic instruments have been developed. Main focus of this article is the content wise foundation of a diagnostic instrument that can be used in order to measure scientific inquiry competencies while performing biological experiments. Format, use and application of the so-called Vee Diagram are explained on basis of selected experiments and students’ responses. 1. Ausgangslage 1.1 Kompetenzorientiert Unterrichten und Diagnostizieren Die Implementierung von nationalen Bildungsstandards und deren Evaluation sowie die von ihnen ausgehende Betonung von Kompetenzen als Ziel des Lernens geben den Anstoß verstärkt Instrumente zur Messung und Diagnostik von Schülerleistung zu entwickeln. Als Antrieb für diese mit den andauernden Bildungsreformen einhergehende Kompetenzorientie- rung können die in der Presse als schockierend formulierten Ergebnisse der ersten PISA- Studie der OECD (2000) angesehen werden. Nach einer öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte über die Rahmenbedingungen und Defizite des deutschen Schulsystems konnten aber die Ergebnisse von PISA und anderer Schulleistungsstudien wie TIMSS (1993-1997) und IGLU (2001) als Chance für Veränderungen auf bildungspolitischer und unterrichtlicher Ebene angesehen werden. Für das Fach Biologie werden in den bundeseinheitlichen Bildungsstandards für die Be- reiche Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung, naturwissen- schaftliche Kompetenzen als Leistungsziel für den Mittleren Schulabschluss festgelegt (KMK, 2005). Sowohl für das kompetenzorientierte Unterrichten als auch für das Diagnostizieren, Fördern und Testen von Kompetenzen soll nicht mehr ausschließlich Fachwissen vermittelt, sondern der problemlösende Umgang mit theoretisch- und praktisch-orientierten Wissens- strukturen gefördert werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen auf Grundlage biologischer Inhalte beispielsweise Phänomene mittels Experimenten prüfen und erklären (Kompetenzbe- reich Erkenntnisgewinnung), dafür nötige Informationen sachgerecht erschließen (Kompe-

Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

  • Upload
    vonhan

  • View
    223

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

1

Monique Meier / Jürgen Mayer

Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen im Biologieunterricht

Zusammenfassung: Die mit den nationalen Bildungsstandards einhergehende Konzentrati-

on auf Kompetenzdiagnostik, -entwicklung und -förderung erfordert sowohl methodische Veränderungen in der Unterrichtsgestaltung als auch die Entwicklung von kompetenzorien-tierten Diagnoseinstrumenten. Im Fokus dieses Artikels steht die inhaltliche Fundierung ei-nes Diagnoseinstrumentes, das zur Erfassung von wissenschaftsmethodischen Kompeten-zen bei der Durchführung von biologischen Experimenten eingesetzt werden kann. Auf Grundlage ausgewählter Experimentieraufgaben und exemplarischen Schülerantworten werden das Format, der Einsatz und die Anwendungsmöglichkeiten dieses so genannten Vee Diagrams vorgestellt.

Vee Diagram - A means of diagnosing conceptual and methodical knowledge in Biolo-

gy

Abstract: The Implementation of the National Educational Standards led to increasing atten-tion towards diagnostic, development and promotion of students’ competencies. As a result the methodical design of lessons has been changed and competence-orientated diagnostic instruments have been developed. Main focus of this article is the content wise foundation of a diagnostic instrument that can be used in order to measure scientific inquiry competencies while performing biological experiments. Format, use and application of the so-called Vee Diagram are explained on basis of selected experiments and students’ responses.

1. Ausgangslage

1.1 Kompetenzorientiert Unterrichten und Diagnostizieren

Die Implementierung von nationalen Bildungsstandards und deren Evaluation sowie die von ihnen ausgehende Betonung von Kompetenzen als Ziel des Lernens geben den Anstoß verstärkt Instrumente zur Messung und Diagnostik von Schülerleistung zu entwickeln. Als Antrieb für diese mit den andauernden Bildungsreformen einhergehende Kompetenzorientie-rung können die in der Presse als schockierend formulierten Ergebnisse der ersten PISA-Studie der OECD (2000) angesehen werden. Nach einer öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte über die Rahmenbedingungen und Defizite des deutschen Schulsystems konnten aber die Ergebnisse von PISA und anderer Schulleistungsstudien wie TIMSS (1993-1997) und IGLU (2001) als Chance für Veränderungen auf bildungspolitischer und unterrichtlicher Ebene angesehen werden. Für das Fach Biologie werden in den bundeseinheitlichen Bildungsstandards für die Be-

reiche Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung, naturwissen-schaftliche Kompetenzen als Leistungsziel für den Mittleren Schulabschluss festgelegt (KMK, 2005). Sowohl für das kompetenzorientierte Unterrichten als auch für das Diagnostizieren, Fördern und Testen von Kompetenzen soll nicht mehr ausschließlich Fachwissen vermittelt, sondern der problemlösende Umgang mit theoretisch- und praktisch-orientierten Wissens-strukturen gefördert werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen auf Grundlage biologischer Inhalte beispielsweise Phänomene mittels Experimenten prüfen und erklären (Kompetenzbe-reich Erkenntnisgewinnung), dafür nötige Informationen sachgerecht erschließen (Kompe-

Page 2: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

2

tenzbereich Kommunikation) und die Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt bewerten können (Kompetenzbereich Bewertung).

Tab. 1: Standards des Kompetenzbereiches Erkenntnisgewinnung (Auszug, KMK 2005, 14)

Eine besondere Herausforderung stellt der Kompetenzbereich naturwissenschaftliche Er-kenntnisgewinnung dar, in dem Kompetenzen naturwissenschaftlicher Denk- und Arbeits-weisen, insbesondere das Experimentieren, zusammengefasst sind (Tab. 1). Im Lehr- und Forschungsfeld der Biologiedidaktik wird eine Messung dieser wissenschaftsmethodischen Kompetenzen vorwiegend mit schriftlichen Kompetenztests vollzogen (Grube/ Möller/ Mayer 2007; Hammann/ Hoi Phan/ Bayrhuber 2007). Auch in informellen Schulleistungstest (tea-cher made tests) werden sowohl in der Prozess- als auch in der Ergebnisdiagnostik vorwie-gend dieselben Aufgabentypen wie bei formellen Tests eingesetzt, wobei Kurzantwortforma-te bevorzugt werden (Ingenkamp/ Lissmann 2008, 173). Eine Beurteilung von Schülerleis-tung hinsichtlich der praktischen Umsetzung von wissenschaftlichen Denk- und Arbeitswei-sen innerhalb eines Problemlöseprozesses ist mit derartigen schriftlichen Formaten jedoch als schwierig einzuschätzen. Die Anwendung von Problemlösestrategien ist zum einen an inhaltliches Wissen zum fachlichen Kontext (konzeptuelles, deklaratives Wissen) und zum anderen an methodisch praktisches Wissen (prozedurales Wissen) geknüpft (Mayer 2007, 179). Letzteres stellt aufgrund der praktischen, handlungsorientierten Struktur veränderte Leistungsanforderungen an die Lernenden und verlangt folglich auch ein daraufhin abge-stimmtes Diagnose- und Testverfahren. Bezogen auf den Biologieunterricht stellt sich die Frage wie neben dem Fachwissen und den manuellen Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler beim Untersuchen, Experimentieren oder Beobachten auch das prozedurale Wis-sen, welches die ausführenden Handlungen erst ermöglicht, diagnostiziert werden kann.

1.2 Praktisches Arbeiten im Biologieunterricht

Praktisches Arbeiten mit besonderem Fokus auf das Experimentieren ist seit jeher eine wichtige Unterrichtsmethode für die Vermittlung von naturwissenschaftlichen Inhalten. Ele-mentare Zielvorstellungen sind, das Interesse und die Motivation zu steigern, das Erlernen von praktischen Fertigkeiten zu ermöglichen, die Aneignung von Konzept- und Methoden-wissen zu naturwissenschaftlichen Untersuchungen zu unterstützen sowie soziale Kompe-tenzen zu fördern (Hodson 1996, 756; Welzel, et al. 1998, 33). Diese Fülle an Zielen und An-forderungen an das praktische Arbeiten im Unterricht wirken sich negativ auf dessen Umset-zung aus. Das Fehlen eines einheitlichen konzeptuellen Rahmens mit einer klaren Differen-zierung der verschiedenen Formen vom praktischen Arbeiten führt häufig dazu, dass die Po-tentiale hinsichtlich einer Kompetenzförderung bei Anwendung dieser Methode nicht vollends

Naturwissenschaftliche Untersuchungen

Die Schülerinnen und Schüler...

E1 mikroskopieren Zellen und stellen sie in einer Zeichnung dar,

E2 beschreiben und vergleichen Anatomie und Morphologie von Organismen,

E3 analysieren die stammesgeschichtliche Verwandtschaft bzw. ökologisch bedingte Ähnlichkeit bei Organismen durch kriteriengeleitetes Vergleichen,

E4 ermitteln mithilfe geeigneter Bestimmungsliteratur im Ökosystem häufig vorkommende Arten,

E5 führen Untersuchungen mit geeigneten qualifizierenden / quantifizierenden Verfahren durch,

E6 planen einfache Experimente, führen die Experimente durch und/ oder werten sie aus,

E7 wenden Schritte aus dem experimentellen Weg der Erkenntnisgewinnung zur Erklärung an,

E8 erörtern Tragweite und Grenzen von Untersuchungsanlage, -schritten und -ergebnissen,

Page 3: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

3

ausgeschöpft werden (Gott/ Duggan 1996, 791; Lazarowitz/ Tamir 1994, 98f). Mit den Bil-dungsstandards wird das praktische Arbeiten im Biologieunterricht insbesondere zur Aneig-nung der Kompetenzen der Erkenntnisgewinnung konkretisiert. Dabei werden zum einen manuelle Fertigkeiten (practical skills) über das Anwenden von Arbeitstechniken wie z. B. Mikroskopieren und Zeichnen (E1) und zum anderen wissenschaftsmethodische Kompeten-zen (inquiry skills) über das Planen und Durchführen von Untersuchungen im Sinne des Er-kenntnisprozesses (E6, E7) als inhaltlicher Rahmen vorgegeben. Obwohl praktisches Arbei-ten auch vor der Implementation der Bildungsstandards häufig als selbstverständlich durch-zuführende Unterrichtsmethodik angesehen wurde, blieb der Sinn und Zweck den Schülerin-nen und Schüler häufig unerkannt. Das vorstrukturierte, praktische Arbeiten nach Anleitung dient vornehmlich der Veranschaulichung von Fachinhalten und/oder dem Erlernen von ma-nuellen Fertigkeiten. Die Aneignung von anwendungsbezogenen, prozeduralen Kompeten-zen, die an der Durchführung von naturwissenschaftlichen Untersuchungen wie z. B. dem Experimentieren maßgeblich beteiligt sind, bleibt unterbewertet (Glaesser, et al. 2009, 598). Neben dem Beobachten von Ereignissen, dem Sammeln von Ergebnissen, dem Anfertigen von Diagrammen und Tabellen sowie dem Schlussfolgerungen ziehen bleiben Entschei-dungs- und Verstehensprozesse über diese Handlungen unbetrachtet. Was steckt hinter den Beobachtungen bzw. durch was werden diese beeinflusst? Warum ist das konstant halten von Störvariablen so wichtig? Wie kann die Auswahl der jeweiligen Methoden sowie der Ma-terialen und Geräte begründet werden? Pragmatisch gesehen bleibt das Durchführen von Experimenten für Schülerinnen und Schüler zweckfrei, wenn nicht aufgezeigt wird, welche Gründe und Entscheidungen zur Ausführung des Experimentes führen (Novak/ Gowin 1984, 56f). Das Denken hinter dem Handeln kann jedoch nur dann zum Vorschein kommen und unterrichtet werden, wenn das aktive Zusammenspiel von Theorie- mit Anwendungswissen explizit herausgestellt wird. Diese Sichtweise zur Durchführung von naturwissenschaftlichen Untersuchungen (z. B. Experiment) mit dem Ziel theoretisches Konzept- (thinking) und prak-tisches Methodenwissen (doing) in Einklang zu bringen erfordert Veränderungen in den Lehr-, Lern- und Diagnosestrukturen von Unterricht.

2. Lehren, Lernen und Diagnostizieren mit dem Vee-Diagram

Mit dem Anliegen das Lehren und Lernen im naturwissenschaftlich-praktischen Unterricht kompetenzorientiert zu fördern, kann das Vee-Diagram als Alternativformat zur Diagnose entsprechender Kompetenzen dienen. In modifizierter Form wurde es in einer qualitativen Studie zur Modellierung von Kompetenzen im experimentellen Erkenntnisprozess als beglei-tendes Arbeitsdiagramm eingesetzt. Die hier vorgestellten Erkenntnisse zum Einsatz des Vee-Diagrams als Diagnoseinstrument von wissenschaftsmethodischen Kompetenzen im Erkenntnisprozess beziehen sich auf die benannte Untersuchung von Meier und Mayer (2009). Im Folgenden wird die Originalform des vorgestellten Instruments von Bob Gowin als „Vee-Diagram“ bezeichnet. Die veränderte Version zum Diagnostizieren von wissenschafts-methodischen Kompetenzen wird als „V-Diagramm“ benannt.

2.1 Vee-heuristic nach Bob Gowin

Aus dem ursprünglichen Anliegen von Gowin Lernenden den Sinn und Zweck von prakti-schem Arbeiten (laboratory work) in den Naturwissenschaften aufzuzeigen, entwickelte sich ein methodisches Instrument, das zum Lernen befähigen soll (Learning how to learn, Novak/ Gowin 1984, 55). Übergeordnetes Ziel der Vee-heuristic und dem damit verbundenen Vee-Diagram ist es, die Wissensstrukturen darzustellen sowie den Prozess der Wissenskonstruk-tion/ -aneignung im Rahmen von naturwissenschaftlicher Forschung den Schülerinnen und Schülern aufzuzeigen und verständlich zu machen (Mintzes/ Novak 2005, 47). Auf metakog-

Page 4: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

4

nitiver Ebene dient dieses Instrument dem/der Schüler/in, das eigene Lernen über die Kon-frontation von Vorwissen mit neuem Wissen zu regulieren und zu reflektieren. Zum Einsatz kommt es vorwiegend bei der Planung von Forschungsprojekten und bei der Analyse von Forschungsartikeln sowie als Lehr-/Lerninstrument beim naturwissenschaftlich-praktischen Arbeiten (Gowin/ Alvarez 2005, 35).

In der Originalform (Abb. 1) wird das Vee-Diagram über 12 epistemic Ele-ments strukturiert, denen eine maßgeb-liche Beteiligung an der Meinungs- und Wissensbildung zugesprochen wird (Novak 2010, 92). Die Forschungsfrage (top of Vee) bildet das Brückenelement zwischen der Wissens- und Hand-lungsseite bzw. zwischen Theorie und Beweis im Vee-Diagram. Die zentrale Frage wird mit dem vorhandenen Wis-sen zu Gesetzen und Konzepten un-termauert und ist zu den beobachten-den Ereignissen und/oder Objekten (point of Vee) hin ausgerichtet. Die Er-eignisse (Untersuchungen) werden auf Grundlage des theoretischen Wissens geplant und liefern Daten, die eine Be-antwortung der Frage ermöglichen.

Abb. 1: Vee-Diagram nach Gowin (1984)

Zwischen den Elementen der beiden Seiten des Vee-Diagrams besteht eine aktive Inter-aktion. Das aktuelle Wissen zu Beginn einer Untersuchung wird in der Forschungsfrage, in dem Weg eine Antwort zu finden und in der Deutung der Daten widergespiegelt. Die Durch-führung und daraus resultierenden Ergebnisse der Untersuchungen hingegen bestimmen das neue Wissen und verändern das vor der Untersuchung bestehende Wissen (Roth/ Verechaka 1993, 24). In welcher Reihenfolge die Elemente interagieren und ausgeführt bzw. mit Inhalt gefüllt werden ist nicht vorgegeben. Aus allen Elementen heraus kann sich ein Lernprozess entwickeln, d. h. erst das Zusammenspiel der Elemente bestimmt den For-schungsweg (Gowin/ Alvarez 2005, 40f). Als Ausgangspunkt werden Ereignisse und Objekte herausgestellt, die zu beobachtende Unregelmäßigkeiten aufzeigen aus denen sich ein zu untersuchender Problemkontext ergibt. Seit seiner Entwicklung wurde das Vee-Diagram in verschiedensten, internationalen Studien untersucht und in unterschiedlichen naturwissen-schaftlichen Lehr-/Lernbereichen eingesetzt (Morgil/ Secken/ Karacuha 2005; Novak/ Gowin/ Johansen 1983; Roth/ Roychoudhury 1993).

2.2 V-Diagramm in praktischen Experimentieraufgaben

Aufgrund der inneren Komplexität des Vee-Diagrams können je nach Zusammenstellung der einzelnen Elemente verschiedene Wissensstrukturen erlernt und analysiert werden. Aus der Sichtung der benannten Studien können jedoch so genannte Schlüsselelemente identifi-ziert werden. Diese spiegeln in ihrer Abfolge die heuristische Leitlinie zur Lehre von Prob-lemlösestrategien von Gowin wider. Mit dem Ziel die Natur des Wissens und der Wissens-konstruktion unter Anwendung wissenschaftlicher Forschungsmethoden (z. B. Experiment) zu verstehen sollen Fragestellungen formuliert (Focus Question), Konzepte und Fachbegriffe benannt (Concepts/Principles), Ereignisse durchgeführt und/oder Objekte beobachtet

Page 5: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

5

(Events and/or Objects) sowie Ergebnisse interpretiert und erklärt (Results and Knowlegde Claims) werden (Novak/ Gowin 1984, 3, 55). Diese Strukturelemente zum Erlangen von Er-kenntnissen und Wissen können auf den Prozess naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewin-nung übertragen werden. Es handelt sich um einen komplexen, dynamischen und wissens-basierten Problemlösekomplex, der durch spezifische Prozeduren gekennzeichnet ist. Ma-yer, Grube und Möller (2008) konnten in Untersuchungen mit Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I vier Teilkompetenzen (Fragestellungen formulieren, Hypothesen generieren, Planung eines Experiments, Daten analysieren und Schlussfolgerungen), die zur Bewerkstel-ligung des Erkenntnisprozesses notwendig sind, empirisch nachweisen. Diese Befunde ba-sieren auf schriftlichen Schülerantworten bei offenen Aufgaben zu den entsprechenden Teil-kompetenzen. Eine Diagnose der Kompetenzen im Erkenntnisprozess ist im Falle dieses schriftlichen Aufgabenformates auf das Leistungsspektrum in den separierten Teilkompeten-zen beschränkt. Sowohl der Prozesscharakter mit dem Zusammenspiel der einzelnen Teil-kompetenzen als auch der Einfluss der manuellen Fertigkeiten in der naturwissenschaftli-chen Erkenntnisgewinnung bleiben unbeachtet. Mit dem Ziel ein ganzheitliches Bild der Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im Erkenntnisprozess abbilden und diese ent-sprechend fördern zu können, ist es notwendig offene, praktisch-orientierte Aufgabenformate zu konstruieren. Das in diesem Beitrag vorgestellte Aufgabenformat von praktischen Experimentieraufga-

ben ermöglicht den Lernenden die Ausführung eines Experimentes unter Verwendung ver-schiedenster Materialien und Geräten ohne rezeptartige Anleitung. Zu den Charakteristika derartiger Aufgaben zählen zudem ein hoher Grad an Offenheit und Selbstständigkeit bei der Bearbeitung sowie die Fokussierung auf den gesamten Erkenntnisprozess unter Verknüp-fung der einzelnen Prozessschritte. Offenheit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Schülerinnen und Schüler ausgehend von einem problemorientierten Phänomen alle Ent-scheidungen zur Forschungsfrage, Planung, Durchführung und Auswertung des Experimen-tes eigenverantwortlich treffen und umsetzen.

Die Konzipierung und Strukturierung des V-Diagramms als begleitenden Ar-beitsbogen (Antwortformat) für prakti-sche Experimentieraufgaben leitet sich aus der Question-5-Technique zur Strukturierung der Wissenskonstruktion von Gowin (1981, 88) und den empi-risch nachgewiesenen Teilkompeten-zen im Prozessverlauf von problemori-entierten, naturwissenschaftlichen Un-tersuchungen ab (Abb. 2).

Abb. 2: Konzept des V-Diagramms zum Erkenntnisprozess

Folgende Fragestellungen dienen als Strukturierungsgrundlage des V-Diagramms und Wegweiser für die Schülerinnen und Schüler bei der selbstständigen Durchführung eines Experimentes.

Was soll untersucht werden? ------------------------------------------------------------ Forschungsfrage Welches Wissen zur Thematik/Problematik ist bereits vorhanden? -------------------- Vorwissen Wie könnte eine Antwort auf die Frage lauten? --------------------------------------------- Vermutung Welche Methoden, Materialien und Geräte sind notwendig? ---------- Planung & Durchführung Wie lassen sich die Ergebnisse auswerten? -------------------- Aufbereitung & Schlussfolgerung

Page 6: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

6

Die ursprüngliche Gegenüberstellung von Wissen und Methodik im Vee Diagram wurde aufgrund der expliziten Ausrichtung auf den Erkenntnisprozess für den Einsatz in den be-schriebenen Experimentieraufgaben abgewandelt. Als zentrales Element steht neben der Forschungsfrage (top) und der Durchführung des Experimentes (point) auch das Wissen in der V-Diagramm-Mitte. Bezug nehmend auf ein biologisches Phänomen wird eine For-schungsfrage abgeleitet und ein Experiment unter zur Hilfenahme des bestehenden Wissens konstruiert, das eine Beantwortung der Frage ermöglichen soll. Die aus dem Experiment ge-wonnenen Ergebnisse werden im Zuge der Aufbereitung und Auswertung reflektiert, wobei auch hier das Vorwissen in die Erklärung der Daten mit einfließt. Letzteres wird rückbindend über die Gewinnung neuer Erkenntnisse in den Wissensstrukturen selbst beeinflusst und ge-gebenenfalls verändert. Das Wissen nimmt im V-Diagramm zur Erkenntnisgewinnung neben der Forschungsfrage eine leitende Funktion ein, da es auf die Schülerleistung in allen Kon-struktions- und Reflektionselementen implizit Auswirkungen hat. Die Dimension der Methodik wird explizit in der praktischen Durchführung und implizit über die Entscheidungen zur Art und Weise der Durchführung sowie deren Einfluss auf die gewonnenen Ergebnisse verdeut-licht (Abb. 2). Die Aufbereitung des theoretischen Konzepts der Elemente im V-Diagramm und deren Zusammenhänge bei der Erkenntnisgewinnung werden in dem abgebildeten, be-arbeiteten Schülerarbeitsbogen (Abb. 3) ersichtlich.

2.3 Diagnostizieren und Bewerten mit dem V-Diagramm zum Experimentieren

Der Einsatz von fachbezogenen Aufgaben in einem diagnostischen Testinstrument ist an ein Aufgaben-, Antwort- und Bewertungsformat gebunden, das daraufhin ausgerichtet ist das Lernen des Getesteten zu verbessern. Mit dem V-Diagramm als Antwortformat in offenen Experimentieraufgaben kann eine Brücke zwischen Lernen und diagnostischem Testen ge-schlagen werden. Eine Diagnose und Bewertung der fachlich-methodischen Antwortqualität im V-Diagramm ist nur auf Grundlage eines aufgabenspezifischen Auswertungsschemas möglich. Ein derartiges Bewertungsformat gibt sowohl Aufschluss über die Durchführung der Auswertung/Diagnose als auch über die Bewertung/Deutung der Ergebnisse. Letzteres ba-siert auf dem Erwartungshorizont, der bei den praktischen Experimentieraufgaben die Stan-dards der Erkenntnisgewinnung (Tab. 1) und die zur experimentellen Durchführung eines Problemlösekomplexes geforderten Kompetenzen enthält. Die Anleitung zur Diagnose dieser Kompetenzen hingegen bezieht sich direkt auf das mit Schülerantworten gefüllte V-Diagramm (Abb. 3). Auf qualitativer Ebene kann mit Hilfe eines „Experten-V-Diagramms“ (Mintzes/ Novak 2005, 54) eine aufgabenbezogene, schülerdifferenzierte Diagnostik und Rückmeldung vollzogen werden. Der Vergleich zwischen Experten-/Lehrerantwort und Schü-lerantwort in den einzelnen Prozessschritten ermöglicht eine gezielte Diagnose und darauf-hin ausgerichtete Förderung von Stärken und Schwächen des Schülers. Ein derartiger Ver-gleich hat nicht das Anliegen die Antworten mit falsch oder richtig zu bewerten. Bei dem be-schriebenen, offenen, prozessorientierten Aufgabenformat steht der Erkenntnisprozess bei der Untersuchung eines biologischen Problems im Vordergrund, wobei es unterschiedliche Wege gibt diesen Prozess zu vollziehen. Insbesondere dieser Aspekt sollte den Schülerin-nen und Schülern in der Arbeit mit dem V-Diagramm und der Durchführung eines Experi-mentes verdeutlicht werden. Je nach Fragestellung und Vermutung sowie dem jeweiligen fachlichen und methodischen Vorwissen wird der Weg zur Erkenntnis gestaltet.

Page 7: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

7

Abb. 3: V-Diagramm mit Schülerantworten (9 Jg./weiblich) und Rückmeldungen

Bereits Novak und Gowin (1984, 71f) ha-ben mit der Aufstellung eines Punktekatalo-ges für die Vee-Diagram Elemente eine Möglichkeit geschaffen die dokumentierte Schülerleistung auf quantitativer Ebene zu diagnostizieren. Auf einer Skala von 0 bis 3 oder 4 Punkten werden die Qualität, Genau-igkeit und Vollständigkeit der Antworten be-wertet. Wie auch das Konzept zum V-Diagramm in den Experimentieraufgaben, ist auch ein mögliches Punkteraster für die je-weiligen Antworten an die theoretische Fun-dierung zum Erkenntnisprozess gebunden. Der Erwartungshorizont bei dieser kriterium-sorientierten Art des Auswertens wird nicht ausformuliert sondern in unterschiedliche Leistungsstufen kategorisiert. In der Abbil-dung 4 ist eine derartige kompetenzorien-tierte Einstufung für den Prozessschritt „For-schungsfrage“ beispielhaft ausgeführt. In der Praxis können je nach zu vermittelnden und/oder zu fördernden Kompetenzen sowie nach Aufgabenformat die Elemente im V-Diagramm unterschiedlich stark gewichtet bzw. bepunktet werden.

Abb. 4: Punkteskala (0-4) zur Forschungsfrage

Page 8: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

8

3. Das Arbeiten mit „Vee“!

Eine Diagnose der biologisch-wissenschaftsmethodischen Kompetenzen von Schülerin-nen und Schüler über die Bearbeitung eines V-Diagramms ist sowohl an das methodische Wissen zum Erkenntnisprozess als auch an das Verständnis zur Funktion und zur Arbeit mit dem V-Diagramm gebunden. Im Sinne einer Methodenschulung sollten die Lernenden in aufeinander aufbauenden Unterrichtssequenzen den Aufbau und Umgang mit den Inhalten des V-Diagramms erlernen (Abb. 5). Das praktische Experimentieren im Biologieunterricht wird vor allem in der Planungs- und Durchführungsphase häufig stark von der Lehrkraft an-geleitet bzw. vorgegeben (recipe following, Millar 2004). In einer qualitativen Studie von Mei-er und Mayer (2009) konnte dargelegt werden, dass die Schüler/innen mit der offenen Ge-staltung und den damit verbundenen Handlungsanforderungen im V-Diagramm bei erstmali-ger Bearbeitung überfordert sind. Folglich ist es notwendig den Lernenden Grundkenntnisse zum selbstständigen, reflektierten Arbeiten im biologischen Erkenntnisprozess zu vermitteln, um dann gezielt Stärken und Schwächen zu diagnostizieren (Eingangsdiagnose).

In einer gestuften Abfolge von lehrer-

zentrierten Unterrichtssequenzen über ange-leitete und freie Gruppenarbeit bis hin zu schü-lerzentrierter Einzelarbeit können wissen-schaftsmethodische Kompetenzen unter Be-arbeitung des V-Diagramms und auf Grundla-ge fachlicher Inhalte verstanden und erlernt werden (Abb. 5). Dabei geben die Arbeitspro-dukte der Schülerinnen und Schüler der Lehr-kraft Rückmeldung zu deren Leistungsstand und bilden die Basis für ein konstruktives Feedback an die Lernenden. Eine derartige Unterrichtseinheit ist folglich geknüpft an for-mative Evaluationsphasen in denen die Lehr-kraft in kurzfristigen Abständen den Leistungs-stand überprüft und sogleich über Fördermaß-nahmen in den Lernprozess eingreifen kann (Ingenkamp/ Lissmann 2008, 32). Das anzu-strebende Ziel ist die selbstständige Konstruk-tion und Reflektion des Erkenntnisprozesses beim experimentellen Untersuchen von biolo-gischen Phänomenen.

Abb. 5: Abfolge zum kompetenzorientierten Unterrichten mit dem V-Diagramm

Aufgrund der inneren Struktur des V-Diagramms, indem Fakten- und Konzeptwissen mit Anwendungs- und Methodenwissen zur Erkenntnisgewinnung vernetzt sind, ist das experi-mentelle Arbeiten auch mit der Vermittlung und Aneignung von Fachwissen verbunden. Folg-lich lassen sich die in der Abbildung 5 dargestellten Sequenzen als kompetenzorientierte Un-terrichtseinheit verstehen, in der biologische Inhalte (Fachwissen) und Fähigkeiten zum Problemlösen im Erkenntnisprozess über die Anwendung von praktischen, experimentellen Arbeitsweisen erarbeitet werden. Eine Ergebnisdiagnostik (summativ) am Ende jeder the-menspezifischen Unterrichts-/Lerneinheit ist unverzichtbar für die Evaluation des Lernerfolgs.

Page 9: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

9

Die am Ende der dargelegten, methodischen Schulung bzw. Unterrichtsabfolge (Abb. 5) ge-messenen Schülerleistungen geben Aufschluss über Stärken und Schwächen der Schülerin-nen und Schüler im Erkenntnisprozess und bei der Arbeit mit dem V-Diagramm. Auf dessen Grundlage ist eine schülerdifferenzierte Förderung möglich. Der fachliche Hintergrund, der das zu untersuchende Phänomen vorgibt, nimmt beim Er-

lernen und Umsetzen des Erkenntnisprozesses eine wichtige Rolle ein. Die Verknüpfung aus Vorwissen und neu erworbenem Wissen über das praktische Experimentieren ist Grundele-ment des Lernens mit dem V-Diagramm. Mit Steigerung der Komplexität eines biologischen Problems und folglich der Zunahme an Fachinhalten, die zum Verstehen und zur Lösung des Problems notwendig sind, kann eine differenzierte Förderung abhängig vom Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler durchgeführt werden. Bei der Einführung des V-Diagramms als Schülerarbeitsbogen mit den zu bearbeitenden Schritten im Erkenntnisprozess ist es je-doch vorteilhaft einen Fachinhalt mit geringer Komplexität zu wählen. Die Einfachheit sowohl der fachlichen Inhalte als auch der daraus konstruierten Problemstellung ermöglicht dem/der Schüler/in sich an dieser Stelle auf die Teilbereiche des Erkenntnisprozesses zu konzentrie-ren sowie deren Bearbeitung zu verstehen. Inhaltlich können diese Teilbereiche mit Fragen gefüllt werden, die den Schülerinnen und Schülern eine Handlungsanleitung aufzeigen und gleichzeitig zum Denken anleiten, ohne im Detail Arbeitsschritte vorzugeben (Abb. 6).

Abb. 6: Handlungsanleitung zur Erarbeitung der Prozessschritte im V-Diagramm

Im Zuge der inhaltlichen Ausdifferenzierung der Prozessschritte Forschungsfrage, Vermu-tung, Planung, Durchführung, Aufbereitung und Interpretation kann ein Tafelbild entwi-ckelt werden. Über eine Ziffernfolge wird die Lese- und Arbeitsrichtung im V-Diagramm er-sichtlich. Diese soll das offene Experimentie-ren strukturieren und den Schülerinnen und Schülern als Orientierungs- und Arbeitshilfe

Page 10: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

10

dienen. Bei der Bearbeitung der einzelnen Prozessschritte im Klassenplenum wird deren Vernetzung deutlich, die durch Pfeile anschaulich gemacht werden kann. Dieses Netzwerk aus Denken, Entscheiden, Handeln und Reflektieren hebt die stringente Arbeitsrichtung auf und veranschaulicht gleichsam den Prozesscharakter bei der Gewinnung von Erkenntnis-sen/Wissen. Die kollaborative Erarbeitung des V-Diagramms und des Erkenntnisprozesses im Klassengespräch oder in der Kleingruppenarbeit fördert im hohen Maße Kommunikations-fähigkeiten. Des Weiteren offenbart es unterschiedliche Meinungen und Herangehensweisen an ein zu untersuchendes Phänomen, wobei sich aus unterschiedlichen Perspektiven ver-schiedene Ideen/Fragestellungen entwickeln (Roth/ Roychoudhury 1993, 241). Ein Vergleich der bearbeiteten V-Diagramme zum gleichen Phänomen von unterschiedlichen Schülern o-der Schülergruppen bietet zudem Anknüpfungspunkte die Variabilität im Erkenntnisprozess und der Wissenskonstruktion aufzuzeigen und zu diskutieren.

4. Schlussbemerkungen

Aus Lehrerperspektive kann das V-Diagramm in Verbindung mit einer offenen, entde-ckenden und konstruktivistischen Unterrichtsmethodik als Lehrinstrument zur Vermittlung von fachwissenschaftlichen und wissenschaftsmethodischen Kompetenzen genutzt werden. Das entstandene Produkt bietet gleichsam die Möglichkeit, die angestrebten Kompetenzen zu diagnostizieren und darauf aufbauend eine differenzierte Förderung zu ermöglichen. Die Schülerantworten im Element Vorwissen sowie die Verknüpfung dieses theoretischen Wis-sens mit der phänomengebundenen Fragestellung, Vermutung und Ergebnisdeutung offen-baren der Lehrkraft ein Bild zum aktuellen Erkenntnisstand des Lernenden. Die hypothesen-geleitete Durchführung und die sich anschließende Datenanalyse mit Rückbindung zur Frage und Vermutung geben zudem Aufschluss darüber, ob die Schülerinnen und Schüler den Prozesscharakter in der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung verstanden haben und umsetzten können. Der Einsatz des V-Diagramms in diagnostischen Tests mit Experi-mentieraufgaben ermöglicht der Lehrkraft einen vertieften Einblick in die geschilderten Pro-zesselemente der Erkenntnisgewinnung. Auf Ebene der Diagnostik im Unterricht bildet es ei-ne Alternative zu den traditionellen schriftlichen Kurzantwortaufgaben. Im Lehrfeld des prak-tischen Arbeitens kann das V-Diagramm als Gegenstück zum linearen Arbeitsprotokoll bei der Durchführung von naturwissenschaftlichen Untersuchungen angesehen werden.

Aus Schülersicht handelt es sich um ein Lerninstrument, dass die Beziehungen zwischen Ereignissen, Prozessen und Objekten bei der Planung und Durchführung von naturwissen-schaftlichen Untersuchungen aufzeigt. Über die Bearbeitung eines erkenntnistheoretisch-orientierten V-Diagramms vor, während und nach einem Experiment wird explizit dargelegt wie Vorwissen, Handlungen und neues Wissen bei der Lö-sung von naturwissenschaftlichen Problemen zusammenhän-gen. Die Wissenskonstruktion wird als Lernen aus Erkenntnis-sen dargestellt, die bei der Untersuchung von naturwissen-schaftlichen Problemstellungen gewonnen werden.

Abb. 7: V-Diagramm im Einsatz

Die Komplexität des V-Diagramms in Experimentieraufgaben ist durch das Konglomerat aus Wissen zu Theorie und Handlungen sowie manuellen Fertigkeiten gegeben, wobei je nach Diagnose-, Förder- oder Lernziel die Elemente unterschiedlich stark gewichtet sein

Page 11: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

11

können. Daraus ergibt sich gleichsam die Effektivität dieses Instrumentes bei der Vermittlung und Diagnose von wissenschaftsmethodischen Kompetenzen.

Literatur

Glaesser, Judith, Gott, Richard, Roberts, Ros, & Cooper, Barry (2009): The Roles of Substantive and Procedural Understanding in Open-Ended Science Investigations: Using Fuzzy Set Qualitative Comparative Analysis to Compare Two Different Tasks. In: Research in Science Education, 39(4), 595-624.

Gott, Richard, & Duggan, Sandra (1996): Practical Work: its role in the understanding of evidence in science. In: International Journal of Science Education, 18(7), 791-806.

Gowin, D. Bob (1981): Educating. Ithaca, N.Y. Gowin, D. Bob, & Alvarez, C. Marino. (2005): The Art of Educating with V Diagrams.

Cambridge. Grube, Christiane, Möller, Andrea, & Mayer, Jürgen (2007): Dimensionierung wissenschaftsmethodischer Kompetenz. In: H. Bayrhuber, F. X. Bogner, D. Graf, H. Gropengießer, M. Hammann & U. Harms (Hrsg.): Ausbildung und Professionalisierung von Lehrkräften. Internationale Tagung der Fachgruppe Biologiedidaktik im VBIO (S. 31-34). Kassel.

Hammann, Marcus, Hoi Phan, Titan, & Bayrhuber, Horst (2007): Experimentieren als Problemlösen: Lässt sich das SDDS- Modell nutzen, um unterschiedliche Dimensionen beim Experimentieren zu messen? In: M. Prenzel, I. Gogolin & H.-H. Krüger (Hrsg.): Kompetenzdiagnostik - Zeitung für Erziehungswissenschaft Sonderheft 8 (S. 33-49).

Hodson, Derek (1996): Practical work in school science: exploring some directions for change. In: International Journal of Science Education, 18(7), 755-760.

Ingenkamp, Karlheinz, & Lissmann, Urban (2008): Lehrbuch der pädagogischen Diagnostik (6., neu ausgest. Aufl.). Weinheim.

KMK / Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2005): Beschlüsse der Kultusministerkonferenz -

Bildungsstandards im Fach Biologie für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss vom

16.12.2004. München, Neuwied. Lazarowitz, Reuven, & Tamir, Pinchas (1994): Research on using Laboratory Instruction in Science - A Project of the National Science Teachers Association. In: D. L. Gabel (Hrsg.): Handbook of Research on Science Teaching and Learning. New York.

Mayer, Jürgen (2007): Erkenntnisgewinnung als wissenschaftliches Problemlösen. In: D. Krüger & H. Vogt (Hrsg.): Handbuch der Theorien in der biologiedidaktischen Forschung - Ein Handbuch für Lehramtsstudenten und Doktoranden (S. 178-186). Berlin.

Mayer, Jürgen, Grube, Christiane, & Möller, Andrea (2008): Kompetenzmodell naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung. In: U. Harms & A. Sandmann (Hrsg.): Lehr- und Lernforschung in der Biologiedidaktik. Band 3. Ausbildung und Professionalisierung

von Lehrkräften (S. 63-79). Innsbruck. Meier, Monique, & Mayer, Jürgen (2009): Entwicklung eines Experimentiertests zur Erfassung wissenschaftsmethodischer Kompetenzen. In: U. Harms, F. X. Bogner, D. Graf, H. Gropengießer & D. Krüger (Hrsg.): Heterogenität erfassen - individuell fördern im Biologieunterricht (S. 164-165). IPN (Leibnitz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften), Kiel.

Page 12: Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von ... · 1 Monique Meier / Jürgen Mayer Gewusst Vee! - Ein Diagnoseinstrument zur Erfassung von Konzept- und Methodenwissen

12

Millar, Robin (2004). The role of practical work in the teaching and learning of science. Paper presented at the High School Science Laboratories: Role and Vision. Retrieved from http://wind.lrdc.pitt.edu/researches/Robin_Millar_Final_Paper.pdf

Mintzes, Joel J., & Novak, Joseph D. (2005): Assessing Science Understanding: The Epistemological Vee Diagram. In: J. J. Mintzes, J. H. Wandersee & J. D. Novak (Hrsg.): Assessing science understanding : a human constructivist view. San Diego.

Morgil, Inci, Secken, Nilgün, & Karacuha, Zuhal (2005): V-Diagram applications on chosen subjects in chemistry education. In: Journal of Turkish Science Education, 2(2).

Novak, Joseph D., Gowin, D. Bob, & Johansen, G. T. (1983): The use of concept mapping and knowlegde vee mapping with junior school science students. In: Science Education, 67(5), 625-645.

Novak, Joseph D. (2010): Learning, creating, and using knowledge: concept maps as facilitative tools in schools and corporations (2., Aufl.). New York.

Novak, Joseph D., & Gowin, D. Bob (1984): Learning how to learn. Cambridge, England. Roth, Wolff-Michael, & Roychoudhury, Anita (1993): Using Vee and Concept Maps in Collaborative Settings: Elementary Education Majors Construct Meaning in Physical Science Courses. In: School Science and Mathematics, 93(5), 237-244.

Roth, Wolff-Michael, & Verechaka, Guennadi (1993): Plotting a Course with Vee Maps. In: Science and Children, 30(4), 24-27.

Welzel, Manuela, Haller, Kerstin, Bandiera, Milena, Hannelev, Dorte, Koumaras, Panagiotis, Niedderer, Hans, et al. (1998): Ziele, die Lehrende mit dem Experimentieren in der naturwissenschaftlichen Ausbildung verbinden - Ergebnisse einer europäischen Umfrage. In: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 4(1), 29-44.

Monique Meier (geb. 1983)

Studium zur Studienrätin mit einer beruflichen Fachrichtung (Ernäh-rungswissenschaften/Biologie) an der Technischen Universität und Freien Universität Berlin (1. Staatsexamen). Promotionsstudentin an der Universität Kassel, Abteilung Didaktik der Biologie, mit dem Dissertationsthema: "Effekte des forschenden Lernens auf den Erwerb wissenschaftsmethodischer Kompetenzen –

Entwicklung eines praktischen Experimentiertests" (gefördert vom Netzwerk „EUBi“ der Justus-Liebig-Universität Gießen)

Prof. Dr. Jürgen Mayer (geb. 1954)

Professor für Didaktik der Biologie an der Universität Kassel und Mitglied in verschiedenen Wissenschaftlichen Beiräten zur Bildungs-forschung sowie in Kommissionen zum naturwissenschaftlichen Un-terricht. Die Lehr- und Forschungsschwerpunkte umfassen Natur-wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung und Forschendes Lernen, Unterrichtsentwicklung und –evaluation sowie Lehrerprofessionsfor-schung und Umweltbildung.