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REZENSION Obwohl der nordatlantischen Allianz gerade in der deutschen Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik eine herausragende Bedeutung zukommt, findet man in der deutschsprachi- gen Literaturlandschaft erstaunlich wenige Werke zur NATO. Gerade in den Jahren nach den Anschlägen vom 11. September 2001, in denen die Debatte um die Rolle der NATO in der internationalen Sicherheitspolitik eine völlig neue Dimension annahm und der Einsatz in Afghanistan sich zur größten bisher dagewesen operativen Herausforderung der Allianz entwickelte, erschienen in der englischsprachigen Literaturlandschaft fast jedes Jahr neue Bücher und vollständig überarbeitete Neuauflagen, die sich vor diesem Hintergrund mit der NATO und deren Zukunft befassten. 2008 veröffentlichte Johannes Varwick dann „Die NATO. Vom Verteidigungsbündnis zur Weltpolizei?“ Varwicks Buch blieb fortan das einzige deutschsprachige Lehrbuch zur NATO in der „post-9/11 Welt“. Es ist allein deswegen schon sehr erfreulich, dass Bastian Giegerich mit seinem hier rezen- sierten Buch ein weiteres deutschsprachiges Einführungswerk verfasst hat. Mit Die NATO hat Giegerich ein Buch auf den deutschsprachigen Markt gebracht, das dem Leser in kompakter und gut strukturierter Form einen umfassenden Überblick über die nordatlantische Vertragsorganisation vermittelt. Das Buch, das in der Reihe „Ele- mente der Politik“ von Springer VS erschienen ist, bietet einen guten Einstieg in das Thema und ist somit gerade für Studierende der Politikwissenschaft während des Grund- studiums sehr geeignet. Kurz und knapp schildert Giegerich im ersten Kapitel die Entstehungsgeschichte und historische Entwicklung der Allianz bis in die Gegenwart. Es folgt eine Darstellung der politischen und militärischen Organisationsstrukturen. Einen ersten Schwerpunkt setzt Giegerich im dritten Kapitel bei den Inhalten der sieben strategischen Konzepte, die bis- her von der NATO verabschiedet wurden. Auf diese Weise wird dem Leser die wech- selseitige Beziehung zwischen dem Wandel des sicherheitspolitischen Umfelds und Evolution des strategischen Denkens innerhalb der NATO kurz und prägnant vermittelt. Z Außen Sicherheitspolit (2013) 6:631–633 DOI 10.1007/s12399-013-0355-y Online publiziert: 15.11.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 R. Schroeder () Institut für Sicherheitspolitik Universität Kiel, Westring 400, 24118 Kiel, Deutschland E-Mail: [email protected] Giegerich, B. (2012). Die NATO. Wiesbaden: Springer VS Verlag, 133 S., ISBN: 978-3531941820, € 16,95. Robin Schroeder

Giegerich, B. (2012). Die NATO. Wiesbaden: Springer VS Verlag, 133 S., ISBN: 978-3531941820, € 16,95

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Rezension

Obwohl der nordatlantischen Allianz gerade in der deutschen Sicherheits- und Verteidi-gungspolitik eine herausragende Bedeutung zukommt, findet man in der deutschsprachi-gen Literaturlandschaft erstaunlich wenige Werke zur NATO. Gerade in den Jahren nach den Anschlägen vom 11. September 2001, in denen die Debatte um die Rolle der NATO in der internationalen Sicherheitspolitik eine völlig neue Dimension annahm und der Einsatz in Afghanistan sich zur größten bisher dagewesen operativen Herausforderung der Allianz entwickelte, erschienen in der englischsprachigen Literaturlandschaft fast jedes Jahr neue Bücher und vollständig überarbeitete Neuauflagen, die sich vor diesem Hintergrund mit der NATO und deren Zukunft befassten. 2008 veröffentlichte Johannes Varwick dann „Die NATO. Vom Verteidigungsbündnis zur Weltpolizei?“ Varwicks Buch blieb fortan das einzige deutschsprachige Lehrbuch zur NATO in der „post-9/11 Welt“. Es ist allein deswegen schon sehr erfreulich, dass Bastian Giegerich mit seinem hier rezen-sierten Buch ein weiteres deutschsprachiges Einführungswerk verfasst hat.

Mit Die NATO hat Giegerich ein Buch auf den deutschsprachigen Markt gebracht, das dem Leser in kompakter und gut strukturierter Form einen umfassenden Überblick über die nordatlantische Vertragsorganisation vermittelt. Das Buch, das in der Reihe „Ele-mente der Politik“ von Springer VS erschienen ist, bietet einen guten Einstieg in das Thema und ist somit gerade für Studierende der Politikwissenschaft während des Grund-studiums sehr geeignet.

Kurz und knapp schildert Giegerich im ersten Kapitel die Entstehungsgeschichte und historische Entwicklung der Allianz bis in die Gegenwart. Es folgt eine Darstellung der politischen und militärischen Organisationsstrukturen. Einen ersten Schwerpunkt setzt Giegerich im dritten Kapitel bei den Inhalten der sieben strategischen Konzepte, die bis-her von der NATO verabschiedet wurden. Auf diese Weise wird dem Leser die wech-selseitige Beziehung zwischen dem Wandel des sicherheitspolitischen Umfelds und Evolution des strategischen Denkens innerhalb der NATO kurz und prägnant vermittelt.

Z Außen Sicherheitspolit (2013) 6:631–633DOI 10.1007/s12399-013-0355-y

Online publiziert: 15.11.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

R. Schroeder ()Institut für Sicherheitspolitik Universität Kiel, Westring 400, 24118 Kiel, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Giegerich, B. (2012). Die NATO. Wiesbaden: Springer VS Verlag, 133 S., ISBN: 978-3531941820, € 16,95.

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Der Wandel des sicherheitspolitischen Umfelds wird im vierten Kapitel auch anhand der (Ost-) Erweiterungspolitik der NATO aufgegriffen.

Das fünfte Kapitel in Giegerichs Buch ist eine Darstellung der wichtigsten NATO-Einsätze, angefangen bei den Operationen über und später in Bosnien-Herzegowina (ab 1993) bis hin zu den aktuellen Anti-Piraterie-Einsätzen der Allianz. Alle Einsätze sind so knapp wie möglich beschrieben. Die beiden größten Abschnitte im Kapitel „Einsätze“ sind dem Engagement der Allianz im Kosovo und in Afghanistan gewidmet. Hinsicht-lich des Kosovo geht Giegerich auch auf die völkerrechtliche Problematik des Einsatzes ein. Ebenso der Abschnitt zu Afghanistan, wo mit ISAF und der NATO Trainingsmission Afghanistan (NTM-A) heute gleich zwei strategisch eng miteinander verknüpfte NATO-Einsätze stattfinden, ist so umfassend wie möglich beschrieben. Es wäre allerdings pas-send gewesen, den zwischen 2009 und 2010 stattfindenden Strategiewechsel nicht nur in seinen Zielsetzungen, sondern auch als Prozess zu beschreiben, der durch ein bemerkens-wertes politisches und militärisches Umdenken der Mitgliedsstaaten gekennzeichnet war.

Die Kapitel sechs und sieben gehen auf die Zusammenarbeit und Kooperationsformen der NATO mit anderen Staaten und Organisationen ein. Dabei beschreibt Giegerich Pro-gramme wie Partnership for Peace und Konsultationsformate wie den Euro-atlantischen Partnerschaftsrat, den Mittelmeerdialog und die Istanbuler Kooperationsinitiative sowie die Neuausrichtung dieser Programme, die 2011 in Berlin beschlossen wurde. Vor allem die Entwicklung der Zusammenarbeit mit den sogenannten „operativen Partnern“ wird hier gut dargestellt. Als Beispiele für die Kooperation mit anderen internationalen Orga-nisationen zeigt Giegerich die Beziehungen der NATO zur OSZE, EU und UN auf. In Anbetracht der zukünftigen Aufgaben der NATO im Bereich military assistance hätte an dieser Stelle ein eigener Abschnitt zur Kooperation mit einer regionalen Organisation, passenderweise der Afrikanischen Union, Sinn gemacht.

Das Buch wird im achten Kapitel durch eine Einordnung der NATO und ihres stetigen Transformationsprozesses in die klassischen Theorien der Internationalen Beziehungen abgerundet. So wird die fortbestehende Relevanz des Bündnisses anhand der (neo-)realis-tischen, institutionalistischen und konstruktivistischen Theorieschulen erklärt. Auch hier schafft es Giegerich, komplexe Themen sehr kompakt und dennoch gut verständlich zu vermitteln – ganz bewusst ohne dabei einem der Erklärungsansätze den Vorzug zu geben. Als Ergänzungen zu den ganz klassischen Theorieansätzen wäre es an dieser Stelle inter-essant gewesen, die Transformation der NATO konkret in den Bezug zum Securitization-Diskurs zu setzen.

Das Buch endet mit einem griffigen Schlusskapitel: Dabei geht Giegerich kurz auf zukünftige Herausforderungen ein. Doch gerade an dieser Stelle, bei der Diskussion zukünftiger Herausforderungen des Bündnisses, zeigt das Buch eine Schwäche: Die Veröffentlichung eines weiteren deutschsprachigen Lehrbuchs zur NATO war allein aus Gründen der Aktualität dringend notwendig geworden. Die transatlantische Sicherheits-politik stand seit 2008 nicht still und viele neue Faktoren haben die Entwicklung der Alli-anz seitdem beeinflusst. Die intensive und von der NATO bewusst in der Öffentlichkeit geführte Debatte im Zuge der Entwicklung des neuen strategischen Konzepts von 2010 brachte dies zum Ausdruck. So haben z. B. maritime Sicherheit und Cyber-Sicherheit, die militärische Unterstützung anderer Nationen und regionaler Organisationen, die Fragen rund um die responsibility to protect, Terrorismusbekämpfung, Raketenabwehr, sowie

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die Fähigkeit, komplexe zivil-militärische Stabilisierungseinsätze in einem volatilen Sicherheitsumfeld durchzuführen, an Bedeutung gewonnen. Gleichzeitig hat der Raum rund um Europa für die Vereinigten Staaten weiter an Bedeutung verloren, während sich das strategische Denken in Washington zunehmend auf Asien verlagert. Auf diese The-men, die ganz wesentlich im Zusammenhang mit Problemen der Bündnisfähigkeit, stetig schrumpfender nationaler Verteidigungshaushalte und tatsächlicher strategischer Kohä-renz stehen, wird allerdings nur wenig bis gar nicht eingegangen. Es wäre daher wertvoll gewesen, diese Themen nicht nur im Schlusskapitel (und z. T. in den vorherigen Kapiteln) anzuschneiden, sondern ihnen ein eigenes Kapitel zu widmen.

Der Vernachlässigung des oben genannten Themenfeldes ändert jedoch nichts daran, dass Die NATO ein gutes und vor allem praktisches Buch ist. Das Werk zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es in äußert kompakter und konziser Form eine schnelle und trotz aller Kürze umfassende und verständliche Einführung in das Thema bietet. Dieser Brückenschlag ist Bastian Giegerich hervorragend gelungen. Das Buch ist daher sowohl als Einstiegsliteratur aber auch als kurzer und knackiger „Refresher“ sehr zu empfehlen.