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Gisela Lenzeder
Achtsamkeit und ihre Bedeutung für dasWohlbefinden
Eine explorative Studie
Diplomarbeit
Geisteswissenschaft
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de/ abrufbar.
Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungensind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vomUrheberrechtsschutz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verla-ges. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen,Mikroverfilmungen, Auswertungen durch Datenbanken und für die Einspeicherungund Verarbeitung in elektronische Systeme. Alle Rechte, auch die des auszugsweisenNachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe (einschließlich Mikrokopie) sowieder Auswertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen, vorbehalten.
Impressum:
Copyright © 2009 GRIN Verlag, Open Publishing GmbHISBN: 9783640584963
Dieses Buch bei GRIN:
http://www.grin.com/de/e-book/147888/achtsamkeit-und-ihre-bedeutung-fuer-das-wohlbefinden
Gisela Lenzeder
Achtsamkeit und ihre Bedeutung für das Wohlbefinden
Eine explorative Studie
GRIN Verlag
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Der GRIN Verlag publiziert seit 1998 wissenschaftliche Arbeiten von Studenten,Hochschullehrern und anderen Akademikern als eBook und gedrucktes Buch. DieVerlagswebsite www.grin.com ist die ideale Plattform zur Veröffentlichung vonHausarbeiten, Abschlussarbeiten, wissenschaftlichen Aufsätzen, Dissertationenund Fachbüchern.
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Achtsamkeit und ihre Bedeutung für das Wohlbefinden
- Eine explorative Studie –
Diplomarbeit
zur Erlangung des Magistergrades an der Naturwissenschaftlichen Fakultät
der Universität Salzburg
Eingereicht von Gisela Lenzeder
Salzburg, im August 2009
2
Danksagung
Ganz besonders danken möchte ich meiner Familie, die mich während meiner
achtjährigen Studiendauer unterstützt hat, obwohl es nicht immer einfach war.
Einen ganz speziellen Dank möchte ich meiner Mutter aussprechen, ohne die
mir das Studium neben Beruf und Kind nicht möglich gewesen wäre. Ich
möchte ihr danken für die zahlreichen Stunden, die sie sich für meinen Sohn
Jan während dieser acht Jahre mit besonderer Geduld gewidmet hat und somit
ihre eigenen Interessen in den Hintergrund rückte, damit ich mein Ziel des
Studienabschlusses erreichen konnte. Danke euch Jan, Hans-Peter, Erwin und
Barbara!
Auch jenen möchte ich danken, die mich beim Erstellen dieser Diplomarbeit
geistig unterstützt haben und ihren Lauf interessiert verfolgt haben. Danke Heidi,
Konny, Sigi, Doris und Michael!
Meinen Dank möchte ich schließlich an Herrn Ass.-Prof. Dr. Anton-Rupert
Laireiter aussprechen, der mich die zwei Jahre mit seinen wertvollen Anregun-
gen und Denkanstößen, speziell in der statistischen Auswertung, begleitet hat.
Gewidmet sei diese Diplomarbeit allen, die gern mehr über die Bedeutung der
Achtsamkeit auf das Wohlbefinden erfahren wollen und sich näher – vielleicht
auch kritisch – damit befassen möchten.
Lenzing, im August 2009
3
I N H A L T S V E R Z E I C H N I S
ABSTRACT …………………………………………………………………………………………. 8
I. THEORETISCHER TEIL ……………………………………………………………………….. 9
1. EINLEITUNG ……………………………………………………………………………………. 10
2. ACHTSAMKEIT ……………………………………………………………………………….... 15
2.1 Der Ursprung der Achtsamkeit und die Entwicklung der Achtsamkeit in der
westlichen Wissenschaft …………………………………………………………………….. 15
2.1.1 Achtsamkeit in der humanistischen Psychologie ………………………………………. 18
2.1.2 Achtsamkeit in der Verhaltenstherapie ………………………………………………….. 19
2.1.3 Achtsamkeit in der Positiven Psychologie ………………………………………………. 20
2.2 Begriffsbestimmung, theoretische Modelle ………………………………………………… 21
2.2.1 Das buddhistische Modell der Achtsamkeit ……………………………………………… 23
2.2.2 „Klassische“ Definition der Achtsamkeit nach Kabat-Zinn ……………………………... 25
2.2.3 Facetten der Achtsamkeit ………………………………………………………………….. 26
2.2.4 Modelle der Achtsamkeit …………………………………………………………………… 27
2.2.4.1 Modell der Achtsamkeit nach Langer …………………………………………………... 27
2.2.4.2 Sternberg’s Images of Mindfulness …………………………………………………….. 29
2.2.4.3 Shapiro, Carlson, Astin und Freedman’s „Model of Mindfulness“............................ 29
2.2.4.4 Zwei-Komponenten-Modell der Achtsamkeit (Bishop et al.) ………………………… 31
2.2.4.5 Goleman: Achtsamkeit als Grundlage der Emotionalen Kompetenz ………………. 33
2.3 Instrumente zur Erfassung von Achtsamkeit ……………………………………………… 34
2.3.1 Cognitive and Affective Mindfulness Scale ……………………………………………... 36
2.3.2 Five Facets Mindfulness Questionaire ....................................................................... 36
2.3.3 Freiburger Fragebogen zur Achtsamkeit ................................................................... 37
2.3.4 Kentucky Inventory of Mindfulness Skills .................................................................. 38
2.3.5 Mindfulness Attention Awareness Scale .................................................................... 40
2.3.6 Mindfulness Questionaire .......................................................................................... 40
2.3.7 Toronto Mindfulness Scale ........................................................................................ 41
2.4 Achtsamkeit als Intervention ........................................................................................ 42
2.4.1 Mindfulness-Based Stress Reduction ....................................................................... 43
2.4.1.1 Achtsamkeitsübung ................................................................................................. 44
2.4.1.2 Sitzmeditation ......................................................................................................... 45
4
2.4.1.3 Body Scan .............................................................................................................. 45
2.4.1.4 Yoga ....................................................................................................................... 46
2.4.1.5 Gehmeditation ........................................................................................................ 47
2.4.1.6 Ein Tag voller Achtsamkeit .................................................................................... 47
2.4.2 Mindfulness-Based Cognitive Therapy .................................................................... 48
2.4.2.1 Doing Mode ........................................................................................................... 50
2.4.2.2 Being Mode ……………………………………………………………………………… 51
2.4.2.3 Das Acht-Sitzungen-Programm nach Segal et al. ………………………………….. 52
2.4.3 Dialektisch-Behaviorale Therapie ………………………………………………………. 53
2.4.3.1 Therapiephasen ………………………………………………………………………… 53
2.4.3.2 Fertigkeitentraining ……………………………………………………………………... 54
2.4.4 Acceptance and Commitment Therapy ………………………………………………… 55
2.4.5 Wirksamkeitsstudien zum MBSR-Programm ………………………………………….. 57
2.4.6 Wirksamkeitsstudien der MBCT ………………………………………………………… 60
2.4.7 Achtsamkeit und geistige Übungen …………………………………………………….. 61
2.4.7.1 Aktuelle Forschungen im Bereich der geistigen Übungen …………………………. 61
2.4.7.2 Relevante Studien ………………………………………………………………………. 62
2.5 Geschlechtsspezifische Aspekte der Achtsamkeit ……………………………………… 64
3. EMOTIONALE INTELLIGENZ ………………………………………………………………. 65
3.1 Historischer Abriss ………………………………………………………………………….. 65
3.2 Überblick über das Konstrukt ……………………………………………………………… 65
3.3 Modelle der emotionalen Intelligenz ……………………………………………………… 67
3.3.1 Modell der emotionalen Intelligenz von Mayer, Salovey und Caruso ………………. 67
3.3.2 Modell der emotionalen Intelligenz von Bar-On ……………………………………….. 68
3.3.3 Modell der der emotionalen Intelligenz nach Goleman ……………………………….. 69
3.3.4 Das Meta-Mood-Konzept …………………………………………………………………. 70
3.4 Achtsamkeit und emotionale Intelligenz ………………………………………………….. 71
4. SELBSTWERT UND SELBSTWERTGEFÜHL ……………………………………………. 74
4.1 Überblick über das Konstrukt des Selbstwert ……………………………………………. 74
4.2 Achtsamkeit und Selbstwert ……………………………………………………………….. 79
5. OFFENHEIT FÜR ERFAHRUNGEN ………………………………………………………… 80
5.1 Überblick über das Konstrukt der Offenheit ……………………………………………… 80
5.2 Achtsamkeit und Offenheit ………………………………………………………………… 81
5
5.2.1 Achtsamkeit und Offenheit im Buddhismus …………………………………………… 81
5.2.2 Achtsamkeit und Offenheit in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion ………. 82
5.2.3 Zusammenfassung der Beziehungen Offenheit – Achtsamkeit ……………………. 83
5.2.4 Relevante Studien ……………………………………………………………………….. 84
6. PHYSISCHE UND PSYCHISCHE GESUNDHEIT ………………………………………. 85
6.1 Definitionen von Gesundheit ……………………………………………………………… 85
6.2 Lebenszufriedenheit als Aspekt der psychischen Gesundheit ……………………….. 87
6.2.1 Abgrenzungen bzw. Überschneidungen zu anderen Konstrukten …………………. 88
6.2.1.1 Subjektives Wohlbefinden …………………………………………………………….. 89
6.2.1.2 Lebensqualität…………………………………………………………………………… 90
6.2.1.3 Glück (Happiness) ……………………………………………………………………… 91
6.2.2 Achtsamkeit und Lebenszufriedenheit …………………………………………………. 92
6.3 Modell der Salutogenese ………………………………………………………………….. 93
6.4 Gesundheit aus der Perspektive des Buddhismus …………………………………….. 94
6.5 Achtsamkeit und Gesundheit …………………………………………………………….. 95
6.5.1 Relevante Befragungsstudien ………………………………………………………….. 95
6.5.2 Relevante Interventionsstudien ………………………………………………………… 98
7. ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNG FÜR DIE WEITERE
FORSCHUNG…………………………………………………………………………………. 99
II. EMPIRISCHER TEIL ………………………………………………………………………… 103
8. FRAGESTELLUNGEN UND HYPOTHESEN …………………………………………… 104
8.1 Achtsamkeit und emotionale Intelligenz ……………………………………………….. 104
8.2 Achtsamkeit und Selbstwert …………………………………………………………….. 106
8.3 Achtsamkeit und Offenheit für Erfahrungen …………………………………………… 107
8.4 Achtsamkeit und Gesundheit …………………………………………………………… 109
8.5 Achtsamkeit und Unterschiede in geistige Übungen ………………………………… 111
8.6 Achtsamkeit und Geschlechtsunterschiede …………………………………………… 112
8.7 Zusätzliche explorative Fragestellungen ………………………………………………. 113
8.7.1 Kann Achtsamkeit die Gesundheit fördern? …………………………………………. 114
8.7.2 Hat das Praktizieren geistiger Übungen einen Einfluss auf die
weiteren untersuchten Konstrukte? ………………………………………………….. 114
6
8.7.3 Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern und den anderen
untersuchten Konstrukten? ……………………………………………………………… 115
8.7.4 Gibt es Interaktionseffekte (Geschlecht x geistige Übungen) ………………………. 115
9. VERSUCHSPLAN UND METHODIK ……………………………………………………… 115
9.1 Versuchsplan und geplante statistische Auswertung ………………………………….. 115
9.2 Untersuchungsdesign ……………………………………………………………………... 117
9.3 Stichprobe und Kriterien des Samplings ………………………………………………… 118
9.4 Messinstrumente …………………………………………………………………………… 118
9.4.1 Vorüberlegungen zur Auswahl der Verfahren ………………………………………… 118
9.4.2 Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R) ……………………………………………. 119
9.4.3 Gießener Beschwerdebogen (GBB) ……………………………………………………. 120
9.4.4 Kentucky Inventory of Mindfulness Skills (KIMS) …………………………………….. 121
9.4.5 Multidimensionale Selbstwertskala (MSWS) ………………………………………….. 121
9.4.6 NEO-Persönlichkeitsinventar (NEO-PI-R) ……………………………………………… 123
9.4.7 Skalen der psychischen Gesundheit (SPG) ……………………………………………. 124
9.4.8 Trait Meta Mood Scale (TMMS) …………………………………………………………. 125
9.4.9 Angaben zur Person ……………………………………………………………………… 126
9.5 Versuchsplanung – Drehbuch …………………………………………………………….. 126
9.6 Ethische und juristische Gesichtspunkte ………………………………………………… 127
9.7 Kritische Würdigung der Versuchsplanung ……………………………………………… 130
9.8 Versuchsdurchführung …………………………………………………………………….. 131
10. ERGEBNISSE ……………………………………………………………………………… 132
10.1 Stichprobenbeschreibung ………………………………………………………………. 132
10.1.1 Verteilung des Geschlechts ………………………………………………………… 133
10.1.2 Altersaufteilung ………………………………………………………………………. 133
10.1.3 Schulabschluss ………………………………………………………………………. 133
10.1.4 Berufsgruppen ……………………………………………………………………….. 134
10.1.5 Familienstand ………………………………………………………………………… 134
10.1.6 Kinder …………………………………………………………………………………. 135
10.1.7 Aktuelle psychische Krankheiten ………………………………………………….. 136
10.1.8 Aktuelle Medikamenteneinnahme ………………………………………………….. 136
10.1.9 Aktuelle Psychotherapie …………………………………………………………….. 137
10.1.10 Teilnahme eines Kurses geistiger Übungen ………………………………………. 137
10.1.11 Praxis geistiger Übungen …………………………………………………………… 137
7
10.2 Hypothesenbezogene Fragestellungen …………………………………………………. 138
10.2.1 Achtsamkeit und emotionale Intelligenz ………………………………………………. 138
10.2.2 Achtsamkeit und Selbstwert ……………………………………………………………. 139
10.2.3 Achtsamkeit und Offenheit für Erfahrungen ………………………………………….. 140
10.2.4 Achtsamkeit und Gesundheit ………………………………………………………….. 142
10.2.5 Achtsamkeit und Unterschiede in geistigen Übungen …………………………….... 145
10.2.6 Achtsamkeit und Geschlechtsunterschiede ………………………………………….. 146
10.3 Weitere explorative Fragestellungen ……………………………………………………. 147
10.3.1 Kann Achtsamkeit die Gesundheit fördern? …………………………………………. 147
10.3.2 Hat das Praktizieren geistiger Übungen einen Einfluss auf die
weiteren untersuchten Konstrukte? ………………………………………………….. 148
10.3.3 Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern und den anderen
untersuchten Konstrukten? ……………………………………………………………… 149
10.3.4 Gibt es Interaktionseffekte (Geschlecht x geistige Übungen) ………………………. 149
11. ZUSAMMENFASSUNG UND DISKUSSION ……………………………………………. 149
11.1 Zusammenfassung der Ergebnisse ……………………………………………………. 149
11.2 Generalisierbarkeit der Ergebnisse ……………………………………………………. 151
11.3 Korrelation mit den Achtsamkeitsfacetten …………………………………………….. 152
11.4 Achtsamkeit und emotionale Intelligenz ……………………………………………….. 155
11.5 Achtsamkeit und Selbstwert ……………………………………………………………. 156
11.6 Achtsamkeit und Offenheit für Erfahrungen ………………………………………….. 156
11.7 Achtsamkeit und Gesundheit ………………………………………………………….. 158
11.7.1 Achtsamkeit und psychische Gesundheit ………………………………………….. 158
11.7.2 Achtsamkeit und Lebenszufriedenheit …………………………………………….. 160
11.7.3 Achtsamkeit und somatische Beschwerden ………………………………………. 160
11.8 Achtsamkeit und Unterschiede in geistigen Übungen ……………………………….. 162
11.9 Achtsamkeit und Geschlechtsunterschiede …………………………………………… 163
11.10 Methodische Einschränkungen der Studie …………………………………………… 163
11.11 Implikationen für die Praxis und Forschung ………………………………………….. 165
12. LITERATURVERZEICHNIS ………………………………………………………………. 167
ANHANG A – Fragebogenkatalog ……………………………………………………………. 192
8
ABSTRACT
Achtsamkeit (mindfulness) - basierend auf buddhistischen Erkenntnissen - wird
definiert als absichtsvolle, nicht wertende Aufmerksamkeit auf das bewusste
Erleben im gegenwärtigen Moment (Kabat-Zinn; 2003b). In den letzten drei
Jahrzehnten wurde Achtsamkeit immer mehr in die empirisch-orientierte
klinische wie auch Gesundheitspsychologie einbezogen.
Die vorliegende Arbeit hat den Hintergrund, Zusammenhänge zwischen
Achtsamkeit und Wohlbefinden bei der Normalbevölkerung herzustellen bzw.
relevante Studien zu erhärten. Weiters sollen Unterschiede bei Praktizierenden
von geistigen Übungen wie auch zwischen Männern und Frauen geprüft werden.
Die Daten wurden mittels Fragebogen der zu untersuchenden Konstrukte
Achtsamkeit, emotionaler Intelligenz, Lebenszufriedenheit, Selbstwert, Offenheit
für Erfahrungen und Gesundheit (psychisch wie körperlich) an einer Stichprobe
der Normalbevölkerung (N = 147) erhoben.
Die Hypothesen der Zusammenhänge aller untersuchten Konstrukte haben sich
bestätigt. Die Ergebnisse zeigen, dass Achtsamkeit wichtige Verbindungen zu
allen untersuchten Konstrukten eingeht, wie sie auch das Wohlbefinden fördert
bzw. schützt. Weiters wurden Unterschiede zwischen Praktizierenden von
geistigen Übungen wie auch des Geschlechts untersucht. Für AnwenderInnen
von geistigen Übungen zeigte sich ein Einfluss der Achtsamkeit auf das
Wohlbefinden wie auch emotionaler Intelligenz, Selbstwert und der Offenheit für
neue Erfahrungen. Für den bis jetzt beinahe gar nicht untersuchten Bereich der
Geschlechterdifferenzen war kein Unterschied zwischen Männern und Frauen
zu finden.
Es konnten innerhalb dieser Arbeit nicht alle mit Achtsamkeit
zusammenhängenden Konstrukte untersucht werden. Diese Arbeit demonstriert
den enormen Umfang des Konstruktes Achtsamkeit mit Wohlbefinden und soll
(neue) Hinweise liefern, in welche Richtung die Forschungen zukünftig führen
sollen, Achtsamkeit bzw. Wohlbefinden zu steigern.
9
I. THEORETISCHER TEIL
10
1. EINLEITUNG
Achtsamkeit (mindfulness), eine absichtsvolle, nicht wertende Aufmerksamkeit
auf das bewusste Erleben im gegenwärtigen Moment (Kabat-Zinn; 2003b), wird
eine immer größer werdende Aufmerksamkeit von Seiten der Psychotherapie
gewidmet. Achtsamkeit findet ihren Ursprung in der Philosophie des Buddhis-
mus, der Achtsamkeit als das Kernstück der Lehren des Buddhas bezeichnet
(Gunarantana, 1992; Hanh, 1999; Nanamoli und Bodhi, 1995). In der
Psychotherapie wird sie sogar laut Hayes (2004, S. 5) als „dritte Welle“ der
Verhaltenstherapie bezeichnet. Seit über 20 Jahren werden Achtsamkeits-
Interventionen in der Klinik mit Erfolg angewandt.
Die Anzahl der Studien, begannen in den 1990er Jahren mit weniger als 90
Untersuchungen und erhöhten sich exponentionell auf über 600 (Stand: Okto-
ber 2006) (Brown, Ryan & Creswell, 2007). Geprägt durch die mit Erfolg
angewandten achtsamkeitsbasierenden Interventionen stieg das Interesse der
Forschung und das Thema Achtsamkeit wurde auch in den Popularmedien
immer beliebter. Dieses verstärkte Interesse an der Eigenschaft Achtsamkeit
liegt nach Kabat-Zinn (2003a, b) darin begründet, dass durch die Forschung auf
diesem Gebiet Erkenntnisse über die Interaktionen von Körper und Geist und
somit neue Therapieansätze für die Behandlung von körperlichen und psychi-
schen Erkrankungen gefunden werden können.
Achtsamkeit schafft neue Potenziale, um Situationen zu meistern, behauptet
Fleur Wöss, eine Buddhismus-Expertin am traditionellen Marketing-Forum am
24. Oktober 2008 im Linzer Design-Center (Haas, 2008). Auch im Wirtschafts-
leben könnten durch Achtsamkeit schwierige Situationen anders betrachtet und
Probleme gelassener und besser gelöst werden.
Die Erforschung der Achtsamkeit und ihrer Effekte ist eine Herausforderung für
unsere westliche Grundhaltung und auch für einige etablierte Paradigmen in der
Psychologie, die die Wichtigkeit des Ichs oder des „constructed self“ (S. 211)
als entsprechende Triebkraft des menschlichen Verhaltens in den Vordergrund
11
stellen (Brown et al, 2007). Achtsamkeit hat ihren Erfolg mit „quiet the
ego“ (Heppner & Kernis, 2007; Niemiec, Ryan & Brown, 2008). Dies bedeutet,
dass eine achtsame Person nicht nach möglichst hohem Selbstwert trachtet,
sondern sich ihre Handlungen wohl überlegt (Brown & Ryan, 2003a).
Brown und Ryan (2003a) haben darauf hingewiesen, dass die generelle Veran-
lagung, achtsam zu sein, mit anderen Konstrukten zusammenhängen kann, die
relevant sind für psychische Gesundheit und Wohlbefinden, körperliche
Gesundheit, Selbstkontrolle und interpersonelles Verhalten (Brown et al, 2007).
Brown und Ryan (2003a) zeigten in Studien, dass dispositionale und State-
Achtsamkeit selbstregulierendes Verhalten und positive emotionale Zustände
voraussagen. Es wird im Bereich der achtsamkeitsbasierenden Therapie-
ansätze bzw. Achtsamkeitstrainings viel geforscht, jedoch gibt es wenige Unter-
suchungen in Richtung eines natürlich auftauchenden Charaktermerkmals. Man
erkennt zwar, dass fast jeder die Kapazität der inneren Achtsamkeit besitzt und
sich dieser auch bewusst sein kann, jedoch differieren die Menschen hier sehr
in ihrem Willen oder in ihrer Neigung, sich achtsam zu verhalten und dies auch
einzusetzen (Brown & Ryan, 2003a).
Achtsamkeit geht mit erhöhter Gesundheit, Lebensqualität und
Lebenszufriedenheit einher (Buchheld & Walach, 2001). Damit kann die Vielfalt
der Konstrukte des Wohlbefindens mit Achtsamkeit verknüpft werden. Um die
Bedeutung dieser Bewusstseinsform auf das psychologische Wohlbefinden zu
untersuchen, müsste man die Forschung in den Bereichen des Sozialen, der
Persönlichkeit und Gesundheit vorantreiben.
Brown und Ryan (2003a) leiteten, auf erste Hypothesen aufbauend, empirische
Verbindungen zwischen Achtsamkeit und Wohlbefinden her. Um den Beweis zu
erbringen, dass Achtsamkeit selbstregulierendes Verhalten bewirkt, wurde
zuerst untersucht, ob diese mit größerer Bewusstheit innerer Zustände einher-
geht. Dabei ging man davon aus, dass Achtsamkeit wie ein Prädiktor zwischen
impliziten und expliziten Indikatoren von emotionalem Wohlbefinden wirkt.
Zusätzlich untersuchten die Autoren Verbindungen der Mindfulness-Attention
12
Awareness Scale (MAAS) mit Messinstrumenten der Selbstkontrolle und des
Wohlbefindens. Weiters wurde mittels eines Interventionsbeispiels getestet, ob
bei Krebspatienten Veränderungen in der Stimmung bzw. im Stress vor und
nach einem Achtsamkeitstraining auftraten (Brown & Ryan, 2003a).
Ruth Baer und KollegInnen (2004, 2006) griffen dieses Thema in ihren Studien
ebenfalls auf. Ihre Hauptaspekte lagen auf der psychischen Dimension mit
einem Spektrum an Kriterien wie Lebensqualität, Depressionen, Ängste,
Coping-Stile u.a. Weitere Betrachtungsweisen bezogen sich auf die physische
Dimension wie körperliche Symptome, Schmerzen, körperliches Wohlbefinden,
etc. (Baer et al., 2004, 2006). Baer verwies auf diverse andere Autoren, die
behaupten, dass die Fähigkeit der Achtsamkeit mit anderen Techniken als nur
der Meditation erlernt werden kann (Baer et al., 2004). Auch sprechen verschie-
dene Autoren davon, dass Achtsamkeit eine Eigenschaft sei, die bei jedem
Menschen in unterschiedlicher Ausprägung vorkäme.
Goleman (1995), der sich mit emotionaler und sozialer Intelligenz befasst, be-
tont, dass Achtsamkeit die fortwährende Wahrnehmung der eigenen inneren
Zustände kennzeichnet. Das heißt, auch in turbulenten Situationen bewahren
achtsame Menschen eine neutrale Einstellung, sprich die Fähigkeit zur Selbst-
reflexion. Für ihn ist Achtsamkeit im Hinblick auf die Emotionen eine grund-
legende emotionale Kompetenz, auf der andere wie z.B. die emotionale Selbst-
kontrolle aufbauen (Goleman, 1995).
Die oben erwähnten Studien von Brown und Ryan (2003b) bzw. von Baer und
KollegInnen (2004, 2006) bilden die Grundlage dieser Diplomarbeit. Die Ziel-
stellung der vorliegenden Arbeit liegt zum einen auf einer Zusammenfassung
der bis jetzt erbrachten Befunde im Zusammenspiel von Achtsamkeit mit
Wohlbefinden und den damit assoziierten Konstrukten wie emotionale Intelli-
genz, Selbstwert, Offenheit für Erfahrungen sowie psychische und physische
Gesundheit. Im empirischen Teil wird anhand eines Fragebogens an der
Gesamtbevölkerung untersucht, ob Menschen, die generell innerlich achtsamer
sind, die Eigenschaften von emotionaler Intelligenz, Offenheit für Erfahrungen,
13
Selbstwert sowie Gesundheit in einen höheren Maß aufweisen. Sie soll die
empirischen Verbindungen zwischen Achtsamkeit und Wohlbefinden im Sinne
der oben erwähnten Studie herstellen. In der Folge ergab sich, dass in dieser
Arbeit alle Subskalen der einzelnen Konstrukte mit den einzelnen Achtsamkeits-
facetten korreliert werden. Hier soll untersucht werden, ob bestimmte Sub-
skalen die Verbindungen der Achtsamkeit zu den untersuchten Konstrukten des
Wohlbefindens vermindern oder erhöhen.
Des Weiteren wird in dieser Arbeit erforscht, ob das Ausmaß, in dem jemand
meditative Übungen betreibt, einen Einfluss auf dieses Zusammenspiel der
einzelnen Konstrukte mit der Achtsamkeit hat. Nicht ganz ein Viertel der Stich-
probe aus der Normalbevölkerung besteht aus Praktizierenden von geistigen
Übungen. Hier soll untersucht werden, ob diese Personen höhere Zusammen-
hänge aufweisen.
Die Genderthematik, welche im Gesundheitsbereich von Jahr zu Jahr an
Bedeutsamkeit gewinnt, soll in dieser Diplomarbeit ebenfalls berücksichtigt
werden. Es wird untersucht, ob sich Unterschiede zwischen Frauen und
Männern bei den oben angeführten Zusammenhängen zwischen Achtsamkeit
und den damit verknüpften Konstrukten des Wohlbefindens finden.
Diese Arbeit ist so aufgebaut, dass nach dem Abstract und der Einleitung im 1.
Kapitel, im 2. Kapitel auf die Achtsamkeit sehr spezifisch eingangen wird, begin-
nend vom Ursprung der Achtsamkeit, der im Buddhismus begründet liegt und
die Entwicklung der Achtsamkeit in der westlichen Wissenschaft, , im speziellen
in der humanistischen und Positiven Psychologie wie auch in der Verhaltens-
therapie. In den nachfolgenden Unterkapiteln der Achtsamkeit werden die
verschiedenen Modelle und Begriffsbestimmungen der Achtsamkeit vorgestellt,
von der Sichtweise des Buddhismus bis hin zur kognitiven Perspektive. Die
weiteren Unterkapitel beschäftigen sich mit den Instrumenten zur Erfassung der
Achtsamkeit, in dem die bis jetzt vorhandenen acht wichtigsten Fragebögen
beschrieben werden. Im folgenden Unterkapitel wird über Achtsamkeit als
Intervention mit den vier wichtigsten Programmen, der Mindfulness-Based
14
Stress Reduction (MBSR), der Mindfulness Based Cognitive Therapy (MBCT),
der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) sowie der Acceptance and
Commitment Therapy (ACT) wie auch über die bedeutendsten Wirksamkeits-
studien zum MBSR-Programm, MBCT als auch über Achtsamkeitsmeditation
und den aktuellen Forschungen in diesem Bereich informiert. Das letzte
Unterkapitel geht auf die geschlechtsspezifischen Aspekte der Achtsamkeit ein.
Die folgenden Kapitel 3 - 6 befassen sich mit den in dieser Arbeit untersuchten
Konstrukten. Jedes Kapitel beginnt mit einem Überblick über das einzelne Kon-
strukt selbst, danach werden die Verbindungen zur Achtsamkeit in den dazu
relevanten Studien näher erläutert. Dies erscheint im Rahmen der Arbeit auf-
grund der vielen Verbindungen sinnvoll. Zum Abschluss des theoretischen Teils
folgt im 7. Kapitel die Zusammenfassung und kritische Diskussion des
Forschungsstandes.
Im empirischen Teil werden im 8. Kapitel die Fragestellungen und die dazu
entsprechenden Hypothesen aufgestellt. Das 9. Kapitel gibt einen Überblick
über den Versuchsplan, das Untersuchungsdesign, die Zusammensetzung der
Stichprobe und deren Kriterien, die Verwendung der Messinstrumente, die Ver-
suchsdurchführung und eine kritische Stellungnahme dazu.
Das 10. Kapitel umfasst die Ergebnisse zu den einzelnen Hypothesen wie auch
die Zusammenfassung dieser.
Die Diskussion folgt im 11. Kapitel, in der es zum einen um die Generalisierbar-
keit der Ergebnisse geht und zum anderen werden die Ergebnisse aus dem
Gesichtspunkt der Achtsamkeitsfacetten wie auch den untersuchten Konstruk-
ten des Wohlbefindens beleuchtet. Den Abschluss bilden das
Literaturverzeichnis wie im Anhang der verwendete Fragebogenkatalog.
15
2. ACHTSAMKEIT
2.1 Der Ursprung der Achtsamkeit und die Entwicklung der
Achtsamkeit in der wissenschaftlichen Forschung
Buddha sprach in einer seiner Lehrreden von den „Grundlagen der Achtsam-
keit“ und sah durch diese „rechte Achtsamkeit“ einen Weg aus der inneren und
äußeren Bedrängnis. Rechte Achtsamkeit ist die unerlässliche Grundlage für
rechtes Leben und Denken, um größere innere Kraft und größeres, reineres
Glück zu entwickeln. Eine Lebensweise, die heute ebenso gangbar ist wie vor
2500 Jahren, ob westliche oder östliche Tradition, für den Geschäftsmann wie
für den Mönch. Das letzte Ziel des Weges rechter Achtsamkeit ist die endgül-
tige Leidaufhebung durch die gänzliche Überwindung von Gier, Hass und Wahn.
Dieser Weg wurde von Buddha klar und deutlich durch den „Edlen Achtfachen
Pfad zur Leidaufhebung“ gewiesen. (Nyanaponika, 1993)
Wenn wir das Wort Meditation im weiteren Sinne als Bewusstseinserhellung
und -erhöhung verstehen, dürfte die Satipatthana-Methode von Buddha (d.h.
die Ausbildung in Rechter Achtsamkeit) für uns westliche Menschen der geeig-
netste Zugang zur Meditation sein (Nyanaponika, 1993). Es ist eine Methode,
die aber auch außerhalb des Buddhismus angewandt wird, nämlich um tief ins
eigene Innere zu schauen, um sich selbst und die Art unseres Bestehens zu
erforschen. (Kabat-Zinn, 1990).
Auch in der Tradition des Zen-Buddhismus vermittelt die sitzende Meditation,
genannt „Zazen“, die ursprünglichste und intensivste Erfahrung von Achtsam-
keit. Ursprung und Wesen der Achtsamkeit wurzeln im Zen, einer Welt- und
Lebensanschauung, die mit einer sehr dezidierten Körper-Geist-Schulung
einhergeht, deren Ziel „Satori“ ist, was Erleuchtung bedeutet (Bohus & Huppertz,
2006). Der Zen-Buddhismus ist ein Teil der buddhistischen Tradition und ent-
stand im 5. und 6. Jahrhundert nach Christus in China als Reformbewegung
des Buddhismus. Der Zen-Buddhismus betont die Meditation und rückt die
16
dogmatischen und ethischen Aspekte in den Hintergrund. Im Westen wurde der
Zen-Buddhismus erst durch Schopenhauer im 19. Jahrhundert bekannt. Doch
es dauerte weitere 120 Jahre, bis man in unserem Kulturkreis anfing, sich mit
dieser Form des Buddhismus zu beschäftigen. Die ersten Veröffentlichungen
über Zen erfolgten in Deutschland 1923, in den USA durch Daisetz Suzuki 1927.
Wirklich bekannt wurde die Zen-Tradition jedoch erst ab den 50er Jahren, als
die Psychotherapie begann, die Zen-Tradtion für sich zu erschließen. (Bohus &
Huppertz, 2006).
Eine wichtige Brücke vom Zen zur humanistischen Psychologie ergaben die
Kontakte von C.G. Jung und Erich Fromm mit Daisetz Suzuki in den späten
zwanziger Jahren. Besonders Erich Fromm sah im Zen eine Möglichkeit,
Verdrängungen durch intensive Beschäftigung mit dem eigenen Selbst beseiti-
gen zu können (Bohus & Huppertz, 2006). Ein weiterer Zen-Pionier in den USA,
Alan Watts, kooperierte mit der emigrierten Charlotte Selver, die aus der so ge-
nannten „Ausdrucksgymnastik“ in den vierziger Jahren die „Sensory Aware-
ness“-Arbeit entwickelte, welche das menschliche Wachstumspotential durch
umfassende achtsame Wahrnehmung im Hier und Jetzt entfalten konnte.
Durch den Kontakt mit dem „Sensory Awareness“-Training integrierte Fritz Perls
dieses Wahrnehmen im Hier und Jetzt zu einem zentralen Element in die
Gestalttherapie. Ab den 60er Jahren verband sich östliche Spiritualität mit
humanistischer Psychologie über das kalifornische Esalen-Institut, wo Selver
und Perls Seminare abhielten (Bohus & Huppertz, 2006).
In den vergangenen 40 Jahren hat die buddhistische Tradition der Meditation in
Rechter Achtsamkeit bis zu einem gewissen Grad auch im Westen Fuß gefasst
(Batchelor, 1994; Fields, 1992). Mehrere Generationen von Menschen im
westlichen Kulturkreis üben diese Methoden in ihrem eigenen Alltagsleben täg-
lich bis hin zu intensiven, von Meditationslehrern angeleiteten
„Retreats“ (Rückzug aus dem Alltagsleben), die von einem Wochenende bis zu
drei Monaten oder länger dauern können (siehe z.B. Goldstein, 2002; Walsh,
1977, 1978). Dieses Phänomen weist auf kulturelle Veränderungen hin (Kabat-
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Zinn, 2006). Ende der 70er Jahre entstanden in den USA erste
psychotherapeutische Verfahren, die auf Achtsamkeit basieren und anfangs zur
Behandlung von Depressionen, Schmerzerkrankungen und Borderline-Störun-
gen genutzt wurden (Hacker, 2006).
Kabat-Zinn (2003a) nimmt an, dass der allerwichtigste Grund für das stärker
werdende Interesse an Achtsamkeit in Studien, Dissertationen, klinischen
Anwendungen etc. der ist, dass neue Dimensionen von therapeutischen Vortei-
len erwachsen und daraus neue Einsichten in die Interaktion von Geist und
Körper entstehen. Es werden neben der von ihm entwickelten MBSR (Mindful-
ness-based stress reduction)-Therapie auch bei spezifischen affektiven Störun-
gen spezielle Therapieformen wie die Mindfulness-based Cognitive Therapy
(MBCT; Segal, Williams und Teasdale, 2002), die Dialektische-Behavoriale
Therapie (DBT; Linehan, 1993a) sowie die Acceptance and Commitment Thera-
pie (ACT; Hayes, Luoma, Bond, Masuda & Lillis, 2006) entwickelt, die im Kapi-
tel 5 näher beschrieben werden.
In jüngster Zeit werden Achtsamkeitsinterventionen immer mehr in
verhaltenstherapeutische bzw. –medizinische Ansätze integriert und auf
internationaler Ebene rezipiert (Heidenreich & Michalak, 2003). Überlegungen
von Germer (2005) weisen darauf hin, dass klassische psychotherapeutische
Ansätze und Behandlungen Prinzipien enthalten können, die dem
Achtsamkeitsprinzip mehr oder weniger stark ähneln. Als Beispiel führt er
Freuds „gleichschwebende Aufmerksamkeit“ (vgl. Michal, 2004) und die
„Präsenz“ der modernen Gesprächspsychotherapie (Bundschuh-Müller, 2004)
an. Weiters finden sich auch in der verhaltenstherapeutischen Arbeit viele
Analogien zum Achtsamkeitsprinzip (Heidenreich & Michalak, 2003). Ein Bei-
spiel sei die Instruktion während einer Exposition „alle Erlebnisse ohne Vermei-
dung“ zu erfahren, also nicht kognitiv zu vermeiden (Germer, 2005). Germer
(2005) teilt Ansätze der Achtsamkeit in zwei gegensätzliche Richtungen ein:
Den deutlichsten Bezug zur historischen Achtsamkeitstradition sind für Germer
(2005) die achtsamkeitsbasierenden Ansätze. Achtsamkeit ist ein grundlegen-
18
des Therapieprinzip in der Behandlung mit regelmässig integrierten
Meditationsübungen, wo andere Inhalte zusätzlich ergänzt werden. Hier er-
wähnt Germer (2005) die Mindfulness Based Stress Reduction nach Kabat-Zinn
(1990) und die Mindfulness-based cognitive therapy nach Segal, Williams und
Teasdale (2002). Das Hauptziel der achtsamkeitsinformierenden Ansätze in der
Psychotherapie ist nicht der Aufbau der Achtsamkeit, sondern Achtsamkeits-
elemente werden im Rahmen eines multimodalen Behandlungssettings auch
mit anderen Behandlungselementen zusammengeführt. Zum Beispiel wird bei
der Dialektisch-Behavorialen Therapie von Linehan (1993a, 1993b) im Rahmen
eines Fertigkeitentrainings die Achtsamkeit zwar gefördert, ausgedehnte
Meditiationsübungen werden jedoch keine durchgeführt (Germer, 2005)
2.1.1 Achtsamkeit in der humanistischen Psychologie
Die Wurzeln dieser Psychologierichtung reichen zurück in die Zeit zwischen
Erstem und Zweitem Weltkrieg, die von zahlreichen humanistischen
Reformbewegungen in psychologischen und pädagogischen Arbeitsfeldern ge-
prägt war, wie Völkerverständigung, allgemeine Menschenrechte und einer
sittlichen Grundsätzen verpflichteten moralischen Erziehung.
Der bedeutendste Repräsentant der humanistischen Psychologie ist die von
Carl Rogers in den vierziger Jahren gegründete Personenzentrierte (oder:
Klientenzentrierte) Psychotherapie, deren Grundlage ein Menschenbild ist, das
Selbstentwicklungsfähigkeit, Entscheidungsfreiheit und Selbstverantwortung
hervorhebt. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen TherapeutIn und
KlientIn (Bundschuh-Müller, 2004).
Achtsamkeitsnahe Prinzipien finden sich sowohl in den klassischen
Basisvariablen von Rogers, wie „unbedingte positive Wertschätzung“, „empathi-
sches Verstehen“ und „Kongruenz“ als auch das bei modernen Ansätzen zu
findende Phänomen „Präsenz“ (Geller & Greenberg, 2002). Des Weiteren wird