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Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

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Zu Werbezwecken stelle ich hiermit eine PDF-Version meines demnächst bei Luluerscheinenden Print-Werkes Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg (2.durchgesehene und erweiterte Auflage) etwa 2 Wochen kostenlos zur Voransicht bei scribd ein.

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Page 1: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg
Page 2: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika

und Europa am Scheideweg

Eine Streitschrift

2.durchgesehene und erweiterte Auflage

Page 3: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Markus Eder, Rotdornweg 9, 86567 Hilgertshausen-Tandern,

Deutschland (Germany) ©2015

Page 4: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika

und Europa am Scheideweg

Eine Streitschrift

2.durchgesehene und erweiterte Auflage

Gewidmet meiner verstorbenen Großmutter Klara Kreuzberg und

meinen frühzeitig verstorbenen Eltern Gertrud und Engelbert Eder

Markus Eder

Vorwort

Page 5: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Zu Marketingzwecken mache ich die 2.Auflage meines Buches

„Götterdämmerung zweier Großreiche? Amarika und Europa am

Scheideweg für 2 Wochen zur Voransicht kostenlos verfügbar. Die

Buchedition erscheint im November 2015 bei lulu.

Bei dieser 2.Auflage handelt es sich um eine erkennbar erweiterte

Version meines zuvor bei BookRix, München, publizierten ebooks

und der ersten bei Books on Demand, Norderstedt, publizierten

Druckauflage. Ziel dieser Streitschrift ist es die momentane Krise

Amerikas und Europas und die in erster Linie neoliberale

Bedingtheit dieser Krise zu beleuchten. Allerdings ist dieses Buch

auch keinem einseitig linken Politik- und Wirtschaftsverständnis

verpflichtet, sondern plädiert für einen ausbalancierten, sich den

Imperativen soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Vernunft und

sinnvolle Ökologiereform verpflichtet fühlenden, mittleren Weg

zwischen den Extremen. Damit erteilen die in diesem Buch

befürworteten Lösungsansätze sowohl neoliberalen Exzessen, als

auch staatsparasitärer Beamtengesinnung und sozialblindem

Ökologismus eine energische Absage. Es ist ein Buch der Mitte

jenseits der egoistischen Extreme.

5

Page 6: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Gliederung

Kapitel 1: Einleitung 7

Kapitel 2: Die Malaise der USA 10

2.1: Der zerstörerische neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsansatz 10

2.2: Die unzureichende Bereitschaft die reicheren Schichten der

Bevölkerung stärker zugunsten von Infrastruktur und sozialem

Zusammenhalt zu besteuern

13

2.3: Die geschönte Inflationsrate 18

2.4: Eine überproportionale Vertretung der Reichen in Parlament und

Regierung 20

2.5:Die Blockierung der Gesetzgebung durch Filibustering im Senat 21

2.6: Einseitige Orientierung am Share Holder Value und die Zulassung von

Derivaten 23

2.7: Die unzureichende Integration von Minderheiten 28

2.8: Die kurzsichtige und unverantwortliche amerikanische Energiepolitik 32

2.9: Zunehmende außenpolitische Aggressivität als Ventil für innenpoliti-

sches Scheitern

37

Kapitel 3: Der Irrweg Europas 40

3.1: Die verfrühte Euro-Einführung 40

3.2: Die fehlenden emotionalen Grundlagen Europas 45

3.3: Die unzureichende steuerliche Belastung der Reichen 47

3.4: Die falsche Energie- und Umweltpolitik 51

3.5: Die geschönte Inflationsrate 54

3.6: Die Entwertung der Alten und sozial Schwachen 56

3.7: Die Edathy-Affäre und die Verschwörung an den Rändern 63

3.8: Die Gefahr einer Untergrabung der demokratischen Kultur durch

neoliberale Show- und Glitzereffekte 67

3.9: Der zunehmende Gegensatz zwischen Europa und nationalistischen

Strömungen in den Krisenstaaten der Europäischen Union 70

3.11: Die undemokratische Neoliberalisierung der Erholungskultur:

Eine Fallstudie des Maspalomas-Strandes auf Gran Canaria 76

6

Page 7: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

3.12: Die neoliberale Instrumentalisierung der Flüchtlingspolitik 78

Kapitel 4: Mögliche Lösungsansätze 82

4.1: Lösungsansätze für die USA 82

4.2: Lösungsansätze für Europa 83

Kapitel 5: Das wahrscheinlichste Zukunftsszenario 95

5.1: Der wahrscheinliche Untergang der USA 95

5.2: Die Reinigung Europas im Feuer einer linkssozialistischen Revolution 98

Kapitel 6: Endnoten 100

7

Page 8: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Kapitel 1:

Einleitung

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sowohl die Vereinigten

Staaten von Amerika (USA) als auch die Europäische Union (EU)

sich in ernsthaften politischen und wirtschaftlichen Schwierig-

keiten befinden. Dies betrifft nahezu alle wichtige Politik –und

Ökonomiefelder wie Staatshaushalte, Minderheitenintegration,

Umweltproblematik, emotionale Akzeptanz bei der Bevölkerung,

ökonomisches Wachstum, soziale Spannungen und Arbeitslosen-

rate. Für diese Probleme gibt es mehrere Gründe. Im Falle der USA

wären in diesem Zusammenhang die folgenden Punkte

anzuführen:

1) Der zerstörerische neoliberale Wirtschafts- und

Gesellschaftsansatz

2) Eine unzureichende Bereitschaft die reicheren Schichten

der Bevölkerung stärker zu besteuern, um dadurch den

Haushalt zu sanieren, notwendige Infrastrukturmaßnahmen

zu finanzieren und den sozialen Ausgleich zu fördern

3) Die geschönte Inflationsrate

4) Eine überproportionale Vertretung der Reichen in

Parlament und Regierung

8

5) Die Blockierung der Gesetzgebung durch Filibustering

Page 9: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

6) Einseitige Orientierung am Share Holder Value und die

Zulassung von Derivaten

7) Unzureichende Integration von Minderheiten

8) Die kurzsichtige und unverantwortliche amerikanische

Energiepolitik

9) Zunehmende außenpolitische Aggressivität als Ventil für

inneres Scheitern

Als Probleme der EU können die folgenden ausgewiesen werden:

1) Die verfrühte Euroeinführung

2) Die fehlenden emotionalen Grundlagen Europas

3) Die unzureichende steuerliche Belastung der Reichen

4) Die falsche Energie- und Umweltpolitik

5) Die geschönte Inflationsrate

6) Die Entwertung der Alten und sozial Schwachen

7) Die Edathy-Affäre und die Verschwörung an den Rändern

8) Die Gefahr einer Untergrabung der demokratischen Kultur

durch neoliberale Show- und Glitzereffekte

9) Die zunehmende Opposition Europa –nationalistische

Strömungen in den Krisenländern

10) Die neoliberale Verachtung für staatszentrierten

Wirtschaftsaufsaufbau

11) Die undemokratische Neoliberalisierung der Erholungskultur

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Page 10: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

12) Die neoliberale Instrumentalisierung der

Flüchtlingsproblematik

Alle diese genannten Punkte verdienen eine vertiefte

Diskussion. Diese Diskussion soll im Zentrum der nachfolgenden

Kapitel stehen.

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Page 11: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Kapitel 2:

Die Malaise der USA

Vor etwa 30 Jahren gab der berühmte US-amerikanische Historiker

Paul Kennedy in seinem Buch The Rise and Fall of the Great Powers

seiner Hoffnung Ausdruck, dass Amerika –trotz der zunehmenden

Bedeutung von China und Indien- im Großen und Ganzen auch

zukünftig seine Stellung als führende Weltmacht bewahren könne.

(1)

Aus der Perspektive des Jahres 2014 ist Kennedys Wunsch

zweifelsohne in Erfüllung gegangen. Gleichwohl erscheinen die

Grundlagen dieser amerikanischen Vormachtstellung zunehmend

brüchig, ja morbide. Die Wucht des Verfalls der amerikanischen

Machtbasis wirkt sogar dermaßen kraftvoll, dass zu mindestens

irgendwann im 22.Jahrhundert die USA das Schicksal des

spätrömischen Weltreiches erleiden dürften. Mehrere Faktoren

werden höchstwahrscheinlich dieser Entwicklung den Weg ebnen.

2.1 Der zerstörerische neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsansatz

Das Kernproblem der US-amerikanischen Gesellschaft ist zweifelsohne der wertneutralistisch-zerstörerische neoliberale

11

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Wirtschafts- und Gesellschaftsansatz. Angesichts der immer noch

herausragenden internationalen Bedeutung der USA; beeinflusst

dieser verderbliche Ansatz auch viele andere Staaten nachhaltig.

Man wird ehrlich sein müssen. Dass dieser wertneutralistisch-

zerstörerische Neoliberalismus beginnend mit den späten 1970-er

und frühen 1980-er Jahre ausgehend von den angelsächsischen

Ländern sich so stark in Politik und Gesellschaft ausbreiten konnte,

lag zweifelsohne auch am überideologisierten, zu Recht oft

künstlich-miefig wirkenden, Sozialdemokratismus der 1970-er

Jahre. Allzu leichtfertig hatten sozialdemokratisch oder gar

sozialistisch gefärbte Regierungen sich daran gemacht, den

Sozialstaat übermäßig, und oft ohne irgendwelche Gegenleistung

zu erwarten, auszubauen. Zudem waren die Staatsschulden aus

dem Ruder gelaufen. Diese Entwicklungen und eine übertrieben

linke Gesinnung, die auf Werte wie Ehe und Familie und

anspruchsvolle Schulbildung wenig Rücksicht nahm, hatten eine

kraftvolle Gegenreaktion hervorgerufen, die dann in Form des

Neoliberalismus daher kam. Klar ist mittlerweile aber auch, dass

dieser verderblich wertneutralistische Neoliberalismus

angelsächsischer Spielart noch ungleich gefährlicher für

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Page 13: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Amerika und die Welt ist, als es der Sozialdemokratismus der 1970-

er Jahre damals war.

Gemäß dieses neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsansatzes,

haben die Steuern –und hierbei insbesondere auch der

Spitzensteuersatz- niedrig zu sein. Eventuell sich daraus ergebende

staatliche Haushaltsdefizite sollen durch Einschnitte ins soziale

Netz und Rückführung der staatlichen Bildungs- und

Infrastrukturausgaben ausgeglichen werden. Der einzige staatliche

Bereich, in dem Ausgaben zu erhöhen sind, ist nach der Logik

dieser Leute der Rüstungsbereich. Irgendjemand muss die

irakischen und persischen Ölfelder ja erobern, nach denen das

neoliberale Großkapitalistenherz US-amerikanischer Prägung so

giert. Außerdem sind nicht wenige amerikanische Großkonzerne

auf kraftvoll sprudelnde Rüstungsgelder aus dem Staatssäckel

angewiesen.

Weniger Bedeutung kommt hingegen einer fortschrittlichen

Umweltpolitik zu. Umweltauflagen gelten als lästig und kostspielig

und würgen angeblich das ökonomische Wachstum unangemessen

ab. Da kann Hurrikan Katharina noch so wüten und amerikanisches

Leben im Tausenderumfang vernichten, für den amerikanischen

Neoliberalen kommt die Wirtschaft immer zu allererst. Auch wäre

es verfehlt, den typischen US-amerikanischen Neoliberalen als

sozial konservativ zu bezeichnen. Er ist einfach nur egoistisch gierig

im Hinblick auf die eigenen Interessen. Ob auf seinem Bankkonto

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Page 14: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

oder im Schlafzimmer beim ehebrecherischen Sex, er will einfach

nur so viel wie möglich für die eigene Person. Und das ohne

Rücksicht auf etwaige Verluste anderer. Dieser Zweiklang aus

nahezu grenzenlosem wirtschaftlichem und privatem Egoismus ist

im Übrigen auch für die stark neoliberal angehauchte deutsche FDP

typisch. So betonte der damalige neue Vorsitzende der

Jungliberalen Guido Westwelle schon 1982, dass man sich das

Doppelpack aus wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und größerer

Freiheitlichkeit der privaten Lebensentwürfe wünsche.(2) Mit

anderen Worten: Wirtschaftlich möglichst erfolgreich für die

eigene Tasche agieren und im Privaten ungehemmt seinen

Instinkten freien Lauf lassen war angesagt. Es kann nicht

verwundern, dass dieser verderbt-wertneutralistische

Neoliberalismus US-amerikanischer Prägung für Amerika und den

Rest der Welt größte praktische Probleme aufwirft. Diese Probleme

gilt es nachfolgend darzulegen.

2.2 Die unzureichende Bereitschaft die reicheren Schichten der

Bevölkerung stärker zugunsten von Infrastruktur und sozialem

Zusammenhalt zu besteuern

Noch zu Zeiten Präsident Bill Clintons stellten ein Spitzensteuersatz

von 39,5 Prozent und auch ein höherer Kapitalertragssteuersatz

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Page 15: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

sicher, dass die USA über adäquate Steuereinnahmen verfügten

und sogar Haushaltsüberschüsse erzielten. Diese Zeiten gehören

erkennbar der Vergangenheit an. Vor allem das obere

Einkommensdrittel der Gesellschaft zahlt heute viel niedrigere

Steuersätze, und nicht zuletzt der Spitzensteuersatz auf

Kapitalerträge ist mit 20 Prozent äußerst niedrig. Als Folge davon

ist nicht nur während der Regierungszeit Barack Obamas die US-

amerikanische Staatsverschuldung von etwa 10 Billionen US-Dollar

auf nun etwa 19 Billionen US-Dollar angestiegen, sondern auch die

amerikanische Infrastruktur hat sehr gelitten. Des Weiteren ist die

Wohlstandsschere zwischen den reicheren und ärmeren Schichten

immer weiter auseinander gegangen. Ebenso haben wegen dieser

sowohl auf nationaler als auf Einzelbundesstaatsebene

bestehenden Haushaltsprobleme die Integration von Minderheiten

und die Förderung alternativer Energien Rückschläge hinnehmen

müssen. Da diese beiden letztgenannten Aspekte aber Gegenstand

gesonderter Kapitel sein werden, will ich mich für den Augenblick

auf die Aspekte verfallende Infrastruktur und zunehmende soziale

Kluft konzentrieren. Die verfallende Infrastruktur wirft mehrere

höchst gravierende Probleme auf. Zu allererst braucht eine

erfolgreiche Industrienation wie die USA eine intakte Infrastruktur,

um ihre herausragende wirtschaftliche Position auch zukünftig

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Page 16: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

aufrechterhalten zu können. Nicht zuletzt ausländische Anleger

dürften in einem Land mit verfallender Infrastruktur ihre

Investitionen zurückfahren. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt

ist auch, dass Infrastrukturmaßnahmen ihrerseits wieder einen

Beitrag zur Ankurbelung einer Volkswirtschaft und zur Schaffung

von Arbeitsplätzen leisten.

Auch die nachlassenden Investitionen in den Sozialbereich werden

sich zweifelsohne hochgradig nachteilig auswirken. Sie

untergraben den sozialen Zusammenhalt in der amerikanischen

Gesellschaft und schwächen des Weiteren die Fähigkeit der

unteren und mittleren Schichten zum sozialen Aufstieg. Wie, um

ein Beispiel zu nennen, soll eine ärmere Familie die Studienkosten

ihres ältesten Sohnes in Harvard noch bezahlen, wenn es dafür an

staatlicher finanzieller Unterstützung fehlt? Nicht übersehen

werden darf auch, dass Sozialleistungen einen wichtigen

Wirtschaftsfaktor darstellen. Schließlich geben die ärmeren

Schichten der Bevölkerung einen Großteil der erhaltenen

Unterstützung sofort wieder für Güter und Dienstleistungen des

täglichen Bedarfs aus und stärken damit die amerikanische

Wirtschaft. Folglich wirkt sich ein hochwertiges und hinreichend

finanziertes Sozialsystem sowohl gesellschaftlich als auch

volkswirtschaftlich sehr positiv aus.

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Page 17: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Einen ganz anderen Effekt hat die niedrigere Besteuerung auf die

reicheren Schichten der amerikanischen Bevölkerung. Auf den

Konten dieser Leute sammeln sich Jahr für Jahr größere Ersparnisse

an. Diese Ersparnisse wollen mit möglichst hoher Rendite

reinvestiert werden. Dies verleitet diese Bevölkerungsschichten

dazu, das angesammelte Geld in immer spekulativere

Anlageformen zu stecken, beziehungsweise durch

Überinvestments in Immobilien, Aktien und Derivate früher oder

später mit katastrophalen Auswirkungen platzende Blasen

hervorzurufen. Besser wäre es da diese reicheren

Bevölkerungsschichten höher zu besteuern, um über höhere

soziale Transferleistungen den sozialen Zusammenhalt Amerikas

und die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten zu sichern. Die

Aufrechterhaltung und Steigerung des sozialen Zusammenhalts

innerhalb der amerikanischen Gesellschaft über höhere

Transferleistungen ist dabei keineswegs nur ein humanitärer

Imperativ. Stattdessen ist dieser Zusammenhalt auch die

Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der amerikanischen

Großmachtstellung, ja selbst Voraussetzung für das bloße

Überleben Amerikas als Nation. Abraham Lincolns auf die Sklaverei

gemünztes Diktum, dass eine in sich emotional geteilte und

polarisierte Nation auf Dauer nicht überleben könne, gilt

zweifelsohne auch im Hinblick auf eine übermäßig sozial geteilte

und polarisierte Nation.(3)

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Das Argument, die großen Steuersenkungen seien notwendig

gewesen, um als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise von 2008-

2009 den privaten Konsum anzukurbeln, verfängt nicht. Für die

Erzeugung eines nachhaltigen ökonomischen Stimulus wären aus

den genannten Gründen Investitionen in die Sozialsysteme, in

Bildung und in bessere Infrastruktur erheblich zielführender

gewesen.

Auch haben besagte Steuersenkungen eine kaum noch

beherrschbare Schuldenspirale in Gang gesetzt, die zudem auch die

außenpolitischen Beziehungen der USA zunehmend belasten.

Schon fragt der Hauptschuldner der USA, China, hochgradig kritisch

nach, ob er sein an die USA verliehenes Geld jemals

zurückbekommen werde.

Wenig hilfreich zur Verbesserung dieser außenpolitischen

Beziehungen ist auch die in den USA zunehmend ernsthafter

diskutierte Platinmünzenlösung. Man möge doch, so der

Lösungsvorschlag besonders kecker US-amerikanischer

Schlauberger, vom Schatzamt eine mit der Aufprägung 1 Billionen

US-Dollar versehene Platinmünze drucken lassen und damit die

Zahlungsschwierigkeiten der USA eindämmen. Zwar hat sich diese

ebenso billige wie ehrlose Taschenspielerlösung bis dato

innenpolitisch noch nicht durchgesetzt. Die Frage indes ist, wie

lange dies noch so bleiben wird. Der Schuldendruck wird schließlich

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Page 19: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

von Jahr zu Jahr größer, und da dürften irgendwann einmal alle

Dämme brechen und die Platinmünzenlösung doch noch zum Zuge

kommen. Der Beifall einflussreicher US-Kreise für eine solche

Lösung ist ja jetzt schon erheblich. Sollte dies wirklich irgendwann

einmal geschehen, werden die außenpolitischen Beziehungen der

USA zu China und anderen wichtigen Großgeldgebern nachhaltigen

und eventuell sogar irreparablen Schaden erleiden. Mit allen sich

möglicherweise daraus ergebenen negativen Folgen.(4)

2.3 Die geschönte Inflationsrate

Eine ähnliche negative Wirkung wie Haushaltsdefizit und

Kürzungen bei Infrastruktur und Sozialwesen hat die in den USA

schon seit Jahren geschönte Inflationsrate. Dabei geht es nicht nur

-wie in Deutschland- um die Frage, ob die Berechnungsmethode

fehlerhaft ist. Vielmehr besteht das Problem darin, dass die

sogenannte Kerninflationsrate, an der sich unter anderem die

jährlichen Rentensteigerungen orientieren, insbesondere die

Entwicklung der in den letzten Jahren beständig und kraftvoll

ansteigenden Energiepreise nicht berücksichtigt. Dies hat zu Folge,

dass Rentenanpassungen, Anpassungen von Sozialleistungen und

vielfach auch Lohnerhöhungen deutlich unter der tatsächlichen

Geldentwertung zurückbleiben, und breite Bevölkerungs-schichten

langfristig unter Kaufkraftgesichtspunkten verarmen. Erneut leidet

dadurch der notwendige soziale Zusammenhalt und die für

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Volkswirtschaft äußerst wichtige Kaufkraft der breiten Volksmasse.

Freilich ist dies von den neoliberalen Einkommensoberschichten

der USA auch durchaus gewollt. In ihrer Funktion als Unternehmer

und Investoren geben sie die tatsächliche Inflationsrate in

jährlichen Preiserhöhungen durchaus an das Volk weiter, während

sie ihre Beschäftigten unter Instrumentalisierung der offiziell

niedrigen Inflationsrate mit unzureichenden

Einkommenserhöhungen abspeisen. Überhaupt gilt es in

neoliberalen Zirkeln dieser Welt zunehmend als ausgemacht, dass

die Mehrheit der Bevölkerung kein Anrecht mehr auf Ausgleich der

Inflation habe. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Rentner findet

dieser perverse und inhumane Ansatz in vielen Ländern dieser

Welt immer mehr Anwendung. So ist beispielsweise das

Rentenniveau der deutschen Westrentner seit dem Jahr 2000 nur

um 10 Prozent gestiegen, während selbst die -in ihrer Berechnung

sehr umstrittene- offizielle Preissteigerung 25 Prozent betrug.

Angesichts der bereits angesprochenen gänzlichen

Vernachlässigung der Energiepreise bei der Berechnung der

offiziellen Inflationsrate, geht es US-amerikanischen Ruheständlern

auch nicht sonderlich besser.(5)

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Page 21: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

2.4 Eine überproportionale Vertretung der Reichen in Parlament

und Regierung

Ein weiteres großes Problem ist die überproportionale Vertretung

der reicheren Schichten im US-Parlament. Das betrifft vor allem

den US-Senat , der zunehmend zu einem Club der Millionäre

geworden ist. Nun gibt es sicher Leute, die geneigt sind zu

argumentieren, dass Reichtum ein Markenzeichen für Erfolg ist,

und dass doch gar nichts dagegen spricht, wenn diejenigen, die es

„geschafft“ haben, zahlreich im Parlament vertreten sind.

Schließlich könnten solche erfolgreichen, energischen und

intelligenten Menschen als Parlamentarier einer Nation ja nur gut

tun. Auch mag es mancher bevorzugen, wenn ein Parlament eher

aus erfolgreichen Privatleuten als -wie in vielen Ländern Europas-

aus Privilegien orientierten und hochgradig egoistischen Beamten

zusammengesetzt ist.

Wenngleich all diese Argumente zu mindestens im Ansatz einen

wahren Kern besitzen, so sollte doch niemand bezweifeln, dass ein

hauptsächlich aus Millionären bestehender Senat kaum bereit sein

wird, für die notwendige Höherbesteuerung der reicheren

Schichten der US-amerikanischen Gesellschaft einzutreten. Im

Gegenteil, er wird derartige Versuche eher zu blockieren trachten,

wie es in der Vergangenheit ja schon des Öfteren der Fall gewesen

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Page 22: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

ist. Folglich ist zu mindestens eine der beiden Kammern des US-

Parlaments, nämlich der Senat, eher ein Beschützer der

Einkommensinteressen der Reichen als ein unvoreingenommener

Hüter des Gemeinwohls. Dieses Problem ist im Übrigen nicht auf

den Senat beschränkt. Auch in der US-Regierung tummeln sich die

Multimillionäre. Präsident Obama selbst mag als Senator von

Illinois klein angefangen haben. Mittlerweile haben ihm seine

Bucherfolge indes zum Multimillionär gemacht. Auch Vize-

Präsident Biden ist für sein mit Millionen von US-Dollar prall

gefülltes Bankkonto bekannt, und viele andere Mitglieder der

Obama Regierung schweben in ähnlichen Vermögensregionen. Das

dürfte zu mindestens bei vielen dieser Menschen die Neigung, die

reicheren Schichten der Bevölkerung -und somit auch sich selbst-

höher zu besteuern, nicht unbedingt ungemein steigern.

2.5 Die Blockierung der Gesetzgebung durch Filibustering im

Senat

Die 111.Sitzungsperiode des US-amerikanischen Senats erlebte ein

bis dato unbekanntes Ausmaß an sogenanntem Filibustering.

Filibustering bedeutet, dass Senatoren so lange zu einem Thema

sprechen können wie sie wollen und somit die Verabschiedung von

Gesetzen verzögern oder im Extremfall sogar verhindern können.

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Page 23: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Dieser Verfahrensweise einzelner Senatoren kann nur ein Ende

bereitet werden, wenn eine 3/5 Mehrheit im Senat sich für ein

Ende der Debatte ausspricht und die Abstimmung beantragt. In

einem Senat, der aus 100 Mitgliedern besteht, müssen demnach

60 Senatoren sich für ein Ende der Debatte aussprechen. Da der

Senat aber entlang der Parteigrenzen von Republikanern und

Demokraten sehr polarisiert ist, kann sehr oft eine solche Mehrheit

nicht erzielt werden. Die Folgen sind desaströs. Zum einen kann

notwendige Gesetzgebung nicht verabschiedet werden. Zum

anderen verliert das politische System der USA zunehmend die

Akzeptanz seiner Bürger, die über diese Unfähigkeit Gesetzgebung

zu verabschieden erbost sind und das Parlament wegen der

übermäßig oft angewandten taktischen Waffe des Filibustering

zunehmend verachten. Vor diesem Hintergrund, erscheint eine

Einschränkung des Filibustering dringend geboten.

Bedauerlicherweise stehen die Chancen dafür schlecht. Zum einen

gilt in der Mehrheit der Bevölkerung der Senat immer noch als eine

altehrwürdige Institution, dessen Mitgliedern man nicht ohne

weiteres das Rederecht beschränken dürfe. Zum anderen könnte

jeder Gesetzentwurf zur Einschränkung des Filibustering selbst

zunächst einmal durch Filibustering behindert werden. Die Zeit für

eine weitreichende Einschränkung des Filibustering ist deshalb

wohl noch nicht gekommen. Diese unbefriedigende Situation wird

deshalb wohl fortdauern.

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Page 24: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Besonders besorgniserregend ist auch, dass Filibustering in näherer

Zukunft nicht nur aus parteitaktischen Gründen, sondern auch aus

ethnischen Motiven heraus im größeren Stil betrieben werden

könnte. Beispielsweise könnten ein Afro-Amerikaner oder ein

Hispanic versucht sein, Gesetzesentwürfe, die den Interessen ihres

jeweiligen ethnischen Lagers zuwiderlaufen, durch Filibustering zu

unterlaufen. Dies würde die Gefahr einer Blockade des US-

amerikanischen Politsystems noch einmal erheblich zusätzlich

verstärken.

2.6 Einseitige Orientierung am Share Holder Value und die

Zulassung von Derivaten

Ein Kernproblem der USA ist zweifelsohne die sehr kurzsichtige

Share holder Value Orientierung. Diese Mentalität stellt die

möglichst schnelle Steigerung des Aktienkurses eines

Unternehmens an allererste Stelle. Dies hat mehrere

unerwünschte Effekte. So ist das Management vieler US-

amerikanischer Unternehmen sehr schnell bei der Hand, wenn es

darum geht durch Mitarbeiterentlassungen im großen Stil Kosten

zu senken und den Gewinn zu erhöhen. Abgesehen von der

sozialen Unverantwortlichkeit einer solchen Verfahrensweise, sind

auch die unternehmensstrategischen Folgen bedenklich. Anstatt

Arbeitnehmer im großen Stil zu entlassen, könnte es unter

Umständen mehr Sinn machen zu prüfen, wie man die

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Page 25: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Arbeitsabläufe optimieren kann, oder welche Strategien für die

Eroberung neuer Märkte besonders tauglich wären. Solche

Strategien bedürfen für ihre Umsetzung aber Zeit, und da

erscheint vielen US-amerikanischen Unternehmensführern das

Freisetzen von Mitarbeitern als bequemere und schnellere

Möglichkeit Kosten zu reduzieren und den Unternehmenswert zu

steigern.

Des Weiteren verhindert eine solche einseitige Share Holder Value-

Strategie sehr oft auch Management Strategien, die darauf

ausgerichtet sind die Position eines Unternehmens langfristig zu

verbessern und zu sichern. Wo das Verdreifachen des Aktienwertes

eines Unternehmens innerhalb kürzester Zeit das einzige

Managementkriterium ist, haben solche Langfriststrategien kaum

eine Chance auf Umsetzung. Das ist eine fatale Entwicklung,

diesbezüglich sich viele US-amerikanische Unternehmen von solch

asiatischen Großunternehmen wie etwa Samsung unterscheiden.

Bei Samsung und anderen intelligenten asiatischen Großkonzernen

weiß man noch, dass es Zeit braucht die Grundlagen für

nachhaltiges Wachstum zu etablieren und die langfristige

internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Man reinvestiert

in solchen Firmen deshalb einen hohen Prozent der Einnahmen in

Forschung und Entwicklung und bindet das wertvollste Kapital der

Firma –nämlich die eigenen Mitarbeiter- durch langfristige

Beschäftigungsperspektiven und gute Motivierung derselben an

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Page 26: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

sich. Selbst wenn ein Firmenbereich mal nicht profitabel arbeitet,

schließt oder verkauft man ihn nicht gleich, sondern versucht ihn

durch intelligentere Management- und Produktionsmethoden

wieder wettbewerbsfähig zu machen. Asiaten ist nämlich klar, dass

je mehr Geschäftsbereiche ein Unternehmen aufweist, desto

geringer ist seine –unerwünschte- Abhängigkeit von wenigen

einzelnen Geschäftsbereichen, und desto stabiler ist das

Unternehmen aufgestellt. Diese Wege werden in Asien auch dann

bestritten, wenn darunter kurzfristig einmal der Aktienkurs leidet.

Schließlich wollen asiatische Firmenlenker ihren Unternehmen eine

langfristig fatale Motorolaisierung ersparen. Der amerikanische

Technologiekonzern Motorola war ursprünglich ein sehr breit

aufgestelltes Technologieunternehmen. Dann aber beugte man

sich dem Druck der Analysten, sich auf wenige sogenannte

Kernkompetenzbereiche zu konzentrieren, und verkaufte alle

anderen Geschäftszweige. Nun ist man auf Gedeih und Verderb

nur noch einer einzigen Geschäftsfeldsparte ausgeliefert. Für den

finnischen Großkonzern Nokia –um ein europäisches Beispiel zu

nennen- gilt ähnliches. Auch der kürzlich dem ebay Konzern von

Finanzinvestoren aufgenötigte Verkauf seiner hochprofitablen und

wachstumsstarken Tochter paypal geht in diese Richtung und

könnte sich langfristig für ebay als nachteilig erweisen.(6)

Diese sehr negativen Auswirkungen US-amerikanischer

Kurzfristgier werden noch verschlimmert durch die

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Page 27: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Wiederzulassung von Derivaten in der Regierungszeit des

demokratischen Präsidenten Bill Clinton. Die große

Weltwirtschaftskrise der 1930-er Jahren hatte den amerikanischen

Gesetzgeber noch für die Notwendigkeit sensibilisiert, Derivate,

mit denen -teilweise mit Hebelwirkung- hochriskant auf die

Entwicklung von Rohstoffen , Aktien, Währungen und

Immobilienmärkten spekuliert werden kann, weitgehend zu

verbieten. Die Euphorie an den Kapitalmärkten in den 1990-er

Jahren ließ dann aber alle Hemmungen fallen, und die Clinton

Regierung und der Kongress erlaubten diese hochriskanten

Spekulationsinstrumente wieder.

Die negativen Auswirkungen dieser vom neoliberalen (Un-) Geist

geprägten Liberalisierung ließen nicht lange auf sich warten. Im

Wesentlichen zeigten sich dabei vier Entwicklungslinien. Zum

einen wurden die Schwankungen an den Kapitalmärkten, die

sogenannte Volatilität, durch den Einsatz dieser Spekulations-

instrumente größer. Zum anderen verführte die Wiedereinführung

solcher Derivate auch zu immer höherem Risiko. Das Ergebnis

waren große Börsenkrisen und die große Weltwirtschaftskrise von

2008/2009. Darüber hinaus, führte die Einführung dieser Derivate

zu unerwünschten Verlagerungen von Investitionsschwerpunkten.

So mancher, der früher noch in ein normales Unternehmen oder

gar eine eigenständige Unternehmensgründung investiert hatte,

investierte nun lieber –um zwei Beispiele zu geben- mit 5-fach

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Page 28: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Hebelzertifikaten auf den Wertanstieg der Türkischen Lira

gegenüber dem Euro oder den weiteren Wertanstieg des

Erdölpreises. Schließlich versprach dies -ein Gelingen der

Spekulation immer vorausgesetzt- erheblich mehr persönliche

Rendite als volkswirtschaftlich sinnvolle Investitionen in die

Realwirtschaft. Zu guter Letzt trieb der kraftvoll spekulative

Charakter dieser Derivate tendenziell auch die Preise für Rohstoffe,

Nahrungsmittel und Edelmetalle in die Höhe. Es versteht sich von

selbst, dass unter sozialen Gesichtspunkten gerade für die

Mittelschichten und unteren Einkommensschichten ein solch

starker Anstieg bei Rohstoffen und Nahrungsmittel wenig

wünschenswert war. Umgekehrt durften die ökonomisch weniger

gut gebetteten Schichten keineswegs auf gute Kapitalerträge

hoffen. Zur Bekämpfung der diversen vom neoliberalen US-

Spekulantentum zu verantwortenden Krisen haben die

Zentralbanken nämlich die Leitzinsen auf ein historisch niedriges

Niveau abgesenkt. Das Ergebnis ist, dass die Banken sich zwar

zinsgünstig Kredite von der Zentralbank leihen können, diesen

Zinsvorteil aber nur sehr ungenügend an den Endkreditnehmer

weitergeben. Die Zinsen für Tagesgeld und Staatsanleihen indes,

also vermeintlich sichere Anlageformen für den sogenannten

„kleinen Mann„ oder „kleine Frau“ wurden schnell auf oder gar

unterhalb das Niveau der ohnehin geschönten offiziellen

Inflationsrate gesenkt. Durch die Derivats bedingte höhere

28

Page 29: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Volatilität an den Märkten sind darüber hinaus Investitionen in

Aktien und Aktienfonds für den Kleinanleger unberechenbarer und

wohl auch weniger renditebringend geworden. So haben die

einschlägigen Aktienindexes seit Anfang 2000 nur 15-25 Prozent

zugelegt. Das ersetzt nicht einmal die Geldentwertung.

Durch all diese geschilderten Entwicklungen haben die Share

Holder Value-Mentalität und die Wiedereinführung von Derivaten

die Verschärfung der sozialen Lage sowie Haushalts- und

Wirtschaftskrisen mit bedingt.

2.7 Die unzureichende Integration von Minderheiten

Die möglicherweise größte Gefahr für die Einheit der Vereinigten

Staaten von Amerika ist die unzureichende Integration der

amerikanischen Minderheiten. Das trifft besonders auf die

sogenannten Hispanics zu, die zum überwiegenden Teil –

entweder legal oder illegal- aus Mexiko in die angrenzenden US-

Staaten New Mexico, Arizona oder Texas eingewandert sind.

Einerseits wächst die Zahl dieser Menschen ständig an.

Andererseits ist ihre politische und gesellschaftliche Stellung wenig

erquickend. Zweifelsohne wird nicht genügend getan, um sie in die

amerikanische Gesellschaft zu integrieren. Solche Integration

würde Geld kosten, und dies ist im neoliberalen Südwesten der

Vereinigten Staaten keine gern gesehene Option. Auch ist

29

Page 30: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

es nicht so, dass reiche neoliberale Kreise in diesen südwestlichen

Bundesstaaten der USA die illegale Immigration dieser Menschen

immer ungern sehen. Insgeheim sind diese Menschen als billige

Arbeitskräfte durchaus willkommen. Nur ihre kostenintensive

Integration zu Lasten der Staatskasse ist unerwünscht.

Folglich betrachten sich viele dieser Einwanderer nicht wirklich als

Amerikaner und lehnen de facto eine Integration in die

amerikanische Gesellschaft ab. Sie verweigern sich in diesem

Zusammenhang sogar der Erlernung der Englischen Sprache und

beharren auf der Verwendung ihrer Ursprungssprache Spanisch.

Die kulturelle Spaltung zwischen diesen Menschen und dem Rest

der US-amerikanischen Bevölkerung besteht also bereits und wird

sich kaum überbrücken lassen. In dieser Hinsicht ähneln die USA

bereits dem Römischen Weltreich der Spätantike, das sich

ebenfalls großer Migrationsschübe germanischer und anderer

Stämme ausgesetzt sah, ohne dass diese Völker kulturell und

gesellschaftlich romanisiert worden wären. Daraus ergibt sich

wiederum die Frage, ob angesichts der hohen Geburten- und

Zuwanderungsrate dieser unintegrierten Hispanics nicht

irgendwann der Tag kommen wird, an dem diese

Bevölkerungsgruppe in den an Mexiko angrenzenden US-

Bundesstaaten in der Mehrheit sein wird und eine Abspaltung

dieser Bundesstaaten von den USA betreiben wird, um sich Mexiko

30

Page 31: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

anzugliedern. Schließlich waren diese US-Bundesstaaten bis um die

Mitte des 19.Jahrhunderts Teil Mexikos und wurden erst dann an

die USA abgetreten. Zwar verbietet die Verfassung der USA solche

Abspaltungen, aber innere Unruhen und Bürgerkrieg in besagter

Region könnten eine zukünftige US-Regierung und einen

zukünftigen US-Kongress durchaus so zermürben, dass diese

Institutionen letztendlich in eine solche Abspaltung einwilligen

würden.

Noch zusätzlichen Sprengstoff erhält diese Sezessionsthematik

dadurch, dass mittlerweile viele neoliberale Weiße in den

Südstaaten der USA mit einer Abspaltung von der Zentralregierung

in Washington sympathisieren. So haben sich auf einer

diesbezüglichen Internetseite schon mehrere hunderttausend

Personen als Befürworter einer solchen Abspaltung geoutet.(7)

Und dabei handelt es sich nur um jenen Personenkreis, der sich

traut seinen Namen auf eine solche Internetseite zu setzen. Die

Anzahl der heimlichen stillen Sympathisanten dürfte um ein

vielfaches höher sein. Diesen vielfach sozial-konservativ und

ökonomisch neoliberal gesonnenen Menschen missfallen -nicht

zuletzt seit dem Amtsantritt des demokratischen Präsidenten

Barack Obama- die ihrer Meinung nach zu weit gehenden Rechte

der Zentralregierung in Bereichen wie Sozialpolitik, Steuerpolitik,

Umweltpolitik und teilweise auch Einwanderungspolitik. Sie wollen

31

Page 32: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

niedrigere Steuern, keine allgemeine staatliche Kranken-

versicherung, weniger Umweltauflagen, weniger Rechte für

gleichgeschlechtlich orientierte Menschen und die Möglichkeit

Einwanderung einzudämmen. Deshalb fordern sie größere

Autonomie von der Zentralregierung in Washington oder sogar

Abspaltung und Eigenstaatlichkeit. Zwar stellt diese neoliberal

gesonnene weiße Bevölkerungsgruppe noch nicht die Mehrheit in

den Südstaaten der USA. Gleichwohl nimmt ihre Zahl ständig zu,

und eines Tages könnte eine Sezession von der Union deshalb

wirklich auf der Tagesordnung stehen. Dann sähen sich die USA mit

einer Situation konfrontiert, in der die Hispanics sich wegen

fehlender Integrationsunterstützung für eine Abspaltung

aussprächen, während die neoliberal gesonnenen Weißen aus

genau den entgegengesetzten Gründen, nämlich –aus ihrer Sicht-

zu viel staatlichen Ausgaben und zu viel staatlicher Einmischung,

abspalten wollen. Besagte neoliberale Weiße würden wohl die

vollständige Eigenständigkeit ihrer jeweiligen Bundesstaaten

anstreben, während die Hispanics die Angliederung dieser

Territorien an Mexiko fordern würden. Die Folge wäre

höchstwahrscheinlich nicht nur ein Streben nach Abspaltung von

der Zentralregierung in Washington, sondern auch eine scharfe,

eventuell bürgerkriegsähnliche, Auseinandersetzung innerhalb der

betroffenen Bundesstaaten zwischen den Hispanics mit dem

Bestreben sich Mexiko anzugliedern und den neoliberalen Weißen,

die eigenständige Staatsgebilde anstrebten.

32

Page 33: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

In solchen südlichen US-Bundesstaaten mit geringem Hispanics`

Anteil aber hohem Anteil an Afro-Amerikanern, würde der Wunsch

der neoliberalen weißen Mehrheit sich abzuspalten wahrscheinlich

mit dem Wunsch der Afro-Amerikaner kollidieren, bei der Zentral-

regierung in Washington zu verbleiben. Die Afro-Amerikaner

betrachten die Zuständigkeiten und Aktivitäten der Zentral-

regierung in den Bereichen Recht und Staatsausgaben als Garant

ihrer Bürgerrechte und als Voraussetzung zur weiteren Ver-

besserung ihrer Lebensverhältnisse. Sie haben kein Interesse an

einer Loslösung von Washington und würden sich derartigen

Bestrebungen wohl widersetzen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die fehlende

Integration der Hispanics und das zunehmende, von Afro-

Amerikanern abgelehnte, Streben der neoliberalen Weißen sich

von Washington abzuspalten zukünftig große Probleme für die

Stabilität der südlichen Bundesstaaten der USA hervorrufen

dürften.

2.8 Die kurzsichtige und unverantwortliche amerikanische

Energiepolitik

In den USA gefällt man sich sehr darin Pläne wie ein

Verteidigungssystem im Weltraum oder moderne Formen des

Cyber-War, also des Internetkrieges, auszuarbeiten. Was darüber

schnell vergessen wird ist, dass es einen Feind gibt, gegen den das

33

Page 34: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

ausgefeilteste Kriegssystem nichts auszurichten vermag: Die

Natur. Mit jedem Jahrzehnt werden Hurrikane und andere die US-

amerikanischen Küsten verwüstende Stürme stärker und stärker. In

einer paar Jahrzehnten könnten dies Stürme so stark geworden

sein, dass sie sogar so manche Atomrakete in ihrer Zerstörungs-

macht übertreffen. Obwohl Naturkatastrophen mit hoher

Wahrscheinlichkeit von Zeit zu Zeit ohnehin auftreten, so

verstärken die USA diesen Trend zweifelsohne sehr dadurch, dass

durch den hohen US-amerikanischen Verbrauch von fossilen

Energieträgern wie Gas, Erdöl oder Kohle die Erdatmosphäre sehr

verschmutzt und aufgeheizt wird. Dies wiederum beschädigt das

klimatische Gleichgewicht auf unserem Planeten und lässt die

Häufigkeit und Intensität verwüstender Stürme erheblich

ansteigen.

Bedauerlicherweise wird diese Tendenz eher zunehmen als

abnehmen. Noch im Präsidentschaftswahlkampf 2008 sprachen

sich beide Kandidaten, McCain und Obama, für die Förderung

alternativer Energien wie die Solarenergie aus. Dieser Trend ist nun

weitgehend passé, und die Bereitschaft, den Umweltschutz hinten

anzustellen, offenbart sich auf mehreren Gebieten.

Grundsätzlich hätte der gegenwärtige Präsident Obama –auch

ohne neue Gesetzgebung- das Recht die Industrie zum Einbau von

Abgasfiltern zu zwingen und so die Emission gefährlicher

industriellen Abgase erheblich zu senken.

34

Page 35: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Indes, er hat offensichtlich nicht den Mut dies zu tun, da er

Konflikte mit der Industrie und dem Kongress fürchtet. Die

Auswirkungen dieser Zurückhaltung sind auf dreifache Weise

negativ. Zunächst einmal wird eine Gelegenheit verpasst

Emissionen zu reduzieren, und somit angesichts des hohen

amerikanischen Anteils am Weltenergieverbrauch von 25 Prozent

das Weltklima zu stabilisieren. Zweitens hätte die Verpflichtung der

Industrie, Industriekamine mit Filtern nachzurüsten, auch ein

exzellentes, die Konjunktur ankurbelndes, Infrastrukturprogramm

bedeutet. Drittens hätten die USA, indem sie ihrer Industrie zum

Einbau solcher Filter verpflichtet hätten, auch Druck auf

Schwellenländer wie China, Russland, Indien oder Brasilien

ausgeübt, selbst mehr für den Umweltschutz zu tun. Diese

Schwellenländer neigen –genauso wie das vorherrschende

Politikverständnis in den USA- dazu, Wirtschaftswachstum über

den Umweltschutz zu stellen und sind nur dann zu Konzessionen

bereit, wenn insbesondere die USA selbst mit gutem Beispiel

vorangehen. Zwar scheint in leitenden politischen Zirkeln Chinas

die Einsicht zu wachsen, dass es mit diesem die Gesundheit der

eigenen Bevölkerung ruinierenden Primat des

Wirtschaftswachstums über den Umweltschutz nicht so weiter

gehen kann. Inwieweit sich diese Eliteneinsicht aber bald in mehr

chinesischem Umweltschutz widerspiegelt, bleibt abzuwarten.(8)

35

Page 36: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Bezeichnend für diese in beiden großen Parteien immer mehr um

sich greifende Tendenz, den Umweltschutz hintenanzustellen, ist

die fehlende Bereitschaft zu Förderung alternativer Energieformen,

insbesondere der Sonnenenergie. Angesichts des

Sonnenreichtums insbesondere in den Südstaaten der USA ist das

mehr als bedauerlich. Die dort gewonnene Solarenergie wäre nicht

nur vorzüglich fürs Heizen und zur Elektrizitätsgewinnung geeig-

net. Zusätzlich könnten über Energie-Pipelines diese Form der

Energie auch in die nördlicheren Teile der USA transportiert

werden. Weniger Abhängigkeit der USA von importiertem Erdöl

und besserer Umweltschutz wären die Folge.

Indes, Amerika hat momentan einen anderen Energieliebling. Sein

Name: Schiefergas. Zugegebenermaßen kann man diesem Liebling

-rein volkswirtschaftlich gesehen- gewisse Vorteile nicht ab-

sprechen. Schiefergas ist billig und reduziert auch die Abhängigkeit

von Ölimporten. Schiefergas ist sogar so billig, dass so mancher US-

amerikanischer Wirtschaftszweig die Wiedergewinnung der

eigenen Wettbewerbsfähigkeit im Windschatten niedriger

Energiepreise bejubelt. Auch ist Schiefergas für sich genommen

emissionsarm. Allein, die Gewinnung von Schiefergas gestaltet sich

weniger sexy. So ist es zur Gewinnung dieses Gases notwendig,

große Mengen von Wasser, Sand und chemischen Substanzen in

den Boden zu pumpen. Das beeinträchtigt nicht nur die Landschaft

36

Page 37: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

sehr, sondern vergiftet auch das Erdreich mit chemischen

Substanzen und könnte unter Umständen sogar krebsfördernd

sein. Im Gegensatz zur Solarenergie ist Schiefergas auch endlich.

Langfristig wäre Solarenergie also die bessere Alternative, aber im

Land der neoliberalen Kurzfristgier, also den USA, ist Nachhaltigkeit

eben kein besonders beklatschtes Wort.

Zugegebenermaßen hat Präsident Obama kürzlich ein Programm

vorgestellt, mit dem per Verordnung in den nächsten Jahrzehnten

die Industrieemissionen der USA um etwa 30 Prozent gegenüber

dem Niveau von 2005 gesenkt werden sollen. Indes ist es fraglich,

ob Obama, der dem Ende seiner Amtszeit entgegen strebt, für die

Durchsetzung dieser Ziele noch die nötige politische Autorität hat.

Dies gilt umso mehr, als in beiden Kammern des US-Kongresses

nun die solchen Plänen feindlich gegenüberstehenden

Republikanern die Mehrheit haben. In den ersten Jahren seiner

Präsidentschaft wäre dies noch anders gewesen. Da hatte Obama

noch die Aura des jugendlichen Siegers, der mit dem Schwung

seiner frisch unter Beweis gestellten jugendlichen Sieghaftigkeit

diese Dinge hätte durchsetzen setzen können. Außerdem

beherrschten seine Demokraten damals noch den Kongress. Beides

fehlt nun.(9)

37

Page 38: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

2.9 Zunehmende außenpoltische Aggressivität als Ventil für

innenpolitisches Scheitern

Innenpolitisches Scheitern wird mit allerhöchster

Wahrscheinlichkeit früher oder später zu einer übertrieben

aggressiven Außenpolitik der USA führen. Daran ändern auch die

Lippenbekenntnisse der momentanen Obama Regierung, man

wolle sich außenpolitische Abenteuer zukünftig ersparen, nichts.

Historiker und Soziologen nennen diese innenpolitisch bedingte

zunehmende außenpolitische Aggressivität den Ventil-

Mechanismus. Um vom innenpolitischen Scheitern und den damit

verbundenen Frust abzulenken, verschreiben sich größere

Nationen einer Außenpolitik die ihnen Ruhm und ökonomische

Vorteile einbringen soll.(10)

Erste Anzeichen zu einer solchen Form der Außenpolitik Marke

USA zeigen sich schon jetzt. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf

China, mit dem ständige Reibereien bezüglich Außenhandel,

angeblich künstlich unterbewerteter chinesischer Nationalwährung

und US-amerikanischer Überschuldung an der Tagesordnung sind.

Das US-amerikanische Politestablishment gibt sich dabei der

Illusion hin, man habe China mit einem Ring befreundeter -oder zu

mindestens kooperationsbereiter- Nationen wie Russland, Indien,

Japan oder Australien eingehegt und somit politisch ein Stück weit

neutralisiert. Für den Augenblick mag das sogar stimmen, aber es

ist mehr als fraglich, ob diese Einhegung auf Dauer funktionieren

38

Page 39: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

wird. China ist nicht so unvernünftig, denselben Fehler wie Japan

zu machen, das im 2.Weltkrieg verfrüht gegen die ökonomisch

übermächtigen USA losschlug. Peking kann warten und weiter

politisch und ökonomisch an Bedeutung gewinnen. Wenn China

dann in 30 oder 40 Jahren die USA –wie zu erwarten- politisch,

wirtschaftlich und ökonomisch abgehängt hat, ist ein siegreicher

militärischer Showdown mit den USA und ihren Verbündeten nicht

mehr ausgeschlossen (wenn es eines solchen Showdowns zur

Durchsetzung chinesischer Ziele überhaupt bedürfen sollte.) Auch

sind Zweifel an der langfristigen Verlässlichkeit und Bedeutung der

US-amerikanischen Verbündeten in Asien angesagt. So sind die

russisch-amerikanischen Beziehungen –siehe momentan Ukraine-

und auch die indisch-amerikanischen Beziehungen keineswegs

spannungsfrei. Im Gegenteil. Ein russisch-chinesischer und ein

indisch-chinesischer Ausgleich erscheinen deshalb trotz

Territorialstreitigkeiten möglich. Russlands Präsident Putin hat

angesichts zunehmender russischer Spannungen mit dem

westlichen Militärbündnis NATO vor kurzem eine verstärkte

militärische Kooperation mit China sogar als Ziel der russischen

Militärpolitik verkündet.

Australien und Japan wiederum sind Nationen auf dem

absteigenden Ast. Auch wenn sie es selbst noch nicht so recht

wissen sollten. Australien verliert ständig an Wettbewerbsfähigkeit

39

Page 40: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

und verschuldet sich trotz Rohstoffreichtum immer mehr.

Schlimmer noch: Australien droht eine der schlimmsten aller

ökonomischen Verführungshuren zu verfallen: Dem

Immobilienboom. Momentan profitiert die australische Wirtschaft

von diesem Boom noch. Wenn aber erst die Gegenbewegung

einsetzt und die Preise verfallen, könnte dies Australien in eine

gefährliche Rezession schlittern lassen. Spanien hat dies

vorgemacht. Wie Australien gefällt auch Japan sich im Schulden

machen und weist zudem seit Jahrzehnten nur geringe

ökonomische Wachstumsraten auf. Die niedrigen Zinsen für

japanische Staatsanleihen ermöglichen der Regierung in Tokio eine

solche Politik bis dato noch, aber was wird sein wenn ein jüngere,

tendenziell nicht mehr ganz so patriotische, Generation von

Japanern derartig niedrige Haben-Zinsen nicht mehr bereit ist zu

akzeptieren und ihr Geld in andere Zinsprodukte steckt. Ein gut

gemanagter Anleihefonds bestückt mit Anleihen japanischer

Unternehmen von guter Bonität etwa brächte zweifelsohne höhere

Zinsen bei vielleicht sogar noch höherer Rückzahlungs- sicherheit.

(11) Wie wird Japan dann seine Politik der großen

Haushaltsdefizite noch finanzieren können? Langfristig gesehen,

sind diese beiden Nationen deshalb nicht notwendigerweise

machtvolle! Verbündete der USA.

40

Page 41: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Kapitel 3:

Der Irrweg Europas

Dass auch die Verhältnisse in der Europäischen Union nicht zum

Besten stehen, ist allgemein bekannt. Als die Initialzündung,

welche die gegenwärtige Krise Europas ins Rollen brachte, kann

wohl die von den US-amerikanischen Neoliberalen zu

verantwortende Weltwirtschaftskrise 2008/2009 gelten. Die

tieferen Ursachen dieser Krise reichen aber weiter zurück.

3.1 Die verfrühte Euro-Einführung

Die Einführung der Gemeinschaftswährung Euro hatte viele

Gründe, und es waren nicht notwendigerweise die edelsten.

Insbesondere die Franzosen, aber auch andere EU-Länder, hatten

die starke Dominanz der Deutschen D-Mark brechen wollen und

deshalb nachdrücklich auf die Einführung einer europäischen

Gemeinschaftswährung gedrungen. Nicht wenige Südländer der

Europäischen Union hofften zudem, dass sich durch eine solche

Gemeinschaftswährung das Zinsniveau in ihren Ländern würde

absenken lassen. Eine Entwicklung, die auch eintrat, sich aber

nachträglich als ein zutiefst vergiftetes Geschenk erweisen sollte.

Die mit bedeutendste Kraft, die die Euro-Einführung puschte,

waren aber wohl die deutschen Neoliberalen aus der

Page 42: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

41

Ecke der wirtschaftsliberalen Partei FDP. Das Bankerklientel

dieser neoliberalen Kräfte erhoffte sich von der Euro-Einführung

noch bessere grenzüberschreitende Spekulationsmöglichkeiten.

Das Unternehmerklientel dieser Art von Menschen hoffte auf

leichtere grenzüberschreitende Verlagerungsmöglichkeiten von

Kapital, Arbeit und Produktionsstätten. Zudem gefiel dieser Art von

Menschen der Wegfall des für den Export deutscher Waren nicht

immer zuträglichen Wechselkursrisikos innerhalb Europas. Dieser

neoliberale Egoismus wurde von interessierter Seite dem Volk

noch als europäischer Idealismus verkauft. Nach dem Motto:

Deutschland bringt ein Währungsopfer für die europäische Idee.

Noch leichter zu beeinflussende Bevölkerungskreise ließen sich

überdies vormachen, dass durch die Euro-Einführung das Reisen

innerhalb Europas unkomplizierter, ja billiger werden würde.

Schließlich würden ja die ungeliebten Wechselkursgebühren nun

wegfallen. Was man diesen Kreisen indes nicht sagte war, dass die

Euroeinführung die Preise insbesondere in vielen

Tourismuszentren der beliebten Südländern der Europäischen

Union mindestens auf das zweifache ansteigen lassen würde, und

dass die Banken nun zwar keine Wechselkursgebühren für den

Geldumtausch dafür aber umso höhere Gebühren beim Abheben

42

Page 43: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

am ausländischen Bankautomaten verlangen würden. Natürlich

litten und leiden die einheimischen Bevölkerungen dieser Länder

an diesen massiven Preiserhöhungen selbst am meisten. Nur die

von diesen Preiserhöhungen profitierende neoliberale

Unternehmerschicht dieser Länder rieb sich die Hände.

Mögen die genannten Preiserhöhungen ein massives Ärgernis

sein, so fallen andere Faktoren noch erheblich schwerwiegender

ins Gewicht. Unter diesen Faktoren ist insbesondere das stark

abgesunkene Zinsniveau in vielen Ländern der EU zu nennen.

Dieses abgesunkene Zinsniveau hatte mehre negative Folgen. In

vielen Südländern der EU, aber auch in Irland, also Ländern mit

nicht übermäßig starken industriellen! Fundamenten, befeuerte

das niedrige Zinsniveau den Immobiliensektor. Baugeld war billig,

also hieß es bauen. Dieser Boom der Baubranche führte einerseits

dazu, dass Investitionen in andere, eventuell zukunftsorientiertere,

Wirtschaftsbereiche, vernachlässigt wurden, andererseits aber

auch dazu, dass eine hochgradig ungesunde Immobilienblase

entstand. Insbesondere die oft gerühmten Haushaltsüberschüsse

Spaniens bis 2007 hatten wenig Herkulessieghaftigkeit an sich,

sondern waren weitgehend diesem ungesunden Bauboom

geschuldet. Mit der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 brach dieses

Gebäude dann in sich zusammen. Es ist des Weiteren zu fragen, ob

das durch die Euro- Einführung bedingte niedrige

43

Page 44: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Zinsniveau in der EU nicht auch übertriebene Spekulation am

Aktienmarkt begünstigte.

Waren bis Anfang/Mitte der 1990-er Jahre in vielen EU-Ländern

selbst für vermeintlich! sichere Staatsanleihen noch Zinssätze von

10 Prozent und darüber erzielbar gewesen, fiel dieses Zinsniveau in

Folge der sich zu mindestens zunehmend schon abzeichnenden

Europäischen Währungsunion immer mehr ab. Für nicht wenige

Privatanleger –dem sogenannten kleinen Mann- machte diese

Entwicklung wohl Zinsen unattraktiv und Aktien sexy. Die große

Teile des europäischen Mittelstandes ruinierende, im Jahr 2000

dann platzende, Aktienmarktblase hat wohl auch darin eine ihrer

Hauptursachen.

Gravierend fällt auch der Wegfall der Abwertbarkeit des

Wechselkurses ins Gewicht. Bis zur Euro-Einführung hatten

insbesondere die Südländer der EU immer wieder davon profitiert,

ihre nationalen Währungen abwerten zu können und sich somit ein

Stück weit Wettbewerbsfähigkeit an den Weltmärkten

zurückerobern zu können. So hat etwa die große Abwertung der

italienischen Lira im Zuge der ECU-Krise von 1992 die Leistungs-

bilanz des Landes Italien in den nachfolgenden Jahren wieder

kraftvoll ins Plus drehen lassen. Gerade in der gegenwärtigen Krise

Europas bräuchten viele Nationen der EU eine solche Abwert-

barkeit ihrer Nationalwährung wieder. Allein: Es entspricht

44

Page 45: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

der Natur einer Währungsunion, dass es eine solche Möglichkeit

nicht mehr gibt, denn in einer Währungsunion gibt es ja keine

Nationalwährungen mehr.

Nicht zu unterschätzen ist auch die zunehmende nationale

Desintegration in manchen Staaten Europas. Eine eigene nationale

Währung ist immer auch ein Stück emotionales Band, das eine

Nation –zu mindestens ein Stück weit- zusammenhält. Nun, da

diese nationale Währungen weggefallen sind, zeigen sich in

Europa auch verstärkte Nationalkonflikte. Gewiss, Flamen und

Wallonen und Basken und der Rest der Spanier mögen auch vor

der Euro-Einführung schon ihre Konflikte gehabt haben. Indes, es

fällt doch auf, dass mit dem Wegfall der Nationalwährungen sich

Konflikte dieser Art noch erheblich intensiviert haben. Manchen

Obereuropäern mag dies nun gefallen. Weniger Nationalgehabe,

mehr Europa. Diese Rechnung geht indes nicht auf. Europa als Idee

hat nämlich in den Herzen der Menschen am allerwenigsten

Akzeptanz. Ein Aufbau einer gesamteuropäischen Identität –wenn

man eine solche in ihrer Reinform überhaupt will- kann nur in

einem sehr langfristigen Prozess von in sich gesunden nationalen

Fundamenten aus gelingen. Wo diese nationalen Fundamente

schon kränkeln, da wird die Brüsseler Eurokratie schon überhaupt

nicht punkten können. So gesehen, hat die überhastete Euro-

45

Page 46: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Einführung der europäischen Sache auch unter diesem

Gesichtspunkt erheblichen Schaden zugefügt.

In der Diskussion um die Euro-Einführung wird oft das Argument

gebracht, man habe das Pferd von hinten aufgezäumt. Eine

Währungsunion hätte eine politische Union vorausgesetzt, und

man hätte deshalb erst einen europäischen Gesamtstaat mit

einem europäischen Staatshaushalt unter Wegfall der

Eigenstaatlichkeit der einzelnen europäischen Nationen etablieren

müssen.

Diese Argumentation ist im Ansatz richtig, verfehlt aber irgendwie

den Kern der ganzen Materie. Bei Einführung des Euro waren die

emotionalen, wirtschaftlichen und sonstigen Fundamente für die

Einrichtung eines vollständigen! gesamteuropäischen Staates

nämlich einfach noch nicht gegeben. Allenfalls in weiteren 30-40

Jahren hätten sich diese Fundamente vielleicht nach und nach

herausgebildet. Man hätte also diesen Zeitraum noch abwarten

müssen, ehe man an eine annähernd zeitgleiche Einführung von

europäischer Gemeinschaftswährung und europäischen

Gesamtstaat gegangen wäre. Anfang unseres neuen Jahrhunderts

wäre dies jedenfalls noch nicht möglich gewesen. Der Euro ist

dementsprechend viel zu früh aus dem Boden gestampft worden.

3.2 Die fehlenden emotionalen Grundlagen Europas

Ein weiteres großes Problem Europas ist die fehlende emotionale

Verankerung Europas in der Bevölkerung. Politiker mögen sehr

46

Page 47: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

laut einfordern, dass der Durchschnittsbürger doch gefälligst

europäisch zu fühlen und zu handeln habe. In der Lebensrealität

aber fühlt sich die Masse der Menschen Europas eher ihren

jeweiligen eigenen Nationen und Regionen zugehörig. Das

Einfordern europäischer Mentalitäten seitens der Politiker wird da

eher als unerwünschte Bevormundung eingestuft, und die Fehler

Europas bei Euro-Einführung , Wirtschaftskrisen und anderen

Punkten machen Europaorientiertheit noch unbeliebter als sie

ohnehin schon war.

Unter diesen „anderen Punkten“ kommt der ständigen Er-

weiterungsleidenschaft der EU eine besondere Bedeutung zu. So

wurden in den letzten Jahren immer mehr Staaten Osteuropas in

immer kürzerer Zeit in die EU aufgenommen. Dies verhinderte eine

Konsolidierung der Europäischen Union, macht die

Entscheidungsfindung angesichts der größeren Zahl der EU-

Mitglieder schwieriger und schafft somit zusätzlichen emotionalen

Verdruss.

Erschwerend kommt noch die große Amerikaorientiertheit einer

gar nicht so kleinen Zahl von EU-Staaten hinzu. So herrscht in

vielen Staaten Osteuropas wie Polen oder der Tschechei unter der

Bevölkerung eine besonders große gefühlte Nähe zu den USA. Eine

emotionale Nähe, die deutlich ausgeprägter ist als zu Europa.

47

Page 48: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Dies gilt in noch höherem Maße für Großbritannien, das im

Zweifelfall stets eher auf Seiten der USA als auf Seiten der EU

steht, und immer lauter erwägt die Kooperation mit den anderen

EU-Mitgliedsstaaten auf ein Mindestmaß zu reduzieren.(11)

Kann die EU mit solchen gespaltenen Loyalitäten dauerhaft leben

und gedeihen? Fragezeichen sind zu mindestens angebracht und

weitere zukünftige Probleme zu mindestens vorprogrammiert.

3.3 Die unzureichende steuerliche Belastung der Reichen

Wie in den USA auch, ist ein Kernproblem der EU die

unzureichende Besteuerung der Reichen. Besonders deutlich wird

dies in Griechenland und Irland, die jeweils auf ihre Weise das

Problem der unzureichenden Besteuerung reicher Schichten und

Unternehmen repräsentieren. So schätzt der Chef der obersten

griechischen Steuerfahndungsbehörde die jährlichen

Steuerhinterziehungen in seinem Land auf etwa 40 Milliarden

Euro. Und dies bei einer Gesamtbevölkerung von lediglich um die

11 Millionen Menschen.(12) Gleichzeitig aber muss der griechische

Staat zur Bewältigung seiner Schulden massiv Ausgaben

zurückfahren und indirekte Steuern erhöhen, mit dem Ergebnis,

dass das griechische Bruttoinlandsprodukt massiv schrumpft, die

sozialen Gegensätze zunehmen, große Teile der Bevölkerung

gesundheitlich leiden, und man die Schuldenproblematik trotzdem

nicht in den Griff bekommt. Die Arbeitslosenrate in Griechenland

48

Page 49: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

liegt mittlerweile bei über 20 Prozent. Insbesondere die Jugend gilt

als verlorene Generation. Zu einer effektiven Steuereintreibung hat

man sich trotzdem noch nicht durchgerungen. Die Macht der

oberen Einkommensschichten, dies zu verhindern, ist offensichtlich

sehr groß. Als Folge dieser unzureichenden Belastung der oberen

Einkommensschichten unterbleiben dringend nötige Investitionen,

welche das Bruttoinlandsprodukt ankurbeln und somit Steuern und

Beschäftigung wieder ansteigen lassen könnten. Auf politischer

Ebene erhalten im Windschatten der sozialen Krise zudem

rechtsradikale Parteien Zulauf. Griechenland gilt deshalb in großen

Teilen der Forschung als nicht mehr rettbarer Patient. Als ein Land,

das mit seinen internen Krisen auch die europäische Entwicklung

und die Gemeinschaftswährung Euro immer wieder aufs Neue

belasten wird. Eine offene Wunde des Kontinents, die nie heilen

wird, und deshalb Europa dauerhaft schwächen muss. In –leicht-

abgemilderter Form existieren ähnliche Probleme auch in anderen

Südländern der EU wie Spanien, Portugal, Zypern oder Italien.

Eine andere Ausformung der unzureichenden steuerlichen

Belastung der reicheren Schichten stellt Irland dar. Der

Körperschaftssteuersatz beträgt dort lächerlich niedrige 12,5

Prozent. Eine Erhöhung dieses Satzes wird von der irischen

Regierung abgelehnt. Gleichzeitig aber haben gerade die irischen

Großbanken die Krise Irlands 2008/2009 durch verfehlte

49

Page 50: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Finanzgeschäfte hervorgerufen und das irische Gemeinwesen in

Unordnung gestürzt. Eine massive Neuverschuldung Irlands und

große Einschnitte im sozialen Bereich sind die Folge gewesen.

Auch das irische Bruttoinlandsprodukt ist massiv gesunken. Zwar

konnte in den Jahren 2014 und jetzt im Jahr 2015 erstmals wieder

ein Anstieg des Bruttoinlandsproduktes verzeichnet werden, doch

dies war dem boomenden irischen Export geschuldet. Nun aber

beginnen sich die wirtschaftlichen Aussichten in wichtigen

Industrie- und Schwellenländern wieder einzutrüben mit der Folge,

dass Irlands Exportindustrie Schaden nehmen dürfte.

Der angesprochene niedrige Körperschaftssteuersatz wird von

irischer Seite damit gerechtfertigt, dass dieser niedrige

Körperschaftssteuersatz nun einmal unerlässlicher Teil der irischen

Erfolgsstory sei, die darauf beruhe ausländische Unternehmen mit

niedrigen Steuersätzen nach Irland zu locken. Gleichwohl erhebt

sich die Frage, ob dies langfristig wirklich ein zukunftsträchtiges

Geschäftsmodell ist, und ob nicht zu mindestens eine beschränkte

Anhebung des Körperschaftssteuersatzes auf etwa 17,5 Prozent

der Insel einerseits weitestgehend ihre Attraktivität für

ausländische Investoren belassen würde, und andererseits auch

Geld für das Bruttoinlandsprodukt und irische

Wettbewerbsfähigkeit steigernde Investitionen in Infrastruktur und

Bildung in den Staatshaushalt brächte. Schließlich kann ja auch

Irland nur mit guter Infrastruktur und gut ausgebildeten

50

Page 51: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Fachkräften für Investoren -und auch die volkswirtschaftlich so

wichtigen Touristen- attraktiv bleiben. Billigheimersteuersätze

allein werden für eine nachhaltig positive wirtschaftliche und

soziale Entwicklung des Landes nicht reichen.

Eine zusätzliche Problematik der niedrigen irischen Unternehmens-

steuern besteht darin, dass die Verschuldung Irlands unter

Berücksichtigung staatlicher und privater Schulden bereits jetzt bei

etwa 600 Prozent des irischen Bruttoinlandsproduktes liegt, und

der irische Staat immer noch sich mit 3-4 Prozent des Brutto-

inlandsproduktes sich jährlich neuverschuldet. Diese

Schuldenexzesse aus bereits bestehender Hochverschuldung und

beträchtlicher Neuverschuldung sind nur dadurch momentan noch

finanzierbar, dass in Europa die Schuldzinsen insbesondere für

Kommunal- und Staatskredite auf einem historisch niedrigen

Niveau sind. Dies kann aber –auch wenn die Europäische

Zentralbank dies gern so hätte- kein Dauerzustand sein. Es wird der

Tag kommen, an dem die Republik Irland für ihre Staatsanleihen

nicht 1 Prozent jährlichen Zinssatz aufwenden muss, sondern 3,4

oder sogar mehr Prozent. Angesichts der bereits hohen irischen

Verschuldung und der auf diese hohe Verschuldung dann zu

entrichtenden erhöhten Zinssätze, dürfte dann eine irische

Staatsschuldenkrise großen Ausmaßes drohen. Durchaus eine Art

zweites Griechenland, dass seine Schuldenprobleme nicht mehr in

den Griff bekommt. Schon dieses fast unausweichlich drohende

51

Page 52: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Szenario geböte es, den irischen Staatshaushalt jetzt! endlich

durch höhere Unternehmenssteuersätze auszugleichen.

Wahrscheinlich aber flüstern egoistische neoliberale

Unternehmerkreise der Regierung in Dublin momentan noch

ebenso unzutreffend wie erfolgreich ins Ohr, dass schon die

kleinste Erhöhung des irischen Körperschaftssteuersatzes die

Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Irland gänzlich ruinieren

würde. Diese gierigen neoliberalen Elemente sind ja an niedrigsten

Steuersätzen hochgradig interessiert.

Vor diesem Hintergrund, ist es zweifelhaft, ob nicht auch Irland

-ähnlich wie Griechenland- mittelfristig zu einer Art kranken

Mann Europas herabsinken wird, dessen Gesellschaft mehr und

mehr alle Perspektiven einbüßt, und der immer wieder aufs Neue

seinen EU-Partnern zur politischen und wirtschaftlichen Belastung

gereichen wird.

3.4 Die falsche Energie- und Umweltpolitik

Als eine Hypothek für eine weitere Entwicklung der EU könnte sich

auch die verfehlte Energie- und Umweltpolitik erweisen. Besonders

problematisch ist dabei die Tatsache, dass jenseits der wohlfeilen

Lippenbekenntnisse Umweltschutz nicht als gesamteuropäische

52

Page 53: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Aufgabe begriffen wird. So haben sich nur zwei Nationen der EU,

nämlich Deutschland und Großbritannien, zur Reduzierung ihrer

Schadstoffemissionen in die Atmosphäre verpflichtet. Die in dieser

Frage töricht agierende deutsche Bundesregierung hat dies sogar

noch als eine Art erstrebenswerte deutsche Vorreiterrolle bejubelt.

In Wirklichkeit ist es aber nichts anderes als eine europäische Öko-

Katastrophe. Zum einen nämlich führt diese Situation dazu, dass

die große Mehrzahl der EU-Staaten sich gemäß der Devise „Lasst

das mal die Deutschen machen“ aus der Verpflichtung zum

Umweltschutz entlassen fühlt, und ein gesamteuropäisches

Umweltbewusstsein gar nicht erst entsteht. Mentalitätsmäßig ist

das absolut fatal. Zum anderen wären 10 Prozent

Emissionsreduzierung in jedem einzelnen EU-Staat natürlich auch

vom Ergebnis besser gewesen als ein Kraftakt in nur zwei Staaten

der EU. Zum anderen besteht bei einem solchen Kraftakt in nur

zwei Staaten der EU die Gefahr, dass sich die dortige Bevölkerung

von Umweltauflagen überfordert fühlt , und der Umweltschutz

zunehmend diskreditiert wird.

Nicht minder problematisch ist, wie der verstärkte Umweltschutz

in der EU realisiert werden soll. Großbritannien beispielsweise

–und die EU-Kommission in Brüssel klatscht dabei noch kräftig

Beifall- strebt die Reduzierung von schädlichen Emissionen durch

den vermehrten Einsatz von Kernkraftwerken an, und in

53

Page 54: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Frankreich erfreuen sich Kernkraftwerke seit jeher großer

Beliebtheit und Akzeptanz. Nun ist Energie aus Kernkraftwerken in

der Tat billig und erzeugt wenig Emissionen. Problematisch aber

ist die Endlagerung der Kernbrennstäbe. Außerdem –Tschernobyl

und Fukushima haben es gezeigt- ist bei einem Unfall in

Kernkraftwerken sofort eine große Zahl von Menschen in Gefahr.

Zu mindestens langfristig sollte die Kernkraft deshalb als

Auslaufmodell betrachtet werden, und nicht von vielen EU-Staaten

und den Eurokraten in Brüssel als Königsweg zu billigem und

emissionsarmem Strom.

Das andere –und fast ebenso problematische- Extrem in Europa ist

der Deutsche Weg. Dieser Deutsche Weg zeichnet sich durch die

tatkräftige Förderung alternativer Energieträger aus. Besonders die

Solarenergie hat es den Deutschen dabei angetan. Sonne steht für

Fortschritt, Wärme und Frieden. Das sich idealistisch und

fortschrittlich gerierende germanische Naturell schätzt so etwas,

und so pumpt man denn Jahr für Jahr Milliarden in die Förderung

der Solarenergie. Allein, die germanischen Gefilde sind nicht

besonders sonnengesegnet, und so steht einem hohen finanziellen

Aufwand ein verhältnismäßig bescheidenes Resultat bei der Menge

der aus Sonnenstrahlen erzeugten Energie gegenüber. Besser wäre

es da wohl die vielen jährlichen Milliarden in langlaufende und

zinsmäßig günstige staatliche Kredite zu stecken, mit denen Otto

54

Page 55: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Normalverbraucher sein Haus sozialverträglich energetisch

sanieren könnte. Der dadurch eingesparte Energieverbrauch würde

die Menge der durch Sonnenkollektoren erzeugten Energie wohl

deutlich übertreffen. Auch das deutsche Handwerk würde von

solchen Maßnahmen besonders profitieren, wodurch auch für

Arbeitsmarkt und Volkswirtschaft große Vorteile entstünden. Aber

nein, Germanien liebt nun mal die ihm strahlungsmäßig wenig

gnädig gesonnene Sonne, und der Irrweg wird fortgesetzt.

3.5 Die geschönte Inflationsrate

Nicht nur bezüglich der USA sondern auch Europas ist es

umstritten, ob die offizielle Inflationsrate wirklich das Ausmaß der

Preissteigerungen hinreichend widerspiegelt. Ob die etwa in

Deutschland in letzter Zeit verstärkt zu hörende Aussage, ehrbare

Mitarbeiter des statistischen Bundesamtes würden kündigen, weil

sie sich nicht mehr länger an etwaigen beschönigenden

Manipulationen beteiligen wollten, den Tatsachen entspricht,

vermag ich nicht zu beurteilen. Gleichwohl bleiben aber Zweifel, ob

die Gewichtung von Faktoren wie Energie und Lebensmittel im

Warenkorb der Statistikämter stark genug ist, und ob die

europaweit betriebene sogenannte hedonistische Berechnung der

Inflationsrate fair ist. Die hedonistische Berechnung der

Inflationsrate –von Hedonismus „Genuss“- bewertet den

technischen Fortschritt inflationsmindernd. Ist etwa ein Computer

preislich gegenüber dem Vorjahr gleich geblieben, aber

55

Page 56: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

beispielsweise 10 Prozent besser ausgestattet beziehungsweise

schneller, so gehen die europäischen Statistikämter –wie übrigens

auch das amerikanische Statistikamt- von einer Preisreduzierung

aus. Der Kunde erhalte ja schließlich mehr fürs gleiche Geld. Vieles

ist an dieser Verfahrensweise problematisch. Zum einen missfällt,

dass in beamteten Amtsstuben der Statistikämter ausbaldowert

wird, wie viel man wegen derartiger technischer Aufwertungen von

der tatsächlichen Preissteigerung inflationsmindernd abziehen

darf. Sonderlich transparent ist das ganze Verfahren für die

Bevölkerung nicht, und wer kann angesichts dieser Intransparenz

Manipulationen und Missbrauch schon gänzlich ausschließen? Des

Weiteren erhebt sich bei der hedonistischen Variante der

Inflationsberechnung die Frage, warum Verbesserung

inflationsmindernd, Verschlechterungen aber nicht

inflationssteigernd angerechnet werden. Ein Mietshaus wird mit

den Jahren seiner Existenz sicherlich -trotz merklicher

Mietsteigerungen- durch Abnutzung qualitativ schlechter. Warum

wird eine solche Verschlechterung nicht zusätzlich zur normalen

Mietpreissteigerung inflationssteigernd gewertet? Gleiches gilt

etwa bei sich zunehmend abnutzenden Transportmitteln wie Taxis

oder Verkehrsflugzeugen. Zum dritten erhebt sich die Frage, ob

technischer Fortschritt nicht ein natürlicher Prozess ist, der

überhaupt nicht inflationsmindernd gewertet werden sollte.

56

Page 57: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Zu guter Letzt muss diskutiert werden, ob die offizielle

Inflationsrate –selbst wenn sie denn stimmen sollte- die soziale

Brisanz der Preisentwicklung der letzten Jahre hinreichend wider-

spiegelt. Für 50-60 Prozent der Bevölkerung sind Kostenpunkte

wie Energie, Mieten, Spritpreise und Lebensmittelpreise nun mal

die Faktoren, welche einen Großteil ihres Haushaltsbudgets

ausmachen. Die erheblichen Preissteigerungen der letzten Jahre in

gerade diesen Bereichen werfen somit für die breite Masse der

Bevölkerung erhebliche Probleme auf, auch wenn dies in der

offiziellen Inflationsrate -rein statistisch korrekt- nicht zum

Ausdruck kommen sollte. (Wohlgemerkt, wenn denn überhaupt in

den Statistikämtern korrekt und fair gerechnet wird!) Dies führt

uns zum nächsten Punkt, nämliche dem Problem des

zunehmenden sozialen Auseinanderdriftens der Gesellschaft.

3.6 Die Entwertung der Alten und sozial Schwachen

Einher mit der zunehmenden Neoliberalisierung der europäischen

Gesellschaften ging eine Entwertung der Alten und sozial

Schwachen. Diese Entwertung vollzog sich sowohl einkommens-

mäßig, als auch emotional und gesundheitlich. So sind in Folge der

Wirtschaftskrise von 2008/2009 in allen Krisenstaaten Europas

Renten, Löhne und Sozialleistungen gekürzt worden. Das

alternative Modell, Steuervermeidung der Reichen abzustellen,

oder –wie es im Falle Irlands angebracht gewesen wäre- die

Steuern für diese Bevölkerungsgruppe zu erhöhen,

Page 58: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

57

hat nahezu überhaupt keine Umsetzung erfahren.

Bezeichnenderweise, wurden die Preise für Güter trotz dieser

Lohn-, Renten-, und Sozialleistungskürzungen nicht abgesenkt,

obwohl diese Absenkungen auf der Arbeitskostenseite für das

neoliberale Unternehmerklientel eigentlich auch Preissenkungen

ermöglicht haben sollte. In vielen Ländern der Europäischen Union

resultierten aus der Wirtschaftskrise darüber hinaus psychische

und physische Erkrankungen der unterprivilegierten Schichten. In

Deutschland beispielsweise gilt jeder 3. Hartz-IV Empfänger als

psychisch angeschlagen, und auch in Griechenland leiden große

Bevölkerungsteile krisenbedingt an Krankheiten.(13) Selbst in

Deutschland, mit seiner im 21.Jahrhundert intakt gebliebenen

Wettbewerbsfähigkeit, hat es große soziale Verwerfungen

gegeben. So gehört es mittlerweile zur Standardeinstellung der

tonangebenden Schichten, dass deutsche Rentner keine die

-offizielle- Inflationsrate ausgleichende Rentenerhöhung

bekommen sollen. Im Westen Deutschlands sind deshalb seit der

Jahrhundertwende die Renten nur um insgesamt etwa 10 Prozent

angestiegen, während die Preissteigerung ungefähr 25 Prozent

betrug. Die Ostrentner erzielten zugegebenermaßen erkennbar

bessere Rentenerhöhungen, aber Ost- und Westdeutschland

zusammengerechnet glichen die Rentenerhöhungen eben doch

nicht die Preissteigerung aus.

58

Page 59: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Diese Verschwörung gegen die Rechte der Alten ist einem Bündnis

aus neoliberalen Wirtschaftskreisen und gierigem deutschen

Beamtentum geschuldet. Die neoliberalen Wirtschaftskreise

Deutschlands reden dabei der Rentenstagnation das Wort, da sie

ihre Kosten minimieren und ihre Gewinne maximieren wollen. Sie

selbst müssen –zu ihrem mehr als großen Leidwesen- schließlich

ja auch Beiträge in die staatliche Rentenversicherung einzahlen.

Ihre jüngeren Mitarbeiter hetzen sie dann mit dem Argument der

Generationengerechtigkeit gegen die Rentnergeneration auf.

Dieses perfide Argument der Generationengerechtigkeit besagt,

dass wenn die Renten –angeblich- zu sehr steigen, die Jüngeren

für die Alten zu viel in die Rentenversicherung einzahlen müssten.

Außerdem würden die Jüngeren bei ihrem eigenen Renteneintritt

bei Weitem nicht das Rentenniveau der jetzigen Rentner-

generation erreichen. Dies sind -auch aus der Sicht eines erst 48-

jährigen Mannes wie mich- bösartige Argumente. Zum einen ist es

nämlich sozial vollkommen unerträglich insbesondere die

Westrentnergeneration durch Minirentenerhöhungen unterhalb

der Inflationsrate innerhalb der nächsten 2 Jahrzehnte in die

Kaufkraftarmut zu treiben. Zum anderen gibt es ja gerade für die

noch arbeitende jüngere Generation mit erheblichem staatlichen

Aufwand geförderte private –und somit Rendite

erwirtschaftende!- Altersvorsorgemodelle wie Riesterrente oder

Rüruprente. Altersvorsorgemodelle, die das Absinken der späteren

staatlichen Rente mehr als ausgleichen sollten. Es ist mehr

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Page 60: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

als unlauter, wenn die jüngere noch arbeitende Generation sich

diese erhebliche staatliche Förderung für den Aufbau einer

privaten Altersvorsorge einstreicht, der jetzigen Rentnergeneration

aber, die von solcher Förderung noch nicht profitieren konnte,

vorwurfsvoll das Recht auf angemessene Rentenerhöhungen in

Abrede stellen will. Darüber hinaus sind durchaus –wie ich weiter

unten in einem anderen Kapitel erläutern werde- Modelle einer

staatlichen Rentenversicherung denkbar, die diesen

Interessensgegensatz zwischen Jung und Alt auflösen könnten.

Wie bereits angedeutet, ist auch das deutsche Beamtentum Teil

dieser Verschwörung gegen die jetzige Rentnergeneration. In

deutschen Amtsstuben hat man einfach Angst, dass bei

angemessenen Rentenerhöhungen nicht mehr genügend

Staatsgeld für die eigene üppige Staatspension übrigen bleiben

könnte, beziehungsweise die in den letzten Jahr aus

Beamtenpensionärssicht durchaus erklecklichen prozentualen

Pensionserhöhungen zukünftig bescheidener ausfallen könnten.

Die Erhöhung der Beamtenpensionen lag in den letzten Jahren

nämlich durchaus bei um die 3 Prozent jährlich. Insbesondere für

einen deutschen Westrentner muss das schon fast wie eine

paradiesische Fata Morgana außerhalb der eigenen Reichweite

anmuten. Um diese Beamtenprivilegien auch zukünftig

60

Page 61: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

zu sichern, hat die in solchen Fragen ja immer besonders stilsicher

und humanitär wertvoll veranlagte höhere Beamtenschaft im

deutschen Finanzministerium Ende 2012 schon einmal die

Möglichkeit durchgespielt, der kleinen Witwenrentnerin die

Witwenrente noch weiter zu kürzen, getreu der Devise „Lieber die

Kleinrentnerin als den eigenen Beamtenstand bluten lassen“.

Allein, es standen Wahlen auf Bundesebene an, und der zuständige

Minister Schäuble traute sich deshalb noch nicht bei der

Rentnergeneration zuzubeißen.(14) Ob das so bleiben wird, gilt es

abzuwarten.

Die Allianz aus Neoliberalismus und Bürokratentum beeinflusst

aber nicht nur die Gesundheit und die materiellen Fundamente der

sozial schwächeren Bevölkerungsschichten. In Deutschland, dem

wohl zur Zeit mit Abstand ökonomisch stärksten Land der EU,

hat man sich mit der sogenannten Hartz- IV Gesetzgebung ein

Instrument geschaffen, um die arbeitende Bevölkerung willfähig

zu halten und auf den Arbeitsmarkt Druck auszuüben. Wer eine

gewisse Zeit in Deutschland arbeitslos gewesen ist, rutscht ab in

Hartz-IV. Als Resultat davon droht ihm –bevor er weitere staatliche

Unterstützung erhält- der Verlust der eigenen Immobilie, die

Verpflichtung bei Sanktionsdrohung jeden noch so niedrigen Job

anzunehmen und der Unterdrückungsapparat der oft willkürlich

und inhuman agierenden Jobcenter, die gehalten sind, Kosten

61

Page 62: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

zu drücken. Menschen wieder in Arbeit zu bringen war dabei wie

gesagt –trotz der verlogenen Lippenbekenntnisse von Politik,

Bürokratie und Wirtschaft- nie das eigentliche Ziel. Stattdessen

lassen sich drei Zielsetzungen/Funktionen der Hartz-IV

Gesetzgebung ausmachen. Zum einen diente Hartz-IV als Peitsche,

um die noch Arbeit habende Mehrheitsbevölkerung

einzuschüchtern, damit sie sich dem Diktat neoliberaler

Unternehmerkreise und dem Wunsch der Bürokratie nach harten

Arbeitsmarktreformen nicht widersetzte. Dieser Rechnung ist

aufgegangen. Die zweite Zielsetzung von Hartz- IV, die Drückung

der staatlichen Kosten für Arbeitslose und sozial schwache

Menschen, ist indes gescheitert, da das Hartz IV System

mittlerweile deutlich teurer ist als das Vorgängersystem.

Gleichwohl aber ist es den interessierten Kreisen aus Neoliberalen

und staatlichen Bürokraten gelungen, ein Unterdrückungssystem

zu installieren, das insbesondere die betroffenen Hartz-IV

Empfänger in unzumutbarer Weise knechtet und entrechtet.

Zugleich begünstigt die Hartz-IV Gesetzgebung diskriminierende

Günstlingswirtschaft. So hat es wohl Fälle gegeben, bei denen die

Bewilligung der Heizölmenge davon abhängig gemacht wurde, wie

sehr ein Hartz-IV Empfänger bei der Leistungsabteilung eines

Jobcenter beliebt war, oder Fälle, bei denen gut gelittene Hartz-IV

Empfänger auch dann nicht mit Sanktionen belegt wurden, wenn

sie ihre gerade erst angetretene sozialversicherungspflichtige

Arbeitsstelle einfach aufgaben, weil ihnen der Hartz-IV Bezug

Page 63: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

62

lieber war als eine arbeitsintensive, aber unterm Strich nicht

wesentlich besser entlohnte, Vollzeitstelle. Nun mag

Günstlingswirtschaft dieser Art nicht in jedem Jobcenter

Deutschlands angesagt sein. Die genannten Beispiele zeigen aber

indes sehr gut, dass das Hartz-IV System –zusätzlich zu seiner

gewünschten Funktion der Einschüchterung und Disziplinierung

der arbeitenden Mehrheitsbevölkerung- Raum für

unterdrückerische, menschenverachtende und diskriminierende

Günstlingswirtschaft lässt, und somit mit den Gepflogenheiten

eines gerechten und fairen sozialen Rechtsstaats strukturell nicht

in Einklang zu bringen ist. Neben den beiden genannten

Zielsetzungen Einschüchterung und Disziplinierung der arbeitenden

Mehrheitsbevölkerung und –fehlgeschlagener- Kostendrückung,

hat sich mittlerweile eine dritte Funktion der Hartz-IV

Gesetzgebung herausgeschält: Das Divide-et-Impera-Prinzip. Zu

deutsch: Das Teile- und-herrsche- Prinzip. Durch die

Verabschiedung der Hartz-IV Gesetzgebung entstand nämlich mit

den Hartz-IV- Empfängern eine Art 2.Klasse von Arbeitslosen.

Menschen die –wenngleich zu Unrecht- pauschal als faul und

wertlos diffamiert werden konnten und auch auf diese Weise

diffamiert wurden. Diese Diffamierung von Hartz-IV Empfängern

ermöglichte es der tonangebenden neoliberalen (Pseudo-) Elite

63

Page 64: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

einen Keil in die von Arbeitseinkommen abhängige Mehrheits-

bevölkerung zu treiben. Ungefähr nach dem Motto: Ihr werdet

euch doch nicht mit diesem Pack wertloser Hartz-IV Empfänger

gemein machen und solidarisieren. Auf diese Art und Weise wird

verhindert, dass normale Arbeitstätige, Arbeitslose und Hartz-IV

Empfänger sich gegen die Auswüchse des Neoliberalismus

solidarisieren und gemeinsam vorgehen. Die Schlagkraft der

Mehrheitsbevölkerung gegen den Neoliberalismus wird auf diese

Weise geschwächt und die Herrschaft des neoliberalen Systems

gekräftigt. Teile und herrsche eben. Seit dem Altertum ein

bewährtes Prinzip der herrschenden Schichten.

Vor dem Hintergrund dieser verderblichen Auswüchse des Hartz-IV

Systems bleibt deshalb zu hoffen, dass die von der ein oder

anderen europäischen Regierung bereits angedachte Übernahme

dieses deutschen Hartz-IV Systems nicht in die Praxis umgesetzt

wird. Auch dann nicht, wenn dies –wie in Deutschland geschehen-

die Arbeitslosenrate auf dem Papier drücken sollte.

3.7 Die Edathy-Affäre und die Verschwörung an den Rändern

In Deutschland, dem ökonomisch stärksten und

bevölkerungsreichsten Land der EU, wird momentan etwas

praktiziert, was Vorbildfunktion haben könnte für den Rest der EU:

Eine große Koalition. Eine solche große Koalition könnte eine Stück

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Page 65: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

weit die Überwindung jener Extreme sein, die wir beginnend mit

den 1960-er Jahren hatten. Zuerst übertriebener Links-Sozialismus,

der wenig Rücksicht auf Staatsbudget, ökonomische Realitäten

aber auch wichtige gesellschaftliche Aspekte wie intakte Familien-

strukturen und –ja ein schreckliches Wort für viele Linke- eine

gewisse Sozialdisziplin und Recht und Ordnung nahm. Dann -als

Reaktion darauf- in den 1980-er Jahren der in der Summe noch

ungleich zerstörerischere Neoliberalismus, der die Gesellschaft

sozial spaltete, in vielen Ländern das Staatsbudget ebenfalls durch

Steuersenkungen für die Reichen ruinierte, von Umweltschutz

wenig hielt, und in seiner ultralibertären Ausformung Marke FDP

mit Privatorgien, Partnertausch und Haschischsitzungen genauso

viel anzufangen wusste wie gewisse Personen auf dem extrem-

linken Spektrum der Gesellschaft. Eine große Koalition wie die

momentane im hochwichtigen Land der EU Deutschland könnte

deshalb die Gesellschaft zu ihrer ausbalancierten Mitte

zurückführen. Mehr soziale Gerechtigkeit als zuvor, aber eben auch

keinen miefig-unverantwortlichen Links-Sozialismus der zuvor

beschriebenen Art. Sensibilität für den Umweltschutz ja, aber

nicht die fast schon ökofaschistisch anmutenden Instinkte des öko-

alternativen Spektrums´ der Gesellschaft. Zudem könnte eine

solche große Koalition gerade in diesen schwierigen Zeiten über

ihre große parlamentarische Mehrheit Deutschland ein sehr hohes

Maß an politischer Stabilität verleihen. Alles dies ist in der

Geschichte Deutschlands und Europas im 20.Jahrhundert

65

Page 66: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

keineswegs immer selbstverständlich gewesen, und bisweilen war

der für das Fehlen solcher Strukturen zu zahlende politische und

gesellschaftliche Preis unerträglich hoch.

Wohlgemerkt könnte! eine solche Große Koalition dies leisten.

Dass man am linken und rechten Rand einer solchen Großen

Koalition gerne andere Bündnisvorlieben gehabt hätte, ist normal

und verschmerzbar. Weniger akzeptabel ist, wie an den politischen

Rändern versucht wurde -und versucht wird- Einzelaffären wie die

sogenannte Edathy-Affäre gegen das vorbildhafte Modell einer

großen Koalition zu instrumentalisieren. Der bis vor kurzem noch

als SPD-Bundestagsabgeordnete fungierende Edathy wurde der

Verwicklung in kinderpornographische Machenschaften

beschuldigt sowie später verurteilt, und es erfolgten im

Zusammenhang mit dieser Affäre auch schon mehrere Rücktritte.

Besonders in den Reihen der neoliberalen FDP versuchte man nun

–unter anderem durch Anzeigen gegen Politiker und andere

Verantwortliche- die Affäre auszuschlachten, um die große

Koalition zu lähmen, eventuell sogar zu zerstören. Das Kalkül war

klar: Sollte die deutsche große Koalition sich als erfolgreich und

handlungsfähig erweisen, hätte das Vorbildfunktion auch für

andere Staaten Europas, und neoliberaler Geist und neoliberale

Koalitionspartner hätten in Europa noch weniger zu melden, als

dies ohnehin momentan schon der Fall ist. Aber auch am linken

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Page 67: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Spektrum fürchtete man den Erfolg einer solchen großen Koalition

der Mitte. Auch Links-Sozialismus und übertriebener Ökologismus

Marke deutsche Grünen hätten dann als Koalitionsoption ein Stück

weit abgewirtschaftet.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:

Ökologiebewusstsein und soziale Gerechtigkeit sind hochwertvolle

moralische Güter. Aus taktischen Gründen wähle ich sogar des

Öfteren die Partei „Die Linke“, weil ich mir eine starke anti-

neoliberale Stimme im Parlament wünsche. Die fehlende

ökonomische Kompetenz dieser Partei, ihre oft übertrieben

sozialistischen Vorstellungen, und auch ein gewisser

Wertneutralismus in Fragen von Familie und Rechtsstaat lassen es

mir indes unangebracht erscheinen, dass diese Menschen in

Deutschland mitregieren.

Die Grünen wiederum mögen für den Umweltschutz viel getan

haben. Indes, es fehlt mir die Balance zwischen dem Sozialen und

der Ökologie. Wer selbst Kleinrentnerin Erna per Gesetz die

70000-Euro teure energetische Vollsanierung ihres selbstgenutzten

Einfamilienhauses aufzwingen will, der hat vor lauter Ökologismus

ganz offensichtlich das Soziale vergessen. Ökologie ja, aber mit

Augenmaß!

Glücklicherweise ist besagter Versuch, die Edathy-Affäre zur

Beschädigung der Großen Koalition zu instrumentalisieren,

67

Page 68: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

mittlerweile misslungen, und es bleibt zu hoffen, dass die

genannten Kreise an den Rändern der Gesellschaft in ihrem

Bemühen auch spätere Kleinaffären diesbezüglich zu

instrumentalisieren, scheitern werden. Ihr Erfolg wäre für

Deutschland und Europa fatal.

3.8 Die Gefahr einer Untergrabung der demokratischen Kultur

durch neoliberale Show- und Glitzereffekte

Der langjährige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi

hatte es vorgemacht. Der Wahlkampf dieses Mannes, der vielfach

als Konservativer bezeichnet wurde, in Wirklichkeit aber eher ein

neoliberaler Milliardär mit hedonistischen Lebemanninstinkten

war, hatte sich oft mehr durch Showeinlagen als durch Substanz

ausgezeichnet. Hilfreich war dies für ihn persönlich lange Zeit

durchaus gewesen. Die Würde der politischen Kultur Italiens indes

hatten diesen Showeinlagen langfristig eher beschädigt.

Dasselbe gilt für die neoliberale deutsche Partei FDP. Selbige

befand sich zur Jahreswende 2014/2015 kräftig im Umfragekeller,

verfügte aber über Spitzenkandidatinnen von gewisser physischer

Attraktivität. So verfiel man auf die Idee diese physischen

Damenreize kräftig zu Marke zu tragen. Die Hamburger

Spitzenkandidatin Katja Suding ließ sich erst mit viel Bein

öffentlichkeitswirksam ablichten. Anschließend gab sie noch eine

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Page 69: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

halb-sexy Eistanzeinlage mit zwei anderen FDP-Damen. All dies

öffentlichkeitswirksam abgebildet in einer Hochglanzzeitschrift des

Namens Gala. Und siehe da, Suding zog mit den ihren in der Tat ins

Hamburger Stadtparlament ein. Ihrer Mitstreiterin bei besagter

Eistanzanlage gelang ein paar Monate später ähnliches mit der FDP

des Stadtstaates Bremen. Es fehlte nicht an Kritik an derartigen

oberflächlichen Wahlkampfmethoden. Gelegentlich fiel sogar das

Wort Tittenwahlkampf. Indes, an besagten FDP-Damen prallte

diese Kritik vollständig ab. Der Glamourfaktor in ihrem Wahlkampf

sei, so die Argumentation der beiden Damen, doch nur der

Aufhänger gewesen, mit Hilfe dessen man anschließend die ach so

edlen neoliberalen FDP-Botschaften wie Bildung, Wirtschafts-

investitionen, Hafenausbau oder Verkehrsbeschleunigung unter

das Volk gebracht habe. Diese Argumentation ist eben so wohlfeil

wie hinterhältig. Man stelle sich nur einmal vor, alle anderen

Parteien in Deutschland würden zwecks Aufmerksamkeits-

steigerung auch Showwahlkampf betreiben. Die Verachtung breiter

Bevölkerungsschichten für die demokratische Parteien würde

zunehmen, und das Ansehen der Demokratie und die

Wahlbeteiligung würden weiter abnehmen. Der Schaden für die

politische Kultur in Deutschland wäre immens. Die Lehren, die aus

den neoliberalen Showeinlagen von Suding & Co. zu ziehen sind,

liegen auf der Hand: Neoliberaler Showwahlkampf darf sich an der

Wahlurne nicht mehr auszahlen. Ansonsten droht der politischen

Kultur der größten Demokratie der EU nachhaltiger Schaden.

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Page 70: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Noch schwieriger als dem neoliberalen Glitzerwahlkampf

beizukommen ist einer anderen Erscheinung neoliberaler

Beeinflussung: Der Beeinflussung politischer Entscheidungsträger

durch die neoliberale Festivitätskultur. Politische

Entscheidungsträger sind selbstverständlich darauf angewiesen,

sich mit den in ihrer Mehrheit neoliberalen Wirtschaftslenkern

meinungsmäßig auszutauschen. Nicht selten bilden die glanzvollen

Feste dieser Wirtschaftslenker den Rahmen für einen solchen

Informationsaustausch. Es fehlt bei diesen Festen nicht an

gefälligen Musikdarbietungen, edlem Ambiente, edlen Speisen,

gutgekleideten und gutgelaunten Menschen und schönen Frauen.

Es liegt auf der Hand, dass derartige prächtige Feste dem

Menschenherz -und somit auch dem Politikerherz- emotional

näher liegen als die Beschäftigung mit Hartz-IV oder den

Problemen der sozial Schwachen. Dies wiederum birgt die Gefahr,

dass sich Politiker durch den gute Laune-Faktor auf den glanzvollen

Festen dieser Reichen für deren Zwecke vereinnahmen lassen, und

die Interessen der übrigen Bevölkerungsschichten hinten angestellt

werden. Soweit darf es aber nicht kommen. Bei aller Attraktivität

- und der daraus resultierenden potentiellen Beeinflussungskraft-

dieser Feste muss stets klar sein, dass neoliberaler Glitter dieser

Art auf politische Entscheidungen nicht unangemessen abfärben

darf. Ob dieser Imperativ aber immer gewahrt bleibt, ist fraglich.

70

Page 71: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

3.9 Der zunehmende Gegensatz zwischen Europa und

nationalistischen Strömungen in der Krisenstaaten der

Europäischen Union

Ein weiterer Punkt, welcher der Entwicklung Europas zum

Verhängnis werden könnte, ist der zunehmende Gegensatz

zwischen Europa und nationalistischen Strömungen in den

Krisenstaaten der Europäischen Union. Diese nationalistischen

Strömungen sind keineswegs nur rechtskonservativ oder gar

rechtsopportunistisch, sondern werden -wie etwa im Falle

Griechenlands- sogar von linken Strömungen repräsentiert.

Seltsamerweise scheint dabei die Abneigung dieser linken

Gruppierungen gegenüber Europa und den befreundeten

europäischen Staaten größer zu sein als gegenüber den eigenen

neoliberalen Besserverdienervolksschichten. Ein extremes Beispiel

hierfür ist Griechenland.

Bis das die linke Syriza Partei die griechischen Parlamentswahlen

gewann und nun den Premierminister stellt, stand die Bekämpfung

der Steuerhinterziehungsinstinkte der neoliberalen Oberschicht

weit oben auf Syrizas Prioritätenliste. Nach ihrem Wahlsieg

verlagerten sich Syrizas Prioritäten eher darauf, von den

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Page 72: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

europäischen Partnerländern Schuldennachlässe und ähnliches zu

verlangen. Von effektiver Steuereintreibung beim oberen

Einkommensdrittel der griechischen Bevölkerung war nicht mehr

sonderlich die Rede. Selbst die Hilfsangebote europäischer

Regierungen an Griechenland, bei der Eintreibung griechischer

Steuerfluchtgelder auf europäischen Konten behilflich zu sein,

fanden wenig Gehör in Athen. All dies lässt nur den Schluss zu, dass

Syrizas Sympathien für die neoliberalen Steuerbetrüger in der

eigenen griechischen Bevölkerung größer sind als die Sympathien

dafür, die griechischen Schulden bei den internationalen

Geldgebern zu bezahlen. Sprich: Lieber Europa in Form eines

Schuldenerlasses für Griechenland bluten lassen als die

Steuervermeidungsinstinkte der eigenen griechischen Reichen

energisch zu bekämpfen. Alternativ ist es natürlich auch möglich,

dass die Syriza-Regierung es sich nicht traut, sich auf einen Konflikt

mit machtvollen neoliberalen Kreisen im eigenen Land einzulassen.

In jedem Fall eine höchst unbefriedigende europafeindliche

Stoßrichtung der Politik einer linksorientierten! Regierung.

Insofern sich die von Syriza geführte Regierung überhaupt daran

macht, sich neue Einnahmequellen zu erschließen, vermögen

derartige Versuche wenig zu überzeugen. So wurde sowohl die

Mehrwertsteuer erhöht als auch die Einführung einer

Tourismussteuer erwogen. Auch sollen auf Druck der EU staatlicher

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Page 73: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Besitz wie Häfen, Inseln und Telekommunikationsfirmen

privatisiert werden, um mit dem Erlös aus diesen Verkäufen

Schulden zu tiIgen. All dies sind unter makroökonomischen

Gesichtspunkten oder europapsychologischen Gesichtspunkten

problematische Lösungsansätze. Erhöhte Mehrwertsteuern und

eventuell noch eingeführte Tourismussteuern bergen die Gefahr,

dass sie den griechischen Konsum und die Attraktivität

Griechenlands als Reiseland noch weiter abwürgen. Zudem hat die

neoliberale griechische Unternehmerschaft –und hierbei auch die

Tourismuswirtschaft- in den letzten Jahrzehnten viel Geschick bei

der Steuerhinterziehung bewiesen. Die Gefahr ist deshalb groß,

dass die erhöhte Mehrwertsteuer und eventuell noch eingeführte

Tourismusmussteuern von den Unternehmen zwar ihren Kunden

aufgebürdet werden aber mittels Steuerhinterziehung nicht an den

griechischen Staat weitergeleitet wird. Der Privatisierung von

Staatsbesitz auf europäischen Druck hin wiederum haftet der

Beigeschmack einer griechischen Kapitulation vor Europa an. Ein

Volk, das zu solchen Privatisierungsmaßnahmen gezwungen wird,

fühlt sich gedemütigt. Auch die genannte Erhöhung der

Mehrwertsteuer und die angedachte eventuelle Einführung der

Tourismussteuer dürften von vielen Griechen Europa angelastet

werden.

Einen Sonderfall –aber ein besonders relevanter- stellt Frankreich

dar. Gewiss, Frankreich ist nicht im selben Maße Krisenstaat

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Page 74: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

wie Griechenland, Italien oder Spanien, aber Frankreichs jährliches

Haushaltsdefizit liegt Jahr für Jahr über den in der Europäischen

Union erlaubten 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Außerdem

ist die Entwicklung am französischen Arbeitsmarkt unbefriedigend,

und größere Teile der französischen Wirtschaft sind nicht

hinreichend wettbewerbsfähig. Zudem ist die innenpolitische

Stimmung in Frankreich schlecht. All dies hat der rechtsnationalen

Partei Front national unter der Führung von Marina le Pen starken

Aufschwung gegeben. Es ist sogar möglich, dass Madame le Pen

die nächsten Präsidentschaftswahlen 2017 gewinnen wird. Die

Frage ist, was dann geschehen würde. Viele internationalen

Beobachter gehen davon aus, dass le Pen im Falle ihres Wahlsieges

Frankreich aus der Europäischen Währungsunion führen würde

und der Gemeinschaftswährung Euro auf diese Art und Weise den

Todesstoß versetzen würde. Sympathien für eine solche Lösung

sind im Front national in der Tat erkennbar.

Gleichwohl muss dies meines Erachtens keineswegs die von der

Dame le Pen bevorzugte Lösung sein. Sehr gut denkbar ist auch,

dass sie durchaus bereit wäre, Frankreich in der Gemeinschafts-

währung zu belassen, im Gegenzug aber von den europäischen

Partnern weitreichende Konzessionen verlangte. Solche

Konzessionen könnten etwa in der Einführung sogenannter

Eurobonds bestehen, mit denen die europäischen

Völker für Frankreichs Staatsschulden mit bürgen würden.

74

Page 75: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Zusätzlich wäre denkbar, dass Madame Le Pen von der

Europäischen Union mehr finanzielle Zuschüsse für französische

Projekte oder eine Absenkung der von Frankreich an die

Europäische Union zu leistenden Geldzahlungen verlangen würde.

Auch eventuelle Forderungen an die Adresse der EU nach

Rückübertragung von Souveranitätsrechten an Frankreich wären

dem zutiefst national gesonnenen Front national zuzutrauen.

Ob nun Abschaffung des Euro oder Forderungen nach finanziellen

und politischen Vorteilen für Frankreich, beides birgt enormen

Sprengstoff für die weitere Entwicklung Europas.

3.10 Die neoliberale Verachtung für staatszentrierten

Wirtschaftsaufsaufbau

In der gegenwärtigen Situation sind neoliberale Wirtschafts-

experten schnell bei der Hand, wenn es darum geht zu betonen,

dass auch eine Haushaltssanierung der südeuropäischen

Krisenstaaten deren angebliches Hauptproblem der fehlenden

Wettbewerbsfähigkeit nicht lösen würde. Sie empfehlen deshalb

insbesondere im Falle von Griechenland den Austritt aus der

europäischen Währungsunion, um durch eine abwertbare

Nationalwährung die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft

wiederherzustellen. Im Allgemeinen teile auch die Meinung, dass

die Euroeinführung zu früh kam, und dass viele Länder langfristig

eine abwertbare Nationalwährung zur Wiedergewinnung ihrer

75

Page 76: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Wettbewerbsfähigkeit bräuchten. Allerdings stellt sich die Frage,

ob in der gegenwärtigen Situation ein Austritt von Krisenstaaten

wie Griechenland aus der europäischen Währungsunion nicht eher

kontraproduktiv wäre. Griechenland ist in den Augen ausländischer

Investoren momentan schon unattraktiv genug. Träte Griechen-

land zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus dem Euro aus, stünde das

Land als Investitionsstandort noch mehr im Abseits als dies

mittlerweile ohnehin der Fall ist. Dies gilt umso mehr, als niemand

weiß, wie werthaltig und verlässlich eine dann einzuführende neue

griechische Nationalwährung Nea-Drachme wäre. Nochmals

gesteigerte Investorenzurückhaltung und Kapitalflucht wären

wahrscheinliche Szenarien Wer investiert schon in ein neues,

unbekanntes, Abenteuer in einem ohnehin angeschlagenen Land?

Besser wäre es da wirklich, die Steuerhinterziehungen der

griechischen Oberschicht abzustellen und mit dem so ein-

genommenen Geld Investitionsmaßnahmen in Infrastruktur wie

Tourismus, Energiesektor, durchaus auch Sonnenenergie, und

Straßen zu tätigen. Einem so sanierten Griechenland wäre es auch

wieder ermöglich an EU-Fördergelder zu kommen. Dies setzt

nämlich voraus, dass Griechenland 15 Prozent eines Projektes aus

eigenen Mitteln aufbringt. Die anderen 85 Prozent kommen dann

von der EU. Ein Griechenland, das wegen der Steuervermeidungs-

instinkte seiner Reichen fast zahlungsunfähig ist, hat diese 15

Prozent naturgemäß nicht. Wenn man die Steuerhinterziehungen

76

Page 77: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

der griechischen Reichen endlich abstellte, wäre dies anders. An

die Adresse von wirtschaftsliberalen Finanzfachleuten, die einen

solchen staatsbasierten Wirtschaftsansatz für Teufelszeug halten,

sei gesagt, dass die ganze europäische Wirtschaftsgeschichte voll

von einem solchen staatsbasierten Ansatz der Wirtschafts-

förderung ist. Auch Preußen-Deutschland und Italien im

19.Jahrhundert, ja sogar Frankreich im 17.Jahrhundert, waren

ursprünglich gegenüber Konkurrenten wie England, den

Niederlanden oder den Venezianern nicht wettbewerbsfähig. Erst

durch staatliche Investitionen in die Infrastruktur konnte diese

fehlende Wettbewerbsfähigkeit nach und nach ausgeglichen

werden. Die Ablehnung von Staatsinvestitionen als

Wachstumslokomotive für momentan wenig wettbewerbsfähige

Nationalwirtschaften ist folglich eine zutiefst ahistorische und

zutiefst kontraproduktive Verhaltensweise.

3.11 Die undemokratische Neoliberalisierung der Erholungs-

kultur: Eine Fallstudie des Maspalomas-Strandes auf Gran

Canaria

Ein bis dato meines Erachtens nicht hinreichend zur Kenntnis

genommenes Problem sind undemokratische Neoliberalisierungs-

tendenzen im Bereich der für breite Bevölkerungsschichten

wichtigen Erholungskultur. Ein besonders krasses, alarmierendes

-und somit als illustrierende Fallstudie besonders taugliches-

77

Page 78: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Beispiel ist die neue Strandordnung von 2013 des weltbekannten

Maspalomas –Strandes auf Gran Canaria. Diese Strandordnung

verbietet –unter anderem- an einem der schönsten, breitesten

und mit 8 Kilometer Ausdehnung längsten Strände der

Europäischen Union das Beach-Volleyball-Spielen und jegliche

andere Form von Ballspielen, das Mitbringen des eigenen

Liegestuhles und das Konsummieren von Speisen und Getränken

jenseits der offiziellen Strandbuden und gewerblichen Strand-

gastronomie. Ein Kleinkind darf also noch nicht einmal mit einem

Eis in der Hand am Strand entlang gehen. Verstöße gegen diese

Bestimmungen werden mit Ordnungsstrafen zwischen 750 Euro

bis 3000 Euro geahndet. Die Stoßrichtung dieser Bestimmungen ist

klar: Die im Regelfall wenig kaufkräftige einheimische kanarische

Bevölkerung soll den Strand für Spiel, Spaß und Erholung nicht

mehr nutzen können. Für den erholungssuchenden Normal-

touristen gilt das gleiche. Gewünscht ist als Urlauber der alte

Beamtenpensionär mit exzellenter Pension oder der reife

Multimillionär, der mit seiner jugendlichen Geliebten den

Champagner in Restaurants oder Strandbuden schlürft. Im Ergebnis

führt dies zu einem Ausschluss breiter Bevölkerungs-schichten vom

erheblichen Potential eines der bedeutendsten Strände der

Europäischen Union. Macht dieses Beispiel Schule, werden die

berechtigten Erholungsbedürfnisse breitester

Bevölkerungsschichten an den Rand gedrängt. Das ist

78

Page 79: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

keine Lappalie, sondern eine undemokratische Neoliberalisierung

der Erholungskultur. Das gern gebrachte Argument, ein Großteil

der genannten Regelungen hätten am Maspalomas-Strand schon

vor der neuen Strandordnung von 2013 gegolten, vermag nicht zu

überzeugen. Zum einen nämlich waren diese Bestimmungen vor

2013 ein von den Ordnungskräften nicht durchgesetzter

Papiertiger. Seit 2013 hingegen setzen die Ordnungskräfte die

Bestimmungen der neuen Strandordnung rigoros durch. Zum

anderen haben auch die Höhe der Ordnungsstrafen -750 Euro

aufwärts- eine neue Qualität.

3.12 Die neoliberale Instrumentalisierung der Flüchtlings-

problematik

Noch in den 1970-er und 1980-er Jahren war es im nahezu

gesamten politischen Spektrum Konsensus, dass Weltoffenheit und

Völkerfreundschaft zwar wichtige Aspekte sind, jede Regierung

aber den Bedürfnissen der jeweils eigenen Bevölkerung primäre

Bedeutung zuzumessen hat. Der dem linken politischen Spektrum

zuzurechnende deutsche Bundeskanzler Willi Brand etwa

begründete den Anwerbestopp für türkische Staatsangehörige in

den 1970-er Jahren damit, dass man zwar niemanden

diskriminieren wolle, die Bedürfnisse der eigenen deutschen

Bevölkerung am Arbeitsmarkt aber Vorrang hätten. Dieser

Konsens ist leider verloren gegangen.

79

Page 80: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Wenn 2015 allein nach Deutschland bis zu 1,5 Millionen Flüchtlinge

kommen werden, wird dies sowohl vom neoliberalen als auch vom

linken Spektrum beklatscht. Das neoliberale Spektrum führt an, es

gäbe im prosperierenden Deutschland Arbeitskräftemangel. Das

linke Spektrum führt das Gebot der internationalen Solidarität mit

den Flüchtlingen als Argument ins Feld. Beide Argumente sind

unlauter. Bei fast 3 Millionen Arbeitslosen und fast drei Millionen

Unterbeschäftigten allein in Deutschland fehlt es sicherlich in der

eigenen Bevölkerung nicht an genügend Menschen mit

hinreichenden Fachkenntnissen oder an Menschen, die mit

vergleichsweise geringem Umschulungsaufwand qualifizierbar

wären. Der wahre Grund für die neoliberale Propagierung großer

Zuwanderung liegt darin, dass man mit dieser Zuwanderung die

europäischen Arbeitsmärkte unter Druck setzen kann. Diese

Unterdrucksetzung wiederum ermöglicht es der neoliberalen

Unternehmerschaft die arbeitende Bevölkerung zu disziplinieren.

Wer Angst um seinen Arbeitsplatz hat, lässt sich mehr gefallen,

macht bereitwilliger Überstunden und verlangt weniger

Lohnerhöhung. Bedauerlicherweise ist die Politik der perfiden

Argumentation dieser neoliberalen Kreise unkritisch gefolgt. So hat

man etwa im Deutschland des Jahres 2015 den Eindruck, die

Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt habe Vorrang vor

der Integration der einheimischen Arbeitslosen. Die deutsche und

europäische Linke wiederum unterstützt diese Bestrebungen, da

sie sich weltoffen und völkerfreundschaftlich gerieren will.

80

Page 81: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Was sie dabei übersieht ist, dass auch europäische Linke erst

einmal eine Verantwortung für die eigene Bevölkerung haben, und

dass die Unzufriedenheit der einheimischen Bevölkerung über die

Bevorzugung der Flüchtlinge radikalen politischen Kräften Auftrieb

gibt. Zudem haben die Flüchtlingsproblematik und ihre Folgen

schon zu einer Spaltung der Europäischen Union geführt.

Großbritannien und die osteuropäischen Staaten wollen von einer

ungebremsten Zuwanderung von Flüchtlingen auf den

Arbeitsmarkt nichts wissen, während Deutschland, Frankreich und

die nordeuropäischen Staaten eine eher weiche Haltung in dieser

Frage einnehmen.

Zudem werfen die Flüchtlingsströme nach Europa auch

gravierende Fragen bezüglich der inneren Sicherheit auf. Zwar

bestreiten neoliberale Kreise in ihrer Gier, die europäischen

Arbeitsmärkte mit Flüchtlingsscharen unter Druck zu setzten, die

Möglichkeit, dass unter den Millionen von Flüchtlingen auch viele

islamische Terroristen eingeschleust worden sein könnten.

Gleichwohl ist diese Möglichkeit keineswegs auszuschließen, ja

sogar höchst real. Wer kann denn schon garantieren, dass

islamische Terroristen, die in ihrem Fanatismus teilweise ja sogar

zum Opfer des Selbstmordattentats bereit sind, sich nicht unter

die Millionen von Flüchtlinge mischen und sich mit ihnen zu Fuß

Richtung Europa auf den Weg machen? Niemand! Die Tatsache,

dass angesichts der Größe der Flüchtlingsströme eine detaillierte

Page 82: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

81

Erfassung des biographischen Hintergrunds eines Flüchtlings durch

die Sicherheitskräfte nur eingeschränkt möglich sein dürfte, birgt

diesbezüglich zusätzliche Gefahren.

Vor dem Hintergrund der dargelegten Fakten muss daher klar sein,

dass politisch verfolgte Flüchtlinge zwar in Europa aufgenommen

werden müssen, dass aber für den Rest der Flüchtlinge Lösungen in

ihren Heimatländern außerhalb Europas gefunden werden müssen.

Einer neoliberalen Instrumentalisierung der Flüchtlings-

problematik, wie sie momentan in gar nicht so wenigen Ländern

Europas stattfindet, muss energischster Widerstand entgegen-

gesetzt werden. Auch und gerade vom linken Spektrum der

Gesellschaft.

Page 83: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

82

Kapitel 4:

Mögliche Lösungsansätze

Zwar sind die zuvor beschriebenen Probleme in Amerika und

Europa groß, aber im Grundsatz durchaus lösbar.

4.1 Lösungsansätze für die USA

Für die Vereinigten Staaten von Amerika wäre es zur

Problemlösung notwendig, dass endlich die reicheren Schichten

hinreichend besteuert würden und damit Schuldenlast abgebaut

und in die Infrastruktur investiert werden könnte. Als noch immer

in der Weltfinanz führende Nation sollte zudem von den USA ein

Signal zur Beseitigung -oder zu mindestens Einschränkung- der

unseligen Derivatespekulation ausgehen. Dieses Zeichen müsste

darin bestehen, dass die USA die Derivatespekulation auf

heimischen Boden selbst hochgradig einschränken. Ebenso müsste

das Land seiner Verantwortung für mehr globalen Umweltschutz

gerecht werden. Für sich selbst und als Leitwolf für andere. Solar-

und Windenergie statt Öl und Schiefergas hieße die Devise. Die

US-Industrie müsste verpflichtet werden die Emissionsfilter

endlich in ihre Industrieschornsteine einzubauen. Das wäre auch

ein exzellentes Konjunkturprogramm. Zur besseren Integration der

Minderheiten empföhle es sich, mehr Geld für die Förderung und

83

Page 84: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Integration dieser Menschen auszugeben. Auf institutioneller

Ebene sollte die exzessive Möglichkeit zum Filibustering endlich

abgeschafft werden, um den in den USA ohnehin komplizierten

Gesetzgebungsprozess ein Stück weit zu erleichtern. Das politische

System der USA darf nicht länger durch parlamentarische

Minderheiten ungebührlich gelähmt werden.

4.2 Lösungsansätze für Europa

Die Lösungsansätze für Europa fallen angesichts der multi-

nationalen Struktur der EU noch etwas komplizierter aus als für die

USA.

Ein vordringliches Problem ist es wohl, die reicheren Schichten

endlich steuerlich angemessen heranzuziehen. Insbesondere aber

in den krisengeschüttelten Südländern der EU werden die Steuern

nicht hinreichend resolut eingetrieben. Die herrschenden Eliten

blockieren ein solches Unterfangen wohl, und die dortigen

nationalen Steuerbehörden dürfen nicht resolut genug

durchgreifen. Darauf gibt es eine einfache Antwort: Die

Abschaffung der nationalen Steuerprüfung und die Ersetzung

derselben durch regelmäßig und häufig kontrollierende

Steuerbeamten der EU. Und zwar in allen! Ländern der EU, da

ansonsten das Geschrei in den Südländern der EU wohl groß wäre,

man würde als arme Krisenstaaten einseitig von Brüssel zwangs-

kolonialisiert. Da auch in Hinblick auf steuerehrlichere Staaten

84

Page 85: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

der EU bisweilen der Vorwurf erhoben wird, die ein oder andere

Regionalregierung schaue bei der Steuerhinterziehung nicht so

genau hin, würden eine solche gesamteuropäische Regelung auch

diesbezüglich Sinn machen. Bei einem solchen Arrangement

blieben natürlich die nationalen Steuergesetze bestehen. Ihre

Einhaltung würde nur von EU-Steuerkontrolleuren überwacht.

Regionale Sonderinstinkte könnten die Steuereintreibung dann

nicht mehr negativ beeinflussen, und insbesondere kranke EU-

Patienten wie Griechenland und Zypern hätten endlich wieder

genügend Geld für Schuldenbegrenzung, Investitionen in

Infrastruktur und Bildung sowie den sozialen und medizinischen

Schutz breiter, durch die Krisen aber guten teils verarmter,

Bevölkerungsschichten. Sowohl dem Bruttoinlandsprodukt dieser

Länder und der damit verbundenen Bekämpfung der

Arbeitslosigkeit als auch der sozialen Gerechtigkeit und der

Stabilisierung der dortigen Demokratien täte dies aufs Äußerste

gut. Auch fänden die ewigen Haushaltsschwierigkeiten dieser

Länder und die davon ausgehenden, Gesamteuropa

destabilisierenden, Krisen endlich ihr Ende.

In steuerehrlichen, aber einfach zu niedrig besteuernden, Ländern

wie Irland gilt es Körperschaftssteuer und den Höchststeuersatz zu

mindestens maßvoll anzuheben. Auch auf diese Weise wären

notwendige Investitionen des Staates und Schuldenbegrenzung

85

Page 86: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

wieder möglich. Mit ähnlich positiven Folgen, wie für die

angeschlagenen Südländer der EU.

Ein weiteres großes Problem ist, dass Europa eigentlich

unterschiedliche Zinssätze für seine Mitgliedsstaaten bräuchte. Die

Nordeuropäer kämen mit einem geringen Zinssatz aus. In

Südeuropa –vielleicht aber auch in Irland- müsste er zur

Vermeidung von Spekulationsblasen und zur Eindämmung von

Inflation höher sein. In einem einheitlichen Währungsraum wie

dem Euro geht dies aber kaum. Abhilfe könnten hier nationale

Zinssteuern und eine Erhöhung diverser Mehrwertsteuersätze

schaffen. Nimmt jemand beispielsweise für Bauinvestitionen in

Spanien einen Kredit auf, so wäre es eine Möglichkeit diesen Kredit

mit einer Zinssteuer von 35 Prozent zu belegen, welche die den

Kredit gewährende Bank an den spanischen Staat abzuführen

hätte. Aus 3 Prozent Baugeld oder Konsumentenkredit würden

dann effektiv! schnell 4 Prozent Baugeldschuldverzinsung oder 4

Prozent Konsumentenkreditverzinsung. Ebenso ist über eine

Anhebung der Mehrwertsteuer auf Immobilienerwerb –vielleicht

etwa auf 45 Prozent- nachzudenken. Dies würde die Gefahr einer

erneuten Herausbildung einer Immobilienblase, die in diesen

Ländern nun einmal immer vorhanden ist, eindämmen. Um die

momentan angeschlagenen Immobilienmärkte dieser Länder durch

eine solch hohe Mehrwertsteuer in der momentan kritischen

86

Page 87: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Situation nicht weiter zu verunsichern, sollte diese Erhöhung

stufenweise erfolgen. Wer 2015 Immobilien kaufte, könnte nur mit

15 Prozent Mehrwertsteuer belastet werden, Käufer in 2016 schon

mit 30 Prozent und Käufer ab 2017 dann mit dem vollen 45

prozentigen Mehrwertsteuersatz auf Immobilien. Beliebt sind

solche Maßnahmen bei der Bevölkerung natürlich nicht, aber die

einzelnen nationalen Regierungen Europas müssen endlich die

Kraft finden, die notwendige Medizin auch dann zu verabreichen,

wenn sie dem Patienten bitter schmeckt. Der Preis, den Europa für

fehlende Handlungsstärke der nationalen Regierungen in solchen

Fragen zu zahlen hatte, ist in der jüngeren Vergangenheit schon

unverhältnismäßig hoch gewesen. Das darf sich weder fortsetzen

noch wiederholen.

Viel spricht auch dafür den sozialen Ausgleich und die Gesundung

von Staatsfinanzen und Konjunktur über eine Umgestaltung des

Rentensystems zu betreiben. Zwei Punkte erscheinen mir dabei

wichtig. Zum einen müssten –mit Ausnahme der Staatsbeamten-

alle Bürger eines Staates zur Einzahlung in das staatliche

Rentensystem verpflichtet werden. Die Bemessungsgrundlage für

eine solche Heranziehung müsste nicht notwendigerweise das

ganze Einkommen einer Person sein, sollte aber doch mit 50000

Euro pro Monat maximaler Bemessungsgrundlage vergleichsweise

hoch sein. Gleichzeitig wäre die staatliche Rente auf einen

87

Page 88: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Mindestbetrag von 1000 Euro pro Monat anzuheben und auf einen

Höchstbetrag von 2000 Euro monatlich zu deckeln. Das Kriterium

für die Rentenhöhe sollte dabei nicht mehr teilweise die Höhe der

eingezahlten Beiträge sein, sondern nur noch, wie lange jemand in

das staatliche Rentenversicherungssystem eingezahlt hat. Der 35

Jahre einzahlende Multimillionär bekäme dann trotz erheblich

höherer Beiträge nur den gleichen Rentenbetrag wie der 35 Jahre

einzahlende mittlere Angestellte. Zur Vermeidung von

ungerechtfertigten Härten gegenüber Frauen und erziehenden

Personen wären Erziehungszeiten in einem solchen System

ebenfalls zu berücksichtigen.

Eine solche Regelung hätte verschiedene Vorteile. Zum einen

würde durch die verstärkte Heranziehung der Besserverdienenden

und Reichen viel Geld ins staatliche Rentensystem kommen. Zum

anderen würde durch 1000 Euro Mindestrente das System ein

Stück armutsfest gemacht. All dies würde die Massenkaufkraft

stärken und Wirtschaft und Beschäftigung profitieren lassen. Auch

der dringend notwendige soziale Ausgleich würde gefördert.

Abschließend würde ein derartig üppig finanziell ausgestattetes

System auch die Notwendigkeit für staatliche, steuerfinanzierte

Zuschüsse zur Rentenversicherung absenken oder zu mindestens

ein Einfrieren dieser staatlichen Zuschüsse auf dem bisherigen

Niveau gestatten.

88

Page 89: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Es ist klar, dass neoliberale Besserverdienerkreise oder

Millionärskreise eine solche Regelung zunächst einmal wenig sexy

finden würden. Aber auch diesen Kreisen muss klar sein, dass

ohne einen solchen forcierten Ausgleich in einem Europa der

Staatsverschuldung, der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten

und der Massenarbeitslosigkeit früher oder später revolutionäre

Umwälzungen drohen werden. Dann wird es mit den rauschenden

Ballfesten und den libertären Privatorgien dieser Menschen schnell

vorbei sein. Besser also jetzt zahlen als später im eigenen Blut für

den unterlassenen sozialen Ausgleich büßen müssen.

Ich habe zuvor die Beamtenschaft als einzige Gruppe aus dem

Kreis jener Personen ausgeschlossen, die in die staatliche

Rentenversicherung einzahlen sollten. Dies geschah indes nicht,

weil ich dies in der Sache grundsätzlich für gerechtfertigt hielte. Im

Gegenteil, eigentlich sollten auch die Beamten dort ihren Beitrag

leisten müssen. Allerdings betrachte ich zum gegenwärtigen

Zeitpunkt die politischen und verfassungsmäßigen Hürden für eine

solche Einbeziehung der Beamtenschaft als zu hoch. Zum einen ist

der Beamtenanteil in den Parlamenten vieler europäischer

Einzelstaaten so hoch, dass entsprechende Gesetzgebung gar nicht

durchkäme. Zum anderen sympathisieren aber auch viele

Verfassungsgerichte so sehr mit dem Beamtenstand, dass sie eine

solche Einbeziehung der Beamten wohl für verfassungswidrig

einstufen würden. Vor diesem Hintergrund, ist allerhöchstens ein

89

Page 90: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

moderater Beitrag der Beamtenschaft durchsetzbar. So könnte

man von allen Neubeamten einen 5-prozentigen Ausgleichsbetrag

von ihrem Gehalt einfordern, das in die staatliche

Rentenversicherung einzuzahlen wäre. Ansonsten bliebe die

bisherige Art der Beamtenversorgung aber die gleiche. Denkbar

wäre zudem die jährliche Erhöhung der Beamtenpensionen

prozentual an die jährlichen Rentenerhöhungen anzupassen.

Darüber hinausgehende Reformen haben momentan wohl keine

Chance auf Verwirklichung und sollten deshalb erst gar nicht

versucht werden.

Ferner wäre endlich auch die Umweltpolitik auf eine realistische,

situationsangepasste Ebene zu stellen. So macht in Deutschland die

Förderung der Solarenergie wenig Sinn. Zinsgünstige Kredite für

Heizungsmodernisierung und Dämmmaßnahmen indes schon. In

den sonnenbegünstigten Südländern der EU kann eine Förderung

der Solarenergie en hingegen durchaus Sinn machen. Darüber

hinaus muss Emissionssenkung endlich für alle EU Länder

verpflichtend werden. Sich 2 oder 3 Musterschüler auszusuchen,

die voran marschieren müssen, während die anderen die Arme

verschränken, hat mit zukunftsweisender Umweltpolitik wenig zu

tun.

Im Hinblick auf die undemokratische Neoliberalisierung der

Erholungskultur, könnte die europäische Union sich vielleicht

90

Page 91: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

einmal volksfreundlich dazu aufraffen zusätzlich zu den prinzipiell

wünschenswerten Verbraucherschutzrechten einen Katalog von

Basisrechten für die Nutzung europäischer Kultur- und Naturgüter

zu verabschieden. Dieser Basisrechtkataloge würden dann

festlegen, dass Naturgüter wie der Maspalomas-Strand auf Gran

Canaria auch in strandtypischer Weise genutzt werden dürfte und

nicht nur zu einem Areal der Besserverdiener und Millionäre

herabsinken dürfte.

Von zentraler Bedeutung ist für Europa auch die Lösung der

Flüchtlingsfrage. Eine solche Lösung ist besonders schwierig und

mit emotionalen Hindernissen befrachtet, da sich in dieser Frage

aus falsch verstandener Humanität selbst die europäische Linke vor

den Karren der neoliberal-gierigen Volksunterdrücker spannen

lässt.

Gleichwohl sind pragmatische, zielführende und unideologische

Lösungen möglich, wenn man dies nur will. Diesbezüglich gilt es

zwischen Flüchtlingsherkunftsstaaten zu unterscheiden, wo eine

sanfte Lösung der Flüchtlingsfrage im Rahmen teildemokratischer

Strukturen noch möglich ist, und solchen Flüchtlingsherkunfts-

ländern, wo eine Lösung nur im Rahmen autoritärer Systeme

möglich erscheint. Da die Flüchtlingsproblematik sich bei letzterer

Gruppe schon besonders zugespitzt hat, will ich auf diese Gruppe

zuerst eingehen. Der sogenannte arabische Frühling, also der

Aufstand der Massen gegen die arabischen Diktatoren, ist in den

91

Page 92: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

westlichen Hauptstädten sehr beklatscht, ja sogar nachhaltig

militärisch unterstützt, worden. Dabei wurde übersehen, dass im

Rahmen dieser Revolutionen nicht selten der Einfachteufel durch

einen Dreifachteufel ausgetauscht wurde, und dass größere Teile

der arabischen Volksmassen für eine demokratische Ordnung

überhaupt noch gar nicht hinreichend ausgebildet waren. Völker

mit hoher Analphabetenquote und großer ökonomischer

Rückständigkeit sind für Demokratie in Reinform einfach noch

nicht reif und empfänglich für die Parolen islamistischer Ideologen

übelsten Zuschnitts. Diktatoren wie Gaddafi in Libyen und Assad in

Syrien waren und sind zweifelsohne Verbrecher. Aber: die diesen

Kräften gegenüberstehenden islamistische Kräfte wie Islamischer

Staat sind teilweise nicht nur noch erheblich größere Barbaren,

sondern sie drohen die jeweiligen Länder auch in eine Art

Steinzeitfundamentalismus mit geringen zukünftigen Entwicklungs-

perspektiven zurückzuwerfen. Nicht wenige Libyer wären

wahrscheinlich im Rückblick froh, wenn ihnen Gaddafi erhalten

geblieben wäre. Die Mehrheit der Syrer dürfte sich ihrerseits

mittlerweile eine Rückkehr zu den Verhältnissen vor Ausbruch des

nun brutal tobenden Bürgerkrieges wünschen. Selbst Assad ist nun

einmal besser als Islamischer Staat. Die Lehre für die westlichen

Demokraten sollte deshalb sein von der Unterstützung verfrühter

Revolutionstendenzen in nordafrikanischen, arabischen und

anderen Staaten in Zukunft Abstand zu nehmen. Die Bestrebungen

Russlands, die Lage in Syrien zu stabilisieren, verdienen un-

92

Page 93: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

eingeschränkte Unterstützung.

Die westliche Welt sollte sich deshalb darauf konzentrieren

unappetitliche Diktatoren, die aber immer noch humanitär,

politisch und ökonomisch das kleinere Übel im Vergleich zu

verbrecherischen islamistischen Extremisten sind, durch

Entwicklungshilfegelder insbesondere auch für die Schulbildung

der breiten Volksschichten zu unterstützen. Wenn dann in 3-4

Jahrzehnten das bildungsmäßige und ökonomische Fundament für

demokratische Strukturen sich herausgebildet haben sollte, kann

man über einen Übergang zu Demokratie nachdenken. Der

sogenannte arabische Frühling, wie er sich jetzt vollzog, kam für

viele Flüchtlingsherkunftsländer Nordafrikas und der arabischen

Welt viel zu früh.

Wenden wir uns nun der erstgenannten Gruppe von Ländern zu,

also solchen, in denen eine Lösung oder gar Vermeidung der

Herausbildung eines Flüchtlingsproblems noch möglich erscheint.

Im Hinblick auf Europa sticht dabei insbesondere die Türkei hervor.

In der Türkei bahnt sich eine Verschärfung des Kurdenproblems an,

da die Gegensätze zwischen der Zentralregierung in Ankara und

den mittlerweile 20 Prozent der türkischen Staatsbevölkerung

ausmachenden und auch bei den türkischen Parlamentswahlen

immer mehr erstarkenden Kurden beträchtlich zunehmen. Dies

93

Page 94: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

birgt die Gefahr eines Bürgerkrieges, einer ökonomischen und

sozialen Destabilisierung der Türkei und letztendlich auch die

Gefahr weiterer großer Flüchtlingsströme. Es ist deshalb

unerlässlich, dass die westliche Welt bei der türkischen Regierung

in Ankara auf einen Ausgleich zwischen Zentralregierung und

kurdischer Minderheit drängt. Gegebenenfalls durchaus auch mit

der Androhung ökonomischer Sanktionen, welche die Türkei hart

treffen würden.

Ein solcher Ausgleich zwischen türkischer Zentralregierung und

machtvoller Kurdenminderheit könnte darin bestehen, dass die

Kurden im Hinblick auf Sprache, Religion und andere kulturellen

Aspekte größere Freiheiten bekämen, zur Besänftigung der Seele

der türkischen Mehrheitsbevölkerung eine größere politische

Autonomie ihnen aber verwehrt bliebe. Die Kurden wären dann

gut-patriotische türkische Staatsbürger, die im Rahmen eines

streng unitarischen Türkenstaates zwar –zusätzlich zu ihrer

eigenen Sprache- die türkische Sprache und Geschichte durchaus

zu verinnerlichen hätten, aber auf kultureller und religiöser Ebene

auch faktisch! -das türkische Recht kennt viele theoretisch

existente aber in der Praxis nur unzureichend umgesetzte

Staatsbürgerrechte- weitreichende Freiheiten genießen dürften.

Dies ist wohl der für beide Seiten gangbare Kompromiss. Ein

Kompromiss, auf den Europa und Amerika zur Vermeidung einer

zukünftigen Megakatastrophe schon jetzt mit allergrößtem

94

Page 95: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Nachdruck hinwirken sollten.

Skepsis ist allerding angebracht, ob es zu einer derartigen Lösung

der türkischen Kurdenfrage kommen wird. Die türkische Regierung

in Ankara ist nämlich beides, ein geostrategisch wichtiger Partner

des Westens und ein betont selbstbewusster Partner, der sich in

der Kurdenfrage jegliche angeblich unangemessene Einmischung

durch den Westen in die inneren Angelegenheiten der Türkei

verbitten dürfte. Der Westen seinerseits dürfte vor diesem

Hintergrund zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht die Bereitschaft

haben eine solche angebliche „Einmischung“ vorzunehmen. Mit

größter Wahrscheinlichkeit droht deshalb eine weitere Zuspitzung

des türkischen Kurdenproblems und unter Umständen auch

Verwerfungen bis hin zu einer großen kurdischen Flüchtlingswelle

gegen Westen.

Was die Finanzierung der Kosten der Flüchtlingswelle angeht, so

erscheint ein auf 5 Jahre zeitlich begrenzter Zuschlag auf die

Einkommensteuer der Besserverdienenden und auf die

Körperschaftssteuer der Unternehmen von jeweils 3 Prozent für

angemessen. Jener 3 prozentige Zuschlag könnte bei Privat-

personen auf den Einkommensteil erhoben werden, der über

100000 Euro Jahresbruttoeinkommen liegt. Dies erleichterte

finanziell die Integration der Flüchtlinge und schaffte einen

Ausgleich dafür, dass die sozialen Folgen der Flüchtlingswelle die

sozial Schwachen der EU am meisten belasten.

95

Page 96: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Kapitel 5:

Das wahrscheinlichste Zukunftsszenario

Ich habe zuvor die Maßnahmen aufgezeigt, die meines Erachtens

von Nöten sind, um sowohl die USA als auch die EU vor

nachhaltigen und eventuell sogar irreparablen Schäden zu

bewahren. Gleichwohl ist es aber angesichts des immer noch

machtvollen hinhaltenden Widerstandes rückwärtsgewandter

neoliberaler Kräfte sowohl in den USA als auch der EU wenig

wahrscheinlich, dass diese Maßnahmen rechtzeitig ergriffen

werden. Schwerste Verwerfungen dürften die Folge sein.

5.1 Der wahrscheinliche Untergang der USA

Bereits jetzt sind die USA eine Nation, die im Inneren durch soziale

Spannungen, ökonomischen Verfall und Überschuldung zerrissen

ist. Diese Verfallserscheinungen, die ganz zweifelsohne das Produkt

der egoistischen Mentalitäten des noch immer erfolgreich

hinhaltenden Widerstand leistenden egoistischen neoliberalen

Klientels sind, werden sich zukünftig wohl noch verstärken und

irgendwann im 22. Jahrhundert die vollkommene Zerstörung der

USA zur Folge haben.

Die große Frage dabei ist, ob diese Zerstörung der USA im Rahmen

eines nuklearen Armageddons erfolgen wird oder nicht. Meiner

96

Page 97: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Meinung nach wird im hochgradig wahrscheinlichen Fall eines

neuen amerikanischen Bürgerkriegs zu mindestens eine dieser

Bürgerkriegsparteien versuchen Teile des Nukleararsenals der USA

unter ihre Kontrolle und zur Anwendung zu bringen. Die

konföderierten Staaten von Amerika brachten nach der Abspaltung

von der Union auch die Bundesmarinewerft in Norfolk, Virginia,

unter ihre Kontrolle und benützten das dort hergestellte

Kriegsschiff Virginia bei ihrem Versuch die Seeblockade der

Nordstaatenmarine zu brechen. Warum sollte im Falle eines neuen

amerikanischen Bürgerkrieges daher nicht eine der

Bürgerkriegsparteien versuchen zur Stärkung der eigenen

militärischen Position Teile des US-amerikanischen Atomarsenals

unter ihre Kontrolle zu bringen? Sollte dies geschehen, ist ein

nukleares Armageddon auf amerikanischen Boden wohl nahezu

unvermeidlich. Skeptische Kreise mögen nun einwenden, dass die

Auflösung der ehemaligen Sowjetunion sich ja auch ohne nukleares

Desaster vollzog. Das ist richtig, trifft aber für die USA nicht den

Kern der Sache. Im Falle der Auflösung der Sowjetunion verhielt es

sich nämlich so, dass mit Russland ein übermächtiger Kernstaat der

ehemaligen Sowjetunion überblieb, der -bedingt durch seine

dominierende Position- sich als in der Lage erwies sicherzustellen,

dass die anderen ehemaligen Teile der Sowjetunion die wenigen

Nuklearwaffen auf ihrem Territorium nicht missbrauchten.

Russland gab den Ton an und disziplinierte die anderen. Im Falle

97

Page 98: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

der Auflösung der USA wird es aber an einem solchen die Dinge

kontrollierenden übermächtigen Kernstaat fehlen. Folglich sind die

Auflösung der Sowjetunion und die wahrscheinlich irgendwann

anstehende Auflösung der USA im Hinblick auf die Kernwaffen-

problematik nicht vergleichbar.

Eine noch größere nukleare Katastrophe könnte sich ereignen, falls

die USA innerhalb der nächsten 30 oder 40 Jahre in einen Krieg mit

China verwickelt würden. Es ist allgemein bekannt, dass der Sieg

der USA im zweiten Weltkrieg nicht in erster Linie überlegener

amerikanischer Manneskraft, sondern der besseren militärischen

Ausrüstung geschuldet gewesen ist. Das heißt natürlich nicht, dass

US-amerikanische Kämpfer im 2. Weltkrieg feige oder nicht tapfer

gewesen wären. Es bedeutet nur, dass Deutsche und Japaner

genauso tapfer waren, aber mit dem zunehmenden Fortschreiten

des Krieges über deutlich weniger Ausrüstung, militärische Mittel

und Anzahl von Soldaten und Seeleuten verfügten.

In einem zukünftigen Krieg mit einem ökonomisch überlegenen

China würden solche US-amerikanischen Vorteile aber nicht mehr

vorhanden sein. Weder ökonomisch noch- angesichts Chinas

Bevölkerungsmasse von 1,3 Milliarden Menschen-

bevölkerungsmäßig. Sollten diese US-amerikanischen Nachteile

Amerika an den Rand einer militärischen Niederlage bringen, wäre

eine zukünftige US-Regierung wohl sehr versucht eine solche

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Page 99: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Niederlage durch einen Einsatz von Atomwaffen abzuwenden. Da

China aber selbst über viele Atomraketen verfügt, bliebe ein

nuklearer Gegenschlag nicht aus, und die Zerstörungen innerhalb

Amerikas wären eventuell noch ungleich größer als im Falle eines

neuen amerikanischen Bürgerkrieges.

Was immer die Zukunft für die USA bereithalten wird, es dürfte in

jedem Fall nichts Gutes sein.

5.2 Die Reinigung Europas im Feuer einer linkssozialistischen Revolution

Europa leidet an hoher Arbeitslosigkeit, einem zunehmenden

Auseinanderdriften von Reich und Arm, hoher Staatsverschuldung

sowie neoliberaler Unterdrückung und einem teilweise

staatsparasitären Staatsbeamtentum. Da die Neigung breiter Teile

des politischen Establishments in den westeuropäischen Ländern

sich aus falsch verstandener Humanität in der Flüchtlingsfrage vor

den Karren der neoliberalen Ausbeuterschichten spannen zu lassen

bedenklich groß ist, dürfte auch diese Problematik in naher Zukunft

kaum zu lösen sein. Auch die Bereitschaft der westlichen Welt mit

gebotenem Nachdruck auf die Lösung der eventuell eine neue

Flüchtlingsproblematik auslösenden Kurdenfrage zu drängen,

dürfte zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch unterentwickelt sein.

Diese erdrückenden und himmelschreienden Verhältnisse können

kein Dauerzustand sein. Stattdessen ist davon auszugehen, dass

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Page 100: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

die Wut der europäischen Völker sich eines Tages in einer großen

linkssozialistischen Revolution -beziehungsweise einer Kette

linkssozialistischer Revolutionen in den jeweiligen Einzelstaaten-

entladen wird. Derartige Revolutionen werden sich wohl ähnlich

entwickeln wie die portugiesische Revolution der 1970-er Jahre.

Linke Kräfte stürzen die konservativ -neoliberale Regierung. Die

ursprüngliche Wirtschaftsverfassung ist zunächst sozialistisch,

entwickelt sich aber durch Reformen zunehmend in eine –durch

eine betont sozial ausgerichtete Sozialgesetzgebung stark

gemäßigte- Marktwirtschaft. Gegen das Ergebnis! einer solchen

Entwicklung kann die Mehrheit der Bevölkerung -trotz eventuell

anfänglich bestehender sozialistischer Exzesse- nichts haben. Zwar

wäre es schön und wünschenswert, wenn Europa sich ohne eine

solche Blutorgie in Richtung einer erstrebenswerten Balance

zwischen ökonomischer Vernunft und größerer sozialer

Gerechtigkeit reformieren könnte, doch die kraftvoll hinhaltenden

und verzögernden neoliberalen Kräfte sind wohl zu stark, um eine

solche organische Lösung noch rechtzeitig zuzulassen. Blut wird

wohl daher bedauerlicherweise ihre Strafe sein. Ich wünsche und

befürworte eine solche linkssozialistische Blutrevolution zwar

nicht, aber wahrscheinlich wird sie eintreten.

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Page 101: Götterdämmerung zweier Großreiche? Amerika und Europa am Scheideweg

Kapitel 6:

Endnoten

1) Vgl. Kennedy, Paul: The Rise and Fall of the Great Powers (New York, 1987)

2) Zitiert in Rainer Hank: “Das Elend der deutschen Neoliberalen”, in: FAZ, 3.10.2013

3) Vgl. Ansprache Abraham Lincolns im Illinois State Capitol vom 16.Juni 1858

4) Vgl. hierfür Spiegel online vom 4.1.2013

5) Rentenversicherung in Zahlen 2013, S.17, herausgegeben von der Deutschen

Rentenversicherung (www.deutsche-rentenversicherung.de)

6) Vergleiche unter anderem Tina Kaiser, Benedikt Fuest: “Ebay wird paypal noch

schmerzlich vermissen“, in: Die Welt vom 16.07.2015 (Online Ausgabe)

7) Matthias Kolb „Raus aus Obama-Land“, in: Süddeutsche.de vom 27.11.2012

8) „China will umdenken“, in: Die Welt vom 5.3.2013 (Online Ausgabe)

9) Es handelt sich hierbei um den sogenannten Clean Power Plan

10) Beispiele hierfür wären etwa Deutschland in der Zeit bis zum 1.Weltkrieg und

Japan in der Zeit bis zum 2.Weltkrieg.

11) Vgl. hierfür die Äußerungen des britischen Finanzministers Osborne Mitte Januar

2014

12) Vgl. Handelsblatt Online vom 8.6.2012

13) Vgl. „Jeder Dritte Hartz-IV-Empfänger ist psychisch krank“, in: Spiegel online vom

31.10.2013

14) Vgl. hierzu die Diskussion im Spiegel und anderen Medien im Dezember 2012.