113

Gorbatschow, Michael - Die Rede

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Gorbatschow, Michael - Die Rede
Page 2: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Zu diesem Buch

Michail Gorbatschow hat am 27. Januar 1987 vor demZentralkomitee seiner Partei Wort gehalten. Seine programmatischeRede ist der vorläufige Höhepunkt eines Reformprogramms, das dererste Mann der Sowjetunion seit seinem Amtsantritt am 11. März1985 seinem Land verschreiben will: Umgestaltung desgesellschaftlichen Lebens, Öffnung zu mehr Freiheit und Kritik imInnern, Öffnung nach außen, Mobilisierung der sowjetischenWirtschaft, Kampf gegen Korruption, Förderung von selbständigenEntscheidungen.Gegen alle Widerstände, auch im Zentralkomitee selbst, gegen dieTrägheit eines Systems, das auch der XX. Parteitag Chruschtschows1956 nicht hatte umstülpen können. Die Rede Gorbatschows vor demZentralkomitee entspricht in ihrer Bedeutung der AbrechnungChruschtschows mit Stalin vor dreißig Jahren.«Gorbatschow geißelte Korruption und Bestechlichkeit, die in diehöchsten Kreise eingedrungen sind, den Mißbrauch amtlicherAutorität und die Unterdrückung jeglicher Kritik im kulturellenBereich. Alles, so meint er, auch die Ideen, sei steckengeblieben inModellformen, die um 1930 und 1940 entworfen wurden ...» (MarionGräfin Dönhoff, Die Zeit, 5. Februar 1987).Nach Chruschtschow, der die Überwindung von Stalin und derstalinschen Schreckensherrschaft angestrebt hatte – ohne dievielfältigen Repressionen, die Arbeitslager abzubauen und die Machtder Geheimpolizei wirklich zu brechen –, nach Breschnew, derKoexistenz und Entspannungspolitik akzeptierte, der aber denEinmarsch in die CSSR und den Überfall auf Afghanistan befohlenhat und dem keine inneren Reformen gelangen, nun Gorbatschow,der die Sowjetunion demokratisieren will: «Wir brauchen dieDemokratie wie die Luft zum Atmen.»

MICHAIL GORBATSCHOW, geb. 1931, Jura-Studium mit Abschluß der Promotion. Seit 1952Mitglied der KPdSU. Er praktizierte nicht als Jurist, sondern wurde nach dem Studiumhauptamtlicher Jugendfunktionär, 1970 erstmals in den Obersten Sowjet der UdSSRgewählt, 1971 als Vollmitglied in das ZK der KPdSU. Nach dem Tod von Tschernenko am11. März 1985 einstimmig zum Generalsekretär der KPdSU gewählt.

Page 3: Gorbatschow, Michael - Die Rede

MICHAIL GORBATSCHOW

Die Rede

«Wir brauchen die Demokratie wie die Luft zum Atmen»Referat vor dem ZK der KPdSU am 27. Januar 1987

28.-37. Tausend März 1987Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,Reinbek bei Hamburg, Februar 1987Copyright dieser Ausgabe: © 1987 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,Reinbek bei HamburgDie hier vorliegenden drei Texte fußen auf der von der sowjetischen Presseagenturam 29. Januar 1987 verbreiteten vorläufigen deutschen Fassung.Umschlagentwurf Jürgen Kaffer/Peter Wippermann(Foto: Poly-Press, Bonn)Satz Times (Linotron 202)Gesamtherstellung Clausen & Bosse, LeckPrinted in Germany680-ISBN 3 499 12168 9

Page 4: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Vorbemerkung der Redaktion

Michail Gorbatschow hat am 27. Januar 1987 vor dem Zentralkomiteeseiner Partei Wort gehalten. Seine programmatische Rede ist der vor-läufige Höhepunkt eines Reformprogramms, das der erste Mann derSowjetunion seit seinem Amtsantritt am 11. März 1985 seinem Landverschreiben will: Umgestaltung des gesellschaftlichen Lebens, Öffnungzu mehr Freiheit und Kritik im Innern, Öffnung nach außen.Mobilisierung der sowjetischen Wirtschaft, Kampf gegen Korruption,Förderung von selbständigen Entscheidungen. Ein «Dubcek» inMoskau?, so fragt Jiri Hajek, ein Reformpolitiker des Prager Frühlings.

Gorbatschows Rede hat im Westen kaum noch Spekulationen aus-gelöst, sondern die zunehmende Gewißheit: der Mann meint es ernst.Gegen alle Widerstände, vor allem auch im Zentralkomitee selbst,gegen die Trägheit eines Systems, das auch der XX. ParteitagChruschtschows 1956 nicht hat umstülpen können. Die Rede vor demZentralkomitee entspricht in ihrer Bedeutung der AbrechnungChruschtschows mit Stalin vor dreißig Jahren.

«Gorbatschow geißelte Korruption und Bestechlichkeit, die in diehöchsten Kreisen eingedrungen sind, den Mißbrauch amtlicher Auto-rität und die Unterdrückung jeglicher Kritik im kulturellen Bereich.Alles, so meint er, auch die Ideen, sei steckengeblieben in Modellfor-men, die um 1930 und 1940 entworfen wurden. Ein Realist, ein Prag-matiker, jedenfalls hat es seit Generationen keinen so flexiblen, sointelligenten und politisch so versierten Verhandlungspartner in Mos-kau gegeben. Es wäre eine Sünde, wenn dieser historische Momentnicht genützt würde. Wer immer noch die Sachzwänge, unter denenGorbatschow steht, für einen Trick hält und seine Sorge um die Rück-ständigkeit der sowjetischen Wirtschaft für Propaganda, der taugt sowenig zur Weltpolitik wie ein Kunsthändler, der echt und unecht nichtzu unterscheiden vermag» (Marion Gräfin Dönhoff, Die Zeit, 5. Februar1987).

Ausgerechnet mit Goebbels, dem Mann des «totalen Krieges», hatHelmut Kohl den Mann verglichen, der seinem eigenen Land, vor allemseiner Partei schonungslos den Spiegel vorhält, der sich die«Umgestaltung» der gesamten Sowjetunion vorgenommen hat.

Nach Chruschtschow, der die Überwindung von Stalin und der

Page 5: Gorbatschow, Michael - Die Rede

stalinschen Schreckensherrschaft angestrebt hatte – ohne dievielfältigen Repressionen, die Arbeitslager abzubauen und die Machtder Geheimpolizei zu brechen –, nach Breschnew, der Koexistenz undEntspannungspolitik akzeptierte, der aber den Einmarsch in die CSSRund den Überfall auf Afghanistan befohlen hat und dem keine innerenReformen gelangen, nun Gorbatschow, der die Sowjetunion de-mokratisieren will: «Wir brauchen die Demokratie wie die Luft zumAtmen.» Ein atemberaubendes Projekt.

rororo aktuell hat die Ereignisse in der CSSR 1968, in Polen 1980, inAfghanistan seit 1979 kritisch und oft zornig begleitet, die Menschen-rechtsverletzungen in den Staaten des Warschauer Pakts angeprangertund Texte vieler Reformer, wie Robert Havemann oder Vaclav Havel,veröffentlicht. Wir veröffentlichen die Rede Gorbatschows in vollemWortlaut in der von Nowosti, der sowjetischen Presseagentur, verbrei-teten ersten Übersetzung. Das tun wir auch mit der Absicht, MichailGorbatschow in einem Punkt zu widerlegen. Wenn er meint, der We-sten fürchte die Demokratisierung der Sowjetunion, dann mag das fürdie kalten Krieger gelten, die ihre eigene Innenpolitik mit äußerenFeindbildern zu steuern suchen, die im Anti-Kommunismus das einzigeBindeglied der westlichen «Wertegemeinschaft» sehen. Sollte esgelingen, in der Sowjetunion einen demokratisierten Reformkommu-nismus zu entwickeln, so wäre dies eine Herausforderung für die west-lichen Demokratien, der sie sich freudig, nicht feindselig stellen müssen.Noch hat das Zentralkomitee keine konkreten Entscheidungengetroffen, aber es hat sich in seinem Beschluß vom 27. Januar (hier imBuch Seite 95) einverstanden erklärt mit dem Prozeß, den Gorbatschowin Gang gesetzt hat. Ob er gelingt, hängt auch davon ab, wie derWesten damit umgeht. Darum dieses Buch. Darum bei rororo aktuell.

Reinbek, den 6. Februar 1987 Freimut Duve

Page 6: Gorbatschow, Michael - Die Rede

I. Die RedeÜber die Umgestaltung

und die Kaderpolitikder Partei

Page 7: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Genossen!

Der XXVII. Parteitag hat uns, den Mitgliedern des Zentralkomitees, eine großeVerantwortung auferlegt – die Realisierung des strategischen Kurses auf dieBeschleunigung der sozialökonomischen Entwicklung des Landes zu gewährleiten.So versteht das Politbüro die Situation und die Rolle des Zentralkomitees in dergegenwärtigen Etappe des Lebens der sowjetischen Gesellschaft.

Ausgehend davon wird auf dem Plenum ein Problem erörtert, das vonerstrangiger Bedeutung für die erfolgreiche Verwirklichung der vom April-Plenum(1985) des ZK und dem XXVII. Parteitag der KPdSU ausgearbeiteten politischenStrategie ist – die Frage der Umgestaltung und der Kaderpolitik der Partei. Wirmüssen sie auf einer breiten sozialpolitischen Ebene erörtern und dabei die Lehrender Vergangenheit, den Charakter der Gegenwart und die künftigen Aufgaben be-rücksichtigen.

Das April-Plenum und der XXVII. Parteitag eröffneten den Weg für eineobjektive, kritische Analyse der Situation, die sich in der Gesellschaft herausgebildethat, und faßten für das Schicksal des Landes historische Beschlüsse. Wir habenunwiderruflich mit der Umgestaltung begonnen und auf diesem Weg die erstenSchritte getan.

Zieht man eine allgemeine politische Bilanz, dann kann man vollerÜberzeugung sagen: Im Leben der sowjetischen Gesellschaft vollziehen sich gewaltigeVeränderungen, positive Tendenzen verstärken sich.

Vor dem Plenum hatten ich und andere Mitglieder des Politbüros und Sekretäredes ZK viele Treffen und Gespräche mit Mitgliedern des Zentralkomitees, mitVertretern der Öffentlichkeit, Arbeitern, Kolchosbauern, Vertretern der Intelligenz,Veteranen und Jugendlichen, die allgemeine Stimmung, der Grundgedanke ihrerÄußerungen ist eindeutig: Es geht darum, den Kurs auf Erneuerung unsererGesellschaft konsequent durchzusetzen und die Anstrengungen auf allen Gebietenzu verstärken.

Für das Zentralkomitee ist wichtig, daß der politische Kurs des XXVII.Parteitages, die praktische Tätigkeit zu seiner Verwirklichung und dieUmgestaltung selbst die breite Unterstützung der Werktätigen und des ganzensowjetischen Volkes gefunden haben. Und das, Genossen, ist für die führende Parteidas Wichtigste.

Gleichzeitig sehen wir, daß sich die Veränderungen zum Besseren nur langsamvollziehen, daß die Umgestaltung sich als schwieriger erweist und die Ursachen fürdie in der Gesellschaft angehäuften Probleme tiefer liegen, als wir früher angenommen

Page 8: Gorbatschow, Michael - Die Rede

haben. Je tiefer wir in die Arbeit bei der Umgestaltung eindringen, um so deutlicherwerden ihre Dimensionen und ihre Bedeutung, tauchen immer neue ungelösteProbleme auf, die wir als Erbe der Vergangenheit übernommen haben.

Die grundlegenden Einschätzungen des Politbüros über den Zustand derGesellschaft und die Schlußfolgerungen daraus wurden bereits auf dem XXVII.Parteitag und den Plenartagungen des ZK dargelegt. Sie bestätigen sich voll undganz. Doch heute wissen wir mehr, und deshalb ist es notwendig, noch einmalgründlich die Ursachen für die gegenwärtige Lage zu erörtern und die Gründe fürdas zu analysieren, was sich an der Wende von den 70er zu den 80er Jahren imLande vollzog.

Eine solche Analyse ist notwendig, um eine Wiederholung der Fehler nichtzuzulassen und die Beschlüsse des Parteitages zu verwirklichen, mit denen dieZukunft unseres Volkes, das Schicksal des Sozialismus verbunden sind. Um somehr, da in der Gesellschaft, ja auch in der Partei selbst, ein gewisses Unverständnisfür die Kompliziertheit der Lage bleibt, in der sich das Land befand. Offenbar läßtsich damit auch erklären, daß bei einer Reihe von Genossen Fragen zu denMaßnahmen auftauchten, die das Politbüro und die Regierung im Verlauf derUmgestaltung ergriffen haben. Nicht selten wird gefragt: Verfahren wir nicht allzustürmisch?

Wir brauchen völlige Klarheit in allen lebenswichtigen Fragen, unter anderemauch in dieser. Nur die tiefgehende Kenntnis der Sachlage ermöglicht es, die richtigenWege zur Lösung der komplizierten Aufgaben zu finden.

Im Grunde genommen, Genossen, besteht die vordringliche Notwendigkeit, sicherneut der Analyse jener Probleme zuzuwenden, mit denen die Partei und diesowjetische Gesellschaft in den letzten, dem April-Plenum des ZK der KPdSUvorangegangenen Jahren konfrontiert waren. Die Erfahrungen der vergangeneneineinhalb Jahre haben unsere Entschlossenheit gefestigt, diese Analyse zu vertiefen,die Ursachen der negativen Prozesse zu verstehen und Maßnahmen auszuarbeiten,die unsere Bewegung beschleunigen, die gewährleisten, daß die Fehler nicht wiederholtwerden, die es erlauben, vorwärts und nur vorwärts zu schreiten, und dabei die demSozialismus wesenseigene Fähigkeit zur ständigen Selbstvervollkommung zubeweisen.

Das Politbüro ist der Meinung, daß wir eben auf der Grundlage eines solchenHerangehens auch dieses Plenum durchführen müssen.

Page 9: Gorbatschow, Michael - Die Rede

1. Die Umgestaltung - eine objektive Notwendigkeit

Genossen! Unser Plenum findet im Jahr des Jubiläums des großenOktober statt. Vor fast sieben Jahrzehnten hat die Partei Lenins dassiegreiche Banner der Sozialistischen Revolution, des Kampfes für denSozialismus, für Freiheit und Gleichheit, für soziale Gerechtigkeit undgesellschaftlichen Fortschritt, gegen Unterjochung und Ausbeutung,gegen Armut und nationale Rechtlosigkeit über unserem Land gehißt.

Zum erstenmal in der Weltgeschichte wurden der arbeitendeMensch, seine Interessen und Bedürfnisse in den Mittelpunkt derStaatspolitik gestellt. Die Sowjetunion hat beim sozialistischen Aufbauwahrhaft historische Erfolge in der politischen, wirtschaftlichen,sozialen und geistigen Entwicklung erzielt. Unter der Führung derPartei hat das Sowjetvolk den Sozialismus aufgebaut, den Sieg über denFaschismus im Großen Vaterländischen Krieg errungen, dieVolkswirtschaft wiederaufgebaut und gefestigt sowie seine Heimat zueiner starken Macht entwickelt.

Unsere Leistungen sind gewaltig und unbestreitbar, und die sowje-tischen Menschen sind zu Recht stolz auf ihre Erfolge. Sie sind diestabile Grundlage für die Realisierung der heutigen Pläne sowie unsererVorhaben für die Zukunft. Die Partei ist jedoch verpflichtet, das Lebenin seiner ganzen Fülle und Kompliziertheit zu erfassen. JeglicheErfolge, und seien sie noch so grandios, dürfen nicht die Widersprüchein der Entwicklung der Gesellschaft oder unsere Fehler undVersäumnisse verhüllen.

Wir haben darüber gesprochen und müssen das heute noch einmalwiederholen: Auf einer bestimmten Etappe begann das Land, an Ent-wicklungstempo zu verlieren, es begannen sich Schwierigkeiten undungelöste Probleme zu häufen, es kam zu Stagnations- und anderendem Sozialismus fremden Erscheinungen. Das alles wirkte sich ernst-haft auf die Wirtschaft sowie auf die sozialen und geistigen Sphären aus.

Natürlich, Genossen, blieb die Entwicklung des Landes nicht stehen.Dutzende Millionen sowjetischer Menschen arbeiteten ehrlich, vieleParteiorganisationen und unsere Kader wirkten aktiv im Interesse desVolkes. Das alles bremste das Anwachsen der negativen Prozesse,konnte sie aber nicht verhindern.

Page 10: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Objektiv reifte in der Wirtschaft und auch auf anderen Gebieten dieNotwendigkeit von Veränderungen heran, aber in der politischen undpraktischen Tätigkeit der Partei und des Staates fand sie keineRealisierung.

Worin liegt die Ursache für diese komplizierte und widersprüchlicheSituation?

Die Hauptursache – und das Politbüro hält es für notwendig, darüber in allerOffenheit auf dem Plenum zu sprechen – bestand darin, daß das ZK der KPdSU,die Führung des Landes vor allem aus subjektiven Gründen nicht rechtzeitig und invollem Umfang die Notwendigkeit von Veränderungen und die Gefahr desAnwachsens von Krisenerscheinungen in der Gesellschaft einschätzen sowie eineklare Linie zu ihrer Überwindung, zu einer umfassenderen Nutzung derMöglichkeiten, die im sozialistischen System liegen, erarbeiten konnte.

Bei der Ausarbeitung der Politik und in der praktischen Tätigkeit überwogenkonservative Haltungen, Trägheit, das Bestreben, alles vom Tisch zu wischen, wasnicht in die gewohnten Schemata paßte, und die mangelnde Bereitschaft zur Lösungder herangereiften sozialökonomischen Fragen.

Für all das, Genossen, tragen die führenden Organe der Partei unddes Staates die Verantwortung.

Der Grad des Erkennens der Lebensprobleme und Widersprüche,der gesellschaftlichen Tendenzen und Perspektiven hing in vielem vomStand und der Entwicklung des theoretischen Denkens und von dervorhandenen Atmosphäre an der theoretischen Front ab.

Der Hinweis Lenins, daß der Wert der Theorie darin besteht, daß sie«alle die Widersprüche, die im Leben bestehen» (W. I. Lenin, Werke,Bd. 4, S.75), genau abbildet, wurde zum Teil einfach ignoriert. Dietheoretischen Vorstellungen vom Sozialismus blieben in vielerleiHinsicht auf dem Niveau der 30er bis 40er Jahre, als die Gesellschaftgänzlich andere Aufgaben löste. Der sich entwickelnde Sozialismus, dieDialektik seiner Triebkräfte und Widersprüche sowie der reale Zustandder Gesellschaft wurden nicht zum Gegenstand tiefschürfenderwissenschaftlicher Forschungen.

Die Ursachen für diese Lage liegen weit zurück. Sie wurzeln noch injener konkreten historischen Situation, in der aufgrund bekannterUmstände aus der Theorie und der Gesellschaftswissenschaft die le-bendige Diskussion und schöpferisches Denken verschwanden undautoritäre Einschätzungen und Betrachtungen zu unantastbaren Wahr-

Page 11: Gorbatschow, Michael - Die Rede

heiten wurden, die man nur noch kommentieren konnte.Es kam zu einer Art Verabsolutierung der in der Praxis entstandenen

Organisationsformen der Gesellschaft. Mehr noch, solche Vor-stellungen vom Wesen der Sache wurden mit den ureigensten Merk-malen des Sozialismus gleichgesetzt, als unveränderlich betrachtet undals Dogmen verkündet, die für eine objektive Analyse keinen Raumlassen. Es hat sich eine starre Form sozialistischer Produktions-verhältnisse herausgebildet, und ihr dialektisches Zusammenwirken mitden Produktivkräften wurde unterschätzt. Die soziale Struktur derGesellschaft wurde schematisch als frei von Widersprüchen, als frei vonDynamik in den vielfältigen Interessen ihrer verschiedenen Schichtenund Gruppen dargestellt. Die leninschen Thesen vom Sozialismuswurden vereinfacht aufgefaßt und nicht selten ihrer theoretischen Tiefeund Bedeutung beraubt. Das betrifft auch solche Schlüsselproblemewie gesellschaftliches Eigentum, Klassenbeziehungen und Beziehungenzwischen den Nationalitäten, Maß der Arbeit und des Verbrauches,Kooperation, Methoden des Wirtschaftens, Volksherrschaft undSelbstverwaltung, Kampf gegen bürokratische Entstellungen. Dasbetrifft ferner das revolutionäre, umgestaltende Wesen dersozialistischen Ideologie, die Prinzipien der Ausbildung und Erziehungsowie die Garantie einer gesunden Entwicklung von Partei undGesellschaft. Oberflächliche Vorstellungen vom Kommunismus,Prophezeiungen und abstrakte Ansichten verschiedenster Art wurdenin gewissem Umfange verbreitet. Dadurch wurden die historischeBedeutung des Sozialismus geschmälert und der Einfluß der sozialisti-schen Ideologie geschwächt.

Ein solches Verhältnis zur Theorie mußte sich negativ auswirkenund hat sich tatsächlich auf die Gesellschaftswissenschaften und ihreRolle in der Gesellschaft negativ ausgewirkt. Es ist doch Tatsache,Genossen, daß bei uns nicht selten allerlei Art scholastischenTheoretisierens gefördert wurde, das niemandes Interessen undLebensprobleme berührte, während Versuche einer konstruktivenAnalyse und des Aufwerfens neuer Ideen keine Unterstützung fanden.

Die Lage an der theoretischen Front hatte negativen Einfluß auf dieLösung praktischer Fragen. Im Verlauf von Jahrzehnten wurden in derPraxis der Wirtschaftsführung und der Verwaltung veraltete Methodenkonserviert, einige effektive wirtschaftliche Formen dagegen ungerecht-

Page 12: Gorbatschow, Michael - Die Rede

fertigt abgelehnt. Gleichzeitig verbreiteten sich in Produktion undDistribution Beziehungen, die nicht der realen Reife der Gesellschaftentsprachen und in einigen Fällen zu deren Natur in Widerspruchgerieten. Die Produktion und die Stimulierung der Arbeit waren imGrunde genommen auf die quantitative, extensive Entwicklungorientiert.

Über das sozialistische Eigentum gilt es, gesondert zu sprechen. DieKontrolle darüber, wer es verwaltet und wie es verwaltet wird, erfuhreine ernsthafte Schwächung. Das sozialistische Eigentum wurde nichtselten von Ressortdenken und Lokalpatriotismus ausgehöhlt, es wurdescheinbar «herrenlos», wurde kostenlos, es hatte keinen realen Besitzerund wurde in vielen Fällen zur Erzielung von nicht erarbeitetenEinnahmen benutzt.

Eine falsche Einstellung gab es hinsichtlich des Kollektiveigentums,das als etwas Zweitrangiges und Perspektivloses hingestellt wurde. Alldies hatte ernsthafte Folgen in der Agrar- und Sozialpolitik, es bewirkteein Administrieren gegenüber den Kolchosen und führte zurAbschaffung der Handwerksgenossenschaften. Unvermeidbar waren soauch irrige Ansichten über individuelle Nebenwirtschaft undErwerbstätigkeit, was ebenso einen nicht geringen ökonomischen undgesellschaftlichen Schaden angerichtet hat.

Ernsthafte Deformierung häufte sich in der Planung. Die Autoritätdes Plans als Hauptinstrument der Wirtschaftspolitik wurde untergra-ben durch subjektivistisches Herangehen, Unausgewogenheit, Insta-bilität und das Bemühen, alles und jedes bis hin zu Kleinigkeiten zuerfassen, sowie durch die Vielfalt der Entscheidungen auf Zweig- undRegionalebene, die am Plan vorbei und oftmals ohne Berücksichtigungder realen Möglichkeiten getroffen wurden. Mitunter mangelte es denPlänen an wissenschaftlicher Fundiertheit. Sie waren nicht auf dieBildung effektiver volkswirtschaftlicher Proportionen, auf die ge-bührende Entwicklung des sozialen Bereichs und auf die Lösung dervielen strategischen Aufgaben gerichtet.

Das führte dazu, daß die gewaltigen Vorzüge des sozialistischenSystems der Wirtschaftsführung und vor allem ihre Planmäßigkeituneffektiv genutzt wurden. Unter diesen Bedingungen breitete sichVerantwortungslosigkeit aus, es wurden die verschiedensten bürokra-tischen Regeln und Instruktionen erfunden. Die lebendige Arbeit wurde

Page 13: Gorbatschow, Michael - Die Rede

durch Administrieren, hektische Betriebsamkeit und durch denAmtsschimmel ersetzt.

Die Vorurteile gegenüber der Rolle der Ware-Geld-Beziehungen und derWirkung des Wertgesetzes, die oftmals auch als dem Sozialismus wesensfremdhingestellt wurden, führten zu willkürlichen Methoden in der Wirtschaft, zurUnterschätzung der wirtschaftlichen Rechnungsführung, zu «Gleichmacherei» in derEntlohnung. Sie verursachten subjektivistisches Herangehen in der Preisbildung,Störungen der Geldzirkulation sowie Vernachlässigung der Regelung von Angebotund Nachfrage.

Besonders schwerwiegende Folgen hatten die Einschränkungen derRechte der Betriebe und Vereinigungen in der wirtschaftlichenRechnungsführung. Das untergrub die Grundlagen der materiellenStimulierung. Es verhinderte, daß hohe Endergebnisse erreicht wurden,und führte zu einem Absinken der Aktivität der Menschen in der Arbeitund im gesellschaftlichen Leben, zum Nachlassen von Disziplin undOrdnung.

Im Grunde entstand ein ganzes System zur Schwächung der ökono-mischen Machtinstrumente. Es bildete sich eine Art Mechanismusheraus, der die sozialökonomische Entwicklung bremste und die pro-gressiven Umwandlungen aufhielt, die es gestatten, die Vorzüge desSozialismus aufzudecken und zu nutzen. Die Ursachen dieser Ver-langsamung liegen in ernsten Funktionsmängeln der Einrichtungen dersozialistischen Demokratie, in veralteten, zuweilen auch realitäts-fremden politischen und theoretischen Prinzipien sowie in einem kon-servativen Leitungsmechanismus.

All das, Genossen, wirkte sich negativ auf die Entwicklung vielerLebensbereiche der Gesellschaft aus. Nehmen wir die materielle Pro-duktion. Das Wachstumstempo des Nationaleinkommens verringertesich in den vergangenen drei Planjahrfünften um mehr als die Hälfte.Seit Anfang der 70er Jahre wurden die meisten Plankennziffern nichterfüllt. Die Wirtschaft war Neuerungen gegenüber wenig aufge-schlossen und schwerfällig. Die Qualität eines erheblichen Teils derErzeugnisse entsprach nicht mehr modernen Ansprüchen, und dieDisproportionen in der Produktion verschärften sich.

Der Entwicklung des Maschinenbaus wurde nicht mehr genügendBeachtung geschenkt. Forschung und Entwicklung entsprachen nichtden Bedürfnissen der Volkswirtschaft und den Aufgaben ihrer techni-

Page 14: Gorbatschow, Michael - Die Rede

schen Umgestaltung. Der Erwerb von Ausrüstungen und vielen ande-ren Waren auf dem kapitalistischen Markt war maßlos und keineswegsimmer gerechtfertigt.

Die negativen Prozesse beeinträchtigten die soziale Sphäre erheblich,deren Zustand bereits auf dem XXVII. Parteitag eingeschätzt wordenwar. In den vergangenen Planjahrfünften zeigte sich eine eindeutigeSchwächung bei der sozialen Zielsetzung der Wirtschaft. Es trat eineeigentümliche Ignoranz gegenüber sozialen Fragen auf. Heute sehenwir, wohin das geführt hat.

Wir lösten erfolgreich die Fragen der Beschäftigung der Bevölkerungund sicherten die sozialen Garantien grundsätzlichen Charakters,konnten aber gleichzeitig die Möglichkeiten bei der Verbesserung derWohnverhältnisse, der Versorgung mit Lebensmitteln, der Organisationdes Transportwesens, der medizinischen Betreuung, der Bildung undbei der Lösung einer Reihe anderer vordringlicher Probleme nichtvollständig realisieren.

Es traten Verletzungen des wichtigsten Prinzips des Sozialismus – derVerteilung nach der Leistung – auf. Der Kampf gegen nicht aus der Arbeitstammende Einkünfte wurde nicht entschieden geführt. Die Politik der materiellenund moralischen Stimulierung einer hochproduktiven Arbeit war inkonsequent. Eswurden große Summen ungerechtfertigter Prämien, verschiedenartiger zusätzlicherVergünstigungen ausgezahlt. Es wurden gefälschte Abrechnungen um des Gewinnswillen zugelassen. Es kam eine Schmarotzer-Ideologie auf, die Psychologie der«Gleichmacherei» begann sich im Bewußtsein festzusetzen. Und das traf jeneWerktätigen, die besser arbeiten konnten und wollten, und erleichterte gleichzeitigdenjenigen das Leben, die gern während der Arbeit eine ruhige Kugel schieben.

Die Verletzung des organischen Zusammenhangs zwischen dem Maß der Arbeitund dem Maß des Verbrauchs deformiert nicht nur das Verhältnis zur Arbeit,indem das Wachstum ihrer Produktivität gehemmt wird, sondern führt auch zueiner Entstellung des Prinzips der sozialen Gerechtigkeit. Das ist schon eine Fragevon großer politischer Bedeutung.

Die in den letzten Jahren entstandenen Elemente der sozialen Kor-rosion wirkten sich negativ auf die geistige Atmosphäre in der Gesell-schaft aus und haben in gewisser Weise unmerklich die hohen mora-lischen Werte ausgehöhlt, die unserem Volk stets eigen waren und aufdie wir stolz sind: Überzeugung, Arbeitselan und sowjetischer Patrio-tismus.

Page 15: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Unvermeidliche Folgen sind sinkendes Interesse für gesellschaftlicheAngelegenheiten, Erscheinungen der Gleichgültigkeit und desSkeptizismus sowie das Sinken der Rolle moralischer Arbeitsanreize. Esvergrößerte sich die Schicht von Menschen, darunter auch Jugendliche,für die materieller Wohlstand und Bereicherung um jeden Preis dasLebensziel wurde. Ihre zynische Haltung nahm immer aggressivereFormen an, vergiftete das Bewußtsein der Menschen in ihrerUmgebung und schuf eine Welle des Konsumdenkens. Kennzeichnendfür die sinkende soziale Moral waren Zunahme der Trunksucht,Verbreitung des Drogenmißbrauchs und Zunahme der Kriminalität.

Einen verhängnisvollen Einfluß auf die moralische Atmosphäre inder Gesellschaft hatten Erscheinungen der Nichtachtung der Gesetze,von Augenauswischerei und Korruption sowie die Förderung vonKatzbuckelei und Lobhudelei. Die wahre Sorge um die Menschen, ihreArbeits- und Lebensbedingungen und ihr soziales Befinden wurde nichtselten durch politisches Kokettieren ersetzt – durch die massenhafteVergabe von Auszeichnungen, Titeln und Prämien. Es entstand eineAtmosphäre, in der alles entschuldigt wurde, es sanken dieAnforderungen, die Disziplin und die Verantwortung.

Ernsthafte Mängel in der politisch-ideologischen Erziehung wurdenin vielen Fällen mit großangelegten Veranstaltungen und Kampagnensowie Feiern einer Vielzahl von Jubiläen sowohl im Zentrum als auchim Territorium verschleiert. Die Welt der Realitäten des Alltags und diedes demonstrativen Wohlstands entfernten sich immer mehrvoneinander.

Die Ideologie und Psychologie der Stagnation spiegelten sich auchim Zustand der Bereiche Kultur, Literatur und Kunst wider. Die Be-wertungskriterien künstlerischen Schaffens wurden heruntergeschraubt.Das führte dazu, daß neben Werken, in denen ernste soziale undmoralische Probleme aufgeworfen und reale Lebenskonflikte wi-dergespiegelt wurden, nicht wenige mittelmäßige, gesichtslose Schöpf-ungen veröffentlicht wurden, die weder den Verstand noch die Gefühleansprachen. Das Eindringen von Stereotypen aus der bürgerlichenMassenkultur, die sich auf Trivialität, primitiven Geschmack und dasFehlen jeglichen ideellen Gehaltes gründen, in die sowjetischeGesellschaft verstärkte sich.

An dieser Stelle muß von der Verantwortung unserer für ideologi-

Page 16: Gorbatschow, Michael - Die Rede

sche Fragen zuständigen Staatsorgane, der Redakteure kulturellerZeitschriften, der Leiter von Künstlerverbänden, der Literaturkritiksowie der Schriftsteller und der Künstler selbst für die ideologisch-künstlerische Ausrichtung des Schaffensprozesses und für die mora-lische Gesundheit des Volkes gesprochen werden.

In der Tätigkeit der Künstlerverbände mangelte es an Prinzipienfe-stigkeit, hohen Anforderungen und wirklicher Sorge um die Entwick-lung und Unterstützung von Talenten. Besonders wichtige, den Zu-stand der Kultur betreffende Fragen wurden von den Leitungen derVerbände oft nicht gebührend beachtet. Gleichzeitig blühten Büro-kratismus und Formalismus auf, reagierte man auf Kritik äußerst in-tolerant. In einigen Fällen begannen maßlose Ambitionen über rea-listische Bewertungen und Selbsteinschätzungen die Oberhand zu ge-winnen.

Das wurde auch dadurch verschärft, daß der parteiliche Standpunkt zumkünstlerischen Schaffen nicht selten durch eine unbegründete behördlicheEinmischung in zutiefst schöpferische Prozesse sowie durch geschmacksbedingteSympathien und Antipathien, Methoden ideologischer Beeinflussung und Anleitung,durch administrative Entscheidungen ersetzt wurde.

Genossen! Auf die sozialökonomische und politische Situation, diesich Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre herausgebildet hatte, wirktesich auch der Zustand der Partei selbst und ihrer Kader aus. DieFührungsorgane der Partei vermochten es nicht, rechtzeitig und kritischdie Gefahr des Anwachsens negativer Tendenzen in der Gesellschaftund im Verhalten eines Teils der Parteimitglieder einzuschätzen undsolche Beschlüsse zu fassen, die das Leben nachdrücklich forderte.

Obwohl sie über gewaltige Möglichkeiten verfügten und praktisch inallen Arbeitskollektiven wirkten, konnten sich viele Grundorgani-sationen der Partei dennoch nicht auf prinzipiellen Positionen be-haupten. Längst nicht jede von ihnen kämpfte energisch gegen negativeErscheinungen, schrankenlose Eigenmächtigkeit, wechselseitigeBegünstigung, Nachlassen der Disziplin und Ausbreitung des Alko-holmißbrauchs. Nicht immer wurden Ressortgeist und Lokalpatrio-tismus sowie nationalistische Tendenzen entschieden zurückgewiesen.

Unsere Parteiorganisationen zeigten manchmal nicht den nötigenKampfgeist, sie stellten zu geringe Anforderungen an die Parteimit-glieder und vernachlässigten die Herausbildung der ideologischen und

Page 17: Gorbatschow, Michael - Die Rede

politischen Eigenschaften der Kommunisten. Dabei sind doch geradehohes ideologisches Niveau und Bewußtsein, die Bereitschaft, diepersönlichen den gesellschaftlichen Interessen unterzuordnen, undselbstloser Einsatz für das Volk die wertvollsten Eigenschaften, durchdie sich die Bolschewiki stets auszeichneten.

Auf die Lage in der Partei wirkte sich auch aus, daß die Parteiorganein einer Reihe von Fällen der strikten Einhaltung der leninschenPrinzipien und Normen des Parteilebens nicht genügend Aufmerk-samkeit widmeten. Am meisten ist das wohl bei der Verletzung derKollektivität der Arbeit deutlich geworden. Ich meine die Verringerungder Rolle der Parteiversammlungen und der gewählten Organe,wodurch die Kommunisten die Möglichkeit verloren, aktiv an der Be-ratung der lebenswichtigen Fragen teilzunehmen und letztendlichwirklich auf die Lage in den Arbeitskollektiven und in der ganzenGesellschaft Einfluß zu nehmen.

Nicht selten wurde das Prinzip der Gleichheit der Kommunistenverletzt. Viele Mitglieder der Partei, die führende Funktionen inne-haben, standen außerhalb der Kontrolle und Kritik, was zu Einbrüchenin der Arbeit und zu ernsten Verletzungen der Parteiethik führte.

Man darf auch nicht die gerechtfertigte Empörung der Werktätigenüber das Verhalten von leitenden Kadern verschweigen, die Vertrauenund Vollmachten besaßen und doch die Interessen des Staates und derBürger vertreten sollten und statt dessen die Macht mißbrauchten,Kritik unterdrückten und sich bereicherten. Einige wurden selbstKomplizen und sogar Organisatoren verbrecherischer Handlungen.

In Usbekistan, Moldawien, Turkmenien, in einigen Gebieten Ka-sachstans, in der Region Krasnodar, dem Gebiet Rostow sowie inMoskau und einigen anderen Städten, Gebieten, Regionen und Re-publiken, im Apparat des Ministeriums für Außenhandel und des Mi-nisteriums des Innern zeigten sich die negativen Prozesse im Zusam-menhang mit der politischen Entartung der Kader und der Verletzungder sozialistischen Gesetzlichkeit in äußerst krassen Formen.

Natürlich haben die Parteiorganisationen und die ganze Partei gegenderartige Erscheinungen gekämpft und eine beträchtliche Zahl politischentarteter Elemente aus den Reihen der KPdSU ausgeschlossen.Darunter waren auch solche, die sich der Unterschlagung, derKorruption und der Abfassung «frisierter» Berichte schuldig gemacht,

Page 18: Gorbatschow, Michael - Die Rede

die Staats- und Parteidisziplin verletzt haben und dem Alkohol verfallenwaren.

In der überwiegenden Mehrheit sind es die besten Vertreter derArbeiterklasse, der Bauern und der Intelligenz, die in die Partei einge-treten sind. Nach wie vor erfüllen sie aufrichtig und selbstlos ihre Par-teipflichten. Dennoch muß man zugeben, daß es in diesen Jahren nichtgelungen ist, sich vor unehrlichen, durchtriebenen und gewinnsüchtigenLeuten wirksam zu schützen, die aus ihrem Parteibuch Vorteile ziehenwollen. Wir sind in bestimmtem Maße von der Regel abgegangen: DasWichtigste ist nicht die Zahl der neuen Mitglieder, sondern die Qualitätder Parteireihen. Und das hat sich auf die Kampfkraft derParteiorganisation ausgewirkt.

Alles Gesagte, Genossen, zeugt davon, wie ernst die Lage in denverschiedenen Sphären der Gesellschaft ist und wie notwendig tief-greifende Veränderungen sind. Um so wichtiger ist es, noch einmal zuunterstreichen: Die Partei hat in sich die Kraft und den Mut gefunden,die Lage nüchtern einzuschätzen, die Notwendigkeit vongrundlegenden Veränderungen in Politik und Wirtschaft, auf sozialemund geistigem Gebiet zuzugeben, das Land auf den Weg von Umge-staltungen zurückzuführen.

In dieser Situation, Genossen, wurde auch die Frage der beschleu-nigten sozialökonomischen Entwicklung des Landes, der Umgestaltungaufgeworfen. Im wesentlichen geht es um eine Wendung und umMaßnahmen revolutionären Charakters. Wir sprechen von der Um-gestaltung und mit ihr verbundenen Prozessen einer tiefgreifendenDemokratisierung der Gesellschaft und haben wirklich revolutionäresowie allseitige Veränderungen in der Gesellschaft vor.

Ein solcher grundlegender Umschwung ist notwendig, denn einenanderen Weg gibt es für uns einfach nicht. Zurückgehen dürfen wirnicht und werden wir niemals. Wir haben die Pflicht, den Kurs desApril-Plenums des ZK und des XXVII. Parteitages konsequent undunbeirrt zu verwirklichen, vorwärts zu schreiten und die Gesellschaftauf ein qualitativ neues Entwicklungsniveau zu heben.

Wenn man gesellschaftliche Umwandlungen in Angriff nimmt, somuß man sich – wie es W. I. Lenin lehrte – einen Begriff davon ma-chen, «worin eigentlich dieser Übergang besteht, wovon er... ausgehtund wozu er führt» (W.I. Lenin, Werke, Bd. 32, S.295). Die Kritik an

Page 19: Gorbatschow, Michael - Die Rede

der Vergangenheit gibt – indem sie zu einem wichtigen Moment derEntwicklung wird – die Möglichkeit, Lehren und Schlußfolgerungen fürden heutigen und morgigen Tag zu ziehen, sie unterstützt daskonstruktive Herangehen bei der richtigen Wahl der Mittel und Wegedes Voranschreitens. Wir haben eine wissenschaftlich begründeteStrategie der Beschleunigung ausgearbeitet – in der klaren Erkenntnis,daß Hast oder Spontaneität bei der Herausbildung von Vorstellungenüber die Zukunft nicht weniger gefährlich sind als Trägheit oderdogmatische Entstellungen.

Heute besteht die Notwendigkeit, noch einmal zu sagen, wie wir dieUmgestaltung verstehen.

Unter Umgestaltung verstehen wir die entschlossene Überwindungstagnierender Prozesse, das Beseitigen all dessen, was bremst, sowie dieSchaffung eines zuverlässigen und wirksamen Mechanismus zurBeschleunigung der sozialökonomischen Entwicklung der sowjetischenGesellschaft. Der Hauptgedanke unserer Strategie ist, die Er-rungenschaften der wissenschaftlich-technischen Revolution mit derPlanwirtschaft zu verbinden und das gesamte Potential des Sozialismuszu mobilisieren.

Umgestaltung – das ist das Sichstützen auf das lebendige Schöpfer-tum der Massen, das ist die allseitige Entwicklung der Demokratie undder sozialistischen Selbstverwaltung und die Förderung von Initiativen,von Selbständigkeit, die Stärkung der Disziplin und Ordnung, dieErweiterung der Offenheit, Kritik und Selbstkritik in allen Bereichendes gesellschaftlichen Lebens; das ist ein Höchstmaß an Achtung derWerte und Würde der Persönlichkeit.

Umgestaltung – das ist die ständige Erhöhung der Rolle der intensi-ven Faktoren bei der Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft, dieWiedereinführung und Entwicklung der leninschen Prinzipien des de-mokratischen Zentralismus bei der Leitung der Volkswirtschaft, dieallgemeine Einführung wirtschaftlicher Leitungsmethoden, der Verzichtauf Kommandieren und Administrieren, die Garantie des Übergangsaller Wirtschaftszweige zu den Prinzipien der vollständigenwirtschaftlichen Rechnungsführung und zu neuen Formen der Arbeits-und Produktionsorganisation, die allseitige Förderung von Neuerertumund sozialistischer Initiative.

Umgestaltung – das ist die entschlossene Hinwendung zur Wissen-

Page 20: Gorbatschow, Michael - Die Rede

schaft, die aktive Partnerschaft von Wissenschaft und Praxis mit demZiel maximaler Resultate, die Fähigkeit, stets auf einer soliden wis-senschaftlichen Grundlage zu handeln, die Bereitschaft und der bren-nende Wunsch der Wissenschaftler, den Kurs der Partei auf die Er-neuerung der Gesellschaft aktiv zu unterstützen; gleichzeitig ist dasauch die Sorge um die Entwicklung der Wissenschaft, ihren Kaderzu-wachs und ihre aktive Teilnahme an den Umgestaltungsprozessen.

Umgestaltung – das ist die vorrangige Entwicklung des sozialen Be-reichs, die immer bessere Befriedigung der Bedürfnisse des sowjeti-schen Volkes hinsichtlich guter Arbeits- und Lebensbedingungen, Er-holung, Bildung und medizinischer Betreuung; das ist das ständigeBemühen um geistigen Reichtum, die Kultur des Individuums und derGesellschaft; das ist die Fähigkeit, die Lösung der großen undgrundlegenden Probleme des Lebens der Gesellschaft mit der Lösungder täglichen Fragen, die die Menschen bewegen, zu verbinden.

Umgestaltung – das ist die energische Befreiung der Gesellschaftvon Entstellungen der sozialistischen Moral, die konsequente Ver-wirklichung der Prinzipien sozialer Gerechtigkeit; das ist die Einheitvon Wort und Tat, von Rechten und Pflichten; das ist die Wertschät-zung ehrlicher und in guter Qualität ausgeführter Arbeit sowie dieÜberwindung von gleichmacherischen Tendenzen in der Entlohnungund des Konsumdenkens.

Das Endziel der Umgestaltung ist wohl klar: Die tiefgreifende Er-neuerung aller Seiten des Lebens im Lande, die Schaffung modernsterOrganisationsformen der sozialistischen Gesellschaft, die volle Aus-schöpfung des humanistischen Charakters unserer Ordnung in allenihren entscheidenden Aspekten – den ökonomischen, sozialen undpolitischen sowie moralischen.

Diese Arbeit, Genossen, haben wir gemeinsam eingeleitet. Die Um-gestaltung ist auf der gesamten Front in Gang gekommen. Sie nimmteine neue Qualität an – sie geht nicht nur in die Breite, sondern dringtin die tiefen Bereiche des Lebens ein.

Die Umgestaltung hat alle gesunden Kräfte der Gesellschaft in Be-wegung gesetzt und Zuversicht für das Handeln geweckt. Es wächst dieZahl der Parteikomitees, der gesellschaftlichen Organisationen undArbeitskollektive, für die die objektive, selbstkritische Einschätzung desStandes der Dinge, das Abgehen von Formalismus und Schematismus

Page 21: Gorbatschow, Michael - Die Rede

in der Arbeit sowie die Suche nach neuen, originellen Wegen zurLösung der Probleme charakteristisch ist. Wir verspüren die aktive undentschlossene Unterstützung von Seiten der Arbeiter und Bauern, derkünstlerischen und der wissenschaftlich-technischen Intelligenz, allerSchichten der sowjetischen Gesellschaft.

Im Land bildet sich eine neue ethisch-moralische Atmosphäre her-aus. Eine Neubestimmung der Werte, ein schöpferisches Umdenken istim Gange, Diskussionen über die Wege der Umgestaltung in derWirtschaft sowie im sozialen und geistigen Bereich haben sich entfaltet,die Suche nach neuen Methoden in der organisatorischen undideologischen Arbeit nimmt an Breite zu. Offenheit, Wahrhaftigkeit inder Bewertung der Erscheinungen und Ereignisse, Unversöhnlichkeitgegenüber Mängeln sowie der Wunsch nach Verbesserung der Dingesetzen sich immer mehr als aktiv wirkende Lebensprinzipien durch.

Verantwortungsbewußtsein und Disziplin sowie Organisiertheit in derProduktion nehmen zu, es ist mehr Ordnung eingezogen. Besonders wichtig sind füruns die ersten Schritte bei der Umgestaltung des geistigen Lebens, denn ohne einenUmschwung im gesellschaftlichen Bewußtsein, ohne Veränderungen im Geist und imDenken, in der Einstellung der Menschen können wir nicht erfolgreich sein,Genossen.

Wir haben die grundlegende Umgestaltung der materiell-technischenBasis, die tiefgreifende Rekonstruktion der Volkswirtschaft auf derGrundlage des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und dieVeränderung der Struktur- und Investitionspolitik in Angriff genom-men. In den führenden Richtungen des wissenschaftlich-technischenFortschritts wurden umfangreiche Zielprogramme angenommen. Siewurden bei der Ausarbeitung und werden bei der Realisierung deszwölften Fünfjahrplanes berücksichtigt.

Verwirklicht werden bedeutende Maßnahmen zur Vervollkomm-nung der Leitung. Seit Anfang dieses Jahres wurden alle Betriebe undVereinigungen der Industrie auf experimentell geprüfte Methoden derWirtschaftsführung umgestellt. Eine Reihe von Zweigen, Betrieben undVereinigungen begann auf der Grundlage der durchgängigen wirtschaft-lichen Rechnungsführung und Eigenfinanzierung zu arbeiten.

Nach den Prinzipien, die eine umfangreiche Selbständigkeit underhöhte Verantwortung gewährleisten, begannen die Wirtschaftszweigezu arbeiten, die unmittelbar der Befriedigung der Bedürfnisse der

Page 22: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Bevölkerung dienen, wie der Agrar-Industrie-Komplex, dieLeichtindustrie, der Handel und der Dienstleistungsbereich. Grund-legende Veränderungen werden in der Leitung des Investitionsbausvorgenommen. Zur Verstärkung des Kampfes um hohe Qualität derErzeugnisse wurde in 1500 führenden Betrieben eine staatliche Er-zeugnisabnahme eingeführt.

Das System der außenwirtschaftlichen Tätigkeit wird umgestaltet, dieRechte der Betriebe und Zweige in den außenwirtschaftlichen Be-ziehungen wurden erweitert. Weiterentwickelt werden neue Formen derZusammenarbeit – direkte Beziehungen der Betriebe, gemeinsameVereinigungen, Spezialisierung und Produktionskooperation mitausländischen Partnern.

Für den Übergang zu einem komplexen System der Leitung derVolkswirtschaft wurden ständige Organe des Ministerrates der UdSSRzur Leitung von Gruppen miteinander verbundener Zweige gebildet. Eswurde ein Gesetzentwurf über staatliche Betriebe erarbeitet. Vorbereitetwerden Dokumente zur Vervollkommnung der Funktion der zentralenWirtschaftsorgane, der Ministerien und anderer zentralen Staatsorganeunter den Bedingungen eines neuen Wirtschaftsmechanismus, Vor-schläge zur Organisierung neuer Formen großer nach der wirtschaft-lichen Rechnungsführung arbeitender Produktionsstrukturen auf derBasis von Vereinigungen und Betrieben sowie zu einer Reihe andererwichtiger Fragen.

Es werden umfangreiche Maßnahmen für Verbesserungen im so-zialen Bereich realisiert. Neue Prinzipien der Erhöhung der Arbeits-löhne in den Produktionszweigen wurden erarbeitet und werden ver-wirklicht. Wir nahmen entschieden Kurs auf den Verzicht auf«Gleichmacherei», auf die konsequente Einhaltung des sozialistischenPrinzips der Verteilung nach Qualität und Quantität der Arbeit.

Gleichzeitig wurden unbegründete Beschränkungen für individuelleArbeit aufgehoben. Für ihre Entwicklung werden jetzt günstigeBedingungen geschaffen. Um den Bedarf der Bevölkerung besser zudecken, wird die Bildung von Genossenschaften in verschiedenenBereichen von Produktion und Dienstleistung gefördert.

Durch Analyse der Lage im Wohnungsbau und unter Berücksich-tigung der programmatischen Aufgabe, bis zum Jahre 2000 jede Familiemit einer eigenen Wohnung zu versorgen, wurden zusätzliche Reserven

Page 23: Gorbatschow, Michael - Die Rede

zur Steigerung des Tempos im Wohnungsbau und zur Verbesserungseiner Qualität aufgedeckt. Für diese Zwecke werden zusätzlich zehnProzent der Produktionsinvestitionen verwendet, wodurch der Umfangdes Wohnungsbaus schon 1987 erhöht werden kann, und zwargegenüber den Auflagen des Fünfjahrplans um 9,1 MillionenQuadratmeter bzw. um fast acht Prozent.

Der genossenschaftliche und der individuelle Wohnungsbau werdenerweitert. Dafür werden Vorzugskredite gewährt und die notwendigenRessourcen bereitgestellt sowie Maßnahmen zur Entwicklung von Bau-und Montageleistungen in Eigenausführung durch betriebliche Mittelzur Verstärkung der Produktionsbasis des Bauwesens u. a. durch-geführt.

Geplant ist ein Programm des Neubaus und der Rekonstruktionmedizinischer Einrichtungen, vergrößert werden die Kapazitäten für dieProduktion einheimischer Medikamente und medizinischer Aus-rüstungen, beschleunigt wird die Einführung und Entwicklung neuerFormen der medizinischen Betreuung sowie der Organisation dermedizinischen Wissenschaft. In organischem Zusammenhang damitwerden Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbe-dingungen der Bevölkerung, zur Erweiterung der Prophylaxe, zurAusmerzung von Sauferei und Alkoholismus sowie zur Senkung desKrankenstandes verwirklicht. Die Löhne der Mitarbeiter des Ge-sundheitswesens werden erhöht.

So, Genossen, zeigt selbst ein kurzer Überblick des Geplanten unddes bereits in Angriff Genommenen, welches Ausmaß die Um-gestaltung annimmt, die in unserem Land vor sich geht. Der Umfangder Aufgaben ist riesengroß, aber anders kann das auch nicht sein. DiePartei hat nicht das Recht, auch nur in einem einzigen Bereich derUmgestaltung in ihrer Aufmerksamkeit nachzulassen. Alles Geplantemuß unbedingt verwirklicht, genau und fristgemäß erfüllt werden.

Es ist klar, daß einige Maßnahmen, die wir planen und verwirk-lichen, nicht gleich reale Ergebnisse bringen. Schon heute aber ver-ändern die Atmosphäre und die neue Einstellung in der Gesellschaft dieArbeitshaltung und bringen praktische Resultate.

Davon zeugen auch die Planergebnisse des ersten Jahres des Fünf-jahrplans.

Das erwirtschaftete Nationaleinkommen stieg um 4,1 Prozent ge-

Page 24: Gorbatschow, Michael - Die Rede

genüber 3,9 Prozent im Plan und einer durchschnittlichen Steigerungvon 3,6 Prozent im elften Planjahrfünft. Die Industrieproduktion nahmum 4,9 Prozent zu. Die Steigerungsrate lag damit um ein Drittel höherals im Durchschnitt des elften Planjahrfünfts und ist die höchste derletzten neun Jahre.

Wie Sie wissen, hat das zwölfte Planjahrfünft hinsichtlich der Mo-dernisierung des sowjetischen Maschinenbaus, der Erneuerung derProduktionstechnik und der Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts entscheidende Bedeutung für uns. Die Auf-gabe, den Maschinenbaukomplex vorrangig zu entwickeln, wird nurunter großen Schwierigkeiten gelöst, aber die Sache ist in Gang ge-kommen. Die Produktion von Industrierobotern ist innerhalb einesJahres um 14 Prozent gestiegen, die Produktion von flexiblen automa-tisierten Fertigungssystemen um das 2,6fache, von Fertigungszellen aufdas 2,2fache, von Bearbeitungszentren auf das l,4fache. Um 30 Prozentwurden die Investitionen zur technischen Neuausrüstung undRekonstruktion der produzierenden Maschinenbaubetriebe erhöht. DasPolitbüro wird die Verwirklichung des Maschinenbauprogramms unterständiger Kontrolle behalten. Wir hoffen, daß die Maschinenbauer dieihnen gestellten Aufgaben bewältigen werden.

Auch in einigen anderen Industriezweigen ist eine gewisse Verbes-serung der Situation zu verzeichnen. Mit guten Ergebnissen haben dieEisenmetallurgie, die Kohlenindustrie und die Gaserzeugungs- undVerarbeitungsbetriebe das Jahr abgeschlossen. Die Rückstände in derErdölförderung werden aufgeholt.

Die Arbeitsproduktivität in der Industrie stieg insgesamt um 4,6Prozent bei einer Planvorgabe von 4,1 Prozent. Im Ergebnis dessenbetrug der Jahreszuwachs an Erzeugnissen 95 Prozent. Zum erstenmalseit vielen Jahren war eine spürbare Senkung der Selbstkosten zuverzeichnen. Der Umlauf der materiellen Mittel wurde beschleunigt, derBestand an nicht installierten Ausrüstungen, darunter von Im-portanlagen, verringerte sich.

In der Entwicklung des Agrarsektors ist eine Verbesserung festzu-stellen. Gegenüber den durchschnittlichen Jahreskennziffern des letztenPlanjahrfünfts stieg die Produktion von Getreide 1986 um fast 30Millionen Tonnen oder um 17 Prozent, von Kartoffeln um fast neunMillionen Tonnen oder um elf Prozent, von Zuckerrüben um fast drei

Page 25: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Millionen Tonnen oder um vier Prozent, von Fleisch um 1,5Millionen Tonnen oder um neun Prozent, von Milch um 6,5

Millionen Tonnen oder um sieben Prozent, von Eiern um fast sechsMillarden Stück oder um acht Prozent.

Wie Sie sehen, hat ein Produktionswachstum eingesetzt, wie wir esbei den meisten wichtigsten Kennziffern lange Jahre nicht hatten. Esmuß aber auch gesagt werden, daß bei Kulturen wie Gemüse, Obst,Sonnenblumen und Baumwolle der Zuwachs entweder geringfügig waroder die Produktion auf dem alten Stand blieb.

Wichtig ist auch festzustellen, daß sich die finanzökonomischenHauptkennziffern der Tätigkeit der Kolchose und Sowchose verbes-serten. Die Arbeitsproduktivität im gesellschaftlichen Wirtschaftssektorstieg innerhalb eines Jahres um 6,9 Prozent, die Rentabilität betrug 19Prozent, um zwei Milliarden Rubel stieg der Reingewinn.

Wenn wir auf die positiven Veränderungen in der Wirtschaftsent-wicklung verweisen, muß zugleich festgestellt werden, daß durch großeVerluste und unproduktive Ausgaben sowie Nichterfüllung derAufgaben zur Erweiterung des Warenaustausches der im Staatsplanvorgesehene Zuwachs an Nationaleinkommen, der für Konsumtionund Akkumulation vorgesehen war, nicht erreicht wurde.

Ungeachtet der bedeutenden Erhöhung im Vergleich zum Vorjahrlagen die Zuwachsraten bei solchen wichtigen Kennziffern wie des Pro-Kopf-Realeinkommens, der Nettoproduktion der Landwirtschaft, derKonsumgüterproduktion der Industrie, des Umfangs der Investitionenund der Inbetriebnahme von Grundfonds sowie des Gewinns aus derVolkswirtschaft unter den Planvorgaben. Es gab keine grundlegendenVeränderungen im Investitionsprozeß, nur zwei Drittel der in derNomenklatur des Staatsplans genannten Objekte wurden in Betriebgenommen.

Veränderungen haben, wenn auch mit großen Schwierigkeiten, imsozialen Bereich begonnen. Nachdem die Maßnahmen zur Festigungder Disziplin und zum Kampf gegen den Alkoholmißbrauch erlassenwurden, ist erstmals seit den 60er Jahren die Zahl der Unfälle gesunken,die Arbeitsausfälle sind geringer geworden, die allgemeine Kriminalitätist fast um ein Viertel zurückgegangen und die Zahl schwererVerbrechen um ein Drittel. Überall ist der Kampf gegen Verletzungenvon Gesetz und Ordnung unerbittlicher geworden.

Page 26: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Der Umfang des Wohnungsbaus ist gewachsen, wodurch im Ver-gleich zu 1985 5,2 Millionen Quadratmeter Wohnfläche mehr überge-ben werden konnten. Es wurden mehr Kindergärten und -krippen,Schulen, Polikliniken und Krankenhäuser sowie kulturelle und sozialeEinrichtungen gebaut.

Kurzum, es gibt positive Veränderungen, aber zu groß ist die Lastder Probleme, die sich in diesem wichtigen Bereich angehäuft haben,und zu zaghaft kämpfen wir noch um ihre Lösung.

Wie Sie wissen, wurden unter großen Schwierigkeiten Reserven fürdie Erweiterung des Wohnungsbaus und den Bau von kulturellen undsozialen Objekten erschlossen. Leider haben aber längst noch nicht alledie ihnen zur Verfügung gestellten Möglichkeiten voll genutzt. DiePläne für den Bau vieler dieser Objekte wurden nicht erfüllt. DieGründe dafür sind nicht nur in Mängeln bei der Organisation der Ar-beit der Bauleute zu suchen, sondern auch in Nachlässigkeit von seitender Betriebe, Ministerien, der örtlichen Sowjets und der Parteikomitees.

Wir haben weiterhin Schwierigkeiten im Handel mit Lebensmittelnund Industriewaren, beim innerstädtischen Verkehr und in der Kom-munalwirtschaft sowie in Einrichtungen des Gesundheitswesens undder Kultur. Im allgemeinen haben wir keine grundlegenden Verände-rungen bei der Entwicklung des sozialen Bereichs erreicht, und unsbeherrschen nach wie vor weitgehend alte Denkweisen.

Zum Abschluß der Charakteristik der Arbeit, die die Partei und dasganze Volk zur Verwirklichung der Beschlüsse des XXVIL Parteitagesleistet, möchte ich folgendes sagen: Für uns, die Mitglieder desZentralkomitees, ist es sehr wichtig, an den Positionen des Realismusund der objektiven Einschätzung des Geleisteten festzuhalten und dieerzielten Ergebnisse nicht nur von vergangenen Positionen zu be-trachten, sondern vor allem von den von uns verkündeten Plänen undvon den dem Volk gegebenen Versprechen auszugehen. Das ist daseinzig richtige parteiliche Herangehen.

Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir uns noch in derAnfangsphase der Umgestaltung befinden. Die wichtigste und kom-plizierteste steht uns noch bevor. Es gilt, beharrlich, Schritt für Schrittund ohne zu schwanken vorwärts zu schreiten, das Geleistete nüchterneinzuschätzen, sich nicht zu scheuen, Fehler zu korrigieren, neueVerfahren und Methoden für die Lösung der anstehenden Aufgaben zu

Page 27: Gorbatschow, Michael - Die Rede

suchen und zu finden und die gesteckten Ziele unbedingt zu erreichen.Wir müssen entschlossen aus der Vergangenheit die Lehren ziehen –

wir dürfen keine Diskrepanz zwischen den Beschlüssen und derpraktischen Arbeit zu ihrer Durchsetzung zulassen. Wir dürfen nichtselbstzufrieden und überheblich sein. Ich sage das noch einmal, weiluns das immer noch zu schaffen macht. Man muß handeln, handelnund nochmals handeln – aktiv, kühn, schöpferisch und kompetent.

Diese Frage wird auch dadurch diktiert, daß noch in vielen Wirt-schafts-, Staats- und auch Parteiorganen, in den Arbeitskollektivenselbst bis jetzt längst nicht alle mit den Forderungen des Lebens Schritthalten. Viele Menschen, die sich langsam von der Last derVergangenheit befreien, warten ab, was die Sache offenkundig bremstund die umfassende Entwicklung der politischen und gesellschaftlichenArbeitsaktivität des Volkes beeinträchtigt.

Nicht alle haben verstanden, daß auf neue Art zu arbeiten bedeutet,sich entschieden von alten Gewohnheiten und Methoden zu trennen.Und das wird letzten Endes von der staatsbürgerlichen Haltung einesjeden, von der gewissenhaften Beziehung zur ihm übertragenen Sacheund zu seinen Pflichten abhängen, wofür wir alle vor der Partei, vordem Land und vor unserem Gewissen verantwortlich sind.

Treffen und Gespräche mit Werktätigen, Partei- und Wirtschafts-kadern zeigen, daß die Umgestaltung leidenschaftlich unterstützt wird.Für die Umgestaltung steht, wie es heißt, das Volk wie ein Mann ein.Aber folgendes zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Viele, die dasNeue unterstützen, sind der Meinung, daß man irgendwo da oben oderirgend jemand anderes verpflichtet ist umzugestalten – die Partei-,Staats- und Wirtschaftsorgane, die anderen Bereiche, die gemeinsamenBetriebe, die Arbeitskollegen in der Werkhalle, im Land-wirtschaftsbetrieb oder auf der Baustelle. Kurz gesagt alle – nur nichtsie selbst.

Nein, Genossen, gerechterweise muß jeder von uns, wenn er dieUmgestaltung auf allen Ebenen fordert, mit der Umgestaltung bei sichselbst beginnen. Auf neue Weise arbeiten – energisch, schöpferisch, ichwiederhole, ihrem Gewissen entsprechend arbeiten – müssen alle –Arbeiter, Kolchosbauern, Intelligenzler, kurz alle, vom Arbeitskollektivbis hin zum Zentralkomitee der KPdSU und zur Regierung.

Bei der gewaltigen Sache der Umgestaltung stützen wir Kommuni-

Page 28: Gorbatschow, Michael - Die Rede

sten uns vor allem auf das hohe Bewußtsein und die Organisiertheit, diegesellschaftliche Initiative und die großen Arbeitstaten der Arbei-terklasse, der führenden politischen Kraft unserer Gesellschaft.

Die Arbeiterklasse und das ganze Sowjetvolk schätzen den Kurs derPartei zur Umgestaltung und bringen gleichzeitig ihre Sorge über denVerlauf ihrer praktischen Verwirklichung zum Ausdruck. Sie rufen diePartei auf, nicht bei dem Erreichten stehenzubleiben, entschieden zuhandeln, weiterzugehen und unbeirrt den eingeschlagenen Kurs zuverwirklichen. Daraus, Genossen, müssen wir politische Schlußfol-gerungen ziehen.

Da diese Sorge in der Gesellschaft existiert, genügen unsere An-strengungen offenkundig noch nicht. Das bedeutet, nicht überall undnicht in jeder Hinsicht handeln wir mit der notwendigen Effektivitätund dem notwendigen Nachdruck. Das bedeutet, bei weitem nichtüberall entsprechen die eingeleiteten Maßnahmen und die geleisteteArbeit dem Ausmaß und der Schärfe der angehäuften Probleme, nichtalles läuft so, wie es die Zeit erfordert. Das bedeutet, Genossen, dasZentralkomitee hat allen Grund, nachzudenken und die notwendigenSchlußfolgerungen zu ziehen.

Wir sind uns natürlich bewußt, daß die Überwindung der entstande-nen Klischees im Denken und Handeln ein komplizierter, nichtschmerzloser Prozeß ist, der Zeit und ein besonnenes Herangehenerfordert.

Es liegt ganz klar auf der Hand, daß sich dieser Prozeß nicht auto-nom, losgelöst von den Umgestaltungen im politischen, sozialökono-mischen und geistigen Leben vollziehen kann.

Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß heute ein ganzes Systemvon Maßnahmen erforderlich ist. Dazu gehören sowohl die Ausarbei-tung der theoretischen Grundsätze, die auf den Realitäten der Gegen-wart und einer tief fundierten wissenschaftlichen Voraussicht der Zu-kunft basieren, als auch die Veränderung des gesellschaftlichen Be-wußtseins, die konsequente Weiterentwicklung der demokratischenInstitutionen sowie die Erziehung der Massen zu politischer Kultur, dieUmgestaltung des Mechanismus der Wirtschaftsführung und der Or-ganisationsstrukturen und natürlich eine aktive Sozialpolitik.

Nur so kann der Bremsmechanismus ausgeschaltet werden, und nurso werden die Kräfte der Beschleunigung den für sie notwendigen

Page 29: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Spielraum erhalten.Das heutige Plenum des ZK muß, so meine ich, der Partei und dem

Volk sagen, daß uns ein schwieriger Kampf bevorsteht, der von jedemKommunisten, jedem Bürger hohes Bewußtsein und Organisiertheit,Ausdauer und äußerste Selbstlosigkeit erfordert.

Genossen! Die Analyse des Standes, auf dem sich unsere Gesell-schaft vor dem April-Plenum des ZK befunden hat, und die Erfahrungbei der Umgestaltung werfen in aller Schärfe eine Frage höchster Wich-tigkeit auf. Haben wir Garantien dafür, daß der eingeleitete Prozeß derUmgestaltungen bis zu Ende geführt wird, daß sich frühere Fehler nichtwiederholen und wir eine wirkliche Entwicklung unserer Gesellschaftgewährleisten können?

Diese Fragen beantwortet das Politbüro eindeutig: Ja, wir habensolche Garantien.

DAS sind der einheitliche Wille und das gemeinsame Handeln vonPartei und Volk, die durch ihre Erfahrungen aus der Vergangenheit unddurch das Erkennen ihrer Verantwortung für Gegenwart und Zukunftder sozialistischen Heimat vereint sind.

Das sind die allseitige Entwicklung der Demokratie in der sozialisti-schen Gesellschaftsordnung sowie die reale und immer aktivere Teil-nahme des Volkes an der Lösung aller das Leben des Landes betref-fenden Fragen, das ist die völlige Wiederherstellung der leninschenPrinzipien der Publizität, gesellschaftlichen Kontrolle, Kritik undSelbstkritik, das ist Offenheit in der Politik, die in der Einheit von Wortund Tat besteht.

Letztendlich ist das eine gesunde Entwicklung der Partei selbst, ihrerFähigkeit, die eigene Arbeit kritisch zu analysieren, des Vermögens, dieFormen und Methoden ihrer Arbeit zu erneuern, auf der Grundlage derrevolutionären Theorie die Entwicklungsperspektiven der Gesellschaftzu bestimmen und für die Lösung der neuen Aufgaben zu kämpfen, diedas Leben stellt.

Gerade die Vertiefung der sozialistischen Demokratie, das Schöp-fertum der sowjetischen Menschen sowie die avantgardistische Rolleder Kommunisten in der Praxis gewährleisten sowohl den Erfolg alsauch die Unumkehrbarkeit der vom XXVII. Parteitag abgestecktenrevolutionären Umgestaltungen.

Page 30: Gorbatschow, Michael - Die Rede

2. Die sozialistische Demokratie vertiefen, dieSelbstverwaltung des Volkes entwickeln

Heute verstehen wir die ganze Tragweite des leninschen Gedankensvom lebendigen inneren Zusammenhang zwischen Sozialismus undDemokratie besser als je zuvor, die gesamten historischen Erfahrungenunseres Landes haben überzeugend bewiesen, daß die sozialistischeGesellschaftsordnung die politischen und sozialökonomischen Rechteder Bürger und ihre persönliche Freiheit tatsächlich garantiert, dieÜberlegenheit der sowjetischen Demokratie offenbart und jedemMenschen den Glauben an die Zukunft gegeben hat.

Aber unter den Bedingungen der Umgestaltung, in der sich dieAufgabe der Aktivierung des subjektiven Faktors so akut stellt, müssenwir erneut auf die leninsche Fragestellung nach dem Maximum desDemokratismus in der sozialistischen Gesellschaftsordnung zu-rückkommen, in der sich der Mensch als Herr und Schöpfer fühlt.

Lenin sagte: «Wir müssen mit dem Leben Schritt halten, wir müssender schöpferischen Kraft der Volksmassen volle Freiheit gewähren» (W.J. Lenin, Werke, Bd. 26, S. 252).

Ja, eine Demokratie, die auf der Macht des arbeitenden Menschenberuht, das ist die Form der Realisierung seiner umfassenden politi-schen und staatsbürgerlichen Rechte, seiner Interessiertheit an Um-gestaltungen und seiner praktischen Beteiligung an deren Verwirk-lichung.

Im gesellschaftlichen Bewußtsein setzt sich immer mehr der einfa-che und klare Gedanke durch, daß ein Mensch nur dann in seinemHaus Ordnung schaffen kann, wenn er sich dort als Hausherr fühlt.Diese Wahrheit gilt nicht nur für das tägliche Leben, sondern auch fürden gesellschaftspolitischen Bereich. Sie muß strikt in die Tat umgesetztwerden, ich unterstreiche – in die Tat. Sonst erweist sich der FaktorMensch als wirkungslos.

Nur bei konsequenter Entwicklung der demokratischen Formen, diedem Sozialismus eigen sind, und bei Erweiterung der Selbstverwaltungsind bei uns Fortschritte in der Produktion, in der Wissenschaft undTechnik, in der Literatur, der Kultur und Kunst, in allen Sphären desgesellschaftlichen Lebens möglich. Nur ein solcher Weg gewährleistet

Page 31: Gorbatschow, Michael - Die Rede

eine bewußte Disziplin. Nur durch Demokratie und dank derDemokratie ist die Umgestaltung selbst möglich. Nur so er halten diegewaltige schöpferische Kraft des Sozialismus, die freie Ar bei und einfreier Geist in einem freien Land Raum.

Deshalb ist die weitere Demokratisierung der sowjetischen Gesell-schaft eine unaufschiebbare Aufgabe. Darin gerade besteht das Wesendes Kurses des April-Plenums und des XXVII. Parteitages der KPdSUauf die Vertiefung der sozialistischen Selbstverwaltung des Volkes. Esgeht selbstverständlich nicht um einen Umbruch in unserem politischenSystem. Wir müssen mit maximaler Effizienz alle seine Möglichkeitennutzen und der Arbeit der Partei, der Sowjets, der Staatsorgane, dergesellschaftlichen Organisationen und der Arbeitskollektive einen tiefendemokratischen Inhalt verleihen und allen Zellen des gesellschaftlichenOrganismus ein neues Leben einflößen.

Dieser Prozeß findet im Lande bereits statt. Lebendiger wird dasLeben der Parteiorganisationen. Kritik und Selbstkritik werden er-weitert. Die Massenmedien sind aktiver geworden. Die sowjetischenMenschen spüren deutlich den günstigen Einfluß der Publizität, die zurNorm des gesellschaftlichen Lebens wird.

In einer Atmosphäre der Prinzipienfestigkeit und der Kritik fandendie Kongresse der Künstlerverbände statt. Es werden neue gesell-schaftliche Organisationen gegründet. Ihre Gründung gab die Orga-nisation der Kriegs- und Arbeitsveteranen bekannt. Es wurde ein so-wjetischer Kulturfonds gebildet. Im Gange ist die Arbeit zur Bildungvon Frauenräten. In all dem zeigt sich die wachsende Beteiligung derWerktätigen an gesellschaftlichen Angelegenheiten und an der Leitungdes Landes.

Welche Wege sieht das Politbüro für die weitere Vertiefung der De-mokratie in der sowjetischen Gesellschaft?

Die Initiative und das Schöpfertum des Volkes können wir danntatsächlich verstärken, wenn unsere demokratischen Institutionen aktivund real auf den Gang der Dinge in jedem Arbeitskollektiv Einflußnehmen, ob das nun die Planung und Organisation der Arbeit, dieVerteilung materieller und anderer Werte oder die Auswahl und Er-nennung der kompetentesten Leute mit der größten Autorität aufführende Positionen betrifft.

Mit voller Überzeugung kann man sagen: Je schneller jeder sowje-

Page 32: Gorbatschow, Michael - Die Rede

tische Mensch diese Veränderungen aus eigener Erfahrung zu spürenbekommt, desto aktiver werden seine Haltung als Staatsbürger, seineMitwirkung in allen gesellschaftlichen und staatlichen Belangen sein.

Von erstrangiger Bedeutung sind die Weiterentwicklung der De-mokratie in der Produktion und die konsequente Einführung derPrinzipien echter Selbstverwaltung in den Arbeitskollektiven. DieWirtschaft ist der entscheidende Lebensbereich der Gesellschaft. Hierwirken tagtäglich Dutzende Millionen Menschen. Aus diesem Grundeist die Weiterentwicklung der Demokratie in der Produktion diewichtigste Richtung bei der Vertiefung und Erweiterung der sozia-listischen Demokratie insgesamt. Es ist dies der Hebel, der die breiteund engagierte Mitwirkung der Werktätigen in allen Bereichen desgesellschaftlichen Lebens sichern hilft und es ermöglichen wird, vieleFehler und Irrtümer zu vermeiden.

Die wichtigste praktische Aufgabe besteht darin, solche Vorausset-zungen zu schaffen und solche Formen der Produktionsorganisationeinzuführen, die es jedem Werktätigen ermöglichen, sich als wirklicherHausherr des Betriebes zu fühlen.

Und das ist eine hohe und verantwortungsvolle Stellung. Sie bein-haltet nicht nur umfassende Rechte zur tatsächlichen Einflußnahme aufdie Dinge, sondern setzt auch eine hohe Verantwortung für allesvoraus, was im Arbeitskollektiv vor sich geht.

Im Verlauf des sozialistischen Aufbaus haben sich vielfältige For-men der Teilnahme der Werktätigen an der Leitung der Produktiondurchgesetzt. Das Leben der Arbeitskollektive ist ohne Partei-, Ge-werkschafts-, Komsomol- und andere gesellschaftliche Organisationengar nicht mehr vorstellbar. In letzter Zeit nimmt die Rolle derBelegschaftsversammlungen wie auch der Betriebskollektivverträge zu,und es sind neue Formen der Demokratie – so zum Beispiel dieBrigade- und Abteilungsräte – entstanden sowie Voraussetzungen zuweiteren Schritten auf diesem Wege herangereift.

Das Leben selbst hat die Notwendigkeit auf die Tagesordnung ge-setzt, ein so grundlegendes juristisches Dokument wie das Gesetz überden staatlichen Betrieb auszuarbeiten, dessen Entwurf Ihnen vorliegt.Dieses Gesetz soll die Bedingungen und Methoden der Wirt-schaftsführung im Hauptkettenglied der Wirtschaft durchgreifendverändern, in der Tätigkeit der Betriebe die Verbindung zwischen den

Page 33: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Planungsprinzipien und der vollständigen wirtschaftlichen Rech-nungsführung sichern sowie die neuen Formen der Selbstverwaltungverankern, die durch das Schöpfertum der Massen hervorgebrachtworden sind.

Im Gesetz wird verlangt, eine der wichtigsten Festlegungen desParteitages – nämlich die Linie auf eine wirksame Nutzung derunmittelbaren Demokratie – zu verwirklichen. Die vom Entwurfvorgesehene Ausstattung der allgemeinen Versammlungen und derSowjets der Arbeitskollektive mit Vollmachten zur Lösung von Fragen,die mit Produktions-, sozialen und Kaderangelegenheiten zusam-menhangen, wird, um mit den Worten W. L. Lenins zu sprechen, zueiner großen politischen Maßnahme beim Übergang «zu einer wirk-lichen Selbstverwaltung des Volkes» (W. L. Lenin, Werke, Bd. 26, S.98).

Die konsequente Verwirklichung des Gesetzes über die staatlichenBetriebe in Verbindung mit einem Komplex von Maßnahmen, die jetztauf wirtschaftlichem Gebiet realisiert werden, wird, wie wir annehmen,insgesamt eine neue Situation in der Volkswirtschaft schaffen, wird zurBeschleunigung der Entwicklung der Wirtschaft beitragen und zurqualitativen Vervollkommnung vieler Seiten des gesellschaftlichenLebens führen. Unter Berücksichtigung der großen Bedeutung diesesGesetzes schlägt das Politbüro vor, dessen Entwurf zur Erörterungdurch das ganze Volk vorzulegen. Ich denke, daß die Mitglieder des ZKdiesen Vorschlag unterstützen werden.

Unsere Kolchose sowie die sozialistische Kooperation insgesamtverfügen über umfangreiche und längst noch nicht genutzte Mög-lichkeiten zur Demokratisierung der Leitung der Wirtschaft und dersozialen Sphäre. Die Umgestaltung des Leitungssystems im Agrar-Industrie-Komplex sowie die Entscheidung über die Weiterentwicklungder Kooperation in anderen Bereichen der Volkswirtschaft schaffengute Voraussetzungen für die Nutzung dieser Möglichkeiten. In diesemZusammenhang wäre es unseres Erachtens zweckmäßig, den nächstenKongreß der Kolchosbauern einzuberufen, um dort die anstehendenProbleme des Kolchoslebens zu beraten und notwendigeVeränderungen in dem Musterstatut des Kolchos vorzunehmen.

Das Politbüro unterstützt aktiv die bereits in vielen Unionsrepubli-ken, Regionen und Gebieten unternommenen praktischen Schritte zum

Page 34: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Ausbau weiterer Formen der kooperativen Tätigkeit. Das wirdgestatten, den wachsenden Bedarf der Bevölkerung an vielen Warenund Dienstleistungen besser zu decken, und es schafft außerdem zu-sätzliche Voraussetzungen für die Entwicklung der Demokratie in derSphäre der Ökonomie sowie für die bessere Realisierung der Mög-lichkeiten des Menschen.

Genossen, wir müssen die schwankende Haltung gegenüber der ko-operativen Bewegung, die es in der Vergangenheit gegeben hat und dieauch heute noch anzutreffen ist, entschlossen überwinden.

Die Möglichkeiten der Kooperation sind keineswegs erschöpft. Siehat auch große Perspektiven.

Warum gehe ich auf diese Frage nochmals ein und spitze sie zu?Trotz der Beschlüsse, die von Zentralkomitee und Regierung zur Ent-wicklung der Kooperation auf dem Gebiet der materiell-technischenVersorgung, der Dienstleistungen und Reparaturen für die Bevölkerungder Gastronomie, der Kommunalwirtschaft, der örtlichen Industrie unddes Bauwesens angenommen wurden, wurde auch nach dem XXVII.Parteitag der KPdSU nicht die notwendige Wende eingeleitet. Hierwerden Hindernisse jeglicher Art aufgetürmt. Stark verbreitet sind nochdas Festhalten an administrativ-bürokratischen Leistungsmethoden unddie Nichtanwendung solcher Formen der Wirtschaftsführung, die nichtin die traditionellen Vorstellungen passen, obwohl sie lebensnotwendigsind, die Initiative der Werktätigen fördern und ihre gesellschaftlicheAktivität heben. Für einige Genossen ist es offenbar schwer zuerkennen, daß die Demokratisierung nicht nur eine Lösung, sonderndas Wesen der Umgestaltung ist. Wir müssen unsere Ansichten undGewohnheiten ändern, um nicht abseits vom Fahrwasser des Lebens zustehen. Das ist unser dringender Rat an alle, die zweifeln und zögern.

Besonders hervorzuheben ist die Frage der Wählbarkeit der leiten-den Kader von Betrieben, Produktionsstätten, Werkteilen, Abteilungen,Bereichen und Arbeitskollektiven sowie der Brigadiere und Meister. Diegegenwärtige Etappe der Umgestaltung, der Übergang zu neuenMethoden des Wirtschaftens, zur wirtschaftlichen Rechnungsführung,Eigenfinanzierung und Kostendeckung rücken diese Aufgabe auf diepraktische Ebene. Das ist eine wichtige, eine notwendige Maßnahme,und sie wird zweifellos die Zustimmung der Werktätigen finden.

Wir haben die Umstellung der Betriebe auf die vollständige wirt-

Page 35: Gorbatschow, Michael - Die Rede

schaftliche Rechnungsführung, die Eigenfinanzierung und Kosten-deckung an breiter Front in Angriff genommen und eine staatlicheAbnahme eingeführt. Das bedeutet, daß die Einnahmen des Betriebes,alle Formen der Stimulierung der Mitglieder eines Arbeitskollektivs undder Grad der Befriedigung der sozialen Bedürfnisse voll und ganz vonden Endergebnissen der Arbeit, von der Quantität und Qualität derhergestellten Erzeugnisse und der erwiesenen Dienstleistungenabhängen werden.

Unter diesen Bedingungen ist es den Arbeitern und Kolchosmit-gliedern keineswegs gleichgültig, wer an der Spitze des Betriebes, desWerkteils, des Bereichs oder der Brigade steht. Wenn das Wohl undWeh eines Kollektivs von den Fähigkeiten der leitenden Kader ab-hängig gemacht wird, dann müssen die Werktätigen auch die realenMöglichkeiten besitzen, auf ihre Wahl Einfluß zu nehmen und ihreTätigkeit zu kontrollieren.

Im Lande wurden gewisse Erfahrungen mit der offenen Auswahlführender Kader gesammelt. So wurden in der Region Krasnodar seit1983 mehr als 8500 leitende Kader unter Berücksichtigung der Meinungder Kollektive und Grundorganisationen der Partei nominiert. Dabeifanden über 200 Kandidaten nicht die Unterstützung der Werktätigenund wurden abgewiesen. Die gleiche Erfahrung wurde auch in einerReihe anderer Orte gemacht. Sie wird von den Menschen positivaufgenommen und wirkt sich gut auf die Arbeitsergebnisse aus.

Insgesamt, Genossen, drängt sich ganz unabhängig davon, von wel-cher Seite man an diese wichtige Angelegenheit herangeht, eineSchlußfolgerung auf: Die Zeit von Veränderungen sowie der Demo-kratisierung des Prozesses des Einsatzes von Leitungskadern der Be-triebe auf der Grundlage von allgemeinen Wahlen ist herangereift. Dasist, wie Sie verstehen, eine qualitativ völlig neue Situation, ein prinzipiellanderer Charakter der Teilnahme der Werktätigen an der Leitung derProduktion und eine wesentliche Erhöhung der Rolle und Veran-twortung des Kollektivs für die Ergebnisse seiner Arbeit.

All das muß man bei der praktischen Lösung dieser Frage berück-sichtigen. Aber einen Gedanken möchte ich bereits jetzt äußern, ge-meint ist die Einzelleitung. Wir sind der Ansicht, daß die Wählbarkeitdie Autorität eines Leiters, der die Unterstützung der Menschen hintersich spürt, die ihn gewählt haben, nicht nur nicht untergräbt, sondern

Page 36: Gorbatschow, Michael - Die Rede

sie stärkt. Sie hebt das Verantwortungsgefühl für die Sache, dieAnsprüche und Anforderungen innerhalb des Kollektivs.

Die Rolle der Parteiorganisationen, der gesellschaftlichen Organi-sationen und der Organe der Wirtschaftsleitung muß neu durchdachtwerden. Große Arbeit muß geleistet werden, um allen unseren Kaderndas richtige Verständnis dafür anzuerziehen, daß die Erweiterung derDemokratie in der Produktion die organische Verbindung vonEinzelleitung und Kollegialität, die Vertiefung des demokratischenZentralismus und die Entwicklung der Selbstverwaltung voraussetzt.

Als prinzipielle Richtung der Demokratisierung unseres Lebens siehtdas Politbüro die Vervollkommnung des sowjetischen Wahlsystems an.Im Auftrag des XXVII. Parteitages werden dazu die entsprechendenVorschläge ausgearbeitet.

Was ist hier zu sagen? Der geltende Mechanismus des Wahlsystemsgarantiert, daß alle Bevölkerungsschichten in den gewählten Macht-organen vertreten sind. In den gegenwärtigen Sowjets sind auf allenEbenen die Arbeiterklasse, die Kolchosbauern, die Intelligenz, sindFrauen und Männer, Veteranen und Jugendliche, alle Nationalitätenund Völkerschaften des Landes vertreten. Die Wahlorgane widerspie-geln die soziale, berufliche und nationale Struktur der sowjetischenGesellschaft, die Vielfalt der Interessen der gesamten Bevölkerung. Dasist – für sich selbst genommen – eine gewaltige Errungenschaft dersozialistischen Demokratie.

Doch wie alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Institutio-nen kann das Wahlsystem nicht in erstarrtem Zustand verharren, kannnicht abseits der Umgestaltung und der sich in der Gesellschaftentwickelnden neuen Prozesse stehen.

Worin besteht das Wesen der an das Zentralkomitee der KPdSU, andas Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR, an andere zentraleOrgane und an die Massenmedien gerichteten Vorschläge undWünsche der Werktätigen in bezug auf diese Fragen?

In politischer Hinsicht geht es um die Vertiefung des demokrati-schen Charakters der Wahlen, um die effektivere und realere Teilnahmeder Wähler in allen Stadien der Kampagne vor und während der Wahl.

Konkret geht es in den meisten Vorschlägen darum, daß auf denWählerversammlungen in den Arbeitskollektiven und Wohngebietensowie auf Wählerforen in der Regel über mehrere Kandidatenvor-

Page 37: Gorbatschow, Michael - Die Rede

schläge beraten werden sollte. Es wird vorgeschlagen, die Wahlkreise zuvergrößern und in jedem mehrere Abgeordnete zu wählen. DieGenossen vertreten die Ansicht, daß es dadurch jedem Bürger er-möglicht wird, seine Meinung zu einem größeren Kreis von Kandidatenzum Ausdruck zu bringen und daß die Partei- und Staatsorgane besserdie Stimmung und den Willen der Bevölkerung kennenlernen.

Auf diese Wünsche eingehend, müssen wir die Wahlen, die Verfah-rensweise bei der Aufstellung und Diskussion der Kandidatenvor-schläge auf neue Weise organisieren. Die Wahlhandlung muß vonFormalismus befreit werden. Wir müssen uns darum kümmern, daß dieWahlkampagne schon in diesem Jahr in einer Atmosphäre breitererDemokratie und der interessierteren Teilnahme der Menschen andiesem Prozeß stattfindet.

Es wäre zweckmäßig, den Entwurf des Gesetzes über Veränderun-gen im Wahlsystem zu veröffentlichen, um es dem ganzen Volk zurDiskussion zu unterbreiten.

Die Verwirklichung dieser Vorschläge wäre ein erster wichtigerSchritt auf dem Weg der weiteren Demokratisierung des Prozesses derBildung und der Tätigkeit der Organe der Staatsmacht. Offenbarmüssen aber auch noch tiefergreifende Veränderungen und weitere.Schritte in diese Richtung bedacht werden. Unter Berücksichtigung dergesammelten Erfahrungen und angesichts der neuen Aufgaben müssenwir uns noch einmal auf das gründlichste mit dem leninschen Erbe inden Fragen des sowjetischen Staatsaufbaus beschäftigen und es für dieLösung der heute vor der Gesellschaft stehenden Aufgaben nutzen.

Es ist völlig natürlich, daß im Zuge der weiteren Demokratisierungder sowjetischen Gesellschaft auch Fragen der Erweiterung der inner-parteilichen Demokratie erörtert werden müssen.

Auf dem XXVII. Parteitag wurden bei den Veränderungen undErgänzungen zum Statut der KPdSU bekanntlich eine Reihe wichtigerLeitsätze verwirklicht, die auf die Festigung der demokratischen Prin-zipien im Leben der Partei gerichtet sind. Diese Arbeit muß fortgesetztwerden. Es erscheint zweckmäßig, über die Vervollkommnung desMechanismus der Bildung der führenden Parteiorgane zu beraten.

Das ZK hat zu dieser Frage viele verschiedene Vorschläge erhalten.Gestatten Sie, die Schlußfolgerungen darzulegen, die auf der Grundlageeiner Analyse dieser Vorschläge gezogen wurden.

Page 38: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Nun vor allem zur Schaffung von Wahlorganen in den Parteigrund-organisationen. Der Sinn der meisten Vorschläge in dieser Hinsichtbesteht darin, den Willensbekundungen ausnahmslos aller Kommuni-sten bei den Wahlen der Sekretäre der Parteibüros und Parteikomiteessowie bei der Erhöhung ihrer Verantwortung gegenüber ihren Wählernvollen Raum zu geben.

Es ist notwendig, auch über die Veränderung des Modus der Wahlvon Sekretären der Bezirkskomitees, der Kreiskomitees, der Stadt-komitees, der Gebietskomitees und der Regionalkomitees der Parteisowie der Zentralkomitees der kommunistischen Parteien der Uni-onsrepubliken nachzudenken. Hier kann man, wie die Genossenvorschlagen, so verfahren, daß die Sekretäre, darunter auch die 1.Sekretäre, in geheimer Abstimmung auf den Plenartagungen derentsprechenden Parteikomitees gewählt werden. Die Mitglieder desParteikomitees hätten dabei das Recht, eine beliebige Anzahl vonKandidaten auf dem Stimmzettel einzubringen. Eine derartige Maß-nahme würde die Verantwortung der Sekretäre gegenüber den Par-teikomitees, die sie gewählt haben, erhöhen, ihnen mehr Sicherheit inder Arbeit geben und es ihnen gestatten, das Maß ihrer Autoritätgenauer einzuschätzen.

Es versteht sich, daß in der Partei das statutengemäße Prinzip un-verrückbar bleiben muß, demzufolge die Beschlüsse der übergeord-neten Organe – auch zu Kaderfragen – für alle untergeordneten Par-teikomitees bindend sind.

Nach Auffassung des Politbüros muß die weitere Demokratisierungauch die Schaffung zentraler Leitungsorgane der Partei beinhalten. Ichdenke, daß das völlig logisch ist. Ebenso logisch wäre es offenbar, dieWahlen der Leitungsorgane auch in anderen gesellschaftlichenOrganisationen zu demokratisieren.

Ich nehme an, Genossen, Sie stimmen mit mir darin überein, daßalle diese Maßnahmen die Grundlagen des demokratischen Zentralis-mus im Leben der Partei festigen und dazu beitragen werden, die Ein-heit und Geschlossenheit der Reihen der Partei zu konsolidieren, Dis-ziplin und Verantwortung sowie die Aktivität jedes Kommunisten, allerParteiorganisationen und der Partei insgesamt zu erhöhen.

Möglicherweise treten Fragen auf: Komplizieren wir nicht die Pro-zedur der Schaffung von Wahlorganen der Partei, inwieweit ist das alles

Page 39: Gorbatschow, Michael - Die Rede

gerechtfertigt, und inwiefern dient es der Sache?Seit dem April-Plenum des ZK heben wir ständig hervor, daß die

Probleme, die sich in der Gesellschaft angesammelt haben, in bedeu-tendem Maße mit den Mängeln in der Arbeit der Partei selbst und inihrer Kaderpolitik zusammenhängen.

Das Politbüro ist der Ansicht, daß der weitere Demokratisierungs-prozeß bei der Aufstellung der Wahlorgane eine der wichtigsten Vor-aussetzungen für die Aktivierung des Parteilebens, für den Zustromfrischer Kräfte und für die aktive Arbeit der Parteiorganisationen istund eine Garantie dafür gibt, daß sich Fehler aus der Vergangenheitnicht wiederholen.

Die Wahlen in der Partei sind kein formaler Akt. Wir müssen sie mitÜberlegung und hohem Verantwortungsbewußtsein vorbereiten unddabei von den Interessen der Partei und der Gesellschaft ausgehen.

Die Demokratisierung der Gesellschaft wirft erneut auch die Fragenach einer Kontrolle darüber auf, wie die Partei-, Staats- und Wirt-schaftsorgane und deren Kader arbeiten. Was die Kontrolle von «oben»betrifft, so wurden hier, wie Sie wissen, in letzter Zeit bemerkenswerteVeränderungen vorgenommen. Allmählich verschwinden die«verbotenen Zonen» für Kritik und Kontrolle. Auf den Sitzungen desPolitbüros und des Sekretariats des ZK werden regelmäßig die Berichteder Zentralkomitees der kommunistischen Parteien der Uni-onsrepubliken, der Regions- und der Gebietsparteikomitees entgegege-nommen sowie andere prinzipielle Fragen des Lebens der Partei undder Gesellschaft gründlich und allseitig erörtert. Der Ministerrat derUdSSR und sein Präsidium sind gegenüber den Ministerien undanderen zentralen Staatsorganen sowie den Ministerräten derUnionsrepubliken bedeutend strenger geworden.

Allerdings muß ich offen sagen, daß dem Politbüro, dem Sekretariatdes ZK und der Regierung in dieser Richtung noch viel zu tun bleibt.Wir werden uns trotzdem ein und derselben Frage noch mehrmalszuwenden und zusätzliche Maßnahmen zu ihrer Lösung ergreifenmüssen. Das zeigte unter anderem deutlich die Diskussion auf derjüngsten Politbürositzung über den Erfüllungsstand der Beschlüsse desZK und des Ministerrats der UdSSR zur Beschleunigung der Ent-wicklung des Maschinenbaus. Wir verabschieden die notwendigenBeschlüsse, doch wie zuvor verwirklichen wir sie nicht in vollem Maße

Page 40: Gorbatschow, Michael - Die Rede

zu den festgelegten Terminen. Das auch deshalb, weil sich viele nochnicht von der Last der alten Gewohnheiten und dem verantwortungs-losen Verhältnis zu ihren Pflichten frei gemacht haben. Die Disziplin istschwach. Bei weitem nicht alle Leiter folgen dem Prinzip der Einheitvon Wort und Tat, andere reden mehr als sie arbeiten. Daraus müssenwir äußerst ernsthafte Schlüsse ziehen.

Doch bei aller Bedeutung der Kontrolle «von oben» hat die Erhö-hung des Niveaus und der Effektivität der Kontrolle «von unten» unterden Bedingungen der Demokratisierung der Gesellschaft prinzipielleBedeutung, damit jeder Leiter, jeder Funktionär ständig seineVerantwortung und seine Abhängigkeit von den Wählern, den Ar-beitskollektiven, den gesellschaftlichen Organisationen, von der Parteiund dem ganzen Volk spürt. Das wichtigste dabei ist, alle Instrumenteund Formen einer realen Kontrolle zu schaffen, die von denWerktätigen ausgeht.

Welche Instrumente und Formen meine ich?Vor allem die Rechenschaftslegung. Es ist Zeit, ohne Einschränkung

die Regeln der systematischen Rechenschaftslegung aller gewählten undnominierten Funktionäre vor den Arbeitskollektiven und der Bevöl-kerung einzuhalten. Es ist notwendig, daß jede derartige Rechen-schaftslegung von einer lebendigen und prinzipiellen Erörterung, vonKritik und Selbstkritik, von sachlichen Vorschlägen begleitet wird undmit der Einschätzung der Arbeit desjenigen, der Rechenschaft ablegt,schließt.

Damit wird auch in der Praxis die Forderung Lenins erfüllt, daß dieArbeit der gewählten Organe und Leiter allen offen ist und vor denAugen der Massen geleistet wird. Wenn wir eine solche Kontrolleerreichen, dann besteht kein Zweifel, daß viele Gründe für Beschwer-den und Eingaben bei übergeordneten Behörden verschwinden, diemeisten der darin aufgeworfenen Fragen an Ort und Stelle gelöst wer-den. Unter den Bedingungen einer breiten Demokratie werden dieMenschen selbst Ordnung in ihren Kollektiven, in ihrer Stadt oder inihrem Dorf schaffen.

Über große Möglichkeiten zur Kontrolle verfügen die Sowjets derVolksdeputierten, die Gewerkschaften und die anderen gesellschaft-lichen Organisationen. In den obersten und den örtlichen Sowjetsmüssen die demokratischen Prinzipien der Arbeit der Tagungen, der

Page 41: Gorbatschow, Michael - Die Rede

ständigen Kommissionen und der Deputierten festgelegt werden. DieWirksamkeit der regelmäßigen Rechenschaftslegung von Funktionärenund Leitungskadern vor den Sowjets sowie der Anfragen der De-putierten muß erhöht werden. Ein solches Herangehen wird die Au-torität der Organe der Volksmacht bei den Massen weiter festigen.

Bei der Vervollkommung der Kontrolle muß die Vielzahl der Über-prüfungen und Inspektionen, die jetzt buchstäblich lawinenartig überBetriebe, Einrichtungen und Organisationen hereinbrechen und dieMenschen von der Arbeit abhalten sowie Nervosität verursachen, un-verzüglich in eine Ordnung gebracht werden. Solche Inspektionenbringen in der Regel so gut wie gar keinen Nutzen. Das sind keineneuen Fragen, es ist schon viel über sie gesprochen und geschriebenworden. Doch es hat sich bislang noch nichts verändert. Offensichtlichmüssen das Sekretariat des ZK und das Präsidium des Ministerrates derUdSSR hier Ordnung schaffen, und zwar zugunsten der Qualität stattder Quantität der Kontrollen.

Für eine gesunde Atmosphäre in der Gesellschaft müssen wir auchdie Offenheit weiterentwickeln. Sie ist ein mächtiger Hebel zur Ver-besserung der Arbeit an allen Abschnitten unseres Aufbaus, einewirksame Form der Volkskontrolle. Die beste Bestätigung dafür sinddie seit dem April-Plenum des ZK gesammelten Erfahrungen.

Es ist offensichtlich an der Zeit, die Erarbeitung von Rechtsakten inAngriff zu nehmen, die Publizität garantieren. Sie müssen eine ma-ximale Offenheit in der Tätigkeit der staatlichen und gesellschaftlichenOrganisationen gewährleisten und den Werktätigen die reale Mög-lichkeit geben, ihre Meinung zu jeder beliebigen Frage des ge-sellschaftlichen Lebens zu äußern.

Ein erprobtes Instrument der sozialistischen Demokratie sind Kritikund Selbstkritik. Dagegen gibt es wohl keine offenen Einwände. ImLeben stoßen wir jedoch auf Tatsachen, die davon zeugen, daß dieNotwendigkeit der Unterstützung einer kritischen Stimme in der Ge-sellschaft längst nicht allen bewußt war. Mitunter geht es soweit, daßmanche Mitarbeiter selbst die kleinsten Bemerkungen als Anschlag aufihr Prestige auffassen und es mit allen möglichen Mitteln verteidigen.Es gibt auch noch Ausgekochtere. Sie geben zu, daß die Kritikgerechtfertigt ist, danken sogar dafür, haben es aber nicht eilig, dieMängel zu beseitigen, weil sie meinen, daß alles so weiterläuft wie

Page 42: Gorbatschow, Michael - Die Rede

bisher. Ein solches Verhältnis zur Kritik hat nichts gemeinsam mitunseren Prinzipien und unserer Moral. Aber in der gegenwärtigenEtappe, da wir neue Standpunkte im sozialpolitischen Leben, in dergeistigen Sphäre bekräftigen, wächst die Bedeutung von Kritik undSelbstkritik ins Unermeßliche.

Die Einstellung zur Kritik ist ein wichtiges Kriterium für die Hal-tung eines Menschen zur Umgestaltung, zu allem Neuen, was sich inder Gesellschaft vollzieht.

Hier muß leider gesagt werden, daß wir es nach wie vor damit zu tun haben, daßKritik nicht akzeptiert wird. Es kommt sogar vor, daß Menschen wegen KritikVerfolgungen ausgesetzt sind und kritische Äußerungen direkt unterdrückt werden.Oft nimmt das solche Ausmaße und Formen an, daß das Zentralkomitee eingreifenmuß, um Wahrheit und Gerechtigkeit wiederherzustellen und um ehrliche Men-schen, die sich um die Sache sorgen, zu unterstützen. Ich habe schon einmal dazuStellung genommen, aber die Sache wird nur schleppend in Ordnung gebracht.Schauen Sie sich nur einmal die Beiträge der zentralen Presse allein vom Januar an,und Sie werden sehen, daß Unterdrückung von Kritik durchaus keine selteneErscheinung ist, und in diesem Zusammenhang müssen die Anstrengungen derMassenmedien zur Entwicklung der Kritik und Selbstkritik in unserer Gesellschaftunterstützt werden. Die sowjetischen Menschen haben deren Positionen im Kampfum die Umgestaltung gebührend gewürdigt. Die zentralen Zeitungen undZeitschriften haben über 14 Millionen neue Leser gewonnen, die Sendungen deszentralen Fernsehens zu Alltagsthemen erreichen ein Publikum von mehrerenMillionen. Die Menschen werden von der Kühnheit und Tiefgründigkeit derDarstellung aktueller Probleme gefesselt, die die Beschleunigung der sozial öko-nomischen Entwicklung des Landes betreffen und unterschiedlichste Seiten desgesellschaftlichen Lebens berühren. Die Partei ist der Meinung, daß sich dasWirken der Massenmedien auch in Zukunft durch Tiefgründigkeit undObjektivität sowie hohe staatsbürgerliche Verantwortung auszeichnen wird.

Man kann auch von positiven Veränderungen in den regionalenPublikationen und in denen der Unionsrepubliken sprechen. Doch beiweitem nicht alle von ihnen haben sich wirklich schon in die Umge-staltung eingereiht, sie gehen an die Fragen nicht prinzipienfest undkühn genug heran und verhalten sich gegenüber Mängeln nicht kritischgenug. Viele Parteikomitees nutzen die Medien- diesen starken Hebelder Umgestaltung – nicht immer richtig, mancherorts wird derenTätigkeit auch weiterhin gehemmt.

Page 43: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Die Partei zählt auch für die Zukunft auf prinzipielle und konstruk-tive Kritik an den Mängeln und Versäumnissen und erwartet gleich-zeitig von den Massenmedien eine breitere Darstellung der Erfahrun-gen der Arbeitskollektive, der Partei- und Wirtschaftsorgane und derSowjets, der gesellschaftlichen Organisationen und Leitungskader unterden Bedingungen der Umgestaltung. Dringend brauchen wir Antwortenauf viele brennende Fragen, die die Umgestaltung gestellt hat und, soglaube ich, noch stellen wird. Wir müssen allen helfen, sich praktischnoch rascher auf den Geist der Zeit einzustellen. Diese, wie W. I. Leninsagte, organisatorische Funktion der Presse muß man tagtäglichverstärken, und man muß lernen, ein wahrhaft kollektiver Agitator,Propagandist und Organisator der Massen zu sein.

In einer weiteren Frage muß Klarheit bestehen. Wir sprechen davon,daß in der sowjetischen Gesellschaft keine Zonen bestehen dürfen, dieder Kritik verschlossen sind. Das trifft in vollem Umfang auch auf dieMassenmedien zu.

Genossen! Eine echte Demokratie existiert nicht außerhalb desGesetzes und über ihm. Der XXVII. Parteitag hat die Hauptrichtungender Entwicklung unserer Gesetzgebung sowie der Festigung derRechtsordnung festgelegt. In diesem Planjahrfünft ist noch viel zurVorbereitung und zur Annahme neuer Gesetze zu tun, die die Ent-wicklung der Wirtschaft, die soziale Sphäre und die Kultur, die sozia-listische Selbstverwaltung des Volkes und die Erweiterung der Garan-tien für die Rechte und Freiheiten der Bürger betreffen.

Das Politbüro hat den Vorschlag unterstützt, in nächster Zeit eineneue Strafgesetzgebung auszuarbeiten. Sie soll den heutigen Ent-wicklungsbedingungen der sowjetischen Gesellschaft besser entspre-chen, die Interessen und Rechte der Bürger wirksamer schützen sowiezur Festigung der Disziplin und der Rechtsordnung führen. Wir müssengründlich nachdenken und Maßnahmen einleiten, damit Rolle undAutorität des sowjetischen Gerichtes verstärkt, das Prinzip derUnabhängigkeit der Richter strikt gewahrt, die Aufsicht durch dieStaatsanwälte entschieden verstärkt und die Arbeit der Untersu-chungsorgane vervollkommnet werden. Eine Gesetzesvorlage über dasVerfahren der Klage vor Gericht gegen unrechtmäßige Handlungenvon Amtspersonen, die die Rechte des Bürgers schmälern, ist bereitsausgearbeitet und wird bald zur Diskussion stehen. Es wurden

Page 44: Gorbatschow, Michael - Die Rede

zusätzliche Schritte zur Verbesserung der Arbeit des staatlichen Ver-tragsgerichtes und zur Erweiterung der Rechtspropaganda festgelegt.

Wenn wir von der Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaftsprechen – was für uns eine Grundsatzfrage ist –, so ist es angebracht,den wichtigsten, den bestimmenden Wesenszug der sozialistischen De-mokratie erneut zu unterstreichen. Ich meine die organische Verbin-dung von Demokratie und Disziplin, von Selbständigkeit und Verant-wortungsbewußtsein, von Rechten und Pflichten der Leitungskader undjedes Bürgers.

Sozialistische Demokratie hat nichts gemein mit zügelloser Eigen-mächtigkeit, Verantwortungslosigkeit oder Anarchie. Echte Demokratiedient jedem Menschen, indem sie seine politischen und sozialen Rechteschützt, sie dient zugleich jedem Kollektiv und der ganzen Gesellschaft,indem sie deren Interessen verteidigt.

Die Demokratisierung aller Bereiche des Lebens der sowjetischenGesellschaft ist vor allem deshalb wichtig, weil wir mit ihr die Weiter-entwicklung des Initiativgeistes der Werktätigen und die Aufdeckungdes gesamten Potentials der sozialistischen Gesellschaftsordnung ver-knüpfen. Wir brauchen sie, um voranzukommen, damit in der Gesell-schaft die Gesetzlichkeit erstarkt und Gerechtigkeit triumphiert, damitsich eine solche moralische Atmosphäre durchsetzt, in der der Menschfrei lebt und seine Arbeit Früchte trägt.

Genossen! Es ist gut bekannt, daß die Wirksamkeit wahrer Demo-kratie davon abhängt, in welchem Maße sie von den Interessen derbreiten Massen ausgeht, sich auf sie stützt und von allen Schichten undGruppen der Gesellschaft unterstützt wird.

Und in dieser Hinsicht bedürfen die Aufgaben der Umgestaltungnoch einmal einer Analyse unserer Reserven und Möglichkeiten zumweiteren Ausbau der sozialen Basis der Demokratie. Die Aktualitätdieser Fragestellung liegt auf der Hand.

Alle unsere Erfahrungen besagen, daß sich die Partei zur Lösungbesonders schwieriger und kühner Aufgaben in der Zeit des Umbruchsstets an den Komsomol, an die Jugend mit ihrem Enthusiasmus undihrer Ergebenheit für die Sache des Sozialismus, mit ihrerUnversöhnlichkeit gegenüber Stagnation und ihrem Engagement füralles Fortschrittliche wandte. Und heute, da wir von den notwendigendemokratischen Veränderungen, von einer breiten realen Beteiligung

Page 45: Gorbatschow, Michael - Die Rede

des Volkes an der Lösung der Aufgaben zur Umgestaltung sprechen,gewinnt die Frage der Position der jungen Generation eine große poli-tische Bedeutung.

Ich möchte auf dem Plenum wiederholen: Wir können stolz sein aufunsere Jugend, und wir werden ihre Arbeit gebührend würdigen – dasentspricht den Tatsachen und ist auch politisch richtig.

Doch die Zeit erfordert von jedem noch größere Energie. Und na-türlich muß auch die an der Umgestaltung interessierte Jugend aktiverhandeln. Sie lebt und arbeitet in einer erneuerten Gesellschaft. DieParteiorganisationen und ihre Komitees sowie der Komsomol müssender jungen Generation eine Perspektive bieten und darauf hinwirken,daß die Jugend sich in der Tat energisch an den Veränderungenbeteiligen wird.

Von dieser Position aus muß man auch an die Vorbereitung desnächsten Komsomolkongresses herangehen.

In der Arbeit mit dem Komsomol müssen wir die Aufmerksamkeitauf die politisch-ideologische und moralische Stählung sowie Erziehungdurch die Arbeit verstärken, uns schneller und entschlossener von allemUnnötigen in der Arbeit mit der Jugend befreien, vor allem vonschulmeisterlichem Ton und Administrieren. Ja, das alles gibt es, unddarüber muß gesprochen werden. Wodurch das auch zu erklären seinmag – durch mangelndes Vertrauen in die Vernunft und die Reife dergesellschaftlichen Bestrebungen und Verhaltensweisen der jungenLeute, durch einfache Rückversicherung oder den Wunsch, seinenKindern die Lasten des Lebens zu erleichtern –, mit solcher Haltungkann man sich auf keinen Fall einverstanden erklären.

Nein, Genossen, es gibt keinen anderen realen Weg für die Persön-lichkeitsentwicklung, für die Herausbildung eines staatsbürgerlichenStandpunktes eines jungen Menschen als seine reale Einbeziehung inalle gesellschaftlichen Angelegenheiten. Das Fehlen von konkretenErfahrungen kann durch nichts ersetzt werden. Deshalb ist es wichtig,die entstandene Lage zu verändern. Was meine ich damit?

Es geht vor allem um mehr Vertrauen in die Jugend, um sachkun-dige Hilfe und die Freiheit der kameradschaftlichen Kritik an Fehlern,um mehr Selbständigkeit bei der Organisation der Arbeit, des Studiums,des Lebens, der Freizeit und mehr Verantwortung für ihre Angele-genheiten und Handlungen.

Page 46: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Aber das setzt auch das Recht voraus, an der Leitung der Gesell-schaft auf allen Ebenen teilzunehmen.

Eine wichtige Richtung der Demokratisierung des gesellschaftlichenLebens ist die Nominierung parteiloser Genossen für leitendeFunktionen. Das ist eine prinzipielle Frage. In der politischen undfachlichen Entwicklung eines vorbildlichen Arbeiters, Bauern, Inge-nieurs, Wissenschaftlers, Arztes, Lehrers, Mitarbeiters im Dienstlei-stungsbereich sowie in der ständigen Suche und Förderung von Talen-ten aus dem Volk besteht eine feste Garantie für die Gesundheit undden Fortschritt der sozialistischen Gesellschaft.

Manchmal stößt man auch auf folgenden Standpunkt: Die Frage derNominierung Parteiloser sei nun mal veraltet, da heute 19 Millionen Menschen derKPdSU angehören. Ich denke, das ist eine falsche Denkweise. Wenn man von ihrausgeht, dann werden die Beziehungen der Partei zu den Massen deformiert, und,sagen wir es geradezu, die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger geschmälert. Damitwerden auch die Kadermöglichkeiten eingeengt.

Es gab und gibt auch heute bei uns viele großartige Beispiele erfolg-reichen Wirkens parteiloser Kollegen in führenden Funktionen. Sieleiten Werke und Fabriken, Kolchose und Sowchose, Baubetriebe,Forschungs- und Pädagogenkollektive sowie ingenieurtechnischeDienste und leisten eine aktive gesellschaftliche Arbeit.

Die offene Nominierung der Menschen – sowohl Kommunisten alsauch Parteilose – wird den Aufgaben der Demokratisierung und derHeranziehung der breiten Massen der Werktätigen an die Leitungentsprechen.

In diesem Sinne geht es auch um eine stärkere Einbeziehung derFrauen in die Leitungstätigkeit. Heute sind viele Frauen in partei- undstaatlichen Funktionen, in Wissenschaft, Gesundheits- und Bildungs-wesen, Kultur, Leichtindustrie, Handel und im Dienstleistungssektortätig, und zwar erfolgreich tätig. Jetzt muß erreicht werden, daß sie imUnions- und Republikmaßstab noch aktiver zur Leitung von Wirtschaftund Kultur herangezogen werden. Die Möglichkeiten dafür besitzenwir, man muß den Frauen nur vertrauen und Unterstützungentgegenbringen.

Genossen! Bei der Lösung jeder prinzipiellen Frage müssen wir –wie in der Vergangenheit, so auch heute – berücksichtigen, daß wir ineinem multinationalen Land leben. Die Wichtigkeit der sozialistischen

Page 47: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Grundlagen bei der Entwicklung der nationalen Beziehungen bedarfwohl keines Beweises. Gerade der Sozialismus hat Schluß gemacht mitnationaler Unterdrückung und Ungleichheit, mit Menschenrechts-verletzungen aller Art aus nationalen Motiven heraus, er hat denwirtschaftlichen und geistigen Fortschritt aller Nationalitäten undVölkerschaften garantiert. Mit einem Wort, die Erfolge der National-itätenpolitik unserer Partei sind unbestreitbar, und wir sind mit rechtstolz darauf.

Aber wir sind verpflichtet, ein realistisches Bild und die Perspektiveder Entwicklung der nationalen Beziehungen zu sehen. Heute, da sichDemokratie und Selbstverwaltung erweitern, da das nationaleSelbstbewußtsein aller Nationalitäten und Völkerschaften schnellwächst und sich die Prozesse der Internationalisierung vertiefen, erlangtdie rechtzeitige und gerechte Lösung auftretender Fragen auf der einzigmöglichen Grundlage – im Interesse der Entfaltung jeder Nationalitätund Völkerschaft, im Interesse ihrer weiteren Annäherung, im Interesseder gesamten Gesellschaft – besonderes Gewicht.

Doch in diesem Zusammenhang darf nicht verschwiegen werden,daß sich negative Erscheinungen und Entstellungen, mit denen wir denKampf aufgenommen haben, auch im Bereich der nationalen Be-ziehungen gezeigt haben. Wenn auch selten, so gibt es doch hin undwieder Erscheinungen von lokaler Engstirnigkeit, Tendenzen zu na-tionaler Abgeschlossenheit, Stimmungen nationaler Überheblichkeitund sogar Zwischenfälle, ähnlich jenen, die es kürzlich in Alma-Atagegeben hat.

Die Ereignisse in Alma-Ata und das, was ihnen vorausgegangen war,müssen ernsthaft analysiert und prinzipiell eingeschätzt werden. Wirmüssen uns mit alldem noch gründlich auseinandersetzen. Bereits heuteist aber klar: die Geschehnisse dürfen nicht nur die KommunistenKasachstans, sondern müssen auch alle anderen Parteiorganisationenund deren Komitees dazu veranlassen, sich den Problemen derWeiterentwicklung der nationalen Beziehungen sowie der Verstärkungder internationalistischen Erziehung zuzuwenden. Besonders wichtig istes, die heranwachsende Generation vor dem zersetzenden Einfluß desNationalismus zu bewahren.

Lenin lehrte uns «die Fähigkeit, ein wirklicher Internationalist zusein» (W. I. Lenin, Werke, Bd. 24, S. 68), und unsere Pflicht ist es, diese

Page 48: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Lehre stets zu beherzigen.Unsere gesamten Erfahrungen zeigen: Nationalistischen Erschei-

nungen kann mit Erfolg nur der konsequente, erprobte Internationa-lismus entgegengestellt werden. Alles, was wir erreicht haben, ist durchgemeinsame Arbeit geschaffen worden. Wird in der einen Region Erdölgefördert, so erhält sie aus der anderen Getreide. Wer Baumwolleanbaut, bekommt Maschinen. In jeder Tonne Getreide, in jeder TonneBaumwolle, Kohle oder Erdöl, in jeder Maschine – von der einfachstenbis zur hochkomplizierten – steckt die Arbeit des ganzen Sowjetvolkes,des ganzen Landes, unserer ganzen multinationalen Union.

Die ganze Atmosphäre unseres Lebens und der gemeinsamenArbeit, die Familie und die Schule, die Armee, die Kultur, die Literaturund die Kunst sind dazu berufen, bei den sowjetischen Menschen allerNationalitäten, und in erster Linie bei den jungen Menschen, dieedelsten Gefühle herauszubilden und zu entwickeln – Gefühle desInternationalismus und des sowjetischen Patriotismus.

Im Geiste der leninschen Forderungen und der Direktiven desXXVII. Parteitages ist es unerläßlich, festen Kurs darauf zu nehmen,daß in den Partei-, Staats- und Wirtschaftsorganen, darunter auch aufUnionsebene, alle Nationen und Völkerschaften des Landes reprä-sentiert sind und sich deren nationale Struktur so genau wie möglich inder Zusammensetzung der Leitungskader widerspiegelt.

Es geht natürlich nicht um eine mechanische Verteilung der Sitzeund Ämter nach nationalen Gegebenheiten – das wäre eine Vereinfa-chung der Idee des Internationalismus. Politische, fachliche und mo-ralische Qualitäten – genau das kennzeichnet einen Funktionär in jederSituation. Mit besonderem Feingefühl muß man auch den nationalenAspekten dieses oder jenes Problems Rechnung tragen, den nationalenTraditionen in der Lebensweise, der Mentalität und dem Verhalten derMenschen. All das muß sehr sorgsam berücksichtigt werden.

Man muß sagen, Genossen, daß einige Leiter an die Lösung vonFragen, die die Beziehungen zwischen den Nationalitäten betreffen,manchmal ohne die gebührende Verantwortung herangehen.

Von Zeit zu Zeit entstehen Mißverständnisse in den Beziehungenzwischen benachbarten Bezirken oder Gebieten unterschiedlicherRepubliken. Manchmal wachsen sie zu Streitfällen und selbst zu Pro-zessen aus. Und die Leiter der Partei- und Staatsorgane weichen prin-

Page 49: Gorbatschow, Michael - Die Rede

zipiellen Lösungen aus, statt die Leidenschaften gar nicht erst auf-kommen zu lassen oder sie zu zügeln. Politische Funktionäre müssen insolchen Situationen besonnen handeln und ungesunde Emotionenabkühlen.

Einen großen Rückstand gegenüber der Praxis in den nationalenBeziehungen hat unsere Theorie. Ich meine die offenkundig ungenü-gende Durchdringung der Fragen der Nationalitätenpolitik entspre-chend der heutigen Entwicklungsetappe des Landes. Es ist schließlicheine Tatsache, Genossen, daß anstelle der objektiven Erforschung derrealen Erscheinungen in der Sphäre der nationalen Beziehungen undder Analyse der wirklichen sozialökonomischen und geistigen Prozesse,die von der Sache her kompliziert und widersprüchlich sind, einigeunserer Gesellschaftswissenschaftler lange Zeit lieber Traktate von derArt von Trinksprüchen verfaßten, die manchmal mehr an schöngeistigeToaste erinnern als an ernsthafte wissenschaftliche Forschungen.

Man muß zugeben, daß Fehler im Bereich der nationalen Bezie-hungen und ihre Erscheinungsformen im Schatten blieben und es nichtüblich war, über sie zu sprechen. Das hatte negative Folgen, mit denenwir es nun zu tun haben.

Auf dem XXVII. Parteitag haben wir die Unerschütterlichkeit dervon W. I. Lenin begründeten Traditionen unserer Partei unterstrichen:In allem, was die Entwicklung der nationalen Verhältnisse betrifft sowiedie Interessen jeder Nation und Völkerschaft und die nationalenGefühle der Menschen berührt, besonderes Einfühlungsvermögen undbesondere Umsicht zu zeigen und auf diesem Gebiet entstehendeFragen rechtzeitig zu lösen.

Zu den Traditionen des Bolschewismus gehört der prinzipienfesteKampf gegen jegliche Erscheinungen von nationaler Borniertheit undGroßtuerei, Nationalismus und Chauvinismus, lokaler Engstirnigkeit,Zionismus und Antisemitismus, in welchen Formen sie auch auftreten.Wir müssen uns ständig dessen bewußt sein, daß Nationalismus undproletarischer Internationalismus zwei entgegengesetzte Richtungen derPolitik, zwei entgegengesetzte Weltanschauungen sind.

Wenn wir von diesen Positionen ausgehen, werden wir standhaftund prinzipienfest sein. Die nationalen Gefühle der Menschen verdie-nen Achtung und können nicht ignoriert werden, mit ihnen darf aberauch nicht kokettiert werden. Diejenigen, die mit nationalistischen oder

Page 50: Gorbatschow, Michael - Die Rede

chauvinistischen Vorurteilen ihr Spiel treiben, mögen in dieser Hinsichtkeine Illusionen haben und keine Nachsicht erwarten.

Prinzipien, Genossen, sind deshalb Prinzipien, weil sie nicht aufge-geben werden dürfen. Eine solche Haltung, eine prinzipienfeste,leninsche Haltung, wird zweifellos von der ganzen Partei und dem ge-samten multinationalen sowjetischen Volk unterstützt werden.

Page 51: Gorbatschow, Michael - Die Rede

3. Kaderpolitik unter den Bedingungen der Umgestaltung

Genossen! Ich denke, es ist uns allen klar, daß der Erfolg der Umgestal-tung in entscheidendem Maße davon abhängt, wie schnell und wiegründlich unsere Kader die Notwendigkeit von Veränderungen erken-nen und wie schöpferisch und zielstrebig sie den Kurs der Parteiverwirklichen. Heute wird eine Kaderpolitik gebraucht, die den Auf-gaben der Umgestaltung, der notwendigen Beschleunigung der sozial-ökonomischen Entwicklung entspricht. Bei der Formulierung ihrergrundlegenden Anforderungen müssen wir sowohl die Lehren der Ver-gangenheit als auch die neuen großen Aufgaben berücksichtigen, dieuns das Leben heute stellt.

In den Jahren des sozialistischen Aufbaus wurde im Lande ein gro-ßes hochqualifiziertes Kaderpotential geschaffen. Das unvergleichlichstark gewachsene Bildungs- und Kulturniveau der Arbeiter und Bauern,des ganzen Volkes schafft günstige Voraussetzungen für dessen stetigeVerstärkung und Erneuerung. Alles, was wir getan haben, alles, was wirerreicht haben, ist das Werk der sowjetischen Menschen, Ergebnis derselbstlosen Arbeit unserer Kader.

Zugleich ist es auf dem heutigen Plenum notwendig, auch über dieFehler in der Kaderarbeit, über die Abweichungen in der Kaderpolitikzu reden, die in den letzten Jahren zugelassen wurden und die zuschwerwiegenden Mängeln in der Tätigkeit einiger Leitungsbereiche desPartei-, Staats- und Wirtschaftsapparates sowie zu negativen Er-scheinungen in der Gesellschaft führten. Viele Fehlschläge hätten ver-mieden werden können, wenn von den Parteiorganen immer und mitKonsequenz eine prinzipienfeste, wirksame Kaderpolitik betrieben undeine hohe Handlungsfähigkeit aller Bereiche der Parteiführung wie auchder wirtschaftsleitenden Organe gewährleistet worden wäre.

Selbstverständlich können wir uns heute unter keinen Umständendarauf beschränken, die zugelassenen Fehler lediglich einzugestehen.Um derartige Fehlschläge in Zukunft zu vermeiden, müssen wir unbe-dingt die Lehren aus der Vergangenheit ziehen.

Welche Lehren sind das?Die erste Lehre besteht in der Notwendigkeit, die herangereiften

Kaderfragen rechtzeitig im Zentralkomitee der Partei selbst, in seinem

Page 52: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Politbüro zu entscheiden, und zwar vor allem unter dem Aspekt derSicherung einer Kontinuität in der Führung sowie der Heranziehungneuer Kräfte.

Die Verletzung dieses natürlichen Prozesses schwächte in irgend-einer Etappe die Handlungsfähigkeit des Politbüros und des Sekreta-riats und insgesamt die des Zentralkomitees der KPdSU und seinesApparates sowie auch die der Regierung.

In der Tat, Genossen, wurde nach dem April-Plenum binnen kurzerZeit ein großer Teil der Mitglieder des Sekretariats und der Abtei-lungsleiter des Zentralkomitees der KPdSU erneuert, es wurde prak-tisch das ganze Präsidium des Ministerrates der UdSSR ausgewechselt.Dieser Wechsel wurde notwendig, weil über eine lange Zeit dieErneuerung der Mitglieder des ZK und der Regierung, ihre ständigeErgänzung durch neue Kader – wie es das Leben erforderte – nichtgewährleistet war. Dies alles wirkte sich letztendlich sowohl auf dieAusarbeitung der Politik als auch auf die praktische Tätigkeit der Parteibei der Leitung der Gesellschaft aus.

Das kann und darf sich nicht wiederholen. Damit der Prozeß derErneuerung nicht unterbrochen und die Kontinuität nicht verletzt wird,müssen das Zentralkomitee der KPdSU, das Politbüro und dasSekretariat des ZK, die Regierung und die höchsten Ebenen der Parteiund der staatlichen Leitung für den Zustrom frischer Kräfte ausverschiedenen Arbeitsbereichen offen sein. Diese Fragestellung ent-spricht vollständig dem leninschen Verständnis der Kaderpolitik sowieden Interessen der Partei und des Volkes.

Natürlich hat das Zentralkomitee der Partei eine große Arbeit ge-leistet und leistet sie auch weiterhin. Das Niveau dieser Arbeit jedochdarf niemals und unter keinen Umständen sinken. Im Gegenteil, esmuß ständig angehoben werden und den Anforderungen entsprechen,die das Leben, die Entwicklung der Gesellschaft und die internationaleLage stellen. Jedes Nachlassen in der Arbeit des ZK ist unzulässig.

Das Zentralkomitee der KPdSU muß beispielhaft die leninschenIdeen, Prinzipien und Arbeitsmethoden verkörpern. Auf unserenPlenartagungen müssen wirklich die wichtigsten Fragen des Parteile-bens sowie der inneren und der internationalen Lage des Landes erör-tert werden. Sie müssen frei, offen, mit einem hohen Verantwor-tungsgefühl, in einer Atmosphäre der ideologischen Geschlossenheit

Page 53: Gorbatschow, Michael - Die Rede

und der ausführlichen Gegenüberstellung von Standpunkten erörtertwerden.

In diesem Zusammenhang möchte ich besonders auf die Rolle derMitglieder des Zentralkomitees, auf ihre Rechte und ihre Verantwor-tung verweisen. Auf den Plenartagungen muß jedem Mitglied des ZKdas Recht eingeräumt werden, Fragen zu stellen und sich an derenkollektiver schöpferischer Erörterung zu beteiligen. In der Partei – undum so mehr auf den Plenartagungen des ZK – darf es keine Personengeben, die außerhalb der Kritik stehen, wie es auch keine Personengeben darf, die nicht das Recht haben, Kritik zu üben.

Hier müssen wir vieles verbessern. Wollen wir ehrlich sein: Jahrelangstanden viele aktuelle Probleme, die Partei und Volk bewegten, nichtauf den Tagesordnungen der Plenartagungen. Die Genossen werdensich erinnern, daß die Plenartagungen des ZK mehrfach auf die schnelleund formal durchgeführt wurden. Zahlreiche Mitglieder des ZK hattenwährend ihrer gesamten Zugehörigkeit zum ZK nicht die Möglichkeit,sich an den Diskussionen zu beteiligen oder gar Vorschläge zuunterbreiten. Diese Atmosphäre auf den Plenartagungen des ZK wirktesich auch auf den Arbeitsstil der örtlichen Parteikomitees und -organisationen aus.

Die zweite Lehre aus den Erfahrungen früherer Jahre, Genossen,besteht darin, daß wir nicht zulassen dürfen, daß die politische undtheoretische Ausbildung sowie die ideologische und moralische Stäh-lung der Kader unterschätzt wird. Im entgegengesetzten Fall schlägt dasin die ernstesten Störungen in der Tätigkeit der Parteikomitees alsOrgane der politischen Führung um.

In den letzten Jahren wurden diese Kriterien bei der Auswahl derLenkung und Erziehung der Kader nicht immer berücksichtigt. DasWissen der Mitarbeiter um die Spezifik dieses oder jenes Zweiges derProduktion, der Wissenschaft und Technik, der Technologie sowieseiner Bereitwilligkeit wurden nicht selten in den Vordergrund gestellt.Das alles ist ohne Zweifel von Bedeutung. Aber es darf dabei nichtzugelassen werden, daß solche Leitungseigenschaften wie ideologisch-theoretische Weitsicht und politische Reife, moralische Grundsätzesowie die Fähigkeit, Menschen zu überzeugen und zu führen, aus demBlickfeld geraten.

Es muß direkt und ehrlich zugegeben werden, daß der technokrati-

Page 54: Gorbatschow, Michael - Die Rede

sche, «durch administrativen Druck» gekennzeichnete Arbeitsstil derSache der Partei, vor allem der Arbeit mit den Menschen – das heißt,dem Wichtigsten in der Parteiarbeit – einen großen Schaden zugefügthat. Viele Parteiarbeiter, die mit wirtschaftlichen Problemen beladensind und in einer Reihe von Fällen artfremde Funktionen übernommenhaben, ließen in der Aufmerksamkeit für politische Fragen undErscheinungen von gesellschaftlicher Wichtigkeit auf dem Gebiet derWirtschaft sowie des sozialen und geistigen Lebens nach.

Natürlich liegen einem solchen Stil auch objektive Ursachen zu-grunde. Sie hängen damit zusammen, daß eine ganze Reihe Fragen derLeitung der Volkswirtschaft ungelöst sind und ein effektiver Wirt-schaftsmechanismus fehlt. In dieser Situation sind viele Parteikomiteesim Gefühl ihrer Verantwortung und ihrer Pflicht gegenüber dem Volkgezwungen, Beschlüsse zu zahlreichen Wirtschaftsfragen auf sich zunehmen. So war das im Verlauf vieler Jahre und schlug tiefe Wurzelnim Stil und in den Arbeitsmethoden und führte zu einer gewissenDeformierung der Prinzipien der Führung der Partei sowie im Bestandunserer Kader.

Die Verwirklichung großangelegter Maßnahmen, mit denen auch derWirtschaftsmechanismus im Lande umgestaltet werden soll, eröffnetbreite Möglichkeiten für die Vervollkommnung der Arbeit derParteikomitees und -organisationen, für die Verstärkung des Einflussesder Partei in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sowie für dieVerwirklichung eines politischen Herangehens an alle zur Erörterunganstehenden Probleme.

Ich möchte unterstreichen, daß niemand die Parteikomitees von derSorge und Verantwortung für die Lage in der Wirtschaft freisprechenkann. Es geht dabei, wie ich bereits sagte, darum, die Leitungsmethodender Partei so zu vervollkommnen, daß verhindert wird, daß sie dieArbeit der Wirtschaftsorgane macht oder sie kleinlich bevormundet.

Die dritte Lehre, die wir ziehen müssen, besteht darin, daß sich inder Kaderpolitik der letzten Jahre paradoxerweise zwei entgegenge-setzte Tendenzen eingebürgert haben. Was meine ich damit, Genossen?

Einerseits sind im Kaderbestand ziemlich starke Stagnationser-scheinungen zutage getreten. Bei den Sekretären einer Reihe vonParteikomitees, unter Mitarbeitern von Staats- und Wirtschaftsorganenauf örtlicher, Republiks- und Unionsebene gab es manchmal

Page 55: Gorbatschow, Michael - Die Rede

jahrezehntelang keine notwendigen Kaderveränderungen und keinenZustrom neuer Kräfte.

Wenn ich davon spreche, möchte ich nicht den geringsten Schattenauf die vielen Hunderte und Tausende prächtiger Kader, insbesondereauf Bezirk- und Stadtebene, werfen, die mit all ihrer Kraft und ihremganzen Wissen der Partei und dem Volk selbstlos dienten und dienen.Durch ihre jahrelange redliche Arbeit, durch ihre wirklich verdienteAutorität üben sie zu Recht leitende Funktionen aus. Die KPdSU unddas Volk wissen ihre nicht leichte Arbeit und ihre großen Verdienstegebührend zu schätzen.

Ich glaube, die bekannte und zudem recht gut verstandene These,daß Stabilität der Kader im Prinzip notwendig ist, muß nicht erst be-wiesen werden. Sie darf aber nicht ins Extreme, wenn Sie so wollen, adabsurdum geführt werden. Wir wissen nur zu gut, wohin das geführthat, welcher Preis auch jetzt noch für künstliche Stabilität gezahltwerden muß, die sich in Wahrheit in Stillstand in der Kaderarbeitverwandelt.

Andererseits gab es in der Kaderarbeit besonders auf der unterenEbene der Volkswirtschaft eine zweite, nicht weniger beunruhigendeTendenz. Die Rede ist von der hohen Fluktuation, einem wahrenBockspringen der leitenden Kader in den Industriebetrieben, aufBaustellen, in Kolchosen, Sowchosen und anderen Organisationen.

Sie wissen, was für eine große Rolle hochqualifizierte Organisatorender Produktion spielen. Die Leiter der Kollektive – Kommunisten undParteilose – sind die Hauptstütze der Partei bei der Durchführung ihrerWirtschafts- und Sozialpolitik, auf ihren Schultern ruht die große Lastder unterschiedlichsten Aufgaben. In diesem Fall stelle ich die Frage:Wie konnte es geschehen, daß sich in vielen Bezirken und Gebieteninnerhalb weniger Jahre die Zusammensetzung der Leitungen derArbeitskollektive vollständig verändert hat?

Das kann nur dann geschehen, wenn die schöpferische Arbeit mitden Kadern, die tatsächliche Sorge um ihre politische und beruflicheEntwicklung, um praktische Hilfeleistung in den Hintergrund rückt undvon administrativen Anordnungen sowie von übereilten und zum Teilunüberlegten Beurteilungen ihrer Tätigkeit und ihrer Möglichkeitenersetzt wird. Ich meine, die Parteikomitees sollten sich von diesem sehrernsten Vorwurf getroffen fühlen und die richtigen Schlußfolgerungen

Page 56: Gorbatschow, Michael - Die Rede

daraus ziehen.Leider gibt es auch solche Parteikomitees und Parteisekretäre, die

Mißerfolge und zuweilen auch Rückschläge in ihrer Arbeit durch zurSchau getragene Strenge gegenüber den Kadern und Pseudoprin-zipienfestigkeit verschleiern und dabei weder an das Wesen der Sachenoch an das Schicksal der Menschen denken.

Im Zusammenhang damit möchte ich mich zu einer weiteren unzu-lässigen Erscheinung äußern. Ich meine die Intoleranz mancher Leitergegenüber selbständigem Handeln und Denken der ihnen unterstelltenMitarbeiter. Sobald dieser oder jener Mitarbeiter beginnt, eigeneÜberlegungen zu äußern, die nicht mit der Meinung des Sekretärs desParteikomitees, eines leitenden Mitarbeiters aus einem Ministerium oderanderen zentralen Staatsorganen, einem Betrieb, einer Institution oderOrganisation übereinstimmen, kommt es vor, daß versucht wird, ihnunter allen möglichen, mitunter sogar auf den ersten Blickgutgemeinten Vorwänden so schnell wie möglich loszuwerden. Und dassei besser so, aber für wen? Für die Sache? Nichts dergleichen! Für dieSache wäre das stets schlechter.

Auch in dieser Hinsicht sollten wir alle von W. I. Lenin lernen, deres wie kein anderer verstand, die Menschen zu einen, einmütige Arbeitzu organisieren, Werktätige mit Initiative zu unterstützen, die Meinungvon Genossen aufmerksam anzuhören und sie, falls erforderlich,geduldig zu überzeugen. Wir müssen es lernen, prinzipienfest, an-spruchsvoll und aufmerksam zu sein.

Die vierte Lehre unserer Kaderarbeit besteht darin, die Verantwor-tung für die übertragene Aufgabe zu erhöhen, die Disziplin zu festigenund eine Atmosphäre zu schaffen, in der gegenseitig hohe Ansprüchegestellt werden. Wie konnte es dazu kommen, Genossen, daß vieleleitende Funktionen- auf Bezirks-, Stadt-, Gebiets-, Republiks- undsogar Unionsebene – jahrzehntelang von Leitern ausgeübt wurden, dieihren Verpflichtungen nicht gerecht wurden, von nicht pflichtbewußtenund undisziplinierten Menschen?

Die Folgen sind wohlbekannt. Jahrelang wurden einige Zweige,unter anderem Eisenhüttenwesen, Kohleindustrie, Eisenbahnverkehr,Werkzeug- und Landmaschinenbau, fleisch- und milchverarbeitendeIndustrie und einige andere von Funktionären geleitet, die eine Lösungder Aufgaben nicht gewährleistet haben.

Page 57: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Eigentlich haben es alle wissen müssen; die Situation in den Zweigenwurde des öfteren auf den Tagungen des Obersten Sowjets der UdSSR,auf den Plenartagungen des ZK und selbst auf den Parteitagen derKPdSU kritisiert. Und dennoch blieb alles beim alten.

Gibt es denn wirklich keine Gebiete und Republiken, keine Städteund Bezirke, in denen viele Jahre lang die Produktionspläne nicht erfülltund soziale Fragen vernachlässigt wurden? Und dennoch wurden ihreLeiter für Fehler in der Arbeit in keiner Weise zur Verantwortunggezogen. Sie blieben in jeder Hinsicht ungeschoren.

Dasselbe trifft auf gewisse Leiter von Betrieben, Wirtschaftsorga-nisationen, von Einrichtungen des Gesundheits- und Bildungswesens,der Wissenschaft, der Kultur sowie von Informationsorganen zu: Sieließen seit langem die Dinge schleifen, werden ihren Pflichten nichtgerecht, verstehen es aber, wie man so sagt, anderen Sand in die Augenzu streuen, und sind im Umgang bequem. Noch bis vor kurzem erwiessich dies als ausreichend, um eine leitende Position zu behalten.

Es kommt vor, daß mancher Leiter fehl an seinem Platz ist undsozusagen «die Karre nicht zieht». Sein Pech besteht darin, daß ihm eineFunktion übertragen wurde, die seine Kräfte übersteigt. Wie ist indiesem Falle vorzugehen? Solche Fehler müssen eingestanden und,ohne sie zu dramatisieren, korrigiert werden. Dem Betreffenden sollteeine seinen Fähigkeiten angemessene Arbeit übertragen werden.

Wir dürfen und können nicht auf Kosten der Interessen der Partei,der Gesellschaft, des Volkes «gutmütig» sein. Die Interessen der Parteiund des Volkes stehen über allem – das ist bei uns ein unverrückbaresGesetz. Wirkliche Kaderarbeit hat nichts mit Gutmütigkeit undGroßzügigkeit, Wohltätigkeit und Schmeichelei zu tun. Auch dieseLehre müssen wir uns fest zu eigen machen.

Schließlich noch zu einer weiteren Lehre. Es ist berechtigt, auf un-serer Plenartagung die Frage zu stellen, warum denn all diese ange-häuften Probleme in der Arbeit mit den Kadern so lange Zeit nichtbeachtet und gelöst worden sind? Wie konnte das passieren? Sie ver-stehen, daß das eine sehr ernste Frage ist.

Nach Ansicht des Politbüros liegt der Hauptgrund darin, daß in derKaderpolitik die demokratischen Grundsätze zu schwach ausgeprägtsind. Über die innerparteiliche Demokratie als Hauptgarant für dieVerwirklichung des strategischen Kurses der Partei, der Aufgaben der

Page 58: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Umgestaltung habe ich bereits grundsätzlich gesprochen.Es wurden auch Vorschläge zu einer solchen grundlegenden Frage

der Demokratisierung wie der Bildung der gewählten Organe in derKPdSU gemacht.

Und nun möchte ich die Frage der Erhöhung der Rolle aller ge-wählten Organe unterstreichen. Man muß rundweg anerkennen: Wennsie in der Partei und im Staat, in den Gewerkschaften und in anderengesellschaftlichen Organisationen so richtig funktionieren würden,wären viele ernsthafte Versäumnisse in der Kaderarbeit vermeidbar.

Schauen wir doch das Leben an, sozusagen mit offen Augen: DieRolle der Exekutivorgane gewann gegenüber den gewählten Organen inunzulässiger Weise die Oberhand. Auf den ersten Blick läuft allesnormal. Regelmäßig finden sowohl die Plenartagungen als auch Ses-sionen und Sitzungen der anderen gewählten Organe statt. Aber ihreArbeit hat oft formalen Charakter, erörtert werden zweitrangige oderbereits vorher beschlossene Fragen. Im Ergebnis fehlt die notwendigeKontrolle der Tätigkeit der Exekutivorgane und ihrer leitenden Kader.Wozu sollte man das verschweigen? Einige Genossen begannen, in dengewählten Organen eine Bürde zu sehen, mit der man nur Scherereienhat. So weit ist es gekommen. Fazit ist, daß die Rolle der Deputiertender Sowjets, der Mitglieder der Partei und anderer kollektiver Organebei der Zusammensetzung der Exekutivkomitees, bei der Auswahl derKader und bei der Kontrolle über deren Tätigkeit herabgesetzt wurde.Zeugt denn davon nicht Charakter und Stil der Wechselbeziehungenzwischen dem hauptamtlichen Apparat und den Mitgliedern dergewählten Organe? Sehr oft stößt man auf Versuche von Mitarbeiterndes Apparats, Mitgliedern der Parteikomitees, anderer gesellschaftlicherOrganisationen und Deputierten der Sowjets Befehle zu erteilen. In derPraxis geschieht es, daß demokratische Mechanismen für die Bildungund die Arbeit der gewählten Organe verkündet werden, die bei weitemnicht immer funktionieren und folglich nicht effektiv genug sind.

Deshalb möchte ich noch einmal auf meine Äußerungen über dieEntwicklung der sozialistischen Demokratie unter den Bedingungen derUmgestaltung zurückkommen und erneut die Aktualität und großeBedeutsamkeit der zu diesen Fragen formulierten Vorschlägeunterstreichen. Wir müssen solche Maßnahmen ausarbeiten und ver-wirklichen, die die entscheidende Rolle der kollektiven, gewählten

Page 59: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Organe gewährleisten. Kein exekutives Organ und umsoweniger dessenApparat darf oder hat das Recht, ein gewähltes Organ zu ersetzen odersich darüber zu erheben.

Es müssen die notwendigen Voraussetzungen – politische und juri-stische – geschaffen werden, damit die gewählten Organe eine effektiveKontrolle über die Exekutive, ihre Zusammensetzung und Tätigkeitausüben. Das wird ein sicherer Schutz vor Fehlern, darunter auch in derKaderarbeit, sein.

Ich denke, die Teilnehmer des Plenums verstehen gut, wie prinzipielldiese Frage gestellt wird und wie notwendig es ist, sie unverzüglich zulösen.

Eine der Ursachen für die schwerwiegenden Versäumnisse in derKaderpolitik ist die sinkende Rolle der Kontrollorgane sowohl in derPartei als auch im Bereich der staatlichen und gesellschaftlichen Or-ganisationen. Viele Hinweise über Mißbrauch und Störungen in einerReihe von Regionen und Zweigen der Volkswirtschaft, in Parteiko-mitees auf Gebiets-, Regions- und Republiksebene fanden nicht ihreAufmerksamkeit.

Die Arbeit der Kontrollorgane beschränkte sich häufig auf ober-flächliche Kontrollen und formale Finanzrevisionen, auf die Untersu-chung verschiedener Beschwerden und verbreiteter Mißstände. DieseFragen erfordern natürlich ebenfalls Aufmerksamkeit, aber sie dürfennicht den Schwerpunkt der Arbeit bilden, und besonders jetzt nicht.

Der XXVII. Parteitag der KPdSU hat der Tätigkeit der Kontrollor-gane eine neue Orientierung gegeben. Wichtig ist, daß sie alle, von denBezirken bis hin zu den zentralen Organen, ihrer wichtigen Funktiongerecht werden und ein Beispiel an Prinzipienfestigkeit undGerechtigkeit geben.

Überhaupt, Genossen, können, ja dürfen wir die Fehler der Ver-gangenheit nicht wiederholen. Und ich denke, das wird uns auch nie-mand erlauben.

Dies sind die wichtigsten Lehren der Kaderpolitik, über die demPlenum – nach Meinung des Politbüros – Bericht erstattet werden muß.

Die wichtigste Schlußfolgerung aus diesen Lehren besteht darin, daßwir die Pflicht haben, die Kaderpolitik ernsthaft zu erneuern, sie vonallen Verzerrungen und Versäumnissen zu befreien, sie wirklichzeitgemäß, aktiver und zielstrebiger zu gestalten, sie untrennbar mit den

Page 60: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Hauptrichtungen des Kampfes für die Beschleunigung der sozial-ökonomischen Entwicklung zu verbinden.

Ich wiederhole, es handelt sich nicht einfach um eine Vervoll-kommnung der Organisierung der Kaderarbeit, sondern um die Aus-arbeitung einer Kaderpolitik, die den Aufgaben der Umgestaltunggerecht wird. Nur bei einem solch breitangelegten Herangehen wird dieArbeit mit den Kadern der Durchführung tiefgreifender, ihrem Wesennach revolutionärer Umgestaltungen dienen.

Lenin lehrte, an die Kaderarbeit vor allem politisch heranzugehen,sie in untrennbarem Zusammenhang mit dem Wesen der in der ent-sprechenden Etappe zu lösenden Probleme zu betrachten und die Ka-der «nach neuen Gesichtspunkten, entsprechend den neuen Aufgaben»auszuwählen (W. I. Lenin, Werke, Ergänzungsband 2, Berlin 1973,S.462). Was bedeutet das hinsichtlich der gegenwärtigen Etappe dergesellschaftlichen Entwicklung?

Das entscheidende Kriterium in der Kaderpolitik, eine Art Stimm-gabel, ist gegenwärtig die Haltung der Kader zur Umgestaltung, zu denAufgaben der Beschleunigung der sozialökonomischen Entwicklungdes Landes, die Haltung der Kader nicht in Worten, sondern in der Tat.Natürlich müssen wir berücksichtigen, daß die Entwicklung der Kaderund ihre Tätigkeit lange Zeit keineswegs unter den besten Bedingungenerfolgte. Deshalb lassen sich Veränderungen so schwer erreichen. Unssteht eine mühsame und beharrliche Arbeit bei der Umgestaltung desKaderbestandes bevor.

Wir haben entschlossen Kurs auf die Unterstützung initiativreicher,denkender und energischer Menschen genommen, die kühn voran-schreiten wollen und können, die in der Lage sind, Erfolge zu erringen.Davon gibt es bei uns viele. Die Beschlüsse des April-Plenums und desXXVII. Parteitages haben sie beflügelt, haben großen Spielraum fürschöpferische Tätigkeit gegeben. Schauen Sie sich einmal an, wie sichdas Talent folgender Wirtschaftskader unter den neuen Bedingungeneindrucksvoll und stark entfaltet hat:

Wladimir Pawlowitsch Kabaidse aus Iwanowo,Boris Iwanowitsch Fomin aus den Leningrader «Elektrosila»-Werken,Anatoli Alexejewitsch Parschin aus dem Werk «Krasny Kotelstschik»in Taganrog,

Page 61: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Iwan Wassiljewitsch Franzenjuk aus dem Hüttenkombinat inNowolipezk,Raissa Georgijewna Rostschinskaja, Direktorin der Konfektions-fabrik in Nowotscherkassy,Juri Iwanowitsch Baranow, Direktor der Donezker Bergwerksleitung«Sozialistitscheski Donbass»,Nikolai Iljitsch Trawkin, Leiter des Trusts Nr. 18, von«Mosoblselstroj»,der Direktor des belorussischen Sowchos-Kombinats «Mir»,Alexander Nikolajewitsch Duduk,der bekannte Brigadier aus dem Kuban, Michail IwanowitschKlepikow,die Kolchosvorsitzenden Wassili Jakowlewitsch Gorin aus dem Ge-biet Belgorod, Nikolai Dmitrijewitsch Tereschtschenko ausStawropol, Michail Grigorjewitsch Wagin aus dem Gebiet Gorki,Juri Fjodorowitsch Bugakow aus dem Gebiet Nowosibirsk und viele,

viele andere mehr.Wir müssen lernen, diese Arbeiter auf jegliche Art und Weise zu

unterstützen, ihre Selbständigkeit und Initiative zu schätzen. Es istwichtig, in jeder Parteiorganisation, in jedem Arbeitskollektiv eineAtmosphäre zu schaffen, die alle zur Suche nach effektiven Lösungen,zu einem äußerst offenen und freimütigen Erfahrungsaustauschanspornt. Und natürlich muß man sich entschieden von solchen – mitVerlaub zu sagen – Methoden trennen wie Runterputzen, Raus-schmeißen und Standpauken halten, wozu bisher noch häufig Zu fluchtgenommen wird. Wir sind für eine Umgestaltung, aber nicht fürKaderwechsel um jeden Preis. Man muß den Menschen achten,Genossen, und ihm mehr vertrauen.

Heute hat jeder die Möglichkeit, seine Fähigkeiten unter Beweis zustellen. Und jenen, die arbeiten wollen, müssen wir sowohl mit Rat alsauch mit kameradschaftlicher Strenge zur Seite stehen. Nun, und mitdenen, die am alten festhalten und den vor sich gehendenVeränderungen gleichgültig gegenüberstehen oder sich ihnen einfachwidersetzen – mit denen haben wir natürlich keinen gemeinsamen Weg.

Auf diese Weise ist das Verhältnis zur Umgestaltung, sind die realenTaten zu deren Verwirklichung entscheidend für die Bewertung derKader. Natürlich sind wir verpflichtet, auch andere prinzipielle

Page 62: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Eigenschaften zu berücksichtigen. In erster Linie denke ich an Un-versöhnlichkeit gegenüber Mängeln, Routine, Gleichgültigkeit undPassivität sowie an Loyalität gegenüber allem Vorwärtsweisenden undFortschrittlichen.

Die Umgestaltung erfordert von den Arbeitern Kompetenz undgroßes Können. Heute kommt man ohne moderne und vielseitigeAusbildung, ohne tiefes Wissen um die Fragen der Produktion, Wis-senschaft und Technik, Verwaltung, Wirtschaft, Organisation undStimulation der Arbeit sowie Psychologie nicht aus. Alles in allemmüssen wir das intellektuelle Potential des Landes maximal fördern undsein schöpferisches Ergebnis wesentlich erhöhen.

Immer größere Bedeutung erlangen Organisiertheit und Disziplin.Sie sind immer und überall erforderlich, besonders wichtig sind siejedoch unter den Bedingungen der modernen Produktion und desumfassenden Einsatzes neuester Technologien. In den letzten Jahrenkonnten wir einen spürbaren Tempoanstieg des ökonomischenWachstums durch Gewährleistung elementarer Ordnung und Über-windung von Unorganisiertheit erzielen.

Aber diese Aufgabe bleibt aktuell. Lockere Disziplin und geringeVerantwortung haben zu tiefe Wurzeln geschlagen und bringen sichimmer noch schmerzlich in Erinnerung. Gerade verbrecherischeVerantwortungslosigkeit und Schlamperei sind die Hauptursachensolcher tragischen Ereignisse wie der Havarie in dem Kernkraftwerkvon Tschernobyl, dem Untergang der «Admiral Nachimow» sowie einerReihe von Flugzeug- und Eisenbahnunglücken, die Menschenopferforderten.

Es muß überall eine solche Atmosphäre geschaffen werden, die jedeMöglichkeit für die Wiederholung solcher Dinge ausschließt.

Organisiertheit, Exaktheit und Verläßlichkeit müssen für jeden zumGesetz werden.

Und schließlich die wichtigste Forderung – hohe Moral unserer Ka-der und solche menschlichen Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Unbe-stechlichkeit und Bescheidenheit. Jetzt wissen wir nicht nur aus derVergangenheit, sondern auch aus unseren heutigen Erfahrungen, daßwir die Aufgabe der Umgestaltung nicht lösen werden, wenn wir nichtdie moralische Gesundheit der Gesellschaft festigen. Und nicht zufälligstoßen wir heute gerade in der ethisch-moralischen Sphäre so stark auf

Page 63: Gorbatschow, Michael - Die Rede

negative Erscheinungen. Ich meine den Kampf um die Ausmerzungvon Alkoholmißbrauch, Veruntreuungen, Korruption, Amtsmißbrauchund Protektionismus.

Die Gesellschaft reagiert besonders empfindlich auf alles, was mitdem moralischen Antlitz der Parteimitglieder und vor allem der Lei-tungskader zusammenhängt. Unsere erstrangige Aufgabe ist es, das Bilddes Leiters und Kommunisten als eines reinen und ehrlichen Menschenwiederherzustellen, ein Bild, auf das durch die Verbrechen einigerentarteter Elemente in gewissem Maße ein Schatten geworfen wurde.

Genossen, insgesamt gesehen müssen wir entsprechend den von derZeit gestellten Forderungen die Kaderarbeit in allen Bereichen derVolkswirtschaft, in allen Sphären des gesellschaftlichen Lebens, aufallen Leitungsebenen – zentralen wir örtlichen – entschlossen um-gestalten.

Das Politbüro sieht Wesen und Hauptaufgabe der derzeitigen Ka-derpolitik vor allem darin, die Anforderungen der Partei an sich selbstund an ihre Kader zu erhöhen. Die Umgestaltung in der Gesellschaftvertiefen heißt, die Arbeit der Partei, ihrer Kader auf allen Ebenenumgestalten – vom Zentralkomitee bis in die Grundorganisationen,heißt, die leninschen Prinzipien und Normen des Parteilebens schöp-ferisch durchdenken und in allen Gliederungen konsequent durchset-zen.

Wie geht die Umgestaltung in der Partei vonstatten, wie ist die Vor-bildwirkung der Parteikomitees, der Parteifunktionäre und -aktivisten?

Wir können heute sagen, daß die meisten Parteikomitees und ihreLeiter die Arbeit mit hohem Verantwortungsbewußtsein und festemWillen in Angriff genommen haben. Vieles gelingt ihnen noch nicht,aber sie sammeln mit jedem Tag neue Erfahrungen und werden siche-rer. Diese Veränderungen schaffen feste Voraussetzungen, damit wirschneller voranschreiten können.

Die Umgestaltung ist eine Prüfung, die alle Parteikader durchlaufen.Wie sie sie bestehen – das ist unterschiedlich. Es ist eine deutliche Kluftentstanden zwischen denen, die entschlossen vorwärtsgegangen sind,und jenen, die auf der Stelle treten. Einigen leitenden Partei-funktionären fällt die Schule der Umgestaltung schwer. Anscheinendkönnen sie auf die für Parteikomitees atypischen Dispatcherfunktionenund auf das Bestreben nicht verzichten, Fragen für andere zu

Page 64: Gorbatschow, Michael - Die Rede

entscheiden und alles sozusagen in der Hand zu haben. Dadurch wirdaber wie bisher verhindert, daß die Verantwortung der Kader für dieihnen übertragene Sache zunimmt und sich ihre Initiative und Selb-ständigkeit entwickeln.

Statt die schöpferische Suche der Neuerer voranzubringen, reagierendie Parteifunktionäre auf Initiative und Aktivität der Menschen nichtselten überempfindlich und betrachten sie fast als Naturkatastrophe.Die erste Pflicht der Parteikomitees unter den Bedingungen derUmgestaltung ist es jedoch, dem Schöpfertum der Massen voran-zugehen, den Menschen zu helfen, Mängel möglichst schnell auszu-merzen und eine Sache wirklich voranzubringen.

Gleichzeitig sollte man die Genossen davor warnen, Ereignissekünstlich zu forcieren und voreilig zu handeln. Die Umgestaltung unddie Beschleunigung unserer Entwicklung beruhen auf den objektivenGesetzen der Entwicklung der Gesellschaft, aber die Rolle des sub-jektiven und persönlichen Moments ist wie in jeder gesellschaftlichenEntwicklung auch hier ziemlich groß. Sein Einfluß kann sowohl positivals auch negativ sen. Deshalb ist es äußerst wichtig, daß der Prozeß derErneuerung, der auf recht spürbare Weise die Geschicke der Menschenberührt, zuverlässig vor Rückschlägen in administratives Vorgehen undmechanisches Herangehen an die Dinge geschützt wird. Nirgends undin keinem Bereich unseres sozialen und Produktionssystems darf derBegriff der Umgestaltung entwertet werden. Man muß es sehen undsofort reagieren, wenn Konjunkturismus, persönlicher Ehrgeiz undEgoismus unter ihrer Flagge laufen und wenn die konkrete Arbeit zurUmgestaltung durch Wortgeprassel und Geschwätz ersetzt werden.

Ich möchte wiederholen – ohne die Entwicklung der Demokratieund ohne eine breite Teilnahme der Werktätigen werden wir die Auf-gaben der Umgestaltung nicht lösen.

Die Parteikomitees, alle Kader müssen lernen, in einer Atmosphäresich vertiefender Demokratie und wachsender Aktivität des Volkes impolitischen Leben und in der Arbeit zu wirken.

Wir konnten uns wiederholt davon überzeugen, daß dieUmgestaltung dort schneller um sich greift, wo die Bezirks- undStadtkomitees der Partei tatkräftiger nach dem neuen Stil arbeiten. Dasist auch verständlich. Sie sind hautnah an den Parteigrundor-ganisationen, den Arbeitskollektiven, das heißt, sie stehen an der

Page 65: Gorbatschow, Michael - Die Rede

vordersten Front des Kampfes um die Beschleunigung dersozialökonomischen Entwicklung des Landes. Diese Komitees bezogenin ihrer Mehrzahl richtige Positionen und begannen, den Kurs derPartei auf Umgestaltung entschlossen und konsequent durchzusetzen.

Zugleich machen das Studium der Lage vor Ort, Beiträge in derPresse und Briefe der Werktätigen an das Zentralkomitee der Parteideutlich, daß noch so manche Stadt- und Bezirkskomitees der Partei,deren Funktionäre weiter in der Vergangenheit leben und nach altenMethoden handeln, gleichsam am Rande der Umgestaltung bleiben.Selbst wenn es nur um ein einziges Stadt- oder Gebietskomitee ginge,dann dürfte das nicht unbeachtet bleiben. Doch in dem gegebenen Fallmuß man von einer verbreiteten Erscheinung sprechen. Und das, Ge-nossen, gibt uns Anlaß zur Besorgnis. In vielen Fällen resultiert einederartige Situation in den Stadt- und Bezirkskomitees aus dem Ar-beitsstil, den Arbeitsmethoden und aus der Haltung ihrer Sekretäre.

Meiner Meinung nach wird es richtig sein, wenn wir diesem wichtig-sten Bestandteil der Partei größere Aufmerksamkeit widmen, wenn wirden Gebiets- und Stadtkomitees helfen, bei der Umgestaltung schnellereine aktive Position einzunehmen. Dann werden auch dieParteigrundorganisationen noch besser arbeiten und die Arbeitskol-lektive zur Lösung der Aufgaben führen. Wir sehen, wie die Aktivitätder Kommunisten unentwegt zunimmt, wie Trägheit und Formalismusin der Arbeit der Parteiorganisationen allmählich zurückgedrängtwerden und an Boden verlieren. Doch das ist, wie man so sagt, nochein weites Feld. Die Grundorganisationen der Partei brauchenwirksame Hilfe und Unterstützung.

Eine gewaltige Verantwortung für die Verwirklichung des strategi-schen Kurses auf die Beschleunigung der sozialökonomischen Ent-wicklung tragen die Wirtschaftskader. Landesweit entfaltet sich derÜbergang von administrativen zu ökonomischen Methoden der Wirt-schaftsführung, zu einer verantwortungsvollen und schöpferischenLeitungstätigkeit.

Den Arbeitskollektiven der Betriebe und Vereinigungen werdengegenwärtig bedeutende finanzielle Mittel und materiell-technischeRessourcen für die Neuausrüstung der Produktion sowie für die Lö-sung sozialer Fragen zur Verfügung gestellt. Den Leitern werden um-fassende Rechte gewährt, und zwar nicht nur zur Lösung taktischer

Page 66: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Aufgaben der wirtschaftlichen Disponibilität, sondern auch zur Ver-wirklichung perspektivischer Ziele während des Fünfjahrplanzeitraumsund darüber hinaus. Mit einem Wort – es bildet sich eine neueökonomische, politische und soziale Lage heraus, in der der energischund sachkundig leitende Wirtschaftskader alle seine Fähigkeiten gutentfalten kann.

Die meisten Wirtschaftskader begrüßen die von Partei und Re-gierung zur Reform der Leitungstätigkeit unternommenen weitrei-chenden Maßnahmen und greifen immer aktiver in deren praktischeVerwirklichung ein. Wir sehen bereits einen guten Beginn bei derRealisierung vieler nützlicher Initiativen. Die Erfahrungen der Be-völkerung von Leningrad und Charkow beim Übergang auf einemehrschichtige Arbeit der Industriebetriebe finden immer größereVerbreitung und tragen erste Früchte.

In der Stadt und im Gebiet Leningrad wurden praktisch alle führen-den Betriebe auf den Zwei- beziehungsweise Dreischichtbetrieb um-gestellt. Dadurch wurde die Zahl der im Zweischichtdienst Beschäf-tigten um fast 50000 Arbeitskräfte erhöht. Die Grundfonds werdenjetzt besser eingesetzt und schneller erneuert. Es wurde möglich,350000 Quadratmeter Produktionsfläche freizusetzen und den Bedarfan neuen Bauten um 120000 Quadratmeter zu verringern. Dies alleswird nach vorläufigen Schätzungen eine Einsparung von mehr als 100Millionen Rubel Investitionen bringen, deren größter Teil für den Bauvon Wohnungen und anderer sozialer Einrichtungen verwendet werdenkann.

Viel Kreativität legen die Leiter und Fachleute der Vereinigungenund Betriebe an den Tag, die Anfang dieses Jahres auf die durchgängigewirtschaftliche Rechnungsführung und Eigenfinanzierung nach demBeispiel der Wolga-Automobilwerke und der Maschinenbauvereinigung<Frunse> in Sumi übergegangen sind.

Interessante Erfahrungen bei der Überleitung neuer Wirtschafts-methoden wurden bei der belorussischen Eisenbahn und einer Reiheweiterer Eisenbahnverwaltungen des Landes gemacht, was für dieVerbesserung der Arbeitsergebnisse des Zweiges sorgte und die Ar-beitsproduktivität ansteigen ließ. Findigkeit und wirtschaftlicher Un-ternehmungsgeist bewiesen die Arbeitskollektive in einigen Gebietender Ukraine mit der breiten Entfaltung der Bewegung zur Einsparung

Page 67: Gorbatschow, Michael - Die Rede

von Ressourcen. Unterstützung verdient die Initiative der Brigaden vonBergarbeitern und Hüttenwerkern, die Reserven für die vorfristigeErfüllung der Planauflagen aufdeckten. Ein gutes Beispiel zeigen dieArbeitskollektive von Swerdlowsk, Lipezk und einigen anderen Städtenbei der Lösung des Wohnungsproblems und anderer sozialer Fragen.

Auf dem Lande werden immer mehr Getreide und andere Kulturenmit industriemäßigen Technologien angebaut. In den Kolchosen undSowchosen werden Kollektive mit einheitlichem Arbeitsauftraggebildet, die zügig die Produktion von landwirtschaftlichen Erzeug-nissen steigern und die Effektivität der Wirtschaft erhöhen.

Und dennoch muß man es offen aussprechen: Der Prozeß der An-eignung moderner Methoden der Wirtschaftsführung und Arbeitsweisedurch die Kader vollzieht sich kompliziert und widersprüchlich.Schmerzhafte Erscheinungen und Rückfälle bleiben nicht aus. Einanschauliches Beispiel dafür ist die Einführung der staatlichenErzeugnisabnahme. Viele Kollektive haben die große Bedeutung dieserMaßnahme verstanden und sich gut auf die Arbeit unter den neuenBedingungen eingestellt. Bei ihnen läuft es, wenn auch nicht ohneSchwierigkeiten. Die Arbeitsdisziplin festigt sich, und die Qualität derErzeugnisse erhöht sich.

Doch es gibt auch Leute, die vor den hohen Anforderungen kapi-tulierten. Anstatt die Ärmel hochzukrempeln und sich um die Ver-besserung der Qualität zu kümmern, machen sie sich selbst und an-deren Angst vor möglichen Komplikationen, Konfliktsituationen undsogar einem Stillstand der Werke.

Genossen, ich bin weit davon entfernt, die Lage zu verharmlosen.Doch eines ist klar. Wir Kommunisten und alle Menschen in der So-wjetunion können uns nicht länger damit abfinden, daß in vielen Be-trieben Jahr für Jahr hoffnungslos veraltete Erzeugnisse hergestelltwerden, die bei den Verbrauchern ernstzunehmende Kritik hervorrufenund den wissenschaftlich-technischen Fortschritt aufhalten. Wir habeneine große Sache begonnen und müssen sie zu Ende führen.

Der Übergang zu effektiven Methoden der Wirtschaftsführung, zurErweiterung der Rechte der Vereinigungen und Betriebe schafft eineneue Situation für die Ministerien und die zentralen Staatsorgane. Aufdem Juni-Plenum (1986) des ZK haben wir bereits Fragen derUmgestaltung von Stil und Methoden ihrer Arbeit diskutiert. Was

Page 68: Gorbatschow, Michael - Die Rede

wurde seitdem getan?In der Arbeit der Ministerien und der zentralen Staatsorgane sind,

wenn auch langsam und nicht reibungslos Veränderungen im Gange.Die Leitungen der Industriezweige beteiligen sich unmittelbar an derErarbeitung von Vorschlägen für den Übergang der Betriebe zu denneuen Bedingungen der Wirtschaftsführung. Große Aufmerksamkeitwidmen sie den Fragen der Politik, der wissenschaftlich-technischenRekonstruktion von Betrieben und dem Übergang zur Produktion vonErzeugnissen, die den modernen Anforderungen entsprechen.

Einige Industriezweige und -teilbereiche haben wir durch fähigeLeute gestärkt. An die Leitung sind im allgemeinen energische Fach-leute gelangt, die auf neue Art und Weise vorgehen möchten und dieEinführung moderner Arbeitsmethoden sichern wollen. Diese Liniemuß fortgesetzt, die Tätigkeit des Apparats der Ministerien undDienststellen aktiv vervollkommnet werden, indem er mit weitereninitiativreichen und hochqualifizierten Kadern besetzt wird.

Zugleich stoßen wir immer wieder darauf, daß in der Arbeit derMinisterien und anderer zentraler Staatsorgane bei der Realisierung vonPartei- und Regierungsbeschlüssen Schlendrian und Verantwortungs-losigkeit zugelassen werden. Der Apparat ist gleichsam noch von altenBestimmungen und Instruktionen gefesselt, verharrt in Trägheit undmöchte seine Rechte nicht aufgeben.

Genossen! Wir machen nicht zum erstenmal die leitenden Kaderund Mitarbeiter des Apparats der Ministerien und anderer zentralerStaatsorgane auf die Notwendigkeit einer grundlegenden Umgestaltungihrer Tätigkeit aufmerksam. Damit bietet sich allen die Möglichkeit, sichin die Arbeit einzuschalten und neue Wege im Herangehen an die Sachezu erschließen. Es darf aber nicht geduldet werden, daß ein Ministeriumoder seine leitenden Mitarbeiter untätig sind oder gar die Umgestaltungbehindern. Diese Warnung von der Tribüne des Plenums ist notwendig,da es um die Interessen des Staates und des Volkes, um Fragen dergroßen Politik geht. An dieser Stelle ist es angebracht, an die WeisungLenins zu erinnern: «... der Apparat ist für die Politik da... und nicht diePolitik für den Apparat» (W. I. Lenin, Werke, Bd. 36, Berlin 1962, S.527).

Die Umgestaltung der außenwirtschaftlichen Tätigkeit und die Ge-währung des Rechts für viele Ministerien und Vereinigungen, direkt auf

Page 69: Gorbatschow, Michael - Die Rede

dem Auslandsmarkt aufzutreten, sowie die Gewährung des Rechts füralle Betriebe, direkte Kooperationsbeziehungen zu Partnern aus densozialistischen Ländern zu unterhalten, stellen die Kader vor neueBedingungen. Gerade das haben die Zweigministerien seit langemangestrebt.

Man muß aber begreifen, daß ein Erfolg in der außenwirtschaft-lichen Tätigkeit nur möglich ist, wenn die Ergebnisse von Wissenschaftund Technik aktiv genutzt, die Kader entsprechend den Erfordernissenausgebildet, neue Märkte erschlossen werden und anderes mehr.

Hauptvoraussetzung für die Verwirklichung der sich abzeichnendenMöglichkeiten ist die Produktion von Erzeugnissen mit einer Qualitätvon Weltniveau.

Nachdem die Beschlüsse verabschiedet waren, ist nicht wenig Zeitund Kraft für die verschiedensten organisatorischen Fragen, für diePräzisierung der Rechte und Pflichten sowie der Beziehungen zwischenden Außenhandelsorganisationen und den Zweigorganen der Leitungaufgewendet worden. Die Periode der Organisierung ist nunabgeschlossen. Jetzt müssen die Bemühungen den praktischen Dingenzugewandt werden. Man muß sich energischer der Herstellung vonAußenwirtschaftsbeziehungen mit allen ausländischen Partnern, inerster Linie aus den sozialistischen Ländern, widmen.

Ich hatte bereits gesagt, daß der Erfolg der Strategie der Beschleu-nigung vor allem davon abhängt, wie wir die Aufgaben des wissen-schaftlich-technischen Fortschritts meistern und wie geschickt wir dieVorzüge des Sozialismus mit den Ergebnissen der wissenschaftlich-technischen Revolution verbinden.

Die realen Leistungen werden hier vom Stand der wissenschaftlichenKenntnisse und vom Einsatz origineller Ideen bestimmt, nach denenprinzipiell neue Maschinen und Technologien zu entwickeln sind, diedie Möglichkeit bieten, in den führenden Richtungen der Wissenschaftund Technik voranzukommen. So lautet die strategische Aufgabe, vorder die Wissenschaft bei der Umgestaltung steht.

Bei ihrer Realisierung ist alles wichtig – von der Aufnahme der Stu-denten an der Hochschule und der Qualität der Ausbildung der Spe-zialisten bis hin zur Besetzung der Akademie der Wissenschaften mitbegabten Wissenschaftlern, von der Arbeit der wissenschaftlichenStudentenvereinigungen bis hin zu den Forschungsprogrammen der

Page 70: Gorbatschow, Michael - Die Rede

führenden akademischen und zweigbezogenen Wissenschaftsinstitute,von der schöpferischen Atmosphäre in den Wissenschaftlerkollektivenbis zu den effektivsten Formen der Organisierung und Stimulierung derWissenschaft.

Besondere Bedeutung gewinnt gegenwärtig die Integration vonWissenschaft und Produktion. Eine wichtige Rolle kommt hierbei denzweigübergreifenden wissenschaftlich-technischen Komplexen zu.Davon gibt es heute bereits über 20. Mit der Tätigkeit dieser Komplexeverbinden wir große Hoffnungen hinsichtlich der Beschleunigung derEntwicklung neuer Ideen und insbesondere hinsichtlich derÜberleitung wissenschaftlich-technischer Leistungen. Deshalb muß derArbeit der zweigübergreifenden wissenschaftlich-technischen Kom-plexe mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das Präsidium derAkademie der Wissenschaften der UdSSR sowie die entsprechendenMinisterien und anderen zentralen Staatsorgane wurden verpflichtet,ihnen alles Notwendige zur Verfügung zu stellen, die erforderlicheUnterstützung zu gewähren sowie allseitig zu einer effektiven Tätigkeitbeizutragen.

Solche wichtigen Fragen wie die exakte Koordinierung der Aka-demie-, Hochschul- und Zweigforschung, die Integration der Bemü-hungen der Natur-, der technischen und der Gesellschaftswissen-schaften, die Komplexität der durchgeführten Untersuchungen, dieTiefgründigkeit bei der Auswahl der grundlegenden Probleme sowie dieErhöhung der Effektivität der konkreten Ausarbeitungen sind nach wievor akut und weitgehend ungelöst.

Im Namen des Plenums möchte ich mich an unsere Wissenschaftlerund an alle wissenschaftlichen Mitarbeiter wenden und folgendes sagen:Um aktiv an der Umgestaltung beteiligt zu sein, muß sich dieWissenschaft selbst weitgehend umgestalten. Das Leben drängt uns zurEile. Derjenige, der in der Wissenschaft nicht vorn liegt, riskiert, überallzurückzubleiben. So stellt die Zeit jetzt die Frage, eine Zeit äußersttiefgreifender Veränderungen in Wissenschaft und Technik, wie sie dieMenschheit bisher nicht kannte.

Dies verpflichtet die Parteikomitees, die Ministerien und anderenzentralen Staatsorgane sowie die Wirtschaftsorgane, sich den Erfor-dernissen der Wissenschaft zu stellen, die ständig praktische Unter-stützung erfahren muß. Wir wissen, daß das Präsidium der Akademie

Page 71: Gorbatschow, Michael - Die Rede

der Wissenschaften der UdSSR und ihr Präsident, G. I. Martschuk,interessante Ideen und Vorschläge dazu haben. Ich kann versichern,daß sie im ZK und in der Regierung Unterstützung finden werden.

Die Perspektiven des sozialökonomischen, wissenschaftlich-tech-nischen und geistigen Fortschritts beruhen in vielem auf dem Bil-dungssystem und dessen Qualität. Wir haben die Reform der allge-meinbildenden und Berufsschule in Angriff genommen. Sie wird, wieSie wahrscheinlich wissen, unter komplizierten Bedingungendurchgeführt und bedarf deshalb der unablässigen Aufmerksamkeit aufallen Gebieten – von der Festigung der materiell-technischen Basis derSchule bis zum Inhalt sowie den Formen und Methoden des Bildungs-und Erziehungsprozesses. Es wurden Beschlüsse zur Umgestaltung derHoch- und Fachschulbildung, zur Erhöhung der Gehälter derHochschulkader sowie der Stipendien der Aspiranten und Studentenverabschiedet. Das alles schafft günstige Voraussetzungen für diebeschleunigte Entwicklung der Wissenschaft und Produktion sowie fürdie Erfüllung der Parteitagsbeschlüsse. Wir sind verpflichtet, sie in dieTat umzusetzen und rascher hohe Endergebnisse zu erzielen.

Das System der Erhöhung der Aus- und Weiterbildung der Fachka-der erhält eine neue Grundlage. Unter den Bedingungen der modernenProduktion müssen die konkreten Kenntnisse, Fähigkeiten undFertigkeiten bei allen Mitarbeitern kontinuierlich ergänzt und ver-vollkommnet werden. Die Schaffung eines staatlichen Systems derkontinuierlichen Bildung hat der XXVII. Parteitag als eine der wich-tigsten Aufgaben gestellt, die wir zu verwirklichen haben. Nur so kanndie Sachkenntnis der Kader auf dem Niveau der gegenwärtigenAnforderungen, insbesondere auf den neuen und neuesten Gebietenvon Technik und Technologie, gehalten werden. Es bedarf wohl keinesBeweises, wie wichtig es ist, die Ausarbeitung von Vorschlägen zudiesem Problem beschleunigt abzuschließen.

Und schließlich einige Worte zu den Aufgaben der Kader unsererPlanungs-, Finanz- und anderer Wirtschaftsorgane. Sie müssen heutedie Arbeit unter Berücksichtigung der Aufgaben der Wirtschaftsreformgrundlegend umgestalten.

Die Wirtschaftsorgane des Landes haben viele Vorschläge zur Um-gestaltung der Leitung und des Wirtschaftsmechanismus eingebracht.Doch stellen sich ihre Kader, offen gesagt, selbst nur langsam um und

Page 72: Gorbatschow, Michael - Die Rede

bleiben – so meine ich – sogar hinter den ökonomischen Umgestaltun-gen in der Produktion zurück. Dabei erfordert alles, was dort vor sichgeht, beträchtliche Veränderungen in den Funktionen der zentralenWirtschaftsorgane und ihrer örtlichen Organe.

Richtlinie ihrer Arbeit müssen die politischen Zielsetzungen sein, dievom XXVII. Parteitag formuliert wurden. Die Wirtschaftsreform imLande zielt sowohl auf die umfassende Entwicklung der Selbständigkeitauf unterer Ebene der Wirtschaft als auch auf die weitere Festigung deszentralen Elements in der Leitung hin, wobei gleichzeitig die Zentralevon der kleinlichen Bevormundung der Zweige, Vereinigungen undBetriebe entbunden wird. Alle Kader, und vor allem die Leiter derWirtschaftsorgane, müssen jetzt in eben diesem Sinne wirken und sichvon alten Arbeitsmethoden freimachen.

Noch zu einer weiteren Frage, die unmittelbar mit der Tätigkeit derWirtschaftskader zusammenhängt. Im Plan für das zwölfte Planjahr-fünft wird der Entwicklung der sozialen Sphäre besondere Aufmerk-samkeit zuteil. Das ist durch die Lage in diesem Bereich diktiert. Wirmüssen die entstandene Kluft zwischen dem Entwicklungsniveau derProduktion und der sozialen Sphäre rascher überwinden.

Der Parteitag hat bei den politischen Richtlinien zu diesen Fragenernsthafte Korrekturen vorgenommen und die Schlußfolgerung gezo-gen, daß die ungenügende Hinwendung zur sozialen Sphäre Grund fürdas Zurückbleiben im wissenschaftlich-technischen Fortschritt und imWachstum der Effektivität der Produktion wurde und die Nutzung desvorhandenen Potentials behinderte.

Die Tatsache, daß im Verlauf vieler Jahre von den Wirtschaftsfunk-tionären keine wirkliche Rechenschaft über die Lösung der sozialenFragen gefordert wurde, hat ihr Herangehen an die Arbeit ernsthaftbeeinflußt. Man muß die entstandene Situation entschlossen in Ord-nung bringen. Ohne eine feste Position der Parteikomitees und ohnekonsequente praktische Schritte seitens der Regierung wird das schwermöglich sein.

Nehmen wir ein noch ganz frisches Beispiel. Ende vergangenenJahres wurde die erste Ausbaustufe des Gaskomplexes Astrachan inBetrieb genommen. Hier wurden über anderthalb Milliarden Rubelinvestiert, und hier wird ein Kollektiv von 8000 Arbeitern und Spezia-listen beschäftigt, aber nur 3000 von ihnen haben eine ständige Woh-

Page 73: Gorbatschow, Michael - Die Rede

nung. Dabei war der Rückstand beim Bau von Wohnraum, Polikliniken,gastronomischen Einrichtungen und anderen Objekten des sozialenund kulturellen Bereichs von Anfang an in den Plänen fixiert. Das istdas beklagenswerte Ergebnis eines falschen, fehlerhaften Herangehensan soziale Fragen seitens der Planungsorgane. Diese Angelegenheit mußschnellstens bereinigt werden.

Für die Durchführung einer aktiven Sozialpolitik der Partei tragendie Leitungskader aller Ebenen Verantwortung. Das Leben selbst hatdie Forderung gestellt, die Interessen des Menschen in den Mittelpunktder Tätigkeit der Leitungskader zu stellen, und das Vermögen zurLösung sozialer Fragen ist zu einem der Hauptkriterien ihrer fachlichenund politischen Reife geworden.

Genossen! Bei der Realisierung der Beschlüsse des XXVII. Partei-tages kommt eine wichtige Rolle den Sowjets, den Gewerkschafts-,Komsomol- und anderen gesellschaftlichen Organisationen und ihrenKadern zu. Auch ihnen wurde in vollem Umfang die Aufgabe derUmgestaltung ihrer Tätigkeit gestellt. Im Grunde genommen hat sieschon begonnen.

In welcher Richtung soll sie fortgesetzt werden? Das ist eine Fragegroßen politischen Gewichts, da es um sehr wichtige Institutionen un-seres politischen Systems geht. Bei der Realisierung der Umgestaltungmüssen sowohl die gegenwärtige Situation als auch die Entwick-lungsrichtungen der sowjetischen Gesellschaft insgesamt, despolitischen Systems, der sozialistischen Demokratie und des Wirt-schaftsmechanismus berücksichtigt werden.

Ich möchte noch einmal folgenden Gedanken hervorheben: derKurs auf Demokratisierung, auf die Schaffung eines neuen Mechanis-mus der Leitung und der Wirtschaftsführung schafft die Möglichkeit,die politische Leitung der Partei richtig mit der aktiven Rolle derStaatsorgane, der Gewerkschaften und anderer gesellschaftlicher Or-ganisationen zu verbinden.

Wir haben bereits grundlegende Beschlüsse zur Vervollkommnungder Arbeit der Sowjets unter den gegenwärtigen Bedingungen gefaßt.Diese Beschlüsse gestatten es ihnen, als echte Machtorgane in ihremTerritorium zu wirken. Die sich vollziehenden Veränderungen in derArbeit der Sowjets stellen uns jedoch noch nicht zufrieden. Wir sindalle daran interessiert, daß die Sowjets so schnell wie möglich beginnen,

Page 74: Gorbatschow, Michael - Die Rede

so zu arbeiten, wie es die Zeit erfordert.Die Parteikomitees müssen sich konsequent darauf orientieren, die

Rolle der Sowjets zu erhöhen, und dürfen es nicht zulassen, daß mansich unbegründet in ihre Angelegenheiten einmischt oder sie gar zuersetzen sucht.

Es ist nicht weniger wichtig, daß auch die leitenden Funktionäre derSowjets und der Staatsapparat mit voller Kraft zu arbeiten beginnenund sich von Trägheit lösen und von der Angewohnheit, sich ständigrückzuversichern und auf Weisungen zu warten. Die demokratischenPrinzipien in der Tätigkeit der Sowjets und ihrer Exekutivorganemüssen verstärkt werden.

Auf dem XXVII. Parteitag haben wir gesagt, daß es viele Fragengibt, die die Grundinteressen der Werktätigen berühren und derenLösung den Sowjets niemand abnehmen wird. Es handelt sich um dieProbleme der Sozialpolitik und der besseren Versorgung der Bevöl-kerung. Die Sowjets nehmen aber ihre neuen Rechte nicht vollständigwahr und stellen an die leitenden Wirtschaftskader nicht die notwen-digen Anforderungen. Darin liegt auch eine Ursache dafür, daß diePläne vom Vorjahr beim Bau sozialer und kultureller Einrichtungen invielen Kennziffern nicht erfüllt wurden.

Oder nehmen Sie die Kommunalwirtschaft. Wieviel Klagen gibt esjetzt über ihre Arbeit, vor allem unter den Bedingungen der Kälte.

Das ist doch aber die direkte und ureigene Angelegenheit der So-wjets. Sie müssen die Arbeit zur Verbesserung des Handels, derDienstleistungen, der Gestaltung der Erholung der Werktätigen sowieder Konsumgüterproduktion grundlegend verändern. Sie müssen instärkerem Umfang Ressourcen für die Lebensmittelversorgung er-schließen.

Wir haben große Vorhaben auf dem Gebiet des Gesundheitswesensund der Volksbildung in Aussicht genommen. Sie stehen in direktemZusammenhang mit der Tätigkeit der Sowjets verschiedener Ebenen.Diese Aufgaben wachsen also, und die Sowjets müssen effektiver undbeharrlicher arbeiten. Das müssen wir unseren Kadern, die in denSowjets und ihren Organen arbeiten, abverlangen. Das erwartet dassowjetische Volk von ihnen.

Die Umgestaltung betrifft in allen Punkten die Gewerkschaften. Mitder Verstärkung der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Betriebe und

Page 75: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Vereinigungen werden die Rechte der Gewerkschaften wesentlich er-weitert. Gleichzeitig wächst ihre Verantwortung im Zusammenhang mitden größeren Vollmachten der Arbeitskollektive und der Entwicklungder Selbstverwaltung bedeutend. Und natürlich wird niemand denGewerkschaften ihre Pflichten bei der Lösung der Aufgaben der So-zialpolitik und beim Schutz der Interessen der Werktätigen abnehmen.

Kurz gesagt, die Anforderungen an die Kader der Gewerkschafts-organe sind erheblich gestiegen. Ihnen muß geholfen werden, eineaktive Haltung bei der Umgestaltung einzunehmen und die Voraus-setzungen für eine umfassendere Beteiligung an den Leitungsent-scheidungen auf allen Ebenen zu schaffen.

Da Rechenschaftslegung und Wahlen in den Gewerkschaftsorgani-sationen jetzt vor dem Abschluß stehen und der nächste Kongreß derGewerkschaften der UdSSR näher rückt, ist es wichtig, daß dieser ganzeKomplex von aktuellen Problemen der Umgestaltung in denMittelpunkt der Aufmerksamkeit der Delegierten des Kongresses rückt.

Zentrales Glied der Umgestaltung ist das Arbeitskollektiv. Geradehier müssen die Gewerkschaften ihr Potential entfalten, ihre Mög-lichkeiten und Rechte neu bewerten und auf diese Weise ihren Beitragzur sozialökonomischen Beschleunigung, die Sache des ganzen Volkesist, erhöhen.

Beim Kampf für die Gesundung der Gesellschaft ist die Partei vonAnfang an davon ausgegangen, daß diese gewaltige Arbeit durch einstabiles Fundament von Überzeugungen untermauert werden muß.

Das Bewußtsein von Millionen Werktätigen im Sinne der Umgestal-tung zu formen ist eine Schlüsselaufgabe in der ideologischen Arbeit.

Es ist uns in bestimmtem Maße gelungen, die ideologische Arbeitdem Leben und den heute in der Gesellschaft ablaufenden Prozessenanzunähern.

Es ist das große Verdienst der Parteiorganisationen und unsererPropagandisten, daß die Ideen der Erneuerung für die Massen wirklichinteressant werden.

Die Arbeit an der ideologischen Front muß jedoch noch in vielenRichtungen, darunter im politischen und ökonomischen Studium, in derVortragstätigkeit und der außenpolitischen Propaganda sowie deratheistischen Erziehung richtig in Schwung kommen.

Das Zentralkomitee orientiert die Parteiorganisationen darauf, daß

Page 76: Gorbatschow, Michael - Die Rede

sich die gesamte Partei, alle Kommunisten an der ideologischen Arbeitbeteiligen. Das bedeutet keineswegs, daß nicht weiterhin die Aufgabebesteht, die ideologischen Bereiche durch hochqualifizierte,gutausgebildete Kader zu festigen, die den Puls der Zeit in vollem Maßefühlen, die zutiefst das Wesen der gestellten Aufgaben verstehen, die inder Lage sind, die Politik der Partei effektiv zu propagieren und dieMenschen zu überzeugen und zu organisieren.

Die gegenwärtigen Bedingungen erfordern konsequent, daß solcheMenschen das ideologische Rückgrat der Partei stärken, die die Wirt-schaft, die Rechtswissenschaft, die Philosophie, die Soziologie, dieLiteratur und die Kunst gut kennen und die innerlich von der Lebens-notwendigkeit der auf dem XXVII. Parteitag angenommenen Be-schlüsse sowie des Kurses der Umgestaltung überzeugt sind.

Genossen! Aus der Notwendigkeit der Festigung der sozialistischenGesetzlichkeit und Rechtsordnung im Lande ergeben sich auch neueverantwortungsvolle Aufgaben für die Kader der sowjetischen Ge-richte, der Staatsanwaltschaft, der Miliz und der anderen Rechts-schutzorgane.

Das Zentralkomitee, das diesen für die Gesellschaft so relevantenFragen große Bedeutung beimißt, hat kürzlich einen speziellen Be-schluß «über die weitere Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeitund Rechtsordnung und die Stärkung des Schutzes der Rechte undlegitimen Interessen der Bürger» gefaßt. Er stellt den Rechtsorganenund ihren Kadern wichtige und sehr komplizierte Aufgaben. Die Par-teikomitees und Staatsorgane sind verpflichtet, die Autorität und diePrinzipienfestigkeit der Mitarbeiter von Gerichten und der Staatsan-waltschaft, der Justiz und der Miliz, der Schiedsgerichte und der No-tariate zu stärken und die ehrenamtlichen Helfer beim Schutz der öf-fentlichen Ordnung zu unterstützen sowie die Propagierung vonRechtswissen zu fördern.

Ein solches Herangehen der Partei ist eine große Verpflichtung fürjene, die das Recht schützen. Briefe von Werktätigen und andereHinweise besagen, daß in den Rechtsschutzorganen selbst noch zahlreiche Verstöße vorkommen, daß man mancherorts, wie man so sagt,«mit Kanonen auf Spatzen schießt» und dabei schwere Verbrechen anden Interessen unserer Gesellschaft und der Bürger unaufgedeckt läßt.

Den Mitarbeitern der Rechtsschutzorgane stellen wir die Aufgabe,

Page 77: Gorbatschow, Michael - Die Rede

konsequent die Festlegungen des angenommenen Beschlusses zu er-füllen und beharrlich zu lernen, unter den Bedingungen der Erweite-rung der Demokratie und der Offenheit zu arbeiten und sich dabei aufdas Vertrauen und die Hilfe des gesamten Volkes zu stützen.

Kurz einige Worte zu den Kadern des diplomatischen Korps. ZurZeit ist die Umgestaltung der Arbeit des Ministeriums für auswärtigeAngelegenheiten im Gange, wird die Struktur seines zentralen Apparatsund der Auslandsvertretungen reorganisiert. Es werden neue leitendeKader eingesetzt. Diese Linie muß konsequent verfolgt werden, um dieEffektivität der diplomatischen Dienste zu erhöhen und zu erreichen,daß ihre Tätigkeit in vollem Maße dem aktiven internationalen Wirkender KPdSU und des Sowjetstaates entspricht.

Die Interessen der Heimat werden wachsam von den Organen derStaatssicherheit geschützt, die über ideologisch gestählte, Partei undVolk treu ergebene und fachlich gut ausgebildete Kader verfügen. Wirsind davon überzeugt, daß die sowjetischen Tschekisten auch inZukunft feindliche Machenschaften gegen unser Land rechtzeitigaufdecken und entschlossen unterbinden werden.

Und schließlich zu den Aufgaben der militärischen Kader. Die Parteiläßt keine einzige Minute in ihren Anstrengungen um die weitereErhöhung der Verteidigungsfähigkeit des Landes nach und weist denmilitärischen Kadern eine besondere Rolle bei der Lösung dieserlebenswichtigen Aufgabe zu. Davon wird auch ihre immenseVerantwortung gegenüber dem Volk bestimmt. Auch die sowjetischenStreitkräfte leisten ihren Beitrag zur Umgestaltung. Sie schützenzuverlässig die friedliche Arbeit des Volkes und gewährleisten dieSicherheit des Landes, erfüllen in Ehren ihre internationale Pflicht.

Das Zentralkomitee zählt fest auf die Kader der Armee und dassowjetische Offizierskorps bei der Lösung der Aufgaben zur Stärkungder Verteidigungsfähigkeit des Staates. Es ist davon überzeugt, daßunter den jetzigen schwierigen internationalen Bedingungen dieKommunisten, alle Kader von Armee und Flotte in größter Verant-wortung handeln sowie ihr berufliches Können und die Gefechtsbe-reitschaft aller Teilstreitkräfte und Waffengattungen erhöhen undvervollkommnen werden. Das Sowjetvolk und unsere Partei verlassensich auf ihre Streitkräfte. Sie tun alles für ihre Stärkung und bauenzurecht darauf, daß uns keine aggressiven Kräfte überrumpeln können.

Page 78: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Genossen! Zum Abschluß möchte ich kurz auf die Aufgaben einge-hen, die wir im Jahr 1987 zu bewältigen haben. Dieses Jahr ist für unsbesonders bedeutsam. Es ist das Jahr des 70. Jahrestages des Oktobers.Das bevorstehende Jubiläum begehen die sowjetischen Menschen inder Atmosphäre der tiefgreifenden Umgestaltung aller Bereiche derGesellschaft. Das Politbüro ist der Ansicht, daß es richtig wäre, sich indiesem Jahr an alle Parteimitglieder, an alle Werktätigen der UdSSR miteinem Appell zu wenden.

Das Zentralkomitee ruft die Kommunisten und alle sowjetischenMenschen auf, sich bewußter und mit größerem Verantwortungsgefühldem zu stellen, was vollbracht werden muß – für die Geschicke desLandes und für das künftige Antlitz des Sozialismus. In Jahrzehnten dessozialistischen Aufbaus haben wir vieles erreicht, doch die Zeit stellt anuns neue, hohe Anforderungen. Unter den veränderten Bedingungenwird die sowjetische Gesellschaft erneut auf ihre Dynamik und ihreFähigkeit hin geprüft, schnell die Stufen des Fortschritts zu erklimmen.

Unsere Wirtschaft wird auf hohe Effektivität, ihre Anpassungsfä-higkeit an moderne Technologien und auf die Fähigkeit hin geprüft,erstklassige Erzeugnisse zu liefern und auf dem Weltmarkt konkur-renzfähig zu sein. Unsere Moral und unsere gesamte sowjetische Le-bensweise werden auf ihre Fähigkeit geprüft, die Werte der sozialisti-schen Demokratie, der sozialen Gerechtigkeit und des Humanismusstets weiterzuentwickeln und zu bereichern. Unsere Außenpolitik be-ruht auf Standhaftigkeit und Konsequenz beim Schutz des Friedens, aufFlexibilität und Besonnenheit angesichts des vom Imperialismusgeschürten, fieberhaften Wettrüstens, das die internationalen Span-nungen anheizt.

Was das tiefe revolutionäre Wesen, die bolschewistische Kühnheitder Pläne, die humanistische soziale Orientierung betrifft, so ist die jetztgeleistete Arbeit eine direkte Fortsetzung der großen Taten, die unsereleninsche Partei in den Oktobertagen des Jahres 1917 in Angriffgenommen hat.

Auf das sowjetische Volk blickt heute die ganze Welt: werden wirder dem Sozialismus gestellten Herausforderung gewachsen sein,werden wir sie meistern und in gebührender Weise darauf reagieren?Durch unsere eigenen Taten und durch unsere beharrliche Arbeitmüssen wir eine würdige Antwort daraufgeben. Und wir können dies

Page 79: Gorbatschow, Michael - Die Rede

nicht aufschieben.Sie verstehen gut, Genossen, daß dem Jahr 1987 eine außerordent-

lich wichtige Rolle bei der Realisierung des strategischen Kurses derPartei auf Beschleunigung zukommt. Davon, wie wir arbeiten werden,wird der Erfolg des gesamten Fünfjahrplans und unserer wichtigstenVorhaben sowie der Erfolg bei der Erfüllung der Perspektivpläneabhängen. Weshalb ist es so wichtig, von den ersten Tagen an dieAufmerksamkeit auf die konkreten Taten und auf die Realisierung dergefaßten Beschlüsse zu richten? Zur Verwirklichung der Partei-tagsbeschlüsse ist eine mühsame, tagtägliche, aber äußerst wichtigeTätigkeit der Parteikomitees und -organisationen, aller Arbeitskollektiveerforderlich.

Wir müssen nicht nur das im ersten Jahr des Planjahrfünfts auf allenGebieten der Wirtschaft und in allen Lebensbereichen Erreichte festi-gen und entwickeln, sondern auch weitergehen und die langfristigenWachstumsfaktoren breiter in die Arbeit einbeziehen. In all diesenRichtungen müssen schnellstmöglich erkennbare positive Verände-rungen erreicht und unumkehrbar gemacht werden.

Während wir die Kader auf die Lösung der laufenden Aufgaben unddie strikte Erfüllung der Auflagen des zwölften Planjahrfünftsausrichten, müssen wir, wie Lenin gelehrt hat, die Perspektiven im Augebehalten sowie die Wege des ökonomischen und sozialen Fortschrittskonkretisieren und präzisieren. Schon in allernächster Zeit beginnt dieVorbereitung des Plans des 13. Planjahrfünfts auf der Grundlage desneuen Leitungssystems, das es erlaubt, die Möglichkeiten und Vorzügedes Sozialismus vollständiger zu realisieren.

Ausgehend davon, daß die vor sich gehende radikale Reform derWirtschaftsführung grundlegende Fragen des Funktionierens des so-zialistischen Wirtschaftssystems, viele Seiten des politischen und so-zialen Lebens sowie des Stils und der Methoden der Arbeit berührt,wäre es zweckmäßig, diesen gesamten Problemkreis auf einem fol-genden Plenum des Zentralkomitees zu behandeln.

Angesichts dieser wachsenden Aufgaben wenden wir uns an unsereKader. Von ihnen werden Organisiertheit und Genauigkeit in der Ar-beit sowie das Vermögen verlangt, die schöpferischen Kräfte und dieMöglichkeiten der Arbeitskollektive restlos zu mobilisieren. Allemüssen lernen. Wir müssen fähig sein, schnell und sachlich auf entste-

Page 80: Gorbatschow, Michael - Die Rede

hende Probleme und Schwierigkeiten zu reagieren, die natürlich auf-treten können, da neue und schwere Aufgaben zu lösen sind. ImGrunde müssen wir alle eine politische Reifeprüfung in der Meisterungneuer Arbeits- und Leitungsmethoden an allen Abschnitten dessozialistischen Aufbaus ablegen.

Mit einem Wort, das neue Jahr hat uns auch neue, höchstverantwortungsvolle Aufgaben bei der Realisierung der Generallinie desXXVII. Parteitages gebracht. Das Politbüro ist gewiß, daß sich dieIdeen des Parteitages, die sich alle unsere Kader zutiefst zueigengemacht und die ihre Gedanken und ihren Verstand beherrschen,immer nachdrücklicher und umfassender ihren Weg ins Leben bahnenund den Gang unserer Entwicklung, den Aufschwung des Landes zuneuen Zielen des ökonomischen, sozialen und geistigen Fortschrittsbestimmen werden.

Alles hier Dargelegte kann man folgendermaßen zusammenfassen –wir haben alle ohne Ausnahme die Pflicht, in der Arbeit zuzulegen. Inder neuen Situation muß die mobilisierende Rolle unserer Partei, allerihrer Organisationen, aller Kommunisten mit besonderer Kraft zutagetreten. Man muß ständig den Finger am Puls des Lebens haben undalles tun, damit die Pläne verwirklicht werden.

Ich möchte mich in diesem Zusammenhang in einer prinzipiellenFrage beraten. Möglicherweise sollte man im kommenden Jahr, vor derBerichts- und Wahlkampagne in der Partei, eine Unionsparteikonferenzeinberufen, auf der die Realisierung der Beschlüsse des XXVII.Parteitages der KPdSU umfassend erörtert und Bilanz über die ersteHälfte des Planjahrfünfts gezogen werden sollte. Es wäre richtig, aufdieser Konferenz auch Fragen der weiteren Demokratisierung desLebens der Partei und der Gesellschaft insgesamt zu beraten.

Die auf der Konferenz begonnene Diskussion könnte bei den Be-richtswahlversammlungen und -konferenzen der Partei fortgesetztwerden, auf denen der Beitrag jeder Parteiorganisation zur Umge-staltung streng analysiert werden sollte.

Schon allein die Tatsache der Durchführung einer Unionspartei-konferenz entsprechend dem Statut der KPdSU würde zu einem ge-wichtigen Schritt bei der praktischen Demokratisierung unseres Par-teilebens und bei der Aktivierung der Kommunisten werden.

Genossen! Indem das Plenum des Zentralkomitees der Partei die

Page 81: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Kaderpolitik unter den Bedingungen der Umgestaltung wie auch derbeschleunigten sozialökonomischen Entwicklung des Landes festlegt,fixiert es eben dadurch die Hauptrichtungen unserer Arbeit für vieleJahre. Heute wenden wir uns auf dem Plenum immer wieder WladimirIljitsch Lenin, seinen Gedanken und seinen Ideen zu. Das ist nichteinfach nur eine Geste höchster Ehrerbietung, nicht nur eine Aner-kennung der leninschen Autorität. Es ist dies das beharrliche Bestreben,den Geist des Leninismus unter den gegenwärtigen Bedingungenwiedererstehen zu lassen – und möglichst vollständig wiedererstehen zulassen! – sowie in unserem Leben die leninschen Anforderungen an dieKader zu verankern.

Erinnern Sie sich daran, wie leidenschaftlich und unermüdlich Leninuns lehrte: der Erfolg des revolutionären Kampfes, der Erfolg jedergründlichen Umgestaltung der Gesellschaft wird in vielem durch jeneAtmosphäre bestimmt, die die Partei vorzeichnet.

Wir wollen unser Land in einen vorbildlichen, hochentwickeltenStaat umgestalten, zu einer Gesellschaft mit einer fortgeschrittenenÖkonomie, breitester Demokratie, mit der humansten und höchstenMoral, wo der werktätige Mensch sich als vollberechtigter Hausherrfühlt und alle Güter der materiellen und geistigen Kultur genießt, wodie Zukunft seiner Kinder gesichert ist, wo er alles findet für ein er-fülltes und inhaltsreiches Leben. Und selbst die Skeptiker sollen dannsagen müssen: ja, die Bolschewiken können alles. Ja, auf ihrer Seite istdie Wahrheit. Ja, der Sozialismus ist die Gesellschaftsordnung, die demWohl des Menschen dient, seinen sozialen und wirtschaftlichenInteressen sowie seiner geistigen Entfaltung.

(Das Referat wurde mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und erhielt anhaltendenBeifall.)

Page 82: Gorbatschow, Michael - Die Rede

MICHAIL GORBATSCHOW

II. «Das Volk braucht die ganzeWahrheit»

Schlußwort aufdem ZK-Plenum

vom 27. Januar 1987

Page 83: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Genossen! Unser Plenum schließt seine Beratungen, die Erörterung derauf der Tagesordnung stehenden Hauptfrage, ab. Die Atmosphäre, inder das Plenum tagte, und der Verlauf der Diskussion berechtigen zuder Feststellung, daß hier Übereinstimmung der Standpunkte zu allenFragen herrschte, die dem Plenum des Zentralkomitees der Partei zurErörterung und Beschlußfassung vorgelegt worden waren. Dies warkeine formale Übereinstimmung, sondern eine, die auf der Einsicht indie Verantwortung des Zentralkomitees für die erfolgreiche Verwirk-lichung des vom April-Plenum und vom XXVII. Parteitag der KPdSUerarbeiteten strategischen Kurses basierte.

Nun, da wir die Debatten beendet haben und einen Beschluß fassenmüssen, ist es eine natürliche Angelegenheit, daß man die Frage stellt:Hat das Plenum die Erwartungen der Kommunisten, der sowjetischenMenschen erfüllt? Wie soll man diese Frage beantworten? Auch nachden strengsten Maßstäben war das gegenwärtige Plenum ein großespolitisches Ereignis sowohl im Leben der KPdSU als auch im Lebender sowjetischen Gesellschaft.

Ich denke, wir können mit Fug und Recht sagen, daß das Plenum diePartei, das Land und die ganze Gesellschaft auf dem Wege der Umge-staltung wesentlich voranbringt. In vollem Maße kann sich jedoch dieBedeutung des Plenums nur unter einer unbedingten Voraussetzungmanifestieren: daß nämlich das Politbüro des ZK der KPdSU, dieZentralkomitees der kommunistischen Parteien der Unionsrepubliken,die Regions-, Gebiets-, Stadt-, Stadtbezirks-, Rayon- und Bezirks-komitees der Partei und alle Parteiorganisationen alles, worüber wir unshier geeinigt haben, konsequent in die Tat umsetzen werden.

Ich würde daher so sagen: Das Plenum erfüllt die Erwartungen,wenn wir nach dem Plenum in dieser Weise handeln. Dieses Plenumschafft grundlegende Voraussetzungen dafür, auch weiterhin zuver-sichtlich auf dem Wege der Beschleunigung, der Umgestaltung, derVervollkommnung der Kaderpolitik voranzuschreiten, damit sie denAufgaben der gegenwärtigen Etappe der historischen Entwicklungentspricht.

Eine breite Diskussion, an der sich 34 der 77 Genossen, die sichschriftlich zu Wort gemeldet hatten, beteiligten, bot uns eine einmaligeGelegenheit, die Umgestaltung noch einmal aus der Sicht verschiedenerEbenen und Richtungen der Arbeit von Partei und Staat zu betrachten,

Page 84: Gorbatschow, Michael - Die Rede

deren Anliegen zu durchdenken, den Umgestaltungsprozeß ein weiteresmal einzuschätzen, die Einschätzung gleichsam aus erster Hand zubekommen.

Von überaus großer Wichtigkeit für uns – ich denke, wir können mitFug und Recht davon sprechen – ist vor allem die vom Plenumgetroffene politische Feststellung, daß die Partei und alle gesundenKräfte der Gesellschaft für die Umgestaltung eintreten. Wenn dem aberso ist, so kann es auch keinen anderen Weg geben. Und damit müssenwir die Diskussion darüber beenden, ob eine Umgestaltung erforderlichist oder nicht. Ich stimme voll und ganz mit Genossen D. K. Motornyüberein, der hier davon sprach, daß die Umgestaltung nun nicht mehreine Idee schlechthin, sondern eine Realität ist.

Die sowjetischen Menschen verknüpfen mit der Umgestaltung ihreLebenspläne, die Geschicke des Landes, dessen internationales An-sehen und Gewicht. Dürfen wir also irgendwelche Schwankungen beiihrer Durchsetzung zulassen? Nein, Genossen!

Jawohl, die Umgestaltung ist bereits eine Realität. Heute sind wir unsdeutlicher und tiefer dessen bewußt, daß wir sowohl aufgrund derinneren Entwicklung des Landes als auch aufgrund der äußeren Be-dingungen, der internationalen Lage, eine Beschleunigung der sozialenund ökonomischen Entwicklung des Landes sichern müssen. Dochohne eine Erneuerung der Gesellschaft wird es keine Beschleunigung,aber auch keine Umgestaltung aller Bereiche ihres Lebens geben. Aufalten Wegen lassen sich neue Aufgaben nicht lösen, geschweige dennAufgaben von historischer Dimension, wie sie sich heute stellen.

Die Umgestaltung ist kein Spaziergang auf geebnetem Gartenweg.Das ist eine Bergbesteigung, bei der nicht selten unausgetretene Pfadebeschritten werden müssen. Probleme haben sich, wie das ZK-Plenumein weiteres mal gezeigt hat, in unserer Gesellschaft in großer Zahlangesammelt. Es bedarf gewaltiger schöpferischer Anstrengungen undeines langwierigen aufopferungsvollen Kampfes, um das große Werkder Umgestaltung zu Ende zu führen, wie dies unser Volk verlangt, wiedies die Zeit verlangt, in der wir leben.

Wir stehen erst am Anfang des Weges. Das muß auf dem ZK-Plenum genau festgehalten werden, denn die Erkenntnis, wo wir ste-hen, gibt auch die Erkenntnis, was wir tun und wie wir handeln müssen.Wenn sich jemand eingebildet hat, er habe bereits die Umgestaltung

Page 85: Gorbatschow, Michael - Die Rede

vollzogen, so muß er daran erinnert werden, daß wir erst mit derUmgestaltung beginnen. Und das Wichtigste steht noch bevor. Das istebenfalls eine wichtige Schlußfolgerung des Plenums des Zentralkomi-tees der Partei.

Bei der Durchsetzung und Entfaltung des Umgestaltungsprozessesdürfen wir im Hinblick auf die Einschätzungen nicht ins eine oderandere Extrem verfallen. Es gilt, fest auf einzig stabiler Grundlage zustehen – auf dem Boden der Realitäten. Eine Überschätzung unsererLeistungen hätte verhängnisvolle Folgen. Auf der anderen Seite möchteich jedoch ebenso nachdrücklich unterstreichen: Wir dürfen auch diegeringsten Fortschritte bei der Umgestaltung, auch die winzigstenKörnchen von Erfahrungen nicht außer acht lassen. Das wäre nichtminder verhängnisvoll. Vor allem wäre dies allein schon aus folgendemGrund unzulässig.

Wir bringen die Arbeit erst in Gang, wobei wir unsere politischeLinie mit konkreten Methoden ausstatten und die Wege zur Erreichungder Ziele bestimmen, die wir uns gesetzt haben. Wir setzen denMechanismus und die Mittel der Umgestaltung erst ein, tun die erstenSchritte, damit sie zu arbeiten beginnen und Nutzen bringen. Dochschon bei Betrachtung der Ergebnisse des Jahres 1986 haben wir eineBewegung nach vorn festgestellt.

Wo kommt sie her? Sie ist ein direktes Ergebnis der Unterstützungder Linie auf Umgestaltung und Beschleunigung durch unser Volk.

Können wir denn das nicht sehen und denken, daß nichts geschehensei und nichts geschieht? Es ist nicht derjenige ein Revolutionär, derrevolutionäre Phrasen drischt, sondern jener, der eine Perspektiveaufbauen und Volk und Partei zu einem langwierigen und beharrlichenKampf mobilisieren kann, wobei er jeden Schritt bei der Bewegungnach vorn bemerkt und ihn dazu nutzt, noch einen Halt für einenneuen, breiteren Schritt zu finden. Wir müssen heute auf dem Plenumdes ZK unserem Volk dafür, daß es verstanden und mit seiner Seeleund seiner Intuition gespürt hat, es werde zu einem schwierigen Kampfaufgerufen, doch zu einem Kampf für solche Wandlungen und Ziele,die der gesamten Gesellschaft, jeder Familie und jedem Menschen sehrgute Früchte bringen werden, unseren großen parteilichen Dank sagen.Die sowjetischen Menschen haben uns geglaubt, sie haben die Parteiunterstützt. Ebendeshalb sind uns die im Jahre 1986 erzielten positiven

Page 86: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Veränderungen so wichtig. Sie sind deshalb wichtig, weil sich in ihnendie machtvolle Unterstützung unseres Volkes für die Politik der Parteiund ihren Kurs auf Beschleunigung reflektiert.

Ich möchte noch einige Momente unterstreichen, die auf demPlenum zur Sprache gekommen sind. Meines Erachtens war es durchaus begründet, daß im Referat des Politbüros eine ernsthafte, tief er-gehende Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaft als daswichtigste Thema in den Vordergrund geschoben wurde.

Das ist, Genossen, jener Hebel, der es ermöglichen wird, in dieUmgestaltung deren entscheidende Kraft – das Volk – einzubeziehen.Wenn wir das unterlassen, werden wir die Aufgaben der Beschleuni-gung nicht lösen und die Umgestaltung nicht sicherstellen. Sie wird eseinfach nicht geben.

Andererseits schaffen wir durch die Entwicklung und das Voran-bringen der sozialistischen Demokratie und die Entfaltung ihres Po-tentials die denkbar zuverlässigsten Garantien dafür, daß sich die Fehlerder Vergangenheit nicht wiederholen. Doch es kommt nicht nur daraufan.

Wir brauchen Demokratie wie die Luft zum Atmen. Wenn wir dasnicht begreifen und selbst dann, wenn wir das begreifen, aber keinerealen bedeutenden Schritte zu ihrer Erweiterung und ihrem Voran-bringen und zur umfassenden Einbeziehung der Werktätigen des Lan-des in den Prozeß der Umgestaltung unternehmen, so werden, Ge-nossen, unsere Politik und die Umgestaltung ersticken. Darin bestehtunsere Grundidee. Wie auch alle Mitglieder des Politbüros – und injeder Pause tauschten wir Meinungen über den Verlauf des Plenums aus– bin ich sehr zufrieden, daß diese überaus wichtige Richtung derTätigkeit der KPdSU in der gegenwärtigen Etappe des Kampfes für dieZiele der Beschleunigung die volle Unterstützung des Plenums des ZKgefunden hat.

Die Kommunistische Partei tritt unbeirrt dafür ein, daß das Volkalles weiß. Offenheit, Kritik und Selbstkritik, Kontrolle durch dieMassen – das sind die Garantien für eine gesunde Entwicklung dersowjetischen Gesellschaft. Wenn das Volk sie braucht, bedeutet das,daß alle sie brauchen. Das ist um so wichtiger, als die KPdSU dieregierende Partei ist. Und sie ist an Offenheit, an Kritik und Selbstkritikinteressiert, da dies reale und zuverlässige Formen eines normalen

Page 87: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Funktionierens der KPdSU sind. Das sind eben jene Mittel, die diePartei vor Fehlern in der Politik bewahren können. Der Preis dieserFehler ist uns allen bekannt.

Wir alle sind heute auf dem Plenum zu der einheitlichen Schlußfol-gerung gelangt – wir brauchen Offenheit, wir brauchen Kritik undSelbstkritik als wirksame Formen sozialistischer Demokratie. In un-serem Staat – einem Arbeiter- und Bauernstaat – geht das Volk alles an,da es sein Staat ist. Es soll alles wissen und über alles bewußt urteilen.Diese Worte stammen, wie Sie wissen, von Lenin.

Das Volk braucht die ganze Wahrheit. In diesem Zusammenhangmöchte ich an die Position Lenins erinnern, die in einem Brief an dieIskara-Redaktion dargelegt wurde. «Es wäre wirklich an der Zeit, mitden Überlieferungen des sektiererischen Zirkelwesens Schluß zu ma-chen und – in einer Partei, die sich auf die Massen stützt – entschlossendie Losung aufzustellen: Mehr Licht! Die Partei soll alles wissen...»(Lenin, Werke, Bd. 7, S. 106). Wir brauchen heute wie nie zuvor mehrLicht, damit Partei und Volk alles wissen, damit wir keine dunklenWinkel haben, wo sich wiederum Schimmel bildet, all das, dem wir jetzteinen entschlossenen Kampf angesagt haben. Und sein Ende ist beiweitem noch nicht abzusehen. Deshalb mehr Licht!

Werden wir denn mit einer so mächtigen Partei, mit einem so pa-triotisch gesinnten Volk, das den Ideen des Sozialismus und seinerHeimat ergeben ist, nichts machen können, wenn so mancher die breiteöffentliche Information und den demokratischen Prozeß zu ei-gennützigen, antisozialen und verleumderischen Zwecken ausnutzt?

Ich möchte Ihnen eine Beobachtung mitteilen, die ich bei der Ana-lyse meiner Reisen machte. Früher hatten sich nicht selten Demagogenin den Vordergrund geschoben und ihre «Courage» demonstriert. DieDemagogie war vornehmlich eine solche: Wohin sieht die Obrigkeit,besonders in Moskau? Heute ist die Situation anders. Ich schließe dasaus Dutzenden Treffen. Zu einem offenen Gespräch, dabei vorunerwarteten Zuhörern und an unerwarteten Orten, vor einem, wieman sagt, weitgehend unbefangenen Auditorium, melden sich nunseriöse und reife Menschen. Sie stellen sachliche Fragen, sie fragendanach, was ihnen unklar ist, wie man die eine oder andere Frage lösenwird.

Eben die Atmosphäre der Offenheit und Demokratie hat der Ar-

Page 88: Gorbatschow, Michael - Die Rede

beiterklasse, der Bauernschaft, unserer Intelligenz, allen gesundenKräften die Möglichkeit gegeben, das Haupt hoch zu erheben. Tritt einDemagoge auf den Plan, wird er von ihnen selbst in die Schrankengewiesen. Das habe ich selbst hundertmal gesehen. Die Menschenwerden immer in allen Fragen klarkommen.

Wir brauchen einfach Offenheit, Kritik und Selbstkritik. Das sinddie wichtigsten Züge der sozialistischen Lebensweise. Und wenn somancher denkt, wir brauchten das, um die Mängel der Vergangenheitzu kritisieren, so irrt er sich gewaltig. Die Hauptsache besteht darin, daßOffenheit, Kritik und Selbstkritik und Demokratie für unsereVorwärtsbewegung, für die Lösung enormer Aufgaben erforderlichsind. Ohne aktive Mitwirkung des Volkes werden wir diese Aufgabennicht lösen können. Eben dazu brauchen wir das alles.

Und wenn es jemandem scheint, es sei nicht leicht, in einer solchenAtmosphäre zu arbeiten, so möchte ich daran erinnern, daß ich schonvor etwa sechs Monaten geraten hatte: Beginnt, unter den Bedingungender sich entfaltenden Demokratie arbeiten zu lernen. Laßt uns allelernen!

Die Presse muß im Lande Offenheit fördern, unser Volk informie-ren. Sie muß das aber voller Verantwortung tun – eben diesen Wunschbringen wir zum Ausdruck. Keine Sensationshascherei. Wir brauchendie Presse als aktiven Teilnehmer an der Umgestaltung!

Wir brauchen mehr Sachlichkeit bei der Arbeit. Richtig sind dieHinweise und Äußerungen zahlreicher Genossen, daß schon viel ge-redet wurde.

Das trifft auf alle zu, darunter auch auf die Presse. Heute ist es füruns sehr wichtig, alles zu sehen, was positiv und konstruktiv ist, das zuübernehmen und zum Gemeingut der gesamten Partei und des gesam-ten Volkes zu machen und die Keime des Neuen unter den Bedingun-gen der Umgestaltung zu nutzen. Hier tun breite öffentliche Informa-tion und Propaganda alles Fortschrittlichen not.

Mit dem Januar-Plenum des ZK treten wir – ich will mir zwar nichtden Vorwurf einhandeln, daß wir uns schon wieder irgendeine Etappeausdenken –, und dennoch treten wir heute in eine neue Etappe unsererVorwärtsbewegung, unserer Umgestaltungsarbeit ein. Ich möchtediesen Gedanken folgendermaßen erläutern. Die Situation ist analysiert,der politische Kurs erarbeitet worden, die Hauptentscheidungen für die

Page 89: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Realisierung dieses Kurses sind getroffen worden. Nun kommt es aufTaten und noch einmal Taten an.

Über unsere Politik und über die Umgestaltung werden die Men-schen – und zwar je weiter, desto strenger – nach den greifbaren Er-gebnissen bei der praktischen Verbesserung der Arbeits- und Lebens-bedingungen der Millionen urteilen: Man wird danach urteilen, umwieviel exakter die Organisation der Produktion und um wieviel ge-rechter die Entlohnung der Arbeit geworden ist, wieweit sich derWohnungsbau beschleunigt, sich der Handel, die Dienstleistungen fürdie Bevölkerung und die Arbeit der städtischen Nahverkehrsbetriebe,der Polikliniken, der Krankenhäuser verbessert haben, um wievielsauberer und frischer das moralische Klima in der Parteiorganisationund im Arbeitskollektiv geworden ist.

Mit einem Wort, wir Kommunisten müssen durch Tausende undAbertausende von Fakten des Alltagslebens die Richtigkeit unsererPolitik und die Lebensfähigkeit des Umgestaltungsprozesses nach-weisen. Dies stellt besonders hohe Anforderungen an die Kader undorientiert sie auf praktische Ergebnisse. Deshalb ist es heute so wichtig,daß die Anstrengungen forciert und auf Hochtouren gebracht werden,daß alle in der Arbeit einen Zahn zulegen, wie dies bereits im Referatfestgestellt wurde.

Besonders möchte ich die Bedeutung der Aufgaben hervorheben,die wir im Jubiläumsjahr 1987 zu lösen haben. Die Aufgaben sindgewaltig im Hinblick auf ihre Dimensionen und auf die Ziele, die wirerreichen müssen. Wichtig sind sie insbesondere vom Standpunkt derEinführung neuer Methoden der Wirtschaftsführung und des Über-gangs der Wirtschaft insgesamt und vieler ihrer Bereiche zu den neuenPrinzipien der Wirtschaftsführung aus.

Der Umgestaltungsprozeß, Genossen, ist eine hervorragende Schule.Er stellt komplizierte Aufgaben. Und wir müssen diese Schulegründlich absolvieren. Ich möchte noch einmal sagen: Man mußhandeln, handeln und noch einmal handeln, und zwar aktiv, kühn,schöpferisch und kompetent. Das ist, wenn Sie so wollen, dieHauptaufgabe des gegenwärtigen Zeitabschnitts. Diese Aufgabe müssenalle – jede Parteiorganisation, jedes Parteikomitee, jeder Leiter, jedesParteimitglied – als ihr eigenes Anliegen betrachten.

Im Namen des Zentralkomitees der KPdSU möchte ich mich an alle

Page 90: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Genossen, die Parteimitglieder, an alle sowjetischen Menschen wenden:Das Werk der Umgestaltung, das Werk der revolutionären Erneuerungder Gesellschaft und das Schicksal des Landes liegen in den Händendes Volkes. Und dieses Schicksal wird so sein, wie wir es gestalten –durch unsere gemeinsame Arbeit, unseren Verstand und unserGewissen.

Der Umgestaltungsprozeß ist die vorderste Kampflinie für jedenehrlichen Menschen, für jeden Patrioten. Es gibt für alle zu tun, und einbedeutender Weg liegt vor uns.

Wir sind unbeirrbar in unserem Streben, die Beschlüsse des XXVII.Parteitages zu erfüllen. Wir werden auf eine neue Qualität dersowjetischen Gesellschaft hinwirken. Wir sind überzeugt, daß derUmgestaltungsprozeß unumkehrbar ist.

Die Mitglieder des ZK sprachen sich für die Durchführung einerUnionsparteikonferenz aus. Für die Partei ist eine solche Konferenz dasgrößte politische Ereignis. Ich nehme an, daß auch diejenigen, die ander Diskussion nicht teilgenommen haben, diesen vom Politbüro aufdem Plenum unterbreiteten Vorschlag mit befürworten.

Uns, Genossen, ist aus der Geschichte mehr als eine Konferenzbekannt, die an einem Wendepunkt half, neue Wege und Mittel für dieErreichung der gesteckten Ziele zu erkennen, und Probleme löste, dieweit über den Rahmen taktischer Probleme hinausgingen.

Wir erachten es als zweckmäßig – und ich stelle das Ihnen zur Dis-kussion –, daß das Politbüro für eine der nächsten Plenartagungen desZK Vorschläge hinsichtlich der Termine und Modalitäten der Konfe-renz ausarbeitet. Wir denken, die Parteikonferenz wird der Berichts-und Wahlkampagne starken Auftrieb und der Arbeit der Partei und allihrer Organisationen im Umgestaltungsprozeß einen neuen Impulsgeben.

Das wären kurz die Überlegungen, die ich zum Abschluß der aufdem Plenum des Zentralkomitees der Partei geführten Diskussion zumAusdruck bringen wollte.

Ich möchte Ihnen allen für die aktive Mitwirkung an der Arbeit desPlenums danken und allen seinen Teilnehmern große Erfolge in unse-ren gemeinsamen Vorhaben wünschen.

Page 91: Gorbatschow, Michael - Die Rede

III. Beschluß des Plenumsdes Zentralkomitees

der KommunistischenPartei der Sowjetunion

Über den Umgestaltungsprozeß und die Kaderpolitik derPartei

Page 92: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Nach der Entgegennahme und Erörterung des Referats des General-sekretärs des ZK der KPdSU, Genosse Michail Gorbatschow, «überden Umgestaltungsprozeß und die Kaderpolitik der Partei» billigt dasPlenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der So-wjetunion voll und ganz die politischen und praktischen Schlußfolge-rungen, die vom Politbüro des ZK der KPdSU auf der Grundlage derAnalyse der Situation gezogen worden sind, die sich in der sowjetischenGesellschaft in dem vor dem April-Plenum (1985) des ZK vor-ausgegangenen Zeitabschnitt herausgebildet hatte, und die prinzipielleEinschätzung des Verlaufs der Umgestaltung und der ersten Ergebnisseder Erfüllung der Beschlüsse des XXVII. Parteitages sowie die vomPolitbüro des ZK formulierten Aufgaben für eine moderneKaderpolitik der KPdSU, die von allen Organisationen von Partei, Staatund Gesellschaft zu lösen sein werden.

Page 93: Gorbatschow, Michael - Die Rede

I

Das Zentralkomitee der KPdSU stellt fest, daß sich in der seit demApril-Plenum (1985) des ZK und dem XXVII. Parteitag der KPdSUvergangenen Zeit die Richtigkeit und Lebensnotwendigkeit des von derPartei ausgearbeiteten und vom Sowjetvolk unterstützten strategischenKurses auf Beschleunigung der sozialen und ökonomischen Entwick-lung und qualitative Umgestaltung aller Bereiche des Lebens unsererGesellschaft bestätigt hat.

Die Leistungen des Sowjetvolkes auf dem Wege des sozialistischenAufbaus in den fast 70 Jahren nach dem Sieg des großen Oktober sindgewaltig und unumstritten, doch diese Erfolge dürfen nicht über dieTatsache hinwegtäuschen, daß um die Wende von den 70er zu den 80erJahren das Land an Tempo der Vorwärtsbewegung zu verlieren begann.In der Wirtschaft, in sozialem und geistigem Bereich begannen sichSchwierigkeiten und ungelöste Probleme zu häufen, und es kam zuStagnations- und anderen dem Sozialismus fremden Erscheinungen. Beiall der gewaltigen Arbeit der Partei und ihrer Kader haben es das ZKder KPdSU und die Führung des Landes nicht vermocht, die Gefahrder zunehmenden negativen Tendenzen rechtzeitig und in vollemUmfang zu erkennen und eine exakte Linie für deren Überwindung zuerarbeiten. Negative Auswirkungen auf die Lösung der herangereiftensozialökonomischen Fragen hatte das Nachlassen der Aufmerksamkeitfür die Entwicklung des theoretischen Gedankenguts, für dieErforschung der Dialektik der Triebkräfte und der Widersprüche dessich entwickelnden Sozialismus. Ernste Mängel hatten sich imFunktionieren der Institute der sozialistischen Demokratie, in derPraxis der Planung, in Stil und Methoden der Leitung angesammelt,viele Parteiorganisationen verstanden es nicht, auf den prinzipienfestenPositionen zu bleiben, widmeten der strikten Einhaltung der leninschenPrinzipien und Normen des Parteilebens nicht die gebührendeAufmerksamkeit und versäumten es, die negativen Erscheinungen, dasNachlassen der Disziplin, den zunehmenden Alkoholmißbrauch,Veruntreuung und Korruption entschieden zu bekämpfen. Nichtimmer wurde dem Amts- und Lokalegoismus sowie nationalistischenErscheinungen die gebührende Abfuhr erteilt.

Das Plenum hebt die außerordentlich große Bedeutung der Tatsache

Page 94: Gorbatschow, Michael - Die Rede

hervor, daß es der Partei in dieser Situation nicht an Kraft und Mutgefehlt hat, Kurs auf Umgestaltung zu nehmen, sich an die Spitze desUmgestaltungsprozesses zu setzen und ihrem Charakter nach re-volutionäre Arbeit zu organisieren, die auf die entschiedene ÜberWindung der Stagnationserscheinungen, auf die Schaffung eines zu-verlässigen und wirksamen Mechanismus der Beschleunigung der so-zialen und ökonomischen Entwicklung des Landes gerichtet ist. Einenanderen Weg als den der Umgestaltung haben wir schlicht und einfachnicht, zurück dürfen und können wir nicht.

Das Endziel des Umgestaltungsprozesses ist, alle Seiten des Lebensunserer Gesellschaft zu erneuern, dem Sozialismus modernste gesell-schaftliche Organisationsformen zu geben und das schöpferische Po-tential der sozialistischen Ordnung weitestgehend zur Entfaltung zubringen. Die Umgestaltung dringt in tiefe Lebensbereiche ein undentfaltet sich auf der ganzen Front. Dabei übt sie einen zunehmendenEinfluß auf die Lage im Lande und erlangt neue qualitative Merkmale.

Das allgemeine politische Ergebnis besteht darin, daß sich im Lebender sowjetischen Gesellschaft sichtbare Veränderungen vollziehen,positive Tendenzen an Kraft gewinnen und sich eine neue moralisch-ethische Atmosphäre herausbildet. Offenheit, Wahrheitstreue,Unversöhnlichkeit gegenüber den Mängeln und das Streben nach einerVerbesserung der Arbeit setzen sich immer mehr als aktiv wirkendePrinzipien durch. Im ersten Jahr des Fünfjahrplans wurden in derVolkswirtschaft bei den Hauptkennziffern die Planziele überboten undein bedeutender Vorlauf für das weitere Vorankommen geschaffen.

Nicht überall werden jedoch die eingeleiteten Maßnahmen und diein Angriff genommene Arbeit in Übereinstimmung mit den Dimensio-nen und der Schärfe der Probleme, die sich angehäuft haben, gebüh-rend effektiv und offensiv realisiert. In einer Reihe überaus wichtigerBereiche, vor allem bei Effektivität und Qualität, bei der Entwicklungvon Wissenschaft und Technik, in der sozialen Sphäre sind die Verän-derungen mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Zu langsam wirdder im Laufe von Jahren entstandene, die soziale und ökonomischeEntwicklung hemmende Mechanismus zerstört, und zu langsam gibt erseine Positionen auf, noch haben Konservatismus, Trägheit und über-holte Denkweise nicht an Kraft und Einfluß verloren.

Als wichtigste Aufgabe des Politbüros und des Sekretariats des ZK

Page 95: Gorbatschow, Michael - Die Rede

der KPdSU, der ZK der kommunistischen Parteien der Unionsrepu-bliken, der Regions-, Gebiets-, Bezirks-, Stadt-, Stadtbezirkskomiteesder Partei, der Organisationen von Partei, Staat und Gesellschaft siehtdas Plenum eine weitere Aktivierung der Umgestaltungsarbeit und eineIntensivierung der Anstrengungen in allen Richtungen an. Heute, in derAnfangsetappe, ist es sehr wichtig, auf den Positionen des Realismusund der objektiven Einschätzung des Geleisteten zu stehen, dasErreichte nicht nur in Relation zum Früheren zu sehen, und vor allemkommt es darauf an, daß von den erarbeiteten und durch die Parteigebilligten Plänen ausgegangen wird, daß sich jedes Parteimitglied undjeder Bürger auf langfristige, anspruchsvolle und selbstlose Arbeiteinstellt. Das ist die einzig richtige parteimäßige Handlungsweise. In dereffektiven und gewissenhaften Arbeit ausnahmslos aller liegt dasUnterpfand des Erfolgs des Umgestaltungsprozesses. Es gilt,beharrlich, Schritt für Schritt, ohne Zögern den festgelegten Kurs zusteuern, nicht zuzulassen, daß zwischen den Beschlüssen und derenpraktischer Verwirklichung eine Kluft entsteht, und zu gewährleisten,daß die in Angriff genommenen Veränderungen unumkehrbar werden.

Page 96: Gorbatschow, Michael - Die Rede

II

1. Das Plenum betont, daß eine immer umfassendere Entfaltung undNutzung der riesigen Möglichkeiten des Sozialismus als einer neuenGesellschaftsordnung, die Vervollkommnung seiner wirtschaftlichenGrundlagen, die allseitige Entwicklung der sozialistischen Demokratieund die Vertiefung der Selbstverwaltung des Volkes Voraussetzungenfür die Beschleunigung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungdes Landes sind. Nur auf dieser Grundlage können das lebendigeSchöpfertum der Massen der Werktätigen und ihre reale Teilnahme ander Lösung aller Fragen des Lebens der Gesellschaft einen wirklichenAufschwung nehmen und der Faktor Mensch im vollen Umfang zurGeltung kommen.

Das Plenum billigt die in Übereinstimmung mit den Zielsetzungendes XXVII. Parteitages unternommenen konkreten Schritte in dieseRichtung und hält es für notwendig, die Möglichkeiten für die Erwei-terung der sozialistischen Demokratie, für die Entwicklung des so-wjetischen politischen Systems maximal zu nutzen, die Arbeit derPartei- und Staatsorgane, der gesellschaftlichen Organisationen mitrealem demokratischem Inhalt zu erfüllen, die Bedingungen für einewesentliche Verstärkung des Einflusses der Werktätigen auf die Aus-wahl der Kader und auf die Kontrolle über deren Arbeit zu gewährlei-sten. Es ist darauf hinzuwirken, daß die Grundparteiorganisationen dieim Statut vorgesehene Pflicht, an der Gestaltung der Kaderpolitik aktivmitzuwirken, in vollem Umfang erfüllen.

2. Das Plenum mißt der Entwicklung der Demokratie im Produk-tionsbereich, der konsequenten Durchsetzung der Selbstverwaltung imLeben der Arbeitskollektive und der Schaffung von Bedingungen dafür,daß sich jeder Werktätige in der Tat als Herr seines Betriebesempfindet, erstrangige Bedeutung bei. Darauf muß die Bildung vonRäten der Arbeitskollektive von Betrieben und Vereinigungen und ihreAusstattung sowie die der Bestriebsversammlungen mit entscheidendenVollmachten zu einem weiten Kreis von Produktions-, Sozial- undKaderfragen gerichtet sein.

Die Besetzung der Stellen der Leiter von Betrieben, Produktions-bereichen, Werkhallen, Abteilungen, Produktionsabschnitten, Farmen

Page 97: Gorbatschow, Michael - Die Rede

und Arbeitsgruppen sowie der Brigadiere und Meister durchAbstimmung ist als erforderlich anzusehen. Die Praxis eines Wettbe-werbes bei Auswahl und Neuvertretung der Leiter und Spezialistenmuß erweitert werden, die Bedingungen für dessen Anwendung sindfestzulegen.

Unter den neuen Bedingungen gewinnt die richtige Auffassung derTatsache große Bedeutung, daß die Wählbarkeit der leitenden Mitar-beiter in den Arbeitskollektiven die Einzelleitung nicht nur nicht un-tergräbt, sondern im Gegenteil verstärkt, zur Hebung des Ansehens derLeiter beiträgt und gleichzeitig ihre Verantwortung für die Sache erhöhtsowie eine Atmosphäre der gegenseitigen Strenge und hoher Ansprüchein jedem Kollektiv schafft. Durch eine organische Verbindung vonEinzelleitung und Teilnahme der Kollektive an der Beschlußfassung zuden wichtigsten Fragen wird das Prinzip des demokratischenZentralismus und der sich auf das Kollektiv stützenden planmäßigenLeitung vertieft und weiterentwickelt.

Das Plenum erachtet es als zweckmäßig, als eine Grundlage denEntwurf des Gesetzes der UdSSR über den staatlichen Betrieb (staat-liche Vereinigung) zu billigen, der anschließend zur landesweiten Dis-kussion vorgelegt werden soll.

3. Die großen Möglichkeiten für die Entwicklung der Initiative und desEngagements der Werktätigen, der Demokratisierung der Leitung derWirtschaft und des sozialen Bereichs, über die die Kollektivwirtschaftenund das sozialistische Genossenschaftswesen insgesamt verfügen, sindumfassender zu nutzen. Es ist wichtig, eine strikte Einhaltung der Be-stimmungen der Statute der Kollektivwirtschaften und der anderengenossenschaftlichen Vereinigungen zu gewährleisten und Änderungenan diesen vorzunehmen, um die Aktivität der Genossenschaftsmit-glieder weiterzuentwickeln und ihr Interesse an der kollektiven Arbeitund deren realen Ergebnisse für jedes Genossenschaftsmitgliedvorzunehmen.

Dem Ministerrat der UdSSR, den zuständigen Republik- und ört-lichen Organen ist zu empfehlen, Maßnahmen zu einer weiten Ver-breitung genossenschaftlicher Formen der Organisation des Gaststät-tenwesens, der Dienstleistungen und einiger anderer Bereiche einzu-

Page 98: Gorbatschow, Michael - Die Rede

leiten, die mit der Befriedigung der Bedürfnisse der sowjetischenMenschen zusammenhängen und ihren Interessen entsprechen.

4. Eine Schlüsselrichtung der Demokratisierung des gesellschaftlichenLebens und der Kaderpolitik ist die Vervollkommnung des so-wjetischen Wahlsystems. Es ist wichtig, die Praxis der Nominierungund der Diskussion der Kandidaten für die Deputierten der Sowjetsvon formalistischen Elementen zu befreien, dem Wähler die Mög-lichkeit zu geben, seine Haltung zu einer größeren Zahl von Kandida-turen zum Ausdruck zu bringen und sich am Wahlprozeß in all seinenEtappen effektiv zu beteiligen.

5. Das Plenum unterstützt die vom Politbüro des ZK der KPdSUgestellte prinzipielle Frage über die Notwendigkeit des Ausbaus derinnerparteilichen Demokratie, der Suche nach wirksamen Wegen zueiner Belebung der Arbeit der Grundorganisationen der Partei, derKonferenzen und Plenartagungen, der Vervollkommnung des Me-chanismus der Formierung der gewählten Parteiorgane auf allen Ebe-nen im Sinne ihrer weiteren Demokratisierung.

6. Das Plenum mißt der Verstärkung der Kontrolle über die Tätigkeitder Kader «von oben» und besonders «von unten», der konsequentenRealisierung der leninschen Forderung, daß die Arbeit derLeitungsorgane für alle offen sein und vor den Augen der Massen vorsich gehen muß, große Bedeutung bei. Daher muß eine regelmäßigeRechenschaftslegung der gewählten und ernannten Funktionäre vorden Arbeitskollektiven und der Bevölkerung gesichert werden, wobeidie Werktätigen das Recht haben, die Tätigkeit der Leiter einzuschät-zen, bis hin zur Frage, daß Mitarbeiter, die ihren Pflichten nicht gerechtwerden oder sich in Mißkredit gebracht haben, von ihren Funktionenentbunden werden. Es gilt, ein klares System der Kontrolle über dieArbeit der leitenden Kader zu schaffen und dazu die Partei-,Gewerkschafts- und Komsomolkonferenzen, die Tagungen der Sowjetsder Volksdeputierten, die Plenartagungen der Partei-, Gewerkschafts-und Komsomolkomitees sowie die Tätigkeit der ständigenKommissionen des Obersten Sowjets der UdSSR, der Obersten So-wjets der Unions- und autonomen Republiken, der örtlichen Sowjets

Page 99: Gorbatschow, Michael - Die Rede

der Volksdeputierten zu nutzen und konsequent die Praxis der Anfra-gen der Abgeordneten auszubauen.

Als zweckmäßig muß die Einleitung von Maßnahmen durch dasSekretariat des ZK der KPdSU und das Präsidium des Ministerrates derUdSSR zur Regelung der bestehenden Praxis der Kontrolle und derInspektion in Betrieben und Einrichtungen anerkannt werden, wobei esdarum geht, daß eine solche Kontrolle die Sache voranbringt und nichtdem Formalismus Tribut zollt, der viele Menschen von der Sacheablenkt.

Die Parteiorganisationen müssen stets die Beurteilung der leitendenKader, der Dachleute, Mitarbeiter des Staatsapparates und dergesellschaftlichen Organisationen im Blick haben, wobei sie als wirk-same Form der kollektiven Kontrolle über die Arbeit der Kader, derStimulierung der Zunahme ihrer fachlichen Qualifikation aufgefaßtwird.

7. Das Plenum verpflichtet alle Parteikomitees und -organisationendazu, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, die auf den Ausbau derOffenheit, die Entwicklung von Kritik und Selbstkritik, insbesondereder Kritik von unten, gerichtet sind, in vollem Maße diese erprobteWaffe zur Erziehung der Kader im Geiste der Unversöhnlichkeit mitUnzulänglichkeiten, einer gesunden Unzufriedenheit mit dem Erreich-ten, der Ausrottung aller Arten von Abweichungen von den Normender sozialistischen Moral zu nutzen. Man muß immer davon ausgehen,daß das Verhältnis zur Kritik ein wichtiges Kriterium der politischenReife der Kader, ihrer Bereitschaft zu Veränderungen, ihrer Fähigkeit,die Umgestaltung in die Tat umzusetzen, ist. In der Partei darf es keinePersonen geben, die außerhalb der Kritik stehen, wie auch keinePersonen, die nicht das Recht haben, Kritik zu üben. Entschiedenmüssen alle Fakten von Unterdrückung von Kritik unterbunden werdenwie auch Versuche von Verleumdern, ehrliche und der Sache ergebeneKollegen anzuschwärzen, privaten Zwist auszutragen und dabeianonym vorzugehen oder andere unwürdige Methoden anzuwenden.

8. In Berücksichtigung dessen, daß echte Demokratie nicht außerhalbdes Gesetzes oder über dem Gesetz existieren kann, mißt das Plenumder Ausarbeitung und der Annahme neuer gesetzgeberischer Akte, der

Page 100: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Erhöhung der Rolle des sowjetischen Gerichtes, der strikten Einhaltungdes Prinzips der Unabhängigkeit der Richter, der entschiedenenVerstärkung der Aufsicht des Staatsanwalts, der Vervollkommnung derArbeit der Untersuchungorgane, aller Wege und Mittel zum Schutz derInteressen des sowjetischen Staates, der Gewährleistung der Rechte undFreiheiten der Bürger große Bedeutung bei. Die Partei geht davon aus,daß die sozialistische Demokratie nichts gemein hat mit allgemeinerDuldsamkeit, Verantwortungslosigkeit und Anarchie. Sie ist dazuberufen, dem Menschen, dem Kollektiv und der Gesellschaft, derEntwicklung der Initiative der Werktätigen, der Entfaltung desschöpferischen Potentials der sozialistischen Ordnung, der Festigungder Gesetzlichkeit und Gerechtigkeit, einer gesunden moralischenAtmosphäre in unserer Gesellschaft real zu dienen. DasRechtsbewußtsein der leitenden Kader, der ganzen Bevölkerung mußgestärkt werden.

9. Das Plenum erachtet es als notwendig, sich um die konsequenteErweiterung der sozialen Basis der sowjetischen Demokratie, um eineaktivere Teilnahme jedes Bürgers, der Veteranen und Jugendlichen, derVertreter aller Bevölkerungsschichten an der Verwirklichung derUmgestaltung, am staatlichen und gesellschaftlichen Leben zu sorgen.Es muß erreicht werden, daß die jungen, perspektivischen Kollegen inallen Bereichen Hand in Hand mit den bewährten Kadern der älterenGeneration arbeiten, Erfahrungen sammeln, gehärtet und entschiedenergefördert werden. Die Parteiorganisationen sind verpflichtet, diesennatürlichen Prozeß gekonnt zu steuern, ihn als unerläßlicheVoraussetzung für die Gewährleistung der Kontinuität in der Leitung,unseres politischen Kurses und der Überwindung von Starrheit undStagnation anzusehen. Es ist wichtig, daß das Vertrauen derJugendlichen, die Entwicklung ihrer Selbständigkeit in der Gestaltungder Arbeit, des Lernens, der Sozialsphäre und der Freizeit mitHilfeleistung und kollegialer Kritik von Fehlern verbunden ist.Notwendig ist die grundlegende Verbesserung der Arbeit zurHerausbildung zuverlässiger Reservekader für Leitungsfunktionen.

Es müssen mehr würdige Arbeiter und Kolchosbauern für die Lei-tungsarbeit in den Partei-, Sowjet-, Gewerkschafts- und Komso-molorganen vorgeschlagen werden. Es gilt, ihre Ausbildung an Hoch-

Page 101: Gorbatschow, Michael - Die Rede

und Fachschulen in jeder Weise zu fördern und aus ihrer Mittesorgfältig künftige Leiter auszuwählen und heranzubilden. Energischermüssen unter den parteilosen Genossen gute Organisatoren mitverantwortlichen Funktionen betraut werden. Das Plenum erachtet esals prinzipiell wichtig, Frauen in leitenden Positionen auf allen Lei-tungsebenen und in allen Lebensbereichen der Gesellschaft einzuset-zen.

10. Das Plenum des ZK macht auf die Notwendigkeit aufmerksam, inder Arbeit mit den Kadern die Anforderungen der leninschenNationalitätenpolitik strikt und konsequent zu verwirklichen und dieProzesse der immer tiefer werdenden Internationalisierung deswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens des Landes allseitig zuberücksichtigen. In allem, was die Entwicklung der nationalenBeziehungen betrifft, müssen besonderes Taktgefühl und Umsicht,parteiliche Prinzipienfestigkeit, Sorge um die Festigung der Freund-schaft und Brüderlichkeit der Völker unseres Landes an den Tag gelegt,entschieden negative Erscheinungen in diesem Bereich überwundenund allen Erscheinungen von Nationalismus und Chauvinismus, vonZionismus und Antisemitismus, Lokalpatriotismus, von Bestrebungen,auf fremde Kosten zu leben, von nationaler Beschränktheit und Dünkeleine kompromißlose Abfuhr erteilt und ihnen ein konsequenter undfester Internationalismus entgegengesetzt werden.

Es ist sicherzustellen, daß alle Nationen und Völkerschaften desLandes entsprechend in den Partei-, Staats- und Wirtschaftsorganenund in den gesellschaftlichen Organisationen vertreten sind. Es mußerreicht werden, daß die Zusammensetzung der Leitung die nationaleStruktur der Bevölkerung vollkommener reflektiert. Um die in-ternationalistische Erziehung der Kader zu verstärken und ihre Er-fahrungen in der Partei- und Staatsarbeit zu mehren, ist es notwendig,den Austausch von Kadern zwischen den Republiken und Regionen,zwischen örtlichen und zentralen Organen zu aktivieren.

Page 102: Gorbatschow, Michael - Die Rede

III

1. Das Plenum billigt die vom Politbüro und dem Sekretariat des ZKder KPdSU angenommenen Maßnahmen zur Überwindung der Folgender in der Vergangenheit begangenen Verstöße gegen die Partei-prinzipien und der Deformierungen bei der Kaderpolitik. Der Zustromneuer Kräfte in die Leitung, die Auswechslung von Leitern, die denneuen Aufgaben nicht gewachsen waren und sich selbst durch ihrunwürdiges Verhalten in Mißkredit brachten, sind zum unveräußer-lichen Bestandteil und überaus wichtigen Faktor der Umgestaltunggeworden.

Im Zeichen der Beschlüsse des XXVII. Parteitages der KPdSU mußdie Kaderpolitik ernsthaft erneuert und zu einer wirklich zeitgemäßenKaderpolitik gemacht werden, die unmittelbar mit denSchlüsselrichtungen des Kampfes um die soziale und wirtschaftlicheBeschleunigung verbunden ist. Es muß beharrlich darauf hingearbeitetwerden, daß jeder Bereich der Partei-, Staats- und Wirtschaftsarbeit undder gesellschaftlichen Tätigkeit von Menschen geleitet wird, die derPartei und dem Volk ergeben und echte Neuerer sind, die sich zutiefstder Notwendigkeit qualitativer Veränderungen in unserer Gesellschaftbewußt sind, die fähig sind, Trägheit und Routine zu überwinden unddie Linie der Partei schöpferisch durchzusetzen.

Auf der Grundlage einer allseitigen Analyse der Lehren der Ver-gangenheit sieht das Zentralkomitee der KPdSU es als prinzipiellwichtig an:

die herangereiften Kaderfragen entsprechend dem leninschen Ver-ständnis der Kaderpolitik rechtzeitig auf allen Ebenen, beginnend beimZK der KPdSU und der Regierung, zu lösen, die ständige Zuführungneuer Kräfte zu den Leitungen abzusichern, damit der Prozeß derErneuerung nicht unterbrochen und die Kontinuität nicht verletzt wird;

die marxistisch-leninistische theoretische Ausbildung, die ideolo-gisch-moralische Erziehung der Kader zu verstärken, bei ihnen einehohe politische und moralische Kultur und ein tiefes Verständnis desKurses der Partei auf Beschleunigung und das Vermögen herauszu-bilden, an jedem Abschnitt die Programmziele eng mit der täglichenorganisatorischen Arbeit, Wirtschaftstätigkeit und Erziehungsarbeit zuverbinden, die Erscheinungen von Technokratie in der Tätigkeit der

Page 103: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Parteikomitees und bei der Kaderauswahl beharrlich zu überwinden;ein aufmerksames, wohlüberlegtes und prinzipielles Verhalten zu

den Kadern bei deren Auswahl und Auswechslung zu sichern und sichin allen Fällen ausschließlich von den Interessen der Arbeit leiten zulassen. Hier sind weder Stagnation noch eine unbegründete, überstürzteAuswechslung von Arbeitskräften, Administrieren, Subjektivismus undUnduldsamkeit gegenüber selbständigem Denken und Eigeninitiativezulässig;

die Verantwortung der Kader für die übertragene Arbeit ständig zuerhöhen, überall eine Atmosphäre hoher gegenseitiger Anforderungen,fester Disziplin und Organisiertheit zu schaffen und Erscheinungenvon Schlamperei entschieden zu unterbinden. Eine richtige Sorge fürdie Kader hat mit Sorglosigkeit und allgemeiner Nachsicht, Wohl-tätigkeit und Schmeichelei nichts gemeinsam;

das Prinzip des demokratischen Zentralismus in der Kaderpolitikstrikt einzuhalten und zu entwickeln, die notwendigen politischen undrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit die gewählten Organein Partei und Staat, Gewerkschaften, Komsomol und anderengesellschaftlichen Organisationen die ihnen gewährten Rechte in vollemUmfang wahrnehmen und eine sachliche Kontrolle über die Voll-zugsorgane und die Arbeit des Apparates ausüben;

in den gewählten Organen eine Atmosphäre der echten Kollektivität,der Gleichheit, der freien und prinzipiellen Diskussion von Fragendurchzusetzen. Wie die Stellung eines Leiters auch sein mag, sie erhebtihn nicht über die anderen Mitglieder eines gewählten Organs, sondernunterstreicht nur die höhere Verantwortung für die striktesteEinhaltung der Parteinormen und -prinzipien;

praktische Maßnahmen zu einer grundlegenden Verbesserung derTätigkeit der Organe der Partei-, Staats- und gesellschaftlichen Kon-trolle durchzuführen und dabei ihre Einflußnahme auf die Festigungder Disziplin, die Ausmerzung von verschiedenen Verstößen undÜbergriffen und die Erhöhung der Exaktheit in der Arbeit des Appa-rates zu verstärken.

2. Das Plenum des ZK unterstreicht, daß ein entscheidendes Kriteriumder Einschätzung der Kader und ihrer politischen und staats-bürgerlichen Position das Verhalten zur Umgestaltung und zu den

Page 104: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Aufgaben der Beschleunigung der sozialen und wirtschaftlichen Ent-wicklung, reale Taten zu ihrer Realisierung sind. Die Partei wird jeneBeschäftigten fördern und unterstützen, die sich nicht nur mit demKurs auf Umgestaltung identifizieren, sondern sich auch aktiv undschöpferisch dem Prozeß der Erneuerung angeschlossen haben, alleihre Kräfte der gemeinsamen Sache geben und Erfolge erringenkönnen. Wer nicht imstande ist, die Sachlage am übertragenen Ab-schnitt zu verbessern, gleichgültig gegenüber den sich vollziehendenWandlungen bleibt und sich an das Alte klammert, darf keine leitendeFunktion bekleiden.

3. Der Prozeß der Umgestaltung ist untrennbar mit der Festigung dermoralischen Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft, der so-wjetischen Lebensweise verbunden. Tiefe ideologische Überzeugung,höchste politische und moralische Verantwortung für die Geschickedes Landes, die strikte Einhaltung der leninschen Ethik desBolschewismus – diese Forderungen stehen in der gegenwärtigenEtappe mit besonderer Schärfe vor allen unseren Kadern. Sie müssenein Beispiel an ideologischer Festigkeit, strikter Einhaltung der Partei-und Staatsdisziplin, Treue zum Wort, Ehrlichkeit, Ehrenhaftigkeit,Unbestechlichkeit, Bescheidenheit, Unduldsamkeit gegenüber jeglichenAbweichungen von der sozialistischen Moral sein.

Es ist notwendig, sich ständig von den Anpäßlingen, Karrieristen,Konjunkturrittern und jenen zu befreien, die das Ansehen eines Par-teimitglieds, eines sowjetischen Leiters durch Habgier, Streben nachErweiterung der eigenen Wirtschaft, Alkoholmißbrauch, moralischeUnsauberkeit kompromittieren, es muß entschieden gegen Protektio-nismus, Familien- und Vetternwirtschaft, die Förderung eigener undpersönlich ergebener Leute gekämpft werden. Mit aller Strenge desParteistatuts und der sowjetischen Gesetze müssen diejenigen zur Re-chenschaft gezogen werden, die versuchen, Gauner, Plünderer, Wu-cherer in Schutz zu nehmen. Es müssen diejenigen öffentlich entlarvtund von der Gesellschaft zur Verantwortung gezogen werden, die un-sere Prinzipien bewußt mißachten. Die Sorge um die Sauberkeit und dieEhrlichkeit des Leiters ist die erstrangige Pflicht jeder Parteiorga-nisation.

Das Plenum verpflichtet die Parteikomitees und die Parteigrundor-

Page 105: Gorbatschow, Michael - Die Rede

ganisationen, allen Versuchen entschieden zu begegnen – von wemauch immer sie unternommen werden –, die Leiter von der Verant-wortung zu befreien, die die Sache zum Scheitern gebracht haben odersich in Mißkredit brachten. Es muß überall mit der noch vorhandenenPraxis Schluß gemacht werden, daß Fragen über Vergehen vonleitenden Mitarbeitern heimlich behandelt und die wirklichen Gründeder Entbindung der einen oder der anderen verantwortlichen Personvon ihrer Funktion verschwiegen werden. Strikt muß die Bestimmungdes Statuts der KPdSU eingehalten werden, daß der Kommunist fürbegangene Vergehen vor allem gegenüber seinerParteigrundorganisation verantwortlich ist. In der Partei und im Staatgibt es für alle ein Gesetz und eine Disziplin.

4. Eine Vertiefung der Umgestaltung bedeutet in erster Linie, dieTätigkeit der Partei selbst und ihrer Kader auf allen Ebenen – vomZentralkomitee bis zu den Grundorganisationen der Partei – umzuge-stalten, in allen Gremien die leninschen Prinzipien und Normen desParteilebens durchzusetzen. Darin sieht das Zentralkomitee das Wesenund die Hauptaufgabe der heutigen Kaderpolitik.

Es ist davon auszugehen, daß die führende, koordinierende Rolle derPartei, ihrer Komitees heute darin besteht, den in allen Bereichentätigen Kadern zu helfen, die Aufgaben des gegenwärtigen Zeitpunktszu begreifen und die Erfüllung der gestellten Aufgabe streng zukontrollieren. Entschieden muß von Leitungsfunktionen Abstandgenommen werden, die den Parteiorganen nicht zukommen, von demBestreben, Fragen für andere zu entscheiden und den Staatsorganen,wirtschaftlichen Einrichtungen und gesellschaftlichen OrganisationenEntscheidungen abzunehmen. Besondere Aufmerksamkeit muß auf dieUmgestaltung der Tätigkeit der Stadtbezirks- und Stadtkomitees derPartei gerichtet werden, die die unmittelbare Verbindung der Partei mitihren Grundorganisationen und den Arbeitskollektiven realisieren.

Beharrlich muß danach gestrebt werden, daß jedes Parteikomitee alspolitisches Führungsorgan wirklicher Generator und Träger neuerIdeen, Organisator des Zusammenwirkens aller Kräfte ist, diese richtigeinsetzen sowie die Folgen der getroffenen Entscheidungenvorhersehen und berücksichtigen kann. Im Mittelpunkt derAufmerksamkeit der Parteikomitees muß die Sorge um den Menschen,

Page 106: Gorbatschow, Michael - Die Rede

seine Arbeits- und Lebensbedingungen, die Erholung sowie dieBewußtseinsbildung der Menschen stehen. Im Stil der Parteileitungmuß das Schwergewicht in der Tat auf die lebendige Arbeit in denMassen, die Organisierung der praktischen Erfüllung der getroffenenBeschlüsse und konzipierten Pläne, die Unterstützung der Initiative desVolkes und die Förderung des Neuererwesens verlagert werden.

Die Grundorganisationen der Partei sind das Hauptfeld des Kamp-fes für die Umgestaltung und die Beschleunigung. In ihnen wird diePolitik der Partei durch die Anstrengungen von Millionen Kommuni-sten realisiert und mit dem täglichen Leben, Aufgaben und Sorgen derWerktätigen verknüpft. Die organisatorische und politisch-ideologischeStärkung der Grundorganisationen der Partei, die Erhöhung ihrerKampfkraft und Aktivität ist die wichtigste Aufgabe der Stadtbezirks-,Stadt-, Bezirks-, Gebiets- und Regionskomitees der Partei, derZentralkomitees der Unionsrepubliken.

Bei den Parteifunktionären müssen eine politisch bewußte undstaatsbewußte Einstellung zur Sache sowie das Können gefördertwerden, unter den Bedingungen der sich vertiefenden Demokratie, derzunehmenden gesellschaftlichen Aktivität und Leistungsbereitschaft derMenschen zu arbeiten, die Fähigkeit, sie zu überzeugen und zu führen.Die Parteifunktionäre müssen gegenüber allen Erscheinungsformenvon Starrheit, Bürokratismus, lokaler Engstirnigkeit und Ressortgeistunduldsam sein. Das Plenum billigt die vom Politbüro konzipiertenMaßnahmen, das System der Parteischulung und politischen Bildungkomplex umzugestalten und aufs engste mit dem Leben und dengegenwärtigen Aufgaben zu verbinden, und verpflichtet dieParteikomitees, die sachliche Unterstützung für die Parteiorganisationenund Propagandamedien zu verstärken, die Organisation der Ausbildungund der Information des inmitten der Massen tätigen Parteiaktivs derGrundorganisationen zu verbessern.

5. Angesichts der riesigen Verantwortung der im Wirtschaftsbereichtätigen Kader für die Realisierung des strategischen Kurses der Parteiauf die Beschleunigung der sozialen und ökonomischen Entwicklungverweist das Plenum auf die Notwendigkeit der Berufung und derErziehung wirklich sachkundiger und initiativreicher Leiter vonBetrieben und Vereinigungen, die mit den Menschen arbeiten können

Page 107: Gorbatschow, Michael - Die Rede

und fähig sind, unter den neuen Bedingungen des Wirtschaftens dieErreichung der führenden Positionen des wissenschaftlich-technischenFortschritts, eine grundlegende Verbesserung der Qualität derErzeugnisse und eine hohe Effektivität der Produktion zu ge-währleisten. Sie müssen bei der schnellstmöglichen Einführung derwirtschaftlichen Leitungsmethoden unterstützt werden, denen voll-ständige wirtschaftliche Rechnungsführung und Eigenfinanzierung,umfassende Selbständigkeit und höhere Verantwortung für die Er-gebnisse der Arbeit der Vereinigungen und Betriebe sowie ein neuesHerangehen an die außenwirtschaftliche Tätigkeit zugrunde liegen. Vongroßer Bedeutung ist die Einführung der staatlichen Erzeugnis-abnahme.

Prinzipielle Bedeutung mißt das Zentralkomitee der KPdSU eineraktiven Einbeziehung der Arbeiterklasse, der Genossenschaftsbauern,der Intelligenz, aller Werktätigen in den Umgestaltungsprozeß, in denKampf für die Beschleunigung, für die Festigung der hohen Disziplinund der moralischen Reinheit in allen Bereichen unserer Gesellschaftbei. Es muß davon ausgegangen werden, daß unter den Bedingungendes Umgestaltungsprozesses von allen Werktätigen an jedemArbeitsabschnitt hohes Verantwortungsgefühl für das Aufgetragene,ständige Steigerung des beruflichen Könnens und der Kultur derArbeit, Beherrschung der modernen und fortgeschrittenen Technik undTechnologie, Initiative und Schöpfertum gefordert sind.

6. Als eine überaus wichtige Aufgabe erachtet das Plenum eine we-sentliche Erhöhung der Qualität und der schöpferischen Effektivitätdes intellektuellen Potentials und des Kaderstamms in der Volkswirt-schaft, eine Verbesserung der Ausbildung und des Einsatzes derFachleute, eine Umgestaltung der Arbeit des Hoch- und Fachschul-wesens, eine konsequente Durchführung der Reform der allgemein-bildenden und Berufsschule und die Schaffung eines einheitlichenSystems der ununterbrochenen Ausbildung im Land. Besondere Auf-merksamkeit muß der erstrangigen Kaderversorgung für die Zweige derVolkswirtschaft gelten, die eine vorrangige Entwicklung erfahren, undfür die neuen Produktionsbereiche sowie der Ausbildung vonSpezialisten und Arbeitern, die neue Technik produzieren undeinsetzen.

Page 108: Gorbatschow, Michael - Die Rede

7. Davon ausgehend, daß die beschleunigte Entwicklung der Technikund Technologie eine zunehmende Erweiterung des Arsenals der Ideender Grundlagenforschung und der angewandten Entwicklungen sowieeiner rapiden Umorientierung der Wissenschaft auf die Bedürfnisse derVolkswirtschaft erfordert, erachtet es das Plenum für sehr wichtig, dieEffektivität der Arbeit der Kader der Wissenschaftsakademien, derFachwissenschaft und der Hochschulen bei der Lösung der Aufgabenzu erhöhen, die mit der allseitigen Intensivierung der Produktion undmit der Steigerung der Effektivität der Wirtschaft zusammenhängen,sowie die Integration zwischen Wissenschaft und Produktion zuverstärken. Mehr Aufmerksamkeit muß der Arbeit der wissen-schaftlichen Produktionsvereinigungen und der interdisziplinärenwissenschaftlich-technischen Komplexe gelten. Unverzügliche Maß-nahmen sind einzuleiten, um die Ausbildung der wissenschaftlichenKader zu vervollkommnen, der Forschung befähigte Jugendlichezuzuführen, Bedingungen für eine fruchtbare Arbeit der Wis-senschaftler zu schaffen, die technische Ausrüstung der Wissenschaftzu verbessern und deren Versuchsbasis zu stärken.

8. Es ist notwendig, unter Berücksichtigung der heutigen Anforde-rungen die Umgestaltung der Struktur, des Stils, der Arbeitsformen undder Arbeitsweise der Planungs- und der Finanzorgane sowie deranderen gesamtwirtschaftlichen Organe, aller Ministerien und leiten denDienststellen zu beschleunigen, ihre Funktionen und Aufgabendeutlicher zu formulieren und zu helfen, die kleinliche Bevormundungund Einmischung in die operative Tätigkeit der Vereinigungen undBetriebe abzulegen sowie die Aufmerksamkeit auf große undaussichtsreiche Fragen der Entwicklung der Volkswirtschaftszweige, derBeschleunigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, derVervollkommnung des Wirtschaftsmechanismus, der Umschulung undder Weiterbildung der Kader zu konzentrieren.

9. Als prinzipiell wichtig erachtet es das Plenum, die soziale Aus-richtung in der Tätigkeit der Leitungskader zu verstärken und bei ihnendie Einstellung zu den sozialen Problemen als zu einer überauswichtigen politischen Angelegenheit herauszubilden. Das Vermögen,die sozialen Probleme richtig zu lösen, günstige Bedingungen für eine

Page 109: Gorbatschow, Michael - Die Rede

hochproduktive Arbeit der Menschen und für ihr tägliches Leben zuschaffen, eine Atmosphäre der schöpferischen Suche in den Kollekti-ven durchzusetzen ist ein unbedingtes Kriterium der politischen undder sachlichen Reife jedes Leiters.

Der Tätigkeit der Kader, die in allen Bereichen beschäftigt sind,welche unmittelbar mit der Befriedigung der täglichen Bedürfnisse derMenschen und der Lösung von Fragen verbunden sind, die dieLebensinteressen der Bürger betreffen, ist angespannte Aufmerk-samkeit zu widmen. Hier ist eine gute Organisation der Arbeit beson-ders wichtig, sind Erscheinungen von Grobheit, Hartherzigkeit undUnaufmerksamkeit gegenüber dem Menschen unduldsam.

10. Bei der Arbeit auf dem Gebiet der Umgestaltung stützt sich diePartei auf die Sowjet-, Gewerkschafts- und Komsomolkader. DasPlenum hat die vom Politbüro des ZK der KPdSU, dem Präsidium desObersten Sowjets der UdSSR und dem Ministerrat der UdSSR be-schlossenen Maßnahmen zur weiteren Hebung der Rolle und zur Ver-stärkung der Verantwortung der Sowjets der Volksdeputierten für dieBeschleunigung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung gebilligtund mißt der Verstärkung der demokratischen Elemente in derTätigkeit der Sowjets und ihrer Exekutivorgane große Bedeutung bei,damit sie die ihnen gewährten Vollmachten umfassender und effektivernutzen. Es ist notwendig, das Arbeitsniveau der Parteigruppen in denSowjets zu heben und ihren Einfluß auf die Tätigkeit der Sowjetorganezu verstärken.

Die Gewerkschaftskader haben unter den gegenwärtigen Bedin-gungen bei der Lösung konkreter Produktions- und Sozialfragen, derEntwicklung des Wettbewerbs und der Festigung der Arbeits- undProduktionsdisziplin sowie bei der Erziehung der Menschen eineaktivere Position einzunehmen. Die in den Gewerkschaften arbeitendenParteimitglieder müssen darauf hinwirken, daß in gewerkschaftlicheFunktionen angesehene Menschen gewählt werden, die das Lebenkennen und befähigt sind, eine konkrete Arbeit zu organisieren, dieInteressen des arbeitenden Menschen, des Arbeitskollektivs zu ver-treten.

Die Parteiorganisationen haben die Komsomolorganisationen täg-lich und konkret anzuleiten, Schulmeistern und Administrieren nicht

Page 110: Gorbatschow, Michael - Die Rede

zuzulassen, die Initiative des Komsomol in jeder Weise zu entwickeln,bei der Organisierung der Erziehungsarbeit mit der Jugend auf einemhohen Niveau zu helfen, auf ihre Bedürfnisse schnell zu reagieren undnützliche Vorhaben in der Arbeit, im Studium und in der Erholung zuinitiieren.

11. Das Plenum unterstützt die vom Politbüro des ZK durchzufüh-renden Maßnahmen zur Hebung des Ansehens der Mitarbeiter desGerichtes, der Staatsanwaltschaft, der Justiz, der Miliz, der staatlichenSchiedsgerichte, des Notariats und der Tausenden freiwilligenTeilnehmer am Schutz der öffentlichen Ordnung und zur Verstärkungder Effektivität ihrer Tätigkeit. Zugleich macht die Unterstützung derPartei den Kadern der Organe des Innern zur Pflicht, noch beharrlicherfür eine grundlegende Reorganisierung ihrer Tätigkeit zu kämpfen, diemit dem Schutz der Interessen der sozialistischen Gesellschaft und desStaates, der legitimen Rechte der sowjetischen Bürger zusammenhängt.Es ist notwendig, die Arbeit mit den Kadern der Organe des Innernernsthaft zu verbessern, sie zu lehren, unter Bedingungen derErweiterung von Demokratie und Öffentlichkeit handeln zu können,wobei sie nicht vergessen sollten, daß derjenige, der im Dienste desOrdnungsschutzes steht, selbst vor dem Gesetz, vor der Partei und vordem Volk rein wie Kristall sein muß.

12. Das Plenum mißt der Reorganisierung der Arbeit der außenpo-litischen Institutionen und der Zuführung von Kadern zu ihnen, die dieLinie der Partei auf dem Gebiet der internationalen Politik schöpferischund konsequent durchführen können, große Bedeutung bei.

13. Die gegenwärtige komplizierte internationale Situation und dasBestreben militanter imperialistischer Kreise der USA, die militär-strategische Parität zu zerstören und nukleare Überlegenheit zu er-langen, erfordern den schnellsten Ausbau des Wirtschaftspotentials, dieallseitige Stärkung der defensiven Potenzen unseres Landes, dieAufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit des Landes auf dem er-forderlichen Niveau, einen hohen Ausbildungsstand, eine hohe Ge-fechtsbereitschaft der Streitkräfte und ständige Wachsamkeit. DasZentralkomitee der KPdSU schätzt die Tätigkeit der Militärkader, der

Page 111: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Angehörigen der Sowjetarmee und der Seekriegsflotte hoch ein, die diefriedliche Arbeit des Volkes und die Sicherheit der Heimat zuverlässigschützen und ihre internationalistische Pflicht in Ehren erfüllen. Es istnotwendig, auch künftig die Verantwortung der Kommandeure, derPolitoffiziere, des ganzen Offizierskorps und der Parteiorganisationender Armee und Flotte für die Aufrechterhaltung der militärischenDisziplin auf einem hohen Niveau, für die ideologische und moralischeErziehung der Armeeangehörigen, für ihre Gefechts- und politischeAusbildung zu erhöhen und ständig Sorge für die Lebensbedingungender Armeeangehörigen und ihrer Familien zu tragen.

14. Verantwortungsvolle Aufgaben haben die mit ideologischer Arbeitbetrauten Genossen, die dazu berufen sind, die Ideen und die Politikder Partei in die Massen zu tragen, ihnen die Einsicht in die historischeNotwendigkeit des Umgestaltungsprozesses zu vermitteln und jedemMenschen zu helfen, seinen Platz im Kampf des ganzen Volkes um dieBeschleunigung zu finden. Erziehungsarbeit müssen die Leitungskader,das Parteiaktiv und alle Kommunisten alltäglich leisten. Dieideologischen Arbeitsabschnitte müssen Menschen anvertraut werden,die theoretisch und professionell qualifiziert sind, die stets die Hand amPuls der Zeit halten und befähigt sind, schöpferisch zu arbeiten und aufeine feste Verbindung der ideologischen und Erziehungsarbeit mit derpraktischen Durchsetzung des Umgestaltungsprozesses hinzuwirken.

Das Plenum stellt fest, daß Presse, Fernsehen und Rundfunk aktivzur Bewältigung der vor unserer Gesellschaft stehenden Aufgaben, zurDurchsetzung von Offenheit und einer gesunden und kritischenAtmosphäre beitragen. Unduldsamkeit gegenüber den negativen Er-scheinungen, Auswertung der bei der Umgestaltung gewonnenen Er-fahrungen und Ehrung gewissenhafter und hochproduktiver Arbeit –das sind erstrangige und wechselseitig miteinander zusammenhängendeAufgaben der Massenmedien. Für die Beschäftigten von Presse,Fernsehen und Rundfunk gelten in vollem Maße die allgemeinenAnforderungen, die die Partei an die Kader stellt: ideologischeFestigkeit, hohes berufliches Können, Pflichtgefühl, Prinzipienfestigkeitund hohes Maß an Verantwortung für Authentizität und Genauigkeitder Fakten, die der Öffentlichkeit zur Beurteilung vorgelegt werden,parteimäßige Einstellung zur Kritik.

Page 112: Gorbatschow, Michael - Die Rede

15. Die neue Etappe der gesellschaftlichen Umgestaltungen stellt diekünstlerische Intelligenz und alle Beschäftigten der Kultursphäre vorverantwortungsvolle Aufgaben. Ihre Pflicht ist es, das geistige Lebender Gesellschaft zu bereichern, die ideologische und moralischeEntwicklung des arbeitenden Menschen zu fördern, talentvolle undwahrheitsgetreue Werke zu schaffen, die unsere Wirklichkeit in all ihrerVielfalt und Größe widerspiegeln, und entschieden der ideologisch-kulturellen Aggression des Imperialismus entgegenzutreten, derunserem Volk, vor allem der Jugend, verlogene, dem Humanismusfremde Werte aufzudrängen sucht.

Die Zentralkomitees der kommunistischen Parteien der Unionsre-publiken, die Regions- und Gebietskomitees der Partei, die zuständigenStaatsorgane, die Vorstände und Parteiorganisationen der Künstler-verbände und die Kulturinstitutionen sind dazu berufen, qualifiziert,unter Respektierung des Talents und zugleich prinzipienfest im Sinneder Partei den künstlerischen Prozeß zu fördern, zur Vervollkommnungder Formen der Ausübung der Demokratie und der gesellschaftlichenInitiative in kulturellem Bereich beizutragen, Kritik und Selbstkritik inden Künstlerorganisationen zu entwickeln. Besonderes Augenmerk istdarauf zu richten, die Rolle der Literaturkritik zu erhöhen, die jungenKünstler ideologisch zu festigen und zu erziehen und ihre Fähigkeitenund Talente zur Entfaltung zu bringen. In der Leitung desKunstschaffens sind unkompetente Einmischung in rein künstlerischeProzesse, geschmacksbedingte Sympathien und Antipathien undAdministrieren statt ideologischer Einflußmethoden unzulässig.

16. Das Plenum beauftragt das Politbüro des ZK, unter Berück-sichtigung der Vorschläge von Mitgliedern des Zentralkomitees kon-krete Maßnahmen zur Vervollkommnung der Organisation der Ka-derarbeit im Apparat des Zentralkomitees der KPdSU und in denörtlichen Parteigremien und zur Vertiefung der theoretischen undmethodologischen Studien zu Problemen der modernen Kaderpolitikzu realisieren. Von Grund aus muß die Arbeit der Kaderstellen inMinisterien, Verwaltungsorganen, Betrieben, Institutionen und Or-ganisationen verbessert werden.

Das ZK der KPdSU empfiehlt den Parteikomitees, den Staats-organen, den Ministerien und Verwaltungsorganen, dem Zentralrat der

Page 113: Gorbatschow, Michael - Die Rede

Sowjetgewerkschaften, dem ZK des Leninschen kommunistischenJugendverbandes und den Leitungsgremien anderer gesellschaftlicherOrganisationen praktische Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitmit den Kadern in Übereinstimmung mit den Richtlinien des XXVII.Parteitags und dieses Beschlusses zu verwirklichen.

Das Plenum des Zentralkomitees der KPdSU bringt die feste Über-zeugung zum Ausdruck, daß die Reorganisierung der sowjetischenGesellschaft im wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Bereich anBreite und Tiefe gewinnen wird. Unterpfand dafür ist die volle Unter-stützung der Kommunisten und des ganzen sowjetischen Volkes für dieleninsche Innen- und Außenpolitik der Partei, für die in Angriffgenommene Umgestaltung, ist die sich breit entfaltende patriotischeBewegung für die erfolgreiche Erfüllung der Pläne im 12. Fünfjahr-zeitraum und die würdige Vorbereitung des 70. Jahrestages der GroßenOktoberrevolution.

Es gilt, nicht nur das im ersten Jahr des Planjahrfünfts Erreichte zufestigen, sondern weiterzugehen, in die Arbeit die Langzeitfaktoren desWirtschaftswachstums einzubeziehen und in allen Richtungen aufspürbare positive Veränderungen hinzuwirken. Die breitesten Schichtender Werktätigen müssen mobilisiert, ihre Initiative und Energie auf dieNutzung der unerschöpflichen Möglichkeiten des Sozialismus, auf dieVerwirklichung des Kurses auf Erneuerung und Beschleunigunggerichtet werden – darin besteht heute die politische Mission derKommunistischen Partei der Sowjetunion.