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ALEX STOCK · POETISCHE DOGMATIK · GOTTESLEHRE 3. BILDER

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ALEX STOCK · POETISCHE DOGMATIK · GOTTESLEHRE

3. BILDER

POETISCHE DOGMATIK

GOTTESLEHRE

3. BILDER

ALEX STOCK

P O E T I S C H E D O G M A T I K

G O T T E S L E H R E

3 . B I L D E R

FERDINAND SCHÖNINGHPADERBORN · MÜNCHEN · WIEN · ZÜRICH

Bibliografi sche Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio-grafi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abruf-bar.

Einband: Evelyn Ziegler, München

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtemund alterungsbeständigem Papier ∞� ISO 9706

© 2007 Ferdinand Schöningh, Paderborn(Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn)

Internet: www.schoeningh.de

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheber-rechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig.

Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn

ISBN 978-3-506-76449-2

INHALT

VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1. Anlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72. Übersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73. Vorgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

A. GOTTHEIT. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

1. Bilderverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132. Theophanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413. Anthropomorphie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524. Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755. Hieroglyphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1026. Bildgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

B. GEIST . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

1. Pfingsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1412. Inspiration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1503. Geistliche Lieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1584. Einbildungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1835. Typologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2146. Heiligmacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2347. Geist und Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

C. DREIFALTIGKEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

1. Beata Trinitas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2632. Taufe im Jordan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2863. Gnadenstuhl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3064. Drei Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

6

5. Himmel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3556. Bild und Spur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

SCHLUSS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397

1. Lapidarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3972. Noch offen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4023. Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

FARBTAFELN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

ABBILDUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405

ABKÜRZUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411

ANMERKUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

REGISTER. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

Inhalt

VORWORT

1. ANLAUF

„Ich will fortfahren in meinen Nachstellungen nach denbildhaften Wundern. Mehrere Leben bräuchte man, um ihren Zauber zu erschöpfen.“ Ph. Jaccottet1

„Das Werk eines mit jeder Stunde schwächeren Blicksist weder zu träumen noch Tränen hervorzubringen,sondern wie ein Hirte zu wachen, nach allem zu rufen,was verlorenginge, schliefe er ein.“ Ph. Jaccottet2

„mit GOTT Vater am rechten ärmel begeb ich michgetröstet auf diese weite reise;

mit GOTT SOHN am linken ärmel begeb ich michgetröstet auf diese weite reise;

mit GOTT HEILIGER GEIST zu häupten begeb ich michgetröstet auf diese weite reise;

drei sind ein einziger und ein einziger drei;o wahre, wunderbare HEILIGE DREIFALTIGKEIT, steh

mir bei in all den nöten, mühsalen und gefahrendes fremden lands“

Irisches Reisegebet3

2. ÜBERSICHT

Die Poetische Dogmatik ist zu ihrem siebten Band gelangt. Wie die Chri-stologie sich an die Zahl der kanonischen Evangelien hielt, so wird die Gotteslehre sich an den entsprechenden Vorgaben des Glaubensbekennt-nisses orientieren. Der vorliegende dritte Band wird also den Abschluß der Gotteslehre bilden.

8

Das sind Vorgaben des Takts, nicht des Inhalts. Wie die Christologie nicht sozusagen Lesejahre nach Matthäus, Markus, Lukas, Johannes ab-bildete, so sind auch die drei Bände der Gotteslehre nicht nacheinander Vater, Sohn und Geist gewidmet. Die Titel lauten vielmehr „Orte“, „Na-men“, „Bilder“. Der erste meint eine Art Topik des Redens von Gott, der zweite eine Semantik, und unter dem dritten könnte man eine Ikonik verstehen. Das sind Flaggen über Kreuzfahrten, in denen es immer um das weite Meer der Gottheit insgesamt geht. Die scholastisch übliche Un-terteilung in einen Traktat De Deo uno und einen De Deo trino legte sich nicht nahe, weil in der christlichen praxis pietatis doch beides unentwegt ineinander geht. Wenn es im ersten Band also darum ging, den vielfältigen Sitz im Leben des Redens von Gott zu erkunden, und im zweiten, die la-byrinthische Sprachwegung zu besprechen, die sich an den Namen heftet, so verspricht der Titel des dritten Anschaulichkeit.

„Bild“ hat im Deutschen einen weiten Sinn. Es kann sich auf Vorstel-lungen und Darstellungen beziehen, Formen und Figuren meinen. Ein Moment von Anschauung und Anschaulichkeit, vielleicht auch Über-schaubarkeit („sich ein Bild von etwas machen“; „im Bilde sein“) spielt immer eine Rolle. Nun ist Anschaulichkeit als Merkmal der Quellen wie des Stils ein Proprium der Poetischen Dogmatik überhaupt. Trägt ein Band eigens den Titel „Bilder“, muß noch etwas mehr gemeint sein.

Der erste Teil, der unter der Überschrift „Gottheit“ steht, beginnt mit einer Erörterung des Bilderverbots und spricht dann von Erscheinungen, Figuren, Zeichen. Damit ist das Grundthema angegeben. Es geht um die Sichtbarkeit Gottes, um die Sichtbarkeit (oder Unsichtbarkeit) des Un-sichtbaren, um Vision und Visualisierung Gottes und den damit verbun-denen Widerstreit.

Der zweite Teil scheint aus der damit eröffneten Thematik jedoch gleich wieder herauszufallen. Wenn wir mit „Geist“ etwas verbinden, so ist es Unsichtbarkeit. „Geist“ assoziiert „Begriff“ im Gegensatz zu „An-schauung“, liegt nahe beim Gedanken und seiner sprichwörtlichen Bläs-se, verbindet sich mit Seele und Innerlichkeit im Gegensatz zu Sinnlich-keit und Materialität. Eben diese Fremdheit reizte nun aber gerade dazu, statt sich ihr zu fügen, sie zu bearbeiten, „Geist“ also in die Perspektive der Bilder zu stellen. Natürlich geht es hier im Rahmen der Gotteslehre um den Heiligen Geist. Die Pneumatologie von der Seite der Anschauung her anzugehen, ist in der Geschichte dieses theologischen Traktats nicht eben üblich4, also ein Weg in ungesichertes Gelände. Sie bildlogisch zu traktieren, konnte aber nicht bedeuten, sich auf die Ikonographie des Hl. Geistes zu beschränken. Diese bliebe ein unverständlicher Torso,

Vorwort

9

wenn man sie nicht einbettete in die Frömmigkeit und Liturgie, die ihr Biotop sind.

Was in der Christologie und dann auch in den ersten beiden Bänden der Gotteslehre immer schon mitlief, drängt mit dem Kapitel über den Hl. Geist endgültig zur thematischen Behandlung, daß das christliche Reden von Gott einen trinitarischen Lauf hat. So ist der dritte Teil dieses Bandes der Dreifaltigkeit gewidmet. Und wieder stellt sich, wie beim Geist, ja fast noch mehr, die Frage, was die „Dreifaltigkeit“ denn ausgerechnet unter das Dach der „Bilder“ bringe. Das trinitarische Dogma erscheint geradezu als Inbegriff abstrakter Spekulation, das dazugehörige Fest als notorisch „farblos“5. Aber auch hier war gerade dies der Anlaß, eben das zu versuchen, was dem normalen Trinitätstraktat eher fernliegt6, nämlich die Sache von der Bildseite her anzugehen. An der Entwicklung der trini-tarischen Ikonographie wird die religionsphänomenologische Besonder-heit des christlichen Monotheismus und das hohe Risiko, das er mit seiner trinitarischen Wendung auf sich genommen hat, am schärfsten sichtbar. Dem ist nicht durch Gewährung mildernder Umstände an Volksfrömmig-keit und künstlerische Phantasie auszuweichen, es ist vielmehr zu verhan-deln, und zwar, wie beim Geist, im Kontext von Liturgie und Spiritualität. Sollen Bilder als eigene Quelle der Erkenntnis zur Geltung kommen, verlangen sie freilich die gleiche analytische Sorgfalt wie die Texte.

So hat der dritte Band der Gotteslehre drei Teile, die ihrerseits in einer Art Dreiertakt sich bewegen, was nur beim Hl. Geist, der Zahl seiner Ga-ben entsprechend, noch einen Schritt zugelegt hat.

Über die Entwicklung der von der Poetischen Dogmatik verfolgten Methode wurde in den Vorworten der früheren Bände fortlaufend Aus-kunft gegeben.7 So kann es hier genügen, das dort Gesagte im Blick auf die besondere Thematik dieses Bandes wissenschaftstheoretisch zu akzen-tuieren. Dogmengeschichtliche Darstellungen eines Traktats, der Pneu-matologie8, der Trinitätslehre9, sind unentbehrlich, will man wissen, was in einer bestimmten Sache bereits gedacht wurde und was noch zu bear-beiten ist. Wenn man aber das Überlieferte samt unübersehbar anwach-sender Sekundärliteratur nicht nur rekapitulieren, sondern als gegenwär-tig Denkwürdiges ausweisen will, bleibt nur der Weg der Selektion, das, wie W. Benjamin sagt, „Kontinuum der Geschichte aufzusprengen“10, um dies oder jenes, was einen daraus verheißungsvoll anblickt, auf seine heu-tige Fruchtbarkeit hin zu erproben und es mit anderem, aus welcher Zeit auch immer, in eine einleuchtende, die Erkenntnis fördernde Konstella-tion zu bringen.

2. Übersicht

10

Neben der dogmengeschichtlichen Diachronie begegnet in der theo-logischen Produktion das, was man „systematische Entwürfe“ nennt. Ver-steht man „unter einem System die Versammlung einer Fülle von Sätzen unter der Einheit einer zentralen Hinsichtnahme, die diese Sätze als Tei-le eines Ganzen ausweist“11, so sind der „Ansatz“ („die Einheit eines Grund-gedankens“12) und die logische Kohärenz des Ganzen die bestimmenden Größen. In dieser Gattung des systematischen Traktats begegnen in der heutigen theologischen Szene z.B. Trinitätslehren mit einem „communi-alen“13 oder einem „synergetischen“14 Ansatz. Auch sie ziehen die Über-lieferung bei, aber so, daß sie sie nicht sukzessiv referieren, sondern in die Entwicklung ihres jeweiligen Ansatzes einfügen, als Kronzeugen oder gegebenenfalls auch als Adversarii. Die Entschiedenheit und Folgerungs-dichte solcher Entwürfe entspricht dem, was von der Theologie als kon-fessorischem Unternehmen gemeinhin erwartet wird.15 Mit dem entschie-denen Ansatz und seiner konsequenten Durchführung verbindet sich die Prätention von Wahrheit. Wer solcherweise Position bezieht, sucht und findet zumeist auch Anhänger. Ansätze sind schulbildend. Daß Schulen sich zu Häresien versteifen können, ist theologiegeschichtlich nicht un-bekannt. Im Wesen eines Ansatzes liegt es, daß er eine Setzung ist, eine folgenreiche, und manchmal läßt die eindrucksvolle Stringenz der Durch-führung die Kontingenz ihrer Prämissen vergessen: „verkappte Individua-lität“16.

Pneumatologie und Trinitätslehre der Poetischen Dogmatik haben, wie diese insgesamt, keinen einheitlichen Ansatz, was als Mangel an „beslis-sing“17, d.h. ethischer oder dogmatischer „Entschiedenheit“ auch schon angemerkt wurde. Die Punktualität eines Ansatzes ist durch ein Feld von Stützpunkten ersetzt, durch das Vertrauen auf durchaus heterogene Stük-ke der Überlieferung, Liturgien und Lieder, Gebete und kurze Geschich-ten, Bilder der Kunst und weltliche Poesien, deren Prägnanz Sinn und Halt verspricht. Bewährung außerhalb des akademischen Diskurses im engeren Sinne ist dabei ein Kompaß der Zuneigung und Auswahl.

Wie das Heterogene sich dann zusammenfügt, ist nicht von vornherein ausgemacht. Es ist eine Sache des Experiments. Die am Ende gefundene Anordnung der Teile ist nicht zwingend im Sinne konsequenter Entfal-tung und Rechtfertigung eines zugrundeliegenden Konzepts. Sie ist aber auch nicht beliebig. Wie in einer gelungenen Ausstellung soll über den tragenden Zeugnissen der Überlieferung ein Freiraum des Denkens er-stellt werden.

Eine mittlere Traufenhöhe der Gedankenführung ist damit schon vor-gegeben, zu deren näherer Bestimmung man auch eine kleine Anekdote

Vorwort

11

heranziehen kann, die sich in der Legenda aurea findet. Zum Fest des Hl. Augustinus steht da unter allerlei erbaulichen Geschichten auch die fol-gende, über die Bedeutung des Kirchenvaters für die Trinitätstheologie wohlinformierte zu lesen:

„Man erzählt auch, daß ein heiliger Mann im Geiste entrückt ward und die Hei-ligen schaute in der Glorie; da sah er Sanct Augustinum nicht. Er fragte einen anderen Heiligen, wo er wäre, der antwortete ‚Augustinus thront in der Höhe, da disputiert er über die Glorie der heiligen Dreieinigkeit‘.“18

Träumte einem heiligen Mann die Geschichte heutigentags, so könnte ihm dabei als einziger moderner Theologe wohl nur der spät noch zur Ehre eines Kardinals der römischen Kirche erhobene Hans Urs von Balthasar einfallen, der seinem Schrifttum zufolge wie kein zweiter in die Mysterien des trinitarischen Heilsplans eingeweiht zu sein scheint. Davon ist die Poetische Dogmatik weit entfernt. Wenn sie hier und da mit der „Theologischen Ästhetik“19 von Balthasars in Beziehung gebracht wurde20, so können die Affinitäten der Prädikate „ästhetisch“ und „poetisch“ dazu einen gewissen Anlaß geben, aber der Initiationsgrad ist doch sehr ver-schieden. Im Souterrain mit den kleinen Büchern zu hantieren, die Li-turgie und Frömmigkeit und weltliche Poesien, an die Bibel angelehnt, hervorzubringen pflegen, und mit Reproduktionen von Bildern, wie sie in Kirchen und Museen aufbewahrt werden, produziert eine andere Art von Wissen als das immerwährende Gespräch der großen Geister in den hohen Räumen der Beletage.

3. VORGESPRÄCH

„Gelegentlich habe ich das Wort für ‚GOTT‘ (Dieu) als D’yeux (‚mit Augen‘, ,von Auge‘) geschrieben, um zu verdeutlichen, wie groß die Versuchung ist, mit den Augen, von Auge nach Gott zu forschen. Denn Gott stellt doch, nicht wahr, die allerhöchste Anforderung an das Sehen.“

E. Jabès21

„also ich kann nur visuell denken.“ F. Mayröcker22

„ich glaube sehr fest an den heiligen Geist auch die Fittiche aber das ist mein Ge-heimnis, etc“

F. Mayröcker23

3. Vorgespräch

12

„Erlaubt ist bloß, über die vorletzten Dinge zu schreiben. Man schreibt dann über fast nichts. Man schreibt über die Flügel der Seraphim, die Gottes Antlitz bedek-ken.“

P. Strasser24

„Von Augustinus wird berichtet:Als er daran dachte, ein Buch über die Dreifaltigkeit zu verfassen, ging er einmal am Strand des Meeres und sah ein Kind, das eine kleine Grube am Strand gemacht hatte und mit einer Muschel Wasser aus dem Meer schöpfte und in die Grube schüttete. Als Augustinus das Kind fragte, was es da mache, antwortete es, daß es das Meer mit der Muschel ausschöpfen und in jene Grube schütten wolle. Als Au-gustinus sagte, daß das unmöglich sei und die Einfalt des Kindes verspottete, antwortete ihm jenes Kind, es erscheine ihm leichter zu vollbringen als dem Augu-stinus, auch nur den kleinsten Teil der Geheimnisse der Dreifaltigkeit in seinem Buch auszulegen. Und damit verschwand das Kind. Augustinus aber demütigte sich daraufhin und verfaßte, indem er ein Gebet vorausschickte, das Buch über die Dreifaltigkeit, soweit er es vermochte.“

Acta Sanctorum25

„verlorenes suchenmit einem manne, der suchte und all das suchte, was er verloren hatte, bekam ein engel mitleiden und verwandelte ihn in ein kind. Da spielte er mit kleinen gegen-ständen, baute festungen aus sand und fand schöne steine.“

G. Rühm26

Vorwort

A. GOTTHEIT

1. BILDERVERBOT

Unter den Zehn Geboten ist das Bilderverbot das merkwürdigste. Im Memorierkanon der katholischen Katechismen heißt es:

„Ich bin der Herr, dein Gott. 1. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben! 2. Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren! 3. Gedenke, daß du den Sabbat heiligest! ...“1

Ein Bilder betreffendes Verbot ist da nicht vorgesehen. Das könnte eine katholisch-katechetische Besonderheit sein, aber in Luthers „Kleinem Ka-techismus“ ist es nicht anders:

1. Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir. 2. Du sollst den Namen des Herren, deines Gottes nicht unnütz gebrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht. 3. Du sollst den Feiertag heiligen…“2

Ist es also katholisch-evangelisches, somit christliches Gemeingut, von einem Bilderverbot gar nicht zu sprechen, jedenfalls dort nicht, wo es um die verbindliche Weitergabe der zentralen Glaubensgehalte an die näch-ste Generation geht? Doch wenige Seiten nach Luthers „Kleinem Kate-chismus“ findet sich im kirchenoffiziellen „Evangelischen Gesangbuch“ unter den „Bekenntnissen und Lehrzeugnissen der Kirche“ der „Heidel-berger Katechismus“ wo es unter der Frage 92 heißt:3

„Wie lautet das Gesetz des Herrn?

Gott redete alle diese Worte:Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt habe.Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.

14

Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligst...“

Da steht in gehöriger Breite an zweiter Stelle ein Bilderverbot, schiebt sich zwischen das Fremdgötter- und das Namensmissbrauchsverbot, verschiebt die übliche Zählung, so daß das bekannte sechste dann auch das siebte wird und am Ende das Begehren von Haus und Weib in ein Gebot gefaßt ist. Der Text ist erkennbar ausladender als die oben aus katholischer und lutherischer Tradition zitierte Kindeskürze. Er ist bibelnäher, ja er ist schlicht das wörtliche Zitat von Ex 20,1-17.

Der Heidelberger Katechismus von 1563, der hier das Bilderverbot so eindringlich und einschneidend zur Geltung bringt, repräsentiert im kon-fessionellen Spektrum der Christenheit die reformierte Tradition. Daß der alttestamentliche Text ohne Abstriche in die christliche Katechese übernommen wird, könnte man dem Biblizismus dieser Tradition zu-schreiben, der die Schrift auch alttestamentlich ad verbum zur Norm nimmt. Luther hielt sich in seiner Dekalogfassung an die aus dem Mittel-alter überkommene katechetische Tradition, die das Bilderverbot nicht vorsah. Aber es ist wohl auch seine Auffassung vom Dekalog selbst, die ihn in diesem Fall an der Überlieferung festhalten ließ, daß er nämlich als Konzentrat der lex naturalis zu gelten habe, als die Summe des natürlichen Sittengesetzes, das alle Menschen ebenso verpflichte wie der Sünde über-führe.4 Das Bilderverbot des biblischen Textes konnte, so gesehen, unter die Kategorie des jüdischen Zeremonialgesetzes fallen, ein Gebot nach Art der zahlreichen Kultvorschriften des mosaischen Gesetzes, die christ-lich nicht mehr zu urgieren waren.

So aber sah es Andreas Bodenstein von Karlstadt durchaus nicht, als er 1522 mit einem in Wittenberg angefachten Bildersturm den auf der Wart-burg zurückgezogenen Luther in Verlegenheit brachte. Das Bilderverbot aus Ex 20,4-6 galt ihm noch aufs Wort und war strikt anzuwenden. Die propagierte Reform des Gottesdienstes betraf nicht nur die Riten der Messe und der Sakramente, sondern auch das Gotteshaus und seine Ein-richtung. So heißt es dezidiert am Anfang seiner Kampfschrift „Von Abtu-hung der Bilder“: „Das wir bilder in Kirchen und gots heußern haben / ist unrecht / und wider das erste gebot. Du sollst nicht frombde gotter haben.“5 Am schlimmsten ist, daß die Bilder, die durchgängig „Ölgötzen“ heißen, auf den Altären stehen, denn: „die altahr seind deshalb erfunden / das man uff yhn gottis nahme soll anruffen / yhme uff yhn allein opffer / un ehre geben soll.“6 Die pure Stellung der Bilder an solchen Orten macht sie bereits greulich.

A. Gottheit

15

Karlstadt subsumiert das Bilderverbot dem Fremdgötterverbot so, daß das Bild den Götzen macht. Es ist ganz unerheblich, was die Bilder dar-stellen, ob Baal und Astarte, oder Christus und Maria, ob heidnische Götter oder christliche Heilige, es sind Götzen. Der Ort macht sie dazu, das Gotteshaus und der Altar als Stelle der Gottesverehrung. Was da auf-gestellt wird als Bildwerk ist, unabhängig vom Bildgegenstand, per se und als solches Götzenbild und so wider Gottes Gebot. Das Argument ist nicht semantisch, also darauf bezogen, wen oder was das Bild repräsentiert, sondern topologisch und funktional.

Dies konnte man nun so denken, daß Bilder, wo sie nicht als Kultobjekt aufgestellt sind, in den Kirchen unbeanstandet bleiben könnten. Aber bei Karlstadt weitet sich die gezielte Idolkritik zur Ikonophobie. Er geht fron-tal auch die tausend Jahre alte abendländische Bildermaxime Papst Gre-gors des Großen an, dergemäß die Bilder „der leyen bucher seind“7. Nein, die Bilder sind keine Lehrbücher des christlichen Glaubens für die lese-unkundigen Laien. Bilder sind stumm und taub, „konden weder sehen noch horen, weder lerne oder leren. Un deute / auff nichts anders dan uff lauter und blos fleisch das nicht nutz ist“8. Weil nur das Wort Gottes geistlich und darum allein den Gläubigen nütze ist, muß man die bilddi-daktische Maxime Gregors als päpstliche List durchschauen, die Laien von der freimachenden Erkenntnis der Wahrheit abzuhalten. „Sye haben vermerckt / wan sie die Schefflin / yn die bucher furtten / yhr grempell marckt wurd nichst tzunehmen.“9

Gott will keine Bilder, überhaupt nicht, weder als Ehr- noch als Lehrbil-der. Karlstadt will eine reine weiße Kirche. Es ist das Pathos des einen, bildlosen Gottes, dem man im geistigen Wort allein die Ehre erweist. Und weil dies so gottesernst ist, dürfen die Bilder auch nicht länger in Gottes Haus bleiben. Das Verbot, Bilder zu verehren, ja sie überhaupt im Gottes-haus zu haben, hat denselben Rang wie die übrigen zehn Gebote: „Ich sage dir das got bilder nit weniger / noch mit kleynerem fleyß verbotten hat / dann todschlahen / stelen / raube / ehebrechen / und der glei-chen.“10 Es ist höchste Zeit, daß sie abgetan werden. Und wenn die dazu durch Gottes Gesetz verpflichtete Obrigkeit nicht unverzüglich bereit ist, dürfen und müssen es die wahren Christen übernehmen. „Darumb ists gut / notlich / loblich / das wir sie abthun / un ire recht und urteil der schrifft gebe.“11 Karlstadt ist ein Radikaler im öffentlichen Gottesdienst. Das Bilderverbot duldet kein Ausweichen in funktionale Differenzierun-gen. Bilder sind heidnischer Krempel.

In Karlstadts Ausweitung des Bilderverbots von einem Verehrungsgebot zu einem Darstellungsverbot geht die funktionale Argumentation in eine

1. Bilderverbot

16

substantiale über. Die prophetische Polemik gegen die toten Holzgötzen, die nicht reden und hören können, wird im Blick auf die zeitgenössischen Ölgötzen novelliert. Der neutestamentliche Topos ist Joh 4,24: „Item chri-stus spricht dz got ein geist ist. Alle die got warhafftiglich anbete / die bete got ym geist an.“12 Und es ist die johanneische Antithese von Geist und Fleisch, die das Urteil formiert: „Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch nützt nichts“ (Joh 6,63). Die Bilder sind in Karlstadts Augen auf der Seite des Fleischs, sie bleiben ganz im Irdisch-Materiellen, im Ergötzen an der sinnlichen Oberfläche der Dinge („sie wellen lieber lesen. Wie Christus gehange hat. Dan warumb er gehenckt ist.“13). In die Welt des Sinns und des Geistes kann man durch materielle Bilder, so kunstvoll sie sein mögen, nicht gelangen. Nicht anders als die alttestamentlichen Pro-pheten im Blick auf die Bilder der Heiden macht Karlstadt im Blick auf die christlichen einen scharfen medialen Schnitt. Das Wort ist das alleini-ge Organ von Geist und Sinn, und zwar nicht nur die viva vox der Predigt, sondern auch die der Lektüre der Bücher, der Hl. Schrift, die die Laien aus der Unmündigkeit der klerikal verwalteten Bilderwelt zur Anbetung Gottes im Geist befreit.

Die Abschaffung der Bilder ist für Karlstadt um 1500 der epochale Bil-dungsschritt zur allein schriftgemäßen Anbetung Gottes im Geist. Karl-stadts Schrift „Von Abtuhung der Bilder“ gibt, theoretisch wie praktisch, die Leitlinie ab für das, was in der Folgezeit von Zürich und Genf her in dieser Sache gedacht und unternommen wird. Für Zwingli ist „die Sphäre des Heiligen als solche zugleich die Sphäre des Geistig-Innerlichen, die zu allem Sinnlichen in Gegensatz steht“14. Und das ist auch der Grundge-danke Calvins, daß „die Geistigkeit Gottes nur eine geistige, nicht bildlich vermittelte Gotteserkenntnis zulasse und dementsprechend auch einen bildlosen, geistigen Gottesdienst erfordere.“15 Die schweizerische Refor-mation, die dann ausgreift ins Elsaß, nach Frankreich, Deutschland, in die Niederlande, nach England usw., betrachtet und behandelt die christli-chen Bilder als Götzen, die nach dem großen Vorbild der ikonoklastischen Könige Hiskia und Josia von Jerusalem (vgl. 2 Kön 18,3-6; 23,4-20) nicht nur zu entfernen, sondern auch notfalls zu zerstören sind: Bilderstürme im Gehorsam gegen Gottes Wort.16

Die Schlußmahnung des 1. Johannesbriefs „teknia, phylaxete apo tōn ei-dôlôn“ hieß konkret: „Kinder, hütet euch vor den Bildern“ (1 Joh 5,21). Das ist auch die katechetische Devise der reformatorischen Katechismen, vorab des „Heidelberger Katechismus“, wo es zur Erläuterung des 2. Ge-bots heißt 17:

A. Gottheit

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„Frage 96Was will Gott im zweiten Gebot?Gott will, daß wir ihn in keiner Weise abbilden noch ihn auf irgendeine andere Art verehren, als er es in seinem Wort befohlen hat.Frage 97Darf man denn gar kein Bild machen?Gott kann und darf in keiner Weise abgebildet werden. Die Geschöpfe dürfen ab-gebildet werden, aber Gott verbietet, Bilder von ihnen zu machen und zu haben, um sie zu verehren oder ihm damit zu dienen. Frage 98Dürfen denn nicht die Bilder als ,der Laien Bücher‘ in den Kirchen geduldet werden?Nein; denn wir sollen uns nicht für weiser halten als Gott, der seine Christenheit nicht durch stumme Götzen, sondern durch die lebendige Predigt seines Wortes unterwiesen haben will.“

Luther ist gegen den von Karlstadt in Wittenberg 1522 initiierten Bilder-sturm eingeschritten. In seiner Schrift „Wider die himmlischen Prophe-ten, von den Bildern und Sakrament“18 hat er sich eingehend mit Karl-stadts Argumenten befaßt. Es läuft, kurz genommen, auf vier Argumente hinaus.

Die beiden ersten sind von prinzipieller Art. Leidenschaftlich wendet Luther sich gegen den hier aufbrechenden rottisch-schwärmerischen Geist. Wenn etwas zu reformieren ist, und das gilt auch für die Bilder, dann hat das durch die ordentliche Obrigkeit zu erfolgen und nicht durch den Tumult des Pöbels. Das zweite Argument betrifft die Rolle, die im Abtun der Bilder dem äußeren Werk zugesprochen ist. Wenn das Abtun der Bilder zum gebotenen Gesetz gemacht wird, das Stehenlassen also zur Sünde deklariert wird, dann ist das eine Werkgerechtigkeit, die sich vom papistischen Bilderkult letztlich nicht unterscheidet. Für Luther kommt alles darauf an, im Sinne des 1. Gebots die Götzen aus dem Herzen zu reißen. Dann werden die, die dem rechten Gott mit ihrem Herzen anhan-gen, von selbst die Bilder fahren lassen, oder wenn sie bleiben, können sie nicht schaden; der Schlange ist das Gift entzogen.

Die beiden anderen Argumente Luthers zielen auf eine Differenzie-rung im Bildergebrauch gegen Karlstadts pauschale Verbannung der Bil-der aus der Kirche. Luther unterscheidet zunächst mit alttestamentlichen Exempeln zwischen Anbeten und Gedenken. Mit dem Bilderverbot ge-meint ist das Anbeten von Bildern. Aber Bildwerke, die zum Zeugnis oder Gedächtnis errichtet wurden, sind nicht nur nicht verboten, sondern so-gar sinnvoll. Und was für Malsteine und Altäre im Alten Testament gilt, das gilt nicht minder für die christlichen Bilder. „Denn die gedenck bilder

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oder zeugen bilder, wie die crucifix und heyligen bilder sind“, sind „wol zu dulden... und nicht alleyne zu dulden, sondern weyl das gedechtnis und zeuge dran weret, auch löblich und ehrlich“.19 Luther nimmt hier die alte bildtheologische Kategorie der „memoria / anamnesis“ auf, versteht sie aber doch wohl anders als die ältere, neuplatonische Bildtheologie, für die der Akt der Bilderverehrung selbst ein Akt der Anamnese ist, des anamnetischen Aufstiegs vom sinnlichen Bild zum geistigen Urbild. Lu-ther, der Gedenken ja gerade vom Verehren unterscheiden möchte, denkt dabei eher an die Zeitüberbrückungsleistung, die etwas, was als Vergan-genes aus dem Gedächtnis zu schwinden droht, präsent hält. Wo solcher-art Gedenkcharakter bei Bildern hoffnungslos überlagert ist vom Bilder-kult, wie an den Wallfahrtsorten, hält er eine Abtuhung der Bilder – freilich unter obrigkeitlicher Aufsicht – für dringend geboten.

Das vierte Argument geht auf Karlstadts Ablehnung der Bilder als der Laien Bücher ein. Luther nimmt die Erörterung mit einem argumentum ad hominem auf. Er habe festgestellt, daß nicht wenige der Schwärmer seine, Luthers, neue Bibelübersetzung gebrauchten; die aber sei mit Bil-dern Gottes und von Engeln, Menschen, Tieren wohlbestückt. Warum aber sollte man solche Bilder nicht auch an die Wände malen, wo sie doch so wenig schaden wie in den Büchern? Ja, ist es nicht besser, biblische Geschichten an die Wände zu malen, als irgendwelche unverschämte ir-dische Sachen? Und wäre solche in- und auswendige Bemalung der Häu-ser nicht ein christliches Werk? Luther dehnt hier also den Bereich der Lektüre von den Büchern und ihren Illustrationen auf die Wände aus. Und dann faßt er den Vorgang der Lektüre selbst ins Auge. Der Vorgang des Lesens ruft Imaginationen hervor: „Soll ich aber horen odder gedenk-ken, so ist myrs unmüglich, das ich nicht ynn meyn hertzen sollt bilde davon machen, denn ich wolle, odder wolle nicht, wenn ich Christum hore, so entwirfft sich ynn meym hertzen eyns mans bilde, das am Creut-ze hanget.“20 Wenn aber nun das Herz als das eigentliche Glaubensorgan selbst Bilder hervorbringt, warum sollte es dann Sünde sein, wenn man das innere Bild auch äußerlich vor Augen hat? Zwischen Imagination und Illustration ist kein glaubensrelevanter Unterschied.

Ist der Kern der reformierten Bildtheologie „spiritualistisch“(„Gott ist Geist“), könnte man den der lutherischen „kardiologisch“ (Gott ist, „wor-an du dein Herz hängest“21) nennen. Weil sich die Unterscheidung zwi-schen Gott und Götze am rechten Glauben des Herzens festmacht, sind die Bilder als solche weder gut noch böse; es sind „freie Stücke“, „Adia-phora“, die erst zu Götzen werde, wenn man von ihnen, ihrer Stiftung und Verehrung etwas erwartet, was man nur von Gott allein erwarten darf. So

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fällt für Luther das Bilderverbot ganz unter das 1. Gebot des Dekalogs und bedarf keiner eigenen Position.

Die katholische Dekalog-Überlieferung stimmt in dieser Hinsicht mit Luther überein. Katholische Theologen wie J. Eck22 und H. Emser23 haben wie Luther alsbald gegen Karlstadts ikonoklastische Thesen Einspruch erhoben. Offizielles Dokument der katholischen Position ist das Bilder-dekret, das das Trienter Konzil auf seiner allerletzten Sitzung (1563) ver-abschiedete.24 Der Anstoß kam aus dem schon von calvinistischen Bilder-stürmen heimgesuchten Frankreich. Die französischen Bischöfe drängten auf eine Stellungnahme und der Text, den das Konzil dann in letzter Minute ohne große Diskussion verabschiedete, basierte auf einer Vorlage, die aus der Pariser Theologischen Fakultät stammte. Im Visier des Dekrets steht der hugenottische Calvinismus, nicht Luther.

Das Trienter Konzil stellt mit der auf Gregor d. Gr. sich berufenden, von Luther festgehaltenen abendländischen Tradition vor allem den re-ligionspädagogischen Nutzen der Bilder heraus: „Das mögen die Bischö-fe sorgfältig lehren: Durch die in Bildern oder anderen Gleichnissen ausgedrückten Geschichten von den Geheimnissen unserer Erlösung wird das Volk darin belehrt und bestärkt, die Glaubensartikel zu erinnern und beständig zu bedenken“, was nicht bloß als intellektueller Akt verstanden wird, sondern auch als affektive Anregung zu einem frommen und sittli-chen Leben („ad sanctorum imitationem vitam moresque suos componant, exci-tenturque ad adorandum ac deligendum Deum, et ad pietatem colendam“). Der schon von Thomas v. Aquin herausgestellte dreifache Zweck der religiösen Bilder (instructio, memoria, devotionis affectus)25 gibt auch die religionspäd-agogische Leitlinie des Konzils ab.

Zusätzlich, und darin geht die katholische Position nun über die Lu-thers doch hinaus, spricht das Konzil auch von Bilderverehrung: „Bilder Christi, der jungfräulichen Gottesmutter und der anderen Heiligen soll man vor allem in den Kirchen (in templis) haben und beibehalten und ihnen die schuldige Ehre und Verehrung erweisen.“ Das ist direkt gegen die calvinistischen Ikonoklasten gerichtet, die die überkommenen Bilder als Götzenbilder schmähten, aus den Kirchen verbannten und zerstörten. Wenn das Dekret hier den Ausdruck „in templis“ gebraucht, so insistiert es ausdrücklich darauf, daß die Bilder nicht nur Sache einer privaten Haus-frömmigkeit sind, sondern legitimer Bestandteil des öffentlichen christli-chen Kults. Man darf sie nicht nur als Lehrbilder des Glaubens nehmen, sondern auch an heiliger Stätte verehren, indem man sie küßt, das Haupt entblößt, niederkniet (quas osculamur et coram quibus caput aperimus et pro-cumbimus). Um den calvinistischen Anwurf zu parieren, ebendies sei ge-

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nau das, was in der Hl. Schrift als Götzendienst angesehen werde, wird als Kautele gleich hinzugefügt, „nicht als ob man glaube, es sei in ihnen etwas Göttliches oder eine Kraft (divinitas vel virtus), deretwegen sie zu verehren seien, oder weil von ihnen etwas zu erbitten sei oder weil Vertrauen (fidu-cia) in die Bilder zu setzen sei, wie es einst bei den Heiden geschah, die ihre Hoffnung (spem) in Götzenbilder (idolis) setzten.“ Der grundlegende Aspekt dieser Definition heidnischer Idololatrie, von der man die christ-liche Bilderverehrung zu unterscheiden habe, findet sich schon beim Hl. Thomas, wo es von den gentes heißt: „adorabant ipsas imagines ut res quasdam, credentes in eis aliquid numinis esse“.26 Es ist der Glaube, den Bildern als materiellen Gegenständen wohne eine numinose Energie inne, deretwe-gen sie sowohl als Objekt der Verehrung wie als wunderkräftige Hilfsmit-tel (von mirabiles effectus spricht der Hl. Thomas) zu gebrauchen seien. Idololatrie ist abergläubische Materialmagie.

Die den christlichen Bildern gewidmete Verehrung ist, dem Trienter Konzil zufolge, das sich hier ausdrücklich dem 2. Nicaenum anschließt, kein Götzendienst, weil die Bewegung des Geistes im Akt der Verehrung durch die Bilder als materielle Dinge hindurchgeht: „die Ehre, die ihnen erwiesen wird, bezieht sich auf die Urbilder (prototypa)“, und dementspre-chend differenziert sich auch der Bilderkult nach der Dignität des Bild-gegenstandes: „Christus beten wir an (adoremus), die Heiligen, deren Gleichbild (similitudinem) sie (die Bilder) präsentieren, verehren wir (ve-neremur).“ Die Reverenz folgt der Referenz, nicht der Potenz des Bildes.

Die calvinistische Unterstellung, daß es sich bei der katholischen Bil-derverehrung um krude Magie handele, scheint damit abgewiesen, und das Konzil ermahnt die Bischöfe eindringlich, alle in der kirchlichen Praxis eventuell eingesickerten abergläubischen Missbräuche (superstitio, abusus), die den calvinistischen Verdacht nähren könnten, auszurotten.

Die konziliäre Relativierung der numinosen und mirakulösen Potenz der Bilder suchte, unter Schonung der Bildwerke selbst, dem von den Calvinisten aufgestellten Postulat der „Anbetung Gottes im Geiste“ zu entsprechen. Aber mit dem Bilderverbot verband sich im Gefolge des 1. Gebots nicht nur die Konnotation der Materialität, sondern auch die der Pluralität, im Medium der Bilder viele Götter zu haben neben dem einen. In der Projektion auf die Religionsszene um 1500 waren die christlichen Heiligen in die Position der im Heilshaushalt mit dem einen Gott und dem einen Heilsmittler Jesus Christus konkurrierenden Götzen geraten. In dieser religionskritischen Diagnose waren Luther27 und die schweizeri-sche Reformation bei allen Unterschieden in der Bildbehandlung sich einig. Diesem gemeinreformatorischen Gravamen entsprechend, wird die

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Bilderfrage dann auch im Trienter Konzil unter dem Generalthema der Heiligenverehrung behandelt. Heiligenbilder zu haben, konnte auch im Rahmen der gemäßigten Referenztheorie des Konzils nur legitim sein, wenn man in der Verehrung der Heiligen nicht de facto andere Götter neben dem einen hatte. Die These des Konzils ist inklusiv, d.h. sie schließt die Heiligen nicht aus dem gott-menschlichen Heilsverkehr aus, sondern in ihn ein: „Es ist gut und nützlich, sie inständig anzurufen und zu ihren Gebeten, zu ihrer Macht und Hilfe Zuflucht zu nehmen, um von Gott durch seinen Sohn Jesus Christus, unseren Herrn, der allein unser Erlöser und Heiland ist, Wohltaten (beneficia) zu erlangen.“ Dem alten Adagium „bonum est diffusivum sui“ entsprechend, wird das höchste Gut, der eine Gott, als reine Mitteilsamkeit gefaßt, die sich und ihre Wohltaten (benefi-cia) in gestufter Folge durch Christus und dann auch durch die Heiligen mitteilt. Weil das summum bonum neidlos diffusiv ist, empfindet es die Heiligen nicht als Konkurrenten, sondern als Kooperanten. So ist auch die Verehrung der Bilder der Heiligen nicht Idololatrie, sondern, jeden-falls implizit, Vehikel der Anbetung des einen Gottes. Was die Reformato-ren als polytheistische Konfusion des christlichen Monotheismus attak-kierten, wird hier als polymorphe Diffusivität der überströmenden Gnade des einen Gottes verteidigt.

Dogmatische Selbstdefinitionen bilden nicht einfach die Realität einer Religion oder Konfession ab. Gerade für die nachtridentinische Zeit, den Barock der sog. Gegenreformation, fragt sich, ob hier nicht in der katho-lischen Bildpraxis der Numinosität, der divinitas und virtus der Bilder eine sehr viel größere Rolle zukommt, als das Konzil es auf den Spuren des Hl. Thomas zugestehen möchte, und zwar im doppelten Sinne einer gestei-gerten Numinosität der Gnadenbilder, all der großen und kleinen wun-dertätigen Wallfahrtsbilder, die die barocke Frömmigkeit prägen, wie der großen Kunst (eines Rubens z.B.), die dem Ruhm der Heiligen eine über-wältigende Macht verleiht, Numinosität, die im Sinne des wunderbaren Nicht-von-Menschenhand-Gemachten wie des ebenso in wunderbarer Steigerung der Artifizialität Von-Menschenhand-Gemachten über die nüchterne Rationalität purer Referenz weit hinausgeht.

Der vom Trienter Konzil gegen den Idololatrie-Verdacht abgesicher-te Heiligen-, insbesondere Marienkult wurden in der konfessionellen Konkurrenz der folgenden Jahrhunderte nicht etwa gedämpft, sondern eigens forciert. Die vom Konzil eingesetzte doktrinelle Hauptsicherung und die den Bischöfen übertragene externe Kontrolle ließen der fides implicita einen weiten Spielraum. Was in seiner überbordenden Poly-morphie wie polytheistisches Gewusel aussehen mochte, war nichts an-

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deres als die heilsmitteilungsfreudige Erscheinung der einen Gottheit selbst.

Sosehr das Konzil von Trient die Verehrung der Bilder verteidigte, der Akzent lag gewiß eher auf der Betonung des pädagogischen Nutzens. Der in dieser Funktionalität mit Luther jedenfalls gefundene Konsens hatte jedoch de facto weitreichende ikonographische Konsequenzen. Werden Bilder, buchanalog, als Lehrstücke gefaßt, von denen das Konzil ausdrück-lich verlangt, „ut nullae falsi dogmatis imagines et rudibus periculosi erroris oc-casionem praebentes statuantur“ („daß keine Bilder aufgestellt werden, die falsche Dogmen darstellen oder einfachen Leuten Anlaß zu gefährlichen Irrtümern geben“), dann wird die Kontrolle der religiösen Imagerie zu einer lehramtlichen Aufgabe. Das Bilderverbot bezieht sich dann nicht auf die Frage, ob man überhaupt Bilder von Gott machen darf, sondern daß man sich die richtigen, d.h. der orthodoxen Lehre entsprechenden macht. Die Erörterung des Dreifaltigkeitsbildes wird zeigen, welche theo-logischen Probleme dabei ins Spiel gekommen sind.

Die reformatorische Neuentdeckung des biblischen Bilderverbots hat seine christliche Brisanz offengelegt. Die Folgen für die Weise des Gottes-dienstes wie für die kulturelle Entwicklung des neuzeitlichen Christen-tums überhaupt waren beträchtlich. Im Zuge der neueren interkonfessio-nellen Akkomodation ist vieles davon verschwunden, wird aber vielleicht auch nur um des lieben Friedens willen latent gehalten. Wenn man nach der Aktualität des Bilderverbots in der Gegenwart fragt, so scheint sie sich auf zwei Gebieten zu stellen. Zum einen ist es die religionsgeschichtliche Frage nach der Genese und weltanschaulichen Struktur des Monotheis-mus und der Rolle, die dabei das Bilderverbot spielt. Zum anderen ist es die Ausweitung einer primär auf bestimmte Kultsachverhalte bezogenen Norm auf epistemische, ästhetische, ethische Sachverhalte allgemeinerer Art. Beide Tendenzen können im vorliegenden Zusammenhang nur in begrenztem Umfang betrachtet werden.

In der Wetterecke der alttestamentlichen Wissenschaft, in der sich wis-senschaftsgeschichtliche und gesellschaftliche Entwicklungen oft zuerst theologisch zusammenbrauen, ist in den letzten Jahrzehnten des 20. Jh. das Monotheismusproblem zu einem besonderen Brennpunkt geworden. Im Zusammenhang einer Neugewichtung von altorientalischer Archäolo-gie / Ikonographie erhielt das ältere, im Raum der dialektischen Theolo-gie zugunsten der reinen Textrelevanz eher zurückgestellte Interesse an der Religionsgeschichte Israels erkenntnisleitende Bedeutung. Die gera-de von den ikonographischen (und epigraphischen) Zeugnissen her evo-zierte Frage nach dem hinter der biblischen Textwelt stehenden realen

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Verhältnis der Religionsausübung Israels zu dem seiner altorientalischen Umgebung, brachte das Monotheismus-Polytheismus-Problem nicht zu-letzt als Bilderfrage nach vorn. Im Blick auf das akute Verhältnis der drei großen monotheistischen Religionen untereinander wie auf die Frage moralisch-politischer Implikationen des monotheistischen Denkens und der damit verbundenen Visionen eines neuen, postchristlichen Polythe-ismus wuchs dieser wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung ein mehr als innerfachliches Interesse zu. Anders als um 1500 ist der Horizont der Bilderfrage um 2000 nicht kirchengeschichtlich-interkonfessionell, son-dern religionsgeschichtlich-interreligiös fokussiert.

Das im Textgefüge des AT an höchst prominenter Stelle der Sinaioffen-barung und des Bundesschlusses Jahwes mit Israel stehende Bilderverbot (Ex 20,4; Dt 5,8) wird seiner Formulierung nach in der frühdeuterono-mistischen Zeit angesetzt, d.h. erst die Zeit des beginnenden Exils scheint die religionsgeschichtlichen Bedingungen mit sich zu bringen, die die im Dekalog vorliegende Fassung herausgefordert haben.28 Die narrative Si-tuierung in der mosaischen Offenbarung wird dabei nicht als historische, sondern als normativ-ätiologische Auskunft angesehen.

Was aber wird nun, wenn man den einfachen Satz: „Du sollst dir kein Bild machen“ (Ex 20,4a; Dt 5,8a) als Urform annimmt, eigentlich verbo-ten? Das hebräische Wort päsäl meint, seiner etymologischen Herkunft nach, „etwas Gehauenes“, eine Steinskulptur, oder ein hölzernes Schnitz-bild, dies aber in der Funktion eines Kultbildes. „päsäl steht für das hand-werklich hergestellte Kultbild.“29 Es geht beim Bilderverbot also nicht um bildliche Darstellungen im allgemeinen oder um Kunst, und schon gar nicht um mentale Vorstellungen, was alles das weiträumige deutsche Wort „Bild“ ja zuläßt, sondern streng um materielle, eigens hergestellte Objek-te im kultischen Zusammenhang.

Der kurze Verbotssatz hebt die Intentionalität des Verfertigens hervor: „Du sollst dir (lecha) kein Bild machen.“ Es geht also in dieser Formulierung nicht darum, daß man etwas, was man schon vorfindet, übernimmt, son-dern daß man es eigens zu diesem Zweck produziert.

Da ein Bild, zumal ein Kultbild, immer das Bild von etwas ist, stellt sich die Frage, wessen Bild denn hier untersagt wird. Und da ist der Text des Bilderverbots in seiner heutigen Fassung nicht so eindeutig, wie es zu-nächst scheint. Er liegt Ex 20,4f und Dt 5,8f in zwei, voneinander leicht abweichenden Fassungen vor. Die Exodusfassung lautet:

„Du sollst dir kein Bild machen und keinerlei Gestaltweder dessen, was oben im Himmel,noch dessen, was unten auf der Erde,

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noch dessen, was in den Wassern unter der Erde ist.Du sollst nicht niederfallen vor ihnen und ihnen nicht dienen.Denn ich bin ein eifersüchtiger Gott...“

Der zweite Prohibitiv bindet in seiner pluralischen Form (ihnen) das Bil-derverbot eng an das vorausgehende Fremdgötterverbot: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“, Ex 20,7 (Dt 5,7). Verboten wäre also die innerisraelitische Herstellung von Bildern anderer Götter, wie sie die anderen Völker haben. Das Bilderverbot wäre „ganz im Schatten des Ver-botes der Fremdgötterei“30 zu sehen und als praktisch-kultische Ausfüh-rungsbestimmung des ersten Gebots mit diesem als Einheit zu betrach-ten.

Sieht man diesen zweiten Prohibitiv aber bereits als sekundäre Bearbei-tung an, so ist auch eine andere Lesart möglich, die das Bilderverbot als eigenständiges, zweites Gebot betrachtet, als Verbot nämlich, von Jahwe selbst sich Kultbilder zu machen, sich also, wie der Text dann ja auch ausführt, sich irgendwelche Phänomene der natürlichen Lebenswelt – Vo-gel, Fisch, Landtier, Mensch – zum Vorbild zu nehmen, um davon ein materielles Abbild zu verfertigen zum Kult für Jahwe. In dieser Interpre-tation würde es sich nicht um ein Fremdgötterbilderverbot, sondern um ein Jahwebilderverbot handeln. Das Verbot, Bilder fremder Götter anzu-fertigen und zu verehren, könnte als solches ja noch offen halten, ob der Kult des einen wahren Gottes selbst ein eigenes Bild hat oder selbst auch bilderlos ist. Damit ist die Frage des Zusammenhangs von Monotheismus und Bilderlosigkeit aufgeworfen. Ist Monotheismus per se anikonisch, Polytheismus bildhaft und ist vice versa Bilderlosigkeit Indiz für Monothe-ismus, Bildhaftigkeit hingegen für Polytheismus?

Im weiteren Kontext beider Fassungen des Dekalogs findet sich eine Episode, die als narratives Gegenstück zur Übergabe der Gesetzestafeln an Moses auf dem Berg Sinai gefaßt ist, ja geradezu als „Gegenveranstal-tung zur Sinaitheophanie“31. Es ist die Geschichte eines Bildes, die Ge-schichte vom Goldenen Kalb, Ex 32 direkt erzählt, Dt 9,8-21 als Rückblick des Moses.32

Der Exodusfassung zufolge liegt der Anstoß der Geschichte in einem vom Volk empfundenen horror vacui: „Als aber das Volk sah, daß Moses so lange nicht vom Berge herabkam, sammelte es sich um Aaron und sprach: Auf, mache uns einen Gott, der vor uns herziehe; denn wir wissen nicht, was dem da zugestoßen ist, dem Moses, dem Mann, der uns aus dem Land Ägypten herausgeführt hat“ (Ex 32,1). An die Stelle des überlange Ent-schwundenen, der im Namen Jahwes das Volk angeführt hatte, soll ein Gott (elohim), ein Gottesbild angefertigt werden, das als eine Art Palladium

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oder Standarte die weitere Führung übernehmen soll. Aaron greift das Volksbegehren auf, setzt es in eine Spendenaktion um und läßt aus dem geopferten Goldschmuck ein Kalbsbild gießen. Als das Bildwerk dasteht, akklamiert das Volk: „Das ist dein Gott, Israel, der dich aus dem Land Ägypten herausgeführt hat“ (Ex 32,4). Die Akklamation bekennt, daß das Goldene Kalb nicht ein neuer Gott ist, der inskünftig an die Stelle des alten, mit Moses verschwundenen Jahwe treten soll, sondern daß es die sichtbare Gestalt des bisherigen ist, ein Jahwebild. Aaron folgt wie dem Begehren nach dem Bild auch seiner Anerkennung durch das Volk und schafft als ausführender Priester die Bedingungen für den Kult; er baut einen Altar und läßt ein Fest ausrufen. Das Volk begeht die Epiphanie der Gottheit im Bild in einem Opfermahl mit anschließendem Festschmaus und Tanz (Ex 32,6-19.25).

Der Auszugsgott, bei dem Moses auf dem Berg weilt, sieht das als Frevel an, der die Vernichtung des Volkes nach sich ziehen muß. Moses gelingt es, den Zorn Jahwes zu beschwichtigen, aber der, den er selbst behält, führt dazu, daß er bei der Rückkehr vom Berge zuerst die beiden Geset-zestafeln zerschmettert, und „dann nahm er das Kalb, das sie gemacht hatten, verbrannte es und zermalmte es zu Pulver, streute es auf Wasser und gab es den Israeliten zu trinken“ (Ex 32,20). Der selbstgemachte Gott wird buchstäblich zunichte gemacht. Die zerstörten Tafeln werden auf Jahwes Geheiß durch neue ersetzt: „Haue dir zwei steinerne Tafeln zu-recht, wie die ersten waren, dann will ich auf die Tafeln die Worte schrei-ben, die auf den ersten Tafeln standen, welche du zerschmettert hast“ (Ex 34,1). Der hebräische Text benutzt für den Akt der Herstellung den Wort-stamm päsäl, der üblicherweise zur Bezeichnung von Bildern verwandt wird. „Aus dieser Anlehnung an die Bildterminologie folgt, daß diese Tafeln resp. die darauf geschriebenen Worte die einzig legitime Darstel-lung JHWHs sein sollen.“33 Die Steintafeln mit dem schriftlich festgehal-tenen Grundgesetz sind das Unterpfand des Bundes mit Gott, nicht ein theriomorphes Kultbild.

Die in den Büchern Exodus und Deuteronomium am Sinai verortete Geschichte vom Goldenen Kalb hat ihren religionsgeschichtlichen Haft-punkt offenbar in dem Stierkult, von dem 1 Kön 12,28-30 die Rede ist. „In beiden Texten werden Stierbilder errichtet und mit den Worten vorge-stellt: ‚das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten her-ausgeführt haben.‘ Ex 32 zielt demnach darauf, die Tat Jerobeams als Abfall von Jahwe zu brandmarken.“34 „Historisch gesehen hat Jerobeam vermutlich nur die alten Heiligtümer, in denen seit langem Stierbilder standen, aufgewertet, um die Grenzen seines neu etablierten Herrschafts-

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gebietes zu markieren.“35 Der erste König des Nordreichs hätte demnach Kultstatuen des kanaanäischen Hochgottes El Jahwe zugeeignet. Jahwe erwies sich als dominant, indem er nicht nur Name und Funktion Els an sich zog, sondern auch dessen Bild.

Von dieser Bilder nicht ausscheidenden, sondern integrierenden Form der Jahweverehrung gibt das AT freilich nur im Spiegel der späteren Kri-tik Kenntnis, wie sie in der Geschichte vom Goldenen Kalb greifbar ist, aber auch und erstmals in der Prophetie des 8. Jh. „Im A.T. spiegeln die Auseinandersetzungen um das Stierbild in Bet-El im Hosea-Buch, dass in der Zeit Hoseas das Vertrauen auf den mit dem Stierbild verbundenen Jahwekult so groß war, dass es prophetische Kritik nach sich gezogen hat; dieser Hinweis spricht für eine Kultform, in der ein Kultbild (mit welcher Bedeutung auch immer, als Repräsentationsbild oder als Postament) vor-handen war. Der Bilderkult von Bet-El wurde allerdings (aufgrund der prophetischen Kritik) verworfen.“36

Der mit politischer und moralischer Korruption verbundene Bruch des Bundes mit Jahwe, der zum Untergang des Nordreiches führen wird, materialisiert sich für Hosea im falschen Kult.

„Sie machen sich Gußbilder aus ihrem Silber,Götzen nach ihrem Bilde,Machwerk von Schmieden ist alles.Ihnen, sagen sie, bringt Opfer dar!Menschen sollen Kälber küssen.“ (Hos 13,2)

„Aus ihrem Silber und Gold haben sie Götzengemacht zu ihrem Verderben.Ich verschmähe dein Kalb, Samarien; mein Zorn ist entbrannt wider sie.“ (Hos 8,4f)

„Um das Kalb von Beth-Awen zitterndie Bewohner Samariens;ja, es trauert sein Volk darum, es wehklagen darum seine Priester,um seine Herrlichkeit, die von ihm genommen ist.Auch das Kalb selber wird mannach Assyrien bringen, als Geschenkfür den Großkönig.“ (Hos 10,5f)

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Das herrliche Stierbild, in dem man nicht irgendeine Tiergottheit ver-ehrte, sondern den über den im Land ansässigen El triumphierenden Jahwe, ist in einen fragwürdigen Kälberkult abgestürzt. Die zunächst ganz im Zeichen der Dominanz Jahwes unternommene religiöse Synthesis war schon im 9. Jh. Elia als ein den Jahweglauben gefährdender Synkretismus erschienen. Die kultische Entscheidung, zu der die streng monolatrische Botschaft Elias drängte, ergreift bei Hosea explizit den Bildanteil des Kultes. Der Stier ist nichts anderes als ein gegossener Götze. Die Kultträger mögen trauern, es geschieht ihnen recht, daß er als Beutestück nach Assur geht. Der Abschied vom Kultbild dient der Reinigung des Gottesdienstes zu seiner ursprünglichen, sinaitischen Klarheit.

Eine ähnliche Reinigung wird aus etwa der gleichen Zeit aus Jerusalem berichtet. 2 Kön 18,4 wird von dem König Hiskia mitgeteilt, daß er „die eherne Schlage, die Moses gemacht hatte, zerschlagen hat; denn bis zu dieser Zeit hatten die Israeliten ihr geopfert. Man hieß sie Nehustan (d.i. Erzbild).“ Der Hinweis auf Moses erinnert an die Geschichte von der Ehernen Schlange (Num 21,1-9), die das theriomorphe Bild, das man, vielleicht „als Lebenssymbol“37, im Jerusalemer Tempelkult integriert hat-te, ätiologisch legitimierte. Aber auch diese mosaische Herkunft konnte das altehrwürdige Kultbild am Ende des 8. Jh. nicht retten. „Nicht das Bild war anscheinend das Anstößige, sondern seine Verehrung in einer Form, die (im Jerusalemer Tempel) nur Jahwe zukam (...). Es wäre möglich, daß es (dieses Vorgehen) von Leuten aus dem Umkreis des Propheten Hosea angeregt worden ist, die 720 nach der Zerstörung Samarias nach Süden, nach Jerusalem gekommen sind, und dort an der Verehrung des Ne-chuschtan Anstoß genommen haben. Denn die Verehrung einer therio-morphen Gottheit bzw. Jahwes in Tiergestalt war nach Auffassung dieser Kreise einer der Gründe für den Untergang des Nordreiches.“38

Neben der Ehernen Schlange hat, wie 2 Kön 18,4 berichtet wird, die Kultreform des Hiskia auch noch andere Arten von Bildwerken erfaßt: „er hat die Malsteine zertrümmert, die Aschera umgehauen“, was sich als allgemeines Gebot auch Dt 16,21f findet: „Du sollst dir keine Aschere von irgendwelchem Holz aufpflanzen neben dem Altar des Herrn, deines Gottes, den du dir machst, und du sollst dir keinen Malstein errichten, den der Herr dein Gott, haßt.“ Die Mazzeben, aufgerichtete Steinstelen, spielten nach archäologischen Befunden in unterschiedlicher Funktion eine große Rolle in der westsemitischen Kulturwelt und offenbar galten sie in der älteren Zeit als auch im Rahmen der Jahweverehrung unver-fängliche Kultobjekte. „Nicht nur die Jakobsgeschichte berichtet unbefan-gen von der Errichtung einer Mazzebe in Bethel durch den Ahnen Israels,

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sondern sogar die Schilderung des fundamentalen Bundesaktes in Exod 24,3-8 läßt die 12 Stämme durch 12 Mazzeben repräsentiert werden“39, (vgl. auch Jos 24,26f.). Steinstelen können natürlich ikonisch bearbeitet sein, aber die Bildlichkeit der israelitischen Mazzeben, durch die sie aus dem Naturzusammenhang herausgehoben wurden, bestand nur in ihrer Aufrichtung als Mal, als monumentales Zeugnis und Gedenkzeichen oder auch als Opferstein („richtete ihn auf als Malstein und goß Öl darauf, und er nannte die Stätte Bethel, d.i. Gotteshaus“, Gen 28,19). Wenn die einst gottesgeschichtlich hochgeachteten Steinmale nun perhorresziert wer-den, so deutet die dabei gängige Gleichstellung mit den Ascheren (außer 2 Kön 18,4; Dt 26,21f. vgl. Dt 7,5; 12,3; Lev 26,1) darauf hin, daß die Maz-zeben ihre einst dem Jahwekult offene Zeichenhaftigkeit eingebüßt hat-ten und zu (vielleicht phallisch verstandenen) eindeutigen Bildern einer mit der wahren Gottesverehrung Israels nicht mehr zu vereinbarenden Kultpraxis geworden sind, vergleichbar den Ascheren, die (als Holzpfahl / Lebensbaum) einer weiblichen Gottheit zugeordnet wurden.

In der alttestamentlichen Wissenschaft hat in jüngerer Zeit die weibli-che Aschera ein wesentlich lebhafteres Interesse gefunden als die steiner-nen Male. Während bei dem Verbot von Mazzeben und Ascheren gewöhn-lich an örtliche „Höhenheiligtümer“ zu denken ist (vgl. 2 Kön 18,4; 21,3), wird im Zusammenhang der Kultreform des Königs Josia auch von einer Aschera im Tempel von Jerusalem selbst gesprochen: „Er ließ die Aschera aus dem Tempel des Herrn hinausschaffen und sie draußen vor Jerusalem im Kidrontal verbrennen und zu Staub zerstampfen und den Staub auf die Gräber der gemeinen Leute werfen“ (2 Kön 23,6). Daß dieses Bild, anders als die Eherne Schlange, keine mosaisch positive Konnotation hatte, zeigt das an die Behandlung des Goldenen Kalbes erinnernde Ver-nichtungsprocedere. Im Verbund mit anderen Stellen (1 Kön 15,13; 1 Kön 18,19; 2 Kön 21,7), vor allem aber mit inschriftlichen Funden, die von „Jahwe und seiner Aschera“40 sprechen, ist in der alttestamentlichen For-schung in neuerer Zeit die These entstanden, daß die Aschera im Jeru-salemer Tempel keine bloß temporäre Entgleisung des Jahwekultes gewe-sen sei, sondern seine erst spät verdrängte Normalform dargestellt habe, daß nämlich, wie auch sonst im Alten Orient üblich, Jahwe, der Gott Isra-els mit einer Paredros zusammen verehrt worden sei: „1. Die israelitische Kenntnis der Aschera wird nur als Fortsetzung der altsyrisch-kanaanä-ischen Tradition verständlich. Nach dem ugaritischen und akkadischen Texten ist Ascheratu eine Göttin, die im altsyrisch-kanaanäischen Raum sogar die Stellung der Gattin Els einnimmt und als Göttermutter verehrt wird. 2. Die Formel ‚Jahwe und seine Aschera‘ in den neuen Inschriften

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dürfte grundsätzlich gleichfalls im Lichte der altsyrisch-kanaanäischen Tradition über El/Jahwe-Aschera zu sehen sein. Sie setzt folglich voraus, daß Aschera als Göttin neben Jahwe fungiert. 3. Von der altsyrisch-kanaa-näischen Tradition her gesehen ist grundsätzlich zu erwarten, daß die Göttin sowohl figürlich, wie auch symbolisch (Baum usw.) künstlerisch dargestellt wird.“41 Ist man einmal im kanaanäischen Analogsog so weit, ergibt sich mühelos auch das Postulat einer anthropomorphen Jahwesta-tue: „Als Arbeitshypothese ist davon auszugehen, daß der Tempel in Jeru-salem während der Königszeit – aber auch der JHWH-Tempel von Samaria – einen ‚normalen‘ altorientalischen Kult aufwies, der sich grundsätzlich nicht unterschied von zeitgenössischer Kulten in Phönizien, in Syrien oder Transjordanien. Ein derartiger Tempelkult setzte die Existenz einer Kultstatue bzw. ein Kultsymbol des Gottes JHWH, welcher der im Jerusale-mer Tempel verehrte Hauptgott war, voraus.“42

Wie immer diese auch von (feministischen?43) Optativen durchsetzte Extrapolation historisch zu beurteilen ist, sie kann nichts daran ändern, daß der für das spätere Judentum und dann auch für das Christentum kanonische Bibeltext einen positiv eingeschätzten Aschera-Kult ebenso wenig kennt wie den einer anthropomorphen Jahwe-Statue als Kultobjekt voraussetzt. „Die biblische Überlieferung und die neuzeitliche Religions-geschichte Israels gehen davon aus, dass das Kultobjekt im ersten, im sa-lomonischen Tempel die Lade war.“44 Ursprünglich war sie ein Kriegspal-ladium, das man mit sich trug, weil es die hilfreiche Präsenz Jahwes gewährleistete. Da die darin enthaltenen Steine „von der deuteronomisch / deuteronomistischen Tradition als die Tafeln mit den zehn Geboten bzw. Tafeln des Bundes gedeutet werden, wurde aus der Lade die ‚Lade des Bundes‘ bzw. ‚Bundeslade‘“45. Die unscheinbare Kiste findet dann ihren definitiven Platz im Allerheiligsten des Tempels; sie wurde dort unter die Flügel parallel stehender Keruben (1 Kön 8,6f) gestellt, woraus sich das Arrangement eines leeren Throns ergab.46 So genau das Inventar des Allerheiligsten beschrieben wird, von einer Jahwestatue ist keine Rede. Dem unsichtbar über der Lade oder den Keruben thronenden oder er-scheinenden Jahwe galten Opfer und Gebet; die Rede vom „Angesicht“ Jahwes, das man im Tempel sucht, ist als Zuwendung (panim) des Unsicht-baren durchaus verständlich. Anikonisch ist der Kult als Zuwendung zu einer ikonisch (durch Lade und Keruben) gerahmten und so als solche erst markierten und wahrnehmbaren Leerstelle. Die bei der Zerstörung des Tempels 587 verlorengegangene Lade wurde (vgl. Jer 3,16f) im zwei-ten Tempel nicht wiederhergestellt. Das Allerheiligste war vollkommen leer und dunkel: „Der am weitesten innen befindliche Raum in einer

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Größe von 20 Ellen war durch einen Vorraum nach außen abgetrennt, und er war vollkommen leer; niemand durfte seinen Fuß hineinsetzen, niemand durfte mit der Hand daran rühren oder auch nur hineinsehen. Man nannte ihn das Allerheiligste.“47 Das Allerheiligste war ein dunkler, leerer Kubus, auf dem Boden war nach rabbinischer Überlieferung ein Stein. Dahin sprengte der Hohepriester am Versöhnungstag das Stierblut und stellte das Räucherwerk hinein, so daß der dunkle, leere Raum sich mit Rauch füllte. Der „empty-space-aniconism“48, von dem T.N.D. Mettin-ger schon in Bezug auf den leeren Kerubenthron gesprochen hatte, findet hier eine rein architektonische Steigerung. Die black box des Debir ist die Einräumung einer reinen Leerstelle für die Präsenz des unsichtbaren Gottes, seines Namens und seiner Schechinah. Im Jahre 70 n. Chr. ist der Jerusalemer Tempel zerstört worden. Dies ist nicht nur ein religionspoli-tisch-militärisches, sondern auch ein bildgeschichtliches Ereignis. Das fremde Heiligtum wird nicht nur zerstört und geschleift, sondern sein Platz auch kultisch in Besitz genommen, um die Überlegenheit Jupiters und der römischen Götter zu demonstrieren. Der jüdische Gott ist besiegt, hat seinen Wohn- und Kultort verloren. Im Triumphzug werden – wie auf dem Titusbogen bis heute zu sehen – die Kultgegenstände, die im Heili-gen vor dem Allerheiligsten standen, der Schaubrottisch, die Menorah (der siebenarmige Leuchter) und eine Torarolle als Beutestücke zum Tempel des siegreichen Jupiter Capitolinus gebracht und später im Pax-Heiligtum aufgestellt. JHWH ist, wie es bei Minucius Felix (Dial Oct 10,4) heißt, in Rom gefangen. In Jerusalem wird eine römische Legion statio-niert mitsamt einem Fahnenheiligtum am Ort des Tempels, das die Si-cherheit der Legionäre auch kultisch gewährleistet.

Für die Juden war dies, obwohl man bis zuletzt an die Unzerstörbarkeit des Tempels geglaubt hatte, nicht, wie für die römische Religionspolitik, das Ende ihres Gottes. Eine der Deutungen, in denen die Zerstörung des Heiligtums aufgehoben wurde, war, daß die Schechinah, die unsichtbar im Tempel anwesende Herrlichkeit JHWHs mit dem Volk ins Exil gegan-gen sei.49

Bildgeschichtlich könnte man sagen, daß die Leerstelle, um die der Tempel heraumgebaut worden war, expandiert, nachdem zuerst die Lade und die Cheruben und dann das ganze visuelle Rahmenwerk des Tempels verlorenging. Dieser Prozeß einer fortschreitenden Anikonisierung be-deutete jedoch nicht eine vollkommene Dematerialisierung der Gottes-verehrung. Der zunehmende Abschied vom Bilderwerk kongruiert mit einem gleichzeitigen Aufstieg des Buches. „The Deuteronomic icono-clasm was intimately linked with the promotion of the Book of Law (seper

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