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seine Einwilligung deckt das Vorgehen des Arztes nicht „teilweise“, sondern gar nicht. Auch bei „nur teilweiser“ Aufklärung ist die Behandlung insgesamt rechtswidrig und der Arzt prinzipiell für ihre Folgen schadensersatz- pflichtig. Allerdings stellt der BGH aus Schutzzwecker- wägungen den Arzt von der Haftung u. a. in den Fällen frei, in denen er nur einige aufklärungspflichtige Risi- ken nicht genannt hat und der Patient nicht beweisen kann, daß sich diese Risiken verwirklicht haben. Erste Voraussetzung für diese Haftungsfreistellung ist aber, daß der Arzt dem Patienten eine Grundaufklärung über die Art und den Schweregrad des Eingriffs gegeben hat. Dazu muß der Patient wenigstens einen Hinweis auf das schwerste möglicherweise in Betracht kommende Risiko erhalten haben. Im Streitfall gehörte zur Grundaufklä- rung, daß sich alle Implantate aus bisher nicht bekannten bzw. nicht hinreichend erforschten Gründen bzw. Fakto- ren lockern konnten und entfernt werden mußten mit den entsprechenden Konsequenzen eines zeitweise zahnlosen Zustands für die Patientin. Kann der Zahnarzt diesen Be- weis nicht führen, dann greifen die Haftungsbeschrän- kungen des BGH auf die Verwirklichung des verschwie- genen Risikos nicht ein. Über mögliche Risikofaktoren aus ihrer biologischen Disposition ist die Patientin offenbar nicht aufgeklärt wor- den. In erster Linie muß der Arzt derartigen Risikofak- toren nachgehen und sie bei seiner Entscheidung für sein Vorgehen ins Kalkül ziehen. Kann er nicht ausschließen, daß diese Faktoren die Behandlung kontraindizieren, muß er die Behandlung unterlassen, solange er sich nicht da- von überzeugt hat, daß der Patient sie nicht aufweist. Die Einwilligung des Patienten in die Behandlung befreit den Arzt von dem Vorwurf eines medizinisch fehlerhaften, weil kontraindizierten Vorgehens nicht. Aber für die Fest- stellung einer Kontraindikation bei der Patientin war die Behandlungsmethode damals noch nicht hinreichend er- forscht. Die Methode war damals noch nicht „etabliert“, d. h. noch nicht an einem für Aussagen über die Nutzen/ Risiko-Bilanz ausreichend großen Patientengut medizi- nisch erprobt. Es gab keine Langzeitstudien, um erhöh- te Risiken für den Verlust der Implantate aus einer hier diskutierten Titanunverträglichkeit, eines ungünstigen Interleukin-C-Status oder einer Neigung zur Parodontitis anzunehmen oder auszuschließen. Immerhin waren „mit dieser Methode verbundene spezifische Risiken denkbar, die bei den etablierten Verfahren gerade nicht auftreten“ (so das Urteil). Der Sachverständige Prof. Dr. Y. hätte der Patientin von der Methode zwar abgeraten. Aber er hat sie nicht als kontraindiziert bezeichnet: eben weil mangels ent- sprechender Erkenntnisse aus Langzeitstudien eine solche Bewertung nicht möglich war. Bei diesen Erkenntnisdefiziten darf sich der behandelnde Arzt aber nicht beruhigen: vielmehr müssen sie ihn dazu veranlasssen, den Patienten besonders deutlich darüber auf- zuklären, daß es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt, daß das volle Risikospektrum der Methode noch nicht erforscht ist und daß deshalb bisher unbekannte Ri- siken, die zu einem Totalverlust aller Implantate mit den entsprechenden Konsequenzen für die Befindlichkeit des Patienten führen können, derzeit nicht auszuschließen sind. Dazu besteht besonderer Anlaß, wenn der Patient sich etwa wie hier unter dem Einfluß positiver Medienberichte für die Methode begeistert, ohne die schlimmen Folgen bei einem Mißerfolg zu bedenken, wie sie die Patientin im Streitfall erlitten hat. Insoweit geht es darum, dem Pati- enten das Für und Wider der Methode aus medizinischer Sicht so umfassend darzustellen, daß der Patient sich selbst- bestimmt für oder gegen die Methode entscheiden kann. Dass der Arzt den Patienten in dieser Weise aufgeklärt hat, dafür ist nicht der Patient, sondern der Arzt darlegungs- und beweisbelastet. Ob der Zahnarzt seiner Patientin die nicht auszuschlie- ßende Möglichkeit, aufgrund ihrer biologischen Disposi- tion alle Implantate alsbald zu verlieren, und die Konse- quenzen für ihre Befindlichkeit in diesem Fall hinreichend deutlich gemacht hat, ist dem Text des Urteils nicht zu ent- nehmen. Es beschränkt sich auf die Feststellung, der behan- delnde Arzt habe die Patientin darüber aufgeklärt, „daß es sich bei diesem Verfahren um eine noch sehr neue Methode handelte und demgemäß Langzeitstudien fehlten, es also auch zum Verlust der Implantate kommen konnte“. Diese mageren Worte sind keine Grundaufklärung. Die Bedeutung der Grundaufklärung wird gerade in Fäl- len einer nicht hinreichend erforschten Behandlungsme- thode besonders relevant. Anderenfalls wäre das Dilemma für den Patienten überdeutlich: den Beweis, daß etwa wie im Streitfall seine biologische Disposition den Mißerfolg (mit)verursacht hat, kann er wegen der Defizite der medi- zinischen Erforschung der Methode nicht führen, die die Methode aber gerade für ihn so gefährlich machen. Umso wichtiger ist, daß der Arzt dem Patienten bei der Anwen- dung neuer Behandlungsmethoden diese möglichen Ge- fahren seines Vorgehens ganz deutlich macht. DOI: 10.1007/s00350-014-3707-2 Grober Behandlungsfehler bei gynäkologischer Behandlung BGB §§ 280 Abs. 1, 328, 823 Abs. 1 Die Beweislastumkehr bei einem groben Behand- lungsfehler bezieht sich auf den Nachweis der Ursäch- lichkeit des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Primärschaden (sog. haftungsbegründende Kausalität). Mit einer Hirnschädigung zusammenhängende Ver- haltensstörungen (hier Sprach-, Konzentrations- und Koordinationsstörung) stellen keinen Folgeschaden der Schädigung des Gehirns dar, sondern gehören zum Primärschaden. (Leitsatz des Bearbeiters) LG Berlin, Urt. v. 10. 1. 2013 – 6 O 34/08 Problemstellung: Gegenstand der Entscheidung sind materielle und immaterielle Schadensersatzansprü- che des Kindes wegen fehlerhafter Behandlung der Mut- ter im Verlauf der Schwangerschaft. Das LG bejaht das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers und erörtert anschließend die Reichweite der hieran anknüpfenden Beweislastumkehr für den Ursachenzusammenhang. Nach der Rechtsprechung des BGH ist zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfül- lenden Kausalität zu unterscheiden. Erstere betrifft die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Rechts- gutverletzung als solche, also für den Primärschaden des Patienten i. S. einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das einen für das praktische Leben brauch- baren Grad von Gewissheit verlangt. Die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität und damit der Ur- sächlichkeit der Rechtsgutverletzung für alle weiteren (Folge-)Schäden richtet sich hingegen nach § 287 ZPO, wobei zur Überzeugungsbildung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt (zum Ganzen zuletzt BGH, Urt. v. 5. 11. 2013 – VI ZR 527/12 –). Die Beweislast- umkehr bei einem groben Behandlungsfehler begrenzt Eingesandt von RiLG Dr. iur. Martin Müller-Follert, Berlin, Deutschland; bearbeitet von RiLG Dr. iur. Alexander Walter, Landgericht Koblenz, Karmeliterstraße 14, 56068 Koblenz, Deutschland Rechtsprechung 324 MedR (2014) 32: 324–327

Grober Behandlungsfehler bei gynäkologischer Behandlung

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seine Einwilligung deckt das Vorgehen des Arztes nicht „teilweise“, sondern gar nicht. Auch bei „nur teilweiser“ Aufklärung ist die Behandlung insgesamt rechtswidrig und der Arzt prinzipiell für ihre Folgen schadensersatz-pflichtig. Allerdings stellt der BGH aus Schutzzwecker-wägungen den Arzt von der Haftung u. a. in den Fällen frei, in denen er nur einige aufklärungspflichtige Risi-ken nicht genannt hat und der Patient nicht beweisen kann, daß sich diese Risiken verwirklicht haben. Erste Voraussetzung für diese Haftungsfreistellung ist aber, daß der Arzt dem Patienten eine Grundaufklärung über die Art und den Schweregrad des Eingriffs gegeben hat. Dazu muß der Patient wenigstens einen Hinweis auf das schwerste möglicherweise in Betracht kommende Risiko erhalten haben. Im Streitfall gehörte zur Grundaufklä-rung, daß sich alle Implantate aus bisher nicht bekannten bzw. nicht hinreichend erforschten Gründen bzw. Fakto-ren lockern konnten und entfernt werden mußten mit den entsprechenden Konsequenzen eines zeitweise zahnlosen Zustands für die Patientin. Kann der Zahnarzt diesen Be-weis nicht führen, dann greifen die Haftungsbeschrän-kungen des BGH auf die Verwirklichung des verschwie-genen Risikos nicht ein.

Über mögliche Risikofaktoren aus ihrer biologischen Disposition ist die Patientin offenbar nicht aufgeklärt wor-den. In erster Linie muß der Arzt derartigen Risikofak-toren nachgehen und sie bei seiner Entscheidung für sein Vorgehen ins Kalkül ziehen. Kann er nicht ausschließen, daß diese Faktoren die Behandlung kontraindizieren, muß er die Behandlung unterlassen, solange er sich nicht da-von überzeugt hat, daß der Patient sie nicht aufweist. Die Einwilligung des Patienten in die Behandlung befreit den Arzt von dem Vorwurf eines medizinisch fehlerhaften, weil kontraindizierten Vorgehens nicht. Aber für die Fest-stellung einer Kontraindikation bei der Patientin war die Behandlungsmethode damals noch nicht hinreichend er-forscht. Die Methode war damals noch nicht „etabliert“, d. h. noch nicht an einem für Aussagen über die Nutzen/Risiko-Bilanz ausreichend großen Patientengut medizi-nisch erprobt. Es gab keine Langzeitstudien, um erhöh-te Risiken für den Verlust der Implantate aus einer hier diskutierten Titanunverträglichkeit, eines ungünstigen Interleukin-C-Status oder einer Neigung zur Parodontitis anzunehmen oder auszuschließen. Immerhin waren „mit dieser Methode verbundene spezifische Risiken denkbar, die bei den etablierten Verfahren gerade nicht auftreten“ (so das Urteil). Der Sachverständige Prof. Dr. Y. hätte der Patientin von der Methode zwar abgeraten. Aber er hat sie nicht als kontraindiziert bezeichnet: eben weil mangels ent-sprechender Erkenntnisse aus Langzeitstudien eine solche Bewertung nicht möglich war.

Bei diesen Erkenntnisdefiziten darf sich der behandelnde Arzt aber nicht beruhigen: vielmehr müssen sie ihn dazu veranlasssen, den Patienten besonders deutlich darüber auf-zuklären, daß es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt, daß das volle Risikospektrum der Methode noch nicht erforscht ist und daß deshalb bisher unbekannte Ri-siken, die zu einem Totalverlust aller Implantate mit den entsprechenden Konsequenzen für die Befindlichkeit des Patienten führen können, derzeit nicht auszuschließen sind. Dazu besteht besonderer Anlaß, wenn der Patient sich etwa wie hier unter dem Einfluß positiver Medienberichte für die Methode begeistert, ohne die schlimmen Folgen bei einem Mißerfolg zu bedenken, wie sie die Patientin im Streitfall erlitten hat. Insoweit geht es darum, dem Pati-enten das Für und Wider der Methode aus medizinischer Sicht so umfassend darzustellen, daß der Patient sich selbst-bestimmt für oder gegen die Methode entscheiden kann. Dass der Arzt den Patienten in dieser Weise aufgeklärt hat, dafür ist nicht der Patient, sondern der Arzt darlegungs- und beweisbelastet.

Ob der Zahnarzt seiner Patientin die nicht auszuschlie-ßende Möglichkeit, aufgrund ihrer biologischen Disposi-tion alle Implantate alsbald zu verlieren, und die Konse-quenzen für ihre Befindlichkeit in diesem Fall hinreichend deutlich gemacht hat, ist dem Text des Urteils nicht zu ent-nehmen. Es beschränkt sich auf die Feststellung, der behan-delnde Arzt habe die Patientin darüber aufgeklärt, „daß es sich bei diesem Verfahren um eine noch sehr neue Methode handelte und demgemäß Langzeitstudien fehlten, es also auch zum Verlust der Implantate kommen konnte“. Diese mageren Worte sind keine Grundaufklärung.

Die Bedeutung der Grundaufklärung wird gerade in Fäl-len einer nicht hinreichend erforschten Behandlungsme-thode besonders relevant. Anderenfalls wäre das Dilemma für den Patienten überdeutlich: den Beweis, daß etwa wie im Streitfall seine biologische Disposition den Mißerfolg (mit)verursacht hat, kann er wegen der Defizite der medi-zinischen Erforschung der Methode nicht führen, die die Methode aber gerade für ihn so gefährlich machen. Umso wichtiger ist, daß der Arzt dem Patienten bei der Anwen-dung neuer Behandlungsmethoden diese möglichen Ge-fahren seines Vorgehens ganz deutlich macht.

DOI: 10.1007/s00350-014-3707-2

Grober Behandlungsfehler bei gynäkologischer Behandlung

BGB §§ 280 Abs. 1, 328, 823 Abs. 1

Die Beweislastumkehr bei einem groben Behand-lungsfehler bezieht sich auf den Nachweis der Ursäch-lichkeit des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Primärschaden (sog. haftungsbegründende Kausalität). Mit einer Hirnschädigung zusammenhängende Ver-haltensstörungen (hier Sprach-, Konzentrations- und Koordinationsstörung) stellen keinen Folgeschaden der Schädigung des Gehirns dar, sondern gehören zum Primärschaden. (Leitsatz des Bearbeiters)LG Berlin, Urt. v. 10. 1. 2013 – 6 O 34/08

Problemstellung: Gegenstand der Entscheidung sind materielle und immaterielle Schadensersatzansprü-che des Kindes wegen fehlerhafter Behandlung der Mut-ter im Verlauf der Schwangerschaft. Das LG bejaht das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers und erörtert anschließend die Reichweite der hieran anknüpfenden Beweislastumkehr für den Ursachenzusammenhang.

Nach der Rechtsprechung des BGH ist zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfül-lenden Kausalität zu unterscheiden. Erstere betrifft die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Rechts-gutverletzung als solche, also für den Primärschaden des Patienten i. S. einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das einen für das praktische Leben brauch-baren Grad von Gewissheit verlangt. Die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität und damit der Ur-sächlichkeit der Rechtsgutverletzung für alle weiteren (Folge-)Schäden richtet sich hingegen nach § 287 ZPO, wobei zur Überzeugungsbildung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt (zum Ganzen zuletzt BGH, Urt. v. 5. 11. 2013 – VI ZR 527/12 –). Die Beweislast-umkehr bei einem groben Behandlungsfehler begrenzt

Eingesandt von RiLG Dr. iur. Martin Müller-Follert, Berlin, Deutschland; bearbeitet von RiLG Dr. iur. Alexander Walter, Landgericht Koblenz, Karmeliterstraße 14, 56068 Koblenz, Deutschland

Rechtsprechung324 MedR (2014) 32: 324–327

sich auf den Nachweis der Ursächlichkeit des groben Behandlungsfehlers für den eingetretenen Primärscha-den und damit auf den Bereich der haftungsbegrün-denden Kausalität (vgl. BGH, a. a. O.; BGH, MedR 2012, 383; BGH, NJW 2008, 1381; Olzen/Kaya, GesR 2013, 1). Dagegen erfasst die Beweislastumkehr nicht die haftungsausfüllende Kausalität und damit Folge-schäden (Sekundärschäden), die erst durch den infolge des Behandlungsfehlers eingetretenen unmittelbaren Gesundheitsschaden entstanden sein sollen, es sei denn, der Sekundärschaden war eine geradezu typische Folge der Primärverletzung (BGH, NJW 2008, 1381; BGH, MedR 2005, 226; OLG Köln, MedR 2008, 46).

Das LG Berlin sieht in dem konkreten Fall nicht nur das festgestellte Krankheitsbild eines Morbus haemolyti-cus fetalis, der meist auf einer Blutgruppenunverträglich-keit im Rhesus-System beruht und dessen Behandlung vorliegend vier Blutaustauschtransfusionen erforderte, sondern auch die erst im Alter von drei Jahren festge-stellte Sprachentwicklungsstörung als von der Beweis-lastumkehr erfassten Primärschaden an. Auch der BGH hat in Fällen der Hirnschädigung den Hirnschaden in seiner konkreten Ausprägung, d. h. mit den vom Kläger als Auswirkung geltend gemachten Beeinträchtigungen seines gesundheitlichen Befindens, als Primärschaden angesehen. Danach stellen etwaige Verhaltensstörungen nicht einen Folgeschaden der Hirnschädigung, sondern den nach § 286 Abs. 1 ZPO zu beweisenden Hirnscha-den selbst dar (BGH, NJW 1998, 3417).

Für die erlittenen Verletzungen sieht das LG ein Schmerzensgeld i. H. von 20.000 € als angemessen an und geht dabei über die vom Kläger begehrte Mindestsumme von 10.000 € hinaus. Die tatsächlichen Angaben zu den schmerzensgeldrelevanten Bemessungsfaktoren werden nicht im Detail bezeichnet; die Angemessenheit der zu-erkannten Summe lässt sich daher nicht nachprüfen.

Zum Sachverhalt: Der Kl. nimmt den Bekl. aufgrund der ärzt-lichen Behandlung seiner Mutter im Rahmen der Schwangerschafts-vorsorge auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in An-spruch. Zugleich begehrt er die Feststellung des Ersatzanspruchs für Folgeschäden dem Grunde nach.

Die Mutter des Kl. befand sich seit dem Jahr 2000 beim Bekl. in dessen gynäkologischer Praxis in B. in Behandlung. Hierbei betreu-te der Bekl. vor dem streitgegenständlichen Geschehen u. a. in den Jahren 2002 und 2005 zwei Schwangerschaften (ein Kind und eine Fehlgeburt, 6. SSW). Am 6. 12. 2005 diagnostizierte der Bekl. bei der Mutter des Kl. erneut eine Schwangerschaft, und zwar mit dem Kl., mit einem errechneten Geburtstermin am 28. 7. 2006. Am 12. 12. 2005 erfolgte eine erneute Kontrolle der Schwangerschaft durch den Bekl. Hierbei veranlasste er im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge eine Antikörpersuche, welche entsprechend dem Befund des beauftragten Labors einen positiven indirekten Coombstest und eine Antikör-perspezifität mit Anti-D-Titer 1 : 32 ergab. Vom 16. bis zum 22. 12. wurde die Mutter des Kl. in der Abteilung für Gynäkologie der C.-Kliniken-P. wegen einer Blutung ex utero behandelt, welche unter schrittweiser Belastung vollständig sistierte. Hierbei wurde bei der Mutter des Kl. u. a. auch eine Anti-D-Prophylaxe durchgeführt. Am 2. 1. 2006, 23. 1. 2006, 8. 2. 2006, 13. 2. 2006 und 13. 3. 2006 führte der Bekl. bei der Mutter des Kl. weitere Schwangerschaftsvorsorgen durch, ohne Auffälligkeiten in der Schwangerschaft festzustellen. Die am 28. 3. 2006 auf Veranlassung des Bekl. im S.-Krankenhaus durch-geführte Feindiagnostik ergab einen unauffälligen Organstatus bei zeitgerechter fetaler Entwicklung. Die im Rahmen der Schwanger-schaftsvorsorge beim Bekl. am 11. 4. 2006 vorgenommene Blutkontrol-le ergab ausweislich des Laborbefundes v. 12. 4. 2006 bei sonst unauf-fälligen Befunden einen Anti-D-Titer von 1 : 128. Die durch den Bekl. am 9. 5. 2006, 12. 6. 2006, 29. 6. 2006 und 4. 7. 2006 vorgenommenen weiteren Untersuchungen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge, insbesondere mittels Ultraschall und CTG-Kontrolle, ergaben keine wesentlichen Auffälligkeiten hinsichtlich der Entwicklung des Kl.

Am 22. 7. 2006 wurde der Kl. spontan aus vorderer Hinterhaupts-lage in der Entbindungsklinik M. mit ungestörter unmittelbarer

postnataler Adaption (Apgar-Werte 9/9/9) bei einem Geburtsge-wicht von 2.740 g, einer Länge von 47 cm und einem Kopfumfang von 33 cm geboren. Im Rahmen der U1-Vorsorgeuntersuchung fiel ein Icterus praecox (Billirubin transkutan 316 µmol/l) auf, so dass der Kl. unter dringendem Verdacht auf Morbus hämolyticus neonatorum bei Rh-negativer Mutter in die Klinik für Kinderheilkunde und Ju-gendmedizin am H.-Klinikum verlegt wurde. Dort war der Kl. bis zum 4. 8. 2006 in stationärer Behandlung und wurde einer inten-sivierten durchgängigen Phototherapie unterzogen. Am 23. 7. 2006 wurde wegen eines Billirubinwertes von 468 µmol/l eine Austausch-transfusion des Blutes vorgenommen. Zudem erhielt er Infusionen, zunächst über einen Nabelkatheter, später durch die Kopfvene. Am 1. 8. 2008 diagnostizierte man beim Kl. eine Thrombose der Pars umbilicalis des linksseitigen Pfortadersystems (Pfortader thrombose am linken Lederlappen).

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wurde der Kl. am-bulant durch die Kinderärztin Dr. R. weiterbehandelt. Diese stellte am 14. 8. 2006 und am 17. 8. 2006 eine Verschlechterung der Hä-matokritwerte fest, was zu einer erneuten Austauschtransfusion im H.-Klinikum führte und einen stationären Aufenthalt vom 17. auf den 18. 8. 2006 notwendig machte. Nach weiteren Kontrollen durch die ambulant behandelnde Kinderärztin wurden wegen einer Ver-schlechterung der Hämatokritwerte am 4. und 28. 9. 2006 erneut Austauschtransfusionen im H.-Klinikum durchgeführt, was zu er-neuten stationären Aufnahmen im Zeitraum vom 4. bis 5. und 28. bis 30. 9. 2006 führte.

Am 14. 7. 2009 diagnostizierte die Kinderärztin Dr. R. beim nun-mehr fast dreijährigen Kl. eine nicht näher bezeichnete Entwick-lungsstörung des Sprechens oder der Sprache und ein Fehlen der al-tersgemäßen Sprache. Aufgrund dieser Diagnose befindet sich der Kl. seitdem in ambulanter Behandlung bei zahlreichen Ärzten.

Der Kl. behauptet, die ärztliche Behandlung seiner Mutter K. A. durch den Bekl. sei nicht entsprechend dem anerkannten und ge-sicherten Stand der ärztlichen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung erfolgt, weil der Bekl. den Titer der Antikörper nach dem 12. 4. 2006 regelmäßig hätte kontrollieren müssen. Dies hätte zu einem reaktionspflichtigen Befund geführt. Es hätte bei ihm ein Blutbild gemacht und eine intrauterine Bluttransfusion durchgeführt werden müssen. Zudem habe der Bekl. das Risiko der Rhesusfak-torunverträglichkeit nicht erkannt. Der Bekl. hätte in der 28.–32. Schwangerschaftswoche bei seiner Mutter eine Anti-D-Prophylaxe durchführen müssen. Zudem habe sich bei einer nicht durch den Bekl. veranlassten Titerbestimmung unmittelbar vor der Geburt des Kl. ein Titer von 1 : 4000 gezeigt. Er ist der Ansicht, es handele sich jeweils um grobe Behandlungsfehler.

Aufgrund der Behandlungsfehler sei es bei ihm zu einem Morbus hämolyticum neonatorum, einem icterus praecox, zum Verschluss der Pfortader am linken Leberlappen und einer starken Anämie ge-kommen. Auch habe deshalb postpartal die Notwendigkeit der Be-handlung mit vier Bluttransfusionen bestanden. Zudem habe sich bei ihm als Primärschaden eine erhebliche Sprachbildungsstörung eingestellt. Mögliche Spätfolgen der fehlerhaften Behandlung seien Blutgerinnungsstörung, Leber- oder Nierenschäden, Entwicklungs-störung oder -verzögerung sowie aufgrund der Bluttransfusionen: Infektionskrankheiten.

Wegen des Behandlungsfehlers seien Fahrtkosten i. H. von 321,00 € entstanden. Zudem begehrt er ein Schmerzensgeld nicht unter 10.000 € sowie die Feststellung der Einstandspflicht für sämtliche Schäden ab dem 22. 7. 2006.

Der Bekl. behauptet, die ärztliche Versorgung der Mutter des Kl. sei lege artis erfolgt, weil er richtliniengerecht vorgegangen sei, eine Anti-D-Prophylaxe nicht notwendig gewesen sei, da sich aufgrund der Ultraschalluntersuchungen keine Hinweise auf eine Anämie er-geben hätten und die vom Kl. beklagten Folgen auch bei einer wei-terführenden Labordiagnostik eingetreten wären, insbesondere die Thrombosierung des Nabelkatheters stehe in keinem Zusammen-hang mit der Schwangerschaftsvorsorge. Zudem handele es sich bei der Sprachstörung des Kl. um einen Sekundärschaden.

Aus den Gründen: Die Klage ist begründet. I. Der Kl. hat gegen den Bekl. aus dem zwischen dem

Bekl. und seiner Mutter geschlossenen Behandlungsver-trag, in dessen Schutzbereich er einbezogen ist (BGH, NJW 1992, 2962, zitiert nach juris, dort Rdnr.  13), aber auch unter deliktischem Gesichtspunkt (BGHZ 106, 153, zitiert nach juris, dort Rdnr. 12) einen Anspruch auf Zahlung ei-nes Schmerzensgeldes i. H. von 20.000 € gemäß §§ 611, 280

Rechtsprechung MedR (2014) 32: 324–327 325

Abs. 1, 823 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2, 328 BGB, denn der Kl. hat bewiesen, dass seine Mutter in der Praxis des Bekl. nicht dem fachärztlichen Standard entsprechend und damit fehlerhaft behandelt worden ist. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die unterlassene Diagnosestellung einer Rh-Inkompatibilität und die damit verbundene Unterlassung weiterführender Untersuchungen bei der Mutter des Kl. Abweichungen vom geschuldeten Facharztstandard durch den Bekl. darstellen, welche als grob einzustufen sind.

Der Sachverständige Prof. Dr. med. R. F., welcher sich eingehend mit den zur Gerichtsakte gereichten Behand-lungsunterlagen sowie dem Sachvortrag der Parteien ausei-nandergesetzt hat, ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Behandlung der Mutter des Kl. durch den Bekl. nicht den Regeln ärztlicher Kunst und damit dem Facharztstandard genügte. Der Sachverständige F., der Facharzt für Gynäko-logie und Geburtshilfe und Leiter des Zentrums für präna-tale Medizin L. ist, hat sämtliche ihm vorgelegten Fragen in seinem Gutachten nachvollziehbar und überzeugend be-antwortet. Das Gericht folgt insoweit den Ausführungen des Sachverständigen und macht sie sich zu Eigen.

1. Die Behandlung der Mutter des Kl. durch den Bekl. ist nicht nach anerkanntem und gesichertem Stand der ärztli-chen Wissenschaft durchgeführt worden. Der Sachverstän-dige F. hat ausgeführt, dass es der Bekl. unterlassen habe, trotz des bereits in der 8. Schwangerschaftswoche bestehen-den Befundes (12. 12. 2005) eines positiven Anti-D-Titers von 1 : 32 die Diagnose einer Rh-Inkompabilität zu stellen. Spätestens am 12. 4. 2006 (in der 25. Schwangerschaftswo-che), als ein Anti-D-Titer von 1 : 128 nachweisbar war, hät-te die Diagnose einer Rh-Inkompatibilität gestellt werden müssen, da ab einem Titer von 1 : 64 mit der intrauterinen Entwicklung einer behandlungsbedürftigen Entwicklung einer fetalen Anämie gerechnet werden müsse. Insoweit habe der Bekl. das Risiko einer Rhesusfaktor-Unverträg-lichkeit mit der Gefahr von erheblichen Gesundheitsschä-den beim Kl. und seiner Mutter nicht richtig eingeschätzt. Den prägnanten und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen ist weiteres nicht hinzuzufügen. Der Bekl. ist dem auch nicht entgegengetreten.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kehrt sich die Beweislast hinsichtlich der Kausalität für den Primärscha-den um, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln und gesicherte medizinische Erkennt-nisse verstößt und dadurch Fehler begeht, die aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheinen, weil ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht unterlau-fen darf (grober Behandlungsfehler, s. z. B. Frahm, a. a. O., Rdnrn. 131 ff. m. w. N. [Hinweis d. Red.: unklares Zitat]). Dies ist vorliegend der Fall, da nach dem Sachverständigen neben der durchgängigen Titerbestimmung bei der Mutter auch die Blutwerte des Kl. intrauterin engmaschig über-wacht werden mussten, um das Risiko einer fetalen Anämie einschätzen zu können. Nach der Einschätzung des Sach-verständigen F. ist diese mangelnde Diagnosestellung und daraus folgende mangelhafte Überwachung der Schwan-gerschaft aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich. Das Unterlassen von weiterer (angemessener) Diagnostik spätes-tens ab dem 12. 4. 2006 ist zur Überzeugung der Kammer schlichtweg unverständlich, durfte einem Facharzt schlech-terdings nicht unterlaufen und ist daher grob fehlerhaft.

2. Dies hat zur Folge, dass für den Primärschaden zuguns-ten des Kl. die Beweislast umgekehrt wird. Dieser Primär-schaden, also der Schaden, der als erster Verletzungserfolg geltend gemacht wird (vgl. BGH, Urt. v. 21. 7. 1998 – VI ZR 15–98 –, NJW 1998, 3417), umfasst neben dem durch den Sachverständigen F. festgestellten Krankheitsbild des Morbus hämolyticus neonatorum, welcher die vom Kl. dar-gestellte postpartale Behandlung (Krankenhausaufenthalte vom 22. 7. 2006 bis 4. 8. 2006, vom 17. bis 18. 8. 2006, vom 4. bis 5. und 28. bis 30. 9. 2006) nebst vier Blutaustausch-

transfusionen notwendig machte, auch die erst im Alter von drei Jahren festgestellte Sprachentwicklungsstörung. Dies ergibt sich aus der Darstellung des Sachverständigen Prof. Dr. med. M. K., welcher seit 1991 Facharzt für Kin-der- und Jugendmedizin und seit dem Jahr 1999 Chefarzt für Kinder- und Jugendmedizin am A. Krankenhaus C. ist. In seinem Gutachten aus dem Januar 2012 und der mündli-chen Erläuterung am 13. 12. 2012 erklärte er, dass es sich bei dem sehr seltenen Krankheitsbild des Morbus hämolyticus neonatorum um eine Erkrankung handele, die darauf zu-rückzuführen sei, dass bei rhesusinkompatiblen Eltern An-tikörper der Mutter auf das Kind übertragen würden, was zu einem Zerfall der roten Blutkörperchen und damit zu einer Anämie führe. Das toxisch wirkende Bilirubin könne zu einer akuten und chronischen Schädigung des Gehirns führen, wobei die Ausprägung der einzelnen Symptome stark variieren könne. Insoweit ist dem Gutachten, das die Kammer für überzeugend hält, zu entnehmen, dass es sich bei einem auf eine Störung im Gehirn zurückzuführenden Krankheitsbild, deren Ausprägung sich erst in der späteren Entwicklung des Kindes zeigt, nicht um einen Folgescha-den, sondern um die konkrete Ausprägung des unmittel-bar auf den Behandlungsfehler zurückgehenden Schadens, nämlich der toxischen Wirkung des Bilirubins im fetalen Körper handelt.

Der Sachverständige stellte auf der Grundlage der ihm zur Begutachtung vorgelegten zahlreichen Befundberichte beim Kl. eine Sprachentwicklungsstörung, eine leichte Ko-ordinationsstörung und Konzentrationsstörungen als Folge einer Hirnschädigung fest […]. Diese Störungen sind somit grundsätzlich nicht als Folge, sondern als konkrete Aus-prägung der bereits durch das Krankheitsbild des Morbus hämolyticus neonatorum entstandenen Hirnschädigung anzusehen. Insoweit handelt es sich bei der Hirnschädigung um die als erster Verletzungserfolg geltend gemachte Schä-digung der körperlichen Integrität (vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl. 2009, G 102 m. w. N.). Sie ist somit – anders als der Bekl. meint – als Primärschaden zu werten. Der Umstand, dass der Sachverständige K. fest-gestellt hat, dass nach der Geburt Anzeichen einer akuten Bilirubinenzephalopathie aus den vorgelegten Kranken-hausunterlagen nicht ersichtlich gewesen seien, da der Ver-lauf in der ersten Lebenswoche als unauffällig beschrieben wurde („Das Kind zeigte ein sehr gutes Trinkverhalten, nahm gut an Gewicht zu und konnte in gutem Allgemein-zustand entlassen werden.“), streitet ebenso wenig für den Bekl. wie die Aussage des Sachverständigen, dass der wis-senschaftliche Nachweis einer Mitursächlichkeit des Mor-bus hämolyticus neonatorum nicht zu führen sei. Denn im Fall der Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern reicht es für die Annahme der Kausalität aus, dass der Be-handlungsfehler lediglich generell geeignet ist, den konkre-ten (primären) Gesundheitsschaden herbeizuführen (vgl. BGH, Urtt. v. 21. 9. 1982 – VI ZR 302/8 –, BGHZ 85, 212, 216 f. = NJW 1983, 333; v. 3. 12. 1985 – VI ZR 106/84 –, NJW 1986, 1540 = VersR 1986, 366; v. 28. 6. 1988 – VI ZR 217/87 –, NJW 1988, 2949 = VersR 1989, 80, 81). Diesen Nachweis kann der Kl. auf der Grundlage der Auf-fassung des Sachverständigen K. erbringen, der eine (Mit)Ursächlichkeit der postnatalen Hyperbilirubinämie bzw. [des] damit gleichzusetzenden Morbus hämolyticus neo-natorum für die Sprachentwicklungsstörung, die leichte Koordinationsstörung und die Konzentrationsstörungen nicht gänzlich ausschließen kann. Die Unsicherheit, ob der Schaden tatsächlich durch den groben Behandlungsfehler oder durch eine andere Ursache bedingt ist, geht zu Las-ten des Behandlers. Diese Unsicherheit kann der Bekl., wie sich aus den Angaben des Sachverständigen K. ergibt, nicht ausräumen, wobei sich zu seinen Lasten auswirkt, dass das vorliegende Krankheitsbild nach der Darstellung des Sach-verständigen K. bei 700.000 Geburten im Jahr maximal 1

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bis 2 Mal auftritt und aussagekräftiges Studienmaterial zu den Folgen/Nicht-Folgen extrem hoher postpartaler Bili-rubinkonzentrationen nicht vorhanden ist.

Dass der Morbus hämolyticus neonatorum nicht unge-eignet ist, den Schaden zu verursachen, gilt auch auf der Grundlage der im Termin erörterten möglichen Chro-mosomenstörung beim Kl. Zwar ergibt sich aus dem vom Kl. eingereichten Befundbericht zur Array-CGH-Unter-suchung der C. v. 25. 5. 2011, dass beim Kl. eine Chro-mosomenstörung i. S. eines 16p11.2 Mikrodeletionssyn-drom vorliegt, deren häufigstes klinisches Merkmal eine Sprachentwicklungsverzögerung ist. Jedoch dokumentiert der Befundbericht auch, dass diese genetische Anomalie weltweit bei lediglich 17 Patienten bekannt ist. Angesichts dieser geringen Fallzahl lässt sich kein Beweis dahingehend führen, dass die Chromosomenstörung Ursache der Stö-rungen ist und der Morbus hämolyticus neonatorum ge-nerell ungeeignet ist, die beim Kl. festgestellte Sprachent-wicklungsstörung, die leichte Koordinationsstörung und die Konzentrationsstörungen zu verursachen.

3. Der Kl. hat gemäß §§ 249, 253 Abs. 2 BGB einen An-spruch auf die Zahlung eines Schmerzensgeldes i. H. von 20.000,00 €.

Gemäß § 253 Abs. 2 BGB kann bei einer Verletzung des Körpers und der Gesundheit wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Durch dieses Schmerzensgeld soll der Geschädigte einen Ausgleich für die erlittenen Schmerzen und Leiden erhalten und in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und andere Annehmlichkeiten an Stelle derer zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verlet-zung unmöglich gemacht worden ist (sog. Ausgleichsfunk-tion). Die Geldentschädigung soll zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das erlittene Unrecht Genugtuung schuldet (Genug-tuungsfunktion). Die Höhe dieses Schmerzensgeldes muss unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemes-sung maßgebenden Umstände festgesetzt werden und in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Ver-letzung stehen. Dabei kommt dem Gedanken, dass für ver-gleichbare Verletzungen unabhängig vom Haftungsgrund ein annähernd gleiches Schmerzensgeld zu gewähren ist, besondere Bedeutung zu. Bei den Bemessungsfaktoren stehen die Umstände im Vordergrund, die den Verletzten betreffen. Zu berücksichtigen sind aber auch Umstände aus der Sphäre des Schädigers (Grüneberg, in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 253, Rdnr. 15 m. w. N.).

Bei der Höhe des Schmerzensgeldes war zu berücksich-tigen, dass der Kl. zwar zum Zeitpunkt der fehlerhaften Behandlung noch nicht geboren war, er aber aufgrund der unterlassenen Diagnose zunächst im Neugeborenenalter zahlreiche Krankenhausaufenthalte erleiden musste und dauerhafte Schäden in Form einer Sprachstörung erlit-ten hat. Mit Blick auf den festgestellten und fortwirken-den Dauerschaden des Kl., wie ihn der Sachverständige K. festgestellt hat, treten bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes die im Säuglingsalter erlittenen Kran-kenhausaufenthalte in den Hintergrund, zumal wegen der Rh-Inkompabilität seiner Mutter sowieso eine engmaschi-ge Überwachung der Schwangerschaft [und] auch bei ei-nem fachgerechten Vorgehen eine Behandlung des Kl. (in-trauterin und postpartal) angezeigt gewesen wäre. Jedoch erscheint es wegen der dauerhaften Beeinträchtigung des Kl. in seiner sprachlichen Ausdrucksfähigkeit, die zahlrei-che Untersuchungen, Behandlungen und Therapien nötig gemacht haben und ihn langfristig begleiten werden, an-gemessen, über den vom Kl. als Mindestbetrag genannten Betrag hinauszugehen. Zugleich wird mit der Bemessung des Schmerzensgeldes auch der Tatsache Rechnung getra-gen, dass dem Bekl. hier ein grober Behandlungsfehler un-terlaufen ist. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände

hält das Gericht ein Schmerzensgeld i. H. von 20.00,00 € für angemessen.

[…]II. Dem Kl. steht als kausaler Folgeschaden zum Behand-

lungsfehler für die seinen Eltern entstandenen Fahrtkosten zu den einzelnen in der Klageschrift dargelegten Behand-lungsterminen ein Geldersatz i. H. von 321,00 € zu (vgl. die Nachweise bei Palandt, a. a. O., § 249, Rdnr. 9). Soweit der Bekl. die Entstehung des Schadens pauschal bestritten ha-ben mag, war dies angesichts der substantiierten Darlegung der einzelnen Fahrtstrecken nicht ausreichend.

[…]III. Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.

Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsin-teresse ergibt sich aus der drohenden Verjährung weiterer materieller und immaterieller Schadensersatzansprüche. Der Bekl. ist daher verpflichtet, dem Kl. sämtliche, über den Ersatz der Fahrtkosten seiner Eltern, hinausgehenden materiellen Schäden und sämtliche nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden ab dem 22. 7. 2006 zu ersetzen, die ihm aus der fehlerhaften Behandlung durch den Bekl. re-sultieren, sofern nicht diese Ansprüche auf einen Sozialver-sicherungsträger oder sonstigen Dritten übergehen, §§ 249, 253 BGB. Nach den Feststellungen der Sachverständigen F. und K. wären die Folgen und Komplikationen bei einem behandlungsfehlerfreien Vorgehen durch den Bekl. ver-mieden worden, was das Feststellungsinteresse des Kl. indi-ziert, zumal die durch den Sachverständigen K. festgestellte Sprachstörung einen Dauerschaden darstellt, dessen Aus-wirkungen heute noch nicht bezifferbar sind. Der insoweit durch den Kl. gestellte Antrag war sprachlich anzupassen.

Zur erforderlichen Personalausstattung bei der medizinischen Strahlenanwendung

GG Artt.12 Abs. 1, 85 Abs. 2 S. 1; StrlSchVO §§ 2 Abs. 1, 11 Abs. 2, 14 Abs. 1, 82 Abs. 1 u. 2

1. Bei der Durchführung der Bestrahlungstherapie mit dem Linearbeschleuniger Tomotherapie Hi-Art sind für einen sicheren Betrieb grundsätzlich mindestens zwei technisch mitwirkende Personen erforderlich.

2. Die Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin 2011 ist keine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift. Die Vorgaben in Nr. 5.2.2 dieser Richtlinie, welche die Personen nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 StrlSchV (MFA) von vornherein von der Patientenlagerung und dem Aus-lösen der Bestrahlung ausnehmen und auf unterstüt-zende Tätigkeiten beschränken, sind mit § 82 Abs.  2 StrlSchV nicht zu vereinbaren. Sie sind daher unabhän-gig davon, ob die Richtlinie als antizipiertes Sachver-ständigengutachten einzustufen ist, unbeachtlich, da sie nicht mit den normativen Regelungen der Strah-lenschutzverordnung in Einklang stehen.

3. Die ständige Aufsicht des fachkundigen Arztes über technisch mitwirkende Personen, die wie die Per-sonen nach § 82 Abs. 2 Nr. 4 StrlSchV nicht selbst über die Fachkunde im Strahlenschutz, sondern nur über eine sonstige medizinische Ausbildung und Kennt-nisse im Strahlenschutz verfügen, erfordert, dass er diese Personen laufend überwacht und jederzeit kor-rigierend eingreifen kann. Stichprobenartige Kontrol-len und die Anwesenheit des fachkundigen Arztes in der Praxis reichen nicht aus. Ob anderes gelten kann,

Bearbeitet von Rechtsassessorin Ulrike Hespeler, Jur. Geschäftsführerin der LÄK Bad.-Württ., Jahnstraße 40, 70597 Stuttgart, Deutschland

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