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Grundpraktikum Versuchsreihe: Materialwissenschaft Schmelzen und Erstarren B403 Stand: 21.3.2012 Ziel des Versuchs: An einer Aluminium/Silizium-Gusslegierung soll in Abhängigkeit von der Erstarrungsgeschwindigkeit eine metallographische Gefügeanalyse ausgeführt werden. Inhalt 1. Einleitung 2 2. Theoretische Grundlagen 2 2.1. Das Gleichgewichtsphasendiagramm 2 2.2. Keimbildung und Wachstum 7 2.3. Gefüge 9 2.4. Metallographische Gefügeanalyse 11 3. Technische Bedeutung 13 4. Versuchsdurchführung 13 4.1. Proben / Geräte 13 4.2. Versuchsablauf 13 5. Versuchsauswertung 14 7. Literatur 15

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Grundpraktikum Versuchsreihe:

Materialwissenschaft

Schmelzen und Erstarren B403

Stand: 21.3.2012

Ziel des Versuchs: An einer Aluminium/Silizium-Gusslegierung soll in Abhängigkeit von der Erstarrungsgeschwindigkeit eine metallographische Gefügeanalyse ausgeführt werden.

Inhalt

1. Einleitung 2

2. Theoretische Grundlagen 2

2.1. Das Gleichgewichtsphasendiagramm 2

2.2. Keimbildung und Wachstum 7

2.3. Gefüge 9

2.4. Metallographische Gefügeanalyse 11

3. Technische Bedeutung 13

4. Versuchsdurchführung 13

4.1. Proben / Geräte 13

4.2. Versuchsablauf 13

5. Versuchsauswertung 14

7. Literatur 15

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B403: Schmelzen und Erstarren

1. Einleitung Materialien, die als Werkstoffe eingesetzt werden sollen, müssen je nach ihrem Anwendungsbereich bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Eigenschaften wie Härte, Verformbarkeit, thermische Ausdehnung usw. müssen den Einsatzbedingungen entsprechen. Das schränkt die Verwendbarkeit reiner Elemente, z. B. reiner Metalle, stark ein, da ihre Eigenschaften nicht genügend variieren. Durch Legierung von zwei oder mehr Metallarten entstehen dagegen Stoffe, deren Eigenschaften je nach Mischungsverhältnis veränderbar sind und den jeweiligen Anwendungsbedingungen angepasst werden können. Gasförmige Stoffe sind in jedem Verhältnis mischbar. Nach Ablauf einer durch die Diffusionsgeschwindigkeit bestimmten Zeit stellt sich eine homogene Mischung ein, die den stabilen Gleichgewichtszustand darstellt. Bei flüssigen und festen Stoffen ist ein stabiler oder metastabiler Zustand (d.h. der Stoff ist im relevanten Zeitrahmen unveränderlich und verarbeitbar) nicht an die Homogenität des Systems gebunden. Zum einen sind feste und flüssige Stoffe oftmals nicht vollständig mischbar. Dann liegen im Gleichgewichtszustand mehrere Phasen stabil nebeneinander vor. Zum anderen ist die Diffusionsgeschwindigkeit der Teilchen im Festkörper viel kleiner als in Flüssigkeiten und Gasen. Das bedeutet, die Zeitspanne bis zum Erreichen des durch ein Minimum an „freier Energie“ gekennzeichneten Gleichgewichtszustandes kann sehr lang sein. In diesem Fall kann erstens ein metastabiles heterogenes Gemisch vorliegen, welches sich erst im Laufe der Zeit und/oder bei Zufuhr von Energie zu einem homogenen Gemisch entwickelt. Zweitens kann eine metastabile homogene Mischung vorliegen, welche zu einer heterogenen Mischung differenzieren würde, um von einem metastabilen zu einem stabilen Zustand zu gelangen. Bei festen Stoffen kann man also homogen stabile, heterogen stabile, homogen metastabile und heterogen metastabile Phasengemische unterscheiden. Kühlt man die Schmelze einer Legierung so langsam ab, dass sich das System praktisch immer im Gleichgewicht befindet, so scheiden sich im Laufe der Abkühlung Kristallite unter-schiedlicher Zusammensetzung ab. Die Beziehung zwischen der Temperatur des Systems und der Zusammensetzung der Phasen ist durch das Phasendiagramm der Legierung gegeben. Dieses Diagramm ist die Grundlage für die Untersuchung von Ausscheidungs- und Umwandlungsprozessen in Metallen und der sich daraus ergebenden Eigenschaftsänderungen in Abhängigkeit von Temperatur und Zusammensetzung. Die Thermische Analyse einer Legierung aus höchstens zwei Komponenten kann Aufschluss über die Zustandsänderung und damit ihre Zusammensetzung geben. Dazu wird eine Temperatur-Zeit-Kurve für Erwärmung oder Abkühlung erstellt.

2. Theoretische Grundlagen 2.1. Das Gleichgewichtsphasendiagramm Gibt es in einem System nur gleichartige Teilchen (z. B. reine Elemente oder chemische Verbindungen), so spricht man von einem Einkomponentensystem. Unter einem System versteht man hier die gesamte untersuchte Stoffmenge. Ob ein solches System fest, flüssig oder gasförmig ist, hängt allein von den Zustandsvariablen Druck (p) und Temperatur (T) ab. In der Regel arbeitet man bei konstantem Druck, gegeben durch den Luftdruck. Befinden sich im System aber mehrere verschiedene Teilchenarten (Komponenten), so gibt es als zusätzliche Variable zu p und T

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noch die chemische Konzentration ( ci ) bzw. den auf die gesamte Stoffmenge bezogenen Molenbruch ( xi ).

ci = ni / V ni : Teilchenzahl der Komponente i V: Volumen xi = ni / Σni Mehrkomponentensysteme, die mindestens ein metallisches Element enthalten und sich insgesamt wie Metalle verhalten (z. B. elektrische Leitfähigkeit zeigen), werden als Legierungen bezeichnet. In Abhängigkeit von den Zustandsvariablen kann das System in unterschiedliche, voneinander getrennte Bereiche aufgeteilt sein. Man spricht dann von einem heterogenen System. Innerhalb der einzelnen Bereiche ist die Verteilung homogen. Man bezeichnet diese homogenen, durch Grenzflächen voneinander getrennten Bereiche als Phasen. An den Phasengrenzen ändern sich die chemischen, strukturellen oder physikalischen Eigenschaften sprungartig, innerhalb der Grenzen nur kontinuierlich. Im Phasendiagramm wird in der Regel die Konzentration xi gegen die Temperatur T aufgetragen. In diesen Diagrammen sind die Existenzbereiche der einzelnen Phasen durch Linien voneinander getrennt (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Phasendiagramm für das System Cu-Ni mit entsprechender Abkühlungskurve für die Legierung Cu60Ni40

Bei sehr hoher Temperatur ist das ganze System einphasig flüssig, bei sehr niedriger Temperatur einphasig fest (Mischkristall). Dazwischen gibt es einen Temperaturbereich, in dem eine feste und eine flüssige Phase miteinander im thermodynamischen Gleichgewicht stehen. Dieses Zweiphasengebiet ist von der reinen Schmelze durch die Liquiduskurve, vom festen Zustand durch die Soliduskurve abgegrenzt. Wird eine Schmelze mit der Zusammensetzung Cu60Ni40 langsam abgekühlt, so ergibt sich im Laufe der Zeit die in Abb. 1 dargestellte Abkühlkurve.

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Erreicht die Schmelze beim Abkühlen die Liquiduskurve, so kann sich der erste Kristallit bilden. Seine Zusammensetzung entspricht dem Punkt B. Beim Auskristallisieren werden die Komponenten also in unterschiedlichen Mengen der Schmelze entzogen. Die Komponente mit dem höheren Schmelzpunkt reichert sich in der festen Phase, die mit dem niedrigeren Schmelzpunkt in der flüssigen Phase an. Die Konzentration der Schmelze bewegt sich beim weiteren Abkühlen entlang der Liquiduskurve in Richtung C, die der festen Phase entlang der Soliduskurve in Richtung D. Sind diese Punkte erreicht, ist das ganze System fest, und die mittlere Zusammensetzung des Feststoffes entspricht der Ausgangskonzentration der Schmelze. Das Erreichen der Liquiduskurve bzw. das Verlassen der Soliduskurve macht sich in der Abkühlkurve durch eine veränderte Steigung bemerkbar. Die Massenanteile der Phasen an der Gesamtmasse des Systems lassen sich im Zweiphasengebiet mit dem Hebelgesetz bestimmen (analog berechnen sich die Gewichtsan-teile). Hierzu zeichnet man zunächst eine isotherme Linie (Konode) durch das Zweiphasengebiet (Abb. 2). Die Senkrechte über der Ausgangskonzentration der Schmelze teilt die Konode in zwei Abschnitte lα und lβ (Hebelarme). Es gilt:

nα lα = nβ lβ

Abb. 2: Das Hebelgesetz: Die Abschnitte lα und lβ repräsentieren das Verhältnis von Schmelze zu auskristallisiertem Feststoff.

Abweichend von dem eben gezeigten idealen Verhalten einer lückenlosen Mischbarkeit im System Cu-Ni zeigt z.B. das System Au-Ni ein Schmelzpunktminimum (Abb. 3). Hat die Schmelze die zum Minimum gehörige Zusammensetzung, kristallisiert sie beim Abkühlen unter Beibehaltung dieser Zusammensetzung aus.

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Abb. 3: Das binäre System Au-Ni Abb. 3 zeigt zusätzlich das Auftreten einer Mischungslücke im festen Zustand; d.h. bei entsprechend tiefer Temperatur gibt es im Gleichgewichtszustand keine Kristallite mit Zu-sammensetzungen innerhalb der Mischungslücke. Die Isotherme, die die Mischungslücke tangiert, liefert die kritische Entmischungstemperatur. Erreicht die Mischungslücke die Soliduskurve, ergibt sich das in Abb. 4 am Beispiel Ag-Cu dargestellte Phasendiagramm.

Abb. 4: Das binäre System Ag-Cu

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Im Bereich I liegt eine einzige homogen durchmischte Schmelze vor. Im festen Zustand gibt es jedoch mehrere verschiedene Mischkristalle. Im Bereich II liegt ein silberreicher (α), im Bereich III ein kupferreicher (β) Mischkristall vor. IV und V sind Zweiphasengebiete, in denen die Schmelze mit den silber- bzw. kupferreichen Mischkristallen im Gleichgewicht steht. Die Mischungslücke VI stellt ein Zweiphasengebiet zwischen zwei festen Phasen dar. Hier stehen die beiden unterschiedlichen Mischkristalle α und β miteinander im Gleichgewicht. Wird eine Schmelze mit einem sehr großen Molenbruch XCu abgekühlt, so scheidet sich zunächst ein sehr kupferreicher Mischkristall aus. Die Konzentration des Kupfers in der Schmelze nimmt schneller ab als die des Silbers. Der Molenbruch der Schmelze bewegt sich also beim Abkühlen auf der Liquiduskurve in Richtung E. Hatte die Schmelze ursprünglich einen kleinen Molenbruch XCu, so scheidet sich der silberreiche Mischkristall aus. Auch dann bewegt sich die Konzentration der Schmelze beim Abkühlen auf den Punkt E zu. Dieser Punkt wird als der eutektische Punkt bezeichnet. Hat die Schmelze diese eutektische Konzentration erreicht, so fallen beide Mischkristalle bei konstanter Temperatur in konstantem Verhältnis aus. Die Zusammensetzungen dieser Mischkristalle sind durch die Punkte A und B gegeben. Erst wenn das System vollständig erstarrt ist, kommt es zu einer weiteren Temperaturabsenkung (vgl. Abb. 5b). Am eutektischen Punkt stehen drei Phasen miteinander im Gleichgewicht: Es sind zwei feste Mischkristallphasen und die Schmelze (Begründung vgl. Gibbssche Phasenregel). Erreichen die Ränder der Mischungslücke den Molenbruch 1 oder 0, kommt es zur Ausscheidung der reinen Komponenten. Die Bereiche II und III fehlen dann im Phasendiagramm.

(a) (b)

Abb. 5: Das Phasendiagramm Pb-Sb (a) mit den dazugehörigen Abkühlkurven (b)

Die Gibbssche Phasenregel besagt: Der Zustand eines Systems ist dadurch gekennzeichnet, wie viele verschiedene Phasen bei gegebenen Bedingungen miteinander im Gleichgewicht stehen. Ändert man eine Zustandsvariable, z.B. die Temperatur, um einen kleinen Betrag, so ändert sich in weiten Temperaturbereichen die Anzahl der im Gleichgewicht befindlichen Phasen nicht. Liegt die Temperatur des Systems aber dicht an seinem Schmelzpunkt, kann eine kleine Änderung schon zum Verschwinden oder Hinzukommen einer Phase führen.

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Die Anzahl der Zustandsvariablen, die verändert werden können, ohne die Anzahl der Phasen im Gleichgewicht zu verändern, bezeichnet man als die Zahl der Freiheitsgrade F. F ergibt sich aus der Anzahl der Komponenten K und der Phasen P durch: F = K - P + 2 Für ein binäres System ist F = 2 - P + 2 Befindet man sich im Phasendiagramm eines binären Systems z. B. in der Schmelze weit entfernt von der Liquiduskurve, so kann man die Temperatur, den Druck und die Konzentration ändern, ohne dass eine weitere Phase gebildet wird: F = 2 – 1 + 2 = 3 Befindet man sich im Phasendiagramm eines binären Systems auf der Liquidus- oder der Soliduskurve, so ist bei einem gewählten Druck und einer gewählten Temperatur die Konzentration unveränderbar: F = 2 – 2 + 2 = 2 2.2. Keimbildung und Wachstum Alle spontan ablaufenden Prozesse müssen zu einem energetisch günstigeren Zustand führen, d.h. die freie Energie des Systems muss kleiner werden (Abb. 7). Wird z.B. beim Abkühlen eines Systems die Schmelztemperatur unterschritten, bildet sich spontan die thermodynamisch stabilere feste Phase innerhalb der flüssigen Schmelze aus (homogene Keimbildung).

Abb. 6: Bildung einer Phasengrenzfläche Fest/Flüssig Die freie Bildungsenthalpie ∆G für diesen Prozess ist negativ. Eine Phasenumwandlung bedingt aber die Bildung einer neuen Phasengrenzfläche innerhalb der alten Phase. Dies ist grundsätzlich energetisch ungünstig. Die freie Bildungsenergie der neuen Phase muss also aufgeteilt werden in einen positiven Anteil der Oberfläche ∆GA und einen negativen Volumenanteil ∆GV . Lagern sich anfangs nur wenige Teilchen zur neuen Phase zusammen, so hat der entstehende Keim ein relativ großes Verhältnis Oberfläche/Volumen. Das positive ∆GA überwiegt das negative ∆GV ; diese kleinen Keime sind nicht stabil - die Schmelze ist unterkühlt. Sind die Keime bereits etwas größer, so ändert sich das Verhältnis, da die Oberfläche nur mit der zweiten, das Volumen aber mit der dritten Potenz des Radius wächst. Die Schmelze kristallisiert aus. Liegen Keime verschiedener Größe nebeneinander vor, so wachsen die größeren auf Kosten der kleineren. Dieser Vorgang benötigt jedoch Zeit, so dass sich die Anzahl der wachsenden Keime über die Abkühlgeschwindigkeit regeln lässt.

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Abb. 7: Änderung der freien Enthalpie in Abhängigkeit vom Keimradius Will man beim Abkühlen eine Unterkühlung der Schmelze vermindern, so kann man durch Zusetzen von Fremdkeimen (Impfen) die Keimbildungsarbeit herabsetzen. Bei dieser heterogenen Keimbildung lagern sich Atome aus der Schmelze an die vorhandenen Grenzflächen an, so dass die aufzubringende Oberflächenenergie geringer ist.

Abb. 8: Heterogene Keimbildung Von der Keimbildungsgeschwindigkeit zu unterscheiden ist die Wachstumsgeschwindigkeit der Keime. Neben der Abkühlgeschwindigkeit spielt hier auch der Stofftransport eine wichtige Rolle. Abb. 9 verdeutlicht die Anlagerung von Gitterbausteinen nach der Theorie von Kossel und Stranski. Danach werden Gitterbausteine bevorzugt dort angelagert, wo der Einbau mit dem größten Energiegewinn verbunden ist. Der Energiegewinn nimmt für die Möglichkeiten 1-6 in dieser Reihenfolge ab. Die meisten Teilchen finden jedoch nicht sofort die energetisch günstigste Position. Sie lagern sich an den wachsenden Kristall an und gelangen anschließend durch Oberflächendiffusion auf ihren endgültigen Platz im Kristallgitter. Werden dabei Fremdatome adsorbiert, so kann dies das Kristallwachstum entscheidend beeinflussen.

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Abb. 9: Besetzung einer Kristalloberfläche nach Kossel und Stranski 2.3. Gefüge Unter dem Begriff "Gefüge" fasst man die lokale chemische Zusammensetzung, die Anordnung, die Form und die Größe der Körner im Feststoff zusammen. Der Erstarrungsprozess umfasst drei zu unterscheidende Vorgänge: Keimbildung, Keimwachstum und das eigentliche Kornwachstum.

Abb. 10: Entwicklung der Struktur einer Gusslegierung: (a) Begin der Keimbildung, (b)globulares Wachstum in der Abschreckungszone, (c) gerichtetes kolumnares Wachstum,

(d) globulares grobkörniges Gefüge im Zentrum Durch Anätzen mit einem Säuregemisch können die Gefügestrukturen im Querschnitt einer Gusslegierung sichtbar gemacht werden. Am äußeren Rand liegt ein feinkörniges globulares Gefüge vor. Dieser Bereich war im unmittelbaren Kontakt mit der Gusskokillenwand. Der Wärmeabfluss war sehr groß, so dass sich Kristallisationskeime ausbilden konnten. Weiter nach innen haben sich große, langgestreckte Körner ausgebildet. Ausgehend von wenigen Keimen erfolgt dort die Kristallisation bevorzugt entgegen der Wärmeableitungsrichtung. Im Zentrum ist das Gefüge

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wieder globular; die Körner sind jedoch größer als am Rand. Hier hatten die größeren Keime während der langsamen Abkühlung Gelegenheit, auf Kosten der kleineren Keime zu wachsen.

Abb. 11: Planares Wachstum Liegt eine eutektische Schmelze vor, so bilden sich die zwei Mischkristalle α und β beim Erstarren mit etwa gleicher Korngröße aus. Bei einer übereutektoiden Konzentration bildet sich bis zum Erreichen des Eutektikums nur ein Mischkristall (z.B. β). Sobald die Restschmelze eine eutektische Zusammensetzung erreicht hat, beginnen α- und β-Mischkristalle gleichzeitig und zu gleichen Teilen auszufallen. Nach dem vollständigen Erstarren liegen verhältnismäßig große β-Kristallite in einer feinkörnigen Matrix aus α- und β-Mischkristallen vor. Sind die Wachstumsbedingungen nicht in allen kristallographischen Richtungen gleich, können sich tannenbaumförmige Dendriten bilden, bei denen in Richtung des Stammes und der Äste die Wachstumsbedingungen besonders günstig sind (Abb.12 und 13). Die Dendritenbildung wird durch starke Unterkühlung und eine geringe Keimbildungsrate begünstigt.

Abb. 12: Dendritisches Wachstum in Gusslegierungen – große, früh ausgeschiedene Kristallite in feinkörniger Matrix mit (gemittelt!) eutektischer Zusammensetzung

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Abb. 13: Dendritisches Wachstum Beim Abkühlen einer Schmelze und beim Erstarren kommt es bei den meisten Metallen und Legierungen zu einer Volumenverringerung (Erstarrungsschrumpfung). Die Werte liegen in der Regel zwischen -2 und -8 Vol.%. Werden beim Erstarrungsprozess noch geschmolzene Bereiche geringerer Dichte von bereits festen Bereichen völlig umschlossen, so führt die fortschreitende Erstarrung und Volumenkontraktion zur Ausbildung von Hohlräumen, die Lunker genannt werden. Sie beeinträchtigen die mechanische Stabilität und sind insbesondere innerhalb von Schweißnähten kritisch. 2.4. Metallographische Gefügeanalyse Nach entsprechender Präparation einer Schlifffläche kann die Gefügestruktur z.B. unter einem Metall- oder einem Elektronenmikroskop beobachtet und ausgewertet werden. Ein wichtiger Punkt bei der Analyse ist die Korngrößenbestimmung. Innerhalb eines Korns ist der kristallographische Aufbau konstant, d.h. die Netzebenen verlaufen in einem Korn parallel. An der Grenzfläche zwischen zwei Körnern stoßen Netzebenen mit unterschiedlichen Winkeln aufeinander und bilden Störungen im Kristall, die Korngrenzen. Die Größe der Körner wird an metallographischen Schliffen, d.h. an ebenen Schnitten durch das Gefüge ermittelt. Da selbst bei kugelförmigen Körnern nie alle in ihren Mittelebenen geschnitten würden, stellen die so erhaltenen Werte nicht die wahren Korngrößen dar. Die erhaltene Information wird deshalb als "scheinbare Korngröße" bezeichnet. Es werden verschiedene Verfahren zum Ausmessen der Korngrößen angewendet. Linienschnittverfahren (Durchmesserverfahren):

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Auf das Schliffbild werden 5 bis 10 parallele Linien der Länge L (mm) gezeichnet (Abb. 14). Gezählt werden die von den Linien vollständig geschnittenen Körner z, wobei das erste teilweise geschnittene Korn mitgezählt wird und das letzte zum Ausgleich dafür nicht berücksichtigt wird. Die mittlere Korngröße Dm ergibt sich dann zu: Dm = ( L p ) / ( z V ) L = Linienlänge p = Anzahl der parallelen Linien z = Anzahl der geschnittenen Körner V = Abbildungsmaßstab

Abb. 14: (a) Linienschnittverfahren, (b) Kreisverfahren

Kreisverfahren: Auf das Schliffbild wird ein Kreis mit bekanntem Flächeninhalt gezeichnet (Abb. 14). Gezählt werden die Körner z, die vollständig innerhalb des Kreises liegen und jene, die von der Kreislinie geschnitten werden. Von den geschnittenen Körnern n wird angenommen, dass 67 % ihrer Fläche im Kreisinneren liegt, so dass für die mittlere Kornquerschnittsfläche gilt: Fm = FK / (( 0,67 n + z ) V2 ) FK = bekannte Kreisfläche Fm = mittlere Kornquerschnittsfläche z = Anzahl der vollständig im Kreis liegenden Körner n = Anzahl der von der Kreislinie geschnittenen Körner v = Abbildungsmaßstab Liegen in einer Probe verschiedene Phasen nebeneinander vor (vgl. Abb.12), müssen die Korngrößen für jede Phase einzeln bestimmt werden, um daraus den prozentualen Anteil an der Gesamtfläche bzw. am Gesamtvolumen zu ermitteln. Um die Struktur und chemische Zusammensetzung der einzelnen Körner zu bestimmen, bedient man sich röntgenographischer Methoden. In einem Elektronenmikroskop können gezielt einzelne Körner mit Elektronen beschossen werden. Die Wechselwirkung dieser Elektronen mit den Elektronenhüllen der Metallatome

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führt zur Emission von Röntgenstrahlen. Die Energie dieser Röntgenstrahlung ist charakteristisch für die vorliegenden Elemente. Aus dem Verhältnis der aufgenommenen Röntgenpeaks lassen sich quantitative Aussagen über die Zusammensetzung machen. Werden die Gefügeproben so dünn geschliffen, dass der Elektronenstrahl die Probe völlig durchdringen kann, lassen sich Aussagen über die Kristallstruktur im einzelnen Korn treffen. Der Elektronenstrahl wird an den einzelnen Netzebenen wie an einem Gitter gebeugt. In dem resultierenden Beugungsbild können die jeweiligen Netzebenen identifiziert werden. 3. Technische Bedeutung Al - Legierungen werden, bedingt durch

- geringes Gewicht, - in der Regel gute Korrosionsbeständigkeit, - gut einstellbare mechanische Eigenschaften durch Legierungselemente und /oder Wärmebehandlung, - gute Ver- und Bearbeitbarkeit, - dekorative Gestaltungsmöglichkeiten

in besonderem Umfang als Guss- oder Knetlegierung eingesetzt. Al - Legierungen mit 1 - 2.5 % Si und 9.5 - 11 % Si und / oder 0.25 - 1 % Mg, Cu, Mn, Ni werden z.B. für die Herstellung von Gussstücken (Kokillen-, Druck- und Niederdruckguss) für den Apparate-, Geräte-, Fahrzeug- und Maschinenbau genutzt. Durch die Legierungszusätze und in Abhängigkeit von Gießverfahren und Wärmebehandlung werden Zugfestigkeiten bis 290 N/mm2 erreicht. 4. Versuchsdurchführung 4.1. Proben / Geräte Rohmaterial: AL 99,5, reines Si Geräte: Muffelofen LM 111 (Linn) Thermometer + Regler (Heraeus)

Gusskokille Metallmikroskop MeF3a (Reichert-Jung) 4.2. Versuchsablauf • Eine vorbereitete Aluminium-Silizium-Legierung wird im Keramiktiegel aufgeschmolzen.

Die Zusammensetzung der Legierung ändert sich durch den Abbrand bei jedem Aufschmelzen geringfügig. Im Tiegel steckt zur Temperaturbestimmung ein Thermoelement, welches durch ein Keramikrohr geschützt und mit einem Thermoregler verbunden ist.

• Nachdem die Probe vollständig aufgeschmolzen ist, wird der Ofen ausgeschaltet und die Abkühlkurve aufgenommen. Hierfür wird in kurzen Zeitabständen (alle 30 sec.) die Temperatur der Schmelze bestimmt und gegen die Abkühlzeit aufgetragen.

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Temperaturgradienten in der Schmelze sollten durch vorsichtiges Rühren mit dem Thermoelement vermieden werden!

• Eine bereits präparierte Probe mit polierter und angeätzter Fläche ist einer eingehenden

Gefügebetrachtung zu unterziehen. Bestimmen Sie die Gefügebestandteile, ggf. mit Hilfe der Literatur! Sind verschiedene Bereiche zu erkennen? Wenn ja, so drucken Sie diese aus und bestimmen Sie die Korngröße.

Abb. 15: Das binäre System Al-Si 5. Versuchsauswertung • Bestimmen Sie die Zusammensetzung der von Ihnen hergestellten Legierung mit Hilfe

von Phasendiagramm (vgl. Abb. 15), Abkühlkurve und Gefüge. • Stellen Sie den Zusammenhang zwischen Gefügebereich, Korngröße und

Abkühlbedingung dar.

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7. Literatur D.R. Askeland, The Science and Engineering of Materials,

PWS Publishing Company, 1994 P.W. Atkins, Physical Chemistry,

Oxford University Press, Oxford Melbourne Tokyo, 1998 C.R. Barrett, W.D. Nix, A.S. Tetelman, The principles of Engineering materials,

Prentice Hall, Inc., Englewood Cliffs, New Jersey, 1973 W. Bergmann, Werkstofftechnik, Teil 1 (Grundlagen)

Carl Hanser Verlag, München 1989 Sir A. Cottrell, An Introduction to Metallurgy,

The University Press, Cambridge, 1995 P. Haasen, Physical Metallurgy,

Cambridge University Press, 1996 E. Hornbogen, H. Warlimont, Metallkunde,

Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York, 1991 E. Macherauch, Praktikum in Werkstoffkunde,

Vieweg Verlag, Braunschweig 1992 W. Schatt, Einführung in die Werkstoffwissenschaft,

Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig 1991 M. Schumann, Metallographie,

Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig 1991 G. Wedler, Lehrbuch der Physikalischen Chemie,

Verlag Chemie, Weinheim

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