Grundwissen der Geschichte des Kōdōkan-Jūdō in · PDF fileJUDO 30 5/2010 der budoka von Offizieren in moderner Kriegsführung (z.B. Artillerie), wo ergänzend auch verschie-dene

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  • 28 5/2010 der budoka

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    Historischer Kontext

    Wie alle anderen Lnder der Erde hat auch Japan eine von Kriegen gezeichnete Geschich-te. Vor allem im 15. und 16. Jahrhundert gab es viele interne Machtkmpfe zwischen weitge-hend autonomen Territorien, da es keine starke Zentralregierung mehr gab. Man nennt einen Teil dieser Zeit nicht umsonst die Zeit der streitenden Reiche (Sengoku-Periode, 1477 bis 1573).

    In der Schlacht von Seki-gahara konnte IEYASU TOKUGA-WA im Jahr 1600 die milit-rische Vorherrschaft in Japan erkmpfen. Er lie sich vom Kaiser (jap. tenn) mit allen Machtbefugnissen ausstatten und 1603 zum shgun ernen-nen. Die Hauptstadt wurde von Kyto nach Edo (dem frheren Namen von Tky) verlegt, weswegen die nachfolgende Periode auch Edo-Zeit (1603 bis 1868) genannt wird. Da wh-rend dieser gesamten Zeit die Tokugawa-Familie den Shgun stellte, nennt man die Zeit auch das Tokugawa-Shgunat. Der tenn war zwar offiziell Staatsoberhaupt, faktisch aber nur noch auf reprsentative Aufgaben beschrnkt.

    Grundwissen der Geschichte des Kdkan-Jd in Japan

    von Wolfgang Dax-Romswinkel

    Teil 1: Kory-Bugei: die klassischen Kriegsknste JapansJIGOR KAN hat mit seinen Schlern und Mitarbeitern ab 1882 das Kdkan-Jd entwickelt. Die Wurzeln des Kdkan-Jd liegen in den klassischen japanischen Kriegsknsten, den so genannten kory-bugei, die ber Jahrhunderte entwickelt und ver-feinert worden waren. Weil Kenntnisse ber die kory-bugei beim Verstndnis der Jdgeschichte und des Jd hilfreich sind, sollen zu Beginn dieser Artikelreihe ihre wichtigsten Eigenheiten, ihr Aufstieg und ihr Niedergang im Kontext der geschicht-lichen Ereignisse skizziert werden. Naturgem kann die Darstellung in diesem Rahmen allerdings nur sehr komprimiert und verallgemeinernd sein. Fr ein vertiefendes Studium muss daher auf separate Fachliteratur zurckgegriffen werden.

    Konsequent sicherte das Shgunat seine Macht ab und Japan erlebte eine rund 250-jh-rige relativ friedliche Periode. Strikte Kontrolle der Ein- und Ausreise nach Japan und des Handels mit auslndischen Mchten fhrten zu einer sehr starken Abschottung des Inselreiches. Zahlreiche Gesetze und die Stndegesellschaft nach konfuzianischer Lehre bestimm-ten die Staatsordnung.

    Die Stndeordnung der Edo-Zeit

    Der gesellschaftliche Stand eines Menschen hing nicht von seinen Leistungen oder seiner Ausbildung ab, son-dern praktisch allein von der Herkunft. An der Spitze standen das Kaiserhaus, der Tokugawa-Clan und die etwa 260 Frsten (jap. daimy). Es folgte der Kriegerstand, die samurai, denen als einzige erlaubt war Schwerter zu tragen. Geordnet nach Leistung fr die Produk-tion lebensnotwendiger Gter, kamen danach die Bauern, die Handwerker und als niedrigs-ter Stand die Hndler. Noch darunter waren Menschen mit Berufen, die nach buddhisti-scher Lehre unrein waren wie

    Gerber, Totengrber, Henker oder Prostituierte.

    Die Samurai stellten etwa 5 % der Bevlkerung und nahmen in der Regel Verwal-tungsaufgaben - hnlich unseren heutigen Beamten - wahr. Die Zugehrigkeit zu einem Stand hatte brigens nicht unbe-dingt etwas mit persnlichem Wohlstand zu tun. Es gab z.B. verarmte samurai genauso wie reiche Hndler.

    Entwicklung und Systema-tisierung der Kampfknste durch die ry-ha

    Whrend der Jahrhun-derte, in denen Kriege gefhrt wurden, entwickelten sich zahlreiche Formen des Kampfes mit und ohne Waffen, aber erst ab Mitte des 16. Jahrhun-derts wurden diese zunehmend formalisiert und durch die ry-ha strukturiert berliefert. Eine ry ist eine Schule oder in etwas anderer bersetzung ein Stil, ha bezeichnet einen Zweig oder eine Linie. Die ry-ha sind also die Stile/Schulen und ihre Zweige.

    Insgesamt lassen sich 18 Hauptformen der Krieg-knste unterscheiden, die bugei-jhappan, zu denen

    z.B. kenjutsu (Schwertkampf), kyjutsu (Bogenschieen), bjutsu (Kmpfen mit dem Langstock) aber auch Schwim-men und weitere Disziplinen gehrten. Jjutsu, das alternativ z.B. auch yawara oder tai-jutsu genannt wurde, war eine dieser Formen. Es bezeichnete in der Regel das Kmpfen ohne oder nur mit leichten Waffen gegen einen unbewaffneten oder einen bewaffneten Gegner. Jjutsu diente in erster Linie als Ergn-zung zum Waffenkampf, insbe-sondere zum Schwertkampf.

    Das Spektrum der Tech-niken ohne Waffen umfasste Wurftechniken, Gelenkhebel aller Art (auch an Genick, Hnden, Fingern, Beinen und Fen), Wrgetechniken sowie Schlge, Ste und Tritte. Wrfe waren oftmals mit Hebeln oder Schlgen/Sten gekoppelt und hatten nicht unbedingt das Ziel, den Gegner auf den Rcken zu werfen, denn auf dem Schlachtfeld war das Ausschalten des Gegners wichtiger als ihn kontrolliert zu werfen. Eine Besonderheit war der Nahkampf in Rstungen, das yoroi-kumi-uchi, das z.B. in der Kit-ry gelehrt wurde.

    Abwehr eines Faust-schlages in der

    Takenouchi-ry (aus Daigo T., Wurf-

    techniken des Kdkan Jd, S. 30-31)

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    Grndung der Schulen

    Die Umstnde, die zur Grndung der einzelnen Schu-len gefhrt haben, sind oft mit Legenden verbunden und die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit ist vielfach nicht mehr auszumachen. Das Spektrum reicht von Mythen - z.B. einer gttlichen Eingebung auf einer einsamen Wanderschaft - ber das Beobachten eines Weiden-baums im Sturm, der flexibel nachgibt und deshalb nicht knickt, bis hin zum legendr-en chinesischen Einwanderer namens GEMPIN, der im 17. Jahrhundert chinesische Kampf-formen nach Japan mitgebracht haben soll.

    Als eine der ltesten heute noch existierenden Schulen, die jjutsu gelehrt hat und noch tut, wird immer wieder die 1532 gegrndete Takenouchi-ry genannt. Wichtige Schulen fr die Entstehung des Kdkan-Jd sind Kit-ry und Tenjin-shiny-ry, die JIGOR KAN jeweils gelernt hat. Weitere bekannte Schulen sind z.B. Yshin-ry oder Sekiguchi-ry. Die meisten Schulen entstanden whrend der Edo-Zeit durch eine Synthese verschiedener bereits existierender Schulen. Insgesamt wurden mehrere hun-dert - einige Quellen sprechen von bis zu 2.000 - verschiedene Schulen whrend der Edo-Zeit gezhlt.

    Spter nannte man die bis zum Ende der Edo-Zeit entstandenen Stile kory-bugei oder kory-bujutsu, also die alten Kriegsknste (von ko=alt, ry=Schule/Stil, bugei/bujutsu=Kriegskunst).

    Formalisierung der Lehrin-halte und strukturierte ber-lieferung

    Die Lehre einer ry sollte unverflscht vom Grnder auf die nachfolgenden Generationen bertragen werden. Es gab stets nur ein Oberhaupt einer Schule,

    das fr die Weitergabe der Lehre verantwortlich war und auch den Nachfolger bestimm-te. Die Unverflschtheit der Lehre legitimierte sich ber eine ungebrochene Linie (Traditi-onslinie oder bertragungs-linie) bis zum Grnder der Schule. Wurde von der Lehre abgewichen, wurde sie ergnzt oder mit Lehren anderer ry vermischt, so bedeutete dies in der Regel den Beginn eines neuen Zweiges (ha) oder sogar die Grndung einer neuen ry.

    Kata, densho und kuden: das Curriculum einer ry

    Das technische Programm war in den kata der ry forma-lisiert. Sie sicherten eine weit-gehend unverflschte berlie-ferung der Techniken von einer Generation zur nchsten. In den kata spiegelte sich das Wesen der jeweiligen Schule wieder und sie prgten wesentlich die Identitt der Schule. Kata waren also unter anderem auch zum Zwecke der berlieferung ge-nau festgelegt und ein przises ben war Voraussetzung fr den Fortbestand der Lehre ber Generationen.

    Neben den kata gab es die schriftliche und die mndliche berlieferung. Jede Schule hatte Schriftrollen (jap. densho), in denen z.B. das technische Programm, wichtige Prinzipien, Verhaltensregeln und die Geschichte der Schule nieder-geschrieben war. Da - wie noch zu erlutern sein wird - jede ry auf eine weitgehende Geheim-haltung ihres Systems wert legte, wurden die geheimen Lehren nur mndlich weiter-gegeben. So hatte jede Schule ihre kuden (von ku=Mund, den=berlieferung). Oft wurde in den densho eine Geheimspra-che verwendet, die nur mit Hilfe der kuden entschlsselt werden konnte, so dass Unbefugte sie nicht verstehen konnten.

    Die Kampfknste sollten neben praktischen Fertigkeiten des Kmpfens auch mentale Fhigkeiten und charakterliche Strke vermitteln, womit den kory-bugei auch ein erheb-licher erzieherischer Wert zukam.

    Die Stufen der Ausbildung und das Lizenzierungssystem (menkyo)

    Die Schler wurden schrittweise und systematisch in verschiedene Lernstufen eingefhrt. Die Lerninhalte waren zu diesem Zweck je nach Schule in Stufen wie z.B. Grundlagen (shoden), fortge-schrittene Techniken (chden) und innere oder geheime Techniken (okuden) eingeteilt. Darber hinaus gab es wie oben erwhnt noch die letzte und hchste Stufe, das kuden, die mndlichen Lehren, die ber die okuden hinaus gehende Erklrungen enthielten.

    Analog dem Ausbildungs-stand gab es fr Schler verschiedene formale Rnge in meistens fnf Stufen, das sogenannte menkyo-System (von jap. menkyo=Lizenz, Er-laubnis). Je nach Rang wurden die Schler unterschiedlich tief in die Techniken, Prinzipien und Geheimnisse der Schule eingeweiht. Die hchste Stufe, das menkyo-kaiden, wurde nach der bermittlung der kuden erreicht. Es war die Bestti-gung, dass die Lehre der Schule vollstndig bertragen worden war und berechtigte zur selbst-stndigen Lehre der Kunst.

    Das menkyo-kaiden wurde durch eine Urkunde bescheinigt und war auch mit der Aushndi-gung einer Abschrift der densho verbunden.

    Sicherung der Vertraulichkeit der Lehre

    Die ry-ha versuchten wie oben bereits an einigen Stellen angedeutet den Wesenskern

    - das Innere - ihrer Kunst mglichst geheim zu halten, um nicht im Kampf gegen Vertreter anderer ry einen Nachteil zu haben.

    Bevor ein Schler ange-nommen und in die Kunst ein-geweiht wurde, musste er einen Eid leisten, dass er die Geheim-nisse der jeweiligen Schule nicht nach auen tragen und dass er die Kunst nicht ohne Erlaubnis unterrichten wird. Manche Schler, die uchi-deshi oder inneren