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Hintergrund: Guatemala Nr. 37 / Juni 2015 | 1 Anlass zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft? Dr. Rüdiger Vincent Graichen Hintergrund: Guatemala Nr. 37 / 12. Juni 2015 Zusammenfassung Guatemala bereitet sich auf die Präsidentschaftswahlen im September vor. Im Mai trat die Vizepräsidentin zurück, ein Teil des Kabinetts musste seine Posten aufgeben, die Sozialkassen sind leer, zum ersten Mal geht die gebildete Mittel- schicht in wöchentlichen Demonstrationen auf die Straße, Beobachter sprechen von einem möglichen Staatsstreich. Es besteht eine nervöse Spannung vor den Wahlen im September, von denen man nicht weiß, ob sie überhaupt stattfinden und wie dann die Alternativen aussehen. Dabei hätte Guatemala glänzende Aus- sichten, sich weiterhin wirtschaftlich positiv zu entwickeln und auch politisch den brutalen Bürgerkrieg und die chaotischen Übergänge zu einer funktionieren- den Demokratie zu bewältigen. Die sich wiederholenden Demonstrationen der neuen Mittelschicht Guatemalas geben Anlass zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft für das Land. Dennoch bleibt eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen, die diesen Hoffnungsschim- mer wieder zunichtemachen könnte. Das Land befindet sich in einer instabilen politischen Situation mit einem ständigen Wechsel der politischen Akteure in der Regierung und in der Administration. Staatsanwaltschaft und Gerichte arbeiten rund um die Uhr, um den zahllosen Korruptions- und Nepotismus-Vorwürfen nachzugehen, die u.a. von Medien und NGOs veröffentlicht werden.

Guatemala: Anlass zur Hoffnung?

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Guatemala bereitet sich auf die Präsidentschaftswahlen ??? im September vor. Im Mai trat die Vizepräsidentin zurück, ein Teil des Kabinetts musste seine Posten aufgeben, die Sozialkassen sind leer, zum ersten Mal geht die gebildete Mittelschicht in wöchentlichen Demonstrationen auf die Straße, Beobachter sprechen von einem möglichen Staatsstreich. Es besteht eine nervöse Spannung vor den Wahlen im September, von denen man nicht weiß, ob sie überhaupt stattfinden und wie dann die Alternativen aussehen. Dabei hätte Guatemala glänzende Aussichten, sich weiterhin wirtschaftlich positiv zu entwickeln und auch politisch den brutalen Bürgerkrieg und die chaotischen Übergänge zu einer funktionierenden Demokratie zu bewältigen.Die sich wiederholenden Demonstrationen der neuen Mittelschicht Guatemalas geben Anlass zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft für das Land. Dennoch bleibt eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen, die diesen Hoffnungsschimmer wieder zunichtemachen könnte. Das Land befindet sich in einer instabilen politischen Situation mit einem ständigen Wechsel der politischen Akteure in der Regierung und in der Administration. Staatsanwaltschaft und Gerichte arbeiten rund um die Uhr, um den zahllosen Korruptions- und Nepotismus-Vorwürfen nachzugehen, die u.a. von Medien und NGOs veröffentlicht werden.

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  • Hintergrund: Guatemala Nr. 37 / Juni 2015 | 1

    Anlass zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft? Dr. Rdiger Vincent Graichen

    Hintergrund:

    Guatemala

    Nr. 37 / 12. Juni 2015

    Zusammenfassung

    Guatemala bereitet sich auf die Prsidentschaftswahlen im September vor. Im

    Mai trat die Vizeprsidentin zurck, ein Teil des Kabinetts musste seine Posten

    aufgeben, die Sozialkassen sind leer, zum ersten Mal geht die gebildete Mittel-

    schicht in wchentlichen Demonstrationen auf die Strae, Beobachter sprechen

    von einem mglichen Staatsstreich. Es besteht eine nervse Spannung vor den

    Wahlen im September, von denen man nicht wei, ob sie berhaupt stattfinden

    und wie dann die Alternativen aussehen. Dabei htte Guatemala glnzende Aus-

    sichten, sich weiterhin wirtschaftlich positiv zu entwickeln und auch politisch

    den brutalen Brgerkrieg und die chaotischen bergnge zu einer funktionieren-

    den Demokratie zu bewltigen.

    Die sich wiederholenden Demonstrationen der neuen Mittelschicht Guatemalas

    geben Anlass zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft fr das Land. Dennoch

    bleibt eine Reihe von Faktoren zu bercksichtigen, die diesen Hoffnungsschim-

    mer wieder zunichtemachen knnte. Das Land befindet sich in einer instabilen

    politischen Situation mit einem stndigen Wechsel der politischen Akteure in der

    Regierung und in der Administration. Staatsanwaltschaft und Gerichte arbeiten

    rund um die Uhr, um den zahllosen Korruptions- und Nepotismus-Vorwrfen

    nachzugehen, die u.a. von Medien und NGOs verffentlicht werden.

  • Hintergrund: Guatemala Nr. 37 / Juni 2015 | 2

    Der Prsident Guatemalas, der ehemalige Gene-

    ral Otto Prez Molina, kmpft um sein politi-

    sches berleben. Die Regierungspartei, die Par-

    tido Patriota PP (patriotische Partei), steht durch

    die Korruptionsvorwrfe des letzten Jahres mitt-

    lerweile in einer tiefen Vertrauenskrise. Heute

    lsst sich nicht mit Sicherheit sagen, ob die an-

    gekndigten Wahlen am 16. September stattfin-

    den werden. Die Verfassung schreibt allerdings

    vor, dass das Mandat des Prsidenten am

    14.01.2016 endet. Danach muss das Parlament

    aus seinen Reihen einen bergangsprsidenten

    ernennen.

    Guatemala ist das bevlkerungsreichste Land

    und die grte Volkswirtschaft in Zentralamerika.

    Mit einem pro Kopf-Einkommen von ca. US$ 3.400,- liegt es allerdings nur im unteren Durchschnitt

    der Entwicklungslnder in der Skala der Welt Bank. Das Land verfgt ber reichliche bisher nicht er-

    schlossene mineralische Bodenschtze, bis heute ist nur die Landwirtschaft entwickelt. Zucker, Kaffee,

    Bananen sind die wichtigsten landwirtschaftlichen Produkte Guatemalas.

    Nach dem Ende des grausamen Brgerkrieges im Jahre 1996 begann eine neue politische und wirt-

    schaftliche Etappe des Landes mit einem Wirtschaftswachstum von zunchst 5%, das sich dann wie-

    der abschwchte und heute bei ca. 3.5% liegt. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei erfreulich niedri-

    gen 4%, ein groes Problem ist allerdings die Unterbeschftigung, also saisonale Arbeit und Teilzeit-

    arbeit.

    Die Einkommensverteilung im Lande ist eine der ungnstigsten weltweit. Der Prozentsatz der Bevlke-

    rung in extremer Armut liegt bei etwa 29%. Auf dem Lande, wo mehrheitlich eine indigene Bevlke-

    rung lebt, liegt die Zahl bei 41%. Gut die Hlfte der Bevlkerung sind Indigene, die vor allem auer-

    halb der urbanen Zentren leben. Sie setzen sich aus ber 24 ethnischen Gruppen zusammen, die ihre

    eigenen Sprachen, kulturellen Traditionen und Besiedelungsrume besitzen. Sie verteidigen streitbar

    die jeweiligen Identitten und setzen politische Prioritten zunchst in ihrer ethnischen Gruppe und

    spter erst in der munizipalen oder nationalen Politik.

    Der 36 Jahre whrende Brgerkrieg(bis 1996) setzte der indigenen Bevlkerung in besonderer Weise

    zu. In dieser Zeit dominierte die Armee auf allen Ebenen der ffentlichen Ordnung. Menschenrechts-

    verletzungen wie z.B. Entfhrungen, Folter, Massenhinrichtungen, insbesondere verbt an der indige-

    nen Bevlkerung, waren an der Tagesordnung.

    Die rechtliche Aufarbeitung des Brgerkrieges ging Guatemala nur zgerlich an, obwohl die von den

    Vereinten Nationen (VN) begleiteten Friedensvertrge aus dem Jahre 1996 viele Mglichkeiten fr

    Aufklrung und Shne boten. Lediglich in einem Einzelfall verurteilte ein Gericht im Jahr 2011 vier

    Soldaten fr ein Massaker an hunderten von Zivilisten zu je 6.000(!) Jahren Gefngnis, eine Zahl, die

    einen Einblick gibt in die Form, in der Gerichte im Lande arbeiten. Dies war damals erst der zweite

    Prozess zur Aufarbeitung der finsteren Vergangenheit im Lande.

    Otto Prez Molina, World Economic Forum / Foto: Michael Wuer-

    tenberg, commons.wikimedia.org

  • Hintergrund: Guatemala Nr. 37 / Juni 2015 | 3

    Im Jahre 2012 verurteilte ein Gericht den ehemaligen Diktator Rios Montt wegen Vlkermords zu 80

    Jahren Gefngnis, allerdings wurde das Urteil nach zehn Tagen wieder aufgehoben. Sowohl der

    Staatsanwalt, der die Klage einreichte, wie der Richter, der dem Prozess vorstand, wurden nach der

    Urteilsverkndung ihrer mter enthoben. Der Prozess gegen den jetzt 88 Jahre alten Rios Montt wird

    derzeit erneut angestrengt. Sein Rechtsanwalt wurde am 2. Juni diesen Jahres auf offener Strae in

    der Hauptstadt mit 11 Schssen gettet.

    Auch ein weiterer Prsident entging einer Verurteilung im Land, Alfonso Portillo, der von 2000 bis

    2004 regierte. Ihm wurde das Verschwinden von 70 Millionen US$ vorgeworfen. Er wurde schlielich

    in die USA deportiert und dort verurteilt, kam aber im Mrz 2015 frei. Da er sich eine groe Populari-

    tt im Lande bewahrt hat, knnte er in diesem oder im nchsten Wahlkampf wieder als Kandidat auf-

    tauchen. Die sptere Wiederwahl eines Prsidenten ist laut Verfassung mglich.

    Die Vereinten Nationen riefen im Jahre 2007 die International Commission Against Impunity in Gua-temala (CICIG) ins Leben. Sie sollte zunchst bis September 2015 helfen, illegale Strukturen im Lande

    aufzuspren und Gruppen von Drogenhndlern und -kartellen, Menschenrechtsverbrecher und Krimi-

    nelle jeder Art vor Gericht zu bringen. Seither hat diese Organisation viele Beschuldigte innerhalb und

    auerhalb der Regierung identifiziert und Prozesse eingeleitet. In vielen Fllen musste die CICIG aller-

    dings eingestehen, dass ihre Bemhungen an nicht nachvollziehbaren Urteilen -oft Freisprchen- der

    Gerichte scheiterten.

    Der jetzige Prsident Otto Prez Molina sprach sich lange Zeit fr das Auslaufen des Mandates dieser

    VN Institution aus, doch nach den nicht endenden Fllen von Korruption in seiner Administration und

    zahlreicher Verhaftungen in Regierungskreisen tendiert er heute dazu, das Mandat dieser Behrde zu

    verlngern.

    Prsident Otto Perez Molina war whrend des Brgerkrieges General unter dem Diktator Rios Montt

    und erlebte alle Facetten des brutalen Kampfes. Anders als Rios Montt hat man ihm hierzu noch nicht

    den Prozess gemacht. Allerdings ist er noch bis Januar kommenden Jahres durch seine prsidentielle

    Immunitt geschtzt.

    Die Drogenmafia mischte sich seinerzeit in den Brgerkrieg und vielleicht war es die Aussichtslosig-

    keit, diesen Kampf zu gewinnen, die den damaligen General dazu brachte, seit Beginn seiner Prsi-

    dentschaft fr eine Legalisierung des Drogenhandels und -konsums zu pldieren. Ein Vorschlag, der in

    dieser isolierten Form in Zentralamerika nicht erfolgversprechend umgesetzt werden konnte und der

    natrlich von den USA nicht untersttzt wurde, ging er doch gegen jede der Drogenpolitiken, die der

    groe Nachbar im Norden seit Jahrzehnten propagiert. Schtzenhilfe erhielt er hier von Prsident Juan

    Manuel Santos aus Kolumbien, der diesen gleichen Vorschlag im April 2012 auf dem Amerikagipfel

    vortrug, sich aber auch nicht durchsetzen konnte.

    Im April und Mai dieses Jahres kulminierte die Aufdeckung zahlreicher Korruptionsflle durch die CI-

    CIG, individuelle Denunziationen und die Publikation und Identifizierung durch einige Medien. Ein

    Ring von systematischer Steuertuschung innerhalb und auerhalb der Administration wurde aufge-

    deckt, viele Spuren fhrten auch zum Bro der Vizeprsidentin, die auf ffentlichen Druck am 8. Mai

    schlielich ihren Posten aufgeben musste.

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    Der Schmuggelring, bekannt unter dem Namen Die Linie/La Linea hatte u.a. Importwaren an den Zollgebhren vorbei in das Land geschleust und den Fiskus um hunderte Millionen US$ betrogen.

    Regierungskreise hatten gehofft, der Rcktritt der Vizeprsi-

    dentin Roxana Baldetti wrde die Kritiken an der Regierung

    verstummen lassen. Da die Medien fortfuhren, Korruptionsflle

    zu verffentlichen und anzuprangern, blieb der Regierung kei-

    ne andere Wahl, als die nchsten Schritte zu gehen. Danach

    folgte eine Serie von Entlassungen und Rcktritten von Minis-

    tern und vor allem von leitendem Personal der Steuerbehrde

    SAT.

    Am 14. Mai ratifizierte das Parlament den Kandidaten des Pr-

    sidenten als neuen Vizeprsidenten: Alejandro Maldonado, ein

    frherer Richter am Obersten Gericht, eben dem Gericht, das

    das Urteil gegen den Ex- Diktator Rios Montt kippte. In den

    siebziger Jahren soll sich nach Aussagen einiger Menschen-

    rechtsorganisationen der neue Vizeprsident an den Massen-

    morden an Gewerkschaftern und kommunistischen Studenten

    beteiligt haben.

    Gleichzeitig verstrkten sich die spontanen groen Demonstra-

    tionen in der Hauptstadt, die sich dann im Wochenrhythmus

    wiederholten. Der neue Mittelstand ging auf die Strae, es gab

    nicht wie sonst kostenlosen Transport und ein Essen wie bei den blichen von Gewerkschaften oder

    anderen Interessengruppen initiierten Demonstrationen. Eine selbst bewusstere, urbane und besser

    ausgebildete Mittelschicht artikulierte sich erstmals in dieser Strke.

    Eindrcke der Demonstrationen / Fotos: Guatemala Human Rights Commission, https://www.facebook.com/pages/Guatemala-Human-

    Rights-Commission/191174519751

    Die politischen Parteien in Guatemala haben auch seit den Friedensvertrgen im Jahre 1996 keine

    Kontinuitt entwickeln knnen. Immer neue Parteien wurden gegrndet und keine Partei konnte bis-

    her ein zweites Mal eine Regierungsmannschaft stellen.

    Roxana Baldetti / Foto: Surizar, flickr.com

  • Hintergrund: Guatemala Nr. 37 / Juni 2015 | 5

    Laut Verfassung luft unabnderlich- jedes Prsidentschaftsmandat nach 4 Jahren aus. Die jetzige Partei in der Regierung, die Partido Patriota, wird sich aufgrund der Korruptionsflle glcklich scht-

    zen knnen, im kommenden Jahr noch einige Abgeordnete ins Parlament bringen zu knnen. Persnli-

    che Gesprche mit Regierungsmitgliedern haben ergeben, dass die Prognosen zum Wahlergebnis zwi-

    schen null und vierzig Abgeordneten liegen. Bei den Brgermeistern war die Vorhersage etwas opti-

    mistischer: Von den 105 Brgermeistern, die die Partei heute reprsentieren (von insgesamt 180 lan-

    desweit) hofft die Partido Patriota mindestens die Hlfte halten zu knnen. Doch alles ist ungewiss.

    Viele liebugeln bereits mit einer anderen Partei, haben Einladungen zum bertritt erhalten oder sich

    selbst in Eigeninitiative neue parteipolitische Optionen erschlossen. Dieser sog. Transfugismo (ber-

    wechseln) ist ein typisches Phnomen in Zentralamerika, Abgeordnete wechseln -oft fr Geld- ihre

    Parteizugehrigkeit.

    Die Partei, die dieses Spiel besonders erfolgreich betrieben hat, ist die Partei Lder von Manuel Bal-dizn, die eine Reihe von Abgeordneten whrend der Legislaturperiode bernommen hat und 2011bei

    den letzten Prsidentschaftswahlen Zweiter wurde. Nach guatemaltekischem Volksmund le toca ist

    er dran mit der nchsten Prsidentschaft, denn er hat Geld und liegt nach ursprnglichem zweiten Platz jetzt in den Umfragen vorn. Le toca heit er ist jetzt an der Reihe. Brger in Guatemala ha-

    ben sich resigniert der Erwartung angeschlossen, dass derjenige Kandidat die Wahlen gewinnt, der bei

    der letzten Wahl -auf dem zweiten Platz- verloren hatte. Die Plakatierungen in der Hauptstadt und die

    Prsenz der Werbespots im Fernsehen sprechen eine klare Sprache. Alle Beobachter besttigen, dass es

    sich auch hier bei Lider wieder um Geld von privaten Unternehmern handelt sowie um Drogengelder.

    Es ist weiterhin offen, ob die Regierung bis zu den Wahlen im Amt bleibt.

    In Guatemala gibt es heute ca. 28 registrierte Parteien, die in den nationalen Wahlkampf gehen wol-

    len. In den Regionen dominieren die ca. 110 grupos cvicos, Brgervereinigungen bzw. Unabhngige. Parteien haben blicherweise Besitzer, einflussreiche Unternehmer und Landbesitzer, die oft den

    alten Familien aus der frhen Kolonialzeit entstammen, und die ber die ntigen Mittel verfgen, die Parteien zu beeinflussen.

    Die Regierungspartei Partido Patriota, Mitglied von Liberal International und Projektpartner der Stif-

    tung, hat heute 58 Abgeordnete, dazu 105 von 180 Brgermeisterpositionen. Dagegen hat die Partei

    Lider, die an der Spitze der Meinungserhebungen liegt, heute 62 Abgeordnetenpltze, da viele Abge-

    ordnete im Lauf der Legislaturperiode zu ihr (man spricht von 1 Mio. US$ pro bertritt) bergewech-

    selt sind.

    Eine weitere Partei mit liberaler Anbindung, der Movimiento Reformador MR (Bewegung der Refor-

    mer), hatte zwar den erfolgversprechenden Prsidentschaftskandidaten Alejandro Sinibaldi des Partido

    Reformador bernehmen knnen, als dieser sich im April gemeinsam mit einigen Abgeordneten und

    Brgermeistern nach der Flut von Korruptionsvorwrfen von seiner Partei abwandte, konnte aber kein

    Kapital aus diesem Umstand schlagen. Der allgemeine Krisenzustand der Parteien im Sumpf der Kor-

    ruptionsvorwrfe trug zu dieser Patt Situation bei.

    In der Zwischenzeit hat das Land weiter mit seiner hohen Kriminalittsrate zu kmpfen. Ein Wirt-

    schaftsinstitut errechnete, das diese 7% des BIP kostet. Brutale Verbrechen, Korruption, Betrug, Zer-

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    strung von Sachwerten, gemeiner Diebstahl, etc. sind omniprsent. Polizei, Gerichte, Militr und

    Politiker sind oft genug Komplizen.

    Guatemala besitzt neben der vierten Gewalt, den Medien auch eine fnfte, die katholische Kirche.

    Trotz der groen Erfolge amerikanischer Sekten in den letzten Jahren ist die katholische Kirche als

    traditioneller Machtfaktor in Guatemala nicht zu bersehen. So konnte sich der Erzbischof in Einklang

    mit den Bischfen des Landes am 3. Juni 2015 mit einer politischen Botschaft an seine Glubigen

    wenden. Elf der Punkte des Manifestes waren politisch, nur der letzte reflektierte die religise Her-

    kunft der Autoren. Hier wurde u. a. ein neues Wahlgesetz vom Kongress gefordert, die Korruption an-

    geprangert, das Auseinanderdriften von Bevlkerung und politischen Parteien beklagt, die Gewalt auf

    allen Ebenen des Staates angezeigt und von den Prsidentschaftskandidaten Initiative, Ehrlichkeit und

    Transparenz gefordert. Diese Botschaft ging durch alle Sonntagspredigten.

    Weitere Impressionen der Demonstrationen / Fotos: Guatemala Human Rights Commission,

    https://www.facebook.com/pages/Guatemala-Human-Rights-Commission/191174519751

    Die Drogenmafia ist eminent gut ausgerstet mit Geld, Waffen und strategischer Initiative, um ihre

    Pfrnde nicht zu verlieren. Teile der Unternehmerschaft haben sich an die besonderen Privilegien ge-

    whnt. Die ber Jahrzehnte traumatisierte indigene Bevlkerung hat hingegen erst begonnen, mit

    dem anderen Teil der Bevlkerung -mehrheitlich den Eingewanderten der letzten Jahrhunderte- ein

    gemeinsames Projekt der Nation zu entwickeln. Die gelernte Gewaltbereitschaft, Konflikte und Inte-

    ressen mit der Faustwaffe durchzusetzen, ist im Lande tief verankert. Hier hilft zwar die langjhrige

    Prsenz internationaler Organisationen um Schlimmeres zu verhindern und positive Wertekataloge zu

    kommunizieren, doch es fehlt der Wille in allen Schichten der Bevlkerung, eine vorurteilsfreie Ann-

    herung, eine gegenseitige Akzeptanz und ein grozgigeres Umverteilen der wirtschaftlichen Werte

    des Landes zu erreichen.

  • Hintergrund: Guatemala Nr. 37 / Juni 2015 | 7

    Es ist nicht davon auszugehen, dass die nchste Regierung diesen Neuansatz schaffen wird. Die Hoff-

    nungen liegen bei der Zivilgesellschaft, die in der Vergangenheit ein wichtiges Korrektiv war, aber

    jetzt auch Initiator des Wandels werden sollte.

    Dr. Rdiger Vincent Graichen ist FNF-Interimsprojektleiter Zentralamerika.

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)

    Bereich Internationale Politik

    Referat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2

    D-14482 Potsdam