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Naunyn-Sehmiedeberg's Arch. exp. Path. u. Pharmak. 242, 551--554 (1962) Aus dem Pharmakologisehen Institut der Universit~t Tiibingen H~imiglobinbildung im Blute des Menschen nach Einnahme yon Phenacetin und yon N-Acetyl-p-aminophenol Von MANFRED KIESE und HARTMUT MENZEL Mit 1 Textabbildung (Eingegangen am 17. Januar 1962) Bei Vergfftungen durch Phenacetin ist die Bfldung yon H~miglobin (Meth~moglobin) eine der wesentlichen Wirkungen. Sic ist an der Cyanose leicht erkennbar. Die H~miglobinbildung dutch die bei der therapeutischen Anwendung yon Phenacetin iiblichen Dosen wurde bis- her nur ungenau gemessen. LESTER gab Versuchspersonen Dosen yon 10--25 mg je kg, also 0,7--1,75 g bei 70 kg Gewicht, und fand nach der hSehsten Dosis im Mittel 1,1 g tt~miglobin in 100 ml Blur entsprechend etwa 7°/0 des Gesamt-Blutfarbstoffs. Die 1Kessungen wurden mit der Methode von EVELYN U. MALLOYdurehgefiihrt, fiir die nESTER einen Fehler yon ± 0,2 g H~miglobinje 100 ml Blur -- also hSher als die physiologi- sche H~miglobinkonzentration -- angibt. BRODIE U. AXELROD gaben einer Ver- suchsperson 1,2 g und zwei anderen je 2,0 g Phenaeetin und fanden als hSchste H~miglobinkonzentration -- ebenfalls nach EVELYN U. MALLO¥ gemessen -- 1,3 bzw. 2,4 und 3,3 ,,per cent". Leider ist nieht erkennbar, ob damit g/100 ml Blur oder Ant~il am Gesamt-Blutfarbstoff gemeint ist -- wahrscheinlich letzteres. Aueh BoR~us u. SANDE]mG maBen mit der 1Kethode von EVELY~ U. M_ALLOr und fanden nach der Gabe yon 3 g Phenaeetin bei vier Versuehspersonen im Mittel 0,41 g H~miglobin je 100 ml Blur als hSchstc Konzentration. Die Daten f'tir N-Acetyl-p-aminophenol sind noeh sp~rlicher. GREENBERGU. LESTER gaben zwei Versuchspersonen je 1,09 g N-Acetyl-p-aminophenol. In den nach 1, 2, 4 und 6 Std entnommenen Blutproben konnten sic mit der Methode yon EV]~LY~ u. M~LLOY H~miglobinbildungnicht naehweisen. BOR~CS u. SA~DBERa gaben vier Versuchspersonen je 3 g N-Aeetyl-p-amino- phenol und bestimmten 1, 2, 3 und 5 Std danach die H~miglobinkonzentration. Die mitgeteilten Werte streuen innerhalb des Fehlers der Methode. Wir haben die H~miglobinkonzentration nach der Einnahme von Phenacetin bzw. N-Acetyl-p-aminophenol mit unserer empfindlichen Kohlenoxyd-Methode (KI~SE, siehe auch BAADER, GmGIS, KIESE, ME~ZEL U. SKaOBOT) bestimmt. Die Methode ermSglicht die Bestim- mung der physiologischen H~miglobinkonzentration und somit auch geringer ErhShungen durch die Einwirkung von Giften. Die Untersuchungen wurden an 22 Versuchspersonen (darunter drei weiblichen) durchgefiihrt. Die meisten waren zwischen 24 und 30 Jahre alt; eine war 21 Jahre und vier fiber 30 Jahre alt. Das mittlere

Hämiglobinbildung im Blute des Menschen nach Einnahme von Phenacetin und von N-Acetyl-p-aminophenol

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Page 1: Hämiglobinbildung im Blute des Menschen nach Einnahme von Phenacetin und von N-Acetyl-p-aminophenol

Naunyn-Sehmiedeberg's Arch. exp. Path. u. Pharmak. 242, 551--554 (1962)

Aus dem Pharmakologisehen Institut der Universit~t Tiibingen

H~imiglobinbildung im Blute des Menschen nach Einnahme yon Phenacetin und yon N-Acetyl-p-aminophenol

Von MANFRED KIESE und HARTMUT MENZEL

Mit 1 Textabbildung

(Eingegangen am 17. Januar 1962)

Bei Vergfftungen durch Phenace t in ist die Bfldung yon H~miglobin (Meth~moglobin) eine der wesentl ichen Wirkungen . Sic ist an der Cyanose leicht erkennbar . Die H~miglobinbi ldung dutch die bei der therapeut i schen Anwendung yon Phenace t in i iblichen Dosen wurde bis- her nu r ungenau gemessen.

LESTER gab Versuchspersonen Dosen yon 10--25 mg je kg, also 0,7--1,75 g bei 70 kg Gewicht, und fand nach der hSehsten Dosis im Mittel 1,1 g tt~miglobin in 100 ml Blur entsprechend etwa 7°/0 des Gesamt-Blutfarbstoffs. Die 1Kessungen wurden mit der Methode von EVELYN U. MALLOY durehgefiihrt, fiir die nESTER einen Fehler yon ± 0,2 g H~miglobin je 100 ml Blur -- also hSher als die physiologi- sche H~miglobinkonzentration -- angibt. BRODIE U. AXELROD gaben einer Ver- suchsperson 1,2 g und zwei anderen je 2,0 g Phenaeetin und fanden als hSchste H~miglobinkonzentration -- ebenfalls nach EVELYN U. MALLO¥ gemessen -- 1,3 bzw. 2,4 und 3,3 ,,per cent". Leider ist nieht erkennbar, ob damit g/100 ml Blur oder Ant~il am Gesamt-Blutfarbstoff gemeint ist -- wahrscheinlich letzteres. Aueh BoR~us u. SANDE]mG maBen mit der 1Kethode von EVELY~ U. M_ALLOr und fanden nach der Gabe yon 3 g Phenaeetin bei vier Versuehspersonen im Mittel 0,41 g H~miglobin je 100 ml Blur als hSchstc Konzentration.

Die Daten f'tir N-Acetyl-p-aminophenol sind noeh sp~rlicher. GREENBERG U. LESTER gaben zwei Versuchspersonen je 1,09 g N-Acetyl-p-aminophenol. In den nach 1, 2, 4 und 6 Std entnommenen Blutproben konnten sic mit der Methode yon EV]~LY~ u. M~LLOY H~miglobinbildung nicht naehweisen.

BOR~CS u. SA~DBERa gaben vier Versuchspersonen je 3 g N-Aeetyl-p-amino- phenol und bestimmten 1, 2, 3 und 5 Std danach die H~miglobinkonzentration. Die mitgeteilten Werte streuen innerhalb des Fehlers der Methode.

Wir haben die H~miglob inkonzent ra t ion nach der E i n n a h m e von Phenace t in bzw. N-Acetyl -p-aminophenol mi t unserer empfindlichen Kohlenoxyd-Methode (KI~SE, siehe auch BAADER, GmGIS, KIESE, ME~ZEL U. SKaOBOT) bes t immt. Die Methode ermSglicht die Bestim- m u n g der physiologischen H~miglob inkonzen t ra t ion und somit auch geringer ErhShungen durch die E inwi rkung von Giften.

Die Unte r suchungen wurden an 22 Versuchspersonen (darunter drei weiblichen) durchgefiihrt . Die meis ten waren zwischen 24 und 30 Jahre al t ; eine war 21 Jahre und vier fiber 30 Jahre alt. Das mit t lere

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552 lVLkNFRED KIESE und I'I.ARTMUT MENZEL:

Alter betrug 281/4 Jahre. Die Versuchspersonen hatten mindestens eine Woche lang vor dem Versuche keinerlei Medikamente, aueh keine Kopf- schmerzmittel, eingenommen. Sie kamen morgens niiehtern ins Institut. Nach einer Blutentnahme erhielten sie 1 g Phenacetin als Pulver, nahmen d~nn ihr Frfihstfick ein und erhielten 20 min nach der ersten Gabe noch- mal 1 g Phenacetin. Weitere Blutproben wurden 11/~, 3 und 41/2 Std naeh der ersten Phenaeetingabe entnommen. In diesen wurden Hhmiglobin,

Gesamt-Blutf~rhstoff und 3,#

3,z a;o

× 2~S

I#i

Phenacet/~7

i , I I ~ i I I I I I i I I Z 3 4Siunden5

Abb.1. H~mf~]obinkonzentration im Blute yon 22 Ver- such.~personen ~or und nach E i ~ a h m e yon zweima! 1,0 g Phenacetin ( x ) bzw. zweimal 0,843 g N-Acetyl-p-amino- phenol (o), Die Marken geben :Mlttelwerte an und die

senkrechten Geraden deren 8treuung

Phenaeetin bzw. N-Acetyl- p-aminophenol bestimmt.

Die gleichen Versuehs- personen erhielten 3 bis 4 Wochen nach der Gabe des Phenacetins die ~quimolare Dosis N-Acetyl-p-amino- phenol, also zweimal 0,843 g unter ~.hnlichen Bedingun- gen.

In der Abb. 1 sind die Ergebnisse der Messungen der Konzentration des H~mi- globins und des Gesamt- Blu~farbstoffs wiedergege- ben. Die Konzentrat ion des Gesamt-Blutfarbstoffs be- trug im Mittel 15,7 g in 100 ml Blut. Der Anteil des H~miglobins war vor der

Einnahme des Phenaeetins bzw. des N-Acetyl-p-andnophenols 1,2 ~ 0,1 °/o. Dieser Wert ist etwas hSher als der im Jahre 1944 bei Mensehen mit einem mittleren Gesamt-Blutfarbstoff yon 14,3 g je 100 ml Blut ge- messene yon 0,7 i 0,1°/0 (HEUBNER, KIESE, STUHLMANN U. SCIIWA~TZ- KOPFF-SUNG).

Durch die angewandten Dosen des Phenacetins und des N-Acetyl-p- aminophenols wurde die H~miglobinkonzentration erhSht. Etwa 3 Std nach Einnahme des Phenacetins erreiehte die H~miglobinkonzentration 3,0 d= 0,22°/o des Gesamt-Blutfarbstoffs; der hSchste Einzelwert war 4,9~/0. Nach der Einnahme des N-Acetyl-p-aminophenols war der An- stieg der H~miglobinkonzentration geringer. Im Laufe yon etwa tx/e Std wurde der Wer~ von 1,7 ~= 0,1°/o erreicht, als hSchster Einzelwert wurde 3,00/0 beobaehtet. Dieser geringe Anstieg war nieht zuf~llig, er betrug 0,5 i 0,14°/o • Ebenso war auch sieher, daI3 die H~migIobinkonzentration nach Einnahme des Phenaeetins hSher anstieg als nach Einnahme des

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H~miglobin im Blute des Menschen 553

N-Aeetyl-p-aminophenols. Die Diiferenz zwischen den hSchsten H/~mi- globinkonzentrationen naeh Phenaeetin und naeh N-Acetyl-p-amino- phenol betrug 1,3 ~ 0,240/0 des Gesamt-Blutfarbstoffs.

Die Konzentrat ionen des Phenacetins und des N-Aeetyl-p-amino- phenols im Blute naeh der Einnahme der Substanzen sind in der Tabelle genannt. Sie bedeuten ffir die Beur~eilung der St/~rke der H/imiglobin- bildung nur wenig, da keine der beiden Substanzen selbst die H/~mi- globinbildung bewirkt. Nach Einnahme des N-Aeetyl-p-amin0Phenols

Tabelle. Konzentratiou yon Phenacetin bzw. N-Acetyl-p-aminophenol im Blute yon Menschen (~/ml Blur) nach Einnahme yon 2× 1,0 g Phenacetin bzw. 2 × 0,843 g

~V-Acetyl-p-aminophenol

1~/2 Std f 3 Std 41/, Std

Phenacetin 4,5 ! 0,6 3,0 J= 0,4 N-Acetyl-p-aminophenol 9,4 ~ 0,4 6,6 ~= 0,7

1,5 ~: 0,3 3,5 ~= 0,5

ist wahrseheinlich das p-Aminophenol bzw. dessen Oxydationsprodukt, das Chinonimin, die wirksame Substanz. Der Meehanismus der H~mi- globinbfldung nach Einnahme yon Phenaeetin ist bisher nur zum Tell aufgeklart (BAADER, GI]~GIS, KIESE, MENZEL U. SKROBOT).

Unsere Messungen der H~miglobinkonzentration ergaben, dal3 nach den therapeutiseh angewandten Dosen von Phenacetin und N-Aeetyl-p- aminophenol eine Erh6hung der H/~miglobinkonzentration des Blutes eintritt. 8ie ist in beiden F/~llen gering und f ~ die Atmungsfunktion des Blutes belanglos. Das gilt auch fiir die unter 22 Versuchspersonen beob- achteten h6chsten Einzelwerte.

Methodea Die Konzentration des H~miglobins im Blute wurde nach der Methode yon

KIEs~ bestimmt. Die Messungen wurden im Photometer yon HAV~ANN durch- gefiihrt. Als Lichtquelle diente eine Quecksilber-SpektralIampe yon Osram; die Betriebsspannung wurde dutch einen Spannungsstabilisator von Wandel & Goiter- mann konstant gehalten. Phenacetin und N-Acetyl-p-aminophenol ~-urden nach den Methoden yon BROmE u. Ax~rmoD bestimmt.

Zusammenfassung An gesunden Versuchspersonen wurde die Erh6hung der H/~mi-

globinkonzentration im Blute nach Einnahme yon Phenacetin bzw. N-Acetyl-p-aminophenol gemessen. Nach der Eimlahme yon zweflnal 1 g Phenacetin im Abstande yon 20 rain stieg die Konzentrat ion des H/~miglobins (Meth/imoglobins) yon 1,2 ± 0,10/o des Gesamt-Blutfarb- stoffs auf 3,0 ~= 0,22% an, und naeh der Einnahme yon zweimal 0,843 g N-Acetyl-p-aminophenol auf 1,7 ~= 0,1°/0.

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554 1~I. KIESE und H. I~EI~ZEL : H~miglobin im Blute des l~ensehen

LReratur BAADER, H., S. GIRGIS, •. KIESE, H. ~[EI~KEL U. L. SKROBOT: Der EinfluB des

Lebensalters auf Umsetzungen yon Phenacetin, p-Phenetidin, N-Aeetyl-p- aminophenol, p-Aminophenol und Anilin im Hunde. Naunyn-Schmiedeberg's Arch. exp. Path. Pharmak. 241, 317 (1961).

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Professor Dr. M. I~SE, Pharmakologisches Institut der Universitat, Miinchen 15, NuBbaumstraBe 28