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Haftungsrecht in der Pflege
ALTENHEIM KONFERENZEN
Berlin, 24.09.2013/ Frankfurt, 2.10.2013
Ronald Richter
Gliederung
1. Haftungsrecht
2. Dokumentation
3. Folgen der Haftung
4. Besondere Haftungsbereiche
(1) Delegation ärztlicher Aufgaben
(2) Patientenverfügung
(3) Polymedikation
(4) Freiheitsentziehende Maßnahmen
(5) Behandlungsabbruch
5. Risikomanagement
Haftung
…(i.w.S.) das rechtliche „dafür-geradestehen-
müssen“, dass ein eigener oder ein fremder
Fehler oder ein ohne einen solchen Fehler
entstandenes Ergebnis einer anderen Person
einen Schaden verursacht hat.
Grundsätzlich nur für eigenes Verschulden,
ausgenommen für Erfüllungs- und
Verrichtungsgehilfen.
Das Risiko der Geschäftsleitung…
Haftung Verantwortung
strafrechtliche zivilrechtliche
Die klassische Verantwortung in der
Pflege…
Anordnung
Durchführung
Organisation
Arzt/
Leitung
Pflegekraft
Einrichtung
Wofür haften Sie?
Wer ist Vertragspartner des Bewohners/ Kunden?
Der Träger der Einrichtung
…der Verursacher des Schadens („deliktische
Haftung“)
Der Handelnde („Pflegekraft“)
„Wer einen anderen zu einer Verrichtung
bestellt, …“ (§ 831 BGB): also Wohnbereichs-,
Heimleitung, PDL; Geschäftsführer
Haftung wofür?
Wenn eine widerrechtliche Handlung vorliegt,
muss der Schädiger (direkt Handelnder/
Vorgesetzter) schuldhaft gehandelt haben.
§ 823 Abs. 1 BGB: „Zum Schadensersatz ist
verpflichtet, wer vorsätzlich oder fahrlässig das
Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit,
das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines
anderen widerrechtlich verletzt.“
Definition der Fahrlässigkeit
• § 276 Abs. 2 BGB: Fahrlässig handelt, wer die
Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Um-
ständen und seinen persönlichen Verhältnissen
verpflichtet und fähig ist, und deshalb nicht
erkennt, dass es zu einer Schädigung kommen
kann oder obwohl er dies für möglich hält, darauf
vertraut, dass es nicht passieren wird.
• Der Sorgfaltsmaßstab im pflegerischen Bereich
richtet sich nach dem Erwartungshorizont des
durchschnittlichen Kunden und nach dem
anerkannten medizinisch-pflegerischen Standard.
Beispiel
Eine Bewohnerin wird in einem Heim vom Pflege-personal nicht regelmäßig gelagert und stundenlang in ihrem Stuhl sitzen gelassen. Dadurch kommt es im Gesäßbereich zu einem Dekubitus. In der Folge verschlimmert sich der Zustand derart, dass sie in ein Krankenhaus eingeliefert werden muss.
(Nach OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.09.2004, 1 Ss 84/04)
- Zivil-/Strafrechtliche Verantwortung?
Lösung: Pflegekräfte
• Strafbarkeit der handelnden Pflegekräfte?
(+), denn diese haben sowohl die Entstehung als
auch Verschlimmerung des Dekubitus nicht
verhindert.
• Strafbarkeit gem. §§ 222, 230 StGB
• Zivilrechtliche Haftung: § 823 BGB iVm §§ 222,
230 StGB
Lösung: Leitungskräfte
• Strafbarkeit der Leitungskräfte?
(+), denn es ist davon auszugehen, dass die Leitungs-
kräfte eines Trägers sich von allen Geschehnissen im
Zusammenhang mit den Kunden - insbesondere
Besonderheiten - informieren lassen.
Aktiv für den „Verrichtungsgehilfen“ sowie
Passiv für das Unterlassen von Gegenmaßnahmen,
sie handeln fahrlässig (in Form des Unterlassens).
Haftung der Leitungskräfte
Haftung für den Verrichtungsgehilfen, also
„indirekt für fremdes Verschulden“
Es sei denn, die Leitungskraft kann darlegen und
beweisen (§ 831 Abs. 1 Satz 2 BGB), die
ordnungsgemäße Personalauswahl,
ordnungsgemäße Anleitung und
ordnungsgemäße Überwachung.
„Enthaftung“ möglich, wenn …
Darlegung und Beweis möglich für
ordnungsgemäße Personalauswahl,
Formale Voraussetzungen (Qualifikation)
vorhanden und geprüft
ordnungsgemäße Anleitung und
Einarbeitungshandbuch
ordnungsgemäße Überwachung
(= unregelmäßige Kontrollen).
Was ist zu tun?
Von Leitungskräften wird erwartet,
1. dass Pflegende stets nur für jene Aufgaben
eingesetzt werden, die aufgrund ihrer Ausbildung
erwartet werden können,
2. Behandlungspflege nur aufgrund ärztlicher
Verordnung erfolgt und
3. Pflegemaßnahmen lückenlos dokumentiert
werden.
Gliederung
1. Haftungsrecht
2. Dokumentation
3. Folgen der Haftung
4. Besondere Haftungsbereiche
(1) Delegation ärztlicher Aufgaben
(2) Patientenverfügung
(3) Polymedikation
(4) Freiheitsentziehende Maßnahmen
(5) Behandlungsabbruch
5. Risikomanagement
Wozu Dokumentation?
• Information, Informationsfluss
• Leistungsnachweis
• Sicherungsinstrument der Pflege
• Haftungsausschluss („juristische Absicherung
des pflegerischen Handelns“)
• Qualitätssicherung
• Qualitätsförderung
Wer prüft die „Lückenlosigkeit“?
§ 66 SGB V:
„Die Krankenkassen sollen die Versicherten bei
der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen,
die bei der Inanspruchnahme von Versicherungs-
leistungen aus Behandlungsfehlern entstanden
sind …, unterstützen.“
Der MDK erstellt (über die Krankenkasse) ein
Gutachten für den versicherten Kunden.
Kostenlos für die Versicherten/ Rechtsanwälte!
Ein Beispiel:
H. [*1924] zieht am 20.2. zunächst in die Kurz-
zeitpflege, gleich im Anschluss in die vollstatio-
näre Pflege.
H. ist bereits bei Einzug dementiell erkrankt und
leidet an einem infizierten, nach außen durchge-
brochenen, bösartigen Tumor an der rechten
Leiste. Zunächst mobil, verschlechtert sich ihr
Zustand, insb. ab Juni.
Im 4.7. Aufnahme KH wg. Debubitus Steiß (Grad
III), Fersen (re. Grad II, li. Grad I), verstirbt dort.
Die Managementaufgabe:
Nicht nur Kontrolle (und stöhnen über die
ausufernde Bürokratie), sondern …
…Auflösung der „Komplexität“ für die Pflegekräfte
Komplexität = cum plectilis, „zusammengeflochten“
[Eigenschaft eines Systems, dessen Gesamtver-
halten selbst dann nicht eindeutig beschrieben
werden kann, wenn man vollständige Informatio-
nen besitzt.] Niklas Luhmann, Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion
sozialer Komplexität, Stuttgart (UTB) 2000
Die Managementaufgabe II
Das „Ockham‘sche Rasiermesser“
[Wilhelm von Ockham, 1288 – 1347]
auch: Sparsamkeitsprinzip:
Von mehreren möglichen Erklärungen des-
selben Sachverhalts ist stets die einfachste
Theorie allen anderen vorzuziehen.
Möglichst wenig Variable und Hypothesen,
logische Beziehung
Neudeutsch: KISS-Prinzip [Keep it simple, stupid!]
Aufgaben
MORGEN: Sehen Sie alle Formblätter ihrer
Einrichtung durch
(Aufnahme, Pflege-Doku, Abrechnung, etc.)
und wenden Sie „the ockham‘s Razor“ an!
JETZT: Zeichnen Sie das Organigramm ihrer
Einrichtung aus der Sicht der Verantwortung
(= Haftung!).
Organigramm
Unterscheidung
Dokumentation
ärztliche pflegerische
§ 630f Abs. 2
BGB § 113 Abs. 1
Satz 3 SGB XI
iVm MuG
Was ist zu dokumentieren? [Arzt]
§ 630f Abs. 2 BGB:
Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patienten-
akte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzei-
tige und künftige Behandlung wesentlichen Maß-
nahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen,
insbesondere die Anamnese, Diagnosen,
Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse,
Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe
und ihre Wirkungen, Einwilligungen und
Aufklärungen.
Was ist zu dokumentieren?
• Umfang ergibt sich aus den Aufgaben:
• …in klar gegliederter Form gibt die Dokumentation
Aufschluss darüber:
• wer,
• was,
• wann,
• in welcher Form,
• warum
• und in welchem Umfang verordnet und/ oder durchgeführt hat.
Wie ist zu dokumentieren?
Die Grundprinzipien:
Wahrheit
Klarheit
Lesbarkeit
Verständlichkeit [Symbole, Kürzel sind möglich,
wenn es eine (zentrale) Legende]
Was ist zu dokumentieren? [Pflege]
§ 113 Abs. 1 Satz 3 SGB XI:
In den Vereinbarungen [Maßstäbe und Grund-
sätze zur Sicherung und Weiterentwicklung der
Pflegequalität] nach Satz 1 sind insbesondere
auch Anforderungen zu regeln …
1. an eine praxistaugliche, den Pflegeprozess
unterstützende und die Pflegequalität fördernde
Pflegedokumentation, die über ein für die
Pflegeeinrichtungen vertretbares und
wirtschaftliches Maß nicht hinausgehen dürfen,
Maßstäbe und Grundsätze v. 27.5.2011
3.1.3 Pflegeplanung und -dokumentation
Die vollstationäre Pflegeeinrichtung fertigt eine
individuelle Pflegeplanung und legt erreichbare
Pflegeziele, deren Erreichung überprüft wird, fest.
Die Pflegeplanung muss der Entwicklung des
Pflegeprozesses entsprechend kontinuierlich
aktualisiert werden. Die Pflegedokumentation
dient der Unterstützung des Pflegeprozesses, der
Sicherung der Pflegequalität und der Transparenz
der Pflegeleistung.
MuG II
Die Pflegedokumentation muss praxistauglich
sein und sich am Pflegeprozess orientieren.
Veränderungen des Pflegezustandes sind aktuell
(bis zur nächsten Übergabe) zu dokumentieren.
Die Anforderungen an sie und insbesondere an
den individuellen Dokumentationsaufwand
müssen verhältnismäßig sein und dürfen für die
vollstationäre Pflegeeinrichtung über ein
vertretbares und wirtschaftliches Maß nicht
hinausgehen.
MuG III
Das Dokumentationssystem beinhaltet zu den
folgenden fünf Bereichen Aussagen, innerhalb
dieser Bereiche werden alle für die Erbringung
der vereinbarten Leistungen notwendigen
Informationen im Rahmen des Pflegeprozesses
erfasst und bereitgestellt. Diese Bereiche sind:
Stammdaten,
Pflegeanamnese/ Informationssammlung inkl.
Erfassung von pflegerelevanten Biografiedaten,
Pflegeplanung,
Pflegebericht, Leistungsnachweis.
MuG IV
Das Dokumentationssystem ist in Abhängigkeit
von bestehenden Pflegeproblemen im Rahmen
der vereinbarten Leistungen ggf. zu erweitern. Die
vollstationäre Pflegeeinrichtung handelt bei
ärztlich verordneten Leistungen im Rahmen des
ärztlichen Behandlungs- und Therapieplanes.
Diese Leistungen sind in der Pflegedokumenta-
tion zu dokumentieren. Zu Beginn der Versorgung
erstellt die vollstationäre Pflegeeinrichtung eine
umfassende Informationssammlung über …
MuG V
Ressourcen,
Risiken,
Bedürfnisse,
Bedarfe und
Fähigkeiten.
Hierbei sind die notwendigen Prophylaxemaß-
nahmen (z. B. gegen Dekubitalgeschwüre,
Pneumonien, Stürze und Kontrakturen) in der
Dokumentation zu berücksichtigen. Bezugsperso-
nen sind in die Pflegeplanung einzubeziehen. [email protected] 33
MuG VI
Ziel der Pflegeplanung ist es, unter Einbeziehung
des Bewohners seine Fähigkeiten, Ressourcen
und Pflegeprobleme zu identifizieren sowie
Pflegeziele und Pflegemaßnahmen zu
vereinbaren.
Wenn Leistungen für den Bewohner erforderlich
sind, von diesem aber nicht abgefragt werden, ist
die Diskrepanz zwischen Hilfebedarf und abge-
fragten Leistungen in der Pflegedokumentation
nachvollziehbar festzuhalten.
Managementaufgabe III
Ockham‘s Razor liegt nahe, doch wir sind nicht
zuständig!
Daher: Verringerung der Komplexität in Hinblick
auf
Struktur [Organigramm, Hierarchien]
Prozess [QM = Kernprozessorientierung]
Kommunikation [Besprechungen mit Protokoll!]
Controlling [Welche Kennzahlen helfen Ihnen?]
Beispiel: Ermittlungsakte
Dokumentieren der AEDL
[Aktivitäten und existenzielle Erfahrungen des
Lebens]
nach Monika Krohwinkel (entwickelt 1988 – 1991,
modifiziert 1999 A„B“EDL = Beziehung),
beeinflusst vom „Pflegemodell der Lebensakti-
vitäten („ADL“, deutsch ATL)“ von Virginia
Henderson und Nancy Roper, 1976 sowie durch
die Theorien von Carl Rogers.
A! nicht zu verwechseln mit „den gewöhnlichen
und wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf
des täglichen Lebens“ in § 14 Abs. 1 SGB XI. [email protected] 37
Die AEDLs
1. Kommunizieren können 2. Sich bewegen können 3. Vitale Funktionen des Körpers aufrechterhalten können 4. Sich pflegen können 5. Essen und trinken können 6. Ausscheiden können 7. Sich kleiden können 8. Ruhen und schlafen können 9. Sich beschäftigen können 10. Sich als Mann/Frau fühlen können 11. Für Sicherheit in der Umgebung sorgen können 12. Soziale Bereiche des Lebens sichern können 13. Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen können
Anwendung „ockham‘s razor“:
Ist die Dokumentation der Pflegeplanung in Form
der AEDL (immer) sinnvoll?
Beispiel: Aufnahme in die Kurzzeitpflege/ für eine
Verordnung Behandlungspflege?
Welche Fragen interessieren wirklich bei
Aufnahme der Tätigkeit:
„Warum sind sie hier?
Was kann ich für sie tun?/ Wie kann ich Ihnen
helfen?“
Anwendung „ockham‘s razor“:
Ist die Dokumentation der Pflegeplanung in Form
der AEDL (immer) sinnvoll?
Beispiel: Aufnahme in die Kurzzeitpflege/ für eine
Verordnung Behandlungspflege?
Welche Fragen interessieren wirklich bei
Aufnahme der Tätigkeit:
„Warum sind sie hier? [= Ressourcen]
Was kann ich für sie tun?/ Wie kann ich Ihnen
helfen?“ [= Defizite/ Probleme]
Neue Orientierung!
Warum nicht Anknüpfung an der Pflege Charta?
„Betroffene werden zu Beteiligten“
Worum geht es?
Zeitersparnis
Professionalität
Teameffekte
Ergebnisqualität
Managementaufgabe IV
Ständiges Hinterfragen, welche Angaben/ Infor-
mationen etc. brauchen wir zur fachgerechten
Versorgung wirklich.
…was muss wirklich dokumentiert werden?
Beispiel: Im Krankenhaus wird keine Grundpflege
dokumentiert.
[Ausnahme: atypische Pflegesituation]
Formulierung einer „Papierobergrenze“
Grundsatz
• Zugelassene Pflegeeinrichtungen sind verpflich-
tet, ein geeignetes Pflegedokumentations-
system vorzuhalten, aus dem
das Leistungsgeschehen und
der Pflegeprozess abzuleiten sind.
• Dokumentation ist aus Rechtsgründen geboten,
weil sie aus medizinischer Sicht erforderlich ist. • BGH, Urt. v. NJW 1999, 2408
Zweck der Dokumentation
• Therapiesicherung
• Qualitätssicherung
• Beweissicherung
Folgen mangelhafter Dokumentation
• Unzulänglichkeiten oder Unrichtigkeiten sind
einem Behandlungsfehler gleichgestellt • BGH NJW 1978, 1681; 1999, 3408
• ...begründet die Vermutung, dass die nicht
dokumentierte Maßnahme auch nicht
durchgeführt wurde LG Köln NJW-RR 1995, 346
• ...gleiches gilt für eine nicht zeitnahe Doku. OLG Zweibrücken NJW-RR 2000, 27
Was heißt zeitnah?
Sofort nach der Verrichtung?
Schichtende?
§ 630f Abs. 1 Satz 1 BGB:
Der Behandelnde ist verpflichtet, zum Zweck der
Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen
Zusammenhang mit der Behandlung eine
Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu
führen.
Änderungen möglich?
Ja, aber technisch richtig:
§ 630f Abs. 1 Satz 2 BGB:
Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen
in der Patientenakte sind nur zulässig, wenn neben
dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann
sie vorgenommen worden sind. Dies ist auch für
elektronisch geführte Patientenakten
sicherzustellen.
Also: sauber durchstreichen, Kürzel und Datum!
Merksatz
• Was nicht geschrieben wurde, wurde auch
nicht gemacht!
• vgl. auch § 630h Abs. 3 BGB:
Hat der Behandelnde eine medizinisch gebotene
wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis
entgegen § 630f Abs. 1 oder Abs. 2 nicht in der
Patientenakte aufgezeichnet … , wird vermutet,
dass er diese Maßnahme nicht getroffen hat.
Gliederung
1. Haftungsrecht
2. Dokumentation
3. Folgen der Haftung
4. Besondere Haftungsbereiche
(1) Delegation ärztlicher Aufgaben
(2) Patientenverfügung
(3) Polymedikation
(4) Freiheitsentziehende Maßnahmen
(5) Behandlungsabbruch
5. Risikomanagement
Organisationsverschulden
Ein Organisationsverschulden liegt dann vor,
wenn durch eine fehlerhafte Organisation die
ordnungsgemäße Betreuung der Bewohner oder
Kunden nicht gewährleistet ist und dadurch ein
Schaden beim Bewohner oder Kunden entsteht.
Beispiel: Ständig zu wenig (qualifiziertes)
Personal
Verpflichtung der Leitungskräfte gegenüber dem
Einrichtungsträger: (schriftliche) Überlastungs-
anzeige
Verkehrssicherungspflicht
Wer eine Gefahrenquelle schafft oder eine Gefahr
nicht beseitigt, muss Vorkehrungen treffen, um
die Schädigung dritter Personen zu verhindern.
Beispiel: Bettenwagen im Flur; Nasse Stelle auf
dem Boden von der Reinigung; Stolpergefahr
durch Bodenunebenheiten
Sonder-Problem: Vorsorge zur Verhinderung
einer Gefährdung von weglaufgefährdeten
Personen, die sich im Straßenverkehr schädigen
könnten.
P! Bewohner mit Weglauftendenz
Schutzmaßnahmen sind nur erforderlich im
Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren.
Sog. Vollbeherrschbarer Bereich:
Die Aufsichtspflicht der Pflegeeinrichtung ist auf
die üblichen Maßnahmen begrenzt, die mit
vernünftigem finanziellen und personellen
Aufwand realisierbar sind. BGH, Urt. v. 28.4.2005, III ZR 399/04
2. Grenze: Selbstbestimmungsrecht des
Bewohners oder Kunden [sog. erlaubtes Risiko]
Keine Haftung!
unterlassenen Fixierung oder ein nicht ange-
brachtes Bettgitter ist keine Pflichtverletzung
Es besteht keine Pflicht einen entsprechenden
Antrag auf Fixierung zu stellen
KG, Urt. 2.9.2004, 12 U 107/03; die anderweitige Auffassung,
dass der Träger energisch auf den Bewohner einzuwirken habe,
eine Fixierung zuzulassen bzw. das Betreuungsgericht zu
informieren, ist in Hinblick auf die Art. 1 und 2 GG geradezu
abwegig, so aber OLG Dresden, Urt. v. 23.9.2004, 7 U 753/04.
Haftungsrecht
unterlassenen Fixierung oder ein nicht ange-
brachtes Bettgitter ist keine Pflichtverletzung
Es besteht keine Pflicht einen entsprechenden
Antrag auf Fixierung zu stellen KG, Urt. 2.9.2004, 12 U 107/03; die anderweitige Auffassung,
dass der Träger energisch auf den Bewohner einzuwirken habe,
eine Fixierung zuzulassen bzw. das Vormundschafts-gericht zu
informieren, ist in Hinblick auf die Art. 1 und 2 GG geradezu
abwegig, so aber OLG Dresden, Urt. v. 23.9.2004, 7 U 753/04.
Keine Haftung II
Ebenso ist der Träger nicht verpflichtet und auch
nicht berechtigt, eine Fixierung im Rollstuhl
vorzunehmen, sondern kann sich zunächst mit
einer Benachrichtigung des Betreuers begnügen
und erwarten, dass der Betreuer das Notwendige
veranlassen werde.
KG, Urt. v. 25.5.2004, 14 U 37/03
• Prüfungsmaßstab: Handelt es sich um den voll
beherrschbaren Gefahrenbereich? • BGH NJW 1991, 1541; OLG Dresden NJW-RR 2000, 761
Keine Haftung! III
• Keine Pflicht zur Fixierung OLG Koblenz NJW-RR 2002, 867; OLG Schleswig OLGR
2004, 85
• Keine Pflicht für Protektorhosen OLG Schleswig OLGR 2004, 85
• Keine lückenlose Überwachung
• Keine „Sitz-Wache“
• Keine Bewegungsmelder KG, Urt. v. 2.9.2004, 12 U 107/03
…also keine Haftungsfalle
Der Wille des Bewohners ist zu respektieren! BGH, Urt. 14.7.2005, III ZR 391/04
…besondere Schutzmaßnahmen nur, wenn ein
erhöhtes Sturzrisiko besteht.
Regelmäßige Überprüfung
Schutzmaßnahmen anbieten, Gespräche mit
Angehörigen, Betreuern … führen
und dies sowie die Konsequenzen ausführlich
(detailliert) dokumentieren
Beweislastumkehr
Wird durch den Dokumentationsmangel die
Aufklärung eines Behandlungsfehlers vereitelt
oder erschwert BGH NJW 1983, 332
…ist dies einer mangelhaften Pflege gleichzu-
setzen und
...führt im Prozess zu einer Beweislastumkehr zu
Gunsten des Patienten BGH NJW 1996, 779; BVerfG NJW 1979, 1925
Zusammenfassung Haftung
Versicherungen
Regelt die Betriebshaftpflichtversicherung alles
[sogar dank(?) Halbteilungsabkommen völlig
geräuschlos?]
Nein, Führungskräfte haften in den Angelegen-
heiten des Unternehmens regelmäßig mit der
„Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“,
§ 43 Abs. 2 GmbHG, §§ 27 Abs. 3 i.V.m. 664 ff.
BGB, § 128 HGB.
Nur der (Einzel-)Unternehmer haftet intern nie-manden, er „ärgert sich dann am meisten über sich selbst!“
Versicherungen
Regelt die Betriebshaftpflichtversicherung alles
[sogar dank(?) Halbteilungsabkommen völlig
geräuschlos?]
Nein, Führungskräfte haften in den Angelegen-
heiten des Unternehmens regelmäßig mit der
„Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“,
§ 43 Abs. 2 GmbHG, §§ 27 Abs. 3 i.V.m. 664 ff.
BGB, § 128 HGB.
Nur der (Einzel-)Unternehmer haftet intern nie-manden, er „ärgert sich dann am meisten über sich selbst!“
Beispiel für Unternehmerhaftung OLG München, Urt. v. 23.02.2006, 8 U 4897/05
A, dement und nicht mehr fähig sich situationsan-
gemessen zu verhalten und etwa die Funktions-
weise einer vorhandenen Rufanlage zu erfassen,
wurde – entsprechend der Pflegeplanung –
dreimal täglich auf den Toilettenstuhl gesetzt,
mittels Bauchgurt fixiert (§ 1906 Abs. 4 BGB
Beschluss vorhanden) und mit diesem Toiletten-
stuhl in die Nasszelle seines Zimmers geschoben.
Dort verblieb er etwa 20 Min. unbeaufsichtigt, um
in Ruhe abführen zu können. So auch am 01.05.
Beispiel II
Als das Pflegepersonal gegen 19.10 Uhr wieder
in die Nasszelle trat, fanden sie A unter laufen-
dem, heißem Wasser sitzend auf seinem
Toilettenstuhl.
Durch den Austritt des heißen Wassers erlitt er
Verbrennungen 3. Grades an Hüfte und Bein
sowie Verbrennungen 2. Grades an anderen
Körperstellen.
Haftung: Pflegekraft – PDL – Träger der
Einrichtung
Beispiel III
Haftung
Pflegekraft: Nein, handelte entsprechend
dienstlichem Auftrag
PDL: Nein, kein kausaler Zusammenhang
zwischen Anweisung und Schaden (Alleiniger
Toilettengang Ausdruck der Selbstbestimmung)
Träger der Einrichtung: JA, hatte eine
(Verkehrs-)Sicherungspflicht etwa durch Einbau
von Temperaturreglern oder Personal in
Rufweite.
Gliederung
1. Haftungsrecht
2. Dokumentation
3. Folgen der Haftung
4. Besondere Haftungsbereiche
(1) Delegation ärztlicher Aufgaben
(2) Patientenverfügung
(3) Polymedikation
(4) Freiheitsentziehende Maßnahmen
(5) Behandlungsabbruch
5. Risikomanagement
Abgrenzung: Pflegebereiche
SGB V:
Handeln des Arztes
ist erforderlich
„ärztliche Verord-
nung“ der einzelnen
Verrichtung
Krankheit
(Behandlungspflege)
SGB XI:
Einstufung durch den
MDK
Wunsch- und Wahl-
recht des Versicherten
Pflegebedürftigkeit
(Grundpflege)
Behandlungspflege:
Delegation ärztlicher Leistung
Arzt/ Ärztin
Pflegekraft
„strenge Vorbehaltsaufgabe“:
Ohne Verordnung darf Pflege-
kraft nicht tätig werden. Verordnet werden
darf nach HKP-
RiLi.
Ausnahme: Arzt übernimmt für Delegation die
Haftung und die Vergütung
(HKP-RiLi Anm. zu § 1 Abs. 4).
Gesetzliches Bild der Pflege…
„Selbstverständlich darf sich ein Arzt bei täglichen
Hilfeleistungen ... auf seine Schwestern und
Gehilfen verlassen, wenn sie dementsprechend
vorgebildet und angeleitet sind.“ RG, Urt. v.
6.6.1932
Ärztliche Behandlung
Sind Hilfeleistungen anderer Personen erfor-
derlich, dürfen sie nur erbracht werden, wenn sie
vom Arzt (Zahnarzt) angeordnet und von ihm
verantwortet werden. (§ 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V)
Zur ärztlichen Behandlung gehört auch die
Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt
angeordnet und von ihm zu verantworten ist. (§ 28
Abs. 1 Satz 2 SGB V)
Koordination/ Verordnung
§ 7 Abs. 1 HKP-RiLi: Zur Sicherstellung der Leistungs-
erbringung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege wirkt
die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt mit dem
Pflegedienst und der Krankenkasse der oder des
Versicherten eng zusammen. Die Koordination der
Zusammenarbeit liegt bei der behandelnden Vertragsärztin
oder dem behandelnden Vertragsarzt.
§ 7 Abs. 4 HKP-RiLi: Die Vertragsärztin oder der
Vertragsarzt soll bei Gelegenheit des Hausbesuches die
Pflegedokumentation einsehen, diese für ihre oder seine
Entscheidungen auswerten und bei Bedarf Anordnungen
darin vermerken.
Modellvorhaben, § 63 Abs. 3c SGB V
Modellvorhaben nach Absatz 1 können eine Über-
tragung der ärztlichen Tätigkeiten, bei denen es
sich um selbständige Ausübung von Heilkunde
handelt und für die die Angehörigen der im Kran-
kenpflegegesetz geregelten Berufe auf Grund einer
Ausbildung nach § 4 Abs. 7 KrPflG qualifiziert sind,
auf diese vorsehen. … (§ 4 Abs. 7 AltenpflG) Der
GBA legt in Richtlinien fest, bei welchen Tätigkeiten
eine Übertragung von Heilkunde auf die Angehöri-
gen der in den Sätzen 1 und 2 genannten Berufe im
Rahmen von Modellvorhaben erfolgen kann.
Kernfrage des § 63 Abs. 3c SGB V
§ 2 Abs. 1 RiLi zu § 63 Abs. 3c SGB V -
Selbständige Ausübung von Heilkunde
Berufsangehörige nach § 1 Abs. 1 üben Heilkunde
durch Vornahme der ihnen auf der Grundlage
dieser Richtlinie übertragenen ärztlichen
Tätigkeiten aus.
Ausübung von Heilkunde ist die auf wissenschaft-
liche Erkenntnis gegründete, praktische, selbstän-
dige oder im Dienst anderer ausgeübte Tätigkeit
zur Verhütung, Feststellung, Heilung oder
Linderung menschlicher Krankheiten,
Körperschäden oder Leiden.
§ 2 Abs. 2 RiLi zu § 63 Abs. 3c SGB V
Die Heilkunde wird von entsprechend qualifizierten
Berufsangehörigen nach § 1 Abs. 1 innerhalb des durch
die Richtlinie vorgegebenen Rahmens selbständig und
eigenverantwortlich ausgeübt.
Die Ausübung beinhaltet die Übernahme fachlicher,
wirtschaftlicher und rechtlicher Verantwortung.
Von dieser umfasst ist nach der Übertragung der ärzt-
lichen Tätigkeiten durch den Arzt die Entscheidungs-
befugnis, ob und in welchem Umfang die selbständige
Ausübung der Heilkunde durch Vornahme der über-
tragenen ärztlichen Tätigkeiten medizinisch geboten ist.
§ 2 Abs. 2 RiLi zu § 63 Abs. 3c SGB V
Die Heilkunde wird von entsprechend qualifizierten
Berufsangehörigen nach § 1 Abs. 1 innerhalb des durch
die Richtlinie vorgegebenen Rahmens selbständig und
eigenverantwortlich ausgeübt.
Die Ausübung beinhaltet die Übernahme fachlicher,
wirtschaftlicher und rechtlicher Verantwortung.
Von dieser umfasst ist nach der Übertragung der ärzt-
lichen Tätigkeiten durch den Arzt die Entscheidungs-
befugnis, ob und in welchem Umfang die selbständige
Ausübung der Heilkunde durch Vornahme der über-
tragenen ärztlichen Tätigkeiten medizinisch geboten ist.
Für welche Tätigkeiten?
Tätigkeitskatalog (Beispiel)
Wann?
Voraussetzungen - heute
• Persönliches Arzthandeln nicht erforderlich
• Ärztliche Verordnung
• Einwilligung des Patienten
• Pflegekraft (objektiv) befähigt
• Pflegekraft (subjektiv) zur Übernahme bereit
• Dies muss die Leitungskraft anordnen und
überwachen (§ 831 BGB!)
Kernbereich ärztlichen Handelns
Nicht delegationsfähig sind
schwierige
gefährliche
und solche Verrichtungen, die wegen der
Unvorhersehbarkeit etwaiger Reaktionen
ärztliches Fachwissen erfordern
(oder die ständige Anwesenheit von Ärzten
voraussetzen [Unterschied zum Krankenhaus!]).
...nicht delegationsfähig
Ärztliche Untersuchung/ Diagnose
Anamnese
Ärztliche Beratung und Aufklärung
Entscheidungen über therapeutische M.
Invasive diagnostische Maßnahmen
Schwierige Injektionen/ Infusionen
Schwierige Medikation
Ärztliche Aufklärung
§ 630e Abs. 1 BGB:
Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten
über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen
Umstände aufzuklären. Dazu gehören in der Re-
gel insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu
erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme
sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung
und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose
oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf
Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn …
Ärztliche Verordnung
Unterscheidung von Verordnungs- und Durchführungsverantwortung
Verordnungsverantwortung allein beim Arzt
Daher: Alleinige Haftung bei Unverträglichkeiten, Komplikationen, Fehlentscheidungen
Durchführungsverantwortung bei Einrichtung (dieser Vorbehaltsaufgabe)
„Für ihr Tun ist die Pflegekraft verantwortlich“
Anwalt‘s Lieblingsspruch:
Alle Tätigkeiten können delegiert werden,
die Haftung dafür nicht!
Schriftform der Verordnung
Grundsätzlich SCHRIFTLICH
Formblatt 12b
Informationswirkung
Beweiswirkung
Kontrollwirkung
Warnfunktion
Verantwortungszuweisung
... per Telefon?
GEFAHR!
Übermittlungsfehler, Flüchtigkeitsfehler, Missverständnis
PRAXISTIPP:
Anordnung sofort schriftlich fixieren (in der Dokumentation „TA“), mündlich wiederholen und auf (baldige) Abzeichnung des anordnenden Arzt bestehen.
Kontrollfragen
...ist die Verordnung richtig?
...ist die Verordnung rechtzeitig?
...ist die Verordnung vollständig?
„Fünf-W-Regel“
Welcher Patient, welches Medikament,
welche Dosierung, wann (um wieviel Uhr), in
welcher Applikationsform
Bedarfsverordnung
Möglich!
Anordnungsrahmen als Vertrauenszuweisung
aber: gesteigerte Verantwortlichkeit des Handelnden; Arzt kann in der arbeitsteiligen Beziehung auf die Einhaltung der Eigenverantwortlichkeit vertrauen.
Fahrplan festlegen, kein therapeutischen Ermessensspielraum
Problem: Schnittstelle TEAM (Übergabe)
Bedarfsverordnung II
…regelmäßig übernimmt die Einrichtung/
Leitungskraft ein vermeidbares Risiko.
Eine Haftung besteht vor allem dann,
wenn die Behandlung zur selbständigen Ausführung
überlassen worden ist,
wenn den ärztlichen Anweisungen zuwidergehandelt
wird,
pflichtwidrig der gebotene Einwand unterlassen wird oder
ein Übernahmeverschulden nachgewiesen werden kann.
Beispiel: „x ml bei Unruhe“ = keine Bedarfsmedi-
kation und damit unzulässig. [email protected] 91
Gliederung
1. Haftungsrecht
2. Dokumentation
3. Folgen der Haftung
4. Besondere Haftungsbereiche
(1) Delegation ärztlicher Aufgaben
(2) Patientenverfügung
(3) Polymedikation
(4) Freiheitsentziehende Maßnahmen
(5) Behandlungsabbruch
5. Risikomanagement
Das Spannungsfeld:
Freiheitsrecht vs. Fürsorgepflicht
Recht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit, Art. 2 GG
Schutz der körperlichen
Unversehrtheit, Art. 2 GG
Art. 2 Abs. 1 und 2 GG
1. Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer
verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige
Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
2. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist
unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund
eines Gesetzes eingegriffen werden.
Art. 2 Abs. 1 und 2 GG
1. Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer
verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige
Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Das Grundrecht der „allgemeinen Handlungsfrei-
heit“ gilt nicht schrankenlos.
Für Art. 2 Abs. 1 GG gilt das Zitiergebot des Art.
19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht;
…aber es gilt das Übermaßverbot, Einschränkun-
gen müssen verhältnismäßig sein.
Ausübung des
Selbstbestimmungsrechts
Der Betroffene ist …
einwilligungsfähig nicht einwilligungsfähig
Der Betroffene
entscheidet
aktuell, rechtlich
wirksam, allein.
Patienten-
verfügung,
§ 1901a Abs. 1
BGB
Ermittlung:
Behandlungswunsch
oder
Mutmaßlicher Wille,
§ 1901a Abs. 2 BGB
Einwilligung des Betroffenen
Voraussetzungen:
Verständigung möglich,
zur zweckhaften Willensäußerung fähig,
Sinn und Zweck der konkreten Maßnahme
wird erkannt und akzeptiert,
der Betroffene wurde nicht getäuscht oder
durch „Drohung“ zur Einwilligung bewegt.
A! jederzeitiger Widerruf muss möglich sein!
A! Einwilligung ist trotz Betreuung möglich!
§ 1901a Abs. 1 S. 1 BGB
Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den
Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich
festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der
Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende
Untersuchungen seines Gesundheitszustands,
Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe
einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung),
prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die
aktuelle Lebens- und Behandlungssituation
zutreffen.
Patientenverfügung, § 1901a BGB
Entfaltet Wirkung, wenn …
…der Verfügende für die vorgesehene medizinische
Maßnahme nicht mehr über die erforderliche
Einwilligungsfähigkeit verfügt,
…die Verfügung die konkret anstehende Ent-
scheidungssituation trifft,
…und auf seine aktuelle Lebens- und Behandlungs-
situation zutrifft.
…wenn (-), Behandlungswunsch/ mutmaßlicher Wille [email protected] 99
Patientenverfügung, § 1901a BGB
Entfaltet Wirkung, wenn …
…der Verfügende für die vorgesehene medizinische
Maßnahme nicht mehr über die erforderliche
Einwilligungsfähigkeit verfügt,
…die Verfügung die konkret anstehende Ent-
scheidungssituation trifft,
…und auf seine aktuelle Lebens- und Behandlungs-
situation zutrifft.
…wenn (-), Behandlungswunsch/ mutmaßlicher Wille [email protected] 100
Die Patientenverfügung oder eine Kopie ist
daher im verschlossenen Umschlag zur
Pflegedokumentation zu nehmen und erst im
Fall der fehlenden Einwilligungsfähigkeit zur
Kenntnis zu nehmen.
Ansonsten überlagert/ beeinflusst das Wissen
aus der Patientenverfügung die aktuelle Pflege.
Wie wird ermittelt („Adressat“)?
1. Betreuer/ Bevollmächtigter prüft, ob die Fest-
legungen aus der Verfügung auf die aktuelle
Lebens- und Behandlungssituation passen,
§§ 1901a Abs. 1 S. 1, Abs. 5 BGB.
2. Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche
Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand
und die Prognose des Patienten indiziert ist,
§ 1901b Abs. 1 S. 1 BGB.
3. Gespräch zwischen beiden zur Feststellung des
Patientenwillens, Äußerungsmöglichkeit für nahe
Verwandte, § 1901b Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB. [email protected] 101
Vorsorgevollmacht
…keine Patientenverfügung ohne Vorsorgevoll-
macht [Betreuer/ Bevollmächtigter prüft…]
Aber:
Für Patientenverfügung reicht Einwilligungsfähig-
keit, für Vorsorgevollmacht ist Geschäftsfähigkeit
(„freier Wille“) im Sinne des § 104 BGB
erforderlich.
…kann sich auf alle rechtlich relevanten
Handlungen beziehen, bei denen Stellvertretung
zulässig ist.
Vorsorgevollmacht II
Bei Einwilligung in medizinische Maßnahmen…
1. Ausdrückliche Nennung des Vertretungsbereichs
(medizinische Behandlungen, Abbruch von …,
freiheitsentziehende Maßnahmen, Unterbrin-
gung), § 1904 Abs. 2, 1906 Abs. 5 BGB
2. Schriftlich abgefasst, § 126 BGB
Generalvollmacht
A! Eine abstrakt abgefasst Generalvollmacht –
ohne Nennung der Maßnahmen – umfasst diese
Angelegenheiten nicht!
Eine Generalvollmacht ersetzt daher die
Patientenverfügung/ Vorsorgevollmacht nicht
(vgl. § 1904 Abs. 5 BGB).
Genehmigung
des Betreuungsgerichts erforderlich?
Grundsatz: (+) § 1904 Abs. 1 und 2 BGB.
Einwilligung, Nichteinwilligung und Widerruf in
ärztliche Maßnahmen, mit denen die Gefahr
verbunden ist, dass der Patient daran sterben
oder einen schweren und länger dauernden
gesundheitlichen Schaden erleiden könnte.
Ausnahme: (-) § 1904 Abs. 4 BGB
Einvernehmen Betreuer/ Bevollmächtigter und
Arzt, dies entspricht dem Willen des Patienten
Wertung der Rechtsprechung:
Selbstbestimmung hat Vorrang!
Nicht das Leben ist das am höchsten bewertete
Rechtsgut, sondern die verfassungsrechtlich
geschützte Würde des Menschen. st. Rspr. BGH, Urt. v. 15.11.1996, 3 StR 79/76 = BGHSt 42, 301;
Urt. v. 25.6.2010, 2 StR 454/09 = BGHSt 55, 191; Urt. v.
10.11.2010, 2 StR 320/10 = NJW 2011, 161 (Sterbehilfe bei
Patientenverfügung)
„Denn die Ermöglichung eines Todes in Würde und
Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaß-
lichen Patientenwillen ist ein höherwertiges Rechtsgut
als die Aussicht, unter schwersten … Schmerzen noch
kurze Zeit leben zu müssen.“ BGHSt 42, 301
Zum Verfahren…
Die Vorschriften der §§ 1901a und 1901b BGB ent-
halten verfahrensrechtliche Absicherungen, die den
Beteiligten bei der Ermittlung des Patientenwillens und
der Entscheidung über einen Behandlungsabbruch
Rechts- und Verhaltenssicherheit bieten sollen (vgl.
BT-Drucks. 16/13314, 3 f., 7 f.) und bei der Bestim-
mung der Grenze einer möglichen Rechtfertigung von
kausal lebensbeendenden Maßnahmen auch für das
Strafrecht Wirkung entfalten. Sie dienen zum einen der
Verwirklichung des verfassungsrechtlich garantierten
Selbstbestimmungsrechts von Patienten, die selbst zu
einer Willensäußerung nicht (mehr) in der Lage sind. [email protected] 107
Zum Verfahren II…
Hierin erschöpft sich ihre Funktion jedoch nicht. Viel-
mehr tragen sie zum anderen gleichgewichtig dem von
Verfassungswegen gebotenen Schutz des mensch-
lichen Lebens Rechnung, indem sie die notwendigen
strengen Beweisanforderungen an die Feststellung
eines behandlungsbezogenen Patientenwillens
verfahrensrechtlich absichern.
Unter letzterem Gesichtspunkt ist zunächst sicherzu-
stellen, dass Patientenverfügungen nicht ihrem Inhalt
zuwider als Vorwand benutzt werden, um aus
unlauteren Motiven auf eine Lebensverkürzung schwer
erkrankter Patienten hinzuwirken. [email protected] 108
Zum Verfahren III…
Darüber hinaus muss in der regelmäßig die Beteiligten
emotional stark belastenden Situation, in der ein
Behandlungsabbruch in Betracht zu ziehen ist,
gewährleistet sein, dass die Entscheidung nicht unter
zeitlichem Druck, sondern nur nach sorgfältiger Prüfung
der medizinischen Grundlagen und des sich
gegebenenfalls in einer Patientenverfügung
manifestierenden Patientenwillens erfolgt.
So wörtlich: BGH, Urt. v. 10.11.2010, 2 StR 320/10 = NJW 2011,
161 (Sterbehilfe bei Patientenverfügung)
Prüfung medizinischer Grundlagen…
Prinzip der Autonomie
Hat der Patient diese Situation autonom vorausverfügt?
War seine Entscheidung von Kenntnis und Verstehen
geprägt?
Prinzip der Fürsorge
Prinzip des Nichtschadens
Prinzip der Gerechtigkeit
Ermittlung des mutmaßlichen Willens
§ 1901a Abs. 2 BGB gibt Entscheidungsmaßstäbe
vor. Konkrete Anhaltspunkte können sein, z.B.:
frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen
ethische Überzeugungen
religiöse Überzeugungen
sonstige persönliche Wertvorstellungen.
Welche Erkenntnismöglichkeiten – objektiv wie subjektiv
– hatte der Patient?
In dubio pro vita? str. so wohl BGH, Urt. v. 13.9.1994, 1 StR
357/94 = BGHSt 40, 257
Voraussetzung
§§ 1901a Abs. 2, 1904 Abs. 4 BGB
„lediglich“: Einvernehmen Betreuer/ Bevoll-
mächtigter und Arzt, und
gemeinsame Feststellung, dies entspricht dem
Willen des Patienten Die bisherige Leitentscheidung des BGH, Urt. v. 17.3.2003, XII
ZB 2/03 = BGHZ 154, 205 („unbedingt gerichtliche Genehmigung
erforderlich“) ist insoweit überholt.
Kann kein Einvernehmen erzielt werden: Ent-
scheidung Betreuungsgericht, § 1904 Abs. 1 BGB
Gliederung
1. Haftungsrecht
2. Dokumentation
3. Folgen der Haftung
4. Besondere Haftungsbereiche
(1) Delegation ärztlicher Aufgaben
(2) Patientenverfügung
(3) Polymedikation
(4) Freiheitsentziehende Maßnahmen
(5) Behandlungsabbruch
5. Risikomanagement
Haftungsproblem: Polymedikation
Nach einer Bremer
Studie (2004) nehmen
27 % aller Bewohner in
Pflegeheimen zwischen
6 und 11 verschiedene
Medikamente ein; 50 %
4 – 6 Medikamente. Glaeske, Vergessen wir die
Demenz nicht, Jahrbuch für
kritische Medizin 2004, 83 (93)
24.03.12 Pflegeskandal
Tausende Demenzkranke mit
Pillen ruhig gestellt
Um Geld und Personal zu
sparen, werden Tausenden
Demenzkranken Psychophar-
maka verabreicht. Pflegeex-
perten rechnen mit zuneh-
mender "chemischer Gewalt".
Von Anette Dowideit
So ersetzen Pillen die Pflege …
P! Psychopharmaka
Verordnungsrate von Psychopharmaka liegt bei
Bewohnern von Pflegeheimen zwischen 34 und 75
%. Pental, Abschlussbericht „Psychopharmaka im Altenpflegeheim“,
2011
Die Gabe von Antipsychotika bei Patienten mit
Demenz ist mit einem erhöhten Risiko für Mortalität
und für zerebrovaskuläre Ereignisse assoziiert.
Patienten und rechtliche Vertreter müssen über
dieses Risiko aufgeklärt werden. S3-Leitlinie „Demenz“, Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Neurologie [email protected] 115
P! Wirkweise (Klie, Rechtskunde, 189f.)
„Die Wirkweise von Psychopharmaka im Alter ist
aufgrund morphologischer und biochemischer
Altersveränderungen im Gehirn, veränderter
Resorption der Medikamente, und einer häufig
vorliegenden Multimorbidität alter Menschen sehr
verschieden von anderen Lebensaltern. So
beträgt die Verweildauer von Valium im Men-
schen durchschnittlich 40 Stunden; beim alten
Menschen ca. 120 bis 140 Stunden. Bei Alters-
patienten ist ½ bis 1/3 der üblichen Dosierung für
Patienten in mittleren Lebensaltern angezeigt.“
Managementaufgabe V
Wie viele Medikamente erhalten ihre Bewohner?
Welche Psychopharmaka?
Rücksprache Arzt/ Apotheker erforderlich
Grundrechtsverstoß!
Die Gabe von Neuroleptika gegen den natürlichen
Willen des Patienten schließlich stellt einen
besonders schweren Grundrechtseingriff auch im
Hinblick auf die Wirkungen dieser Medikamente
dar.
Dies gilt schon im Hinblick auf die nicht auszu-
schließende Möglichkeit schwerer, irreversibler
und lebensbedrohlicher Nebenwirkungen und die
teilweise erhebliche Streuung in den Ergebnissen
der Studien zur Häufigkeit des Auftretens
erheblicher Nebenwirkungen.
Grundrechtsverstoß II
Psychopharmaka sind zudem auf die Verände-
rung seelischer Abläufe gerichtet. Ihre Verab-
reichung gegen den natürlichen Willen des
Betroffenen berührt daher, auch unabhängig
davon, ob sie mit körperlichem Zwang durchge-
setzt wird, in besonderem Maße den Kern der
Persönlichkeit.
BVerfG, Beschl. v. 23.03.2011, 2 BvR 882/09 = BVerfGE 128,
282.
Gliederung
1. Haftungsrecht
2. Dokumentation
3. Folgen der Haftung
4. Besondere Haftungsbereiche
(1) Delegation ärztlicher Aufgaben
(2) Patientenverfügung
(3) Polymedikation
(4) Freiheitsentziehende Maßnahmen
(5) Behandlungsabbruch
5. Risikomanagement
Gesetzliche Grundlagen
Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines
förmlichen Gesetzes beschränkt werden, Art. 104
Abs. 1 S. 1 GG).
Auch eine aus „sozialer Fürsorge“ vorgenommene
Fixierung oder ein Festhalten gegen den Willen des
Betroffenen bleibt immer eine Straftat!
Zulässig ist die zwangsweise Unterbringung nur
zum Schutz vor Fremd- und Eigengefährdung. BVerfG, Urt. v. 18.7.1967, 2 BvF 3 – 8/62 u.a. = BVerfGE 22, 180
[keine weiteren Gründe, wie „Besserung des Betroffenen“]
Zum weiteren Verständnis…
Was fachlich geboten ist, bestimmt die
Berufgruppe der Pflegenden selbst, …
und nicht etwa die Juristen!
Prüfungsmaßstab: Was kann von einer sorgfältig
arbeitenden Pflegekraft in einer bestimmten
Situation erwartet werden.
Juristen müssen daher den Blickwinkel von
Pflegekräften einnehmen.
Freiheitsentziehung…
…ist eine Straftat, § 239 StGB
…, wenn ein Mensch eingesperrt oder auf andere
Weise des Gebrauchs seiner persönlichen
(Bewegungs-)Freiheit beraubt wird.
geschützt wird auch die potentielle Bewe-
gungsfreiheit
auf einen konkreten Willen, den Aufenthaltsort
zu wechseln kommt es nicht an.
Daher auch bei Bewegungsunfähigen grund-
sätzlich eine Freiheitsberaubung möglich!
Zulässigkeit in engen Grenzen
Die Rechtswidrigkeit der freiheitsentziehenden
oder -einschränkenden Maßnahme (nicht der
sog. Tatbestand) entfällt bei:
1. Einwilligung des Betroffenen
2. „rechtfertigendem Notstand“, § 34 StGB
3. richterlich genehmigter Unterbringung, § 1906
BGB (nach h.M. nicht im häuslichen Bereich;
anders LG Hamburg, Beschl. v. 9.9.1994, 301 T
206/94; LG München I, Beschl. v. 7.7.1999, 13 T
4301/99)
Einwilligung des Betroffenen
Voraussetzungen:
Verständigung möglich,
zur zweckhaften Willensäußerung fähig,
Sinn und Zweck der konkreten Maßnahme
wird erkannt und akzeptiert,
der Betroffene wurde nicht getäuscht oder
durch „Drohung“ zur Einwilligung bewegt.
A! jederzeitiger Widerruf muss möglich sein!
Verbot einer „Vorrats-Einwilligung“, etwa im Heim-
oder Einrichtungsvertrag
„Rechtfertigender Notstand“
A! …ausnahmsweise und für eine kurze Zeit, wenn
keine Einwilligung vorliegt und/ oder eingeholt
werden kann
…zur Abwehr einer gegenwärtigen, nicht anders
abwendbaren Gefahr für Leben und Körper,
wenn das dadurch geschützte Interesse das
beeinträchtigte wesentlich überwiegt.
Rechtfertigender Notstand II
A! „Kurz meint wirklich kurz!“
Kurze Zeit bedeutet, dass eine Fixierung über
einen Tag oder eine Nacht hinaus bereits eine
Genehmigungspflicht auslöst. Als
Höchstgrenze einer Fixierung ohne richterliche
Genehmigung ist die Frist nach § 128 StPO
anzusehen, danach ist die richterliche
Entscheidung spätestens am Tag nach dem
Beginn der freiheitsentziehenden Maßnahme
herbeizuführen.
„Rechtfertigender Notstand“ Beispiele
Abwehr einer Suizidgefahr
unkontrollierte krankhafte Bewegungsunruhe
akute Verwirrtheitszustände
psychische Krisensituationen
ABER: Routinemäßige Maßnahmen aus
präventiven Gesichtspunkten ohne konkrete
Gefahr sind nicht von § 34 StGB gedeckt.
Sedierende Medikamente wie
Schlafmittel, Psychopharmaka, wenn sie gegeben
werden,
um den Betreuten an der Fortbewegung in der
Einrichtung oder am Verlassen der Einrichtung
zu hindern,
um die Pflege zu erleichtern,
um Ruhe auf der Station oder in der
Einrichtung herzustellen.
…sind freiheitsentziehende Maßnahmen i.S. §
1906 Abs. 4 BGB
Sonstige Vorkehrungen wie
Zurückhalten am Hauseingang durch Personal,
Wegnahme von Bekleidung (wie z.B. Schuhe),
Wegnahme von Fortbewegungsmitteln wie z.B.
Rollstuhl, Rollator
Sende- oder Personenortungsanlagen
Diese Sender lösen bei Verlassen der Einrichtung
durch den Betroffenen ein Signal aus.
Die Auffassung der Gerichte zur Zulässigkeit und
Genehmigungsbedürftigkeit ist unterschiedlich.
1. Die Ausstattung eines Betroffenen mit einer Sende-
anlage (Personenortungsanlage) verstößt gegen die
Menschenwürde und ist daher nicht zulässig. AG Hannover, Beschl. v. 5.5.1992, 62 XVII L8
2. …ist genehmigungsfähig und genehmigungspflichtig AG Bielefeld, Beschl. v. 16.9.1996, 2 XVII B 32; AG Stuttgart-Bad
Canstatt, Beschl v. 26.11.1996, XVII 101/96. [email protected] 131
Sendeanlagen II
3. Das Einlegen eines Sendechips in den Schuh der
Betroffenen bedarf nicht der Genehmigung durch
das Betreuungsgericht, denn die elektronische
Funkortung des Betreuten ist keine freiheitsentzie-
hende Maßnahme iS § 1906 Abs. 4 BGB. OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.1.2006, 11 Wx 59/05
4. …gleiches für das Anbringung eines Sicherheits-
chips (Funkortungschip) an der Kleidung bzw.
durch Umhängen AG Meißen, Beschl. v. 27.4.2007, 5 X 25/07
Sendeanlagen III
5. Keine genehmigungsbedürftige Maßnahme nach
§ 1906 BGB ist die Ausstattung eines nicht orien-
tierten Heimbewohners mit einem Sender, da die
körperliche Bewegungs- und Entschließungsfrei-
heit nicht beeinträchtigt wird. AG Coesfeld, Beschl. v. 31.8.2007, 9 VXII 214/06
6. Anders: Ein am Handgelenk angebrachter Funk-
chip da nicht ausgeschlossenen werden, dass
dabei auch körperliche Gewalt angewendet wird,
LG Ulm, Beschl. v. 25.6.2008, 3 T 54/08
Immer: Gerichtlicher Beschluss
§ 1906 Abs. 2 gilt für Betreuer und
Bevollmächtigte (vgl. Abs. 5): FEM nur mit
Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig.
Das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen
wird nicht dadurch verletzt, dass die Einwilligung
eines von ihm Bevollmächtigten in eine FEM der
gerichtlichen Genehmigung bedarf. BGH, Urt. v. 27.6.2012, XII ZB 24/12
FEM und Sturz
1. „Fixierte“ Menschen: Stürze ↔ (↑)
Ernsthafte sturzbedingte Verletzungen ↑
Verhaltensauffälligkeiten ↑
2. Verzicht auf FeM:
Sturzbedingtes Verletzungsrisiko ↔ ↓
Verhaltensauffälligkeiten ↔↓
Psychopharmaka ↔↓
Personalschlüssel ↔
FEM und Sturz II
3. Keine Studie weltweit zeigt positiven Effekt von
FeM !
4. Daten über negative Folgen (Verletzungen,
Stress) sind dagegen alarmierend
Evans et al. (2002): Systematic Review, Joanna Briggs
Institut
Sailas E & Fenton M: Cochrane Systematic Review
2000;
Testad et al 2005, Pellfolk et al 2010, Koczy et al
(2010);
Berzlanovich 2007, Mohsenian 2002, BfArm 200
Gliederung
1. Haftungsrecht
2. Dokumentation
3. Folgen der Haftung
4. Besondere Haftungsbereiche
(1) Delegation ärztlicher Aufgaben
(2) Patientenverfügung
(3) Polymedikation
(4) Freiheitsentziehende Maßnahmen
(5) Behandlungsabbruch
5. Risikomanagement
§ 216 StGB - Tötung auf Verlangen
(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und
ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung
bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von
sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
(2) Der Versuch ist strafbar.
Ähnlich in Österreich: §§ 75, 77, 78 Strafgesetzbuch
…in der Schweiz: Art. 111, 113, 114 Strafgesetzbuch
…in den Niederlanden: Art. 293 Strafgesetzbuch.
§ 216 StGB - Tötung auf Verlangen
(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und
ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung
bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von
sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
TÄTER OPFER
Unmittelbarer, mittelbarer
oder Mittäter
Straffrei ist damit die Beihilfe („Sterbehilfe“)
zum Suizid
Lebensschutz
Der rechtliche Lebensschutz dauert bis zum Tode; er kommt auch unheilbar Kranken und zum Todgeweihten zugute.
BGH, Urt. v. 31.05.1955, 4 StR 51/55 = BGHSt 7, 287
Daran ändert auch ein Todesverlangen oder die Zustimmung naher Angehöriger nichts.
Verboten sind alle aktiven Maßnahmen zur
Todesbeschleunigung. BGH, Urt. v. 08.05.1991, 3 StR
467/90 = BGHSt 37, 376 [Vom Kranken nicht gewünschte aktive Sterbehilfe durch Krankenschwester ist Mord aus Heimtücke]; Urt. v. 13.09.1994, 1 StR 357/94 = BGHSt 40, 257 [Absetzen
künstliche Ernährung – zulässig]
„Arten“ der Sterbehilfe
Aktive Sterbehilfe Indirekte Sterbehilfe Passive Sterbehilfe
Straffrei Strafbar
Hilfe zum Sterben Hilfe beim Sterben
Verkürzung der Lebens-
erwartung durch
schmerzstillende/ -
lindernde Medikamente
Aktives Tun; Tod als
unvermeidbare
Nebenfolge
„Arten“ der Sterbehilfe - Beispiele
Aktive Sterbehilfe Indirekte Sterbehilfe Passive Sterbehilfe
Straffrei Strafbar
Hilfe zum Sterben Hilfe beim Sterben =
„Sterbenlassen“ Abschalten
Beatmungsgerät
Gabe von schmerz-
stillenden, aber ggf.
lebensverkürzenden
Medikamenten
(„Nebenwirkung“)
Unterlassen weiterer
Therapie
Beendigung oder
Reduktion künstlicher
Ernährung
oder anderer Behand-
lungsmaßnahmen
Gezielte, aktive Her-
beiführung des Todes
[unterscheidet sich von
der indirekten Sterbehilfe
nur durch die subjektive
Einstellung des Handeln-
den!]
Gabe von direkt töd-
lichen Medikamenten
Indirekte Sterbehilfe - Palliativmedizin
Problem: Morphingabe im Endstadium einer Krebserkrankung.
Im Ergebnis sind sich alle Meinungen einig, dass der Arzt/ Apotheker hier straffrei bleiben muss.
st. Rspr. seit BGH, Urt. v. 15.11.1996, 3 StR 79/76 = BGHSt 42, 301
Die überwiegende Ansicht sieht dies gerechtfertigt
durch eine Mischung aus Notstand (§ 34 StGB) und
rechtfertigender Pflichtenkollision. Dadurch wird
ausgeschlossen, dass der Arzt „Exzesse“ vollführen
kann, sich also außerhalb der notwendigen Sorgfalt
und damit des erlaubten Risikos bewegt.
Indirekte Sterbehilfe II
Achtung! Die Nichtverabreichung notwendiger
Schmerzmittel mit der Begründung, keinen
vorzeitigen Tod herbeiführen zu wollen, kann als
Körperverletzung (§ 223 StGB) oder unterlassene
Hilfeleistung (§ 323c StGB) bestraft werden.
Aus medizinischer Sicht ist die „indirekte Sterbehilfe“ in der Praxis sehr
selten, weil korrekt eingesetzte Opiate (wie Morphium) oder Benzodiazepine das Sterben entgegen früheren Ansichten in der Regel nicht verkürzen, sondern sogar leicht verlängern. Die juristische Diskussion zu diesem Thema erscheint deshalb manchen Palliativmedizinern als eher akademische Debatte. Vgl. dazu Truog RD et al Barbiturates in the care of the terminally ill New Engl J Med 1992, 327:1678-82.
…gegen den Therapiewunsch
Das Sterbenlassen einer Person durch Unter-
lassen von medizinischer Hilfeleistung bzw.
technischen Möglichkeiten entgegen den
Therapiewünschen der betroffenen Person
erfüllt den Straftatbestand eines Tötungsdeliktes
oder der unterlassenen Hilfeleistung.
BVerfG (3. Kammer), Beschl. v. 30.01.2002, 2 BvR 1451/01)
Behandlungsabbruch, „Passiv“/ „aktiv“
1. Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht (§ 1901a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen.
2. Ein Behandlungsabbruch kann sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun vorge-nommen werden.
BGH, Urt. v. 25.6.2010, 2 StR 454/09 = BGHSt 55, 191
Behandlungsabbruch II
3. Gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen,
die nicht in einem Zusammenhang mit dem
Abbruch einer medizinischen Behandlung stehen,
sind einer Rechtfertigung durch Einwilligung nicht
zugänglich.
BGH, Urt. v. 25.6.2010, 2 StR 454/09 = BGHSt 55, 191
Gliederung
1. Haftungsrecht
2. Dokumentation
3. Folgen der Haftung
4. Besondere Haftungsbereiche
(1) Delegation ärztlicher Aufgaben
(2) Patientenverfügung
(3) Polymedikation
(4) Freiheitsentziehende Maßnahmen
(5) Behandlungsabbruch
5. Risikomanagement
Beispiel für Risikomanagement I
Risikomanagement II
Risikomanagement III
Risikomanagement IV
Checkliste nach Leitfaden Landespflegeausschuss Bayer, 2006
Haltung und Werte vorgeben
im Leitbild
im Pflegekonzept
in Zielvorgaben, -vereinbarungen
im eigenen Verhalten
Wissensbasierte Pflege
Umsetzung von Leitlinien
Checkliste II nach Leitfaden Landespflegeausschuss Bayer, 2006
Personalentwicklung und Schulung
Kooperation, interdisziplinäre Zusammen-
arbeit
Zusammenarbeit mit Betreuern
Schaffung unterstützender Strukturen
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Arbeitsschwerpunkte
o Fachanwalt für Steuerrecht
o Heim-, Gesellschafts-, Sozialversicherungsrecht
o Veröffentlichungen:
• LPK-SGB XI, 4. Aufl., NOMOS
• LPK-HeimG, 2. Aufl., NOMOS
• Münchener Handbuch Sozialrecht, 4. Aufl., CH Beck
• Seniorenrecht, 2. Aufl. NOMOS
• LPK-SGB I, LPK-SGB XI, Das neue Heimrecht,
NOMOS
• Behandlungspflege, 3. Aufl., Vincentz