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Hammer des Todes

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Nr. 318

Hammer des Todes

Chaos über Moondrag, der Stadt ohne Gesetz

von H. G. Francis

Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmt worden, denn der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtau­senden versunkenen Kontinents Atlantis.

Atlan und Razamon, der verbannte Berserker, sind die einzigen, die den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Herren von Pthor ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen.

Atlan und Razamon gelangen auf eine Welt der Wunder und der Schrecken. Das Ziel der beiden Männer, zu denen sich inzwischen der Fenriswolf gesellt hat, ist, die Herren der FESTUNG, die Beherrscher von Pthor, aufzuspüren und schachmatt zu setzen, auf daß der Menschheit durch die Invasion kein Schaden erwachse.

Nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die am Berg der Magier ihren Anfang nah­men, haben Atlan und Razamon durch die Zerstörung des Kartaperators der irdi­schen Menschheit bereits einen wichtigen Dienst geleistet.

Jetzt – zu einer Zeit, da Koy, der Trommler, längst auf der Suche nach ihnen ist – halten die Kampfgefährten ihren Einzug in Moondrag, der Stadt ohne Gesetz.

Dort herrscht der HAMMER DES TODES …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Razamon - Die Wüstenwanderer erreichen ihr neues Ziel.Fenrir - Atlans und Razamons vierfüßiger Begleiter.Kull-Koll Harxt - Ein blinder Seher.Fengo-P, Troot und Pan-pank - Anhänger des Blinden.Harvall - Beherrscher von Moondrag.

Wer wahrhaftig und gebildet ist und standhaft bis zum Tode auf dem Weg der Rechtlichkeit gehen will, soll kein Land be­treten, wo Umsturz droht, und nicht leben in einem Lande, wo Gesetzlosigkeit herrscht. Wo aber Gerechtigkeit und Ordnung ist, da soll er sich hervortun, wo Ungerechtigkeit und Unordnung ist, da soll er nicht auffal­len. Wenn im Land Gerechtigkeit und Ord­nung herrschen, so ist es eine Schande, arm und ohne Ansehen zu sein. Doch wenn im Lande Ungerechtigkeit herrscht, so ist es ei­ne Schande, reich und geehrt zu sein.

Konfuzius

1.

Die Wüste flimmerte vor Hitze. Pflanzen und Gebäude, die sich weit vor Atlan, Raza­mon und Fenrir befanden, waren kaum zu erkennen und schienen ständig in Bewegung zu sein. Luftspiegelungen ließen Trugbilder erscheinen. Sie hatten geglaubt, die Wüste bereits hinter sich gelassen zu haben. Doch sie hatten sich geirrt. Dennoch zweifelten die beiden Männer nicht daran, daß sie di­rekt auf die Stadt Moondrag zu marschier­ten.

»Es kann nicht mehr weit sein«, sagte Razamon mit heiserer Stimme. Er legte sich die Hände um den Hals und schluckte müh­sam.

Atlan nickte nur. Fenrir stob plötzlich davon. Er schreckte

ein hasenähnliches Tier hoch und jagte hin­ter ihm her. Weder Atlan noch Razamon rie­fen ihn zurück, weil sie glaubten, er werde von selbst wiederkommen. Doch er entfernte

sich weiter und weiter von ihnen, bis sie ihn schließlich nicht mehr sehen konnten. Atlan blickte ihm enttäuscht nach. Er blieb stehen und beschattete das Gesicht mit den Händen.

Stand vor ihnen nicht eine einsame Ge­stalt in der Wüste? Sie war nicht deutlich zu erkennen, weil die Luft so flimmerte. Außer­dem trug sie eine helle Kleidung, die sich kaum vom weißen Wüstensand abhob. Doch dann bewegte sie sich, und nun war klar zu sehen, daß Atlan sich nicht geirrt hatte.

»Da vorn ist jemand«, sagte er. Razamon blieb ebenfalls stehen. Er

brauchte einige Sekunden, bis er den Frem­den ebenfalls entdeckt hatte.

»Wenn mich nicht alles täuscht, ist da vorn noch mehr. Da ist Wasser«, sagte er und eilte mit weit ausgreifenden Schritten an dem Arkoniden vorbei. Er arbeitete sich einen flachen Hügel hoch und rutschte auf der anderen Seite im nachgebenden Sand herunter. Hinkend eilte er auf den Fremden zu.

Atlan folgte ihm, ließ sich jedoch mehr Zeit. Ihn quälte der Durst nicht so sehr wie Razamon.

Als er sich dem Fremden bis auf etwa fünfzig Meter genähert hatte, sah er, daß Razamon recht gehabt hatte. Er befand sich direkt neben einem Wasserloch. Er wollte daraus trinken, doch der Mann neben ihm bot ihm eine Flasche an. Zögernd nahm er sie an und trank daraus.

Atlan blieb fünf Meter von den beiden entfernt stehen. Der Fremde war ein Dala­zaare. Er hatte sich in Tücher gehüllt. Nur sein Kopf und seine Füße blieben frei. Das schwarze Haar fiel ihm über den Rücken bis zu den Kniekehlen herunter.

Razamon reichte Atlan die Flasche. »Trink«, sagte er. »Es ist bestes Wasser.«

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»Ich ziehe es vor, mich aus der Quelle zu bedienen«, entgegnete der Arkonide. »Wasser muß kalt sein, wenn es gut schmecken soll.«

»In der Quelle wohnt der Tod«, erklärte der Dalazaare. »Nimm die Flasche.«

Er hielt Atlan das Gefäß hin. Zögernd nahm der Arkonide es entgegen und trank. Das Wasser darin war herrlich kühl und er­frischend. Als Atlan die Flasche zurückgab, war er davon überzeugt, daß sie erst kurz zu­vor aus der Quelle gefüllt worden war. Et­was anderes erschien ihm unmöglich.

»Ist es noch weit bis Moondrag?« fragte er.

»Nicht weit«, antwortete der Dalazaare bereitwillig. Er zeigte in die Richtung, in die sie hatten weitergehen wollen. »Nur noch et­wa eine Stunde. Viele Spuren führen dort­hin. Auch meine. Ihr braucht ihnen nur zu folgen. Dann könnt ihr die alte Stadt nicht verfehlen.«

»Warum bist du hier?« fragte Atlan. »Gibt es in Moondrag kein Wasser?«

Der Dalazaare lächelte. »Natürlich gibt es dort Wasser. Ich bin

hier, weil ich mich mit jemandem treffen will. Allein. Niemand aus der Stadt soll es wissen.«

»Ich verstehe«, erwiderte der Arkonide. »Wir werden dich nicht stören. Komm, Raz­amon.«

Razamon wandte sich ab und ging weiter. »Danke für das Wasser«, sagte Atlan und

folgte ihm. Er schloß rasch zu ihm auf. »Jetzt sind wir wenigstens sicher, daß wir uns nicht verirren.«

»Ohne diesen Schluck Wasser hätte ich nicht durchgehalten«, entgegnete Razamon. Atlan wußte, daß diese Behauptung übertrie­ben war. Aber auch er spürte, daß er eine Pause brauchte, in der er neue Kräfte sam­meln konnte.

Sie waren schon ungefähr dreihundert Meter von der Quelle entfernt, als Atlan nach Süden blickte. Er blieb stehen.

»Was ist das?« Atlan zeigte nach Süden. Dort bewegte

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sich etwas durch die Wüste. Es war schwarz. Die Luft flimmerte so stark, daß sie keine deutlichen Konturen ausmachen konnten. Das Objekt schien ständig seine Formen zu verändern. Es näherte sich der Quelle und dem Dalazaaren. Auch dieser war nun kaum noch zu erkennen.

»Es ist ein Reiter«, sagte Razamon. Nun sah auch Atlan, daß der Unbekannte

auf einem Tier ritt, das entfernt einem Dro­medar ähnelte. Der Reiter verbarg sich unter schwarzen Tüchern, die ihn vollkommen einhüllten. Dennoch hatte der Aktivatorträ­ger den Eindruck, daß unter den Tüchern ei­ne zierliche Gestalt steckte.

Wenig später erreichte der Reiter die Quelle.

»Sein Schätzchen ist also gekommen«, stellte Razamon ruhig fest. »Wir sollten dis­kret sein und uns umdrehen.«

Die beiden Freunde gingen weiter. Sie hingen ihren Gedanken nach, als plötzlich ein Schuß fiel. Sie fuhren herum.

Deutlich sahen sie, daß der Schwarze noch immer auf dem Reittier hockte. Vor ihm stand der Dalazaare. Er schwankte.

Ein zweiter Schuß fiel. Der Dalazaare stürzte zu Boden.

Der Reiter zog das Tier herum, trieb es an und entfernte sich von Atlan und Razamon. Diese eilten zur Quelle zurück.

Atemlos und erschöpft erreichten die bei­den Männer sie.

Der Dalazaare lag auf dem Rücken im Sand. Blut sickerte aus Wunden am Kopf und auf der Brust. Der Sand unter seinem Kopf hatte sich rot gefärbt.

Atlan kniete neben ihm nieder. Behutsam legte er ihm die Hände an den Kopf. Der Schädel war über dem rechten Ohr verletzt. Aus der Art der Wunde schloß der Arkonide auf ein Projektil, das die Schädeldecke durchschlagen hatte. Er wußte, daß er den Dalazaaren nicht mehr retten konnte.

Die dunklen Augen blicken ihn an. Der Dalazaare hatte Mühe, sich auf Atlan zu konzentrieren.

»Ich wollte sie töten«, sagte er stockend,

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»aber sie war schlauer als ich.« »Ich sehe keine Waffe bei dir«, bemerkte

der Arkonide. »Das Wasser«, erwiderte der Dalazaare.

»Ich habe die Quelle vergiftet. Ich wußte, daß sie trinken würde.«

Seine Augen brachen. Der Kopf sank zur Seite, und das Leben wich aus seinem Kör­per.

Razamon fluchte laut. »Er hat es nicht anders verdient«, sagte er

zornig. »Wer eine Quelle in der Wüste ver­giftet, hat sein Leben verwirkt.«

»Wir begraben ihn«, sagte Atlan. Razamon schüttelte den Kopf. »Ich nicht«, entgegnete er. »Einen Mann

wie ihn verscharre ich nicht. Sollen ihn die Geier holen. Er hat es nicht anders verdient. Glaubst du, er hätte uns unter die Erde ge­bracht, wenn wir uns vergiftet hätten?«

Atlan begann schweigend damit, etwa zwanzig Meter von der Quelle entfernt eine Mulde auszuheben. Razamon sah ihm zu­nächst zu, dann überwand er seinen Wider­willen und half dem Arkoniden. Sie hoben eine ausreichend tiefe Grube aus, legten den Toten hinein, bedeckten sein Gesicht mit den Tüchern, die er trug, und schoben Sand über ihn. Sie kennzeichneten das Grab mit einigen Steinen.

»Ich wünschte, ich hätte irgend etwas, mit dem ich anzeigen kann, daß die Quelle ver­giftet ist«, sagte Razamon. »Der nächste, der hier vorbeikommt, ist verloren.«

Atlan sah sich um. Außer Sand war nichts vorhanden. Er schüttelte resignierend den Kopf.

»Wir können nichts tun«, stellte er fest. »Wir können nur hoffen, daß die Quelle sich schnell selbst reinigt. Komm. Wir gehen weiter.«

Razamon spuckte aus. Mit verengten Augen blickte er in Rich­

tung Moondrag. »Was mag das für eine Stadt sein?« fragte

er. »Ich fürchte, es ist die Hölle.« »Davon bin ich überzeugt«, sagte Atlan.

»Dennoch werden wir sie aufsuchen. Wir

haben gar keine andere Wahl.«

*

»Du wirst das nie mehr vergessen«, ver­sprach Pan-pank. Seine Augen blitzten vor Begeisterung. »Die Zeiten ändern sich, und wir haben das Glück, es zu erleben. Es gibt wieder Hoffnung für uns.«

Sie traten aus dem Schatten eines Schup­pens heraus, der einem Sattler als Werkstatt gedient hatte. Überall lagen noch Werkzeu­ge und Leder herum. Der Sattler aber war verschwunden. Eine liegende Acht an der Holzwand neben der Tür zeigte an, daß er in die Unendlichkeit eingegangen war.

Troot war kleiner als Pan-pank. Das allein verlieh ihm bereits ein Gefühl der Unterle­genheit. Pan-pank kam ihm nicht nur kräfti­ger, sondern auch viel klüger und lebens­tüchtiger vor, als er selbst war. Er glaubte ihm auch ohne weiteres, daß er zahllose Verbindungen zu allerlei wichtigen Leuten hatte und dadurch Einfluß genoß.

Sie näherten sich einem Kuppelbau, der mit farbenprächtigen Symbolen bemalt war. Die dicke Farbe überdeckte manchen Riß im Metall und ließ die Kuppel jünger und stabi­ler aussehen, als sie war. Vier Dalazaaren wachten vor dem Eingang. Sie waren mit Speeren und Messern bewaffnet.

»Laß dich nicht täuschen«, sagte Pan­pank. »Die Waffen sind nicht so primitiv, wie sie aussehen. Der Alte ist schlau. Er will vermeiden, daß seine Wachen allzu bedroh­lich und gefährlich aussehen.«

»Warum?« fragte Troot verblüfft. »Dann kann er sich doch viel sicherer fühlen.«

»Er fühlt sich sicher«, betonte Pan-pank überlegen lächelnd. »Eine gewisse Reprä­sentation muß jedoch sein. Deshalb die Wa­chen.«

»Und was ist mit den Waffen?« »In ihnen wohnen die Kräfte der Götter.

Die Messer und Speere können über eine große Entfernung hinweg zerstören, ohne daß die Männer sie aus der Hand geben.«

Er legte Troot die Hand auf die Schulter.

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»Dennoch sind es keine Strahlenwaffen, wie du nun vielleicht annehmen wirst.«

»Was für Waffen sind es dann?« »Ich bin nicht befugt, dir das zu sagen«,

erwiderte Pan-pank, wobei er seine Stimme senkte, um ihr einen geheimnisvollen Unter­ton zu verleihen. »Wenn der Alte Vertrauen zu dir gefaßt hat, dann wirst du es erfahren.«

Troot preßte die Lippen zusammen und blickte Pan-pank an. Er legte ihm die Hand an den Arm.

»Er wird mir vertrauen«, sagte er. »Und es wird gar nicht lange dauern, bis es soweit ist. Er wird spüren, daß ich ihm gehöre, daß ich sogar bereit bin, für ihn zu sterben.«

Pan-pank lächelte milde. »Nicht so große Worte«, sagte er. »Das ist

gar nicht notwendig.« Sie hatten die Wachen erreicht. »Wir sind gekommen, um die Worte des

blinden Kull-Koll Harxt zu hören«, erklärte er. »Laßt uns passieren.«

Einer der Wächter trat auf ihn zu und ta­stete ihn nach Waffen ab. Nachdem er ihn und Troot kontrolliert und nichts Verbotenes gefunden hatte, gab er ihm mit einem Hand­zeichen zu verstehen, daß er die Kuppel be­treten konnte. Es war ein Dalazaare, so wie Pan-pank und Troot auch. Die beiden Män­ner schoben einen aus Hölzern gefertigten Vorhang zur Seite und gelangten in eine ge­räumige Halle, in der etwa dreihundert Män­ner auf dem Boden kauerten. Es waren fast alles Dalazaaren. Nur wenige Kuroden und Kelotten waren dabei. An der gegenüberlie­genden Wand stand ein Sessel, der für einen Giganten gefertigt war. Er war noch unbe­setzt.

Pan-pank und Troot hockten sich auf Schemel, die mit Fellen bedeckt waren. Fas­ziniert von der Szenerie, blickte Troot auf den Sessel. Dieser stand vor einem roten Vorhang, der von der etwa dreißig Meter ho­hen Decke herabhing. Der Vorhang war, ebenso wie die Kuppel, mit fremdartigen Symbolen geschmückt, von denen Troot kei­nes vertraut war.

Links und rechts vom Sessel erhoben sich

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Statuen von bizarr geformten Bestien. Sie waren – wie Troot von Pan-pank wußte – aus purem Gold und stellten einen unschätz­baren Wert dar. Hauptsächlich ihretwegen standen die Wachen vor der Kuppel. Der Blinde benötigte keinen Schutz. Auch das wußte Troot von Pan-pank, der, wie es schi­en, über alles informiert war, was mit Kull-Koll Harxt zusammenhing.

»Wer hat die goldenen Bestien geformt?« fragte Troot flüsternd.

»Der Alte hat mir gesagt, daß es die Göt­tersöhne selbst waren, die sie nach Pthor ge­bracht haben«, erwiderte Pan-pank. »Sie ha­ben eine ganz bestimmte Bedeutung, doch heute weiß niemand mehr, welche. Kull-Koll Harxt ist überzeugt davon, daß eine neue, goldene Zukunft für uns alle beginnen wird, wenn es gelingt, das Geheimnis ihrer Bedeutung zu lösen. Doch er hat keine Hoff­nung, daß dies jemals gelingen wird. Dazu benötigen wir genaue Informationen. Woher sollten wir die jedoch nehmen? Die Götter­söhne müßten schon erneut zu uns kommen und uns helfen. Wenn sie jedoch nicht er­scheinen, wird das Rätsel vielleicht niemals gelöst werden.«

»Glaubst du, daß sie jemals kommen wer­den?« fragte Troot.

Pan-pank wackelte mit den Händen. »Woher soll ich das wissen?« erwiderte

er. »Niemand kann das sagen. Aber, um ehr­lich zu sein, ich glaube es nicht. Obwohl …«

»Obwohl … was?« Pan-pank blickte Troot forschend an. »Ich will dich nicht verwirren oder

falsche Hoffnungen in dir wecken. Deshalb solltest du so skeptisch sein, wie ich es bin, wenn ich dir sage, was ich gehört habe.«

»Ich verspreche es dir.« »Einer der Göttersöhne soll zur Zeit auf

Pthor sein. Es heißt sogar, daß er auf dem Weg hierher nach Moondrag ist.«

Die Augen Troots leuchteten auf. Er lä­chelte, und sein Atem ging plötzlich schnel­ler. Pan-pank griff nach seinem Arm und drückte ihn so kräftig, daß Troot sein Ge­sicht vor Schmerz verzerrte.

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»Du Narr«, sagte Pan-pank zornig. »Ich habe dir gesagt, daß es ein Gerücht ist und daß du skeptisch bleiben sollst. Und was tust du? Du fängst vor Begeisterung an zu strah­len.«

»Verzeih«, bat Troot unterwürfig. »Ich war närrisch.«

»Ruhig. Der Alte kommt.« Ihre Blicke richteten sich nach vorn. Es

war plötzlich still in der Halle geworden. Der große Vorhang teilte sich, und zwei

Kelotten führten einen weißhaarigen, ge­drungen wirkenden Mann herein. Der Alte trug ein leuchtend grünes Gewand aus einem schimmernden Stoff. Seine Schultern, die Oberarme, die Hüfte und die Knie waren mit goldenen Bändern verziert.

Seine Augen waren weit geöffnet. Sie hat­ten keine bestimmbare Farbe. Troot erschie­nen sie milchig weiß, als seien sie von einer Krankheit getrübt worden.

»Er ist blind«, sagte er leise. »Natürlich ist er blind«, entgegnete Pan­

pank. »Vielleicht kann er gerade deshalb mehr sehen als andere.«

»Du sprichst in Rätseln.« »Durchaus nicht. Die meisten haben zwei

Augen und können damit sehen. Sie nehmen aber nur das wahr, was an der Oberfläche ist, und das, was sie sehen wollen. Die Wirklichkeit aber bleibt ihnen verborgen.«

Der blinde Kull-Koll Harxt stieg über einen Schemel in den gewaltigen Sessel und setzte sich. Er strich sich mit beiden Händen über den wallenden Bart, der ihm bis auf den Gürtel herabreichte. Plötzlich stieß er einen schrillen Schrei aus.

Einige Sekunden vergingen, dann antwor­teten seine versammelten Anhänger mit ge­dämpften Summlauten, die allmählich an­schwollen und schließlich die ganze Kuppel machtvoll erfüllten.

»Was soll das?« flüsterte Troot. »An dieser Antwort kann der Alte genau

erkennen, wieviele Zuhörer er hat. Warte nur ab, bald wird er die genaue Zahl nen­nen.«

Troot war verblüfft. Doch dann kam ihm

ein Gedanke. Er wollte schon aussprechen, was er dachte, als er das andächtig verklärte Gesicht Panpanks bemerkte. Er biß sich auf die Lippen und behielt für sich, daß die Wa­chen die Besucher gezählt, und den Alten über das Ergebnis informiert haben konnten.

»Ihr kennt mich«, rief Kull-Koll Harxt mit überraschend kräftiger Stimme. »Ihr wißt, daß ich ein Magier aus der Großen Barriere von Oth bin.«

Troot hob den Kopf. Er spähte mit ver­engten Augen zu dem Blinden hinüber. Die­ser war zwar etwa dreißig Meter weit von ihm entfernt. Dennoch glaubte er erkennen zu können, daß es sich bei dem Magier um einen alten Orxeyaner handelte. Die Merk­male waren deutlich. Er schwieg, weil er Pan-pank nicht in Verlegenheit bringen wollte. Darüber hinaus war er auch davon überzeugt, daß der Freund diesen Wider­spruch ebenso bemerkt hatte wie er selbst auch. Vielleicht gehörte dieses alles zu dem ihm unbekannten Zeremoniell? Vielleicht hatten diese Worte eine magische Bedeu­tung?

Troot beschloß, nicht jedes Wort des blin­den Kull-Koll Harxt zu analysieren und et­was großzügiger über scheinbare Widersprü­che hinwegzugehen. Er vertraute Pan-pank. Dieser wußte sicherlich für alles eine Erklä­rung, und es war besser, diese abzuwarten, als voreilige Schlüsse zu ziehen.

»Ich habe eine gute Nachricht für euch«, rief der blinde Magier. »Hört mich an.«

War es vorher schon still in der Halle ge­wesen, so erstarrte nun jeder Zuhörer in an­gespannter Aufmerksamkeit.

»Einer meiner Jünger ist unten gewesen«, fuhr der Alte fort. »Unten in den alten Anla­gen von Moondrag. Der Dalazaare Fengo-P war es. Er hat einwandfrei festgestellt, daß Moondrag früher wirklich einmal eine von jenen drei legendären Schaltstationen gewe­sen ist, von denen aus Pthor gesteuert wor­den ist.«

Er hielt inne, um seine Worte auf seine Zuhörer wirken zu lassen. Einige Sekunden verstrichen, dann sprangen die meisten Be­

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sucher auf und jubelten Kull-Koll Harxt be­geistert zu. Der Blinde ließ sie einige Minu­ten lang gewähren, dann hob er beide Arme, und der Beifall versiegte.

»Laßt mich fortfahren, meine Freunde«, rief der Magier. »Ihr wißt jetzt, daß einge­troffen ist, was ich vorhergesagt habe. Ich habe die Wahrheit erkannt, so wie ich die goldene Zukunft erkenne, die vor uns allen liegt.

Vor vielen Jahrhunderten haben die Her­ren der FESTUNG die Station Moondrag stillgelegt, weil sie glaubten, daß es besser sei, ihre Macht allein von der FESTUNG her auszuüben.«

Er ließ sich eine Schale reichen, tauchte seine Fingerspitzen hinein und benetzte sei­ne Lider.

»Seitdem hat Moondrag seine ursprüngli­che Bedeutung verloren«, fuhr er danach fort. »Die stillgelegten Anlagen aber beste­hen noch immer. Wir haben sie gefunden. Fengo-P hat das Tor zur Macht aufgestoßen. Alles ist noch so, wie es gewesen ist, als die Anlagen noch in Betrieb waren.«

Einer der Zuhörer sprang auf. Er streckte die Arme in die Höhe.

»Wir sollten sie sofort einschalten«, rief er. Seine Stimme überschlug sich vor Begei­sterung. »Die Herren in der FESTUNG sol­len spüren, daß Ihnen die Macht nicht mehr allein gehört.«

Die anderen sprangen ebenfalls auf, klatschten in die Hände und brüllten erregt auf den Blinden ein. Dieser ließ sie toben. Er duldete, daß sie sich die wildesten Spekula­tionen zuschrien und sich in einen wahren Begeisterungstaumel hineinsteigerten.

Troot merkte, daß es ihn mitriß. Er über­raschte sich dabei, daß er mitten zwischen den anderen stand und einfach nur schrie. Erst viel später fiel ihm auf, daß Pan-pank noch immer auf dem Schemel saß und sich nicht von der allgemeinen Begeisterung an­stecken ließ. Er blieb so überlegen, wie er stets war.

Ernüchtert ließ Troot die Arme sinken. Er blickte sich scheu um, stellte fest, daß nie-

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mand auf ihn achtete, und kehrte zu seinem Schemel zurück. Er setzte sich und bemühte sich, ebenso gelassen auszusehen wie Pan­pank.

Plötzlich hob der Alte die Arme. Es wur­de schlagartig still. Die Zuhörer setzten sich wieder.

»Wir werden es denen in der FESTUNG zeigen«, sagte er. »Doch ist alles nicht so einfach, wie ihr es euch vorstellt. Es genügt nicht, in die Schaltstation hinunterzugehen. Man muß auch wissen, wie man die Maschi­nen zu bedienen hat. Die Maschinen sind ungeheuer kompliziert. Wir allein schaffen es nicht. Wir benötigen Hilfe.«

Diese Worte wirkten auf die meisten Zu­hörer wie eine kalte Dusche. Ernüchtert blickten sie sich an, und Ratlosigkeit zeich­nete sich auf ihren Gesichtern ab.

»Was werden Sie tun, Kull-Koll Harxt?« rief Pan-pank, ohne sich von seinem Platz zu erheben.

»Du bist es, Pan-pank«, sagte der Magier. »Eine kluge Frage. Ich will sie dir beantwor­ten. Wir werden einige Technos aus der Sen­ke der verlorenen Seelen entführen. Sie sol­len die alten Schalt und Steueranlagen von Moondrag aktivieren.«

Troot hatte alles andere erwartet, nur nicht dies. Der Gedanke war so kühn, daß er Troot als völlig undurchführbar erschien.

2.

Razamon blieb fluchend stehen. »Was ist los?« fragte Atlan, der einige

Meter zurückgeblieben war. »Sieh selbst«, antwortete der Atlanter.

Wortlos wartete er, bis Atlan neben ihm stand.

Sie hatten gehofft, Moondrag erreicht zu haben, doch sie hatten sich geirrt. Die ganze Zeit über hatte es so ausgesehen, als schlös­se sich die Stadt direkt an die Wüste an. Das war jedoch nicht der Fall. Die Wüste war zu Ende, doch jetzt senkte sich der Boden ab. Eine steppenartige Landschaft folgte. Sie war etwa zehn Kilometer tief und schloß an

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einer schwarzen Felswand ab, die etwa acht­hundert Meter hoch anstieg. Auf einem Pla­teau, das nur unwesentlich über dem Niveau der Wüste Fylln lag, glänzten die metalli­schen Bauten von Moondrag im Licht der Sonne.

Atlan ließ sich in den Sand sinken, um sich ein wenig auszuruhen. Der Zellaktivator in seiner Brust pulsierte heftig und führte ihm neue Energien zu.

Razamon spähte zu der schwarzen Fels­wand hinüber und suchte nach einem Weg, der nach Moondrag führte, aus dieser Ent­fernung war jedoch noch nichts zu erkennen.

Atlan stand auf und ging wortlos weiter. Razamon blieb neben ihm. Allmählich wur­de es kühler. Der Boden wurde fester, so daß sie schneller vorankamen. Moos und Dor­nengewächse bildeten Vegetationsinseln, und bald zeichnete sich ein Weg ab, der zur Felswand führte. Fußspuren verrieten, daß dieser Weg häufig benutzt wurde. Nach eini­ger Zeit beobachtete Atlan jedoch eine Her­de gazellenartiger Tiere, die im Krüppelge­hölz äste. Die Tiere stoben erschreckt davon, als sie die beiden Männer bemerkten.

Am Fuß der Felswand liefen alle Fußspu­ren zusammen. Sie endeten an einem steil aufsteigenden Pfad, den Atlan und Razamon überraschend mühelos hinaufstiegen. Der Felsboden war glatt und eben, und der Pfad war so breit, daß sie nebeneinander gehen konnten.

Je höher sie kamen, desto kälter wurde es. Ein frischer Wind strich an der Felswand entlang. Er roch nach Meer, so daß Atlan und Razamon erkannten, daß sie eine Küste der Insel erreicht hatten. Bald konnten sie durch einen Einschnitt die offene See sehen. Die Sicht reichte jedoch nicht weit.

Wieder einmal fragte sich Atlan, warum keine Hilfe von außen kam. Längst mußte man doch erkannt haben, was sich auf At­lantis abspielte. Über der Insel befanden sich zahlreiche Beobachtungssatelliten, von de­nen aus das Geschehen fraglos verfolgt wer­den konnte. Für die Mutanten war es leicht, nach Atlantis zu kommen. Da der Energie­

schirm von außen gesteuert wurde, brauchte man nur eine Strukturlücke zu schaffen, um den Weg zu öffnen.

Atlan fand keine befriedigende Antwort auf seine Fragen. Er sagte sich zwar, daß sich Verschiebungen in den Zeitabläufen eingestellt haben konnten, aber er empfand eine solche Erklärung als nicht ausreichend.

Moondrag war keine offene Stadt. Sie lag auf dem Felsplateau an der Küste

der Insel und war so gebaut worden, daß es nur einen schmalen Zugang zu ihr gab. Er befand sich in einem Felseinschnitt mit glat­ten, unbesteigbaren Wänden. Hier hatten die früheren Bewohner der Stadt ein massives Stahlschott errichtet, das etwa fünf Meter hoch und zehn Meter breit war. Es stellte ein unüberwindliches Hindernis dar.

Oben auf dem Schott saßen zwei bärtige Männer, als Atlan und Razamon den Fel­seinschnitt erreichten. Sie plauderten mitein­ander und taten, als ob sie die beiden Freun­de nicht bemerkten.

Erst als Atlan ihnen zurief, daß sie öffnen sollten, blickten sie nach unten.

»Warum?« fragte einer von ihnen. Er hat­te tiefschwarzes Haar und leuchtend blaue Augen.

»Dämliche Frage«, antwortete Razamon ärgerlich. »Weil wir nach Moondrag wol­len.«

»Aha, deshalb also«, entgegnete der Schwarzhaarige ironisch. »Das hört sich ganz vernünftig an. Macht zwei Quorks pro Fuß.«

»Wir haben nichts bei uns«, sagte Atlan. »Dann kehrt lieber in die Wüste zurück.

Die Stadt ist für euch verschlossen.« Er wandte sich wieder seinem Nachbarn zu, der ebenso verwahrlost aussah wie er selbst. Er reagierte nicht mehr auf die Zurufe Atlans.

Ratlos blickte der Arkonide Razamon an. »Was tun wir?« fragte er. »Warten«, erwiderte Razamon. »Wir war­

ten, bis irgend jemand kommt und das Tor öffnet. Und dann schlagen wir uns durch.«

Auf ein solches Ereignis brauchten sie nicht lange zu warten. Sie hatten sich kaum

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auf den Boden gesetzt, als Stimmen auf der anderen Seite des Tores laut wurden. Die beiden Bärtigen wandten sich um und stie­gen von der Stahlmauer herunter. Minuten später begann diese sich zu bewegen. Quiet­schend rutschte sie Zentimeter für Zentime­ter zur Seite.

Atlan und Razamon warteten ab, bis ein Spalt von etwa zwei Metern Breite entstan­den war. Dann sprangen sie auf und rannten los. Sie stürzten sich auf die beiden Männer, die den Spalt absicherten. Mit bloßen Hän­den griffen sie sie an.

Die Wächter traten gelassen zur Seite und ließen Atlan und Razamon passieren. Bevor die Angreifer wußten, was geschah, warfen sich zehn Männer auf sie, packten sie, schlu­gen auf sie ein und schleuderten sie wieder durch den Spalt hinaus.

Zwei auffallend gut gekleidete Männer, die fremdartige Schußwaffen im Gürtel tru­gen, kamen aus der Stadt. Sie eilten den Pfad entlang, ohne Razamon und Atlan ei­nes Blickes zu würdigen.

Das Tor schloß sich wieder. Dabei beob­achtete der Arkonide, daß mehrere Männer an einem mächtigen Rad arbeiteten und es mühsam drehten. Sie bewegten das Schott langsam weiter, bis es schließlich einrastete.

»Müssen wir unbedingt in die Stadt?« fragte Razamon.

»Wir müssen«, erwiderte Atlan. »Ohne Wasser und ohne Ausrüstung kommen wir nicht mehr weiter.«

Razamon nickte. Er sah ein, daß sie keine andere Möglichkeit hatten.

Als sie etwa eine halbe Stunde lang vor dem Schott gesessen und überlegt hatten, was sie tun sollten, vernahmen sie das Ge­trappel von Hufen. Wenig später erschien ei­ne in schwarze Tücher gehüllte Gestalt auf einem dromedarähnlichen Tier in der Schlucht.

»Die schwarze Reiterin«, sagte Atlan. Un­willkürlich sprang er auf.

Von der Frau, die sich unter den Tüchern verbarg, war so gut wie nichts zu sehen. Nur die blauen Augen lagen frei. Sie boten je-

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doch so wenig Anhalt, daß Atlan daran zweifelte, daß er diese Frau später wiederer­kennen würde, wenn er ihr an anderer Stelle begegnete.

Das Tor bewegte sich erneut, noch bevor die Reiterin es erreicht hatte.

»Sechs Füße«, brüllte einer der Wächter. Er ließ die Reiterin passieren und drohte

Atlan mit der Faust, um ihm anzuzeigen, daß es sinnlos war, einen gewaltsamen Durchbruch zu versuchen.

»Warte«, rief Atlan, als das Tor sich wie­der schloß. »Ich habe etwas, womit ich be­zahlen kann.«

»Zeige es her«, forderte der Wächter. »Ich werde das Tor reparieren, so daß es

sich von selbst bewegt. So wie es früher war.«

Der Wächter blickte ihn verblüfft an. Die anderen Männer traten neben ihn.

»Das kann niemand«, erklärte der Wäch­ter. »Es ist unmöglich.«

»Ich kann es«, behauptete Atlan ruhig. »Ich werde es zumindest versuchen. Wenn es mir nicht gelingt, könnt ihr mich ja wie­der hinauswerfen.«

»Das läßt sich hören. Kommt herein.« Die verwahrlosten Gestalten traten zur

Seite. Sie ließen Atlan und Razamon herein. Dieser war äußerst skeptisch. Nach allem, was sie bisher auf Pthor erlebt hatten, glaub­te er nicht daran, daß es ihnen ohne techni­sche Hilfsmittel gelingen würde, das Schott wieder instand zu setzen.

Als Atlan die andere Seite des Schottes sah, zweifelte auch er daran, daß er Erfolg haben würde. Er ließ sich jedoch nicht an­merken, was er dachte. Ruhig begann er da­mit, das Schott zu untersuchen. Die Grund­ausrüstung, die dazu gehörte, war noch vor­handen. Die Bewohner von Moondrag hat­ten sie nicht entfernt, weil sie damit nichts anfangen konnten. Sie hatten sich ein eige­nes, äußerst primitives System konstruiert, mit dem sie das Schott bewegen konnten. Als Atlan und Razamon das Tor etwa eine Stunde lang untersucht hatten, wurden die Wächter ungeduldig. Sie wollten Fortschrit­

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te sehen. »Das ist eine schwierige Arbeit«, sagte

Atlan. »Sie kann Tage dauern.« »Elektrisch läßt sich nichts ausrichten«,

bemerkte Razamon in englischer Sprache, damit ihn niemand verstand. »Ich schlage vor, wir bauen ihnen ein System mit Ge­wichten, Gegengewichten und einem Gleit­lager, so daß ein Kind das Tor öffnen kann.«

»Einverstanden«, antwortete Atlan. Er diskutierte einige Minuten lang mit Raza­mon. Dann waren sie sich darüber einig, wie sie die Arbeit ausführen mußten.

Sie bauten die primitive Konstruktion der Wächter ab und entwickelten ein eigenes System. Diese Arbeit nahm mehrere Stun­den in Anspruch. Während dieser Zeit muß­ten mehrere Männer, die das Tor passieren wollten, warten. Sie beschwerten sich nicht, sondern sahen Atlan und Razamon bei ihrer Arbeit zu. Sie erkannten den Wert der neuen Konstruktion zunächst noch nicht, da sie nicht begriffen, wie die verschiedenen Teile zusammengehörten. Schließlich aber klatschten sie begeistert in die Hände, als Atlan das Stahlschott zum erstenmal beweg­te. Dabei benötigte er nur eine Hand. Er drehte ein Speichenrad, und das Schott schob sich zur Seite.

Die Wächter stürzten sich auf die neue Anlage, um sie sogleich auszuprobieren. At­lan und Razamon nahmen die Gelegenheit wahr, sich zu entfernen.

*

Verwirrt verließ Troot neben Pan-pank die Kuppel des blinden Magiers. Er wußte nicht, was er von der kühnen Idee des Alten halten sollte. Zugleich aber begeisterten ihn die Ideen Kull-Koll Harxts.

Hatte er nicht schon immer davon ge­träumt, zu den Mächtigen zu gehören? Und bot sich ihm nun nicht eine Chance? Wenn die alten Schaltanlagen tatsächlich in Be­trieb genommen werden konnten, dann wür­de Moondrag wieder aufleben und zugleich zu einem Zentrum der Macht werden, das

sich hinter der FESTUNG nicht zu ver­stecken brauchte.

»Wohin gehen wir?« fragte Troot. »Zu Fengo-P«, antwortete Pan-pank. Sie umrundeten die Kuppel. Dahinter la­

gen einige flache Gebäude. Sie waren teils aus Steinen, teils aus Holz errichtet und bo­ten einen ärmlichen Anblick. Auf Troot aber wirkten sie nicht so. Er lebte in einer noch erbärmlicheren Hütte.

Der Dalazaare Fengo-P kauerte auf einem Fell auf dem Boden und tat zunächst einmal so, als sehe er sie überhaupt nicht. Mit weit geöffneten Augen blickte er ins Leere.

Pan-pank gab Troot mit einer Geste zu verstehen, daß er sich ruhig verhalten sollte. Er setzte sich in eine Ecke des Raumes und wartete ab.

Fengo-P, der Vertraute des blinden Ma­giers, seufzte nach einigen Minuten. Seine Haltung entspannte sich. Er drehte sich um, blickte Pan-pank an und lächelte freundlich.

»Verzeiht, daß ich mich nicht früher um euch kümmern konnte«, sagte er. »Es ging wirklich nicht.«

»Ich verstehe das«, entgegnete Pan-pank. »Danke. Es mußte sein und sollte euch

nicht beleidigen.« »Ich fühle mich nicht beleidigt und mein

Freund Troot auch nicht.« Nun endlich schien Fengo-P beruhigt zu

sein. Seine Augen leuchteten auf. »Ihr habt die Worte des Magiers gehört,

und jetzt kommt ihr zu mir, um mich zu fra­gen, was ihr für ihn und seine großartige Idee tun könnt. Ist das richtig?«

Der Vorhang an der Tür teilte sich, und ein Dalazaare trat zusammen mit einem Kuroden ein. Der Kurode war auffallend schlank, und seine Haut war tiefgebräunt. Sein maskenhaft starres Gesicht wirkte leb­los. Es war schmal und hohlwangig.

Die beiden Männer setzten sich auf den Boden und hörten schweigend zu. Fengo-P bedachte sie mit einem flüchtigen Lächeln.

»So ist es«, bestätigte Pan-pank. »Ich bin dafür, daß wir gleich etwas unternehmen oder zumindest mit den Vorbereitungen für

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die Entführung der Technos beginnen.« »Einverstanden«, sagte Fengo-P. »Wir

werden heute nacht zu der Schwarzen gehen und uns zehn Reittiere holen.«

»Sie gibt uns die Dadare bestimmt nicht heraus«, entfuhr es Troot. Er hätte sich an­schließend am liebsten auf die Zunge gebis­sen. Er fürchtete, daß Pan-pank ihn tadeln würde, dieser kam jedoch gar nicht erst da­zu, denn Fengo-P wandte sich Troot freund­lich zu und sagte: »Du hast recht. Freiwillig gibt die Schwarze uns die Dadare bestimmt nicht. Andererseits ist klar, daß wir die Wü­ste Fylln und Kalmlech nicht zu Fuß durch­queren, die Technos organisieren und dann zu Fuß wieder zurückkehren können. Wir werden also gezwungen sein, der Schwarzen beizubringen, daß sie uns die Dadare über­lassen muß.«

»Wir holen sie aus den Ställen und brin­gen sie hierher. Das ist alles«, bemerkte der Kurode.

»Das bedeutet Krieg«, stellte Pan-pank fest. »Die Schwarze hat ihren Einfluß über Moondrag immer mehr ausgedehnt. Sie fühlt sich als Herrin der Stadt. Ihre Horden haben sämtliche Quellen besetzt. Ohne sie gibt es kein Wasser. Sie kann jeden Bezirk der Stadt austrocknen, wenn sie will.«

»Das wagt sie nicht«, entgegnete Fengo-P.

»Sie wird bald wissen, was der Magier heute verkündet hat«, fuhr Pan-pank fort. »Das wird sie bereits auf den Plan rufen. Sie wird ihre Ansprüche auf die Schaltanlagen anmelden. Und vermutlich wird sie auch er­raten, daß wir Dadare benötigen.«

»Es wird in einer Stunde dunkel«, sagte Fengo-P. »Ich habe den Auftrag, noch vor­her zu ihr zu gehen und sie zu fragen, ob sie uns zehn Reittiere gibt. Ich weiß, daß sie ab­lehnen wird, aber wir müssen die Form wah­ren. Begleitest du mich, Pan-pank?«

»Ich bin dabei.« »Und ich auch, wenn du mich willst«,

sagte Troot. »Ich will.« Der Vertraute Kull-Koll Har­

xts erhob sich. »Kommt.«

H. G. Francis

Er war unbewaffnet wie Pan-pank und Troot. Freundlich verabschiedete er sich von den anderen, dann verließ er die Hütte. Wortlos umrundeten sie die Kuppel des Ma­giers und liefen dann über einen alten Stahl­damm in Richtung Stadtzentrum. Sie kamen durch zahlreiche enge Gassen, in denen der Unrat so dicht lag, daß sie kaum hindurch konnten. Vom Meer her kam eine kalte Bri­se und brachte frische Luft in die Gassen, so daß sich die drei Männer durch den Gestank nicht allzu sehr belästigt fühlten.

Bald aber erreichten sie Bezirke, in denen die Häuser nicht mehr ganz so dicht beiein­ander standen. Hier gab es sogar Anpflan­zungen, die der Zierde dienten. Staunend be­trachtete Troot die Häuser, die sauber und gepflegt aussahen. Er war noch niemals zu­vor in diesem Bezirk der Reichen von Moondrag gewesen. Er hatte lediglich davon gehört.

Als sie eine aus Steinen gebaute Mauer erreichten, stießen sie auf vier Dalazaaren, die schwarze Anzüge trugen. Sie bewachten das Tor in der Mauer.

»Wir müssen mit der Schwarzen spre­chen«, erklärte Fengo-P. »Es ist wichtig.«

Die Wächter schrieben sich ihre Namen auf und ließen sie passieren.

»Ich dachte, sie würden Schwierigkeiten machen«, sagte Troot.

Fengo-P lachte. »Das wäre auch geschehen, wenn sie

Waffen bei uns gesehen hätten. Und in einer halben Stunde, wenn es dunkel ist, kommt garantiert niemand mehr an ihnen vorbei.«

Sie betraten nun ein Gelände, auf dem blühende Bäume wuchsen. Ein Haus, das aus einem unverrottbaren Kunststoff gebaut war, verbarg sich hinter ihnen. Troot staun­te. Dieses Haus war so groß, daß seiner Mei­nung nach wenigstens fünfzig Menschen darin wohnen konnten. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die geheimnisvolle Schwarze allein darin lebte.

Wiederum wurden sie durch vier Wachen aufgehalten. Dieses Mal wurden sie sorgfäl­tig untersucht. Dann durften sie das Haus

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13 Hammer des Todes

betreten. Troot hatte viel von der Schwarzen gehört, sich jedoch nie um sie gekümmert. Sie war immer irgendwo weit weg von ihm in Moondrag gewesen und gehörte zu den Mächtigen, die in einer Welt lebten, zu der er keinen Zugang hatte.

Sie kamen in ein großes Zimmer, in dem die Schwarze sie erwartete. Sie saß an einem großen Holztisch, auf dem allerlei Schrift­stücke herumlagen. Sie war klein und zier­lich. Sie trug den selben schwarzen Anzug wie ihre Wachen. Um den Kopf hatte sie sich ein schwarzes Tuch gewickelt, das auch den größten Teil ihres Gesichts verdeckte, so daß nur die Augen frei blieben. Troot blickte sich erregt im Zimmer um. Überall entdeckte er Gegenstände, die ihm von un­schätzbarem Wert zu sein erschienen. Da waren Figuren aus Gold, fremdartige Waf­fen und Ketten aus blitzenden Edelsteinen. Der Boden war mit einem weichen Teppich bedeckt, und Teppiche verzierten auch drei Wände des Zimmers.

»Was führt euch zu mir?« fragte die Schwarze. Sie hatte eine angenehme Stim­me.

»Hast du gehört, was Kull-Koll Harxt heute verkündet hat?« fragte Fengo-P.

»Man hat es mir berichtet«, antwortete sie.

»Ich frage dich nicht, was du davon hältst«, sagte Fengo-P. »Ich möchte dich je­doch bitten, uns zehn Dadare zur Verfügung zu stellen.«

Sie lachte leise, und ihre blauen Augen blitzten auf.

»Zwei Tiere könnt ihr haben«, erwiderte sie. »Mehr nicht.«

»Zwei sind zu wenig.« Die geheimnisvolle Frau richtete sich

ruckartig auf. »Wir brauchen nicht weiter zu verhan­

deln«, erklärte sie. »Nimm zwei oder über­haupt keine.«

»Also gut«, entgegnete Fengo-P. »Ich bin mit zwei Tieren einverstanden.«

»Ich werde einen Vertrag machen. War­te.«

Nun ging alles schnell. Die Schwarze schrieb etwas auf, der Vertraute des Blinden setzte seine Unterschrift darunter, und dann erhielten die drei Männer zwei dromedar­ähnliche Reittiere. Sie schwangen sich auf den Rücken der Dadare, wobei Troot sich hinter Pan-pank setzte, und dann kehrten sie eilig zur Kuppel des Magiers zurück.

Als sie dort ankamen, ging die Sonne un­ter, und ein Gewitter zog herauf. Es wurde so dunkel, daß sie Fackeln entzünden muß­ten. Sie brachten die Tiere in einem Haus unter.

Nun trafen nach und nach zwanzig Män­ner ein. Es waren hauptsächlich Dalazaaren, aber auch Kuroden, Kelotten, Yaghts und Bropen befanden sich unter ihnen.

»Wir holen uns die anderen acht Tiere«, verkündete Fengo-P. »Die Schwarze soll se­hen, was es heißt, uns auf diese Weise abzu­speisen.«

3.

»Und was jetzt?« fragte Razamon, als sie genügend Abstand vom Tor gewonnen hat­ten.

»Irgend etwas wird sich finden«, antwor­tete Atlan. »Vielleicht sollten wir unseren Reparaturdienst noch ein wenig aufrechter­halten. Damit kommen wir einige Tage wei­ter.«

»Ich habe wenig Lust, den Leuten hier Reparaturdienste zu leisten«, sagte Raza­mon. »Das Tor reichte mir.«

Überrascht blickte Atlan seinen Begleiter an. Razamon war gereizt und nervös.

Sie gingen durch verwinkelte Gassen. In ärmlichen Hütten hausten Männer und Frau-en der verschiedensten Stämme. Die meisten verrichteten einfache, handwerkliche Arbei­ten. In winzigen Gärten zwischen den Häu­sern wuchsen Getreide und verschiedene Gemüsesorten. Die Erträge aus diesen Gär­ten reichten offenbar aus, die Bewohner der Hütten zu versorgen.

Einige Male stieg der Boden so weit an, daß Atlan und Razamon weite Teile von

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Moondrag überblicken konnten. Der Arko­nide schätzte, daß die Stadt eine Fläche von mehr als 160 Quadratkilometern bedeckte und daß etwa 5000 Einwohner darin lebten. Nur der Außenbezirk, den die beiden Män­ner durchschritten, war so dicht bebaut. Weiter zur Küste hin standen größere Häu­ser mit ausgedehnten Gartenflächen. Im Sü­den befanden sich große Felder, die land­wirtschaftlich genutzt wurden.

Als die beiden Männer einen Brunnen er­reichten und daraus tranken, gesellte sich ein jugendlicher Dalazaare zu ihnen.

»Ihr seid fremd hier«, bemerkte er. »Das ist richtig«, antwortete Atlan. »Wohin wollt ihr?«

»Weiter dorthin, wo mehr Platz ist«, erwi­derte Razamon und zeigte auf das Gebiet, in dem die besseren Häuser standen.

»Man wird euch nicht dorthin lassen, wenn ihr dort keine Freunde habt«, behaup­tete der Dalazaare. »Habt ihr Quorks?«

Atlan erwartete, daß der Dalazaare sich enttäuscht abwenden würde, wenn er zugab, daß sie keine Quorks mehr hatten. Er zöger­te. Der Junge kam ihm zuvor. Er lächelte verstehend.

»Also nicht«, stellte er fest. »Aber das macht nichts. Kaum jemand, der hier lebt, hat welche. Die da drüben haben fast alle.«

Er zeigte auf die Häuser der Reichen. Mittlerweile bezog sich der Himmel im­

mer mehr, und es wurde rasch dunkel. Fer­nes Rumoren kündigte ein Gewitter an. Der Junge blickte zu den schwarzen Wolken hin­auf.

»Sleipnir wird kommen«, sagte er. Damit wußte Atlan nichts anzufangen. »Wer ist das?« fragte er. »Sleipnir ist ein achtbeiniges Wesen, das

sich im Besitz des Stadtjuwels befinden soll«, antwortete der Dalazaare bereitwillig. Er trug eine abgewetzte Lederhose, die ihm bis auf die Waden herab reichte. Eine dünne Leinenjacke bedeckte den Oberkörper. Um die schmalen Hüften spannte sich ein ge­flochtenes Lederband, in dem ein Messer steckte. »Das Stadtjuwel ist ein Unbekann-

H. G. Francis

ter. Man behauptet, daß es dort drüben unter der schimmernden Kuppel lebt.«

Er trat einige Schritte zur Seite und zeigte in eine Richtung, die Atlan und Razamon vom Brunnen her nicht einsehen konnten, weil einige Häuser davor waren. Als sie zu dem Jungen gingen, sahen sie, daß sich mit­ten in Moondrag eine schimmernde Energie­kuppel erhob. Sie erreichte eine Höhe von etwa dreißig Metern. Atlan schätzte, daß sie an ihrer Basis einen Durchmesser von unge­fähr siebzig Metern hatte.

»Das Stadtjuwel«, sagte Atlan nachdenk­lich. »Ein seltsamer Name.«

»Die Bewohner der Stadt müssen dem Stadtjuwel Opfer bringen«, berichtete der Dalazaare. »Ständig verlangt es nach irgend etwas. Man legt die Opfer auf einen Wagen, der durch das Flimmern gleitet und dann verschwindet.«

Unter der Energiekuppel befand sich eine Metallkuppel. In dieser verbarg sich jenes Wesen, das sich Stadtjuwel nannte. Plötzlich wußte Atlan, wohin sie sich wenden mußten. Das Ziel war eindeutig die Energiekuppel. Für ihn war selbstverständlich, daß er versu­chen mußte, in sie einzudringen und ihr Ge­heimnis zu lösen.

Atlantis mußte von der Erde entfernt wer­den. Zugleich mußte die Gefahr, die durch Atlantis gegeben war, für alle Zeiten beho­ben werden. Atlantis durfte nicht die Mög­lichkeit haben, noch einmal zur Erde zu­rückzukehren.

Wenn diese Forderungen erfüllt werden sollten, dann mußten alle Rätsel dieser Insel gelöst werden.

Eine schwarze Wolkenbank zog, von der See her kommend, vor der Insel auf. Hin und wieder blitzte es in den Wolken auf, dumpf grollend folgten die Donnerschläge.

Atlan glaubte, eine fremdartige Gestalt in den Wolken erkennen zu können.

»Da ist doch etwas«, rief er Razamon zu und zeigte zu den Wolken hoch. »Kannst du es auch sehen?«

Der Atlanter spähte angestrengt nach oben. Mittlerweile war es so dunkel gewor­

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15 Hammer des Todes

den, daß die Sicht nur noch bis zu den näch­sten Häusern reichte. Nur wenn es blitzte, konnten die beiden Männer und der Junge etwas besser sehen.

Einige Male erschien etwas in den hellen Lichtfeldern, was wie eine große Spinne aussah, die mit trägen Bewegungen durch den Dunst glitt.

»Das Stadtjuwel ist zornig«, sagte der Junge mit bebender Stimme. »Es läßt Sleip­nir über den Himmel ziehen. Könnt ihr se­hen, daß jemand auf Sleipnir reitet?«

»Du hast recht«, erwiderte Razamon über­rascht. »Jemand sitzt auf dem Rücken dieses Wesens. Eine vermummte Gestalt.«

Atlan spürte die Spannung, die sich über Moondrag aufbaute, körperlich. Sein Zellak­tivator pulsierte heftig, als müsse er ihn auf eine außerordentliche Belastung vorbereiten. Unwillkürlich hob der Arkonide die Hände und legte sie gegen die Brust. Für einen kur­zen Moment kam ihm der beängstigende Gedanke, der Aktivator könne einen Blitz auf sich lenken.

Wieder wurde es hell zwischen den Wol­ken, und dieses Mal erschien die fremdartige Gestalt über ihnen ganz deutlich im Licht. Atlan erkannte, daß er sich geirrt hatte. Es war kein Spinnenwesen, sondern erinnerte ihn mehr an ein riesiges achtbeiniges Pferd. Auf dem Rücken dieses Tieres saß tatsäch­lich eine vermummte Gestalt. Sie streckte den rechten Arm nach oben und hielt dro­hend einen Hammer hoch.

»Mjöllnir«, sagte der Junge. »Es ist der Hammer Mjöllnir, aus dem die Blitze auf die Ungehorsamen herabschlagen.«

Der Dalazaare war aufgeregt, aber er fürchtete sich offenbar nicht.

»Du hast keine Angst, nicht wahr?« fragte Atlan und legte ihm die Hand auf die Schul­ter.

»Warum?« entgegnete der Junge. »Ich bin ohne Bedeutung. Ich habe nichts getan, was das Stadtjuwel ärgern könnte. Warum sollte mich der Blitz treffen? Es gibt ganz andere in Moondrag, die längst verdient hätten, daß Mjöllnir sie straft.«

Das waren überraschende Worte für einen Jungen seines Alters. Atlan schätzte, daß er ungefähr fünfzehn Jahre alt war. Er vermu­tete, daß er diese Worte bei irgendwelchen Erwachsenen aufgeschnappt hatte und sich nun damit tröstete.

Plötzlich zuckte ein Blitz aus den Wolken herab, der tausendfach stärker war als alle elektrischen Ladungen zuvor. Der Blitz schlug in eines der Häuser der Reichen und Mächtigen ein und setzte es in Brand. Der darauf folgende Donnerschlag war so laut, daß Atlan unwillkürlich zusammenzuckte.

»Es ist vorbei«, behauptete der Dalazaare. »So plötzlich?« fragte Razamon zwei­

felnd. »Du kannst dich darauf verlassen«, beteu­

erte der Junge. Tatsächlich wurde es ein wenig heller.

Die Wolken lösten sich auf. Doch dann wur­de es endgültig dunkel, als die Sonne unter dem Horizont versank.

Atlan vernahm das Getrappel von Reittie­ren, die irgendwo durch die Gassen jagten. Es wurde eisig kalt.

*

Fengo-P richtete sich auf. Der Magier Kull-Koll Harxt betrat die

Hütte, in der sie die beiden Dadare angebun­den hatten. Der Blinde hob beide Arme, und ein Lächeln glitt über seine bärtigen Lippen.

»Das Gewitter ist vorüber«, verkündete er. »Das Stadtjuwel hat sich unserem Plan nicht entgegengestellt. Mjöllnir hat die Blit­ze nicht auf mich und die Kuppel geschleu­dert, sondern auf den Händler Krawax, weil dieser versucht hat, mit Nahrungsmitteln zu spekulieren. Krawax wollte aus unserer Not ein Geschäft machen, nun wird er es nie wieder tun können.«

Troot war beeindruckt. Er erlebte den Alten jetzt ganz anders als

einige Stunden zuvor in der Kuppel. Jetzt er­schien ihm Kull-Koll Harxt viel menschli­cher. Er hatte das Gefühl, daß man mit ihm reden konnte, und daß der Blinde dabei auch

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zuhören würde. »Dann glaubst du, daß das Stadtjuwel

schon alles weiß?« fragte er. Die blinden Augen richteten sich auf ihn. »Das Stadtjuwel hat seine Spione überall.

Es sieht alles und hört alles. Nichts bleibt ihm verborgen. Hör doch!«

Wieder hob er die Arme. Die jungen Männer schwiegen und lauschten in die Nacht hinaus. Überall hallte die metallische Stimme des Stadtjuwels aus den Lautspre­chern. Sie berichtete, daß Mjöllnir den Händler Krawax mit dem Tode bestraft ha­be.

»Warum unternimmt er nichts gegen die Energiebarriere?« fragte Troot, als die Stim­me verklungen war. »Vielleicht kann Mjöll­nir die Barriere zerschlagen? Dann wäre der Weg nach draußen endlich frei, und wir könnten uns von jener Welt da draußen alles holen, was wir zum Leben benötigen. Unse­re Vorräte sind fast erschöpft. Lange halten wir nicht mehr durch.«

Damit sprach Troot aus, was alle dachten. Die Versorgungslage von Moondrag war

zum Problem geworden. Man war es ge­wohnt, daß ausgedehnte Beutezüge unter­nommen wurden, wenn Pthor fremde Wel­ten erreichte. Die Bewohner von Moondrag hatten damit nur wenig zu tun. Die Beutegü­ter wurden meistens von anderen herange­schleppt und verkauft. Dieses Mal war alles ausgeblieben.

»Es ist ein erhebendes Erlebnis für mich, wenn ich erkenne, daß auch die Macht Mjöllnirs begrenzt ist«, sagte der Magier. »Das zeigt, daß wir unseren Machtanspruch getrost erheben können. Wenn wir erst ein­mal die Schaltanlagen unter der Stadt akti­viert haben, wird unsere Macht größer sein als die Mjöllnirs, und das Stadtjuwel wird es nicht mehr wagen, uns anzugreifen.«

Kull-Koll Harxt merkte, daß Begeisterung aufkam. Er dämpfte sie sogleich wieder, in­dem er hinzufügte: »Dazu wird es jedoch gar nicht mehr kommen, wenn die jungen Männer faul in den Hütten sitzen, anstatt weitere Dadare zu holen.«

H. G. Francis

Troot, Pan-pank, Fengo-P und die ande­ren sprangen spontan auf.

»Ich besorge die Waffen«, erklärte Fengo-P hastig. »Wir nehmen Messer. Sie töten lautlos, wenn es sein muß.«

»Die Waffen werden nur benutzt, wenn es nicht anders geht«, befahl der Magier. Er griff in eine Falte seines Gewands und reich­te Fengo-P einen kleinen Leinenbeutel.

»Darin befindet sich eine Blase. Sie ist sehr dünn. Ich habe sie mit einer Flüssigkeit gefüllt. Wenn ihr mit den erbeuteten Dada­ren an den Wachen vorbeiziehen wollt, dann werft den Männern der Schwarzen diesen Beutel vor die Füße. Er wird platzen. Die Flüssigkeit wird sich augenblicklich in ein Gas verwandeln, und jeder, der es einatmet, wird sofort einschlafen. Also, werft es nur mit dem Wind, sonst erledigt ihr euch selbst.«

Fengo-P steckte den Beutel vorsichtig ein. Er verließ die Hütte und kehrte wenig später mit zehn Messern zurück. Er verteilte sie. Danach gab er das Zeichen zum Aufbruch, und die Gruppe verließ die Hütte.

Troot hielt sich eng bei Pan-pank, weil er sich in seiner Nähe am sichersten fühlte. Pan-pank hatte die größte Erfahrung für sol­che Unternehmungen. Er hatte schon einige Male gegen die Horden der Schwarzen ge­kämpft.

Lautlos eilten sie durch die Gassen. Es war so dunkel, daß Troot die anderen, die vor ihm liefen, kaum erkennen konnte.

Die Bewohner der Stadt hielten sich in den Hütten auf. Sie wärmten sich an offenen Feuern. Da sie jedoch Türen und Fenster verhängt hatten, drang kaum ein Lichtschein nach draußen.

Hin und wieder stolperte Troot über Un­rat, der in den Gassen lag. Pan-pank packte ihn jedes Mal mit sicherer Hand und riß ihn hoch, bevor er zu Boden stürzen konnte.

Ohne aufgehalten zu werden, erreichten sie die Mauer. Diese war etwa drei Meter hoch und oben mit Glasscherben besetzt. Doch das war kein Hindernis, das sie lange aufhalten konnte. Pan-pank stellte sich an

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17 Hammer des Todes

die Mauer, Fengo-P kletterte auf seine Schultern, warf eine Jacke über die Scher­ben, und dann kletterten nacheinander alle über die Mauer, ohne sich zu verletzen.

Sie hasteten weiter, ohne auf Wachen zu stoßen. In einiger Entfernung von ihnen brannten Fackeln. Troot lächelte verächtlich, als er sie bemerkte. Allzu deutlich zeigten die Wachen dadurch an, wo sie standen.

Als sie das Wohnhaus der Schwarzen er­reichten, wurden sie vorsichtiger. Schritt für Schritt bewegten sie sich voran, wobei sie die Füße suchend vorwärts schoben, um nir­gendwo anstoßen und dadurch einen Alarm auszulösen.

»Pssst«, flüsterte Fengo-P. »Hier liegen Dosen herum.«

Troot bückte sich ebenso wie die anderen und kroch auf allen vieren weiter. Lautlos überwanden sie die Kette der aufgestellten Dosen.

Wenig später warnte der Vertraute des Magiers sie erneut. Er befahl ihnen, sich flach auf den Boden zu legen. Unmittelbar darauf erschienen vier schwarz gekleidete Wächter. Sie sprachen leise miteinander.

»Verlaßt euch drauf«, sagte einer von ih­nen. »Sie kommen nicht. Mjöllnir hat zuge­schlagen. Ich gehe jede Wette ein, daß ihnen das so in die Glieder gefahren ist, daß sie auf solche Abenteuer verzichten.«

»Ich gebe zu, daß auch mir nicht ganz wohl war, als Sleipnir in den Wolken erschi­en«, entgegnete ein anderer.

»Wir haben es ja überstanden«, bemerkte ein anderer Wächter. »Wir waren nicht ge­meint.«

Sie schritten weiter, ohne die Männer zu entdecken, die dicht neben ihnen im Gras la­gen. Als sie sich etwa dreißig Meter weit entfernt hatten, gab Fengo-P das Zeichen zum Aufbruch. Lautlos eilte die Gruppe weiter. Fengo-P fand den Dadarstall auf An­hieb.

Er blieb an der Tür zu dem Holzgebäude stehen. Drinnen brannte Licht.

»Nun wird es ernst«, flüsterte er. »Wir dürfen keinen Lärm machen.« In seiner

Hand blitzte ein Messer auf. Er öffnete die Tür und sprang in den Stall. Die anderen folgten ihm und schlossen die Tür hinter sich.

Troot sah vier Männer in schwarzer Klei­dung. Sie griffen nach den Schußwaffen, die in ihren Gürteln steckten. Bevor sie sie je­doch herausziehen und auf die Anhänger des Magiers richten konnten, waren diese schon über ihnen. Troot brauchte nicht mehr in den Kampf einzugreifen. Die Wachen brachen verletzt zusammen. Fengo-P fesselte sie, während die anderen ihnen den Mund zu­hielten, damit sie nicht schreien konnten.

Im Stall standen dreißig Dadare. Fengo-P wählte neun Tiere aus und ent­

fernte mit einer Flüssigkeit das auf die Flan­ke gemalte Besitzerzeichen der Schwarzen. Dafür pinselte er ein anderes Zeichen auf. Die Tiere verhielten sich völlig ruhig. Sie ließen sich widerstandslos die Gurte anle­gen, knieten sich auf den Boden und ließen die jungen Männer aufsteigen. Fengo-P schnalzte mit der Zunge. Sie erhoben sich und begannen zu tänzeln. Dann stieß Fengo-P einen Schrei aus. Die Tiere stürmten los, sprengten die Tür mit ihren Körpern auf und jagten in die Nacht hinaus.

Nur einmal in seinem Leben hatte Troot auf dem Rücken eines Dadars gesessen. Nun hatte er Mühe, sich darauf zu halten, denn die Tiere rannten, so schnell sie konnten, zu­mal der Vertraute des Magiers sie mit lauten Schreien anfeuerte.

Die Wachen am Mauerdurchgang feuer­ten ihre Waffen ab. Troot hörte, daß ein Ge­schoß an seinem Kopf vorbeiflog. Es war ungeheuer schnell und verriet sich durch ein schrilles Pfeifen. Er konnte sich vorstellen, was mit ihm geschehen wäre, wenn er in die Schußbahn gekommen wäre.

Pan-pank schrie schmerzgepeinigt auf. »Was ist los?« fragte Troot entsetzt.

»Weiter, weiter«, antwortete der Freund. Die Dadare stürmten durch das Tor. Sie

schleuderten die Wächter mit ihren Körpern zur Seite und überwanden damit das letzte Hindernis.

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Fengo-P ritt voran. Er kannte sich in den engen Gassen aus wie kaum ein anderer.

Troot versuchte, alle Gedanken an das zu verdrängen, was diesem Überfall folgen mußte. Die Schwarze würde zurückschla­gen. Daran zweifelte er nicht. Er sagte sich jedoch, daß der alte Magier bereits entspre­chende Vorbereitungen getroffen hatte.

Ein Schrei hallte durch die Nacht. Unmit­telbar darauf blitzte es vor Troot auf. Schüs­se fielen, und Kugeln flogen jaulend und sir­rend durch die Nacht. Plötzlich flammten Feuer auf. Sie wurden durch Chemikalien verursacht und gewannen schnell an Hellig­keit, so daß Troot die schwarz gekleideten Männer und Frauen sehen konnte, die sich ihnen entgegenwarfen.

Fengo-P riß sein Dadar herum und trieb es zwischen zwei Häuser hindurch. Troot folgte ihm, als ein Mann ihn von einem Dach aus ansprang und herunterzureißen versuchte.

Der Junge stieß mit dem Messer nach ihm und traf ihn am Arm. Dabei verletzte er ihn so, daß der Angreifer ihn nicht mehr halten konnte. Er rutschte am Dadar herunter, so daß Troot ebenfalls fliehen konnte. Er sah, daß auch die anderen der Falle entkamen.

Troot hetzte mit seinem Dadar durch einen Garten. Er sah, daß Fengo-P bereits zwei Gärten weiter war als er und nun nach einem Ausweg suchte. Er fand keinen.

Hinter ihnen brüllten die Männer der Schwarzen Frau triumphierend auf.

In diesem Moment trieb Fengo-P sein Da-dar gegen die Holzwand eines Hauses und brach in das Haus ein. Wiederum folgte ihm Troot. An einem Feuer standen zwei Män­ner, die ihn sofort in seinen Bann schlugen. Der eine war schwarzhaarig. Der andere hat­te silberweißes Haar, das ihm bis auf die Schultern herabreichte. Mit rötlichen Augen blickte er ihn an.

Ein Göttersohn! durchfuhr es den Dala­zaaren.

*

H. G. Francis

»Wo können wir die Nacht verbringen?« fragte Atlan den Jungen. »Kannst du uns helfen?«

»Ihr könnt in meiner Hütte schlafen«, er­widerte der Dalazaare bereitwillig. »Ich ha­be nichts, was ich euch geben könnte. Nur ein Dach über dem Kopf und ein wenig Wärme am Feuer.«

»Das ist mehr als genug«, sagte Atlan. Der Junge führte sie zu der ärmlichsten

Hütte dieser Gegend. Es war kaum mehr als ein Bretterverschlag mit einer offenen Feu­erstelle. Erschüttert setzte sich Atlan in die­ser primitiven Unterkunft auf den Boden. Er hatte sich bis dahin nicht vorstellen können, unter welch erbärmlichen Bedingungen der Dalazaare lebte. Er überlegte, wie er ihn be­lohnen konnte. Ihm fiel jedoch nichts ein.

Leise diskutierte er mit Razamon darüber, während der Junge ein Feuer entzündete. Doch auch dieser wußte nicht, was sie tun konnten.

»Wenn Pthor fremde Welten erreicht«, sagte der Arkonide, »brechen seine Bewoh­ner zu Beutezügen auf. Wo bleibt die Beu­te?«

Der Dalazaare hob die Arme. »Einige wenige werden dabei reich«, ant­

wortete er. »Wir bleiben arm. Ich kenne nie­manden, der Pthor jemals verlassen hat. Das machen andere.«

Razamon kam auf den Gedanken, dem Jungen handwerkliche Fähigkeiten beizu­bringen, mit denen er Geld verdienen konn­te. So versuchte er, ihm zu erläutern, wie man mit einfachsten Mitteln Funkgeräte bauen konnte, weil er glaubte, daß es dafür genügend Interessenten in Moondrag gab. Der Junge nahm alle Informationen begierig auf.

Darüber vergingen die Stunden. Plötzlich wurde es laut draußen. Schüsse

fielen. Menschen schrien, und die Hufe von Reittieren erschütterten den Boden. Einige Geschosse schlugen in die Bretterwände. Holzsplitter wirbelten Atlan um den Kopf und verletzten Razamon im Nacken. Die beiden Männer und der Junge sprangen auf.

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19 Hammer des Todes

Der Dalazaare wollte das Feuer löschen. Eine Wand der Hütte barst krachend aus­

einander, und ein dromedarähnliches Tier drang schnaubend ein. Auf seinem Rücken kauerte ein Dalazaare. Er trieb das Tier durch das Feuer zur gegenüberliegenden Wand. Die Hufe schnellten vor und zertrüm­merten die Bretter. Atlan erschien es wie ein Wunder, daß die Hütte nicht völlig zusam­menbrach.

Der Reiter verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Doch schon folgten ihm weitere. Einige von ihnen waren verwundet.

Einem spontanen Einfall folgend, rief At­lan Razamon zu: »Auf die Tiere! Wir reiten mit!«

Der Atlanter begriff sofort. Er schnellte sich aus dem Stand heraus hoch, als der nächste Reiter erschien, packte das Tier an seinem zottigen Rückenfell und schwang sich auf den Rücken des Dadars. Er um­klammerte den Reiter von hinten und hielt seine Arme fest, so daß dieser nicht mit ei­nem Messer nach ihm stoßen konnte.

Atlan packte den Jungen und schleuderte ihn hoch. Der Dalazaare fiel einem Kuroden quer über die Beine.

»Nimm ihn mit«, brüllte Atlan ihm zu. »Los doch.«

Der Kurode war so verblüfft, daß er dar­auf verzichtete, den Jungen herunterzuwer­fen. Er hielt ihn vielmehr fest, als er sein Tier antrieb.

Atlan sprang den nächsten Reiter an, schlug die Hand mit dem Messer zur Seite, die auf ihn zielte, und kauerte sich hinter dem Reiter auf den Rücken des Tieres. Alles ging so schnell, daß der eigentliche Kampf erst begann, als sie schon wieder draußen waren und durch die finsteren Gassen hetz­ten.

Der Reiter, ein Dalazaare, versuchte, ihm das Messer in den Leib zu stoßen. Atlan hielt ihm die Arme fest.

»Sei vernünftig, du Narr«, schrie er ihm zu, während sie beide bemüht waren, nicht herunterzufallen. »Ich will nur mitgenom­men werden. Weiter nichts. Ich will denen

da hinten ebensowenig in die Hände fallen wie du.«

Der Dalazaare stellte den Kampf noch nicht ein.

»Glaube mir doch«, sagte Atlan. »Ich hät­te dich längst umbringen können, wenn ich gewollt hätte.«

Der Reiter ließ sein Messer los. Atlan hör­te, wie es klirrend auf das Straßenpflaster fiel. Er atmete auf. Damit war die größte Ge­fahr beseitigt. Er löste seinen Griff jedoch nicht, weil er dem Dalazaaren ebensowenig vertraute wie dieser ihm. Er blickte nach vorn. Die Gestalten der anderen Reiter wa­ren kaum zu erkennen. Er hörte nur das Ge­trappel der Hufe, die auf den harten Boden schlugen.

»Was ist geschehen?« fragte er. »Warum jagen sie euch?«

Der Dalazaare antwortete zunächst nicht, doch dann lachte er plötzlich wild auf.

»Wir haben der Schwarzen die Dadare aus dem Stall geholt«, rief er. »Das gefiel ihr nicht.«

»Von wem sprichst du?« »Von der Schwarzen Frau natürlich. Von

wem sonst?« Atlan erinnerte sich an die geheimnisvolle

Gestalt in der Wüste. Hatte der Dalazaare von der gleichen Frau gesprochen, die den Mann erschossen hatte, der die Quelle in der Wüste vergiftet hatte? Wahrscheinlich.

4.

Plötzlich wurde es vor ihnen hell. Eine Wand öffnete sich. Licht flutete ihnen entge­gen. Die Reiter stürmten in eine Halle und zügelten die Tiere. Einige Männer warfen sich auf Atlan und zerrten ihn vom Rücken des Dadars herunter. Sie schleuderten ihn zu Boden, hielten ihn fest und setzten ihm ein Messer an die Kehle.

Während der Arkonide stürzte, bemerkte er, daß Razamon bereits am Boden lag und überwältigt worden war.

Er wehrte sich nicht. Atlan blickte in junge Gesichter. Sie wa­

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ren von Entschlossenheit und Vernichtungs­willen gezeichnet. Aus den Augen eines Kuroden schlug ihm blanker Haß entgegen. Es war der Mann, der das Messer hielt.

*

Der Arkonide verhielt sich völlig ruhig. Er versuchte zu lächeln. Einige Minuten ver­strichen, in denen nichts geschah. Atlan hör­te nur das Schnauben und Keuchen der Reit­tiere. Dann aber vernahm er die vorsichtig tastenden Schritte eines alten Mannes.

Ein altes, bärtiges Gesicht erschien über ihm. Blinde Augen blickten ins Leere.

»Wer sind sie?« fragte der Mann. »Wir wissen es nicht«, antwortete einer

der Dalazaaren. »Sie sind zusammen mit uns geflohen.«

»Warum?« »Ich kann schlecht antworten, solange ich

ein Messer an der Kehle habe«, antwortete Atlan.

»Nehmt das Messer weg.« Der Arkonide atmete auf, als die Männer

ihn losließen. Er richtete sich vorsichtig auf. »Wir hatten keine andere Wahl«, erklärte

er. »Die anderen schossen. Wohin hätten wir uns wenden sollen? Oder hätten wir uns er­schießen lassen sollen? Wir sind gern auf der Seite der Erfolgreichen, weniger gern auf der Seite des Verlierers.«

»Was ist das für eine Stimme?« fragte der Alte. »Der Mann spricht anders als alle, de­nen ich auf Pthor begegnet bin.«

»Er sieht auch anders aus«, sagte einer der Dalazaaren und beschrieb Atlan.

Der Alte erbleichte und trat einige Schrit­te zurück. Er legte eine Hand über die Au­gen und Murmelte etwas in seinen Bart.

»Laßt ihn frei«, befahl er leise. »Schnell.« »Auch den anderen?« »Auch den anderen.« Der Alte wandte

sich Razamon zu. Seine Beschreibung erreg­te ihn jedoch kaum. Er ließ sich zu Atlan führen, hob die rechte Hand und ließ sie ta­stend über das Gesicht des Arkoniden glei­ten. Dann wandte er sich ab und verließ die

H. G. Francis

Kuppel. Atlan hatte inzwischen festgestellt, daß

nicht nur Razamon bis in diese Kuppel ge­kommen war, sondern auch der dalazaari­sche Junge, in dessen Hütte sie Schutz ge­funden hatten. Er war an der Schulter ver­letzt. Atlan ging zu ihm.

»Ist es schlimm?« fragte er. Der Junge schüttelte den Kopf. »Ein Messerstich«, antwortete er mit ge­

preßter Stimme. »Ich hätte mich nicht weh­ren sollen.«

Die Männer des alten Magiers standen lei­se diskutierend herum. Sie schienen Atlan und seine Begleiter nicht mehr zu beachten, tatsächlich warfen sie ihnen jedoch immer wieder verstohlene Blicke zu. Der Arkonide war davon überzeugt, daß sie sich sofort auf ihn werfen würden, wenn er versuchen sollte zu fliehen. Schließlich kam einer der Män­ner zu ihnen.

»Ich bin Fengo-P«, sagte er. »Ich bin der Erste Diener des Meisters. Ihr seid fremd in Moondrag. Ist das richtig?«

»Das stimmt«, antwortete Atlan. »Wir sind gestern in die Stadt gekommen.«

Der Dalazaare runzelte die Stirn. »Dann seid ihr jene Männer, die das Tor repariert haben?«

»Hat sich das herumgesprochen? Wir sind es«, erwiderte Atlan.

»Ihr habt einen schweren Fehler ge­macht«, erklärte Fengo-P. »Ihr habt ver­säumt, euch vor das Auge des Stadtjuwels zu stellen. Das müßt ihr so schnell wie mög­lich nachholen.«

»Was hat das zu bedeuten? Was ist das Auge des Stadtjuwels?« fragte Razamon.

»Ich werde euch hinführen, sobald es hell wird«, versprach Fengo-P.

Atlan legte seinen Arm um die Schultern des jugendlichen Dalazaaren.

»Nehmt ihn bei euch auf«, bat er. »Er hat uns geholfen. Nun möchten wir ihm auch helfen. Außerdem habt ihr seine Hütte zer­stört, so daß er nicht weiß, wo er nun blei­ben soll.«

»Er kann bei uns bleiben.«

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21 Hammer des Todes

Das Mißtrauen war überwunden. Die Männer Kull-Koll Harxts akzeptierten At­lan, Razamon und den Jungen. Sie führten sie aus der Kuppel in eine geräumige Hütte, in der der Tisch gedeckt war, und in der ei­nige Frauen ein heißes Gebäck servierten, das in einer wohlschmeckenden Sauce schwamm. Eine der Frauen verband die Wunde des jugendlichen Dalazaaren, wäh­rend die Männer aßen.

Atlan erfuhr nun von Fengo-P, daß die Dadare in einer Art Husarenstreich entführt worden waren, und daß dieser Überfall einen Stadtkrieg auslösen konnte. Man in­formierte ihn aber auch darüber, daß unter Moondrag Schaltanlagen entdeckt worden waren, mit deren Hilfe der Magier hoffte, zumindest einen Teil der Macht über Pthor an sich reißen zu können.

Diese Information war Atlan mehr wert als alles andere. Sie elektrisierte ihn förm­lich. Er zwang sich jedoch dazu, ruhig zu bleiben und sich anderen Fragen zuzuwen­den. Allzu große Neugier, so fürchtete er, würde die Anhänger des Magiers mißtrau­isch machen.

Dabei interessierte ihn nichts anderes. Hier bot sich ihm zum ersten Mal die Chan­ce, direkten Einfluß auf die Bewegungen Pthors durch Zeit und Raum zu nehmen. Er war nur nach Atlantis vorgestoßen, weil er gehofft hatte, diese Gefahr für alle Zeiten von der Erde verbannen zu können. Nach­dem er die Zustände auf Pthor kennengelernt hatte, war er fest entschlossen, diesen Plan zu realisieren. Die Schaltanlagen Pthors mußten so manipuliert werden, daß die Insel nie mehr die Möglichkeit hatte, Tod und Vernichtung über die Erde zu bringen. Nie mehr sollten die wilden Horden die in Jahr­tausenden gewachsenen Kulturen zerstören dürfen.

Darüber war sich auch Razamon klar. Er hatte sich jedoch nicht so gut in der

Gewalt wie Atlan. »Wo sind die Schaltanlagen?« fragte er,

als er merkte, daß sich das Gespräch einem neuen Thema zuwandte. »Ich muß mehr dar­

über wissen.« Atlan merkte sofort, daß die Dalazaaren

neben ihm stutzten. Die Gespräche ver­stummten. Alle blickten Razamon an.

»Ich meine, diese Anlagen sind doch un­geheuer wichtig«, erklärte der Atlanter.

»Sind sie das?« fragte Atlan ruhig. »Für die Bewohner von Moondrag vielleicht. Für uns sind sie es noch nicht.«

Razamon begriff. »Du hast recht«, entgegnete er. »Wir sind

vorläufig nur Gäste. Mich erregt jedoch der Gedanke, daß ein drohender Krieg vielleicht alle Bemühungen um die Schaltanlagen zu­nichte macht.«

»Das Risiko müssen wir eingehen«, ant­wortete Fengo-P abweisend und wandte sich seinem Essen zu.

Atlan und Razamon blickten sich kurz an. In den Augen des Atlanters blitzte es auf. Er hatte verstanden.

*

Als der Tag anbrach, war Atlan schon auf den Beinen. Er verließ die Hütte, weil er hoffte, draußen Wasser zu finden, mit dem er sich waschen konnte.

An einem Brunnen stand Fengo-P. Er teil­te Atlan einen Napf mit etwa einem Liter Wasser zu.

»Damit mußt du auskommen«, erklärte er. »Wir müssen damit rechnen, daß die Schwarze uns das Wasser sperrt. Also müs­sen wir vorsichtig sein.«

Razamon kam ebenfalls aus der Hütte. Er war gereizt, und Atlan zog es vor, ihm aus dem Weg zu gehen. Nachdem der Atlanter sich jedoch das Gesicht benetzt und etwas getrunken hatte, wurde er ruhiger. Er kam zu Atlan und Fengo-P.

»Wann führt man uns vor das Auge des Stadtjuwels?« fragte er.

»Kommt«, sagte der Vertraute des Ma­giers. Sie folgten ihm an der großen Stahl­kuppel vorbei. Im Sonnenlicht war zu erken­nen, daß sie an vielen Stellen beschädigt war. Als sie zwischen einigen verfallenen

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Hütten hindurchgingen, merkte Atlan, daß der Bereich, in dem sie sich befanden, sorg­fältig bewacht wurde. Überall befanden sich Dalazaaren, Kuroden, Kelotten oder Yaghts. Einige von ihnen kauerten auf dem Boden und verrichteten einfache Arbeiten, andere standen untätig herum. Alle aber waren be­waffnet, und alle waren wachsam.

Über allerlei Gerümpel hinweg führte Fengo-P seine Begleiter zu einem quadrati­schen Platz. Von hier aus konnten sie das Stadttor sehen. In der Mitte des Platzes be­fand sich ein Obelisk. Auf der dem Stadttor zugewandten Seite glänzte ein Objektiv im Sonnenlicht.

»Geht allein weiter«, befahl Fengo-P, nachdem sie sich ihm bis auf etwa zwanzig Meter genähert hatten.

Die beiden Männer gehorchten. Langsam gingen sie auf das Objektiv zu. Drei Schritte davor blieben sie stehen.

Ein eigenartiges Gefühl beschlich Atlan, als er in das Objektiv blickte. Wurde er jetzt wirklich von einer Kamera erfaßt? Erschien sein Bild nun irgendwo auf einem Bild­schirm? Vielleicht befand sich dieser Bild­schirm unter der Energiekuppel des Stadtju­wels, vielleicht aber war er auch ganz woan­ders.

Er könnte unten in den Schaltanlagen sein! durchfuhr es ihn.

»Ihr könnt in der Stadt bleiben. Ihr seid erfaßt. Wir erwarten Wohlverhalten und so­ziale Verantwortung.«

»Danke«, sagte Atlan, während er sich verblüfft fragte, ob es in Moondrag irgend jemanden gab, der soziale Verantwortung bewies.

Sie drehten sich um und kehrten zu Fen­go-P zurück.

»Das Stadtjuwel hat uns akzeptiert«, sagte Atlan.

Fengo-P blickte zum Himmel hoch, als die Sonne sich plötzlich verdüsterte. Der Himmel, der vor Minuten noch völlig klar gewesen war, bezog sich mit dunklen Wol­ken.

»Das Stadtjuwel zürnt«, stellte Fengo-P

H. G. Francis

beruhigt fest. »Kommt. Wir müssen zu­rück.«

»Glaubst du, daß es wegen der Aktion heute nacht ist?« fragte Razamon.

Das Gesicht des Dalazaaren war mit Schweiß bedeckt. In seinen Augenwinkeln zuckten unkontrolliert die Muskeln.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte er gehetzt. »Kommt. Schneller.«

Innerhalb weniger Minuten wurde es so dunkel, daß sie nur noch wenige Meter weit sehen konnten. In den Gassen hielt sich nie­mand mehr auf. Bisher hatte Atlan die viel­fältigen Geräusche handwerklicher Arbeit gehört, doch jetzt war alles verstummt.

Ihre Schritte hallten von den Wänden der Hütten wider. Fengo-P trieb zu immer grö­ßerer Eile an.

Die Luft wurde heiß und stickig. Atlan blickte zu den Wolken hoch. Eine ungeheure Spannung lag über Moondrag. Der Blitz­schlag des Stadtjuwels mußte jeden Moment kommen.

»Da ist Sleipnir«, rief Razamon. Unwillkürlich blieben die drei Männer

stehen. Sie beobachteten das achtbeinige Roß, das mit wehender Mähne durch die Wolken jagte, und sie glaubten, die häm­mernden Hufe hören zu können. Auf dem Rücken des achtbeinigen Wesens kauerte ei­ne vermummte Gestalt. Sie und das Roß wa­ren von einem hellen Schimmer umgeben, so daß man sie trotz der fast schwarzen Wol­ken und des schlechten Lichts gut sehen konnte.

Eine endlos lange Zeit schien zu verge­hen, in der die Bewohner von Moondrag auf den vernichtenden Blitz warteten. Viele von ihnen waren sich nicht sicher, ob sie der Blitz treffen würde, denn kaum jemand hatte ein reines Gewissen. Unter den extremen Bedingungen von Moondrag kämpften die meisten mit illegalen Mitteln ums Überle­ben.

Der Blitz kündigte sich Sekunden vorher an, als es nochmals dunkler wurde. Dann zuckte es gleißend hell aus den Wolken her­ab und schlug in der Stahlkuppel ein, in der

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23 Hammer des Todes

Atlan in der Nacht zuvor gewesen war. Fen­go-P schluchzte laut. Er schien gewußt zu haben, daß das Stadtjuwel dieses Mal nach dem alten Magier schlagen würde.

»Schnell«, schrie er. Die drei Männer hasteten in höchster Eile

durch die engen Gassen. Sie sahen, daß Flammen aus der Kuppel schlugen.

Als sie das brennende Bauwerk erreicht hatten, wurde es hell. Die Wolken zogen so schnell ab, wie sie gekommen waren.

Die Helfer von Kull-Koll Harxt hatten al­le Dadare in Sicherheit gebracht. Eines der Tiere wies eine große Brandwunde an der Flanke auf. Die anderen waren unverletzt. Sie waren jedoch so erregt, daß die Männer sie kaum halten konnten.

»Wo ist der Alte?« schrie Fengo-P einen Dalazaaren an. »Nun sprich schon, Pan­pank.«

Der Angesprochene deutete auf eine Hüt­te neben der Kuppel. Auch sie war vom Blitzschlag in Mitleidenschaft gezogen wor­den. Eine Wand war eingestürzt. Die ver­kohlten Bretter glommen noch. Offenbar war es gelungen, den entstehenden Brand sofort wieder zu löschen.

Atlan und Razamon folgten Fengo-P, der sich auf die Tür der Hütte stürzte, sie aufriß und in das Innere stürzte.

Sie sahen Kull-Koll Harxt auf dem Boden liegen. Der Blinde ruhte auf dicken Fellen. Sein Körper war mit Tüchern bedeckt. Nur der Kopf war frei. Das Feuer hatte seinen Bart abgesengt.

»Er stirbt«, flüstere einer der Kuroden ne­ben ihm. Der schlanke Mann hatte Tränen in den Augen. Sein Gesicht war maskenhaft starr.

»Wer ist da?« fragte der Alte mühsam. »Ich bin es. Fengo-P«, antwortete der

Dalazaare. »Die beiden Fremden sind bei mir. Wir waren beim Auge des Stadtju­wels.«

Der Sterbende seufzte. Fengo-P kniete ne­ben ihm nieder.

»Das Stadtjuwel hat Angst«, erklärte der Blinde. »Es fürchtet sich vor mir und der

Macht, die mir zuwachsen wird. Deshalb hat es Sleipnir befohlen, Mjöllnir gegen mich zu richten und den Blitz auf mich zu schleu­dern. Das aber ist nicht genug. Das Stadtju­wel kann mich nicht aufhalten. Niemand kann das.«

Der Alte richtete sich auf. Die Tücher ver­rutschten, und Atlan sah, daß der Oberkör­per stark verbrannt war. Die Männer neben dem Blinden sprühten sogleich Öl auf die Wunden, um die Schmerzen zu lindern.

»Ich will euch ein Geheimnis verraten«, sagte Kull-Koll Harxt. »Hört mir gut zu.«

Er ließ sich wieder auf den Rücken sin­ken. Die Tücher bedeckten seine Wunden. Atlan zweifelte nicht mehr daran, daß sie tödlich waren, nachdem er sie gesehen hatte. Mit Öl konnte man derartige Hautverbren­nungen nicht behandeln.

Der Blinde lächelte. »Hört mich an«, sagte er. »Ich habe euch

immer erklärt, daß ich ein verschollener Ma­gier aus der Großen Barriere von Oth bin. Nun, das war nicht ganz die Wahrheit.«

Er lächelte stärker, obwohl er unter großen Schmerzen litt.

»Ihr habt geglaubt, daß das nicht sein kann. Und ihr habt vermutet, daß ich ein Or­xeyaner bin. Heute sollt ihr die Wahrheit kennenlernen.«

Er schloß die Augen. Die Männer neben ihm benetzten seine Lippen. Geduldig war­teten sie ab, bis er weitersprach.

»Die Wahrheit ist, daß ich der letzte Nachkomme jener bin, die einst in Moon­drag lebten und die Schaltstation besetzten.«

Ein Raunen ging durch den Raum. Damit hatte niemand gerechnet. Auch Atlan und Razamon blickten sich überrascht an. War dies wirklich die Wahrheit, oder phantasierte der Sterbende im Fieber?

»Ich fühle, daß ich sterbe«, fuhr der Alte fort. »Mich wird das Stadtjuwel dennoch nicht aufhalten, denn ihr werdet meine Ar­beit fortsetzen, als ob ich noch dabei wäre.«

»Sprich nicht so«, bat Fengo-P mit trä­nenerstickter Stimme.

Der Alte schob seine Hand unter den Tü­

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chern hervor und griff nach dem Arm des Dalazaaren.

»Ich beschwöre euch«, sagte er mit kräfti­ger Stimme. »Setzt die Arbeit in meinem Sinne fort. Versprecht es mir.«

»Wir geloben es«, antworteten seine Freunde gemeinsam.

Kull-Koll Harxt sprach einige Worte, die niemand verstand. Dann aber klärte sich sei­ne Stimme wieder.

»Ist der Göttersohn da?« fragte er. »Ich bin hier«, antwortete Atlan. »Komm her.« Der Arkonide ging zu dem

Sterbenden und ließ sich neben ihm auf die Knie nieder. Der Alte griff nach seiner Hand und hielt sie fest. Wieder murmelte er etwas vor sich hin, was nicht zu verstehen war.

»Er ist ein Sohn der Götter«, erklärte er dann wiederum und richtete sich dabei auf. Seine blinden Augen weiteten sich. Atlan war klar, daß dies die letzten Sekunden des vermeintlichen Magiers waren. »Er ist zu­rückgekehrt, um sein Erbe anzutreten. Seht her. Seht ihn euch an. In seine Hand gehört Sleipnir. Er ist der rechtmäßige Besitzer des achtbeinigen Wesens.«

Kull-Koll Harxt sank langsam zurück. At­lan stützte ihn.

»Habe ich euch je erzählt, daß Sleipnir einst Odin gehört hat?« fragte der Sterbende. Seine Lippen zuckten. Einige unartikulierte Laute kamen aus seinem Mund. Dann sank seine Hand herunter, und er lag still.

»Kull-Koll Harxt ist tot«, sagte Fengo-P. »Das Stadtjuwel hat ihn getötet.«

Doch er irrte sich. Der Todeskampf des Blinden war noch nicht zu Ende. Noch ein­mal bäumte er sich auf. Wiederum krallte sich seine Hand um den Arm Atlans.

»Habe ich euch schon gesagt, wo der Zu­gang zu dem großen Geheimnis ist?« fragte er keuchend.

»Bis jetzt noch nicht«, erwiderte Atlan. Kull-Koll Harxt ließ den Arkoniden los

und zeigte auf den Boden der Hütte. »Direkt unter uns«, erklärte er. Dann war

es endgültig vorbei.

H. G. Francis

*

Fengo-P und die anderen Freunde von Kull-Koll Harxt waren zunächst nicht in der Lage, sich auf die Informationen zu konzen­trieren, die der Sterbende ihnen hinterlassen hatte. Zu groß war die Trauer um den alten Mann.

Ein Dalazaare schien jedoch genügend Distanz zu ihm gewahrt zu haben. Er kam zu Atlan und Razamon, während die anderen für den Toten einen Scheiterhaufen errichte­ten und eine Weihestätte für ihn aufbauten.

»Ihr haltet euch abseits«, sagte er. »Wir möchten nicht stören«, erwiderte Atlan. »Wer bist du?«

»Ich bin Troot. Ich gehöre noch nicht lan­ge zu den Anhängern des Alten. Er war mir nicht so nahe wie den anderen.« Er blickte den Arkoniden durchdringend an. »Bist du wirklich ein Sohn der Götter?«

»Warum fragst du?« Der Dalazaare preßte die Lippen zusam­

men. Mit verengten Augen blickte er Atlan an.

»Du willst mir also keine klare Antwort geben«, bemerkte er. »Nun gut. Ich akzep­tiere, daß du deine Gründe dafür hast. Der Magier hat gesagt, daß du der rechtmäßige Erbe bist.«

»Der rechtmäßige Erbe Sleipnirs«, ant­wortete Atlan. »Das hat er gesagt.«

»Bist du es?« »Vielleicht.« Atlan lächelte. Er war nicht

bereit, sich auf irgend etwas festzulegen. »Kannst du mit den Maschinen in der Ge­

heimstation da unten umgehen?« forschte Troot weiter.

»Wie soll ich das jetzt schon wissen? Ich habe sie noch nicht gesehen.«

»Also auch das willst du mir nicht eindeu­tig sagen. Nun gut, das ist dein Recht. Könn­te es aber sein, daß du genug über die Ma­schinen weißt, um sie steuern zu können?«

»Das könnte schon sein«, erwiderte der Arkonide. »Warum fragst du?«

»Weil ich wissen möchte, ob es notwen­

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dig ist, einige Technos zu entführen. Wir wissen nicht, ob sie wirklich das können, was wir von ihnen erwarten. Und niemand kann sagen, ob sie auch bereit sind, für uns zu arbeiten und sich gegen die in der FE­STUNG zu erheben.«

Nun entschloß sich Atlan doch zu einer klaren Aussage. Er sah eine solche Expediti­on, wie der Alte sie geplant hatte, als völlig sinnlos an. Tatsächlich war so gut wie aus­geschlossen, daß die Technos die Anlage unter Moondrag steuern konnten. Dazu ge­hörten sorgfältig geschulte Kräfte.

Er selbst glaubte, daß er mit den Maschi­nen etwas anfangen könnte. Voraussetzung war allerdings, daß er genügend Zeit hatte, die Anlagen zu erforschen.

»Eine solche Expedition wäre ein Fehler«, erklärte er. »Mein Freund Razamon und ich werden uns die Anlagen ansehen. Wenn sie so sind, wie sie sein müßten, dann werden wir ihr Geheimnis bald enträtselt haben.«

Troot lächelte. Er nickte Atlan zu, um ihm zu verstehen zu geben, daß er keine andere Antwort erwartet hatte. Dann ging er davon und gesellte sich zu den anderen, um ihnen bei der Arbeit zu helfen. Mittlerweile hatten sich mehrere hundert Zuschauer eingefun­den. Sie standen schweigend zwischen den Hütten und beobachteten die Vorbereitungen für die Verbrennung des Toten.

»Fällt dir eigentlich auf, daß niemand Haß gegenüber dem Stadtjuwel zeigt?« fragte Razamon. »Sie nehmen es einfach hin, daß das Stadtjuwel mit seinen Werkzeugen in dieser Weise straft. Offenbar kommt nie­mand auf den Gedanken, zurückzuschla­gen.«

»Weil niemand in der Lage ist, das zu tun«, stellte der Arkonide fest. »Unter dem Energieschirm ist das Stadtjuwel sicher. Darum verhalten sich alle ruhig.«

Razamon blickte ihn an. »Ich frage mich, wie lange es noch sicher

sein wird«, sagte er leise. »Das frage ich mich auch«, erwiderte At­

lan.

5.

Atlan und Razamon betraten die kleine Hütte, in der Kull-Koll Harxt gestorben war, während der Scheiterhaufen aufflammte. Unmittelbar nach ihnen kamen Fengo-P und Troot herein. Fengo-P hatte sich gefaßt. Er war ruhig und ausgeglichen.

»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte er. »Die Schwarze wird früher oder später an­greifen. Ich bin sicher, daß sie sich nicht da­mit zufriedengibt, daß Kull-Koll Harxt tot ist. Sie will ihre Dadare wieder haben, und sie will sich rächen. Wenn sie kommt, müs­sen wir den Zugang zu der Station gefunden und geöffnet haben, so daß wir uns notfalls alle dorthin zurückziehen können.«

»Deshalb bin ich hier«, antwortete Atlan. »Niemand achtet jetzt darauf, was hier ge­schieht. Wir können daher in Ruhe arbeiten. Sobald wir etwas gefunden haben, geben wir dir Bescheid.«

»Wenn ihr einverstanden seid, möchte ich hier bleiben«, sagte Troot.

»Wir sind einverstanden«, erklärte Raza­mon, während er das Lager des Toten zur Seite räumte. Darunter war glatter, festge­stampfter Lehmboden. Fengo-P ging wieder hinaus.

Atlan, Razamon und Troot gingen nun ge­meinsam daran, den Boden aufzubrechen. Für diese Arbeit konnten sie nur Messer ein­setzen, weil sie keinen Lärm veranstalten durften. Mühsam lockerten sie den Boden und rammten ihn danach weg.

Als sie etwa einen Meter tief gegraben hatten, stieß Troot einen Pfiff aus.

»Hier ist etwas«, sagte er erregt. »Holz.« Er stocherte mit dem Messer im Boden

herum und stieß die Klinge danach kräftig hinein. Sie blieb stecken. Hastig räumte er den Lehm zur Seite, bis ein Holzbalken sichtbar wurde. Atlan und Razamon halfen ihm. Es gelang ihnen, nach und nach mehr Holzbalken freizulegen, bis die Grube eine Grundfläche von etwa einem Quadratmeter hatte.

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Atlan ging zur Tür der Hütte und spähte durch einen Spalt hinaus. Mehrere Männer und Frauen standen unmittelbar vor der Hüt­te und blickten zum brennenden Scheiter­haufen hinüber. Angesichts dieser uner­wünschten Zeugen mußten sie sich leise ver­halten. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Holzbalken mühsam mit dem Messer zu zerschneiden. Zunächst kamen sie nur langsam voran, doch dann stießen sie auf morsche Schichten, die sich leicht abschälen ließen.

Nach etwa einer Stunde hatten sie ein Loch geschaffen, durch das Atlan hindurch­klettern konnte. Er ließ sich eine Fackel rei­chen, entzündete sie und stieg in das Loch.

Er befand sich in einem kleinen Raum, dessen Wände aus Beton bestanden. Jetzt sah er, daß aus der Decke ein großes Loch herausgesprengt worden war, das später wie­der mit Holzbalken zugedeckt worden war.

Eine Eisentür versperrte den Weg in die Geheimstation. Sie war mit einem Griff ver­sehen. Atlan zog daran. Die Tür gab nach. Quietschend öffnete sie sich.

Dahinter lag ein Gang, der gerade so hoch war, daß der Arkonide aufrecht darin gehen konnte. Ein feines Drahtnetz versperrte ihm den Weg. Er befürchtete, daß es elektrisch geladen sein könnte. Als er die brennende Fackel dagegen hielt, ging es jedoch in Flammen auf und verbrannte.

Er kam jedoch nur wenige Schritte weiter. Dann stand er vor einem Panzerschott, das sich quer über den Gang schob. Rechts da­neben befand sich die Tastatur eines Steuer­geräts mit vierzig verschiedenen Symbolen. Das bedeutete, daß sich Kombinationsmög­lichkeiten in Höhe von vielen Millionen er­gaben, so daß es unmöglich war, das Schott zu öffnen, wenn man die richtige Kombina­tion nicht kannte.

Ratlos blickte der Arkonide auf die Schal­tung.

Hinter ihm fluchte Razamon, der ihm ge­folgt war.

»Wir müssen Gewalt anwenden«, sagte er, »sonst kommen wir nicht mehr weiter.«

H. G. Francis

Atlan drehte sich zu ihm um. »Der Alte hat uns hereingelegt«, stellte er

fest. Razamon nickte sinnend. »Das begreife ich jetzt allmählich auch«,

erwiderte er. »Vielleicht gehörte er wirklich zu jenen, die früher einmal diese Station ge­steuert und unterhalten haben. Irgendwann aber hat man ihn hinausgeworfen. Oder er ist freiwillig gegangen. Das Schott jedenfalls hat sich hinter ihm geschlossen, und er hat nie mehr die Möglichkeit gefunden, es wie­der zu öffnen.«

»Wahrscheinlich hat er häufig vor diesem Steuergerät gestanden und versucht, die richtige Kombination zu finden. Vergeblich. Irgendwann ist er dann zu dem Entschluß gekommen, den Zugang zu verschließen und eine Hütte darüber zu bauen. Er hat das Ge­heimnis für sich behalten.«

»Bis zu dem Zeitpunkt, an dem er fühlte, daß er nicht mehr lange leben würde«, er­gänzte Razamon.

»Dann setzte er seine letzte Hoffnung auf die Technos, ohne zu wissen, daß die ihm wahrscheinlich auch nicht mehr helfen kön­nen«, fuhr der Arkonide fort. »Als wir ka­men, da hatte er eine phantastische Idee. Er bezeichnete mich als Göttersohn und be­hauptete, daß ich gewisse Rechte hätte.«

»Raffiniert«, sagte Razamon. »Damit hat­te er uns. Jetzt können wir zusehen, wie wir mit diesem verdammten Schloß fertig wer­den. Schaffen wir es, werden seine Anhän­ger ihn in den höchsten Tönen loben. Schaf­fen wir es nicht, dann geben sie uns die Schuld.«

Atlan untersuchte das Schott. Er kratzte etwas Farbe mit dem Messer ab, bis er auf blankes Metall stieß. Dieses konnte er nicht mehr einritzen. Die Klinge glitt daran ab.

»Nicht gerade Ynkelonium, aber dennoch viel zu hart für uns«, sagte der Arkonide. »Hast du eine Idee, wie wir es knacken kön­nen?«

»Vorläufig nicht«, erwiderte Razamon. Er wollte noch etwas sagen, doch Atlan

legte ihm die Hand auf den Arm, um ihm zu

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bedeuten, daß er ruhig sein sollte. Sie horch­ten. Draußen wurde es laut. Schreie ertön­ten, und einige Schüsse fielen.

»Troot, was ist los?« rief Atlan. Er erhielt keine Antwort. Beunruhigt

kehrte er zum Einstieg zurück und kletterte nach oben. Die Hütte war leer. Troot war verschwunden. Atlan eilte zur Tür, öffnete sie ein wenig und spähte hinaus. Vor der Hütte kämpften schwarz gekleidete Männer mit den Anhängern des toten Kull-Koll Har­xt. Auf dem Boden lagen Tote. Auf einem Dadar saß die Schwarze Frau. Ihre Augen waren direkt auf die Tür der Hütte gerichtet, und Atlan zweifelte nicht daran, daß sie ihn gesehen hatte. Er fuhr zurück.

Im nächsten Moment schon rissen zwei Männer die Tür auf. Sie richteten ihre Schußwaffen auf ihn. Einer von ihnen feuer­te, verfehlte ihn jedoch. Die Kugel flog jau­lend an Atlans Kopf vorbei. Die Frau schrie gellend auf.

Die beiden Männer ließen die Waffe sin­ken. Sie drangen in die Hütte ein und zogen die Tür hinter sich zu. Wenig später öffnete sich die Tür erneut. Die Schwarze Frau trat ein.

Sie blickte Atlan forschend an. »Wer bist du?« fragte sie. »Mein Name ist Atlan«, antwortete er. »Du bist nicht von Pthor«, stellte sie fest.

»Woher kommst du?« Der Arkonide erkannte, daß es sinnlos ge­

wesen wäre, die Wahrheit zu leugnen. »Von da draußen«, erwiderte er. Ihre Au­

gen weiteten sich überrascht. »Du willst damit sagen, daß du von der

Welt kommst, auf der wir uns zur Zeit auf­halten? Du bist durch die unsichtbare Mauer gekommen? Wie hast du das geschafft?«

Weil Atlan keine Lust zu umständlichen Erklärungen hatte, schwindelte er: »Von au­ßen nach innen macht es keine Mühe. Es gibt genügend Lücken, durch die man ein­dringen kann. Umgekehrt ist es fast unmög­lich.«

»Du kannst also nicht zurück. Und den­noch bist du hier. Warum?«

»Ich wußte nicht, daß der Weg zurück verschlossen ist. Ich war neugierig. Ich woll­te mir ansehen, was da plötzlich auf unseren Planeten gekommen war. Als ich dann hier war, mußte ich feststellen, daß ich in der Falle saß. Das ist alles.«

»Du sprichst unsere Sprache.« Diese Worte klangen wie eine Anklage.

»Pthor ist nicht zum ersten Mal auf dieser Welt«, erwiderte er ruhig. »Es gibt noch ge­nügend Aufzeichnungen aller Art vom letz­ten Besuch her. Ich konnte mich also vorbe­reiten.«

Diese Antwort befriedigte sie. Sie nickte, blickte sich forschend in der Hütte um und zeigte dann auf das Loch im Boden.

»Was treibst du hier?« »Hast du nicht davon gehört, daß Kull-

Koll Harxt die alten Schaltanlagen gefunden hat, die unter Moondrag liegen? Wir sind seinen Hinweisen nachgegangen, die er uns auf dem Sterbebett gegeben hat.«

»Und? Was weiter? Erzähle«, forderte sie. Sie war so erregt, daß sie nicht merkte, wie das Tuch verrutschte, so daß Atlan mehr von ihrem Gesicht sehen konnte. Es war unge­wöhnlich schön, wenngleich der Mund einen gewissen Zug der Grausamkeit aufwies. Überrascht stellte er fest, daß ihr Haar silb­rig weiß war. Hätte sie keine blauen Augen gehabt, so hätte er sie für eine Arkonidin ge­halten. Er schätzte, daß sie höchstens dreißig Jahre alt war.

»Wir haben den Zugang zu den Schaltsta­tionen gefunden«, antwortete er wahrheits­gemäß. »Doch die Tür ist gepanzert und so abgesichert, daß wir sie nicht öffnen kön­nen.«

»Das will ich sehen.« Sie gab ihren Män­nern einen Wink. »Holt die anderen da unten heraus. Wenn sie nicht gehorchen, erschießt sie.«

»Warte«, sagte Atlan rasch. »Ich werde das erledigen.«

Er rief Razamon, und dieser kletterte aus dem Loch. Die Schwarze musterte ihn, stell­te jedoch keine Fragen. Einer ihrer Männer stieg in den Gang hinunter. Er kehrte wenig

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später zurück und meldete, daß sich sonst niemand mehr dort unten aufhielt. Nun klet­terte die Frau hinab. Atlan folgte ihr. Er führte sie bis zu dem Panzerschott und er­klärte ihr, auf welche Schwierigkeiten sie gestoßen waren.

»Wie kann man das Schott öffnen?« frag­te sie.

»Nur mit Gewalt«, erwiderte er. »Ich be­nötige Sprengstoff oder etwas, damit ich es aufschweißen kann.«

Er zögerte. Sie spürte, daß er noch mehr sagen wollte, und wandte sich ihm ungedul­dig zu.

»Was ist denn noch?« fragte sie. »Das Stadtjuwel«, entgegnete er. »Es

wird kaum damit einverstanden sein, daß wir das Schott öffnen. Es hat Kull-Koll Har­xt getötet, weil dieser in die Schaltanlagen eindringen wollte. Es wird uns ebenfalls an­greifen.«

Sie krauste die Stirn. »Das ist wahr«, sagte sie. »Was können

wir tun?« »Das weiß ich nicht. Darüber muß ich erst

noch nachdenken.« »Ich gebe dir eine Stunde Zeit«, erklärte

sie. »Danach will ich die Antwort haben. Wenn nicht, dann …«

Sie fuhr sich mit der ausgestreckten Hand über die Kehle, drehte sich um und stieg wieder nach oben. Atlan folgte ihr langsam. Er zweifelte nicht daran, daß sie es ernst meinte. Sie hatte bewiesen, daß sie nicht da­vor zurückschreckte, einen Menschen zu tö­ten.

»Angst beschleunigt die Gedanken nicht«, sagte er, als sie oben in der Hütte waren, doch sie ging nicht auf seine Worte ein. Oh­ne ihn zu beachten, verließ sie die Hütte. At­lan blieb in der offenen Tür stehen. Der Kampf mit den Anhängern des Blinden war zu Ende.

Die Schwarzen hatten gesiegt. Razamon, der neben Atlan stand, packte diesen plötz­lich am Arm. »Sieh mal dort«, sagte er er­regt und zeigte zu den Trümmern der Kup­pel hinüber.

H. G. Francis

Atlan war nicht weniger überrascht als er. Zwischen den Trümmern stand ein großer Drahtkäfig. In ihm trabte der Fenriswolf un­ruhig auf und ab. Doch plötzlich erstarrte das Tier. Die gelben Augen blickten Atlan an.

Der Arkonide verließ die Hütte. Sofort stellten sich ihm zwei Männer in den Weg. Sie richteten Messer auf ihn.

»Der Wolf gehört zu uns«, erklärte der Aktivatorträger. »Man darf ihn nicht ein­sperren.«

Die Schwarze Frau vernahm diese Worte. Sie kehrte zu Atlan zurück.

»Das Tier ist durch eine Lücke im Stadt­tor eingedrungen. Es hat mich verfolgt«, sagte sie. »Es bleibt im Käfig. Sei froh, daß ich es nicht habe töten lassen.«

Sie wandte sich abrupt ab und entfernte sich. Atlan verzichtete darauf, sie noch län­ger zu behelligen. Für ihn war klar, daß er Fenrir früher oder später befreien würde. Er kehrte in die Höhle zurück.

Razamon saß auf dem Lehmboden und blickte ihn an.

»Das ist es«, sagte der Atlanter. »Wovon sprichst du?« fragte Atlan. »Vom Käfig«, antwortete Razamon.

»Genauer gesagt, vom Faraday'schen Käfig. Fenrir ist der einzige von uns, der gegen die Blitze des Stadtjuwels geschützt ist. Er ist in einem Käfig aus Drahtgeflecht gefangen. Sollte Mjöllnir einen Blitz auf ihn schleu­dern, so wird dieser abgeleitet.«

»Vorausgesetzt, es handelt sich bei die­sem Blitz wirklich um eine elektrische Ent­ladung und nicht um einen Energiestrahl aus einem Blaster.«

»Es ist eine elektrische Entladung. Glaubst du, daß ich einen Blitz nicht von ei­nem Energiestrahl unterscheiden kann?«

Atlan dachte nach. Er versuchte, sich dar­an zu erinnern, wie der Blitz ausgesehen hat­te, der aus den Wolken auf Kull-Koll Harxt herabgeschlagen war. Er nickte.

»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte er zögernd.

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29 Hammer des Todes

*

Als Atlan und Razamon die Hütte verlie­ßen, entdeckten sie Fengo-P, Troot und Pan­pank. Sie hatten den Kampf fast unbescha­det überstanden. Fengo-P hatte eine kleine Wunde an der Schulter.

Die Schwarze ließ keinen Zweifel daran, daß sie nun das Kommando führte. Atlan ging zu ihr und teilte ihr mit, was sie benö­tigten, um das Schott zu öffnen. Er wußte nicht, ob die verschiedensten Komponenten für einen geeigneten Sprengstoff überhaupt in Moondrag vorhanden waren, aber er woll­te wenigstens versuchen, sie aufzutreiben. Zu seiner Überraschung wußte die Schwarze Bescheid. Sie konnte alles besorgen, was er brauchte.

»Du gehst zurück nach unten. Du wirst versuchen, die Tür mit der Schalttafel zu öffnen.«

»Die Anzahl der Kombinationen ist zu groß«, wandte Atlan ein.

»Das spielt keine Rolle. Du wirst es den­noch versuchen.«

»Also gut«, sagte der Arkonide einlen­kend. Er drehte sich um und kehrte in die Hütte zurück. Razamon blieb bei ihm. Atlan war entschlossen, die Schalttafel nicht anzu­rühren, weil er fürchtete, daß er damit ein Signal auslöste, mit dem er das Stadtjuwel alarmierte. Doch die Schwarze schien damit gerechnet zu haben, daß er den Befehl ver­weigern würde. Sie schickte einen ihrer Männer als Begleitung mit nach unten. Als Atlan dies sah, kamen ihm Bedenken.

»Deine Idee mit dem Faraday'schen Käfig war gut«, sagte er zu Razamon. »Du solltest sie verwirklichen.«

Der Atlanter verstand, was Atlan meinte. Dazu bedurfte es keiner Erklärung. Wenn das Stadtjuwel angriff, dann an dieser Stelle über dem Einstieg zum Schott. Diese galt es abzusichern.

»Ich bleibe draußen«, antwortete Raza­mon. Er kehrte zu der Schwarzen zurück, um das benötigte Material anzufordern.

Atlan ging zum Schott. Er untersuchte die Schalttafel flüchtig und drückte dann wahl­los einige Kombinationen. Eine erkennbare Reaktion erfolgte nicht. Atlan machte jedoch weiter, weil der Dalazaare aus dem Troß der Schwarzen Frau ständig bei ihm war und ihn beobachtete.

*

Das unregelmäßige Jaulen eines Ventils weckte ihn auf.

Harvall brauchte lange, bis es ihm gelang, das Geräusch richtig einzuordnen. Während dieser Zeit lag er auf dem Rücken und ver­suchte, die Schläfrigkeit zu überwinden, die ihn befallen hatte. Ein Roboter beugte sich über ihn und flößte ihm Tee ein.

Harvall richtete sich ächzend auf. Die Schmerzen in seinem Rücken wurden so heftig, daß er auf dem Lager sitzenblieb und Arme und Kopf vorsichtig bewegte, um die Muskulatur zu entspannen. Er wußte schon gar nicht mehr, wie lange es her war, daß er keine Schmerzen mehr hatte. Irgendwann in seiner Jugend war es gewesen, als ihm ein Geschoß in den Rücken geraten war. Seit dieser Zeit war ein Nerv verklemmt, und er hatte niemanden gefunden, der ihn hätte be­freien können.

Harvall blickte auf die Roboter, die in sei­ner Nähe standen. Sie alle waren darauf vor­bereitet, ihm einen Dienst zu leisten. Einer hielt den Becher mit dem Tee, ein anderer umklammerte einige Früchte mit seinen Händen. Der dritte Roboter bereitete eine In­jektion vor. Sie war für den Fall gedacht, daß die Schmerzen bis ins Unerträgliche steigen sollten. Harvall gab dem Roboter mit einer Geste zu verstehen, daß er keine Sprit­ze wollte. Das Medikament stillte nicht nur die Schmerzen. Es senkte den Blutdruck und machte damit allzu müde. Gerade das aber wollte Harvall nicht werden.

Da war dieses ständig wiederkehrende Si­gnal, das ihn immer wieder daran erinnerte, daß er nicht einschlafen durfte. Er mußte wach bleiben und etwas unternehmen.

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30

Harvall ließ sich von einem vierten Robo­ter ein paar weiße Schuhe und von einem fünften einen Stab reichen, auf den er sich stützen konnte.

Ächzend und stöhnend schleppte er sich zu einer Tür. Diese glitt lautlos zur Seite, und der alte Mann konnte eine Kommunika­tionstafel mit zahlreichen Monitorschirmen sehen. Auf diesen zeichneten sich Szenen aus den unterschiedlichsten Lebensberei­chen in Moondrag ab. Auf einigen konnte er verfolgen, wie die Bewohner der Stadt ver­suchten, mit handwerklicher Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auf einem anderen konnte er das Stadttor beobachten. Einige Bildschirme zeigten ein paar Männer und Frauen, die erregt miteinander diskutier­ten. Ein anderer verlieh Harvall einen Ein­blick in ein wütendes Kampfgeschehen, bei dem sich mehrere Kuroden gegenseitig zu töten versuchten.

Unter keinem der Bildschirme aber leuch­tete ein Warnlicht.

Dennoch kehrte das Alarmsignal immer wieder.

Harvall fuhr sich mit der freien Hand über das Gesicht und rieb sich die Augen. Er überlegte, doch er kam zunächst nicht dar­auf, woher das Signal kam. Erst als er sich in einen Sessel vor die Tafel setzte, bemerk­te er den Kippschalter, der sich ständig hin und her bewegte.

»Bei den Schaltanlagen also«, sagte er verblüfft.

Er wollte es zunächst nicht glauben. Hatte er nicht gerade erst Kull-Koll Harxt getötet, weil dieser es gewagt hatte, von den Schalt­anlagen zu sprechen? Er wüßte, daß Kull-Koll Harxt ein Nachkomme der alten Be­wohner von Moondrag gewesen war. Oft ge­nug hatte er überlegt, ob er nicht doch ein­mal mit ihm reden sollte, denn er selbst war auch ein Nachkomme jener Alten. Kull-Koll Harxt und er waren die letzten, die noch leb­ten. Nie aber wäre er auf den Gedanken ge­kommen, die Schaltanlagen als Machtinstru­ment zu benutzen. Er wußte zudem, daß so etwas gar nicht möglich war.

H. G. Francis

Die Alten hatten dafür gesorgt, daß die Schaltanlagen ihre eigentliche Aufgabe nicht mehr erfüllen konnten.

Harvall verstand sich als Wächter des al-ten Moondrag, und er wußte, daß die Schalt­anlagen umfunktioniert worden waren. Mit ihnen konnte unermeßlicher Schaden ange­richtet werden.

Hinter ihm ertönte ein scharrendes Ge­räusch. Harvall drehte sich nicht um. Er wußte, daß Kurziell, der Robotbürger aus Wolterhaven, sich ihm näherte. Kurziell fun­gierte einst als Verbindungsrobot zwischen Moondrag und Wolterhaven, doch seine Rolle war längst sinnlos geworden. Harvall hatte ihn für seine eigenen Zwecke umpro­grammiert.

Neben ihm verharrte der Robotbürger. Er sah aus wie eine Riesenkrabbe, besaß aller­dings keine Kampfscheren, sondern nur lan­ge, antennenartige Fühler.

»Jemand ist am Schott TREGO und ver­sucht, es zu öffnen«, stellte Kurziel fest. »Erfolgsaussichten: gleich Null.«

»Es ist der Fremde, der von außen kommt«, gab Harvall zu bedenken.

»Das vergrößert seine Erfolgschancen nicht«, erklärte der Robotbürger mit schnar­render Stimme. Harvall hatte die Stimmor­gane Kurziells schon einige Male ausge­wechselt. Dennoch war es ihm dabei nicht gelungen, ihm eine angenehme Stimme zu verleihen.

»Ich glaubte, ich hätte ein ausreichend deutliches Zeichen gesetzt, als ich Kull-Koll Harxt das Dach über dem Kopf zerstörte und ihn selbst tötete. Das scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Die Schwarze mißfällt mir immer mehr. Sie will Macht, und das kön­nen wir nicht zulassen.«

»Willst du auch sie vernichten, Meister?« fragte der Robotbürger.

»Nein. Die beiden Fremden.« Harvall empfand nichts bei dem Gedan­

ken, das Leben anderer Menschen auszulö­schen. Er hatte schon viele Bewohner von Moondrag getötet, wenn sie die Gesetze der Stadt übertreten hatten. Am Anfang seiner

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31 Hammer des Todes

Tätigkeit war es nicht leicht für ihn gewe­sen, das zu tun. Später aber waren alle Hem­mungen überwunden, und er hatte seine Pflicht erfüllt, so wie es ihm aufgetragen worden war.

Harvall drückte einige Knöpfe. Die Bilder auf den Monitorschirmen wechselten. Die Schwarze mit ihren Anhängern erschien dar­auf. Harvall gelang es sogar, einen kurzen Blick in die Hütte Kull-Koll Harxts zu wer­fen.

»Der Boden ist aufgerissen. Dort sind sie also eingestiegen«, stellte er fest.

Er setzte sich in einen Sessel und lehnte sich zurück.

»Blitzschlag vorbereiten«, befahl er, ju­stierte die Geräte ein und schaltete die Ka­meras aus. Ein Teil der Bildschirme erlosch. Das war eine unbedingt notwendige Vor­sichtsmaßnahme, die Harvall stets traf, ob­wohl er dann nicht verfolgen konnte, ob der Blitz auch wirklich im Ziel saß. Er schlug jedoch lieber ein zweites Mal zu, als daß er eine der Kameras gefährdet hätte. Wenn ei­ne seiner Außenbeobachtungsstationen aus­fiel, war er fast nie in der Lage, sie zu repa­rieren.

Noch niemals hatte er einen seiner Robo­ter nach draußen geschickt, weil er sich da­vor fürchtete, die Energieglocke zu öffnen, und weil er keinen seiner Roboter opfern wollte. Dabei war er sich dessen nicht ganz sicher, wie die Bewohner von Moondrag einen Roboter behandeln würden.

Ausgenommen davon war jedoch Sleip­nir.

Ihn mußte er hinausschicken, wenn Mjöll­nir seine tödlichen Blitze aussenden sollte.

6.

Der Dalazaare, der Atlan überwachte, wurde plötzlich unruhig. Ein Pfiff schreckte ihn auf.

»Was ist los?« fragte Atlan, der weiterhin sinnlos Kombinationen in die Schaltung tippte.

»Dunkle Wolken ziehen herauf.«

»Das hat dir der Pfiff verraten?« Der Dalazaare nickte bestätigend. Atlan

drehte sich kurzentschlossen um und verließ den Gang. Sein Wächter folgte ihm bereit­willig. Als der Arkonide die Hütte verließ, konnte er kaum etwas sehen, so dunkel war es geworden.

»Hierher«, rief Razamon. Atlan blickte zum Himmel hinauf. Er sah

eine geisterhafte Erscheinung durch die Wolken ziehen. Sie glich einem monströsen Roß mit acht Beinen. Auf ihrem Rücken kauerte eine vermummte Gestalt, die den rechten Arm in die Höhe streckte und eine Art Hammer drohend schwenkte.

Der Dalazaare schrie entsetzt auf und rannte davon. Er war der letzte der Anhän­ger der Schwarzen Frau, der sich noch in der Nähe der Hütte aufhielt.

»Atlan, komm!« rief Razamon. Der Atlanter stand in einem großen Draht­

käfig, der durch armdicke Metallbügel ver­stärkt wurde.

Atlan rannte zu ihm hinüber und schlüpfte durch eine provisorische Tür in den Käfig. Auf dem Boden kauerte Fenrir. Er winselte leise. Seine Nackenhaare waren gesträubt.

»Sie sind geflüchtet«, berichtete Raza­mon. Er schien sich nicht zu fürchten. Ge­lassen spähte er zu den dunklen Wolken hin­auf. »Feige Bande.«

»Wo ist der Sprengstoff?« Razamon lächelte und zeigte zu einer

Hütte in der Nähe hinüber. Die Hütte stand unmittelbar neben den Trümmern der Kup­pel.

»Dort liegt alles zusammen«, erklärte er. »Noch ist alles hübsch säuberlich voneinan­der getrennt. Wir können nur hoffen, daß der Blitz es nicht zusammenfügt und hochgehen läßt. Dann nützt uns unser schöner Käfig auch nichts mehr.«

Es wurde drückend heiß. Razamon öffne­te sich das blusenartige Kleidungsstück. Der Schweiß lief ihm in Strömen den Hals her­unter. Er blickte zu den Wolken hinauf, in denen der achtbeinige Sleipnir mit seinem vermummten Reiter herumraste.

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»Er scheint nicht genau zu wissen, wohin er sich wenden soll«, sagte er.

»Sieh lieber nicht hinauf«, riet ihm Atlan. »Es dürfte nicht angenehm sein, direkt in den Blitz zu blicken.«

Kaum hatte er es gesagt, und kaum hatte Razamon den Kopf gesenkt, als Mjöllnir sei­ne Blitze verschleuderte. Sonnenhell zuckte es aus den Wolken herab. Ein ohrenbetäu­bendes Krachen folgte. Der Drahtkäfig war plötzlich von tanzenden Blitzen umgeben, und der Boden erzitterte unter den Füßen der Männer.

Fenrir sprang auf und heulte wild. Sekunden später wurde es still. Die Wol­

ken zogen ab. Es wurde wieder hell, und bald brach das Sonnenlicht durch. Atlan und Razamon sahen sich an. Sie waren unver­letzt. Der Drahtkäfig hatte seinen Zweck er­füllt.

»Wir werden das Ding in der Hütte über dem Einstieg errichten«, sagte Atlan. »Dann können wir unten arbeiten, ohne daß das Stadtjuwel uns etwas anhaben kann.«

Er öffnete die Tür. Aus allen Richtungen kamen die Männer

aus dem Troß der Schwarzen Frau herbei. Staunend blickten sie die beiden Freunde an, die Mjöllnir widerstanden hatten, ohne ver­letzt zu werden.

Auch Troot, Fengo-P und Pan-pank waren unter den Männern, die sich nun wieder in die Nähe der Hütte des Blinden wagten.

Fengo-P blieb vor Atlan stehen und hob beide Arme.

»Kull-Koll Harxt hat recht gehabt«, rief er.

»Sei still«, bat Atlan rasch. »Ich will das nicht.«

Doch der Dalazaare war nicht mehr auf­zuhalten.

»Hört mich an«, brüllte er. »Kull-Koll Harxt hat die Wahrheit erkannt. Er hat ge­sagt, daß dies ein Göttersohn ist. Ihr habt al­le gesehen, was geschehen ist. Mjöllnir hat versagt, weil seine Macht größer ist als die des Stadtjuwels.«

Die Männer, die eben noch erregt mitein-

H. G. Francis

ander über das Ereignis diskutiert hatten, verstummten. Staunend blickten sie Atlan an. Die Schwarze Frau schob sich durch die Menge. Sie kam zu dem Arkoniden, blieb dicht vor ihm stehen und ließ die Tücher ein wenig auseinandergleiten, die ihr Gesicht bedeckten. Auch sie war sichtlich beein­druckt.

»Ich wußte, daß es ein Fehler gewesen wäre, dich zu töten«, bemerkte sie. »Ich ha­be gleich erkannt, daß du mehr bist als die anderen. Doch du wirst dennoch weiterar­beiten. Öffne die Eisentür, und beeile dich.«

»Fürchtest du dich nicht vor Sleipnir und dem blitzeschleudernden Mjöllnir?«

»Ich weiß jetzt, daß ich mich nicht zu fürchten brauche. Das nächste Mal werde ich ebenfalls in diesen Käfig gehen und die Blitze auf mich herabkommen lassen. Dann wird sich zeigen, daß ich nicht weniger Macht besitze als du.« Ihr Gesicht verzerrte sich. Atlan erkannte, daß sie sich ihm unter­legen fühlte. Sie würde alles tun, ihren Un­tergebenen zu beweisen, daß sie ihm tat­sächlich weit überlegen war.

»Razamon. Kümmere du dich um den Kä­fig«, bat Atlan.

»Was hast du vor?« fragte die Schwarze. »Ich will den Käfig in der Hütte über dem

Einstieg errichten, damit wir in Zukunft nicht mehr gestört und aufgehalten werden können.«

»Damit bin ich nicht einverstanden«, sag­te sie rasch. »Der Käfig bleibt hier.«

»Wie du willst. Dann müssen wir die Ar­beit eben unterbrechen, wenn nochmals dunkle Wolken heraufziehen.« Atlan wandte sich ab und kehrte zu dem Stahlschott zu­rück. Er ließ nun von den Männern der Ver­mummten die Chemikalien heranschleppen, die er angefordert hatte. Vorsichtig fügte er sie zusammen und brachte sie so am Schott an, daß er hoffen konnte, es bei der Zündung zu zerstören. Dann fertigte er einen einfa­chen, aber zuverlässigen Zünder.

Als er damit fertig war, erschien Razamon bei ihm.

»Jetzt wird's unangenehm«, erklärte er.

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33 Hammer des Todes

»Es ziehen schon wieder dunkle Wolken herauf.«

Er zeigte auf den angehäuften Spreng­stoff.

»Wenn hier der Blitz einschlägt, wird es gefährlich für uns alle.«

Die beiden Männer verließen die Grube, um in den Faraday'schen Käfig zu flüchten. Als sie aus der Hütte heraustraten, wurden sie von Fenrir empfangen, der sich winselnd an Atlans Beine schmiegte. Im Käfig stand die Schwarze Frau.

Hochaufgerichtet blickte sie Atlan an. Ihr Gesicht war unverschleiert. Und nun ließ sie auch das Kopftuch sinken, so daß die Flut ihrer silbern schimmernden Haare sichtbar wurde.

»Flieht«, befahl sie. »Willst du uns nicht zu dir lassen?« fragte

Atlan. Sie streckte nur befehlend den Arm aus. Atlan, Razamon und Fenrir wandten sich

zur Flucht. Ebenso wie die Männer der Schwarzen, die sich bis jetzt in der Nähe aufgehalten hatten.

Die Schwarze Frau blieb allein im Fara­day'schen Käfig zurück.

»Sie will es allen beweisen«, sagte Raza­mon. »Hoffen wir, daß es ihr gelingt.«

»Warum sollte es ihr nicht gelingen?« fragte Atlan.

»Weil noch lange nicht feststeht, daß Sleipnir dieses Mal nicht vielleicht doch einen Energiestrahler benutzt, nachdem ein simpler Blitz sich als wirkungslos erwiesen hat.«

*

Im Zentrum von Moondrag saß Harvall in einem Sessel und blickte fassungslos auf die Monitorschirme.

Die Männer, die er hatte töten wollen, lebten noch, obwohl der Blitz genau ins Ziel gegangen war.

So etwas war ihm in seinem ganzen Le­ben noch nicht begegnet, und er hatte zu­nächst auch keine Erklärung dafür, obwohl

er den Drahtkäfig sah, der den beiden Män­nern als Schutz gedient hatte.

Er drehte sich langsam zu dem krabben­ähnlichen Robotwesen um, das er für seine Zwecke umkonstruiert hatte.

»Was sagst du dazu, Kurziell?« fragte er mit heiserer Stimme.

»Ich verfüge nicht über Informationen, die mir eine Antwort gestatten«, antwortete Kurziell.

Die Gedanken Harvalls überschlugen sich. Er erhob sich und hastete nervös zu ei­nem Computer. Er fragte ihn ab und hatte wenig später die Antwort. Sie war so ein­fach, daß er sich ärgerlich mit der flachen Hand vor den Kopf schlug.

Er blickte auf einen Bildschirm, auf dem Sleipnir zu sehen war. Das achtbeinige Un­getüm befand sich weit außerhalb der Ener­giekuppel in einer für die Bewohner von Moondrag unerreichbaren Kammer. Diese hatte einen Ausgang hoch in der Steilwand vor der Stadt, durch den diese robotische Nachbildung bei den Einsätzen aufsteigen konnte. Sleipnir war eine Nachbildung. Har­vall hatte auf verschiedenen Umwegen er­fahren, daß der echte Sleipnir irgendwo auf der Straße der Mächtigen zwischen Zbohr und Zbahn verrottete. Das war ihm nicht un­recht, denn nun gab es nur noch einen Sleip­nir.

Die Nachbildung hatte die Aufgabe, die in der Luft sich aufstauende Elektrizität zu sammeln und auf sich zu konzentrieren, um sie dann als Blitz über die Waffe Mjöllnir, die ebenfalls eine Nachbildung war, abzu­lenken und auf das Ziel zu schleudern.

In beiden Fällen handelte es sich nicht um technisches Gerät, das von Harvall selbst entwickelt worden war. Es waren vielmehr Maschinen, die einst von den Bewohnern von Moondrag konstruiert, dann eingemottet und von ihm entdeckt und wieder eingesetzt worden waren. Mit Hilfe dieser Maschinen hatte Harvall die absolute Macht über Moondrag errungen und die Stadt nach sei­nem Willen gelenkt.

Sein ursprüngliches Ziel war gewesen,

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aus Moondrag wieder ein kulturelles und wirtschaftliches Zentrum zu machen. Das war ihm jedoch versagt geblieben.

Nun plötzlich waren Fremde in Moondrag erschienen, die ihn mit einem verblüffend einfachen Trick überlistet hatten. Sie hatten sich den unwissenden Bewohnern der Stadt gegenüber als mächtiger erwiesen als er.

Das konnte er nicht durchgehen lassen. Er mußte schnell und unerbittlich noch

einmal zuschlagen, und sein Ziel erreichen. Dabei war es beinahe wichtiger, den Draht­käfig zu vernichten, als die Fremden zu tö­ten.

Er nahm einige Schaltungen vor. Auf den Bildschirmen konnte er beobach­

ten, wie Sleipnir die Waffe Mjöllnir nahm und auf Energiestrahlwirkung umschaltete.

Harvall hatte die Stahlkuppel von Kull-Koll Harxt vernichten können, weil der Blinde Sprengstoff unmittelbar an der Stahl­kuppel hatte lagern lassen. Dieser war vom Blitz gezündet worden. In diesem Fall, so meinte der Alte, konnte er nicht mit einer solchen Hilfe rechnen.

Als er Sleipnir und Mjöllnir vorbereitet hatte, schaltete er die Wettermaschinen ein. Sie liefen langsam an, bald aber erfüllte ihr Dröhnen die gesamte Kuppel.

Über Moondrag wurde es dunkel. Der achtbeinige Sleipnir jagte wieder durch die schwarzen Wolken.

*

Fenrir kroch winselnd unter einen Bretter­stapel, der neben einer Hütte lag. Er stieß dabei einige Bretter zur Seite. Dadurch rutschten weitere Bretter herunter, die dar­über lagen, und diese wiederum gaben ein Kameraobjektiv frei, das versteckt dahinter gewesen war. Atlan blickte direkt in das Ob­jektiv.

Einer spontanen Eingebung folgend, nahm er einen faustgroßen Stein auf und schlug ihn gegen das Objektiv. Es zersplit­terte.

»Ist dir jetzt wohler?« fragte Razamon.

H. G. Francis

Atlan fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn.

»Allerdings«, antwortete er. »Ich weiß, daß das Stadtjuwel mich nun nicht mehr be­obachtet. Also kann es den achtbeinigen Reiter auch nicht auf mich lenken.«

Es wurde schnell dunkler. Atlan, Raza­mon und Fenrir waren etwa zweihundert Meter vom Drahtkäfig und der Hütte des Blinden entfernt. Hier wähnten sie sich si­cherer als in der Nähe des Schotts.

Schweigend warteten sie ab. Die Bewohner von Moondrag waren in

ihre Hütten geflüchtet. Atlan konnte sich vorstellen, wie ihnen zumute war. Er blickte zu den Wolken hoch und fühlte sich völlig hilflos. Gegen diesen unheimlichen Gegner und die blitzeschleudernde Waffe konnte niemand etwas ausrichten. Selbst der Käfig bot, wie Atlan vermutete, nur vorüberge­hend Schutz.

An eine solche Abwehr aber hatte sicher­lich noch niemand in der Stadt gedacht.

»Ich wünschte, ich hätte einen weitrei­chenden Energiestrahler, um das Ding da oben abschießen zu können«, sagte Raza­mon mit gepreßter Stimme, als sie Sleipnir sahen. Das achtbeinige Wesen tauchte sche­menhaft zwischen den dunklen Wolken auf. Die vermummte Gestalt auf ihrem Rücken hielt eine hammerförmige Waffe über den Kopf.

»Was mag das sein?« fragte Atlan. »Ein Roboter?«

»Vermutlich«, erwiderte Razamon. Es wurde heiß und stickig. Die Luft roch

nach Schwefel. Und es schien, als könne Sleipnir dieses Mal sein Ziel nicht richtig ausmachen.

Atlan wurde unsicher. Hatten sie einen Fehler gemacht, indem

sie den Faraday'schen Käfig verließen? Suchte Sleipnir jetzt nach ihnen? Ging es ihm nicht darum, den Käfig zu durchbrechen und den zu töten, der sich gerade darin auf­hielt?

Der Unsterbliche kämpfte gegen das Ver­langen an, davonzulaufen und sich irgendwo

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weitab vom Käfig in Sicherheit zu bringen. Er wußte, daß er sich verraten würde, wenn er durch die menschenleeren Gassen lief. Er wußte, daß er Sleipnir damit nur auf sich aufmerksam machen würde. Und dennoch war das Fluchtverlangen so groß, daß er es kaum noch bändigen konnte.

Narr! schrie es in ihm. Bleib, wo du bist. Hier bist du sicher.

Er blickte Razamon an und erkannte, daß es diesem ähnlich erging wie ihm selbst auch. Der Atlanter war nervös. Seine Hände öffneten und schlossen sich in ständigem Wechsel. Dabei verfolgte Razamon jede Be­wegung Sleipnirs am Himmel.

»Schieß doch endlich«, sagte er. »Schieß doch.«

Das achtbeinige Wesen schien es dieses Mal darauf anzulegen, die Bewohner von Moondrag besonders lange zu peinigen und im ungewissen zu lassen. Es jagte in ver­schiedenen Richtungen durch die Wolken, erschien mal hier, mal dort, so als ob es selbst nicht wisse, wo das von ihm erwählte Opfer zu finden war.

Dann aber stürzte es sich plötzlich aus den Wolken nach unten. Razamon schrie auf. Es schien, als rase Sleipnir direkt auf sie zu. Doch der Atlanter täuschte sich. In einer Höhe von etwa einhundert Metern flog das seltsame Wesen über sie hinweg. Es senkte sich in der Nähe des Käfigs noch tiefer her­ab. Dann blitzte es sonnenhell auf. Die ham­merförmige Waffe in den Händen der ver­mummten Gestalt schien zu glühen. Ein fürchterlicher Schrei ertönte. Atlan glaubte, eine Frauenstimme zu erkennen.

Die acht Beine Sleipnirs wirbelten durch die Luft. Die Hufe trommelten auf einen un­sichtbaren Boden. Das seltsame Wesen stieg rasch auf und verschwand in den Wolken.

Unmittelbar darauf wurde es hell. Ein ei­siger Wind fegte über die Stadt und vertrieb die schwüle Luft.

Atlan fröstelte. »Komm«, sagte er zu Razamon. Es hielt ihn nicht mehr in seinem Ver­

steck. Er lief auf den Käfig zu. Razamon

und Fenrir folgten ihm. Der Wolf überholte ihn auf den letzten Metern. Kurz vor dem Ziel streckte er die Beine aus und ließ sich gleichzeitig fallen, so daß er ein kleines Stück über den Sand rutschte und dann auf dem Boden verharrte. Knurrend blickte er zum Käfig hinüber.

Von diesem war nicht mehr viel übrigge­blieben. Der Blitz hatte ihn verbrannt. Zwi­schen den Resten lag eine zusammenge­krümmte Gestalt.

Atlan ging zögernd zu ihr hin. Er kniete sich neben ihr nieder und zog ein Stück Tuch zur Seite, das über dem Kopf lag. Es zerbröckelte unter seinen Fingern. Der Ar­konide fuhr zurück. Er erhob sich rasch und ging zu Razamon, der vor dem Käfig stehen­geblieben war.

»Sie ist tot«, sagte er. »Dieses Mal war es keine elektrische Entladung, sondern ein Energiestrahl. Und dagegen bot der Käfig keinerlei Schutz. Das Stadtjuwel hat also ziemlich schnell geschaltet.«

Fenrir heulte plötzlich laut auf. Er warf sich gegen Atlans Beine und rannte dann winselnd von ihm fort.

»Weg hier«, brüllte der Arkonide. Er packte Razamons Arm und riß den Freund mit sich.

Der Atlanter begriff nicht, aber er flüchte­te, ohne zu zögern. Als sie einige Schritte weit gelaufen waren, vernahmen sie ein be­drohliches Zischen.

»Der Energiestrahl hat den Zünder in Gang gesetzt«, rief Atlan.

Er warf sich hinter einen Felsbrocken. Razamon stürzte. Er rollte sich über den Bo­den, um in den Schutz einer Hütte zu kom­men. Kaum hatte er sein Ziel erreicht, als die von Atlan angebrachte Sprengladung explo­dierte. Die Hütte über dem Einstieg flog in die Luft und löste sich dabei in zahllose Trümmerstücke auf, die wie Geschosse in alle Richtungen davon wirbelten.

Eine Feuersäule stieg aus dem Boden auf. Atlan wartete ab, bis alle Trümmer abge­

regnet waren. Dann erhob er sich. Anerken­nend kraulte er Fenrir den Nacken.

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»Das hast du gut gemacht«, sagte er lo­bend. »Ich war etwas zu unaufmerksam.«

Dort, wo die Hütte des blinden Kull-Koll Harxt gewesen war, hatte sich ein Trichter aufgetan. Die schützenden Balken, der Gang und das Schott waren nicht mehr zu sehen. Sie waren entweder hochgeschleudert oder von nachrutschendem Erdreich verschüttet worden. Mit der Explosion hatte Atlan sein Ziel jedoch erreicht. Sie hatte das Schott ent­fernt und einen Gang geöffnet, der in die Tiefe führte.

»Gehen wir?« fragte Razamon. »Ich schlage vor, noch etwas abzuwar­

ten«, erwiderte Atlan. »Es kann nicht scha­den, wenn wir einige Dalazaaren und Kuro­den aus der Mannschaft der Schwarzen Frau mitnehmen.«

»Ich bin anderer Ansicht«, sagte Raza­mon. »Was sollen wir mit diesen Narren, die kaum einen Hammer von einer Kneifzange unterscheiden können?«

»Du übertreibst maßlos.« »Sicher. Aber wenn sie eine etwas kom­

pliziertere Maschine sehen, denken sie an Zauberei. Das können wir uns nicht leisten.«

Atlan wurde nachdenklich. Razamon hat­te recht. Es war gefährlich, sich auf die in technischer Hinsicht unbedarften Anhänger der Schwarzen Frau und des Blinden zu ver­lassen.

Zu spät! signalisierte der Extrasinn. Von allen Seiten kamen die Einwohner

von Moondrag herbei. Zögernd zunächst nä­herten sie sich. Als sie jedoch Atlan, Raza­mon und Fenrir sahen, die unverletzt neben dem Trichter standen, eilten sie herbei. Eini­ge jubelten.

Fengo-P erreichte Atlan als erster. »Ich wußte von Anfang an, daß du, der

Göttersohn, unser neuer Meister sein wirst«, rief er.

Troot und Pan-pank folgten ihm. »Kull-Koll Harxt war ein Unwissender

gegen dich«, erklärte Troot bewundernd. »Er hatte recht. Du bist ein Sohn der Göt­ter.«

Razamon blickte Atlan nur an.

H. G. Francis

Der Arkonide preßte die Lippen zusam­men. Diese Entwicklung gefiel ihm nicht.

Du kannst sie nicht mehr aufhalten, er­klärte sein Extrasinn.

»Wir gehen jetzt nach unten und sehen uns die Schaltanlagen an«, erklärte Atlan. »Wartet hier auf uns.«

»Nein. Wir begleiten euch«, rief Troot. »Das ist zu gefährlich für euch«, entgeg­

nete der Arkonide. Fehler! konstatierte der Logiksektor. »Gefährlich ist es nur hier für uns«, sagte

Pan-pank. »In eurer Nähe kann uns nichts passieren. Also weist uns nicht zurück. Wir brauchen euren Schutz.«

Atlan wollte ihm antworten, daß sie ihm keinen Schutz bieten konnten.

Sinnlos! signalisierte sein Extrasinn, noch bevor er den Mund geöffnet hatte. Sie lassen sich nicht zurückweisen.

Atlan sah sich um. Hinter Fengo-P, Troot und Pan-pank standen etwa einhundert Dala­zaaren, Kuroden, Kelotten, Yaghts und Or­xeyaner aus dem Troß des blinden Kull-Koll Harxt und dem der ebenfalls toten Schwar­zen Frau. In ihren Augen las er maßlose Be­wunderung. Diese Männer hatten blindes Zutrauen zu ihm. Und sie fühlten sich hilf­los. Deshalb suchten sie bei ihm Schutz.

Wenn du sie nicht mitnimmst, werden sie dir später folgen, stellte der Logiksektor fest. Sie bleiben nicht hier oben. Sie gehen dorthin, wohin du gehst, weil sie glauben, daß sie dort sicher sind.

»Also gut«, sagte Atlan. »Folgt mir. Aber berührt nichts. Was auch immer ihr sehen werdet, alles hat seine Bedeutung. Irgend et­was zu verstellen, kann gefährlich sein.«

»Wir wollen nur bei dir bleiben«, erklärte Fengo-P. »Wir werden nichts berühren, son­dern alles deiner kundigen Hand überlas­sen.«

Ihr grenzenloses Vertrauen wurde zur Ge­fahr für ihn, Razamon und den Fenriswolf. Atlan wurde sich dessen bewußt, daß dieses Vertrauen bei dem ersten Fehler, den er machte, in eine ebenso übertriebene Enttäu­schung umschlagen konnte. Und dann be­

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stand die Gefahr, daß sie über ihn herfielen.

*

Harvall lachte triumphierend, als er sah, wie der Energiestrahl den Drahtkäfig durch­schlug.

Auf den Monitorschirmen vor ihm war deutlich zu erkennen, wie die Schwarze Frau plötzlich in Flammen aufging. Sekunden­lang stand sie mit erhobenen Armen auf der Stelle, brach dann aber schlagartig zusam­men.

Harvall drückte ein paar Knöpfe, um da­mit seine Strafreaktion zu beenden. Sleipnir kehrte in sein Versteck an der Steilwand zu­rück. Die Wolken verzogen sich, und kalte Luftmassen strömten von der Eisküste her über Moondrag hinweg.

Harvall wollte sich befriedigt von seinen Instrumenten abwenden, als plötzlich der Lärm einer Explosion aus den Lautsprechern dröhnte. Der Alte fuhr herum.

Auf zwei Bildschirmen sah er, wie Trüm­merstücke in die Luft flogen, und wie eine Feuersäule aufstieg.

Es war genau dort, wo sich der Eingang zu der Schaltstation befand. Gleichzeitig flammten einige Alarmlichter auf. Sie zeig­ten an, daß das Stahlschott nicht mehr be­stand. Der Weg zu den Schaltanlagen war frei.

Harvall sank in den Sessel vor der Moni­torwand. Wie gelähmt blieb er darin sitzen. Er hörte, daß Kurziell kam, aber er brachte keinen Laut über die Lippen.

Zum ersten Mal in seinem Leben war er direkt bedroht. Die Schaltanlagen waren Un­befugten zugänglich geworden. Mit einem derartigen Ereignis hatte er nicht gerechnet. Er hatte es für absolut unmöglich gehalten und sich deshalb noch niemals damit be­schäftigt.

Er wußte nicht, was zu tun war. Er erinnerte sich daran, was geschehen

war, als er gezwungen war, den blinden Kull-Koll Harxt aus den Schaltanlagen zu entfernen, nachdem sich dessen Geist ver­

wirrt hatte. Mit geschickten psychologischen Schachzügen hatte er ihn nach draußen ge­lockt und dann das Schott hinter ihm ge­schlossen. Gleichzeitig hatte er die Kombi­nation für das Schloß geändert, so daß Kull-Koll Harxt keine Möglichkeit mehr gehabt hatte, in die Schaltanlagen zurückzukehren.

Jetzt war alles ganz anders. Harvall überlegte, ob es Sinn hatte, Sleip­

nir abermals einzusetzen und bündelweise Blitze auf den Eingang der Schaltstation zu jagen, um diesen damit möglicherweise wie­der zu schließen.

»Du hast keine andere Möglichkeit«, sag­te er keuchend. »Es gibt nur diesen einen Weg.«

Er fragte sich, warum der weißhaarige Fremde den Weg zu den Schaltanlagen mit einer derartigen Hartnäckigkeit gesucht hat­te. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Der blinde Kull-Koll Harxt hatte diesen Fremden als Göttersohn bezeichnet. Harvall hatte dieser Äußerung keinen besonderen Wert beigemessen. Er hatte schon häufig die Vorträge des Blinden belauscht und dabei allerlei Unsinn gehört.

Dieses Mal aber war es anders. Der Fremde konnte nicht von Pthor sein. Vielleicht kam er von außen? Der Gedanke elektrisierte den Alten. Er

hielt es nicht mehr in seinem Sessel aus. Er­regt eilte er im Raum auf und ab. Seine Hän­de zitterten.

Wenn der Fremde wirklich von außen kam, dann hatte er nur ein Ziel: Vernich­tung.

Ihm ging es darum, die Schaltanlagen auf Pthor zu zerstören, damit Pthor von dieser Welt verschwand und nie wieder zu ihr zu­rückkehren konnte.

Harvall stürzte sich auf die Schaltanlagen, nachdem er diesen Gedanken zu Ende ge­dacht hatte. Er drückte einige Köpfe. Mit fiebernden Augen beobachtete er, wie aber­mals schwarze Wolken über Moondrag her­aufzogen. Sleipnir verließ sein Versteck und stieg auf.

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Mjöllnir mußte sprechen. Der feuerspei­ende Hammer mußte den Fremden aufhal­ten, bevor es zu spät war.

*

Troot griff nach Atlans Schulter. »Laß uns nicht allein«, bat er und deutete

mit der anderen Hand auf die rasch herauf­ziehenden, schwarzen Wolken.

»Damit war zu rechnen«, sagte Razamon. »Das Stadtjuwel reagiert ziemlich schnell.«

»Kommt mit«, rief der Arkonide, »oder lauft schnell weg.«

Einige der Männer drehten sich um und flüchteten in die Stadt. Die meisten aber blieben bei Atlan und Razamon, weil sie glaubten, hier am sichersten zu sein.

Der Arkonide wußte, was geschehen wür­de. Das Stadtjuwel würde den Zugang zu den Schaltanlagen angreifen und zu ver­schließen versuchen. Danach gab es viel­leicht nie mehr eine Möglichkeit, die verbor­genen Schaltanlagen zu erreichen.

Atlan sprang in den Trichter hinein und rutschte mit dem Sand bis zu der Öffnung, die durch die Sprengung entstanden war. Fenrir und Razamon folgten ihm augen­blicklich. Die anderen zögerten noch einige Sekunden lang. Dann aber wurde es schnell dunkel, und Sleipnir rückte mit dröhnenden Hufen näher.

Dieses Geräusch trieb die Männer in Scharen hinter Atlan und Razamon her. An ihrer Spitze stürmten Troot, Fengo-P und Pan-pank in die Tiefe. Zwischen ihnen und den Anhängern der Schwarzen Frau bestand nun keinerlei Rivalität mehr. Man orientierte sich nun nach Atlan und Razamon. Diese beiden sah man als neue Anführer an. Der Blinde Kull-Koll Harxt und die Schwarze Frau waren vergessen.

Jemand reichte Atlan eine brennende Fackel. Damit schritt er als erster durch den Gang. Schon nach etwa zwanzig Metern kam er an ein weiteres Stahlschott, das sich jedoch leicht öffnen ließ. Er brauchte seine Hand nur auf eine Kontaktscheibe an der

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Wand zu legen, und lautlos glitt das Schott zur Seite.

Dahinter lag eine Halle, in der zahlreiche fremdartige Maschinen standen, die sich bis zu einer Höhe von etwa zehn Metern auf­türmten, also bis unmittelbar an die Unter­seite der Bauten von Moondrag heranreich­ten.

»Schnell«, rief der Arkonide. Er blieb an der Tür stehen und ließ die anderen herein. Sie drängten sich eilig in die Halle. Die er­sten blieben staunend stehen und betrachte­ten die Maschinen. Die Nachfolgenden stie­ßen sie ungeduldig weiter.

Atlan schätzte, daß etwa einhundertfünf­zig Männer durch das Schott kamen. Als der letzte die Halle betreten hatte, schlug drau­ßen ein Blitz ein. Geblendet fuhr Atlan zu­rück. Razamon legte seine Hand gegen die innere Kontaktplatte, und das Schott schloß sich.

Atlan lehnte sich gegen die Wand. Er preßte die Hände vor die tränenden Augen. Einige Minuten lang konnte er nichts sehen, dann endlich erholten sich seine Augen, und seine Blicke klärten sich.

Er hörte, daß auf der anderen Seite des si­chernden Schotts pausenlos Blitze einschlu­gen. Der Boden bebte unter seinen Füßen. Das Schott erhitzte sich, brach jedoch nicht auf.

Die Bewohner von Moondrag, die ihm gefolgt waren, blickten ihn schweigend an und warteten ab. In ihren Gesichtern zeich­nete sich Furcht ab.

Atlan löste sich von der Wand. »Das Stadtjuwel kann uns nicht errei­

chen«, rief er. »Sleipnir ist machtlos. Habt keine Angst.«

Er ging durch die Menge, drängte alle Ge­danken an das Stadtjuwel zurück und be­trachtete die Maschinen. Razamon und Fenr­ir begleiteten ihn auf seinem Weg durch die Anlage.

»Hast du schon irgend etwas entdeckt, was dir bekannt ist?« fragte der Atlanter.

»Bis jetzt nicht.« Atlan hatte sich bisher noch keine Gedan­

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ken darüber gemacht, mit welcher Maschi­nerie ein Gebilde wie Atlantis durch Zeit und Raum geführt werden konnte. Jetzt wünschte er, er hätte einen Hyperphysiker nach Atlantis mitgenommen oder einen Ul­traingenieur. Es konnte ihm nicht darauf an­kommen, diese Schaltanlage einfach nur zu zerstören: Er mußte vielmehr auch nach ei­ner Möglichkeit suchen, Pthor von der Erde zu entfernen, denn nur dann war seine Mis­sion erfüllt.

Er diskutierte leise mit Razamon. Hier und da stießen die beiden Männer auf Gerät­schaften, die sie identifizieren konnten.

»Mir wäre wohler, wenn wir hier irgend-wo Waffen finden würden«, sagte Razamon, als sie in einem Antigravschacht nach unten schwebten. »Irgendwo müssen doch Waffen sein.«

Sie erreichten eine zweite Halle, die noch wesentlich größer war als die erste, nachdem sie etwa einhundert Meter tief gesunken wa­ren. Zögernd folgte ihnen der Troß aus Dala­zaaren, Kuroden, Kelotten, Yaghts und Or­xeyanern. Sie hatten gesehen, daß Atlan sich dem Antigravschacht anvertraute, und des­halb wagten sie es auch, sich darin zu bewe­gen. Nur zehn Männer blieben oben zurück, weil sie ihre Scheu vor dem unsichtbaren Energiefeld nicht überwinden konnten.

Die meisten Maschinen in der unteren Halle arbeiteten nicht. Leuchtplatten an der Decke spendeten ausreichend Licht, sonst aber waren fast alle Systeme stillgelegt.

»Glaubst du, daß wir diese Anlage in Be­trieb nehmen können?« fragte Razamon, als sie vor einer Schalttafel standen, die überra­schend unkompliziert und übersichtlich auf­gebaut war.

»Warum nicht? Die Frage ist allein, ob wir genügend Energie haben. Alles andere muß sich dann zeigen. Möglich ist natürlich auch, daß es zwischen Moondrag und der FESTUNG eine Sicherung gibt, die dafür sorgt, daß sich Moondrag nicht selbständig machen kann.«

Über ihnen knackte und rauschte es. Ir­gendwo erwachte ein unbekanntes System

zum Leben. Atlan blickte nach oben. Die Männer um ihn duckten sich furchtsam. Razamon trat zur Seite. Er versuchte, eine Schrift zu entziffern, die plötzlich an der Schalttafel aufleuchtete.

»Ich bin das Stadtjuwel«, hallte eine Stimme aus verborgenen Lautsprechern. »Und ich fordere euch auf, die Anlagen so­fort zu verlassen. Rührt nichts an, oder es gibt eine Katastrophe. Moondrag wird in Schutt und Asche versinken, wenn ihr ir­gend etwas anfaßt.«

Die Moondrager erstarrten. Furchtsam blickten sie Atlan an. Dieser lächelte kühl. Er war durch diese Warnung nicht zu beein­drucken.

»Das Stadtjuwel hat Angst«, sagte er. »Es ist das erste Mal, daß es Angst hat. Bisher hat es so etwas nicht gekannt.«

Er trat an die Tafel, bemerkte dann je­doch, daß Razamon schon alles getan hatte, was er hatte tun können.

»Ich wiederhole«, brüllte es von oben her­ab. »Verlaßt die Anlag …«

Razamon drückte einen Knopf, und die Stimme des Stadtjuwels erstarb.

»Er ist mächtiger als das Stadtjuwel«, rief Troot begeistert. »Führe uns, Göttersohn. Was sollen wir tun?«

»Ihr braucht nichts zu tun«, erwiderte At­lan. »Verhaltet euch ruhig. Das genügt.«

Etwa vierzig Meter von ihnen entfernt be­fand sich eine kreisrunde Öffnung im Bo­den. Sie wurde durch ein kniehohes Gitter notdürftig abgesichert. Atlan ging hinüber und blickte hinein. Er war davon überzeugt, die Fusionsmeiler gefunden zu haben, aus denen die Anlage ihre Energie schöpfte. Sie sahen terranischen Anlagen ähnlich, waren jedoch betont vertikal konstruiert. Sie bilde­ten Türme von nur wenigen Metern Durch­messer und waren etwa einhundertfünfzig Meter hoch.

Die Fusionsmeiler waren an verschiede­nen Zugängen geöffnet. Das war ein deutli­ches Zeichen dafür, daß sie außer Betrieb waren und so leicht auch nicht wieder ange­fahren werden konnten. Atlan vermutete,

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daß wochenlange Vorbereitungen notwendig waren, sie wieder zu aktivieren.

Er hörte einen Schrei hinter sich und fuhr herum.

Ein fünf Meter breites Schott hatte sich in seiner Nähe geöffnet. Daraus rollten, schrit­ten und staksten Roboter der unterschied­lichsten Form hervor. Er erkannte auf den ersten Blick, daß keine dieser Maschinen mit einer wirklich gefährlichen Waffe aus­gerüstet war.

Razamon, der in seiner Nähe stand, sagte: »Reinigungs- und Wartungsroboter. Höch­stens geeignet, unsere Freunde in Angst und Schrecken zu versetzen.«

Fenrir griff knurrend an, doch Atlan pfiff ihn zurück. Der Fenriswolf gehorchte wider­willig. Mit gelben Augen beobachtete er die Roboter, die rasch näherrückten. Atlan blickte zu den Moondragern hinüber. Sie be­fanden sich in einem Zustand, der nicht weit von einer Panik entfernt war. Er vermutete, daß sie die Roboter für so schreckliche We­sen hielten wie Sleipnir.

»Ruhe bewahren«, rief er ihnen zu. »Sie können uns nichts tun.«

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn einige Roboter verfügten über Werk­zeuge, mit denen sie ihnen tödliche Wunden beibringen konnten.

Der Arkonide lief den Robotern entgegen. Er packte die vorderste Maschine bei den Greifarmen, so daß sie ihn mit ihren Zangen nicht erreichen konnte. Dann ließ er sich leicht nach hinten fallen, riß den Roboter hoch und schleuderte ihn auf die Öffnung zu. Die Maschine wog nur etwa 50 kg. Sie rutschte kreischend über den Boden und prallte gegen das Gitter.

Razamon schaltete blitzschnell. Er stieß mit dem Fuß zu und beförderte den Roboter über das Gitter hinweg. Die Maschine stürz­te lautlos in die Tiefe.

Inzwischen hatte Atlan bereits den zwei­ten Roboter herumgerissen. Die Maschine folgte der ersten.

Nun griff auch Razamon ein. Auch ihm gelang es, zwei Automaten in den Meiler-

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schacht zu schleudern. Dann aber mußten Atlan und er sich zurückziehen, damit sie nicht selbst den gleichen Weg nahmen.

»Troot, Fengo-P, Pan-pank«, rief Atlan. »Helft uns. Packt sie an.«

Die Moondrager begriffen, daß die Robo­ter weit weniger gefährlich waren, als sie ge­dacht hatten. Sie stürzten sich mit einem wahren Feuereifer auf die bizarren Gestal­ten. Einige machten dabei schwere Fehler. Sie gerieten in die Werkzeuge und büßten ihren Leichtsinn mit schmerzenden Wunden. Die meisten aber waren geschickt genug, die Automaten richtig zu packen.

Die metallene Armee Harvalls wanderte innerhalb weniger Minuten in den Meiler­schacht. Jubelnd begleiteten die Männer jede Explosion, die in der Tiefe stattfand. Kein einziger Roboter kam davon.

»Das Stadtjuwel ist besiegt«, rief Troot begeistert. Der junge Dalazaare eilte auf At­lan zu. »Ich wünschte, ich hätte einen riesi­gen Krug mit Wein, um dieses Ereignis zu feiern.«

»Unterschätzt das Stadtjuwel nicht«, er­klärte der Arkonide. »Dies war erst die Vor­hut. Es kann noch mehr auf uns zukommen. Denkt an Sleipnir!«

Doch die Moondrager waren in ihrer Sie­gesfreude nicht zu bremsen. Sie tanzten und sangen inmitten der technischen Anlagen.

*

Harvall war verzweifelt. Sein Werk war noch lange nicht vollen­

det, und nun drohte es, in einer Katastrophe unterzugehen.

Jetzt bedauerte er, daß er den blinden Kull-Koll Harxt nicht schon viel früher getö­tet hatte. Es war ein Fehler gewesen, ihn verbreiten zu lassen, daß es Schaltanlagen unter der Stadt gab. Wäre der Blinde nicht gewesen, dann wäre vielleicht längst alles in Vergessenheit geraten, und man hätte in Moondrag nur noch von Sleipnir gespro­chen.

Harvall schob die Gedanken an die Ver­

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säumnisse zur Seite. Es half ihm nun nichts mehr, sich Vorwürfe zu machen.

Er mußte handeln. Auf jeden Fall mußte er verhindern, daß

die Eindringlinge an den Maschinen herum­hantierten. Die Schaltanlagen waren von ihm so verändert worden, daß sie Moondrag vernichteten, wenn sich jemand damit befaß­te, der nichts davon verstand.

Harvall wollte aber weder die Schaltanla­gen noch die Stadt zerstören. Er wollte beide erhalten.

In seiner Not entschloß er sich zu einer Maßnahme, die er noch niemals zuvor er­griffen hatte. Er öffnete ein versiegeltes Kommunikationsgerät und drückte die einzi­ge Taste, die sich daran befand. Damit wandte er sich an die Herren der FESTUNG.

Sie mußten informiert werden. Während er darauf wartete, daß die Herren der FE­STUNG sich meldeten, beobachtete er auf einem anderen Bildschirm, wie die Ein­dringlinge seine Reinigungs und Wartungs­roboter in die Tiefe stürzten. Er zuckte je­desmal zusammen, wenn ein Roboter über der Kante verschwand, und immer wieder hoffte er, daß sich das Blatt doch noch zu seinen Gunsten wenden würde. Doch er hoffte vergebens.

Die FESTUNG meldete sich nicht. Harvall tippte die Taste mehrere Male.

Ohne Erfolg. Ein grünes Licht zeigte an, daß der Apparat funktionierte, aber eine Verbin­dung kam nicht zustande.

Er riß die Verschalung des Geräts herun­ter und legte damit einige Kontrollverbin­dungen frei. Er testete sie durch und stellte fest, daß das Kabel zur FESTUNG gebro­chen war. Es gab keine Möglichkeit für ihn, die Herren der FESTUNG zu informieren oder um Rat zu fragen.

Er mußte sich selbst helfen. »Kurziell«, schrie er. Das Robotwesen, das einer Riesenkrabbe

glich, kroch mit scharrenden Füßen auf ihn zu. Er blickte es an und bereute, daß er es nicht mit Scheren versehen hatte.

»Bekämpfe sie«, befahl er. »Renne sie

über den Haufen. Stürze sie in die Tiefe oder tue sonst irgend etwas. Vernichte sie.«

»Ich werde mir Mühe geben«, antwortete der Roboter, drehte sich um und entfernte sich mit schnellen, seltsam leicht wirkenden Schritten. Harvall sah, daß er sich eine Stahlstange aus einem Ausrüstungsfach nahm.

Harvall schaltete um. Sleipnir griff den Einstieg zu den Schalt­

anlagen noch immer an. Die Aktion war mittlerweile sinnlos geworden, da die Blitze nicht die angestrebte Wirkung erzielten.

Harvall entschloß sich zu der ungewöhn­lichsten Aktion seines Lebens. Er lenkte den achtbeinigen Roboter über die Energiekup­pel. Dann öffnete er den Energieschirm. Er schuf eine Strukturlücke an der obersten Wölbung.

Sleipnir sank nach unten. Der Energieschirm schloß sich wieder.

Der achtbeinige Roboter landete neben der Stahlkuppel und trottete zu einem Schott, das vor ihm zur Seite glitt.

Sleipnir war heimgekehrt. Harvall erwartete das monströse Wesen

inmitten der Schaltanlagen. Sleipnir blieb dicht vor ihm stehen. Aus

der Nähe war die Ähnlichkeit mit einem Pferd nicht mehr so groß, und die ver­mummte Gestalt auf dem Rücken sah kei­nesfalls bedrohlich aus. Harvall riß die Tü­cher herunter und legte damit ein einfaches Gestell frei, das mit einem großen Hebel versehen war. Daran war Mjöllnir, die ham­merförmige Waffe befestigt.

Mit wenigen Griffen entfernte der Alte das Gestell und löste Mjöllnir vom Hebel. Er überprüfte die Batteriekammern und stellte fest, daß sie nahezu leer waren. Er fluchte, weil er es versäumt hatte, Sleipnir zunächst zu der Kammer am Steilhang zurückzufüh­ren. Dort waren Reservebatterien in ausrei­chender Zahl vorhanden. In der Kuppel je­doch nicht, weil sie hier niemals benötigt worden waren, und weil er nie daran gedacht hatte, daß er sie eines Tages einmal brau­chen würde.

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Hier in der Kuppel und in den Schaltanla­gen – unter Moondrag konnte er kein elek­trisches Feld aufbauen, um daraus dann mit Hilfe von Mjöllnir Blitze abzuleiten. Er mußte Mjöllnir als Energiestrahler benutzen.

»Ein oder zwei Schüsse noch«, sagte er sinnend. »Das muß reichen.«

Er beschloß, sich völlig auf Atlan zu kon­zentrieren, denn er sagte sich, daß der An­griff zusammenbrechen mußte, wenn der Göttersohn tot war.

*

»Energie ist da«, sagte Razamon. »Zumindest in einigen Geräten. Wahr­scheinlich werden sie aus Batterien gespeist oder aus Notstromaggregaten.«

Atlan nickte. Zusammen mit Razamon hatte er einige Maschinen untersucht, wäh­rend die Begleiter aus Moondrag sich ganz ihrer Siegesfreude hingaben. Der Arkonide war davon überzeugt, daß der Hauptangriff des Stadtjuwels erst noch kam. Und auf die­sen bereitete er sich vor. Waffen hatte er nicht gefunden, daher stellte er nun Überle­gungen an, was er als Waffe benutzen konn­te.

»Notstromaggregate«, sagte er. »Batterien kommen nicht in Frage, wenn du berück­sichtigst, daß diese Anlage seit einigen Jahr­zehnten schon in diesem Zustand ist. Batte­rien wären längst erschöpft.«

»Um so besser«, entgegnete der Atlanter. Er blickte sich suchend um. »Aber wo sind sie?«

Kurzentschlossen riß Atlan die Verklei­dung einer Schalttafel auf. Er benutzte dazu ein Werkzeug, das er aus einer Halterung an der Wand nahm. Dann verfolgte er die Ka­bel. Sie führten in den Boden zu einem Rohr. Der Verlauf dieses Rohres war durch eine feine, weiße Linie angezeigt, die in den Belag des Bodens eingelassen war. Jetzt fiel Atlan auf, daß zahlreiche ähnliche Linien an einem unscheinbaren Gerät zusammenliefen.

»Dort«, sagte er. Razamon brach das Gerät auf.

»Am Ziel«, stellte er befriedigt fest. Atlan löste vorsichtig einige Kabel aus

einfachen Steckkontakten heraus, riß sie dann aus dem Boden und befestigte sie wie­der an den Kontakten, nachdem er die Isolie­rung teilweise entfernt hatte. Kaum war er mit diesen Vorbereitungen fertig, als ein monströser Roboter in die Halle stürmte. Er glich einer riesigen Krabbe, hatte jedoch keine Kampfscheren. In einer Hand hielt er eine Eisenstange.

Er griff zwei Dalazaaren an, die in der Nähe des Schottes standen, durch das er ge­kommen war. Bevor sie erkannten, was ge­schah, hatte er sie bereits mit der Stange nie­dergeschlagen.

Razamon schleuderte ein schweres Werk­zeug auf ihn. Klirrend prallte es von seinem Panzer ab.

Der Roboter fuhr herum. Die Linsen sei­nes Wahrnehmungssystems richteten sich auf Atlan. Er hob die Eisenstange und griff an. Der Arkonide blieb stehen, wo er war. Er hielt das vorbereitete Kabel in der Hand. Als der Roboter ihn fast erreicht hatte, warf er es ihm entgegen.

Eine Klaue fuhr hoch und packte das Ka­belende. Blaue Blitze tanzten über den ge­samten Metallkörper des Roboters. Dieser erstarrte mitten in der Bewegung. Krachende Entladungen in seinem Inneren zeigten an, daß seine Schaltelemente unter zahlreichen Kurzschlüssen vergingen.

Aber auch im Sammelkasten gab es einige Kurzschlüsse. Kabel verbrannten, und dann erloschen einige Leuchtplatten an der Decke. Einige Maschinen stellten ihre Ar­beit ein.

Troot beugte sich über die beiden Dala­zaaren, die der Roboter niedergeschlagen hatte. Dann kam er zu Atlan.

»Sie sind tot«, sagte er anklagend. »Das tut mir leid«, entgegnete der Arko­

nide. »Wir haben euch gewarnt«, bemerkte

Razamon zornig. »Immer wieder haben wir gesagt, daß es noch nicht vorbei ist. Ihr wolltet es nicht hören.«

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Troot senkte beschämt den Kopf. Atlan wollte ihm ein paar tröstende Worte sagen, als der Dalazaare sich wieder aufrichtete. Er ließ den Arkoniden nicht zu Wort kommen.

»Wir werden die Schaltanlagen zerstö­ren«, kündigte er an. »Wir müssen alles ver­nichten, was hier ist, denn wir werden diese Maschinen niemals beherrschen.«

»Abwarten«, entgegnete Atlan. »Wir fangen gleich damit an«, fuhr Troot

fort, bevor der Aktivatorträger noch mehr sagen konnte. »Niemand wird uns davon ab­halten.«

»Ihr verdammten Narren«, brüllte Raza­mon. »Ihr werdet nichts anfassen.«

Er wollte Troot packen, aber der Dalazaa­re wich ihm geschickt aus. Sein Gesicht ver­düsterte sich.

»Bis jetzt waren wir Freunde«, sagte er zornig. »Wenn du mich anfaßt, sind wir kei­ne mehr.«

»Seid vernünftig«, bat Atlan. Er hoffte, daß man ihn nach wie vor als Göttersohn an­sah, und daß sich daraus mehr Autorität für ihn ableitete als Razamon genoß. »Wir wer­den die Maschinen beherrschen. Aber darauf kommt es nicht an. Wir sind Fremde in Moondrag. Es ist eure Stadt. Wenn ihr wollt, daß die Maschinen zerstört werden, dann werden wir uns eurem Willen beugen.«

»Wir wollen es«, betonte Troot. Pan-pank gesellte sich zu ihm. Er hatte das vorher so überhebliche Wesen abgelegt. Sein Verhal­ten zeigte, daß er sich nun dem wesentlich gereiften Troot unterlegen fühlte.

»Nun gut«, sagte Atlan zustimmend. »Dann werden wir die Maschinen zerstören, aber erst dann, wenn wir genau wissen, was wir damit anrichten.«

»Warum so lange warten?« fragte Pan­pank.

»Wir warten nicht«, erklärte Troot ent­schlossen.

»Ihr habt keine andere Wahl. Ihr müßt warten, denn sonst besteht die Gefahr, daß ihr Moondrag vernichtet«, sagte der Arkoni­de. »Zudem scheint ihr vergessen zu haben, daß das Stadtjuwel noch lebt. Noch ist es

nicht besiegt.« »Es ist besiegt, sobald die Schaltanlagen

vernichtet sind«, erwiderte Troot. Jetzt rückten auch die anderen näher. Sie

hielten ihre Waffen drohend in den Händen. Atlan war überzeugt davon, daß sie sie auch gegen ihn richten würden, wenn es ihm nicht gelang, sie zu beruhigen und sie zu überzeu­gen. Sie hatten es nicht gewagt, auf die Ro­boter zu schießen. Offenbar ahnten sie, daß sie damit ohnehin nichts ausgerichtet hätten. Sie wußten jedoch, daß sie Razamon und ihn damit niedermachen konnten, und das gab ihnen ein Gefühl der Überlegenheit.

»Ich schlage vor, daß wir das Stadtjuwel suchen und gefangennehmen«, sagte Atlan.

»Und danach wirst du die Maschinen zer­stören?« fragte Troot.

»Ich werde die Maschinen zerstören und die Kuppel des Stadtjuwels aufbrechen«, er­klärte der Unsterbliche. »Niemals wieder soll jemand unangreifbar in der Kuppel le­ben und die Bewohner von Moondrag terro­risieren können.«

»Eine gute Idee«, lobte Troot. »Ein verrückter Gedanke«, bemerkte Pan­

pank ärgerlich. »Was könnte uns Besseres passieren, als daß wir in den Besitz der Kup­pel kommen? Von ihr aus könnten wir die Stadt regieren.«

Er merkte, daß die anderen nicht mit sei­nem Vorschlag einverstanden waren, und fügte rasch hinzu: »Selbstverständlich wol­len wir die Moondrager nicht terrorisieren. Wir wollen nur geschützt sein vor Bestien, wie es zum Beispiel die Schwarze Frau war. Wir wollen uns nicht quälen lassen, sondern so leben, wie es uns gefällt. Das erlaubt uns die Kuppel.«

Troot durchschaute ihn. Er erkannte, daß der Mann, den er verehrt und bewundert hat­te, genau das Gegenteil wollte.

Atlan beobachtete Troots Gesicht, und er erriet seine Gedanken.

7.

Harvall schwang sich auf den Rücken des

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pferdeähnlichen Roboters Sleipnir. »Also dann«, sagte er. »Trage mich nach

unten in die Hallen.« Der Roboter lief quer durch die Räume

der Kuppel bis zu einem Antigravschacht, der groß genug für ihn war. Lautlos schweb­te er darin nach unten.

»Wir werden kämpfen«, sagte Harvall mit gedämpfter Stimme. »Du wirst mein Leben schützen, und du wirst jedem meiner Befeh­le nachkommen, so schnell es dir möglich ist. Jedem Befehl!«

»Ich habe verstanden«, antwortete der Ro­boter mit schnarrender Stimme. »Ich werde jeden Befehl ausführen, den du mir erteilst.«

Harvall nickte befriedigt. Es wurde hell unter ihnen. Sie näherten

sich der Halle, in der sich die Eindringlinge befanden. Der Alte hob die hammerförmige Waffe Mjöllnir, die er auf Energiestrahlwir­kung umgestellt hatte. Dabei wurde er sich dessen bewußt, daß er dieses Mal auf andere Weise töten mußte als bisher.

Stets war es so gewesen, daß er Sleipnir von der Monitorwand in der Kuppel aus ge­lenkt hatte. Die Bewohner von Moondrag waren für ihn keine lebenden Intelligenzen gewesen, sondern Figuren in einem Spiel. Figuren, die störten, mußten beseitigt wer­den. Alle, die er getötet hatte, hatte er nur auf dem Bildschirm gesehen. Nie war er ih­nen selbst begegnet. Mit einer Ausnahme: Kull-Koll Harxt.

Ihn hatte er gekannt, aber es waren schon viele Jahre vergangen, seit er ihm zum letz­ten Mal begegnet war. Und so war Kull-Koll Harxt inzwischen auch zu einer Figur ge­worden. Dennoch hatte dieser Unterschied zu den anderen Moondragern bewirkt, daß er den Blinden so lange geschont hatte. Auch darüber wurde Harvall sich nun klar.

Während er sich der Halle näherte, fragte er sich, ob er wirklich in der Lage sein wer­de, direkt auf Menschen zu schießen und sie zu töten. Schweiß brach ihm aus.

Er mußte es tun, wenn er die Schaltanla­gen und die Kuppel retten wollte. Ihm blieb gar keine andere Wahl, wenn er nicht selbst

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sterben wollte. Immer wieder hämmerte er sich in den

letzten Sekunden vor dem Angriff ein, daß er gezwungen war zu töten. Doch je näher die Entscheidung rückte, desto mehr ver­krampfte er sich. Seine Hände wurden so feucht, daß er Mjöllnir kaum noch halten konnte.

»Du Narr«, flüsterte er. »Hunderte sind durch dich gestorben. Warum hast du jetzt Angst?«

Die Antwort kam im gleichen Augen­blick, und sie überraschte ihn so sehr, daß er Sleipnir fast zurückgerissen hätte.

Er wurde sich dessen bewußt, daß er bis­her gefahrlos hatte töten können. Dieses Mal aber mußte er damit rechnen, selbst verletzt oder gar getötet zu werden.

»Sleipnir wird sie in Angst und Schrecken versetzen«, sagte er. »Sie werden nicht kämpfen, sondern fliehen.«

Der Ausgang zur Haupthalle war erreicht. Sleipnir verließ den Antigravschacht. Seine Hufe berührten den Boden.

Harvall hielt ihn an und richtete sich et­was mehr auf, so daß er über einige Maschi­nenblöcke hinwegsehen konnte. Die beiden Fremden und die Moondrager waren unge­fähr dreißig Meter von ihm entfernt. Sie standen in einer Gruppe beisammen und dis­kutierten miteinander. Keiner von ihnen blickte zu ihm hinüber.

Er duckte sich, so daß sie ihn nicht sehen konnten.

»Los jetzt, Sleipnir«, befahl er leise. »Reite sie nieder.«

Der achtbeinige Roboter rannte los. Seine Hufe trommelten auf den harten Boden der Halle. Das Dröhnen und Hämmern brach sich an den Wänden und wurde durch ein vielfaches Echo so verstärkt, daß es als al­lesumfassender Lärm über die Männer um Atlan hereinbrach. Die Moondrager ver­stummten. Sie fuhren herum, entdeckten Sleipnir und wurden von panischem Entset­zen gepackt.

So lange sie in Moondrag gelebt hatten, war Sleipnir stets das übermächtige und un­

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besiegbare, tötende Wesen gewesen, das die Stadt beherrscht hatte. Für sie alle war es zu einer tiefverwurzelten Überzeugung gewor­den, daß Sleipnir unangreifbar war.

Daher kam jetzt keiner von ihnen auf den Gedanken, die Waffe gegen dieses unheimli­che Wesen zu erheben, das schnaubend auf sie zuraste. Sie sahen die in graue Tücher gehüllte Gestalt auf dem Rücken. Sie er­kannten, daß es ein alter, bärtiger Mann war, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Kull-Koll Harxt hatte. Sie bemerkten Mjöllnir in der Hand dieses Wesens, und sie wußten, daß mit absoluter Sicherheit ein Blitz auf sie her­abkommen würde. Diesem konnten sie nur entgehen, wenn sie aus der Nähe desjenigen flüchteten, den Mjöllnir töten wollte.

Alle Moondrager begriffen auf Anhieb, daß nur Atlan das Ziel sein konnte. Sie rann­ten auseinander und flüchteten schreiend zu den Ausgängen.

Einige von ihnen liefen zwischen die Ma­schinen, wo sie plötzlich feststellten, daß sie in eine Sackgasse geeilt waren, aus der es keinen Ausweg mehr gab. In ihrer Angst klammerten sie sich an Hebel und Stellräder. Sie versuchten, sich daran hochzuziehen, um über die Maschinen hinwegzuklettern, doch damit betätigten sie nur die Schaltungen, oh­ne einen einzigen Meter weiterzukommen.

Sie richteten größeren Schaden an, als Harvall es mit Mjöllnir hätte tun können.

Der Alte stürmte währenddessen auf At­lan zu. Er zielte auf den Arkoniden. Als er sich ihm bis auf etwa zehn Meter genähert hatte, riß er die hammerförmige Waffe hö­her über den Kopf und löste sie aus. Im glei­chen Moment sprang Atlan zur Seite.

Der sonnenhelle Energiestrahl strich we­nige Zentimeter an ihm vorbei und schlug hinter ihm in eine Schalttafel. Er verwandel­te diese in einen glutflüssigen Brei und löste gleichzeitig eine Reihe von Fehlschaltungen aus, die im Zusammenhang mit den verse­hentlichen Schaltungen der Flüchtenden die Katastrophe einleiteten.

Harvall schrie vor Wut und Enttäuschung laut auf, als er sah, daß er Atlan verfehlt hat­

te. »Halt! Zurück«, rief er Sleipnir zu. Der Roboter reagierte schnell und präzise.

Ein wenig zu genau für Harvall, der noch niemals im Leben auf dem Rücken eines solchen Wesens gesessen hatte. Der Alte rutschte über den Kopf des Roboters hinweg und stürzte zu Boden.

Eilig richtete er sich wieder auf. Er griff nach der Waffe, die ihm entfallen war. Er sah, daß Atlan auf ihn zulief. Hastig hob er Mjöllnir.

Der Arkonide blieb stehen. »Du wagst es, eine Waffe auf einen Göt­

tersohn zu richten?« rief er. Der Schrecken fuhr Harvall in die Glie­

der. Er zögerte für den Bruchteil einer Se­kunde, den tödlichen Schuß auszulösen. Die Behauptung Atlans, ein Göttersohn zu sein, schockierte ihn. Dann aber fuhr die Waffe wieder hoch.

In diesem Moment raste Fenrir knurrend auf ihn zu. Der Wolf stürzte sich auf ihn und grub das mächtige Gebiß in seinen Arm. Schreiend stürzte Harvall zur Seite. Ein Blitz zuckte aus der hammerförmigen Waf­fe. Er durchquerte die Halle und schlug weit von Harvall entfernt in eine Maschine. Diese explodierte, ohne großen direkten Schaden anzurichten. Doch löste die Explosion eine Kettenreaktion aus, für die durch die Fehl­schaltungen die ersten Voraussetzungen ge­schaffen worden waren.

Tief unter der Halle explodierte ein größe­res Aggregat. Atlan spürte, daß ihn etwas anhob. Er verlor den Boden unter den Füßen und stürzte. Er sah, daß Fenrir mit dem Al-ten kämpfte, während das achtbeinige Roß bewegungslos neben ihm verharrte.

Atlan sprang wieder auf. Razamon erschi­en neben ihm.

»Wir müssen 'raus«, brüllte der Atlanter. Der Aktivatorträger ergriff die hammer­

förmige Waffe des Alten und schleuderte sie weit von sich weg. Er sah, daß sich breite Risse im Boden bildeten, während irgendwo tief unter ihnen eine Explosion nach der an­deren erfolgte.

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»Zurück, Fenrir«, rief Atlan. »Laß ihn.« Harvall lag mit blutendem Arm auf dem

Boden. Aus weit aufgerissenen Augen blick­te er Atlan an. Dieser hatte kein Mitleid mit ihm. Er hatte erkannt, welche Rolle der Alte in den vergangenen Jahren gespielt hatte. Für ihn war von Anfang an klar gewesen, daß Sleipnir, Mjöllnir und auch das Stadtju­wel nichts mit übernatürlichen Erscheinun­gen zu tun hatten, sondern nur Inszenierun­gen waren, mit denen die Bevölkerung von Moondrag eingeschüchtert werden sollte.

Die Moondrager hatten inzwischen die Ausgänge erreicht. Einige von ihnen spran­gen in die Antigravschächte. Doch ein Transportfeld bestand nicht mehr. Schreiend stürzten sie in die tödliche Tiefe.

Die anderen begriffen, daß sie in einer Falle saßen, aus der es kein Entkommen mehr gab. Sie flüchteten vor den Antigrav­schächten und stellten fest, daß Sleipnir re­gungslos neben dem besiegten Alten stand. Sie sahen, daß Atlan und Razamon unver­letzt waren, und ihnen dämmerte, daß die Macht Sleipnirs endgültig gebrochen war.

Doch das löste sie nicht aus ihrer Panik. Die Schaltanlagen unter Moondrag zer­

störten sich selbst. Die Halle erzitterte unter den ständigen Explosionen. Aus der Decke stürzten große Brocken herab. Rauch und Staubwolken behinderten die Sicht. Und nir­gendwo schien ein Ausgang zu sein.

»Wohin?« rief Atlan, der sah, daß die Moondrager ziellos durch die Halle eilten.

Razamon drehte sich mehrmals im Kreis. Auch er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte.

Atlan rannte zu dem Alten, packte ihn und riß ihn hoch.

»Wo ist ein Ausgang?« brüllte er und schüttelte ihn. »Wo geht es nach draußen?«

Harvall stand unter dem Schock seiner vernichtenden Niederlage. Er blickte Atlan mit weit geöffneten Augen an, ohne ihn wirklich zu sehen. Er war nicht in der Lage, ihm zu antworten.

Razamon kam hinzu. Er schrie Harvall et­was zu, das auch Atlan nicht verstand, weil

H. G. Francis

in diesem Moment krachend ein Beton­brocken aus der Decke über ihnen brach. In­stinktiv sprang der Arkonide zurück. Raza­mon blickte nach oben und warf sich zur Seite.

Nur Harvall blieb stehen. Der Felsbrocken stürzte auf ihn und be­

grub ihn unter sich. In der Wand hinter Atlan explodierte et­

was. Ein breiter Riß bildete sich in der Wand. Flammen schlugen heraus.

Atlans Blicke richteten sich auf Sleipnir, den achtbeinigen Roboter, der noch immer bewegungslos auf der gleichen Stelle stand. Ein verzweifelter Gedanke durchzuckte ihn.

»Razamon«, brüllte er. »Auf den Robo­ter!«

Er rannte auf den pferdeähnlichen Robo­ter zu und sprang auf seinen Rücken. Raza­mon reagierte schnell. Er folgte ihm und setzte sich hinter ihn.

»Bringe uns nach oben«, befahl Atlan und schlug dem Roboter die flache Hand gegen den Kopf. »Los doch. Nach oben. Schnell.«

Sleipnir reagierte. Der Roboter hatte beobachtet, daß Harvall

getötet worden war. Nun folgte er den ein­programmierten Gesetzen, die ihm befahlen, menschliches Leben zu schützen und zu ret­ten, wo es ihm möglich war. Der Roboter setzte sich in Bewegung. Mit trommelnden Hufen raste er quer durch die Halle.

Pan-pank, Troot und Fengo-P tauchten vor Atlan auf. Die drei Dalazaaren waren zusammengeblieben.

»Kommt mit«, brüllte der Arkonide ihnen zu. Er sah, daß sie entsetzt flüchten wollten. »Sleipnir hilft uns. Ich habe es ihm befoh­len.«

Der Roboter rannte weiter. Die drei Dala­zaaren verschwanden im Staub und Rauch. Atlan drehte sich um.

»Troot«, schrie er nochmals. »Komm. Pan-pank. Fengo-P. Keine Angst. Er hilft uns.«

Der Roboter hatte ein Schott erreicht. Es öffnete sich vor ihnen. Sleipnir eilte hin­durch.

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»Warte«, rief der Arkonide ihm zu. Der Roboter gehorchte. Atlan sprang von seinem Rücken herunter und eilte einige Meter weit in die Halle zurück.

Die Dalazaaren kamen. Troot erreichte den Arkoniden als erster.

»Keine Angst«, wiederholte der Arkoni­de. »Sleipnir gehorcht meinen Befehlen.«

Die Dalazaaren sahen Sleipnir und began­nen vor Furcht zu zittern. Atlans beruhigen­de Worte nutzten nur wenig.

»Wir lassen ihn vorangehen«, sagte der Arkonide schließlich. »Wir folgen ihm.«

Ein Teil der Halle brach zusammen. Don­nernd explodierte eine Maschine. Das gab den Ausschlag. Die Dalazaaren sahen eine Möglichkeit, dem Chaos zu entkommen, und sie nutzten sie. Aus dem Rauch und den Staubwolken drängten weitere Moondrager nach. Es waren jedoch nicht mehr viele.

Atlan trieb Sleipnir an, lief jedoch neben ihm her, während Razamon auf seinem Rücken blieb.

Sie kamen durch einen langen Gang zu ei­ner anderen Halle, in der noch nichts be­schädigt war. Auch hier standen zahlreiche Maschinen, die ebenfalls so fremdartig wa­ren, daß Atlan ihre Funktion nicht erkennen konnte. Hier war noch alles intakt.

Sleipnir näherte sich dem Zugang zu ei­nem Antigravschacht.

»Halt«, rief der Arkonide. »Kehre in die andere Halle zurück. Dort müssen noch Menschen sein. Rette sie. Schnell.«

Razamon sprang vom Rücken Sleipnirs. Dieser drehte sich um und galoppierte den Gang zurück. Die Dalazaaren wichen ihm ängstlich aus.

»Meinst du, daß wir es allein schaffen?« fragte Razamon zweifelnd.

»Wir werden es schaffen«, antwortete At­lan und ging entschlossen auf den Antigrav­schacht zu.

»Wenn Moondrag vernichtet wird, haben wir es allein ihm zu verdanken«, sagte Pan­pank haßerfüllt. »Wir sollten ihn umbringen. Er hat alles verdorben. Seitdem er in der Stadt ist, ist nur Unheil über uns gekom­

men.« »Sei still«, schrie Troot empört. »Warum?« fragte Pan-pank. Er blutete

aus einer Wunde am Kopf. »Er zerstört al­les. Kull-Koll Harxt ist tot. Die Schwarze ist tot. Unsere Freunde sterben dort hinten in der anderen Halle. Und er ist ein Freund Sleipnirs. Er ist ein Freund des Mörders. Be­greift ihr das nicht?«

Etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt explodierte ein kopfgroßes Gerät. Splitter flogen sirrend durch die Halle. Einer von ih­nen traf den Oberarm Panpanks. Dieser schrie gellend vor Schreck und Schmerz auf.

»Weiter«, rief Atlan. »Wir müssen nach oben. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«

Er drehte sich um und flüchtete zusam­men mit Fenrir und Razamon zum Antigrav­schacht. Die Dalazaaren folgten ihm, als ei­ne zweite Maschine explodierte.

Atlan nahm ein Werkzeug von der Wand und warf es in den Schacht. Es schwebte rasch nach oben davon. Der Arkonide stieg in den Schacht, wurde von dem Antigravfeld erfaßt und ebenfalls nach oben getragen. Fenrir, Razamon und Troot folgten ihm. Die anderen Dalazaaren hatten Angst. Sie moch­ten sich dem unsichtbaren Energiefeld nicht anvertrauen.

Doch dann brach das Chaos in der Halle aus. Maschinen explodierten, die Wände brachen auf. Teile der Decke stürzten ein. Die Moondrager drängten sich in heilloser Flucht in den Schacht, der ihnen den einzi­gen Ausweg bot.

»Moondrag wird vernichtet«, sagte Troot, der sich dicht neben Atlan befand.

»Es ist nicht meine Schuld«, entgegnete dieser. »Ich habe immer wieder davor ge­warnt, die Schaltungen zu bedienen. Einige von euch haben sich nicht darum geküm­mert.«

»Ich weiß«, sagte Troot betrübt. »Es ist nicht deine Schuld.«

Sie erreichten das Ende des Schachtes und wurden von einem seitlich wirkenden Kraft­feld herausgedrückt. Sie befanden sich in ei­nem großen Raum, der verschiedene Kunst­

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gegenstände und Sitzmöbel enthielt. Zahlrei­che Türen zweigten von ihm ab.

»Wo sind wir?« fragte Razamon. »Keine Ahnung«, antwortete Atlan. Er

ging zu einer Tür und öffnete sie. Er blickte in einen quadratischen Raum, dessen eine Seite mit Bildschirmen bestückt war. Er drehte sich um. Razamon war dicht hinter ihm. »Wenn mich nicht alles täuscht, sind wir in der Kuppel des Stadtjuwels.«

Neugierig drängten sich die Dalazaaren in den Raum. Atlan drückte einige Knöpfe und schaltete damit die Monitorschirme ein. Die Moondrager stöhnten entsetzt auf, als die Bilder auf den Schirmen erschienen.

Moondrag schüttelte sich wie unter einem Erdbeben, während in der Kuppel kaum et­was spürbar war. Die Gebäude der Stadt fie­len wie Kartenhäuser zusammen. An vielen Stellen brachen Brände aus, die sich rasend schnell verbreiteten. Das Holz der Hütten war staubtrocken und ging sofort in Flam­men auf.

»Das haben wir allein ihm zu verdanken«, sagte Pan-pank anklagend. Er griff nach ei­nem Messer und richtete es drohend auf At­lan. »Wäre er doch nie nach Moondrag ge­kommen.«

Troot stellte sich zwischen ihn und den Arkoniden.

»Wage es nicht, ihn anzugreifen«, sagte er. »Was weißt du denn schon? Du hast im­mer nur gelogen. Seit ich dich kenne, hast du nur Lügen erzählt. Zu Anfang habe ich dir geglaubt, aber das ist jetzt vorbei. Ver­schwinde, aber laß uns in Ruhe.«

Die anderen Dalazaaren zogen Pan-pank zurück, aber sie ergriffen nicht die Partei Troots. Atlan spürte deutlich, daß sich die Stimmung gegen ihn wandte. Die Moondra­ger waren nicht mehr in der Lage, klar zu unterscheiden. Sie hatten vergessen, in wel­chem Elend und unter welcher Drohung sie bisher gelebt hatten. Sie sahen nur, daß ihre Stadt in Schutt und Asche versank, und sie gaben Atlan die Schuld dafür.

Das war einfacher, als sich mit den wirkli­chen Ursachen zu befassen, die in ihnen

H. G. Francis

selbst lagen. Plötzlich erzitterte der Boden unter ihren

Füßen. Das Licht ging aus. Ein Bildgerät implodierte. Und dann schwankte der Boden so heftig, daß die Männer sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten. Fenrir win­selte erschreckt.

Atlan sprang auf. Seine Hand krallte sich in das Fell des Fenriswolfs.

»Führe uns nach draußen, Fenrir«, sagte er.

Eine Notbeleuchtung ging an. Sie erhellte den Raum nur wenig, reichte jedoch für eine erste Orientierung aus. Die Männer eilten aus dem Raum, während das Zittern und Be­ben des Bodens immer stärker wurde.

Als sie den Vorraum erreicht hatten, ex­plodierte in der Kuppel irgend etwas. Eine Wand stürzte in sich zusammen und gab einen langen Gang frei. Atlan kletterte über die Trümmer hinweg und lief den Gang ent­lang. Er sagte sich, daß dieser zur Peripherie der Kuppel führen mußte.

Fenrir jagte neben ihm her. Tatsächlich lag am Ende des Ganges ein

Schott. Es ließ sich leicht öffnen. Dichte Rauchwolken schlugen Atlan entgegen. Durch sie hindurch sah er Flammen, aber auch Häuser.

Er hatte den Ausgang erreicht. Er drehte sich um und rief den anderen

zu, daß sie zu ihm kommen sollten. Raza­mon hatte ihn schon fast erreicht. Troot, Pan-pank und Fengo-P waren dicht hinter ihm. Noch sieben andere Dalazaaren konn­ten sich bis zu Atlan vorankämpfen. Dann brach der Boden des Ganges weg, und ein glühender Schlund tat sich auf. Flammen und Trümmerstücke wirbelten in die Höhe.

Atlan und seine Begleiter hatten keine an­dere Wahl. Sie mußten die Kuppel verlas­sen. Sie konnten den zurückgebliebenen Dalazaaren nicht mehr helfen.

Sie rannten durch Flammen und Rauch von der Kuppel weg. Der Boden bebte so heftig, daß sie nirgendwo sicheren Halt fan­den. Breite Spalten bildeten sich. Brennende Häuser stürzten in sie hinein und verschwan­

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den in der Tiefe. Troot arbeitete sich an Atlan heran, pack­

te seinen Arm und schrie ihm zu: »Laß mich vorangehen. Ich kenne mich besser aus.«

Der Arkonide wußte nicht, wohin der ju­gendliche Dalazaare sie führen wollte, aber ihm blieb keine andere Wahl. Er mußte sich ihm anvertrauen.

*

Eine Stunde lang kämpften sich die Män­ner durch das brennende Moondrag voran, dann erreichten sie ein Gebiet, das relativ ru­hig war. Hier standen die Häuser nicht so dicht. Keuchend verharrten sie.

Die Gruppe war geschrumpft. Nun befan­den sich außer Razamon und Fenrir nur noch Pan-pank und Troot bei dem Arkoni­den. Fengo-P und die anderen waren irgend-wo zurückgeblieben.

»Wir sind weit vom Stadttor entfernt«, sagte Razamon.

»Hier sind wir sicherer«, entgegnete Troot.

Sie blickten von einer kleinen Anhöhe aus über Moondrag hinweg. Der Bereich, in dem die meisten Menschen gelebt hatten, war restlos zerstört. Kaum eine Hütte war ver­schont geblieben. Das Wohngebiet der Wohlhabenden bot kein so chaotisches Bild, obwohl die meisten Häuser auch hier in sich zusammengefallen waren.

»Wir müssen Moondrag verlassen«, sagte Atlan. »Wir müssen so schnell wie möglich zum Stadttor.«

»Ihr werdet bleiben«, erwiderte Pan-pank zornig.

»Sie dürfen nicht bleiben«, bemerkte Troot ruhig. »Der Zorn aller wird sich gegen sie richten. Dabei können sie nichts dafür, daß dies geschehen ist. Es ist nicht ihre Schuld. Außerdem sollten alle Bewohner von Moondrag im Grunde genommen froh darüber sein, daß dies passiert ist. Sieh doch, die Kuppel des Stadtjuwels existiert nicht mehr. Sleipnir und Mjöllnir liegen unter den Trümmern. Niemals mehr werden sie die

Bewohner von Moondrag mit Tod und Ver­nichtung bedrohen.«

»Wir hätten so mächtig werden können wie die Herren der FESTUNG«, erwiderte Pan-pank. »Wir hatten die Maschinen schon besetzt. Wenn wir Zeit gehabt hätten, einige Technos zu holen, dann wäre alles gut gewe­sen. Aber diese beiden Fremden haben es nicht zugelassen.«

Fenrir knurrte drohend. Atlan hielt ihn zu­rück.

»Verzeih«, bat Troot. »Sein Geist hat sich verwirrt.«

»Willst du uns zum Stadttor führen?« fragte der Unsterbliche.

»Gern«, antwortete der jugendliche Dala­zaare. Er warf Pan-pank einen verächtlichen Blick zu und eilte dann den Hügel hinunter. Atlan, Razamon und Fenrir folgten ihm. Pan-pank blieb trotzig zurück. Er blickte ih­nen mit funkelnden Augen nach. Seine Hand umklammerte das Messer in seinem Gürtel.

»Ich lasse euch nicht gehen«, sagte er lei­se. »Ihr kommt nicht ungeschoren davon.«

*

Der Weg durch die brennenden Stadtteile war mühselig und anstrengend. Immer wie­der mußten die drei Männer und der Wolf Umwege gehen, weil sie auf dem direkten Weg nicht weiterkamen.

Immer wieder stießen sie auf Tote und Verletzte. Sie konnten nicht helfen. Einige Male blieb Atlan dennoch bei den Trüm­mern einiger Häuser, um den Verletzten we­nigstens etwas Wasser zu reichen.

Razamon legte ihm schließlich mahnend die Hand auf die Schulter.

»Das können wir uns nicht leisten«, sagte er. »Es hilft nichts. Wir müssen vor diesem Elend die Augen verschließen. Wir können keine Verletzten versorgen. Die Bewohner von Moondrag müssen sich selbst helfen.«

Atlan sah ein, daß Razamon recht hatte. Von nun an drängte auch er auf Eile. Wie wichtig es für sie war, die Stadt schnell zu verlassen, zeigte sich, als sie sich dem Stadt­

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tor näherten. Sie stießen auf eine Gruppe von Menschen, die auf einem Platz zusam­menstand. Ein Kurode entdeckte sie.

»Dort sind sie«, schrie er. »Tötet sie. Sie sind schuld an unserem Unglück!«

Die Männer aus der Gruppe griffen sofort an. Sie nahmen Bretter und Steine und stürmten auf Atlan, Razamon und Troot zu. Fenrir wollte sich ihnen entgegenwerfen, aber der Arkonide rief ihn zurück. Sie flüch­teten durch die Trümmer weiter, und es ge­lang ihnen, die Verfolger abzuschütteln.

Wenig später erreichten sie die zusam­mengebrochene Kuppel des blinden Kull-Koll Harxt. Auch hier brannten fast alle Hüt­ten. Einige aber waren noch unzerstört.

Troot eilte zu einer Hütte und riß die Tür auf. Jubelnd streckte er die Arme hoch.

»Ich habe es gewußt«, rief er Atlan zu. »Hier ist noch ein Dadar!«

In der Hütte stand ein junges Reittier. Es trampelte verängstigt auf der Stelle und ver­suchte, seine Halsfesseln abzureißen.

»Damit könnt ihr aus der Stadt fliehen«, sagte Troot. Er band das Tier los. »Steigt auf und lenkt es zum Stadttor. Das Tier ist so schnell, daß ihr damit allen Verfolgern ent­kommt.«

Er zwang das Reittier in die Knie, so daß Atlan und Razamon auf seinen Rücken klet­tern konnten.

»Und du?« fragte der Arkonide. »Willst du nicht mit uns kommen?«

Troot schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier«, erklärte er. »Was soll

ich da draußen? Ich habe nur hier Freunde. Und das Leben wird besser werden in dieser Stadt, wenn das Feuer erloschen ist.«

Er lächelte. »Rette dich, Göttersohn«, sagte er, drehte

sich um und eilte davon. Atlan blickte ihm nach, bis er ihn nicht

mehr sehen konnte. »Hoffentlich kommen wir leichter durch das Tor hinaus, als wir hereingekommen sind«, sagte Razamon. »Zeit, es zu reparieren, haben wir jedenfalls nicht.«

Atlan trieb das Dadar an. Es stürmte

H. G. Francis

durch die brennenden Trümmer, und schon wenig später lag das Stadttor vor ihnen. Es stand halb offen. Davor rotteten sich jedoch ungefähr fünfzig Männer zusammen. Dro­hend hoben sie die Fäuste, als sie Atlan sa­hen. Einer von ihnen schoß auf den Arkoni­den. Die Kugel flog jaulend an seinem Kopf vorbei.

Razamon hieb dem Tier die Faust in die Flanke, um es zu größerer Eile anzutreiben. Das Dadar schrie auf und galoppierte mitten durch die Menge hindurch. Männerhände versuchten, die beiden Reiter zu packen und herabzuzerren, doch es gelang ihnen nicht.

Das Reittier stürmte durch das offene Tor hinaus. Fenrir blieb ihm auf den Fersen. Un­verletzt erreichten Atlan und Razamon den Pfad, der an der Bergflanke entlang in die Tiefe führte.

Hier wartete Pan-pank auf sie. Er kniete auf dem felsigen Boden. In den

Händen hielt er einen Bogen. Ein Pfeil lag auf der Sehne. Er spannte den Bogen und schoß. Atlan riß instinktiv den Kopf des Da­dars mit den Zügeln hoch. Der Pfeil bohrte sich dem Tier in die Kehle und fällte es.

Die beiden Männer flogen über den Kopf des Tieres hinweg. Sie stürzten auf den Fels­boden und rollten, vom Schwung getrieben, noch einige Meter weiter.

Pan-pank legte haßerfüllt den zweiten Pfeil auf die Sehne, spannte und schoß. Doch wiederum verfehlte er sein eigentli­ches Ziel. Fenrir verhinderte, daß er Atlan tötete. Er sprang den Schützen an und warf ihn um, so daß der Pfeil fast senkrecht in die Höhe stieg.

Atlan sprang auf und warf sich auf Pan­pank. Er sah, daß der Dalazaare keinen Pfeil mehr hatte. Er zog ihm das Messer aus dem Gürtel und schleuderte es weit von sich. Dann ließ er ihn los.

Pan-pank richtete sich zitternd auf. Sein Gesicht war bleich. Blanker Haß schlug aus seinen Augen dem Arkoniden entgegen.

»Geh zurück in die Stadt, die du so lie­bst«, befahl Atlan. »Laß uns in Ruhe. Und versuche nicht, uns zu folgen. Der Wolf

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würde dich zerreißen.« Knurrend näherte sich Fenrir dem Dala­

zaaren. Dieser wandte sich um und flüchtete den Pfad zurück nach Moondrag.

Atlan hielt den Fenriswolf zurück. Raza­mon tippte das tote Dadar mit dem Fuß an.

»Es wäre so schön gewesen, wenn wir hätten reiten können«, sagte er bedauernd. »Daraus wurde leider nichts.«

Atlan ging wortlos den Felspfad hinunter. Razamon und Fenrir folgten ihm. Ab und zu drehten sie sich um, um sich davon zu über­zeugen, daß niemand Jagd auf sie machte.

Wolken zogen auf. »Es wird ein Gewitter geben. Vielleicht

kommt auch Regen und löscht die Flam­men«, sagte Razamon.

»Ja, es wird ein Gewitter geben«, stimmte Atlan zu. »Aber dieses Mal wird Sleipnir nicht erscheinen. Er wird nie mehr kom­men.«

ENDE

E N D E