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A. Hackstein · H. Sudowe (Hrsg.) Handbuch Leitstelle Strukturen Prozesse Innovationen

Handbuch Leitstelle

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Ohne Leitstelle keine gezielte Rettung!So knapp kann man die wichtigePosition beschreiben, die eine Leitstellein der Rettungskette einnimmt.Achim Hackstein, Hendrik Sudoweund ihr Team von Fachautoren legennun ein umfassendes Werk zu diesemThema vor. Sie beschreiben denArbeitsplatz als solchen, erläuternQualitätsmanagement und Wirtschaftlichkeit,die Einsatzvorplanungund den Kernprozess der Notrufabfrage.Das Team beleuchtet Themen wieFunk- und Kommunikationssystemesowie Rechtsfragen anhand realitätsnaherBeispiele. Auch ein Blick ueber dieGrenzen fehlt hier nicht. Das »HandbuchLeitstelle« dient mit Planungshilfender Projektunterstuetzung, alsRatgeber fuer die tägliche Arbeit in derLeitstelle und als Argumentationshilfein Verhandlungen mit Kostenträgernund weiteren Schnittstellen. Ein Buchfuer Disponenten, solche, die es werdenwollen, und alle, die mit Leitstellen zutun haben!

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Page 1: Handbuch Leitstelle

A. Hackstein · H. Sudowe (Hrsg.)

Handbuch LeitstelleHandbuch LeitstelleStrukturen – Prozesse – InnovationenStrukturen – Prozesse – Innovationen

ISBN 978-3-938179-75-8 · www.skverlag.de

Handbuch Leitstelle

A. Hackstein

H. Sudow

e (Hrsg.)

Ohne Leitstelle keine gezielte Rettung!So knapp kann man die wichtige Position beschreiben, die eine Leit-stelle in der Rettungskette einnimmt. Achim Hackstein, Hendrik Sudowe und ihr Team von Fachautoren legen nun ein umfassendes Werk zu die-sem Thema vor. Sie beschreiben den Arbeitsplatz als solchen, erläutern Qualitätsmanagement und Wirt-schaftlichkeit, die Einsatzvorplanung und den Kernprozess der Notrufabfra-ge. Das Team beleuchtet Themen wie

Funk- und Kommunikationssysteme sowie Rechtsfragen anhand realitäts-naher Beispiele. Auch ein Blick über die Grenzen fehlt hier nicht. Das »Hand-buch Leitstelle« dient mit Planungs-hilfen der Projektunterstützung, als Ratgeber für die tägliche Arbeit in der Leitstelle und als Argumentationshilfe in Verhandlungen mit Kostenträgern und weiteren Schnittstellen. Ein Buch für Disponenten, solche, die es werden wollen, und alle, die mit Leitstellen zu tun haben!

A. Hackstein · H. Sudowe (Hrsg.)

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Handbuch Leitstelle

Strukturen – Prozesse – Innovationen

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Handbuch Leitstelle

Strukturen – Prozesse – Innovationen

Herausgeber: AchimHackstein HendrikSudowe

Autoren: StephanBandlow-Hoyer Jens-ChristianPetri Dr.rer.medic.André-MichaelBaumann ChristianPorst Dr.med.JakobChristophBernlochner RenéPurgay GünterBildstein MarianRamakers Dr.med.JanBreckwoldt ChristophRedelsteinerPhD VolkerClausen AchimReineke DietmarEtterich MichaelRichartz RobertFrey UweRühl RainerGerstenberg Dr.Ing.DieterScheuschner ThijsGras JürgenSchreiber AnjaHennes ChristianSchulze VerenaJungnickel HansSchwaderer ManuelaLanger SusannaM.E.Sellin SonjaLebensky BerntSenarclensdeGrancy Dr.med.HartwigMarung DanielSievers AstridMeier KristofSpeer Dr.med.AndreasMennewisch RolfStrobel SachaMünster IlkaZerche TorstenNiederquell

Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2010

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Page 4: Handbuch Leitstelle

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© Copyright by Verlagsgesellschaft Stumpf und Kossendey mbH, Edewecht, 2010Satz: Michael Haas, www.montalibros.euDruck: Media-Print, Paderborn

ISBN 978-3-938179-75-8

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˘ Inhalt

InhaltAbkürzungen .................................................................................................................................9

Vorwort ........................................................................................................................................ 14

1 Die Gegenwart – eine Bestandsanalyse ........................................................... 15

2 Leitstellenformen ................................................................................................. 21

2.1 Integrierte Leitstelle ................................................................................................... 23

2.2 Integrierte Regionalleitstelle ................................................................................... 24

2.3 Kooperative Regionalleitstelle ................................................................................. 26

2.4 Leitstellen der Polizei .................................................................................................. 29

2.5 Leitstellen der Werkfeuerwehr ................................................................................ 31

2.6 Der Kassenärztliche Notfalldienst in der Leitstelle ............................................ 34

2.7 Leitstellen in der Luftrettung – Rega ...................................................................... 35

2.8 Leitstellen im Intensivtransportdienst .................................................................. 39

2.9 Beispiel: Malteser Service Center ............................................................................ 41

3 Arbeitsplatz Leitstelle .......................................................................................... 49

3.1 Richtlinien und Normen ............................................................................................ 51

3.2 Ergonomie in Leitstellen ............................................................................................ 54

3.3 Stressbelastung / Stressoren / Stressreduktion .................................................. 61

3.4 Arbeitsplatz Leitstelle – spezielle Arbeitskomponenten ................................... 69

4 Qualitätsmanagement ........................................................................................ 73

4.1 Anforderungen an ein QM-System in Leitstellen ................................................ 75

4.2 Aufbau eines QM-Handbuches für die Leitstelle ................................................ 80

4.3 Musterprozessbeschreibungen ............................................................................... 84

4.4 QM-Beauftragter ......................................................................................................... 89

5 Kernprozess Notrufabfrage ................................................................................ 91

5.1 Notruf – der erste Kontakt zur Einsatzstelle: Wie funktioniert »Handeln am Telefon«? ............................................................. 93

5.2 Standardisierte Notrufabfrage – ein Fremdwort in Leitstellen? ..................... 99

5.3 Leitlinien oder Protokolle zur Notrufabfrage ..................................................... 106

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Page 6: Handbuch Leitstelle

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˘ Inhalt

5.4 StandardisierteNotrufabfrageamBeispielNOAS........................................... 110

5.5 StandardisierteNotrufabfrageamBeispielAMPDS™..................................... 115

5.6 Erste-Hilfe-HinweisedurchdenDisponenten–Erfahrungen....................... 120

5.7 Telefonreanimation–eineneueAufgabefürLeitstellendisponenten........ 125

5.8 Beispiel:LeitstelleinStralsund.............................................................................. 131

5.9 KonflikteundKonfliktvermeidung....................................................................... 135

5.10 GesprächsführunginbesonderenSituationen................................................. 139

6 PersonalinIntegriertenLeitstellen................................................................. 145

6.1 GrundsätzlicheAnforderungenanLeitstellendisponenten........................... 147

6.2 GrundsätzlicheAnforderungenanFührungskräfteinLeitstellen................ 149

6.3 Musterstellenbeschreibung»Leitstellendisponent«....................................... 151

6.4 Musterstellenbeschreibung»Lagedienstführer«............................................. 153

6.5 Musterstellenbeschreibung»Systemadministrator«...................................... 156

6.6 Musterstellenbeschreibung»LeiterderLeitstelle«.......................................... 158

6.7 RolleundAufgabendesÄrztlichenLeitersRettungsdienstinderLeitstelle.......................................................................................................... 160

7 Aus-undFortbildung.........................................................................................163

7.1 GesetzlicheForderungen........................................................................................ 165

7.2 AnforderungenandieAusbildungsinhalte........................................................ 171

7.3 KonzepteinerleitstellenspezifischenAusbildung........................................... 176

7.4 HandlungsorientierunginderDisponentenausbildung................................ 184

8 Einsatzvorplanung.............................................................................................191

8.1 ZusammenarbeitmitanderenOrganisationen................................................ 193

8.2 AufbaueinerAlarm-undAusrückeordnung...................................................... 198

8.3 KoordinationvonLuftrettungseinsätzen–RescueTrack®.............................. 203

8.4 BesondereLage:MassenanfallvonVerletzten.................................................. 207

8.5 BesondereLage:TerrorismusundgewaltsameAnschläge............................ 209

8.6 BesondereLage:Unwetter...................................................................................... 212

8.7 BesondereLage:Amoklauf..................................................................................... 214

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Page 7: Handbuch Leitstelle

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˘ Inhalt

9 Funk-undKommunikationssysteme.............................................................. 217

9.1 Notrufabfragesysteme............................................................................................ 219

9.2 Redundanzsysteme–wasistwirklichsinnvoll?................................................ 222

9.3 NeuplanungvonLeitstellen/Ausschreibungsverfahren............................... 227

9.4 DigitalfunkinDeutschland.................................................................................... 231

9.5 VernetzungvonLeitstellen..................................................................................... 233

10 EDV-gestützteEinsatzbearbeitung................................................................. 237

10.1 AnforderungenandieSoftware............................................................................ 239

10.2 AnforderungenandieHardware.......................................................................... 246

10.3 IntegrationindieLeitstellenumgebung(Schnittstellen)............................... 249

10.4 VisuelleDarstellungsmöglichkeitenderInformationen................................ 259

10.5 GeografischeInformationssystemeinLeitstellen............................................ 262

11 WirtschaftlichkeitderLeitstelle....................................................................... 265

11.1 LeitstellenausSichtderKostenträger................................................................. 267

11.2 ErmittlungderKennzahlenzurWirtschaftlichkeit........................................... 270

11.3 PersonalbemessungundDienstplangestaltung.............................................. 273

11.4 EDV-gestützteDienstplangestaltung.................................................................. 277

11.5 ZusammenlegungvonLeitstellen........................................................................ 281

11.6 ZusammenlegungderMitarbeiter–ÄngsteundKonflikte........................... 288

11.7 Musterprojektplan»Leitstellenzusammenlegung«........................................ 291

12 TeamResourceManagement...........................................................................293

12.1 RisikomanagementsystemeinLeitstellen.......................................................... 295

12.2 WasisteinFehler?–EntscheidungsfehlerinderLeitstelle............................ 301

12.3 CIRS–FehleralsChancederOptimierung......................................................... 306

12.4 TeamResourceManagementinderLeitstelle................................................... 310

13 RechtsfragenderLeitstelle............................................................................... 315

13.1 Strafrecht..................................................................................................................... 317

13.2 Haftungsrecht............................................................................................................ 329

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Page 8: Handbuch Leitstelle

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˘ Inhalt

14 FallbeispieleundEinsatzabläufe..................................................................... 337

14.1 AbsturzvonBrücke................................................................................................... 339

14.2 EinsatzBrandmeldeanlage..................................................................................... 342

14.3 VerkehrsunfallmitzweiverletztenPersonen.................................................... 344

14.4 EinsatzWohnungsbrand......................................................................................... 345

15 BlicküberdieGrenzen....................................................................................... 347

15.1 SanitätsnotrufzentraleninderSchweiz.............................................................. 349

15.2 RettungsleitstelleninBelgien................................................................................ 352

15.3 EinsatzzentralenindenNiederlanden................................................................ 356

15.4 LeitstellenverbundEuregioMaas-Rhein............................................................. 364

15.5 LeitstellenstruktureninDänemark...................................................................... 366

15.6 EinsatzzentraleninÖsterreich............................................................................... 370

16 DieZukunft–VisionenundIdeen................................................................... 375

16.1 Leitstellenformen...................................................................................................... 377

16.2 Leitstellenräume........................................................................................................ 378

16.3 Leitstellentechnik...................................................................................................... 379

16.4 Leitstellendisponenten............................................................................................ 379

16.5 Leitstellenqualität..................................................................................................... 380

16.6 Leitstellenaustausch................................................................................................ 380

Anmerkungen.......................................................................................................................... 382

Literatur..................................................................................................................................... 386

Abbildungsnachweis.............................................................................................................. 393

HerausgeberundAutoren.................................................................................................... 394

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1 Die Gegenwart – eine Bestandsanalyse

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Gestatten … Altmann, Rolf-Eckhardt Altmann, genannt Rölfi, Leitstellendisponent! 28 Jahre, ledig. Nach Ausbildungen zum Elektriker, Feuerwehrmann und Rettungsassistenten hat es mich in die Leitstelle gezogen. Zwar haben viele meiner Kollegen gesagt »Lass das. Dafür bist du noch zu jung.«, aber ich finde, dass das mit dem Alter überhaupt nichts zu tun hat, son-dern dass Leitstellenarbeit eine Schlüsselstelle in unserem Rettungsdienst- und Feuerwehrsy-stem ist. Leider wird das vielerorts nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Zum Beispiel musste ich nach meiner Ausbildung zum Rettungsassistenten eine staatliche Abschlussprü-fung ablegen. Es gab eine Unmenge von Literatur, die sich mit allen Facetten des Berufes be-schäftigt hat, zahlreiche Fortbildungsangebote, berufsspezifische Strategien zur Stressbewäl-tigung, Algorithmen zur Bearbeitung häufiger Einsätze und so weiter. Das alles gibt es für uns Leitstellendisponenten nicht oder nur hier und da. Und weil das so ist, habe ich natürlich sofort »ja« gesagt, als ich gefragt wurde, ob ich an diesem Buch mitwirken möchte, das sich umfassend mit allen Aspekten meiner Tätigkeit auseinandersetzt. Wir sehen uns also … – oh, es klingelt. Da kommt gerade ein Notruf herein. Ich muss arbeiten. Bis später!

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1 ˘ Die Gegenwart – eine Bestandsanalyse

A.Hackstein,D.Sievers

»Wer neue Wege gehen will, muss alte Pfade verlassen.« Manfred Grau

Um über mögliche neue Wege nachdenken zu können, sollte man sich vorerst den alten Pfaden widmen. In einer Art Bestandsanalyse folgt zunächst ein Blick auf das, was eine Leitstelle der Gegenwart ausmacht. Es scheint, als sei die Leitstellenlandschaft bereits im Aufbruch. Doch der Aufbruch erinnert an einen Ameisenhaufen, es sieht so aus, als »ko-che« jeder einzelne Leitstellenträger oder – allenfalls ansatzweise gemeinschaftlich – je-des Bundesland »sein eigenes Süppchen«.

Die Leitstellenlandschaft ist groß, es gibt Leitstellen in verschiedenen Ausführungen, Formen und sogar bunten Farben. So sind folgende Leitstellen unter einem Dach: Ret-tungsleitstellen für den Rettungsdienst, Feuerwehrleitstellen oder Alarmzentralen der Feuerwehr, Integrierte Leitstellen für Feuerwehr und Rettungsdienst gemeinsam, Integ-rierte Regionalleitstellen, die mehrere Einsatzbereiche, Städte oder Landkreise abdecken, virtuell vernetzte Leitstellen sowie die »Bunten Leitstellen«, Zusammenschlüsse von Ret-tungsdienst, Feuerwehr und Polizei. Die einen werden von einer großen Hilfsorganisation betrieben, andere von einer Stadt oder einer Berufsfeuerwehr, wieder andere unterstehen dem Ordnungsamt einer Kommune, manche sind teils in kommunaler und teils in polizei-licher Hand.

In einer wirtschaftlich schwierigen Zeit, in der zahlreiche Unternehmen den Schulter-schluss suchen, um überlebensfähig zu bleiben, wird es im Gegensatz dazu im Rettungs- und Feuerwehrwesen weiterhin Leitstellen geben, in denen lediglich ein Mitarbeiter sei-

Abb. 1 ˘ SIMOS – Leitstelle für Sicherheit und Mobilität Stuttgart

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1 ˘ Die Gegenwart – eine Bestandsanalyse

nen Dienst verrichtet. Dieser gerät immer dann an seine Grenzen, wenn der nicht seltene Fall eintritt, dass zwei Notrufe zugleich signalisiert werden. Der eine Notruf wird ange-nommen, der andere läuft ins Leere. Hat der Anrufer Glück, bestätigt ihm wenigstens eine freundliche Bandansage, dass er richtig gewählt hat. Zu seinem Pech ist er nur leider zum falschen Zeitpunkt in Not geraten und ein anderer Anrufer war schneller: »Leider sind alle (!) Abfrageplätze belegt« – oder so ähnlich heißt es dann. Wer als Einwohner in die-sem Leitstellenbereich von einer Chancengleichheit beim Notruf ausgeht, irrt sich somit. Viel bedeutender als die auf hohem Qualitätsniveau agierende Leitstelle eines sich stetig weiterentwickelnden Rettungs- und Feuerwehrwesens scheint für den einen oder ande-ren Bürgervertreter das Festhalten an gewohnten Strukturen zu sein. Das gipfelt darin, die »eigene« Leitstelle um jeden Preis und fernab sachlicher Argumente gegen »Zusammenle-gungspläne« mit Leitstellen benachbarter Regionen »verteidigen« zu müssen.

Immerhin ist die Notrufnummer seit vielen Jahren gleich. Doch stimmt das wirklich? Theoretisch ja, bereits seit 2004. Damals hatten sich alle Mitgliedsländer der Europäischen Union dazu verpflichtet, die Telekommunikationsgesetze zu novellieren und die in ganz Europa einheitliche Notrufnummer 112 einzuführen. Das wurde auch in fast allen Bun-desländern umgesetzt. Nur in Baden-Württemberg nicht. Dort wurden die Träger der In-tegrierten Rettungsleitstellen erst 2007 durch das Sozialministerium angewiesen, unver-züglich die 112 anstelle der 19 222 als rettungsdienstliche Notrufnummer zu propagieren. So heißt es in den »Reiseinformationen für Stuttgart und Deutschland«1 noch im Januar 2010 unter dem Abschnitt »Notrufnummern und ärztliche Versorgung«: Rettungsdienst und Krankentransport: 19 222.

Bei so vielen Unterschieden in den Leitstellenstrukturen hier im Rahmen der knap-pen Bestandsanalyse noch ein Blick hinter den Leitstellentisch: Die Kernaufgaben sind für jede Leitstelle identisch. Die Gleichartigkeit gilt aber nicht für das spezifische Anfor-derungsprofil, die Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt die Vergütung des Leitstellendis-ponenten. Dabei werden doch gerade in der Leitstelle die Einsatz entscheidenden Weichen gestellt. Entstammt der Disponent der Berufsfeuerwehr, ist er zumeist Beamter im mittle-ren feuerwehrtechnischen Dienst. Ist der Leitstellenträger die Kommune, ist er Angestell-ter im öffentlichen Dienst. Bei einer Hilfsorganisation mag das wiederum anders sein. Der eine ist Rettungssanitäter, aber immerhin Gruppenführer seiner Freiwilligen Feuerwehr, der andere Rettungsassistent und Hauptbrandmeister – es gibt diverse Qualifikationsva-rianten in unseren Leitstellen. Ein kleiner Lichtblick: Ein gewisser Rahmen wird durch das jeweilige Rettungsdienst- und Brandschutzgesetz vorgegeben, aber dennoch: Von einer bundesweiten und richtungsweisenden Zielsetzung fehlt nicht nur in der Politik jede Spur. In anderen Fällen wird die Leitstelle als ein Auffangbecken für einsatzdienstuntaugliche Beamte angesehen, die eigentlich kein wirkliches Interesse an dieser Tätigkeit haben. Da-bei braucht gerade die Leitstelle hervorragend ausgebildete Fach- und Spezialkräfte. Und hat nicht jeder Mensch das Recht darauf, ortsunabhängig die immer gleiche Hilfeleistung auf höchstem fachlichem Niveau zu erhalten? Die Notwendigkeit eines einheitlich hohen Qualitätsniveaus ergibt sich aus den besonderen Kernaufgaben der Leitstellen: Kein ande-res Glied der Rettungskette ist mit jedem Teil des Einsatzes so fest verzahnt wie die Leit-stelle. Der Disponent entscheidet während der Entgegennahme des Notrufes auf Grund-

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Page 13: Handbuch Leitstelle

4 Qualitätsmanagement

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Page 14: Handbuch Leitstelle

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4 ˘ Qualitätsmanagement

mentation kann in jeder Art und Form von Medien realisiert sein. Neben Papier kommt (fast) jede elektronische Form infrage. Die Dokumentation muss angemessen sein, sowohl in Art und Umfang als auch in ihrer Ausführlichkeit. Am besten lässt sich das mit folgen-dem Test beurteilen: Ein neuer Mitarbeiter wird mit der Dokumentation konfrontiert. Kann er die Zusammenhänge nachvollziehen? Sind alle Punkte so beschrieben, dass er oh-ne »geheimes Insiderwissen« die Grundprinzipien versteht und Handlungen gemäß der Forderungen vornehmen kann?

4.2.2 Dokumentation lohnt sich

Ein gelebtes und in der Leitstelle verankertes Qualitätsmanagementsystem bedeutet keinen oder nur einen geringen zusätzlichen Aufwand. Qualitätsmanagement verschmilzt mit dem täglichen Handeln, eine Leitstelle zu führen und auf das Erreichen von Zielen auszurichten.

4.3 MusterprozessbeschreibungenU. Rühl

Prozesse sind in aller Munde. Geschäftsprozesse, Prozessmanagement, Prozessverantwort-liche – viele Schlagwörter kursieren durch die Fachmedien und durch Fortbildungen. Da-neben stehen andere Begriffe, die vom Grunde her das Gleiche oder zumindest sehr Ähnli-ches meinen: Standing Orders, Verfahrensbeschreibung, Flussdiagramm, Flowcharts usw. Bevor wir uns auf Prozesse und Prozessbeschreibungen einlassen, sollten wir den Begriff »Prozess« näher beleuchten.

Act (Handeln) Lage beurteilen

Plan (Planen) Planung

Do (Durchführen) Befehl geben

Check (Überprüfen) Kontrollieren

PDCA-Zyklus nach Demming Führungskreislauf

Abb. 3 ˘ PDCA-Zyklus

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4 ˘ Qualitätsmanagement

4.3.1 Was kennzeichnet einen Prozess?

Ein Prozess wird durch einige Parameter gekennzeichnet:

Welche Eingaben zum Pro-zess gibt es? Das heißt, was kommt vor dem Prozess, wel-che Person oder welcher andere Prozess liefert etwas, das weiter bearbeitet werden soll? Was ist das erwartete Ergebnis des Pro-zesses? Was folgt nach dem Pro-zess? Wer ist verantwortlich für den Gesamtprozess und für ein-zelne Prozessschritte? Welche Werkzeuge, Methoden, Mittel und Informationen werden be-nötigt, um den Prozess zu ermöglichen (Ressourcen)? Wie kann bewertet werden, ob der Prozess richtig funktioniert und ob er die erwarteten Ergebnisse liefert (Prozesskennzah-len)? Diese Fragen müssen für jeden »guten« Prozess beantwortet werden können. Prozes-se sind verkettet und greifen ineinander über.

Ein Prozess wird gerne mit einem Ablaufschema dargestellt, das genormte Symbo-le verwendet. Dafür gibt es unterschiedliche Standards. Die seit Mitte der 60er Jahre ge-bräuchlichste und für Leitstellen gut geeignete Form zeigt Abbildung 4.

4.3.2 Was kennzeichnet Leitstellenprozesse?

Auf der obersten Ebene einer Organisation und damit auch einer Leitstelle sollte eine Pro-zesslandkarte existieren. Diese Prozesslandkarte stellt überblickartig die wichtigsten Pro-zesse nach einer Dreifach-Gliederung dar.

Managementprozesse (oder Führungsprozesse) enthalten alle Schritte, die nötig sind, um eine Organisation zu lenken, zu leiten und zu führen. Hier wird die Anforderung der Kunden ermittelt, bewertet und in Qualitätspolitik und Qualitätsziele umgesetzt. Weiter werden Aufbau- und Ablauforganisation definiert sowie Fragen des Personalmanage-ments bearbeitet. Die untere Ebene stellt die Unterstützungsprozesse (oder Stützprozesse) dar, die dazu benötigt werden, alle erforderlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, da-mit eine Leitstelle betriebsbereit zur Verfügung stehen kann. Die mittlere Ebene stellen dann die Kern- oder Geschäftsprozesse dar. Dies sind die Schritte, die den Kundenanfor-derungen folgen und zur Kundenzufriedenheit führen sollen. In einem Wirtschaftsunter-nehmen wären diese Prozesse dadurch gekennzeichnet, dass hier die so genannte Wert-schöpfung stattfindet. Dafür zahlt der Kunde primär. Für Leitstellen bedeutet dies, dass hier alle direkten Kerndienstleistungen ablaufen. Zu diesen Kernprozesschritten müssen einige zentrale Fragen von strategischer Bedeutung vorab geklärt sein:

Ende

manuelle Verarbei-

tung

Dokument

DokumentDokumentDokumente

manuelle Eingabe Daten

Prozessschritt

Abb. 4 ˘ Ablaufdiagrammsymbole

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4 ˘ Qualitätsmanagement

1. Notrufannahme – welche Eingangswege für Notrufe gibt es (Telefon, Fax, SMS, E-Mail, Gefahrenmeldeanlage usw.)? Welche Zuständigkeiten sind definiert? Nach welchen Organisationsstrukturen wird gearbeitet?

2. Meldebilderbearbeitung – welche Vorgaben und Strukturen bestehen für die Gesprächsführung und Meldebilderbearbeitung (strukturierte Notrufabfrage, Schlüsselfragenkataloge usw.)? Welche Ergebnisse, welche Mindestdatensätze werden erwartet?

3. Auswahl von Einsatzmitteln – welche Dispositionsstrategien bestehen? Welche Einsatzmittel sind wann und wo verfügbar? Welche Einsatzmittelketten sind definiert und in Alarm- und Ausrückeordnungen festgelegt?

4. Alarmierung – auf welchen Wegen wird alarmiert? Wie sehen Eskalationsme-chanismen aus, wenn Alarme nicht erfolgreich ausgesendet werden konnten (»Nachalarmierung«)? Welche Rückfallebenen gibt es für die Alarmierung?

5. Einsatzweitergabe – mit welchen Medien und mit welchen definierten Inhalten werden Einsatzaufträge weitergegeben? Wer braucht welche Informationen?

6. Dokumentation – was wird wie dokumentiert? Welche Dokumentationsergeb-nisse müssen für Externe aufbereitet werden (z. B. Abrechnungsdaten)?

7. Einsatzbegleitung – welche Maßnahmen werden ergriffen, um Einsätze zu be-gleiten? Welche Sondermaßnahmen werden in besonderen Lagen ergriffen (ge-fährliche Stoffe und Güter, Lagebilddarstellung, Zusammenarbeit mit Einsatz-leitungen und Stäben usw.)?

Kund

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Kund

en/i

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Ständiger Verbesserungsprozess

Unterstützungsprozesse

Personalmanagement Ressourcen und Verwaltung

Einsatzleitsystem / Flottenmanagement

Informations- und Wissensmanagement

technische Anbindungen managen

Management- oder Führungsprozesse

Beziehungsmanagement Zielenormatives und strategi-sches Management

Aufbau- und Ablauf-organisation Personalentwicklung

Störungs- und Notfallmanagement

Notrufan-nahme

Erarbei-tung Meldebild

Auswahl Einsatz-mittel

Alarmie-rung

Einsatz- weiter-gabe

Doku-menta-tion

Bearbeitung sonstiger Anfragen, Lagebild, begleitende Maßnahmen

Abb. 5 ˘ Prozesslandkarte

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Page 17: Handbuch Leitstelle

5 Kernprozess Notrufabfrage

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Page 18: Handbuch Leitstelle

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5˘ Kernprozess Notrufabfrage

Praxisbeispiel 1:Ein jüngerer Mann meldet der Leitstelle, seine Freundin sei leblos zusammengebro-chen. Der Disponent entsendet sofort RTW und NEF. Diese treffen nach acht Minuten am Notfallort ein; die Besatzungen finden eine 29-jährige Frau mit bekannten Herzrhyth-musstörungen (WPW-Syndrom) reanimationspflichtig vor. Nach dreißigminütiger Re-animation kann der Kreislauf der Patientin wiederhergestellt werden. Sie wird auf die kardiologische Intensivstation einer nahe gelegenen Klinik der Maximalversorgung ein-geliefert und verstirbt dort trotz sofort eingeleiteter Hypothermie-Behandlung nach zwei Tagen an den Folgen eines hypoxischen Hirnschadens.

Praxisbeispiel 2:Eine 34-jährige Frau kollabiert am Arbeitsplatz vor den Augen ihres Chefs. Dieser setzt den Notruf ab und wird vom Disponenten der Leitstelle umgehend in Maßnahmen der kardiopulmonalen Reanimation angeleitet. Ein Physiotherapeut aus einem nebenan ge-legenen Fitnessstudio unterstützt die Maßnahmen. Die elf Minuten nach dem Notruf eintreffenden Rettungskräfte können die Patientin zügig stabilisieren. Im Anschluss an Krankenhausaufenthalt und Rehabilitation kehrt die Patientin ohne neurologische Fol-geschäden an ihren Arbeitsplatz zurück.

5.7.1 Warum Telefonreanimation?Die weltweit gültigen Empfehlungen zur kardiopulmonalen Wiederbelebung werden regelmäßig überarbeitet. Ein bedeutsamer Anstieg der Entlassungsraten nach präklini-schem Kreislaufstillstand wurde trotz intensiver Bemühungen in den letzten Jahren bis-her nicht erreicht. Entscheidend für das Überleben eines Betroffenen ist, ob der Kreislauf-stillstand beobachtet wird, Anwesende die Reanimation einleiten und bei Eintreffen des Rettungsdienstes Kammerflimmern vorliegt. In den ERC-Leitlinien aus dem Jahr 2005 wird ausgeführt, dass die Zahl der Überlebenden nach Kreislaufstillstand durch Ersthelfer-Reanimation verdoppelt bis verdreifacht werden kann. Keine andere Maßnahme ist der-artig effektiv.

Ziele der Ersthelfer-Maßnahmen sind es, überbrückend für eine Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff zu sorgen und durch eine ausreichende Durchblutung des Herzmuskels das prognostisch günstige Kammerflimmern aufrechtzuerhalten.

Die Auswertung des deutschen Reanimationsregisters für das Jahr 200826 zeigt, dass nur bei jedem sechsten Patienten mit Kreislaufstillstand Wiederbelebungsmaßnahmen durch Laien eingeleitet wurden und das, obwohl der Kreislaufstillstand in 70 % der Fälle beob-achtet worden war. Erste-Hilfe-Kurse scheinen diese Lücke nicht schließen zu können, denn in den meisten Fällen geschieht die Notfallsituation im häuslichen Umfeld der Pa-tienten und fast immer sind es die anwesenden Ehepartner oder andere Familienangehö-rige, die das Ereignis melden. In der Regel verfügen diese aber nur über geringe Erste-Hil-fe-Kenntnisse. Untersuchungen in den achtziger und neunziger Jahren aus den USA und

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aus Deutschland27a + b haben gezeigt, dass es möglich ist, medizinische Laien auch in der Situation eines gravierenden medizinischen Notfalls in angemessener Zeit zu Maßnah-men der kardiopulmonalen Reanimation anzuleiten. Für den Behandlungserfolg scheint es keinen Unterschied zu machen, ob die Anrufer über Vorkenntnisse in Erster Hilfe verfü-gen oder nicht. Ob es sinnvoll ist, Laien am Telefon auch in Mund-zu-Mund-Beatmung an-zuleiten oder sich auf die Herzdruckmassage zu beschränken, ist noch nicht abschließend geklärt. In den wenigen vorliegenden Untersuchungen28 war die alleinige Druckmassa-ge effektiver. Außerdem konnte die Anleitung schneller abgeschlossen werden und die Hemmschwelle für Anrufer, eine Beatmung durchzuführen, scheint höher zu sein als für die alleinige Thoraxkompression. Alle zu diesem Thema durchgeführten Studien29a, b, c zei-gen, dass die Telefonreanimation dazu beiträgt, die Überlebenschancen der Betroffenen deutlich zu erhöhen (nach Rea et al. 2001: Krankenhaus-Entlassungsrate nach Telefonre-animation 18,7 % vs. 12.8 % ohne Telefonreanimation => 40 % höher; nach Kuisma et al. 2005: Entlassungsraten bei Patienten mit Kammerflimmern 43,1 % vs. 31,7 %). Die manch-mal geäußerte Sorge, dass hierdurch vor allem die Zahl der Patienten mit einer schlechten Hirnfunktion (»apallisches Syndrom«) steigt, hat sich in keiner dieser Untersuchungen be-stätigt. Diese Daten stammen vor allem aus den USA und Skandinavien. Untersuchungen aus Deutschland zu diesem Thema sind dringend erforderlich. Die zunehmende Verbrei-tung von Systemen zur standardisierten Notrufabfrage, die in der Regel die Anleitung zur Telefonreanimation enthalten, kann hierfür den Weg ebnen.

5.7.2 Rechtliche Aspekte

Laut M. R. Ufer30, Vorsitzender Richter am VG Hannover, ist die Gabe von Anleitungen zur Reanimation durch Disponenten grundsätzlich zulässig. Folgende Voraussetzungen müs-sen dafür erfüllt sein:

geschulte Disponenten˘˘ausreichende personelle Besetzung˘˘ausreichende technische Ausstattung˘˘ärztliche Qualitätskontrolle.˘˘

Ausreichend sind die personelle Besetzung und technische Ausstattung dann, wenn der Disponent, der den Notruf angenommen hat, die Zuteilung und Alarmierung von RTW und NEF ohne Verzögerung an einen anderen Platz abgeben kann. Er selbst behält den Anrufer in der Leitung und leitet diesen an. Der umgekehrte Weg (der Anrufer wird an einen anderen Disponenten verwiesen) hat sich nicht bewährt, weil viele Anrufer durch den Wechsel des Gesprächspartners irritiert werden oder sogar auflegen. Die Etablierung eines Konzepts zur Reanimation am Telefon sollte durch den jeweiligen Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) in enger Abstimmung mit dem Betreiber der Leitstelle erfolgen. Die manchmal von Disponenten geäußerte Sorge, die Maßnahmen des Ersthelfers könnten zu einer Zunahme von Verletzungen führen, scheinen aufgrund der Erfahrungen der letzten 25 Jahre unbegründet zu sein31. Vielmehr ist es so, dass Verletzungen nach Laienreanima-tion sich nicht wesentlich von denen unterscheiden, die bei Reanimationen durch profes-

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sionelle Rettungskräfte entstehen (Brüche von Rippen und/oder Brustbein). Eine erhöhte Rate von Leberverletzungen ist nicht feststellbar.

5.7.3 Praktische Durchführung

Der Einführung der Telefonreanimation muss die Entscheidung des jeweiligen Leitstellen-betreibers vorausgehen. Dieser hat auch dafür Sorge zu tragen, dass das Programm nicht zur Disziplinierung der Mitarbeiter genutzt wird. Im Gegenteil ist ein Vertrauensvorschuss erforderlich, um Vorbehalten einzelner Mitarbeiter zu begegnen. Hierfür hat sich auch die frühzeitige Abstimmung mit dem örtlichen Personalrat bewährt. Wie bei jeder Einführung eines neuen Verfahrens ist die Reaktion der Mitarbeiter meistens geteilt und umfasst das ganze Spektrum von uneingeschränkter Zustimmung, Zurückhaltung bis hin zu ausge-prägter Skepsis. Diese beruht meistens auf der Sorge, dass die ohnehin hohe Arbeitsbelas-tung weiter zunehmen könnte. In der Realität wird es allerdings so sein, dass der einzel-ne Disponent nur einige wenige Male pro Jahr in die Situation einer Telefonreanimation kommt32. In den allermeisten Fällen wird es möglich sein, dass der Anrufer bis zum Ein-treffen des Rettungsdienstes am Telefon gehalten werden kann. Der ÄLRD sollte auch für die Einweisung der Disponenten zuständig sein. Die Einweisung sollte eine Informations-veranstaltung für alle Disponenten zum Auftakt und anschließend Unterricht in Klein-gruppen von sechs bis maximal acht Disponenten umfassen. Viele Disponenten geben auf Nachfrage an, dass sie schon lange Anrufer mit Anleitungen zu Erste-Hilfe-Maßnahmen bis hin zur Wiederbelebung unterstützen. Die Erfahrung, die durch gute Studien33a + b abge-sichert ist, zeigt aber, dass Anrufer und Disponenten häufig nicht die gleiche Sprache spre-chen. Disponenten verwenden häufig Begriffe, die ihnen selbstverständlich erscheinen, dem Anrufer jedoch unbekannt sind. Die Anweisung »Überstrecken Sie den Kopf des Pati-enten!« ist für die wenigsten Laien verständlich und muss entsprechend angepasst wer-den. Hier ist es besser, zum Beispiel zu sagen: »Kippen Sie den Kopf des Patienten extrem weit nach hinten!« Daher ist es wichtig, dass bei der Anleitung festgelegte Formulierun-gen verwendet werden, deren Verständlichkeit durch Laien vorab geprüft worden sind.

Nach Durchführung einer Reanimation sollte der ÄLRD über den Einsatz informiert werden. Es ist hilfreich, wenn dieser zusammen mit dem Disponenten, ohne die Anwesen-heit von Dienstvorgesetzten, die Bandaufzeichnung auswertet, um Stärken zurückzumel-den und evtl. vorhandene Verbesserungspotenziale aufzuzeigen. Eine darüber hinausge-hende strukturierte Auswertung der erfolgten Reanimationen ist zwar schwierig, da der Rettungsdienst auf Entlassungsdaten von Krankenhäusern häufig nicht unmittelbar zu-greifen kann, bleibt aber wünschenswert, um eine Rückmeldung über die Prozess- und Er-gebnisqualität zu bekommen.

Nicht beobachteter Kreislaufstillstand˘˘Etwa 30 % der betroffenen Patienten26 erleidet einen Kreislaufstillstand, ohne dass ein Au-genzeuge in unmittelbarer Nähe ist. Bis zum Auffinden vergehen dann häufig etliche Mi-nuten und im Extremfall mehrere Stunden, sodass eine Reanimation nicht mehr sinnvoll ist. Bei nicht beobachtetem Kollaps muss der Disponent einen Ermessensspielraum an-

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wenden, wofür Angaben des Anrufers zur Uhrzeit des letzten Kontakts mit dem Betrof-fenen oder zum Zustand des Patienten (evtl. bereits Zeichen einer Leichenstarre) hilfreich sind.

Anrufer nicht beim Patienten˘˘Nicht immer ist der Anrufer in unmittelbarer Nähe des Patienten, beispielweise wenn ent-fernt wohnende Angehörige oder ein Hausarzt den Notruf absetzen, sodass keine Anlei-tung erfolgen kann. Und so paradox es klingt: In Altenheimen und anderen Pflegeeinrich-tungen sind die Voraussetzungen für die Gabe aufgrund von Personalengpässen ebenfalls nicht immer gegeben.

Nicht erkannter Kreislaufstillstand˘˘Aktuelle Studien34 aus Nordamerika und Skandinavien haben gezeigt, dass die Erkennung eines Herzkreislaufstillstandes durch den Disponenten häufig schwierig ist, gerade wenn eine vorhandene Schnappatmung als normale Atmung oder Schnarchen fehlgedeutet wird. Disponenten sollten sich daher angewöhnen zu erfragen, ob eine normale Atmung vorliegt und im Zweifelsfall von einem Atemstillstand ausgehen, so wie dies auch stan-dardisierte Abfrageprotokolle vorgeben.

Schwere der Vorerkrankung˘˘Die Anzahl und die Schwere von Vorerkrankungen beeinflussen das Reanimationser-gebnis. Liegt zum Beispiel eine besonders schwere, chronische Herzschwäche vor, kann manchmal auch bei unverzüglichen Maßnahmen durch professionelle Kräfte keine Wie-derherstellung des Kreislaufs erreicht werden.

Ungeeignete Räumlichkeiten˘˘In einigen Fällen ist es Anrufern nicht möglich, den Betroffenen am Ort seines Kollapses in einem engen Flur, Badezimmer oder Schlafzimmer zu versorgen bzw. ihn von dort an eine geeignetere Stelle zu bringen. Ob dann seitens der Leitstelle zum Beispiel versucht wird, Nachbarn des Anrufers telefonisch um Unterstützung bei der Ersten Hilfe zu bitten, muss eine Einzelfallentscheidung des Disponenten bleiben.

Häufige Problemenicht beobachteter Kreislaufstillstand ˘˘Anrufer nicht beim Patienten˘˘nicht erkannter Kreislaufstillstand˘˘Schwere der Vorerkrankung˘˘ungeeignete Räumlichkeiten˘˘Anrufer körperlich oder psychisch nicht in der Lage zu helfen˘˘

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A. Hackstein · H. Sudowe (Hrsg.)

Handbuch LeitstelleHandbuch LeitstelleStrukturen – Prozesse – InnovationenStrukturen – Prozesse – Innovationen

ISBN 978-3-938179-75-8 · www.skverlag.de

Handbuch Leitstelle

A. Hackstein

H. Sudow

e (Hrsg.)

Ohne Leitstelle keine gezielte Rettung!So knapp kann man die wichtige Position beschreiben, die eine Leit-stelle in der Rettungskette einnimmt. Achim Hackstein, Hendrik Sudowe und ihr Team von Fachautoren legen nun ein umfassendes Werk zu die-sem Thema vor. Sie beschreiben den Arbeitsplatz als solchen, erläutern Qualitätsmanagement und Wirt-schaftlichkeit, die Einsatzvorplanung und den Kernprozess der Notrufabfra-ge. Das Team beleuchtet Themen wie

Funk- und Kommunikationssysteme sowie Rechtsfragen anhand realitäts-naher Beispiele. Auch ein Blick über die Grenzen fehlt hier nicht. Das »Hand-buch Leitstelle« dient mit Planungs-hilfen der Projektunterstützung, als Ratgeber für die tägliche Arbeit in der Leitstelle und als Argumentationshilfe in Verhandlungen mit Kostenträgern und weiteren Schnittstellen. Ein Buch für Disponenten, solche, die es werden wollen, und alle, die mit Leitstellen zu tun haben!

A. Hackstein · H. Sudowe (Hrsg.)