Handlungsverlauf MK

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  • 8/7/2019 Handlungsverlauf MK

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    Handlungs-rahmen

    DieTitelfigurMichael Kohlhaas

    Rtsels geweckt.

    8 oen TNHALTLTcHE AUFBAU

    Ha nd Iu ngsverlauf1. Abschnitt (3-20):Kohlhaas als,,Muster eines gutenStaatsbrgers"Das Unrecht durch denJunkerIn einer kurzen Einleitung ergreift der Erzhler das Wort,indem er mit derAngabe von Ort und Zeit des Geschehensden Untertitel der Novelle verdeutlicht. Der Erzhler gibteinen Stoff,,Aus einer alten Chronik" in der Manier einesVolksbuches (Nacherzhlungen vorgefu ndener Stoffe ausDichtung, Geschichte, Mythologie, Legende und berlie-ferung in ansprechender Form) wieder. Mit dieser Ein-leitung wird ein uerst schwach ausgeprgter Rahmenmarkiert, der trotzdem im spteren Text hin und wiederdurchscheint. Dieser Rahmen nennt Michael Kohlhaas alsHauptperson und deutet mit deren paradoxen Charakte-risierung bereits das Thema der Novelle an. Die Parado-xie eines ,rechtschaffenen und zugleich entsetzlichenMenschen' erregt zwangsluflg die Aufrnerksamkeit desLesers. Kohlhaasens Attribut der Rechtschaffenheit wirddurch die Nennung positiver Charaktereigenschaftenverdeutlicht: Arbeitsamkeit, Gottesfurcht, Tre ue, Wohl-ttigkeit und Gerechtigkeit als Ideale und Eigenschaftenweisen Kohlhaas als ,,Muster eines guten Staatsbrgers"(3) aus. Die Einschrnkung dieser positiven Darstellungerfolgt wieder in einem Paradoxon: ,,die Welt wrde seinAndenken haben segnen mssen, wenn er in einer Tu-gend nicht ausgeschweift htte. Das Rechtsgeftihl abermachte ihn zum Ruber und Mrder" (ebd.). ,Tugend'und ,Ausschweifung' scheinen in ihrer Wortbedeutungnicht zueinander zu passen. Zwar wird dieses Paradoxonim abschlieenden Satz - mit dem ,,Rechtsgeflihl" frdie Tugend und dem ,,Ruber und Mrder" fr die Aus-schweifung - przisiert, doch keineswegs aufgelst.Diewenigen Zeilen des Rahmens haben bereits Spannungerzeugt und die Neugier des Lesers auf die Lsung des

    Zu Beginn der eigentlichen Handlung lernt der Leserf

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    Rappen als ffand

    Der Junker

    Zugrunde-richtung derfferde o

    ins Gesprch. Das ,verlegne Gesicht' des Junkers deutetan, dass selbst diesem der Passierschein eine unbekann-te Einrichtung zu sein scheint. Als er trotzdem Kohlhaasunbehelligt ziehen lassen will, besteht der Vogt auf ei-nem Pfand frir den fehlenden Passierschein und schlgtdie Rappen als solches vor. Da dem Junker wegen deszwischenzeitlich wieder einsetzenden Regens der Auf-enthalt im Hof ungemtlich und die Verhandlung derAffre offenbar lstig ist, weist er Kohlhaasens daraufhinvorgebrachten Einwand barsch zunick und besttigt dieForderung des Vogts. Kohlhaas sieht ein, dass er kaumgegen die von ihm als unverschmt empfundene Forde-rung angehen kann, und lsst die beiden Rappen undeinen Knecht zu ihrer Betreuung auf der Burg zurck.Seinen Argwohn gegenber der vorgeblichen Bestim-mung ber den Passierschein, der nicht zuletzt vomVerlauf der Verhandlungen auf der Burg genhrt wird,versucht er mit der Annahme, dass eine solche Bestim-mung doch immerhin mglich sei, zu beruhigen.In dieser Initiierung des Konfliktfalls hat sich der Jun-ker als beraus schwache Person gezeigt. Einerseits lsster sich in seinen Entscheidungen vom Schlossvogt ganzwesentlich beeinflussen und bestimmen, andererseitsscheint er mehr dem Vergngen zugetan zu sein undlsst sich auch vom Wetter zu missgelaunten Bestim-mungen hinreien. In der ueren Erscheinung kon-trastiert daher der als drr und frierend beschriebeneJunker mit dem Vogt und dessen ,,weitluflge[ml Leib"(4).Auf Kohlhaasens Erkundigung besttigen ihm die Be-hrden in Dresden, dass ,,die Geschichte von dem Pas-sierschein ein Mrchen sei' (7). Kohlhaas ttigt in Ruheseinen Handel und hegt keine tiefere Verbitterung ge-genber demJunker.Doch macht er bei seiner Rckkehr zur Tronkenburgwieder schlechte Erfahrungen. Seine Pferde sind zwi-schenzeitlich zur Feldarbeit missbraucht worden undbefinden sich in einem elenden Zustand, und derKnecht, den er zur Betreuung der Pferde zurckgelas-sen hatte, ist schndlich weggejagtworden. Noch emp-findet I(ohlhaas nichts als Ohnmacht und Ingrimm undist bereit, mit den misshandelten Pferden wegzugehen.Doch wieder ist es der Schlossvogt, der durch seine Pro-

    vokationen den Konflikt aufdie Spitze treibt. Nicht nurbegegnet er Kohlhaas herausfordernd und beleidigend,sondern stellt auch die Sache dem eben eintreffendenJunker ,,unter der gehssigsten Entstellung" (9) dar undverhhnt Kohlhaas. Auch in dieser Szene besttigt si.chdie schwache Position des Junkers. Eine .flchtige Bls-se" (ebd.), die ihm ins Gesicht tritt, legt den Verdachtnahe, dass er nicht der Drahtzieher der wahrschein-lich dunklen Machenschaften um Kohlhaas' Pferde ist.Trotzdem vermag er nicht anders in die Auseinander-setzung einzugreifen, als sich mit einem Kraftausdruckden Beleidigungen des Vogts anzuschlieen und sichmit einem ungerechten und aus berdruss getroffenenSpruch die Sache vom Hals zu schaffen. Zu Beginn derSzene war Kohlhaas noch zu Zugestndnissen bereitgewesen und im weiteren Verlauf hatte er die Selbst-beherrschung und Gerechtigkeit nicht aus den Augenverloren: ,,sein Rechtsgeflihl, das einer Goldwaage glich,wankte noch; er war vor der Schranke seiner eigenenBrust noch nicht gewiss, ob eine Schuld seinen Gegnerdrcke" (8).Am Ende zeigt er doch eine harsche Reak-tion, indem er ohne seine Pferde die Burg verlsst. Da-bei hat sich im Verlaufder Szene gezeigt, dass es l(ohl-haas nicht um die Pferde als materiellen Wert zu tunwar; anfangs war er bereit gewesen, sie in schlechtemZustand mitzunehmen, und im Verlauf der Debatte mitdem Vogt htte er ,,den Wert der Pferde darum gegeben,wenn er den Knecht zur Hand gehabt und dessen Aus-sage mit der Aussage des dickmuligen Burgvogts httevergleichen knnen" (10). Kohlhaas ftihlt sich also nichtso sehr durch die Zugrunderichtung der Pferde in seinen IRechten angegriffen, sonderndie llberheblichkeit, Will- Ikr, Ungerechtigkeit und persnlichen Beleidigungen Itreffen ihn zutiefst.Trotz rgster Herausforderungen venag Kohlhaas seinGerechtigkeitsgeftihl zu bewahren. Obwohl er sich nachden blen Erfahrungen auf der Tronkenburg unmittel-bar auf den Weg nach Dresden gemacht hat, um sichdort sein ,,Recht zu verschaffen" (10), bestimmen ihn dieBedenken, ob sich sein I(necht nicht doch eines Verge-hens schuldig gemacht habe, doch zur sofortigen Um-und Heimkehr nach Kohlhaasenbrck, um sich dortdurch die Vernehmung seines Knechts seines Verdachts

    BeleidigungKohlhaasens

    Kohlhaas'Rechtsgefhl

    MotivKohlhaasens

    Zweifelan Herse

    10 DER TNHALTLTcHE AUFBAU HANDLUNGSVERLAUF 11

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    zu versichern. Dass er unterwegs allenthalben ,,von denUngerechtigkeiten hrte, die tglich auf der Tronken-burg gegen die Reisenden verbt wurden" (ebd.), lsst in,f ihm das ethische Bewusstsein einer sozialen Verantwor-\/ tung und hheren Mission erwachen, dass ,,er mit sei-fi nen Iftften der Welt in der Pflicht verfallen sei, sich Ge-I nugtuung frir die erlittene Iftnkung und Sicherheit flirzulcinftige seinen Mitbrgern zu verschaffen" (ebd.).Nach seiner Ankunft in Kohlhaasenbrck erfhrt er vomblen krperlichen Zustand, in welchem sein Knechtdort von der Tronkenburg her angekommen war, derauf schlimme Misshandlungen schlieen lsst. Kohlhaaslsst sich seinen lhecht, den er wegen seiner ,Wahrhaf-tigkeit' schtzt, rufen, um ihn einem strengen Verhrzu unterziehen. Um.wirklich den letzten Zweifel aus-zurumen, der sich als Ungerechtigkeit gegenber demJunker erweisen knnte, inszeniert Kohlhaas ein Rollen-spiel: Er bernimmt die Rolle des sfengen Richters, dergewillt ist, den geringsten Zweifel zugunsten der Parteides Junkers zu werten, und teilt Herse die Rolle des An-geklagten zu. Durch genaues und zum Teil suggestivesHinterfragen der Aussagen des Knechts versucht Kohl-haas, diesen in die Enge zu treiben, und bernimmt sel-ber eine Rolle, die ihn zeitweise zwingt, seine von denAussagen des Knechts hervorgerufenen Gefhle zu un-terdrcken und zu verbergen. Doch trotz aller Fallen,die seine Fragen dem Knecht stellen, nimmt Kohlhaasein gutes und lobenswertes Verhalten Herses zur Kennt-nis. Herse hat es aufder Burg vermocht, sich gegen dieProvokationen zu behaupten und durch Zugestndnisseden Frieden so lang wie mglich zu wahren.Kohlhaas muss zu seinerVerbitterung erfahren, dass wie-der der Schlossvogt und der Verwalter sich hervorgetanhaben, indem sie mit unverschmten Forderungen Herseprovozierten. Nachdem Herse den Einsatz der Tiere beider Feldarbeit bis zu einem gewissen Grad zugelassen,einer Anstiftung zum Betrug widerstanden und auch dieUmquartierung der Pferde hingenommen hatte, war-fen sie bei der erstbesten Gelegenheit dem Knecht denversuchten Diebstahl der Pferde vor, um ihn dann ohneweitere Verhandlungen mit Gewalt von der Burg zu ver-treiben. Herse hat sich insgesamt als wirdiger Vertreterfr Kohlhaas erwiesen und mit seinem Hinweis auf die

    in der Burg zurckgelassenenGegenstnde und Wertsa-chen berzeugendeArgumente fiir seine Glaubwrdig-keit geliefert. Kohlhaas kann somit die Rolle als gestren-ger Richter aufgeben, Herse offen Glauben schenken undihm Gerechtigkeit versprechen.Kohlhaasens Frau bestrkt ihren Mann in seinem Ent-schluss, ,,die ffentliche Gerechtigkeit fr sich aufzufor-dern" (14), und in seinem Bewusstsein von einer hherenSendung, ,,dass es ein Werk Gottes wre, Unordnungen,gleich diesen, Einhalt zu tun" (15). Der Erzhler hlt sichhier zwar weitgehend zurck, indem er durch die direk-te Wiedergabe des Dialogs den Eindruck von Unmittel-barkeit und Authentizitt erweckt, doch bleibt die Per-spektive auf Kohlhaas gerichtet, da nur von ihm Gefiihle(,,Herz emporquoll" [12],,,erzwungene Schelmerei" [14])mitgeteilt werden; Gedanken und Gefhle der anderenPersonen teilen sich dem Leser nur in Gesten und Ver-haltensweisen mit (,,auf dessen blassem Gesicht sich,[...], eine Rte fleckig zeigte, schwieg eine Weile" [11]).Das Unrecht durch die GerichteGnzlich konform mit dem bisherigen Bild seinesCharakters bemht sich Kohlhaas, sein Recht auf demRechtsweg zu erlangen. Zwei Instanzen kommen hier-bei fiir ihn in Frage; er kann beim Landesherrn desJun-kers, dem Kurftirsten von Sachsen, Klage erheben, under kann seinen eigenen Landesherrn, den Kurflirstenvon Brandenburg, um seinen landeshemlichen Schutzangehen, d.h. dass dieser seine Rechte gegenber demanderen Landesherrn vertritt. Durch die Entwicklungder Sache ist Kohlhaas gezwungen, nach-einander beideWege zu beschreiten.Zunchst begibt er sich nach Dresden, um seine Klagemit dreifachem Ziel zu erheben: ,,auf gesetzmige Be-strafung des Junkers, Wiederherstellung der Pferde inden vorherigen Stand und aufErsatz des Schadens, dener sowohl als sein Ifuecht erlitten hatten" (15). Das ge-sunde Rechtsempfinden lsst fiir den Ausgang der SacheGutes hoffen, und auch der Erzhler kommentiert denFall optimistisch: ,,Die Rechtssache war in der Tat klar"(ebd.).Umso berraschender erscheint daherdie gnzliche Nie-derschlagung der Klage nach bergroer Verzgerung.

    ZuverlssigkeitHerses

    Verhr Herses

    Willkr undGewalt auf derTronkenburg

    Rolledes Ezhlers

    Rechtsinstanzen

    Klage in Dresden

    Niederschlagungder Klage

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    12 DER TNHALTLTcHE AUFBAU HANDLUNGSVERLAUF 13

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    Vetternwirtschaftam Hofe

    GegensatzzwischenSachsen undBrandenburg

    Eingabe anden Kurfrsten

    Beziehungendes Junkers

    Abweisungder Bittschrift

    Beleidigung undMachtlosigkeit

    lnnere WandlungKohlhaasens

    Und erst aufgenauere Erkundigunghin erftihrt Kohlhaas,dass keineswegs rechtliche Gninde fr diesen Ausgangausschlaggebend waren, sondern dass lediglich bestepersnliche Beziehungen des Junkers zum schsischenHof die ,,hhere Insinuation" (16) verursacht habe: Zweinahe Verwandte desJunkers beldeiden hchste Staatsm-ter am schsischen Hof. Kohlhaasens rechtmige Iageist buchstblich an Vetternwirtschaft gescheitert.Dadurch dass Kohlhaas der landesherrliche Schutz voneinem hohen brandenburgischen Beamten, mit demKohlhaas eine Bekanntschaftdurch seine Geschfte ver-bindet, angetragen wird, wird zum ersten Mal der Kon-trast zwischen den Verhltnissen an den Hfenin Sach-sen und in Brandenburg aufgegnffen, der spter vongrerer Bedeutung seinwird. Kohlhaas folgt der Emp-fehlung Geusaus und bittet den Kurfi.irsten von Branden-burg um seinen landesherrlichen Schutz in dieser Affre.Das Zutrauen in die Person des Kurfrsten und das Ver-sprechen der persnlichen Verwendung Geusaus fr ihnlassen Kohlhaas ,,beruhigter ber den Ausgang seinerGeschichte als je" (17) sein. Doch auch diese Zuversichtwird herb enttuscht, als Kohlhaas erfhrt, dass der mitder Prfung des Falles beauftragte brandenburgischeI(anzler I(allheim, statt sich unmittelbar an den Hof inDresden zu wenden, beim Junker von Tronka Ausknf-te einholt. Auf seine Rckfrage erfhrt Kohlhaas, dasswieder verwandtschaftliche Beziehungender Grund frdieses unbliche Verfahren sind. Diese Auskunft bringtKohlhaas in niedergeschlagene Stimmung, und seineuerst pessimistischen Erwarlungen besttigen sich.Die Resolution auf seine Bittschrift weist nicht nur seineKlage ab, sondern nennt als Begrndung eine persnli-che Beleidigung: ,,er sei, nach dem Bericht des Tribunalsin Dresden, ein unntzer Querulant" (18). Die Erfahrungder Beleidigung und die Machtlosigkeit gegenber einersolch komrpten und undurchdringlichen Staatsmaschi-nerie und Hofkamarilla sind wohl als Ursache ffir Kohl-haasens ,schumende Wut' (vgl. ebd.) zu vermuten, dennes zeigt sich wieder, dass es ihm nicht um die materiel-len Werte geht: ,,er htte gleichen Schmerz empfunden,wenn es ein paar Hunde gegolten htte" (ebd.).Das zweimalige Scheitern seines gerechten Anliegens aneiner komrpten Obrigkeitverursacht in Kohlhaasens bis

    dahin als so vorbildlich geschildertem Charakter eineradikale Wandlung. Nach dem Erhalt der Resolutionfrirchtet er, dass ,,die Leute des Jungherren erscheinenund ihm [...] die Pferde, abgehungert und abgehrmt,wieder zustellen" (ebd.) knnten. Da ihm dieses wohl alsder Gipfel der hhnenden Beleidigung, der ,,vielleichtsogar mit einer Entschuldigung" (ebd.) die Krone aufge-setzt wrde, erscheinen msste, sieht er diesem Ereig-nis ,,mit der widerwrtigsten Erwartung, die seine Brustjemals bewegt hatte,'l (ebd.) entgegen. Er hlt sich mitseiner ,,von der Welt wohlerzogene[n] [d.h. von einempositiven Weltbild geprgtenl Seele" (ebd.) gar nicht frftihig, aufdiese Provokationen durch Hohn und Nieder-tracht angemessen zu reagieren. Die Nachricht von derUnverfrorenheit, mit der die Pferde weiterhin auf derTronkenburg misshandelt werden, zerbricht endgriltigKohlhaasens Weltbild und verursacht damit die Wand-lung in seinem Charakter, die sich in der Folge langsamund allmhlich durch die aus ihr resultierenden Hand-lungen und Entschlsse entlarvt. ,,Mitten durch denSchmerz, die Welt in einer so ungeheuerlichen Unord-nung zu erblicken, zuckte die innerliche Zuftiedenheitempor, seine eigene Brust nunmehr in Ordnung zu se-hen." (21) An dieser Stelle kann der Leser nur vermuten,dass die Erfahrungen in Kohlhaas Rachegelste geweckthaben, zu denen er sich durch den momentanen Standder Dinge berechtigt glaubt. Die neu gefundene Zufrie-denheit lsst ihn mit Ruhe und Umsicht die folgendenbefremdlichen Handlungen planen und durchflihren,deren Sinn und Zweck sich dem Leser erst spter er-schliet. An dieser Stelle verweigert der Erzhler demLeser den Blick in Kohlhaasens Inneres.Kohlhaas bietet seine gesamten Besitzungen seinemNachbarn zum l(aufan. Mit diesem Schritt berrascht erden Nachbarn ebenso wie seine eigene Frau. I(ohlhaasnennt aufdie befremdete Rckfrage des Nachbarn ganzgeheimnisvoll als Grund ftir sein Angebot: ,,seine See-le [...] sei auf groe Dinge gestellt, von welchen er viel-leicht bald hren werde" (19). Er hat auch bereits einenI(aufriertrag vorbereitet und akzeptiert ohne Zgern einviel zu niedriges Gebot seines Nachbarn. So unterzeich-nen beide den Vertrag, obwohl ihnen bewusst ist, dassKohlhaas erhebliche Verluste in Kauf nimmt.

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    IVerkaufdes Hofes

    KohlhaasensVerluste

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    14 DER TNHALTLTcHE AUFBAU HANDLUNGSVERLAUF 15

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    ErneuteBittschrift

    LisbethsAhnungen

    Lisbeth als Botin

    Lisbeths Tod

    Erst als der Nachbar gegangen ist, fragt Kohlhaasensvollkommen verzweifelte Frau ihn nach den Grndenflir sein seltsames Verhalten. In seiner Antwort zeigt ersich teilweise noch als der Alte. Er kann sich die erhalte-ne kurflirstliche Resolution nur als ein Missverstndniserklren und mchte sich noch einmal an den Landes-herrn persnlich wenden, da er aufdessen Gerechtigkeitvertraut. Fr den Fall, dass seine Bittschrift erfolgreichist, hat er sich im Kaufuertrag ber seine Besitzungendas Rcktrittsrecht ausbedungen. Doch falls er keinenErfolg haben sollte, und hierin zeigt sich der Zweifel andem ehemals positiven Weltbild, mchte er das Landverlassen: ,,Weil ich in einem Lande, liebste Lisbeth, inwelchem man mich in meinen Rechten nicht schtzenwill, nicht bleiben mag." (21)Lisbeth ahnt, dass er es nicht beim Verlassen des Lan-des bewenden lassen will, da er sie und die Kinder fiirdie nchste Zeit auer Landes schicken will, damit er,,durch keine Rcksichten gestrt werde" (22), und da ereinige Pferde und Waffen vom I(aufuertrag ausgenom-men wissen will. Lisbeth wagt zwar nicht, gegen seinVorhaben, sich mit Waffengewalt Recht zu verschaffen,Einspruch zu erheben, doch mchte sie alles in ihrenKrften Stehende tun, es gar nicht so weit kommen zulassen. So schlgt sie vor, anstatt seiner nach Berlin zugehen und ihre persnliche Bekanntschaft mit dem Kas-tellan des Schlosses aus fiherer Zeit auszunutzen, umzum I(urfi.irsten vorzudringen und ihm die Bittschriftpersnlich zu berreichen. Kohlhaas wiUigt ein.Der Erzhler nimmt dem Leser die Mglichkeit, sich derHoftrungderbeiden aufeinpositives Ende anzuschlieen.Er bezeichnet diesenSchritt als,,allerunglcklichste[n]"(23) und deutet somit das kommende Unglck voraus.Lisbeth kann in der Tat ihr Vorhaben nicht ausfhren,sondern wird bei ihrem Versuch, sich dem Kurfrirsten zunhern, durch unglcldiche Umstnde schwer verletzt.Sie kann noch nach Hause gebracht werden, wo sie abernach wenigen Tagen stirbt. Noch kurz vor ihrem Todversucht sie, ihren Mann von seinen, wie sie frchtenmuss, schrecklichen Plnen abzubringen; sie weist mitletzter Kraft auf die Bibelstelle: ,,Vergib deinen Feinden;tue wohl auch denen, die dich hassen.' (24) Zwar kannder Leser die Bedeutung von Kohlhaasens Gedanken

    hierauf noch nicht vollkommen erfassen' doch wirddeutlich, wenn Kohlhaas denkt: ,,So mge mir Gott nievergeben, wie ich dem Junker vergebe!" (ebd.)' dass erkeineswegs gewillt ist, sich dem letzten Willen seinerFrau zu unterwerfen. An dieser Stelle wird nur erkenn-bar, dass Kohlhaas vershnliches Denken von sich weistund trotzdem auf Gottes Vergebung fr sich und seinunvershnliches Handeln hoft .Kohlhaasens folgende Handlungen sind von einer zuneh-menden Hybris (= Hochmut, Selbstberhebung, Vermes-senheit) gekennzeihnet. Er inszeniert flir seine Frau einBegrbnis, ,,das weniger ftir sie als fl.ir eine Frstin ange-ordnet schien" (25). Im denkbar ungnstigsten Momentder Begrbnisfeierlichkeiten erreicht ihn die landesherr-liche Resolution auf die Bittschrift, bei deren berbrin-gung Lisbeth ihre tdliche Verletzung erhalten hat. DieseRevolution gleicht der vorhergehenden exakt. Somit istauch Kohlhaqleqlglllsl]@ch, sich auf rechtmi-sem Wege Recht zu verschaffen, gcscheitert.2. Abschnitt (26- 47):Kohlhaas als,Outlaw'Kohlhaasens Rachefeldzugber Kohlhaasens Motiv der folgenden Handlungen gibtder Erzhler vollkommene Aufl

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    Fluchtdes Junkers

    Erstes Mandat

    Verfolgungdes Junkers

    Bedeutungdes Wetters

    schaft desJunkers sowie der Schlossvogtund derVerwal-ter, die eigentlich Schuldigen bei der Beschlagnahmungund Zugrunderichtung der Pferde, fallen ihrer Wut,insbesondere der Herses, zum Opfer. Obwohl Kohlhaaseinen lhecht des ]unkers zwingt, seine Rappen aus demFeuer zu retten,beac weiter undn. DerJun-ker, das eigentliche Ziel der Racheaktion, hat zu fliehenvermocht, so dass Kohlhaas sich nach intensiver Sucheeingestehen muss, ,,dass die Unternehmung auf die Burgfehlgeschlagen war" (27 f.).Kohlhaas erlsst ein Mandat an die Bevlkerung, woriner ,,bei Strafe Leibes und Lebens und unvermeidlicherEinscherung alles dessen, was ein Besitztum heienmag," (28) die sofortige Auslieferung desJunkers fordert.Er mat sich in seiner Hybris die Rechte eines Frstenan und fiihrt auch die Sprache eines solchen. Mit eini-gen Knechten des Junkers, die wohl mehr ,,von der Aus-sicht aufBeute gereizt" (ebd.) sind als durch ihre Unzu-friedenheit mit ihrem Herrn, vergrert er seine Schar.Als der Erzhler Kohlhaas' Handlungen mit dem Engeldes Jngsten Gerichts in Verbindung brachte, hat er siezwar als schrecklich beurteilt, aber dennoch im Kernmit Gerechtigkeit assoziiert. Nun am Ende der Passagedistanziert er sich von Kohlhaasens Handlungen undverurteilt sie als jmmerliche Geschfte' (vgl. ebd.).Hiermit beginnt l(ohlhaas seine Suche und Verfolgungdes Junkers, in deren Verlauf die Gewalt eskaliert unddie Dinge eine Eigendynamik gewinnen, so dass Kohl-haas nicht mehr absoluter Herr der Situation ist. AufErkundigungen hin erfhrt er, dass der Junker in einnahe gelegenes Stift zu seiner Tante geflohen ist, die alsAbtissin in der Gegend ein hohes Ansehen geniet. Die-ser Umstand kommt Kohlhaas keineswegsgelegen, daihm die Achtung vor der ,,fromme[n], wohlttigelnl undheilige[nl Frau" (ebd.) verbieten sollte, seine Verfolgungdes Junkers dort mit gleichen radikalen Mitteln fortzu-setzen. Das Wetter bildet mit ,,dem Gemurmel einesentfernten Gewitters am Horizont" (29) nicht nur dieeffekwolle Kulisse fr die dstere Handlung, sondernreprsentiert auch das unwgbare Eingreifen hhererGewalten in die Handlung. Zum einen verhindert eindurch das Wetter verusachtes Hochwasser die recht-

    zeitige Zustellung des .I(ohlhaasischen Mandats" an dasStift und bildet somit ein Glied in der Verkettung un-glcklicher Umstnde, wie schon der Tod Lisbeths durchinen solchen verursacht war, die einen wesentlichenAnteil an der Eskalation der Gewalt haben; zum ande-ren greift ,,ein ungeheurer Wetterschlag" (ebd') direkt indie Handlung ein und hindert Kohlhaas gewissermaenals Fingerzeig von oben an allzu groem Frevei, nmlichaus ,,unbefriedigter Rache" (ebd.) das Kloster in Brandsetzen zu lassen. So muss Kohlhaas zur Kenntnis neh-men, dass der Junker sich nicht mehr im Stift, sondernbereits in Wittenberg versteckt hlt, und setzt seine Ver-folgung fort.Er verffentlicht ein zweites Mandat, in welchem er zu-nchst versucht, die Bevlkerung durch die ,,Erzhlungdessen, was ihm im Lande begegnet," (30) auf seine Seitezu ziehen, aber auch einer noch greren Anmaungerliegt, indem er nicht nur seiner Sache eine allgemeineBedeutung verleihen mchte und den Junker zum ,'all-gemeinen Feind aller Christen" (ebd.) erklrt' sonderniuch sich selbst zum ,,reichs- und weltfreien, Gott alleinunterworfenen Herrn" (ebd.) ernennt. Der Erzhler qua-lif,ziert dies als ,,Schwrmerei krankhafter und missge-schaffenerArt" (ebd.) ab. Kohlhaas erhltweiteren Zulaufvon Leuten, die die Aussicht auf Geld und Beute lockt'Die Strategie seines Rachefeldzugs gegen denJunker istebenso brutal wie einfach. In nchtlichen Aktionen lsster in Orten, wo er den Junker vermutet, Brnde legenund seine Forderung nach Auslieferung des Junkers ver-breiten. Dadurch bringt er zwar zunchst das Volk gegensich selbst auf, was sich in Bezeichnungen wie ,,Frevel"(31), ,,Drache" (32), ,,Mordbrenner" (35) zeigt' doch ver-setzt er es dermaen in Angst und Schrecken, dass sichdie Wut des Volks letztlich gegen den Junker richtet' so

    dass dieser ,,vor der Gewaltttigkeit des Volkes, das ihnplatterdings aus der Stadt entfernt wissen wollte"' (31)geschtzt werden muss. Die Brger Wittenbergs nennenen lunker nun offen ,'einen Blutigel, einen elendenLandplager und Menschenquler, den Fluch der StadtWittenberg und das Verderben von Sachsen" (33)' unddie Stadt Dresden weigert sich, ihn bei sich aufzuneh-men. Der wittenbergische Landvogt wei Wittenbergschlielich nicht anders als durch eine List vor Kohlhaas

    Zweites Mandat

    Kohlhaas'Taktik

    Auflehnungdes Volks gegenden Junker

    Tuschungs-manver desLandvogts

    18 DER TNHALTLTCHE AUFBAU HANDLUNGSVERLAUF 19

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    Kohlhaas' Erfolge

    ,,StatthalterMichaels"

    Luthers Plakat

    zu schtzen, indem ervortuscht, denJunker nach Leip-zig gebracht zu haben, wohin sich Kohlhaas daraufhinauch tatschlich wendet.Zu Kohlhaas' fast legendrem Ruf in der Bevlkerungtragen aber auch seine militrischen Erfolge bei. Die Ob_rigkeit hatte sich gezwungen gesehen, mit militrischenStrafaktionen gegen Kohlhaas und seine weiterhin ge_wachsene Schar vorzugehen. Doch durch eches, be_herztes, mutiges und die Fehler der Gegner ausnutzen_des Handeln hatte Kohlhaas jedes Mal vermocht, gegendie bermacht einen berraichenden Sieg zu erringen.In einem Mandat, das Kohlhaas anlsslich seiner ,Bela_gerung'Leipzigs verffentlicht, erreicht er den Gipfelseiner Hybris: Er nennt sich,,,einen Statthalter Michaels des Erzengels, der gekom_men sei, an allen, die in dieser Streitsache des JunkersPartei ergreifen wtirden, mit Feuer und Schwert dieArglist, in welcher die ganze Welt versunken sei, zubestrafen'. [...] und das Mandat war, mit einer Art vonVernickung unterzeichnet:,Gegeben auf dem Sitzunserer provisorischen Weltregierung, dem Erzschlossezu Ltzen."' (35)

    Aus dem ehemaligen durchaus berechtigten ethischenBewusstsein einer hheren Sendung ist nun eine wahn-hafte Anmaung geworden, die er auch in seinemueren Aufzug manifestiert: ,,ein groes Cherubs-schwert, auf einem rotledernen Kissen, mit quastenvon Gold verziert, ward ihm vorangetragen, und zwlfMnner mit brennenden Fackeln folgten ihm.. (38).Das Eingreifen LuthersAn diesem Punkt der Handlung greift Martin Lutherein, um ,,den Kohlhaas [...] in den Damm der mensch_lichen Ordnung zurckzudrcken.. (36). Er richtet einffentliches Plakat an Kohlhaas, in welchem er ihn derUngerechtigkeit und der Mord- und Raublust bezichtigtund ihm das Recht aufsein Verhalten abspricht, da derLandesherr seinen Fall gar nicht kenne. Kohlhaas istvom Inhalt dieses plakats sehr betroffen und ftihlt sich,,in der ganzen Verderblichkeit, in der er dastand,.. (3g)entwaftiet und beschmt. Dies wiegt umso schwererfi.ir ihn, als das Plakat ,,von dem Namen Martin Luthers,.

    (ebd.) unterzeichnet ist. In Verkleidung begibt er sichsofort nach Wittenberg, um Luther zu einem Gesprchaufzusuchen.Das folgende Gesprch stellt einen der zentralen Punk-te der gesamten Handlung dar. Hier lsst der ErzhlerKohlhaas noch einmal die Motivation und Begnindungseines Verhaltens mit eigenem Munde vortragen. DiePositionen Luthersund Kohlhaasens sind nicht neu, bei-de wiederholen im Grunde bereits Bekanntes. Lutherszentraler Vonarurf ist der gleiche des Plakats, die Un-gerechtigkeit Kohlhaasens, da der Kurfrirst seinen Fallnicht kenne und Kohlhaas voreilig und eigenmchtiggehandelt habe.Doch Kohlhaas will diese ,Meinung von ihm, dass er einungerechter Mann sei, widerlegen' (vgl. 39). Da er sichaus der Gemeinschaft der Menschen verstoen fhlt,glaubt er, das Recht zu haben, mit dieser lGieg flihren zudrfen.

    ,,Verstoen [...] nenne ich den, dem der Schutz der Ge-setze versagt ist! Denn dieses Schutzes zum Gedeihenmeines friedlichen Gewerbes bedarf ich; ja, er ist es,dessenhalb ich mich mit dem lGeis dessen, was ich er-worben, in diese Gemeinschaft flchte; und wer ihnmir versagt, der stt mich zu den Wilden der Eindehinaus; er gibt mir, wie wollt ihr das leugnen, die Keule,die mich selbst schtzt, in die Hand" (39f.).

    Kohlhaas reklamiert somit nicht nur das Recht zu sei-nem Verhalten, sondern sieht sogar die Schuld hierfriraufseiten der Gesellschaft. Erschwerend kommt fiir ihnder Tod seiner Frau hinzu: ,,es hat mich meine Frau ge-kostet; Kohlhaas will derWelt zeigen, dass sie in keinemungerechten Handelumgekommen ist." (41)Er erklrt sich jedoch sofort bereit, in die Gemeinschaftzurckzukehren und seine Klage erneut beim Tribu-nal des Landes vorzubringen, wenn Luther ihm hierfi.irfreies Geleit verschaffen kann. Zur Bekrftigung seinerlauteren Absicht wiederholt er die drei ursprnglichenKlagepunkte als seinAnliegen: Bestrafung des Junkers,Wiederherstellung der Pferde und Schadensersatz, wo-bei er die ihm durch die Itiegsfrihrung gegen den Jun-ker entstandenen Kosten nicht inbegriffen sehen will.Die von Luther geforderte Selbstbescheidung durch

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    Kohlhaasbei Luther

    Kohlhaas'Selbst-legitimation

    Kohlhaas'Verstndnis vonGesellschaft

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    Veruveigerungder KommunionLuthers Einsatzfr Kohlhaas

    Figur Luthers

    Der Staatsrat

    Vergebung flir den Junker lehnt er jedoch ab und frihrtwieder den Tod seiner Frau daftir ins Feld. Auch alsLuther die Spende der Kommunion von dieser Verge_bung abhngig macht, zeigt er sich hart und begrndettheologisch: ,,der Herr auch vergab allen seinen Feindennicht' (42). Luther verweigert ihm die Kommunion, sagtihm jedoch seine Bemhung flir ein freies Geleit nachDresden zu.In einem Brief an den schsischen Kurfrirsten empfiehltLuther diesem, Kohlhaas nicht nur freies Geleit, son_dern auch Amnestie zuzusagen. Sein Brief zeigt staats_politisch ausgesprochen diplomatisches Denken, wennLuther die Kohlhaas freundlich gesonnene ffentlicheMeinung, dessen Argument der Rechtsverletzung durchdenJunker und die Gerichte und dessen Status als ,Aus-lalder' als Begrndung fiir seine Empfehlung anfrihrt.Die Darstellung der Figur Martin Luthers beirascht ei_nigermaen. Statt einer respektablen und wrdevollenPerson, die vor Zeiten ihrerseits mit ihren Gedanken undHandlungen voll rebellischen und revolutionren poten_tials einiges an folgenreicher Unruhe und Erschtterungin die Welt gebracht hat, wird dem Leser eher das Bildeines zurckgezogenen Schreibstubengelehrten vor Au-gen gestellt, der dem Intellekt und der RedegewandtheitI(ohlhaasens nicht so recht gewachsen zu iein scheintund der scheinbar Standhaftigkeit gegen Diplomatieeingetauscht hat.Der schsische Kurfrirst bert im Staatsrat mit seinenhchsten Staatsbeamten, zu denen auch die beidenVerwandten des Junkers Hinz und Kunz von Tronka ge_hren, ber Luthers Empfehlung. Fr die politisch Ver-antwortlichen stellt sich das problem, die Lage in denGriff zu bekommen und trotzdem nach auen hin dasGesicht zu wahren. Kunz von Tronka, der wegen desMissbrauchs seiner Befugnis, sich des Namens und desWappens des Kurfi.irsten zu bedienen, als der letztlichVerantwortiiche an der prekren Situation zu sehen ist,versucht, sich durch ,,Feuer der Beredsamkeit,, (a4) zlrechtfertigen, und pldiert gegen Luthers Empfehlung,da Kohlhaas dadurch zu groe Anerkennung zuteil wer_de. Die anderen Ratgeber sind sptestens durch diesesunbeabsichtigte Schuldeingestndnis Kunzens in dieLage versetzt, dass sie mit ihrer Meinung zum problem

    Kohlhaas automatisch gegenber Kunz Stellung bezie-hen mssen.So bilden sich verschiedene Gruppierungen. Graf Wredeund der Prinz von Meien distanzieren sich von Kunzaufgrund allgemein moralischer Mastbe, nehmenaber hinsichtlich Kohlhaas unterschiedliche Positionenein; Wrede schliet sich Luther an, der Prinz von Meiendringt aufharte Bestrafung - Kohlhaasens und Kunzens!Graf Kallheim und Hinz von Tronka urteilen nach prag-matischen Gesichtspunkten; dieFrage, wem ntzt bzw.schadet es, ist fr sie entscheidend. Wdhrend Kallheimsich bezglich Kohlhaas nicht uert, schlgt Hinz eintaktisches Vorgehen vor, nmlich Kohlhaas zwar Rechtzu geben, ihn jedoch ,,auf den Grund seiner Mordbren-nereien und Rubereien einzustecken" (46).Auf seine Erkundigungen nach der Stimmung im Volkhin erfhrt der Kurfrst,

    ,,dass der Rosshndler in der Tat schon zu einer Strkevon vierhundert Mann angewachsen sei, ja, bei der all-gemeinen Unzufriedenheit, die wegen der Unziemiich"keiten des Kmmerers im Lande herrschte, in kurzemaufdie doppelte und dreifache Strke rechnen knne"(46 f.).

    Dies lsst es dem Kurflirsten geraten erscheinen, Kohl-haas freies Geleit fiir einen neuen Prozess und, im Falleseines Gewinns, ,,vllige Amnestie seiner in Sachsen aus-gebten Gewaltttigkeiten wegen" (47) zuzugestehen.Das Amnestieversprechen bildet einen erneuten Wende-punkt im Geschehen.3. Abschnitt (+t-tt):Kohlhaas in DresdenHoffnung aufeinen guten AusgangSofort nach Kenntnisnahme dieser kurflirstlichen Ga-rantien macht Kohlhaas sich daran, seine Zusagen einzu-lsen. Er lst seine Schar auf und ,,legte alles, was er anGeld, Waffen und Gertschaften erbeutet haben mochte,bei den Gerichten zu Ltzen als kurftirstliches Eigentumnieder" (47), womit er erneut seine nicht-materiellen In-teressen bei dieser Affire dokumentiert. In vollem Ver-

    Parteienbildung

    Amnestie

    Auflsungder Schar

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    Aufnahmein Dresden

    Die Tronkas

    trauen auf den positiven Ausgang seiner Sache leitet erden Rckkaufseiner Gter ein, lsst seine Kinder holenund begibt sich nach Dresden.Dort findet seine Ankunft grte Aufrnerksamkeit desVolkes, das sich in Massen darum bemht, den ,,Wr-geengel [...], der die Volksbednicker mit Feuer undSchwert verfolge" ( 8) und dem darum seine Sympathiegehrt, zu sehen. Auch die beiden Reprsentinten derschsischen Regierung, denen Kohlhaas zunchst be_gegnet, der Oberbefehlshaber prinz von Meien _ ob_wohl er im Rat gegen Kohlhaas pldiert hatte _ und derGrokanzler des Tribunals Graf Wrede, nehmen ihndurchaus korrekt, ja, fast freundlich auf, Wegen des un_geheuren Volksauflau erhlt Kohlhaas zu seinem eige_nen Schutz eine Wache, die aber auf sein Verlangen hinentfernt werden soll, um seine persnliche Freiheit zugewhrleisten. Auf Empfehlung von Graf Wrede wendetsich Kohlhaas an einen benihmten Advokaten, der frihn erneut die drei ursprnglichen Klagepunkte vor Ge-richt einbringen soll. Nach diesen e.ri"., Erf"h*.rg".,in Dresden scheint Kohlhaas wieder Hoftrung hegen zudrfen.Inzwischen ist auch derJunker Wenzel von Tronka vonWittenberg her in Dresden eingetroffen, wo ihn seineVerwandten Hinz und Kunz ,,mit der grten Erbitterungund Verachtung" (s0) erwarten. Ihre Einsicht, dass ihreVerwendung fi.ir ihren Verwandten nicht nur ,,Schandeund Schmach ber die ganze Familie bringe,, (ebd.), son_dern ihrer persnlichen Steltung und ihrem Ansehen inder momentanen Stimmungslage alles andere als fcir-derlich ist, und ihre Angst vor dem .Hohngelchter derWelt" (ebd.), das auch sie als Ziel haben knnte, sind alsGrnde fr ihre Distanzierung von ihrem Verwandtenanzunehmen. Um jede Schuld von sich zu weisen, gibtder Junker seine Schwche zu, indem er seine Verant-worbung fr die Zugrunderichtung der pferde, z.T. sogar'seine Kenntnis hiervon von sich weist und auf Verwalterund Schlossvogt schiebt. In diesem gar nicht falsch dar_gestellten Zustand an seinem Schloss spiegeln sich dieVerhltnisse am Dresdener Hof. Auch dort haben es dieuntergeordneten Funktionre verstanden, ihre bevor_zugte Stellung auszunutzen und im Namen des Frstenzu ihren eigenen Gunsten zu handeln.

    Die Erwartung eines fijr Kohlhaas gnstigen Gerichtsur-teils lsst es den Tronkas geraten erscheinen, Nachfor-schungen nach den verschollenen Rappen anzustellen.Die recht schwierige Suche hat Erfolg, und die Rappentreffen nach einiger Zeit in Dresden ein. Ihr Zustand istin zweifacher Hinsicht ein jmmerlicher; zum einen istihr krperlicher Zustand erbrmlich, zum anderen istihr momentaner Besitzer ein Abdecker. Da Abdecker inder damaligen Zeit als unehrenhafte gesellschaftlicheAuenseiter gelten, wird dies zu Verwicklungen flrhren,die die Gunst gegen Kohlhaas umschlagen lassen wird,was der Erzhler hier bereits mit seiner Wertung als,,Unglck" (52) vorausdeutet.Die AbdeckerszeneDie Ausfi.ihrlichkeit, mit der Kleist seinen Erzhier dienun folgende Kernszene darstelien lsst, dient dazu, demLeser die vielfltige und vielschichtige Verflechtung zumTeil unvorhersehbarer.Ursachen und Anlsse der Hand-Iungsmomente und damit das Eingreifen von Schicksalin die Handlung vor Augen zu fuhren. Neben solchenvon auen kommenden wg- oder unwgbaren Ereig-nissen spielen jedoch die zum Teil unangemessenen,von Stolz und Eitelkeit bestimmten inneren Reaktionenund Zustnde der Personen die entscheidende Rolle.Kunz und Wenzel von Tronka begeben sich zum Markt,um dort die Pferde in Augenschein zu nehmen, eventu-ell zu identifizieren und dann in Besitz zu nehmen. Dorthat sich bereits eine Menschenmengeeingeftlnden undverleiht ihrem Hohn darber, ,,dass die Pferde schon,um derenthalben der Staat wanke, an den Schindergekommen wren" (52), mit ,,unendlichem Gelchter"(ebd.) Ausdruck. Der miserable Zustand der Tiere machtes dem Junker unmglich, die Pferde zu identiflzieren,und I(unz sieht sich trotz seines ,,sprachlosen Grimms"(ebd.) gezwungen, an den Abdecker Fragen betreffs derHerkunft der Pferde zu richten. Dieser lsst sich von denAmtsinsignien und dem Titel des Kmmerers nicht be-eindrucken und benimmt sich unbektimmert-ungebhr-lich; weder lsst er sich in seinem ,,empfindungslose[n]Eifer" (53), mit dem er ,,seine Geschfte betrieb" (ebd.),stren, noch scheut er sich, die Hose herunterzulassenund sein Wasser abzuschlagen! Dies steigert die Scham

    Nachforschungennach den Rappen

    Funktionder Szene

    Motivefr das Verhaltender Personen

    Hohn der Menge

    Gleichgltigkeitdes Abdeckers

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    Kunzens Trotz

    ldentifizierungder Rappen

    Weigerungdes Knechts

    Handgemenge

    EntwrdigungKunzens

    Stimmungs-umschwungim Volk

    des Kmmerers vor ,,der hohnlachenden Menge" (ebd.)und seinen Trotz, den er spter in seiner ganzen Hal-tung zum Ausdruck zu bringen versucht, ,,indem er seinSchwert mit Stolz und Ansehen unter dem Arm hielt"(55). Da die gleichgltigen Ausknfte des Abdeckers we-nig befriedigend ausfallen, sieht Kunz sich gezwungen,Kohlhaas zwecks Identifizierung der Pferde herbeiru-fen zu lassen. In einem kurzen Auftritt auf dem Markterkennt Kohlhaas die Pferde nach einer nur flchtigenInspektion als die seinen an. Die Afftre beginnt ihm be-drohlich zu werden, und er sucht nach einem vershn-lichen Abschluss.Kunz bezahlt dem Abdecker die Pferde und weist einenKnecht an, sie wegzuflihren. Daraus entsteht jedochein erheblicher Tumult. Da der Ifuecht nach einer In-tervention seines anwesenden Vetters sichwegen ihrerUnehrlichkeit weigert, die Pferde berhaupt nur anzu-fassen, und fordert, ,,die Pferde mssten erst ehrlichgemacht werden" (57), verliert der unter groer Span-nung stehende Kmmerer endgltig die Beherrschungund weist den Knecht mit einer demtigenden Geste ausseinen Diensten. Er richtet seine Wut auf einen im Grun-de Unschuldigen. Hierauf entldt sich auch die in derVolksmenge aufgestaute Aggression, und ihr AnflihrerMeister Himboldt ,,warf [...] den Kmmerer von hintennieder, riss ihm Mantel, Kragen und Helm ab, wand ihmdas Schwert aus der Hand und schleuderte es in einemgrimmigen Wurf weit ber den Platz hinweg" (ebd.).Nach den Verhandlungen mit einem Abdecker findethierin Kunzens Entwrirdigung ihren Hhepunkt; derVerlust der Insignien seines Standes und seiner Macht,die er vorher stolz prsentiert hatte, symbolisiert diesdeutlich. Nur durch einen zufllig auftauchenden TruppSoldaten kann der Kmmerer vor der ,,Wut der Menge"(ebd.) gerettet werden. Dieser Vorfall stellt eine Spiege-lung der Novellenhandlung im Kleinen dar: Ein stolzerBrger reagiert auf die berhebliche Willkrir eines Ad-ligen, indem er ihn angreift, ihn tatschlich in die Kniezwingt und ihm die selbst verliehenen Zeichen seinerWrde nimmt.Der Vorfall hat fr den Fortgang der Handlung fatale Fol-gen und muss als erneuter Wendepunkt des Geschehensangesehen werden:

    ,,Dieser Vorfall [...] erweckte gleichwohl, auch beidem Gemliigteren und Besseren, eine, dem Ausgangseiner [d. i. Kohlhaasens] Streitsache hchst gefhrlicheStimmung im Lande. Man fand das Verhltnis dessel-ben [d. i. Kohlhaas] zum Staat ganz unertrglich' undin Piivathusern und aufffentlichen Pltzen' erhobsich die Meinung, dass es besser sei, ein offenbaresUnrecht an ihm zu verben und die Sache von neuemniederzuschlagen, als ihm Gerechtigkeit' durch Gewalt-taten ertrotzt, in einer so nichtigen Sache' zur bloenBefriedigung seines rasenden Starrsinns znkommen zulassen." (58)

    Wie so oft an den entscheidenden Stellen der Handlungwird hier ein einseitiges und undifferenziertes Urteil ge-sprochen, indem I(ohlhaas wie sonst anderen Personender Unmut ber einen Umstand, den er nicht direkt zuverantwoften hat, aufgeladen und somit eine Schuld zu-gesprochen wird, die ihm nicht zukommt; damit wer-"n einmal mehr Handlungen in Gang gesetzt' die imGrunde niemand verantworten kann'So wird auch in der lolge der Hass der Familie Tronka Hass derTronkasgegen Kohlhaas durch das Verhalten des Grafen Wredegesteigert.

    ,,Die Schmach, die zufolge der bestehenden Umstnde'dadurch aufdie Familie des Junkers flel' war so gro'dass bei dem staatsbrgerlichen Gewicht' das sie' alseine der ersten und edelsten, im Lande hatte' nichtsbilliger und zweckmiger schien' als eine Vergtungder Pferde in Geld einzuleiten"' (Ebd')

    Man geht den Grokanzler mit diesem Vorschlag an'doch ieser verweist die Tronkas ,,aus bergroer Recht-lichkeit und einem davon herrhrenden Hass gegen dieFamilie von Tronka" (ebd.) an Kohlhaas persnlich''Der Rosshndler, dessen Wille, durch den Vorfall' dersich auf dem Markt zugetragen, in der Tat gebrochenwar, wartete auch nur, dem Rat des Grokanzlers gem'auf eine Erfftiung von seiten des Junkers' oder seinerAngehrigen, um ihnen mit vlliger Bereirwilligkeit undVergeUung des Geschehenen entgegenzukommen: dochdiese Erftrung war den stolzen Rittem zu tun empfind-lich; und schwer erbittert ber die Antwort' die sie vondem Grokanzler empfangen hatten" (58f')'

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    Scheiterneiner EinigungGegenoffensivederTronkas

    Nagelschmidt

    Distanzierung vonNagelschmidt

    wenden sie sich an den Kurfrirsten persnlich mit derBitte, ihnen die ,,erdenkliche Schmach und Schande"(59) einer Bittstellung vor Kohlhaas zu ersparen. DerKurfrirst zeigt sich seinem Kmmerer gegenber wohl-wollend. Somit scheitert die zu diesem Zeitpunkt mg-liche gtliche Einigung durch einen Vergleich an demStolz und der Eitelkeit der Beteiligten.Nicht nur dass sie in diesem Moment der Handlung einemgliche gtliche Einigung nicht herbeifiihren, sonderndie Tronkas nutzen einen weiteren flir Kohlhaas ungns-tigen Umstand, um durch geschicktes Taktieren in dieGegenoffensive berzugehen. Johann Nagelschmidt, einBeteiligter aus der frtiheren Schar des Kohlhaas, setztKohlhaas' Feldzug fort und nennt sich dabei unberech-tigt ,,einen Statthalter des Kohlhaas" (60). So verrnag eres, seinen ,,Mordbrennerhaufen als ein[en] zur bloenEhre Gottes aufgestandene[n] Kriegshaufen" (ebd.) er-scheinen zu lassen, der ,,bestimmt [sei], ber die Befol-gung der ihnen von dem Kurfrsten angelobten Amnes-tie zu wachen" (ebd.). Das tatschliche Motiv ist jedoch,,,unter dem Schutz solcher Vorspiegelungen desto un-gestrafter und bequemer zu sengen und zu plndern"(ebd.). Auf diese Weise rcht es sich nun, dass Kohlhaassich seinerzeit nicht gescheut hat, raub- und beute-lsternes Gesindel in seinen Haufen aufzunehmen.Obwohl Kohlhaas versichert, dass er und Nagelschmidtals Todfeinde auseinandergegangen seien, nutzen dieTronkas das Bekanntwerden dieser Nachricht, um diesich verschlechternde Stimmung gegen Kohlhaas nochdurch geschickten Einsatz dieser Meldungen, die sie mitzustzlichen Gerchten vernengen, anzuheizen. Kohl-haas distanziert sich in einem Briefffentlich von Nagel-schmidt, und der Prinz von Meien erneuert nochmalsdie Zusage der Amnestie.Wegen der aufziehenden Gefahrbemht sich Graf Wre-de, den Prozess zu beschleunigen, dochdie Tronkas hal-ten es in ihrem Sinn frir gnstig, den Prozess hinauszuz-gern, und erreichen dies durch ,,Wendungen arglistigerund rabulistischer Art" (62f.), die jeweils langwierigeUntersuchungen und Auseinandersetzungennotwendigmachen.

    Bruch der AmnestieIn dieser misslichen Lage sieht Kohlhaas sich gezwun-gen, Dresden zur Erledigung dringender Geschfte aufieinen mittlerweile wiedererworbenen Gtern flir kurzeZeit z'overlassen. Nur vage deutet der Erzhler hier an'dass Kohlhaas sich auer von diesen sachlichen Gnin-den wahrscheinlich auch von seiner allmhlich immerbedrohlicheren Lage zu diesem Entschluss bestimmenlsst. Er lsst sich vom Grokanzler zwar nicht von die-sem Entschluss abbringen, beantragt aber aufdessen Rathin Psse ftir seine Reise beim Prinzen von Meien' Die-ser Antrag wird jedoch ungewhnlich lange hinausge-zgert, und durch die Antwort erlhrt er, dass der Prinzvon Meien fr einige Zeit in seinem Amt vertreten wirdvon jemandem, auf dessen Loyalitt er nicht rechnenkann. Da er damit auf einen verlsslichen Hofbeamtenweniger rechnen kann, bemchtigt sich seiner bei demberlingen Ausbleiben der Psse eine zunehmende Un-ruhe. Ali er kurze Zeit spter eine Verstrkung und In-tensivierung seiner Bewachung beobachtet, muss er umseine Amneitie frchten und beschliet, die Probe aufsExempel zu machen; ,,denn nichts missgnnte er der Re-gierung, mit der er zu tun hatte, mehr, als den Scheiner Geiechtigkeit, whrend sie in der Tat die Amnestie'die sie ihm angetobt hatte, an ihm brach" (65)'Mit den folgenden Handlungen will Kohlhaas die Re-gierung zwingen, durch ihre Reaktionen offen Farbe zubekennen, um selber Gewissheit zu gewinnen' Dass erseine eigene Lage dadurch eher verschlechtert' begreifter erst im Nachhinein. Er schickt sich an, die Stadt frireinen Besuch bei einem Bekannten gem derVereinba-rung mit dem Prinzen von Meien ohne Bewachung zuverlassen. Der Kommandant der Wachen will ihn jedochnicht ohne berittene Landsknechte als Begleitung ausder Stadt lassen und verweist als Begrndung auf einehhere Anordnung. Diese Anordnung wird I(ohlhaas aufseine persnliche Nachfiage beim Freiherrn von Wenk'dem Vertreter des Prinzen, besttigt' Unglcklicherwei-se strt Kohlhaas diesen beim Verhr von einigen Kum-panen Nagelschmidts, die man gefangen genommen^trat, wesfratU der Freiherr Kohlhaas recht unfreundlichund ungeduldig begegnet:

    Antrag auf Psse

    Vernderungder Bewachung

    Herausforderung

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    Furcht vorGefangenschaft

    AngebotNagelschmidts

    Entdeckungdes Boten

    Die Falle

    ,,Kohlhaas liagte: ob er Gefangener wre, und ob erglauben solle, dass die ihm feierlich, vor den Augen derganzen Welt angelobte Amnestie gebrochen sei? woraufder Freiherr sich pltzlich glutrot im Gesicht zu ihmwandte, und, indem er dicht vor ihn at, und ihm indas Auge sah, antwortete: ja! ja! ja!" (68)Die so gewonnene Gewissheit lsst in Kohlhaas die Be-frirchtung wachsen, dass ihm in dieser Situation nurnoch die Flucht brig bleiben wird, deren Gelingen imAnbetracht der Umstnde iedoch zu bezweifeln ist.TodesurteilKohlhaas befindet sich nun in einer Verfassung, die ihnohne tiefere berlegung nach jedem rettenden Stroh-halm greifen lsst. Einen solchen bietet ihm JohannNagelschmidt an. Da auch dessen Lage immer bedrng-ter wird, mchte er Kohlhaas als Anfi.ihrer fr seinenHaufen gewinnen und bietet ihm zu diesem Zweck seineMithilfe bei einer Flucht aus Dresden an. Doch einmalmehr greift der Zufall in das Geschehen ein und be-einflusst Kohlhaasens Geschickungnstig. Der mit derberbringung dieses Briefes beauftragte Kumpan Nagel-schmidts erleidet in einem Dorf dicht vor Dresden einenKrampfanfall, welcher zu seiner Entlarvung und der Ent-deckung des Briefes frihrt. Er wird festgenommen undder Briefwird unverzglich dem Kurflirsten zugeleitet.Die dort anwesenden Tronkas dringen auf eine soforti-ge Verhaftung Kohlhaas', der der Kurfrirst wegen seinesgegebenen Amnestieversprechens nicht zustimmt. Manbeschlietjedoch, Kohlhaas aufdie Probe zu stellen, in-dem man ihm von dem bestochenen Knecht den BriefNagelschmidts doch berbringen lsst.In seiner verzweifelten Stimmung entschliet sich Kohl-haas, das Hilangebot Nagelschmidts anzunehmen. Sei-ne Absicht ist jedoch keineswegs, wieder die Waffen zuergreifen und sich an die Spitze der Nagelschmidt-Bandezu stellen, sondern vielmehr

    ,,mit seinen frinf Kindern nach Hamburg zu gehen, undsich dort nach der Levante oder Ostindien, oder soweitder Himmel ber andere Menschen, als die er kannte,blau war, einzuschiffen: denn die Dickftitterung derRappen hatte seine von Gram sehr gebeugte Seele auchunabhngig von dem Widerwillen, mit dem Nagel-

    schmidt deshalb gemeinschaftliche Sache zu machen'aufgegeben" (71).Er trift auch in dieser Hinsicht Vorsorge in seinem Ant-*o*Uri"f "tt Nagelschmidt, den er dem Knecht' dessenDoppelspiel er nicht durchschaut, bergibt'ol ^stoi3", die Kohlhaas sich hiermit gegeben hat',.tr.l"t dem Hof ein willkommener Anlass und Vorwand,t ,.irr, die inzwischen lngst bedauerte Amnestiezusa-g. ,r, U."ct "n. Darauf weist die Hast der Manahmenlegen fohthaas hin. Im Verlaufe der sofort eingeleitetenJnattm"n ut auch GrafWrede' dessen einziges Ver-g.fr.. i" seiner Loyalitt gegenber Kohlhaas besteht'seinen Posten zugunsten des den Tronkas fteundlichg.ro""""." craf Kailheim ein' Somit steht der Ver-tarung des Kohlhaas nichts mehr im Wege' lhm wirdumgeh-end der Prozess gemacht' und in dem-Iodesurteilg.gi" ift" machen si aie aufgestauten Rachegels-i.?"t* Kohlhaas Luft' Indem man ihn nur aufgrund,.ii"i sti"f"t an Nagelschmidt ohne Bercksichtigungdes gegebenen AmnestieversPrechens verurteilt"'mitglthnen Zangen von Schinderknechten gekniffen'g.J*o, una Jein Krper zwischen Rad und Galgeni"rbr"n.tt zu werden," (ebd') mchte man ihn durchdiese Hinrichtungsprozedur nicht nur mit dem Todebesftafen, sondern symbolisch radikal seine moralische'seetische und krperliche Vernichtung und Austilgungvollziehen.Zur Darstellung von Kohlhaasens Verhaftung und Ver-;;il""g brauiht der Erzhler nicht mehr als zweiSait". Oa"t.h transformiert sich die fieberhafte Eileder Aktivitten unmittelbar in atemlose Sprache' Undiese Fieberhaftigkeit des Vorgehens steht in offenba-rem Gegensatz zi der bis dahin nur schleppenden Ent-wicklung des Prozesses'4. Abschnitt (71-88):Kohlhaas in BerlinDas Eingreifen des Kurfrsten von BrandenburgDa nach-dieser rigorosen Verurteilung keine Hoffnungmehr frir Kohlhaas zu bestehen scheint' bildet das Ein-

    Reaktiondes Hofes

    Verhaftung

    Todesurteil

    SprachlicheGestaltung

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    Wendepunkt

    GegensatzBrandenburg -Sachsen

    PolitischeUmstnde

    Auslieferung

    Problemder Klage

    greifen des Kurfrsten von Brandenburg, KohlhaasensLandesherrn, einen erneuten Wendepunkt der Hand-lung. Er reklamiert Kohlhaas als seinen Untertan undfordert seine Auslieferung. Zwischenzeitlich hatte ervon dem an ff.iherer Stelle bereits als ehrenhaft vor-gestellten Heinrich von Geusau von der Affire und derSchuld, die den brandenburgischen Hof in diesem Zu-sammenhang traf, erfahren,,,worber der Kurftirst schwer entrstet, den Erzkanzler,nachdem er ihn zur Rede gestellt und befunden, dassdie Verwandtschaft desselben mit dem Hause derer vonTronka an allem schuld sei, ohne weiteres, mit mehre-ren Zeichen seiner Ungnade, entsetzte und den HerrnHeinrich von Geusau zum Erzkanzler ernannte" (72).

    Mit diesem entschiedenen Handeln wird vom bran-denburgischen Frsten und den Zustnden an seinemHof vordergrndig ein positives Bild entworfen, das indeutlichem Gegensatz zu den schsischen Verhltnis-sen steht. Doch genauer betrachtet, sind fr den bran-denburgischen Herrscher hierfrir auch staatspolitischeGrnde ausschlaggebend: Er kann in seiner Regierungkeinesfalls ein Mitglied dulden, das Entscheidungen imschsischen Interesse ftllt.Die politischen Umstnde sind ftir das brandenburgischeAnliegen grinstig. Da Polen Sachsen mit einer kriegeri-schen Auseinandersetzung bedroht und hierfrir Bran-denburg als Verbndeten zu gewinnen sucht, sieht dieschsische Regierung sich trotz erhobenem Einspruchaus bergeordneten politischen Erwgungen herausgezwungen, nicht nur Kohlhaas auszuliefern, sondernauch einem brandenburgischen Anwalt, der Kohlhaa-sens Klage vor dem Dresdner Gericht wieder aufgreifensoll, hierfr Psse auszustellen. Im Gegenzug will manKohlhaas beim Berliner Kammergericht wegen der inSachsen verbten Untaten verklagen und betraut - imGmnde gegen dessen Willen - den Prinzen von Meienmit dieser Aufgabe.Die Klageerhebung erweist sich jedoch als Problem,

    .da man sich auf den leidigen Brief desselben [d. i. Kohl-haas] an den Nagelschmidt, wegen der zweideutigenund unklaren Umstnde, unter welchen er geschrieben

    war, nicht berufen konnte, friiheren Plnderungen undEinscherungen aber, wegen des Plakats' worin sie ihmvergeben worden waren, nicht erwhnen durfte" (73)'Der schsische Hof hat sich in eine prekre Situationhineinlaviert und ist gezwungen, sich selbst die Zwei-felhaftigkeit seines Todesurteils fr Kohlhaas einzuge-stehen.

    ,,[...] so beschloss der Kurfurst [von Sachsen]' der Majes-it es raisers in Wien einen Bericht ber den bewaFneten Einfall des Kohlhaas in Sachsen vorzulegen' sichber den Bruch des von ihm eingesetzten ffentlichenLandfriedens zu beschweren, und sie' die allerdingsdurch keine Amnestie gebunden war' anzuliegen' denKohlhaas bei dem Hofgericht zu Berlin deshalb durcheinen Reichsklger zur Rechenschaft zu ziehen'" (73)Durch die oben genannten Umstnde ist der Kurfrrrst zudiesem Beschluss gezwungen, den er jedoch spter be-dauert und gerne wieder rckgngig machen wrde'Amulett und ZigeunerinDie Ausfhrlichkeit des Erzhlers bei der folgendenjagd-szene ist durch ihre Funktion bedingt' sie bildet in gewis-sem Sinne eine erneute Exposition'Nachtrglich werden die verwandtschaftlichen undfreundschaft lichen Verfl echtungen am schsischen Hofdeutlich: Heloise steht hierbei im Mittelpunkt' Sie istdie Schwester des schsischen Prsidenten und des so-eben abgesetzten brandenburgischen Erzkanzlers' In-dem Kuriz von Tronka mit ihr verheiratet ist' ist er mitden lGllheims verschwgert' Gleichzeitig ist Heloiseauch die frhere Geliebte des Kurfrirsten' der sich auch"rr^ i"trlg"tt Zeitpunkt noch ihren weiblichen Reizen,tg"i"r, zelgt una sich von ihr beeinflussen lsst'fi a.r, forigang der Handlung ist diese Szene bedeut-sam, da sie it dem Amulett ein Element einfhrt' dasnun ins Zentrum der Handlung nicken wird' Wie im ers-ten Teil die beiden Rappen der Dreh- und Angelpunktdes Geschehens waren, d'h' die Handlungen motivier-ten und auslsten und selbst wenigstens unterschwelligim Hintergrund stets vorhanden waren' so rckt nundas Amultt in den Mittelpunkt' Dabei vertauschen

    Anzeigebeim Kaiser

    2. Exposition

    Beziehungen amschsischen Hof

    Bedeutungdes Amuletts

    32 oep. TNHALTucHE AUFBAU HANDLUNGsVERLAUF 33

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    Begegnungdes Kurfrstenmit Kohlhaas

    DetektorischesErzhlenKohlhaas'Ezhlung

    sich die Rollen der Beteiligten. War es bislang Kohlhaasgewesen, der aktiv vom Kurfrsten etwas zu erlangenstrebte, so ist es nun der Kurftirst, der Kohlhaas wegendes Amuletts bedrngt. Rappenund Amulett reprsen-tieren jedoch nicht allein sich selbst, sondern verweisensymbolisch auf hhere und abstrakte Bedeutungsdimen-sionen.Einmal mehr ist der Zufall, die Verzgerung auf Kohl-haas' Reise nach Berlin wegen der Erkrankung seinesKindes, verantwortlich fr dieses erste Zusammentref-fen zwischen Kohlhaas und dem Kurftirsten. Obwohldas Auftauchen des Kohlhaas bei der Jagdgesellschafteine peinliche Szene verursacht, lsst sich der Kurfiirstspter von Heloise berreden, heimlich und inkognitomit ihr den in der Nhe des Jagdlagers bernachtendenKohlhaas aufzusuchen. Im Verlauf des Gesprchs mitKohlhaas erkundigt sich der Kurfrirst beilufig mehr ei-nes Themas fr die Konversation wegen als aus Interessenach der bleiernen Kapsel, die er an Kohlhaasens Halshngen sieht, ohne zu ahnen, welch fatale Auswirkun-gen und Folgen die Antwort Kohlhaas' haben wird.In der Folge wird der Kurfrirst unmittelbarer als bisherins Geschehen verwickelt und verliert seine innere unduere Haltung. Der Erzhler verfolgt die Strategie desdetektorischen Erzhlens,d. h. des nachtrglichen - wiez. B. bei den verwandtschaftlichen Verflechtungen - undallmhlichen Aufdeckens. So legt er den Leser durchdie wrtlich wiedergegebene Erzhlung des Kohlhaasauf dessen Perspektive fest und gewhrt ihm keinenWissensvorsprung vor Kohlhaas. Kohlhaasens Wissenum das Amulett ist nmlich nicht vollstndig und wirdan spterer Stelle erst ergnzt werden. Kohlhaas weibisher nur, dass er das Amulett ganz berraschend aufeinem Jahrmarkt von einer Zigeunerin, die dabei ihmunverstndliche Dinge geredet habe, erhalten hat unddass die Kurfrirsten von Sachsen und Brandenburg eineRolle bei dieser ihm unverstndlichen Szene spielten.Der Inhalt des versiegelten und in der bleiernen Kapseleingeschlossenen Zettels ist Kohlhaas nicht bekannt.Die mit der berreichung verbundene Prophezeiung derZigeunerin: ,,,Ein Amulett, Kohlhaas, der Rosshndler;verwahr es wohl, es wird dir dereinst das Leben retten!"'(77) sieht Kohlhaas trotz seiner Skepsis diesen Dingen

    gegenber durch die Vorgnge in Dresden teilweise er-frillt.Auf diese Erzhlung hin sinkt der Kurfrirst in Ohnmacht'welche im wrtlichen Sinne seine Lage symbolisiert'Ohnmacht, Schwchung und Krankheit werden zumDauerzustand des Kurfrsten. Auf die Beruhigungsver-suche des l(mmerers bedeutet er ihm, ,,dass ihm derBesitz dieses Zettels von der uersten Wichtigkeit sei"(78). Doch vertraut er dem l(mmerer, ,,dessen Willfh-iigi..it er in diesem Falle misstraute' (79), den Inhaltd[ses Zettels nicht an. Er beauftragt einen Jagdjunker'von dessen Zuverlssigkeit er sich bei friiheren Gelegen-heiten berzeugen konnte, damit, ihm den Zettel vonKohlhaas zu besorgen. Als Preis bietet er Kohlhaas "Frei-heit und Leben" (SO)' ja sogar die Beihilfe zur Flucht anund begibt sich damit in die Illegalitt' Doch l(ohlhaas'der miilerweile um die Identitt jenes Besuchers weiund in einem Freudentaumel seinen Triumph geniet'lehnt das Angebot ohne Zgern strikt ab' Sein Rache-bedrfnis ist so stark, dass er bereit ist, sich selbst zu op-fern, um dem Kurftirsten zu schaden: ,,,Du kannst michaufdas Schafott bringen, ich aber kann dir weh tun' undich wills!"' (81)Der Zustand des Kurfursten verschlimmert sich hieraufbis zur Lebensbedrohung und hlt ihn mehrere Wochenauf dem Krankenlager. Einigermaen wiederhergestellt'scheut er keine Mhe und Selbstentblung' um l(ohl-haas vor dem wahrscheinlichen Tod, den er mit seinerAnzeige beim Kaiser selbst verursacht hatte' zu retten',,da ihm der Gedanke, denjenigen zu verderben' von"*.. allein ber die Geheimnisse des Zettels Auskunfterhalten konnte, unertrglich war" (83)' Seine Bem-hungen um Kohlhaas sind also keineswegs selbstlos'sonJern von klaren eigenen Interessen motiviert' In den

    folgenden Passagen gert I(ohlhaas aus dem Blicldelddes Lesers, und der Erzhler perspektiviert seine Dar-stellung auf den Kurfrsten.Bemhungen des I(urfrsten um den ZettelDie vorheibereits in seinem Bewusstseinszustand sym-bolisch gespiegelte Ohnmacht zeigt sich nun auch in sei-ner tatsichlichen Ohnmacht den Vorgngen gegenber'die er selber initiiert hat und die sich in einer Eigendyna-

    Reaktiondes Kurfrsten

    Angebotdes Kurfrsten

    Kohlhaas'Rache

    Bemhungenum den Zettel

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    zahl, da er sein Reich verlieren, und den Namen dessen,der es durch die Gewalt der Waffen an sich reien wird"(87). Sie versiegelte den Zettel und tibergab ihn stttdem l(urfrsten einem Fremden mit der Aufforderungan den l(urftirsten: ,,von jenem Mann dort, der, mitdem Federhut, auf der Bank steht, hinter allem Volk,am Kircheneingang, lsest du, wenn es dir beliebt, denZettel ein" (ebd.). Der Leser wei bereits, dass es sichbei diesem Fremden um l(ohlhaas handelt. Die sofortige unglaubliche Erfllung einer ihrer Prophezeiungensteigert den Glar.rben des I(urfi.irsten an die Zigeunerinund intensiviert seinen dringlichen Wunsch nach demBesitz des Zettels. Dass der Kurftirst nun seinen Kontra-henten I(ohlhaas im Besitz dieses Zettels wei, ist einespte Rache frir sein vormaliges Desinteressean seiner'Person; htte er zeitig eine Begegnung mit i(ohlhaasherbeigellihrt, h;itte er wohl bessere Chancen flir dasEinlsen cles Zettels gehabt.Mit dem Arnulett und der Zigeunerin tritt ein illationa-les, bersinnliches Element in die Erzhlung ein, dassich nicht nahtlos in die bisherige i(onzeption der Er-zhlung fugt, vielmehr entsteht hierdurch ein Bmch.Doch die berrationalen Elemente der Figur der Zigeu-nerin werden sich spter als erzhltechnisch notwendigerweisen. Durch diese Figur wird der Erzhler Informa-tionen in die Erzhlung einbringen, die ftir den Fortgangder Handlung wichtig sein werden und die er mit realis-tischen Elementen nicht einfi.ihren knnte.Auf diese Erzhlung des Kurfi.irsten hin, verspricht Kunzvon Tronka, ihm diesen Zettel zu beschaffen, und reistnnter einem Vorwand nach Berlin. Dort ist der Prozessgegen I(ohlhaas zu seinem Ende gelangt. Zwar hatteI(ohlhaas anfangs die ihm zugesagte Amnestie relda-miert, doch fligte er sich der ,,Beiehrung, dass des i(aisersMajestt, deren Anwalt hier die Beschwerde flihre, dar-auf keine Rcksicht nehmen knne" (89), umso lieber,,,da rnan ihm [...] erklrte, wie ihm dagegen von Dresdenher in seiner Sache gegen denJunker Wenzel von Tronkavllige Genugtuung widerfahren werde" (ebd.). I(ohlhaaswird zum zweiten Mal zum Tode vemrteilt, doch nimmtsich die Enthauptung vergleichsweise milde gegen dasradikale Todesurteil in Dresden aus, das ganze Folterpro-zeduren zur Hinrichtung vorgesehen hatte. Entgegen der

    Erzhlungdes Kurfrsten

    Rckblende

    Prophezeiungder Zigeunerin

    mik von ihrem Urheber unabhngig gemacht haben. Sokann der Kurftirst seine Beschwercle beim I(aiser nichtmehr aufhalten, da der hiermit beauftragte Anwalt be_reits ber sein Auftreten in Wien Bericht erstattet hat.Auch der Kaiser kann seinen Abgesandten am BerlinerI(ammergericht nicht zurckbeordern, worum ihn derschsische Kurft.irst ,,auf herzliche und dringende Wei-se" (83) in einem ,,eigenhndigen Brief.. (ebd.) bat. Auchwill er es nicht, da er sich als Reichsoberhaupt zu clieserKlage verpflichtet fl.ihlt unci keinen zwingenden Grundfrir einen Verzicht sieht. Die Niedergeschlagenheit desKurfursten hierauf wird durch private Berichtc aus Ber_lin, die die Befrirchtung uern, ,,dass cler Kohlhaas [...]auf dem Schafott enden wer.de,, (g4), verstarkt. In einempersnlichen Schreiben an den Kurflirsten von Branden-burg bittet er diesen mit clem Hinweis auf die von ihmzugesagte Amnestie und einige nicht nher clargelegteGninde ,,um des Rosshndlers Leben,, (ebd.). Auch derI(urftirst von Brandenburg weist mit del. Begnindung,dass der l(aiser als Klger an keine Amnestie gebundensei, diese Bitte zunick.Als sich sein Zustand darauflrin erneut verschlitlmert,sieht cr sich gczwungen, seinen l(mmerer nun dochins Vertrauen zu ziehen. In einer wrtlich wieclergege_benen Erzhlung des l(urfrirsten lst cler Erzhler in ei-ner Rckblende fur den Leser das Rtsei des merkwrdigstarken Interesses des Kurftirsten an clem Zettel, indemseine Bedeutung ilir den I(urftirsten entdeckt wird, wasder zurckhaltende Erzhler nur durch die perspektivedes Kurflirsten leisten kann. Die Begebenheit mit derZigeunerin auf dem Jahrmarkt kennt der Leser bereitsteilweise aus der zurckliegenden Rckblende in Kohl-haasens Erzhlung. Die Er-zhlung des Kurllirsten liefertnun die ergnzenden Infor.mationen, riber die l(ohlhaasnicht verfrigen konnte.Die beiden I(urfursten hatten beim Besuch eines Jahr-markts die Knstc einer wahrsagenclen Zigeunerin aufdie Probe gestellt. Dem brandenburgischen Frstenund seinem Haus hatte sie eine glnzende Zukunft ver_hieen, aber dem schsischen Frsten verweigerte sieeine klare Aussage, sondern deutete eine Gefahr fi.irseine Dynastie an und notierte auf einen Zettel ,,denNamen des letzten Regenten deines Hauses, clie Jahres_

    Zigeunerinals irrationalesElement derEzhlung

    Kunzens Einsatz

    ErneutesTodesurteil

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    Kunzens List

    Unwahr-scheinlichkeit

    Ahnlichkeitmit Lisbeth

    Rat derZigeunerin

    allgemeinen Errvartung, diesich auflrund der Milde desUrteils und des kurfi.irstlichen Wohlwollens flir I(ohlhaasbreitgemacht hatte, erfolgt keine Begnadigung, sondernder I(urft.irst besttigt das Urteil und setzt einen Terminf[ir die Hinrichtung fest.Kunz plant, I(ohlhaas den Zettel mit List abzugewinnen.Er sr.rcht in den Straen Berlins eine alte Frau, die ihmais Doppelgngerin fr die Zigeunerin, die er persnlichja nie gesehen hat, zu taugen scheint, in der Hoffnung,dass I(ohlhaas sich das Gesicht der Zigeunerin bei derberraschenclen und flchtigen Begegnung nicht festgenug eingeprgt hat und sich auf diese Weise tiiuschenlsst. Er instruiert die AIte genau und gibt ihr den Auitrag, I(ohlhaas den Zettel unter dem Vorwand der ihmdrohenden Gefahl abzuverlangen. Doch dass l(unzdurch Zufall :rusgerechnet tatsiichlich an dic alte Zigeu-nerin ger:rten ist, ist ein so unwahrsclteinliches Faktum,dass selbst del Erzhlcr, obwohl er diese Tatsache gctreuwiedergibt, sic mit ciner verstcckten Anrecle an clen Le-ser kommentiert:

    ,,und wic denr-r die Wahlsche inlichkcit nicht itlt.t.rcl aufsciten dcr Wahlheit ist, so tra{ es sich, class hiel ctwasgcschehcn war', das.,vir zrvar bclichten: clic lrreihe itaber, daran zu zweifcln, dcmjcnigen, clern es wohlgc-fllt, zr.rgestehc'n mtisscn" (90).Dass I(ohlhaas ,,eine sonclerbnlc Ahnlichl

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    Nachrichtder Zigeunerin

    Schluss-steigerung

    Genugtuungfr Kohlhaas

    Shnedurch Kohlhaas

    Racheam Kurfrsten

    HinrichtungAuf dem Weg zur Hinrichtung erreicht ihn eine schrift-liche Botschaft der Zigeunerin, die deutlich macht, dassder bernatrirliche Charakter der Zigeunerin auch erzhl-technisch bedingt ist. Sie weist ihn nmlich nicht nurauf die Anwesenheit r.rnd das Aussehen des schsischenKurfrsten hin, sondern wei sogar dessen Absichten.Diese Informationen sind die Grundlage fi.ir I(ohlhaasensfolgendes Verhalten, knnen aber von einem normalenMenschen kaum gegeben werden.Die Szene auf dern fuchtplatz ist effektvoll inszeniert.Durch diese Kulisse mit symbolischer Anordnung undBedeutung werclen zum Schluss noch einmal alle wich-tigen Personen und Handlungsmomente konzentriertzusanmengefasst. Auch die Handlung mit ihren ver-schiedenen Bewegungsrichtungen kommt zu einemSchlnsspr,rnkt. Kohlhaasens Bestrebennach Recht undGenngtuung wird erflillt, er hat scirlielich noch Gele-genheit zur persnlichen Rache uncl muss seinerseitsfl.ir seine Verfehlungen Genugtuung leisten.Seiner I(lage in Dresden ist in allen Punkten stattgege-ben worden. Er kann die wieder dickgellitterten Rap-pen, seine und seines l(nechts Herses Geld und Sachensowie eine Summe Geld als Schadenselsatz in Empfangnehrnen. Darr.iber hinaus er'I?ihrt I(ohlhaas ar.rs dem ihmausgehndigten Gerichtsufteil von einer zweijhrigenGeflingnisstrafe ftr den Junker Wenzel. Kohlhaas' Rachean seinem persnlichen Feind ist gelungen, so dass eruern kann, .,dass sein hchster Wunsch auf Erden er-ftillt sei" (96). Seine Zufriedenheit lsst ihn seine letzteHabe grozgig verschenken. Seinerseits ist I(ohlhaasaufgefordert und bereit, ,,kaiserlicher Majestt [...] we-gen des Bruchs ihres Landfiiedens, [s]einerseits Genug-tuung zu geben" (97). Seine Hinrichtr-rng wird ais Srihnefur das von ihm begangene Unrecht verstanden.Noch unmitteibar vor der Hinrichtung hat l(ohlhaasGelegenheit, seine Rache, auch gegen den schsischenI(ur{iirsten, zu vollenden. Er erkennt diesen an der ihn'rvon der Zigeunerin bezeichneten Verkleidung in derMenschenmenge.

    ,,I(ohlhaas lste sich [...] die l(apsel von der Brust; ernahm den Zettel heraus, entsiegelte ihn und tiberlasihn: und das Auge unverwandt auf den Mann mit blauenund weien Federbschen gerichtet, der bereits senHoffnungen Raum zu geben anfing, steckte er ihn inden Mund und verschlang ihn. Der Mann mit blauenund weien Federbschen sank bei diesem Anblickohnmchtig in l(rmpfen nieder." (ebd.)Indem I(ohlhaas so das Vorhaben des Kurfrirsten, bei sei-nem Leichnam den Zettel zu finden, zunichte macht, sichselbst in Besitz des Geheimnisses bringt, um es durchdie Vernichtung des Zettels mit in den Tod zu nehmen,vollzieht er die moralische und seelische Vernichtungdes I(urfursten, die in dessen Ohnmacht und l(rmpfenihren symbolischen Ausdruck findet' Kohlhaas hat nachseiner Rache clie moralische berlegenheit gewonnen,sein Tod wird gewissermaen Nebensache. Und tatsch-lich erwhnt der Erzhler den Vollzug der Hinrichtungnur noch in einem Nebensatz. I(ohlhaasens moralischefurerkennung zeigt sich in seiner anstndigen Beerdi-gung auf einem Kirchhof, was man einem Hingerichte-ten normalerweise nicht gewhrte, und in seiner post-humen Ehrung durch den Ritterschlag seiner Shne'In den letzten Stzen schliet der Erzhier den uur an-gedeuteten Rahmen und weist auf die Nachgeschichtehin. Das Schicksal des I(urfirrsten von Sachsen deuteter ganz geschickt an durch die Erwhnung seiner leib-lichen und seelischen Zerrissenheit und dem Hinweisauf Geschichtsbticher. Dass er damit den Hinweis aufden Untergang von dessen Dynastie geben will, zeigtsich erst im letzten Satz, wo das Wrtchen ,,aber" denGegensatz zu den noch lnger lebenden Nachkommeni(ohlhaasens schafft. I(ohlhaas' Triumph setzt sich inder Zeit fort. Im aufinerksamen Leser weckt jedochdie Merkwrdigkeit, dass I(ohlhaas' ,,frohe und rstigeNachkommen" (98) im Mecklenburgischen und nicht inSachsen oder Brandenburg lebten, eine verstrende Fra-ge und Nachdenklichkeit: Warum?

    Vernichtungdes Kurfrsten

    KohlhaasensEhrung nachdem Tod

    Nachgeschichte

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    Funktiondes Ezhlers

    Erzhlerals ZeitgenosseKleistslmitationdes Chronikstils

    Lineare HandlungSouvernerberblick

    72 enzAHlrrcHrurr

    ErzhltechnikErzhler und ErzhlperspektiveIm berwiegenden Teil cler Flle ist der Erzhler einevom Autor ebenso wie die Handiungsflguren erfundenePerson, die sich selber mehr ocler weniger ins Gesprchbringt, sogar an der Handlung teiinehmen kann. Zweckeines solchen fiktiven Erzhiers als Vermittlungsinstanzeiner sorgfltig komponierten Handlung ist die geziel-te Lenkung des Lesers. Soll letztlich die Intention desAutors erkannt werden, mssen Rolle, Strategie unclGlaubhaftigkeit des Erzhlers clurchschaut werden.Der Erzhler in ,,Michael l(ohlhaas,, l

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    Anstiftungzur ber-einstimmung

    Wertungen

    AuktorialesErzhlen

    PersonalesEzhlen

    74 ERzAHLTEcHNtK

    nur bloer Bescheidenheitsgestus,sondern stiftet denLeser insgeheim zur bereinstimmung an. Noch an eineranderen Stelle wendet sich der Erzhler indirekt an denLeser, lsst ihm raffiniert die Freiheit des Glaubens an ihnund bringt somit den Rezeptionsprozess zur Sprache:,,und wie clenn die Wahrscheinlichkeit nicht immer aufSeiten der Wahrheit, so trafes sich, da hier etwas ge_schehen war, das wir zwar berichten,

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    Weftungendes EzhlersgegenberKohlhaas

    Zustimmung

    Ablehnung

    Parteinahmefr Kohlhaas

    Verstndnis

    Perspektivierungauf Kohlhaas

    76 enzAslrrcHrurr

    Die offene Beurteilung Kohlhaasens wandelt sich imVerlaufder Handlung. In der Einleitung bezeichnet derErzhler Kohlhaas als ,,auerordentliche[n] Mann" (3),welches Urteil in den beraus positiven, aber auch wi-derspnichlichen Eigenschaften Kohlhaasens, die der Er-zhler auffiihrt, begrndet liegt. Solange Kohlhaas denRechtsweg nicht verlsst, bleibt der Erzhler auch beiseiner positiven und zustimmenden Bewertung;er nenntI(ohlhaas' vorzgliches Rechtsgefrihl und beschreibtsein daraus erwachsendes besonnenes und vorbiidlichesVerhalten. Seine Selbstjustiz veranlasst ihn dann jedoch,ihn und sein Vorgehen zu verrrrteilen. I(ohlhaas wird als,entsetzlicher Wterich' (vgl. 31), spter als ,[rasender]Mordbrenner' (vgl. 33, 34, 35, 36) bezeichnet; die Bewer-tungen seiner Untaten steigern sich von ,jmmerlicheGeschfte' (vgl. 28) zu ,mrderische Anstalten' (vgl. 31).Als Grund fr dieses Verhalten sieht der Erzhler ,,eineSchwrmerei krankhafter und missgeschaft "(Doch sowie das Plakat Luthers eine Wandlung in I(ohl-haasens Verhalten bewirkt, ndert sich mit dem Verhai-ten auch der Kommentar des Erzhlers. Das Plakat hates vermocht, Kohlhaas ,,in seiner ganzen Verderbiich-keit, in der er dastand, pltzlich zri entwaffien" (38).Der Erzhler lsst Luther Kohlhaas noch als ,seltsamenMenschen' (vgl. a0) empfinden, doch als die beiden Tron-kas ihren Gegenzug gegen Kohlhaas vorbereiten, nenntihn der Erzhler,,den armen l(ohlhaas" (59), nach seinerVen-rrteilung in Dresden einen ,sonderbaren und nichtverwerflichen Mann' (vgl. 72).Bei aller Kritik an Kohlhaas lsst der Erzhler Verstnd-nis flir ihn trotzdem nicht vernissen; denn bei aller Ver-derblichkeit l(ohlhaasens zeigt er ihn nicht als gmnd-stzlich bse, sondern als innerlich zerrissen. Die Szeneam Stift hat in I(ohlhaas keinerlei Befliedigung ausge-lst, vielmehr empfindet er ,,Schmerz in seiner unglck-lichen Brust" (30). Die Einscherung der Stdte betreibtI(ohlhaas nicht mit Lust, sondern er hat eine ,zerrisseneBrust' (vgl. 37). Selbst seine Hybris scheint dem Erzhlerdurch ,,Schwrmerei" (30) und ,,Vernickung" (35) nochentschuldbar.Diese Mitteilung innerer Regungen Kohlhaasens istTeil der weitgehenden Perspektivierung des Textes auf

    diesen. Der Leser begleitet I(ohlhaas stndig bei seinenErlebnissen und Erkenntnissen. So erfolgt die Rck-blende, die den Erwerb und die Bedeutung der bleier-nen I(apsel dem Leser aus der Perspektive I(ohlhaasensentdecict und damit mit ihrem Inhalt ins Zentrum derAufinerksamkeit rckt, erst zu dem Zeitpunkt, da I(ohI-haas selber die Bedeutung der Kapsel erfasst, obschoner sie schon lnger besitzt. Dadurch, dass der Erzhlerden Leser weitgehend auf Kohlhaasens Perspektivefestlegt und ihm dessen innere Vorgnge durchaus ver-stndnisvoll mitteilt' stiftet er ihn zur Solidaritt mitdiesem an. Damit nimmt er gleichzeitig versteckte Wer-tungen vor.Die offenen Wertungen des Erzhlers gegenber demGeschehen stehen zuweilen in einem merkwrdigenWiderspruch zu den Empfindungen des Lesers' Nach derZerstrung der Ritterburg mag sich aufgrund der Vorge-schichte bereits eine verhohlene Befriedigung im Leserbreitgemacht iraben, wenn der Erzhler diese Handlungim Sinne der bestehenden Ordnung und tradierten Mo-ral als jmmerliche Geschfte' (vgl' 28) weftet' Seinemilitrischen und taktischen Erfolge ntigen dem Lesereine geheime Bewunderung flir diesen tiberlegenen Ha-sarclr auf, gegentiber denr der Junker zunehmend anLcherlichkeit gewinnt und die Obrigkeit in ihrer Unge-schicklichkeit, Hill' Rat- uncl Machtlosigkeit schwchlichwirkt. So entsteht im Leser eine Spannung, die ihn durchdie Frage, ob eine Ordnung, die eine so gut nachvoll-ziehbare Reaktion einerseits verursacht und veranlassthat und sie andererseits verurteilt und bekmpft' nichtselbst zu hinterfiagen ist, zur vertieften Reflexion undzur eigenen Urteilsfl ndung herausfordert'Durch die Stellungnahme des Volkes erreicht Kohlhaas'I(ampf fi:r die eigene Sache in der Tat eine politische

    Dimnsion. I(oirlhaas ruft den Hass des Volkes gegendie Tronkas wach: Es ,'nannte ihn [d'i' Wenzel] einenBlutigel, einen elenden Landplager und Menschenqu-ter" 1af1. Graf Wrede berichtet dem Kurfrirsten' "dassder Rosshndler [.'.] bei der allgemeinen Unzufrieden-heit, die wegen der Unziemlichkeiten des Kmmerersim Lande herrschte," (46f.) auf groen Zulauf rechnenkann. Die Bevlkerung von Dresden empfngt I(ohlhaasals ,,Wrgeengel [..'1, der die Volksbedrcker mit Feuer

    Solidarittmit Kohlhaas

    Widersprch-lichkeit derWertungen

    Reflexiondes LesersPolitischeBedeutung vonKohlhaas'KamPf

    ERZAHLER UND ERZAHLPERSPEKTIVE 77

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    Bewertungdes Hofes

    Ubermachtund Willkr

    Schwchedes KurJrsten

    Verlustder Wrde

    und Schwert verfolge" ( !). Der Leser wird den Eindrucknicht los, dass ein IGmpf gegen eine ungerechte Ord-nung nicht ungerecht sein kann.Diese intendierte Parteinahme des Lesers f,.ir Kohihaaswird durch die Wertungen des Erzhlers gegenber denTronkas und dem l(urfrsten verstrkt. An keiner Steilezeigt der Erzhler sich diesen gegenber wohlwollend.Den versteckten Wer-tungen durch die Darstellung derMissstnde am schsischen Hof mit Vetternwirtschaft$g1.7\, dem wenig ehrenhaften Gebaren der Ritter(vgl. a2 tr ) und der Passivitt uncl Vergngungssucht desFrsten (vgl.7af.l entsprechen die offen ausgesproche-nen: ,stolze Ritter' (vgl. 58), ,arglistige futter' (vgl. 59),,,Wendungen arglistiger und rabuiistischer Art" (62f.).Angesichts dieser Gegnerschaft flir den Helden i(ohlhaasfasst der Erzhler wohl die Empfindungen des Lesers zu-sammen, wenn er den schsischen Hof mit ,,bermachtund Willkr" (71) bezeichnet. In den Passagen, in de-nen der I(urflirst den Platz im Zentrum der Darstellungeinnimrnt, findet er trotzdem nicht die Syrnpathie desErzirlers. Seine wiederholten Ohnmachtsanflille lassenihn recht schwchlich, wenn nicht gar lcherlich er-scheinen. Als der Leser in der zweiten Rckblende, derErzhlung des I(urffirsten, den Inhalt des Zettels erf?ihrt,ist er recht beliemdet: Dass ein Landesherr seinem Wun-derglauben erliegt und n-rit solcher Energie die Prophe-zeiungen von dermaen zweitrangiger Bedeutung inErfahmng zu bringen sucht, erscheint doch nicht sehrgiaubhaft. Dass die Zukunft seiner Dynastie ihn mehr zuinteressieren scheint als das Wohl seines Landes, setztihn in clen Verciacht der Selbstsucht. Der i(urfl.irst ist be-reit, zur Erlangung des Zettelsjede Legalitt zu veLlassenund jede Wrde fallen zu lassen. Seine Lge gegenriberdem Prinzen, was seine Anordnr.urg ber die Absendungdes Anwalts zum kaiserlichen Gericht in Wien betrifft,zeugt hiervon (vg1. 82).Diesen Eindruck erzeugt der Erzhler im Leser durchdie ausfrihrliche Darstellung der Al